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Alexandre Dumas

 

Der Page des Herzogs von Savoyen

 

 

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp

Übersetzer: Dr. August Diezmann

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2017 andersseitig.de

ISBN

9783961184514 (ePub)

9783961184521 (Mobi)

 

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Dresden

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Inhalt

Impressum

Erster Theil

I. Was man am 5. Mai 1555 gegen zwei Uhr Nachmittags von dem höchsten Thurme von Hesdin-Fert aus sehen konnte.

II. Das Abenteuer.

III. Der Leser macht weitere Bekanntschaft mit den Helden, die wir ihm vorgestellt haben.

IV. Der Gesellschaftsvertrag.

V. Der Graf von Waldeck.

VI. Der Richter.

VII. Geschichte und Roman.

VIII. Der Knappe und der Page.

IX. Leone Leona.

X. Die drei Botschafter.

XI. Odoardo Maraviglia.

Zweiter Theil

I. Was in der Nacht vom 14. zum 15. November 1534 in einem Kerker der Feste von Mailand vorging.

II. Der Dämon des Südens.

III. Carl V. hält das Versprechen, das er seinem Sohne gegeben.

IV. Coligny.

V. Nach der Abdankung.

VI. Der Hof von Frankreich

VII. Die Jagd des Königs.

VIII. Connetable und Cardinal.

IX. Der Krieg.

Dritter Theil

I. Der Leser befindet sich wieder unter Bekannten

II. Saint Quentin.

III. Der Admiral heilt sein Wort.

IV. Das Zelt der Abenteurer.

V. Kampf.

VI. Herr von Thaligny.

VII. Das Erwachen des Connetable.

VIII. Die Ersteigung.

IX. Der doppelte Vortheil, den es haben kann die Bauernsprache zu reden.

X. Die Schlacht von Saint-Quentin.

XI. Wie der Admiral Nachricht von der Schlacht erhielt.

 

Erster Theil

I. Was man am 5. Mai 1555 gegen zwei Uhr
Nachmittags von dem höchsten Thurme von Hesdin-Fert aus sehen konnte.

 

Versetzen wir sofort, ohne Vorrede, diejenigen unserer Leser, welche mit uns einen Sprung von dreihundert Jahren in die Vergangenheit thun wollen, zu den Männern, mit denen wir sie bekannt zu machen haben, und in die Ereignisse, denen sie beiwohnen sollen.

Es ist der 5. Mai des Jahres 1555.

Heinrich II. regiert über Frankreich.

Maria Tudor über England.

Carl V. über Spanien, die Niederlande, Deutschland, Italien und die beiden Indien, also über ein Sechstheil der Erde.

Der Schauplatz ist in der Nähe der kleinen Stadt Hesdin-Fert, welche Emanuel Philibert, Fürst von Piemont, statt des alten Hesdin wieder aufbaute, welches er im vorigen Jahre eingenommen und rasirt hat. Wir befinden uns also in dem Theile des ehemaligen Frankreichs, welches damals das Artois hieß und jetzt das Departement Pas-de-Calais ist.

Wir sagen des »ehemaligen Frankreichs,« denn Artois war eine kurze Zeit durch Philipp August, den Sieger von St. Jean d’Acre, mit dem Besitz der Könige von Frankreich vereinigt worden, wurde dann 1237 von Ludwig dem Heiligen seinem jungen Bruder Robert übergeben und kam in den Händen dreier Frauen, Mahaud, Johanna I. und Johanna II. an drei verschiedene Häuser. Mit Margarethe, Schwester Johanna’s II. und Tochter Johanna’s I., gelangte es an den Grafen Ludwig von Mâle, dessen Tochter es gleichzeitig mit den Grafschaften Flandern und Nevers dem Hause der Herzoge von Burgund zubrachte. Als endlich Carl der Kühne todt war, vereinigte Maria von Burgund , die letzte Erbin des riesigen Namens und der unermeßlichen Besitzungen ihres Vaters, als sie sich mit Maximiliam dem Sohne des Kaisers Friedrich II., vermählte, ihren Namen und ihre Reichthümer mit dem Besitz des Hauses Oesterreich.

Das war ein großer Verlust für Frankreich, denn Artois war eine schöne und reiche Provinz. Auch kämpften Heinrich II. und Carl V. seit drei Jahren mit wechselndem Erfolge, Carl V. um sie zu behalten, Heinrich II. um sie wieder zu erlangen.

Während dieses erbitterten Krieges, in welchem der Sohn den alten Gegner seines Vaters wieder fand und, wie sein Vater, sein Marignan und sein Pavia haben sollte, hatte ein Jeder seine guten und schlimmen Tage, seine Siege und seine Niederlagen gehabt. Frankreich hatte das Heer Carl’s V. in Unordnung die Belagerung von Metz aufgeben sehen und Marienburg, Bouvines und Dinant genommen, das Reich dagegen Therouanne und Hesdin mit Sturm genommen und in Zorn über die Niederlage von Metz das eine verbrannt und das andere rasirt.

Wir haben Metz mit Marignan verglichen und übertreiben nicht. Ein durch die Kälte, Krankheiten und auch den Muth des Herzogs Franz von Guiche und der französischen Besatzung geschwächtes Heer von fünfzigtausend Mann Fußvolk und vierzehntausend Reitern verschwand wie Dunst, wie Rauch und ließ als Zeugen seines Daseyns zehntausend Todte, zweitausend Zelte und hundertundzwanzig Geschütze zurück.

Die Entmuthigung war so groß, daß die Fliehenden nicht einmal sich zu vertheidigen versuchten. Carl von Bourbon verfolgte ein Corps spanischer Reiter; der Offizier, welcher dasselbe befehligte, hielt sein Pferd an, ritt dann zu dem feindlichen Anführer und sagte:

»Prinz, Herzog oder blos Edelmann, wer Du auch seyn magst, suche eine andere Gelegenheit, wenn Du um Ruhm kämpfst, denn heute würdest Du Leute töidten, die zu schwach sind Dir zu widerstehen, ja zu schwach zu fliehen.«

Carl von Bourbon steckte das Schwert in die Scheide und gebot seinen Leuten dasselbe zu thun, der spanische Offizier aber konnte so mit seinen Leuten den Rückzug fortsetzen, ohne weiter belästigt zu werden.

Carl V. war weit entfernt diese Milde nachzuahmen. Als Therouanne genommen war, hatte er befohlen, die Stadt zu plündern und bis aus den Grund zu rasiren; nicht blos die Privatgebäude, sondern auch die Kirchen, Klöster und Hospitäler zu zerstören, kurz keinen Stein auf dem andern zu lassen, und damit man die Steine nicht wieder auflege, ließ er Leute von Flandern und Artois kommen, dieselben wegzuholen.

Die Aufforderung zur Zerstörung wurde vernommen. Die Leute von Artois und in Flandern, welchen die Besatzung von Therouanne großen Schaden zugefügt hatte, kamen mit Hacken, Schaufeln und Spaten herbei und die Stadt verschwand wie Sagunt unter den Füßen Hannibals, wie Karthago vor Scipio.

Wie mit Therouanne war es mit Hesdin ergangen.

Unterdeß aber wurde Emanuel Philibert zum Oberbefehlshaber der Reichstruppen in den Niederlanden ernannt und wenn er auch Therouanne nicht zu retten vermochte, erlangte er wenigstens die Genehmigung, Hesdin wieder aufzubauen.

Binnen einigen Monaten hatte er diese unermeßliche Arbeit vollendet und wie durch Zauberei erhob sich eine neue Stadt etwa eine Viertelstunde weit von der alten. Diese neue Stadt, am Ufer der Canche, war so gut befestigt, daß Vauban sie noch hundertundfünfzig Jahre später bewunderte, obgleich in diesen anderthalbhundert Jahren die Befestigungskunst sich gänzlich verändert hatte.

Ihr Gründer hatte die Stadt Hesdin-Fert genannt, d. h. er hatte, um die neue Stadt stets an ihren Ursprung zu erinnern, dem Namen die vier Buchstaben F. E. R. T. hinzugefügt, welche der deutsche Kaiser dem dreizehnten Grafen von Savoyen, Amadeus dem Großen, nach der Belagerung von Rhodus nebst dem weißen Kreuze gegeben hatte und die bedeuteten: Fortitudo ejus Rhodum tenuit, d. h, sein Muth erhielt Rhodus.

Dies war indeß nicht das einzige Wunder, welches der junge Feldherr bewirkte, dem Carl V. die Führung seines Heeres anvertraut hatte. In Folge der strengen Mannszucht, die er herzustellen vermocht hatte, begann das unglückliche Land, welches seit vier Jahren der Schauplatz des Krieges gewesen, sich wieder zu erholen; er hatte Raub und Plünderung auf’s Strengste untersagt, der Offizier, welcher dawider handelte, wurde entwaffnet und, im Angesichte des ganzen Heeres, in seinem Zelte längere oder kürzere Zeit gefangen gehalten, jeder Soldat aber, der auf der That ergriffen, gehangen.

Da der Winter von 1554 zu 1555 auch die Feindseligkeiten unterbrochen, so hatten die Bewohner von Artois vier bis fünf Monate verleben können, welche im Vergleich zu den drei Jahren zwischen der Belagerung von Metz und dem Wiederaufbau von Hesdin, ein Stück goldenes Zeitalter erschienen waren.

Zwar wurde von Zeit zu Zeit bald hier bald da, entweder von den Franzosen, die Abbeville, Doulens und Montreuil am Meere besetzt hielten und Einfälle in das feindliche Gebiet machten, oder von den unverbesserlichen Plünderern, Lanzknechten und Zigeunern, irgend ein Schloß in Brand gesteckt, eine Meierei geplündert, ein Haus ausgeraubt; aber Emanuel Philibert machte so gut Jagd auf die Franzosen und hielt so strenge Justiz unter den Kaiserlichem daß solche traurige Vorfälle von Tag zu Tag seltener wurden.

So stand es denn in der Provinz Artois und namentlich in der Gegend von Hesdin-Fert an dem Tage, an welchem unsere Erzählung beginnt, d. h. am 5. Mai 1555.

Nachdem wir den Lesern nur einen Ueberblick von dem politischen Zustande des Landes gegeben haben, müssen wir, um das Bild vollständig zu machen, auch das äußere Aussehen beschreiben, das sich in Folge der Entwicklung der Industrie und der Verbesserungen des Ackerbaues seit jener Zeit völlig verändert hat.

Um zu diesem schwierigen Resultate zu kommen, d. h. eine fast verschwundene Vergangenheit wieder hervorzurufen, wollen wir auszählen, was ein Mann gesehen hätte, der gegen zwei Uhr Nachmittags am 5. Mai 1555 auf den höchsten Thurm von Hesdin gestiegen wäre und den Rücken dem Meere zugewandt, und den Horizont überschaut hätte, der sich im Halbkreise vor seinem Blicke von dem nördlichen Ende der kleinen Hügelkette, hinter welcher sich Bethune verbirgt, bis zu den letzten südlichen Anhöhen derselben Kette hinzieht, an deren Fuße Doulens liegt.

Gerade vor sich hätte er zuerst, spitz nach dem Ufer der Canche vorlaufend, den dunkeln dichten Wald von St. Pol-sur-Ternoise gehabt , dessen großer grüner Teppich, gleich einem Mantel der Hügel, unten am entgegengesetzten Abhange den Saum an der Quelle der Sparce netzte, welche für die Schelde das, was die Saone für die Rhone und die Mosel , für den Rhein ist.

Rechts von diesem Walde — folglich links von dem Umschauendem den wir uns auf dem höchsten Thurme von Hesdin denken — in der Ebene, im Schirme derselben Hügel, welche den Horizont schließen, die Flecken Enchin und Fruges, im bläulichen Rauch ihrer Schornsteine versteckt, der sie wie ein durchsichtigen-Schleier umhüllte und andeutete, daß die frostigen Bewohner dieser nördlichen Provinze, trotz dem Erscheinen der ersten Frühlingstage, dem Feuer, dem lustigen und getreuen Freunde ihrer Wintertage, noch nicht Lebewohl gesagt hatten.

Vor diesen beiden kleinen Ortschaften stand wie eine Schildwache, die sich ans dem Walde herausgewagt hätte, aber sich doch nicht hätte entschließen können weit davon hinwegzugehen, eine kleine hübsche Wohnung, halb Meierei, halb Schloß, Parcq geheißen.

Gleich einem goldigen Bande auf dem grünen Kleide der Ebene lag der Weg da, der unweit von dem einzigen Zugange dieser Wohnung sich in zwei theilte, von denen der eine gerade nach Hesdin ging, der andere aber sich um den Wald herumzog und den Verkehr der Bewohner von Parcq mit den Dörfern Freveul, Aury-le-Chateau und Nouvion-en-Ponthieu andeutete.

Die Ebene, welche sich von diesen drei Orten nach Hesdin zog, bildete das dem beschriebenen entgegengesetzte Bassin, d. h. sie lag links von dem Bassin des Waldes von St. Pol und folglich rechts von dem Manne, den wir uns auf dem Thurme denken.

Dies war denn der bemerkenswertheste Theil der Landschaft, nicht ihrer natürlichen Beschaffenheit wegen, sondern wegen des zufälligen Umstandes, der ihr jetzt eben Leben gab.

Während die Ebene an der andern Seite nur mit grünenden Saaten bedeckt war, wurde diese von dem Lager des Kaisers Carl V. fast ganz eingenommen.

Dieses von Gräben umgebene und mit Palisaden bewehrte Lager enthielt eine ganze Stadt, nicht von Häusern, sondern von Zelten.

In der Mitte dieser Zelle, wie die Notre-Dame-Kirche von Paris in der Altstadt, wie das päpstliche Schloß in Avignon oder wie ein Dreidecker unter den kleinen Wogen des Oceans, erhob sich das Kaiserzelt Carls V. an dessen vier Seiten vier Standarten wehren, von denen eine einzige dem menschlichen Ehrgeize gewöhnlich genügt: die Standarte des deutschen Reiches, die Standarte Spaniens, die Standarte Roms und die der Lombardei, denn dieser Eroberer, dieser Tapfere, dieser Siegreiche, wie man ihn nannte, war viermal gekrönt: in Toledo mit der Diamantkrone als König von Spanien und Indien; in Aachen mit der Silberkrone als deutscher Kaiser und endlich in Bologna mit der goldenen Krone als römischer König und mit der eisernen als König der Lombardie. Wenn man seinem Willen entgegenzutreten ; versuchte in Bologna sich krönen zu lassen, statt der Gewohnheit gemäß nach Rom und nach Mailand zu gehen, wenn man ihm das Breve des Papstes Stephan entgegenhielt, welches verbietet, die goldene Krone aus dem Vatican zu bringen, und das Decret Carls des Großen, welches verordnet, daß die eiserne Krone in Monza verbleibe, antwortete der Besieger Franz I., Solimans und Luthers stolz, er sey gewöhnt, daß die Kronen zu ihm kämen, nicht er zu den Kronen.

Auch bemerke man wohl, daß über jene vier Fahnen seine eigene Fahne hinwegragte, welche die Säulen des Herkules zeigte, nicht mehr als die Grenze der alten Welt, sondern als die Pforte der neuen und in allen Winden die ehregeizige Devise flattern ließ, die durch ihre Verstümmelung größer geworden war: Plus ultra!

Etwa fünfzig Schritte von dem Kaiserzelt stand das Zelt des Oberbefehlshabers Emanuel Philibert, das sich von denen der andern Anführer durch nichts als eine doppelte Fahne auszeichnete. Eine mit dem Wappen Savoyens — ein weißes Kreuz in rothem Felde mit den bereits erklärten vier Buchstaben F. E. R. T. — und eine zweite mit dem Wappen Emanuels selbst, eine Hand, welche eine Trophäe von Lanzen, Schwertern und Pistolen gen Himmel hob, mit der Devise: Spoliatis arma Supersunt, das heißt: Den Beraubten, bleiben die Waffen.

Das Lager, über welches diese beiden Zelte hinausragten, war in vier Quartiere oder Viertel getheilt, zwischen denen der mit drei Brücken überspannte Fluß sich hineinschlängelte.

Das erste Quartier (Viertel) war für die Deutschen, das zweite für die Spanier, das dritte für die Engländer bestimmt. Das vierte enthielt den Geschützpark, welcher seit der Niederlage von Metz vollständig erneuert und durch die in Therouanne und Hesdin erlangten französischen Geschütze auf hundertundzwanzig Kanonen gebracht worden war.

Auf jedes der Geschütze von den Franzosen hatte der Kaiser seine Devise graben lassen: Plus ultra.

Hinter den Geschützen standen in drei Reihen die Pulver- und Kugelwagen und Schildwachen mit dem Säbel in der Hand, aber ohne Schießgewehr sorgten dafür, daß Niemand diesen Vulkanen sich nähere, die nach einem Funken ungeheure Flammen ausgeworfen haben würden.

Andere Wachen standen außerhalb des Raumes.

In den Lagergassen bewegten sich Tausende von Menschen mit militärischer Rührigkeit hin und her, welche indeß durch die deutsche Bedächtigkeit, den spanischen Stolz und das englische Phlegma gemildert wurde.

Die Sonne spiegelte sich auf allen Waffen, die ihr die Strahlen in Blitzen zurückwarfen, und der Wind spielte mit allen Fahnen, Bannern und Standarten, deren seidene glänzende Falten er bald zusammen- bald aufrollte.

Diese Rührigkeit, diese Bewegung, dieses Geräusch, die stets über Menschenmengen und über dem Meere schweben, stachen seltsam von der Stille und Einsamkeit an der andern Seite der Ebene ab, wo die Sonne nur die Saatfelder in verschiedenem Grün beschien und der Wind nur mit den Feldblumen spielte, welche die Mädchen gar gern in Kränze zum Sonntagsputze flechten.

Nachdem wir so in dem ersten Capitel unseres Buches erwähnt haben, was man am 5. Mai 1555 von dem höchsten Thurme von Hesdin-Fert gesehen haben würde, werden wir im zweiten nachtragen, was dem schärfsten Blicke auf jenem Thurme sicherlich entgangen wäre.

 

II. Das Abenteuer.

Dem schärfsten Blicke eines Jeden wäre das entgangen, wer in dem dichtesten und folglich dunkelsten Theile des Waldes von St. Pol-sur-Ternoise in einer Höhle geschah, welche die Bäume mit ihrem Schatten deckten und Epheuranken mit ihren Blättern umschlangen, während zur größern Sicherheit der Inhaber dieser Höhle, eine Schildwache im Gebüsch, unbeweglich wie ein Baumstamm, daneben auf dem Bauche lag und darauf achtete, daß kein Uneingeweihter die wichtige Berathung störe, zu welcher wir als Romandichter, das heißt als Zauberer, vor dem sich alle Thüren öffnen, unsere Leser führen wollen.

Benutzen wir den Augenblick, in welchem die Schildwache, durch das Geräusch eines scheu vorüberspringenden Rehs aufmerksam gemacht, dahin blickt, uns also nicht sieht, schlüpfen wir unbemerkt in die Höhle hinein und beachten, hinter einem vorstehenden Felsenstück versteckt, genau alles was darin vorgeht.

In der Höhle befinden sich acht Männer von verschiedenem Gesicht, verschiedener Tracht und verschiedenem Temperament, obgleich sie nach den Waffen, die sie tragen oder die umherliegen, eine und dieselbe Laufbahn gewählt zu haben scheinen.

Der Eine, mit Tintenflecken an den Fingern und pfiffigem Gesichte, taucht eine Feder — von deren Schnabel von Zeit zu Zeit er eines der Fädchen nahm, die sich auf schlecht gearbeiteten Papiere finden — in eines der Tintenfässer von Horn, welche die Schreiber und Studenten am Gürtel tragen, und schreibt auf einer Art Tisch, einer auf zwei massiven Füssen ruhenden Steinplatte, während ein Anderer mit der Geduld und Unbeweglichkeit eines Leuchters, einen brennenden Fichtenzweig hält und nicht nur den Schreiben den Tisch und das Papier beleuchtet, sondern auch mehr oder minder helle Lichter, je nach der Nähe oder Entfernung, auf sich selbst und selbst auf die andern Genossen fallen läßt.

Ohne Zweifel handelt es sich um etwas, das für die Gesellschaft von Wichtigkeit ist, wie man leicht an dem Eifer sehen kann, mit welchem Jeder an der Abfassung der Schrift Theil nimmt.

Drei der Männer indeß scheinen sich weniger mit dieser ganz materiellen Sorge zu beschäftigen.

Der Erste ist ein schöner junger Mann von vier- bis fünfundzwanzig Jahren in einem Büffellederkoller, das, wenn nicht vor Kugeln, doch vor Hieb und Stich sichert. Ein Wamms von braunem Sammt, das allerdings etwas verschossen, aber noch immer ansehnlich ist, mit spanisch geschlitzten Aermeln, also nach der neuesten Mode, geht vier Finger breit über das Lederkoller unten hinweg und fällt in ziemlich weiten Falten auf die ebenfalls geschlitzte Hofe von grünem Tuch, welche sich in großen Stiefeln verliert, die so hoch heraufgehen, daß sie zu Pferd die Schenkel schützen und so weich sind, daß sie bei dem zu Fußegehen bis unter das Knie zurückgeschlagen werden können.

Er trällert ein Liedchen von Clement Marot, während er mit der einen Hand seinen feinen schwarzen Schnurrbart streicht und mit der andern das Haar kämmt, das er etwas länger trägt, als es die Mode verlangt, wahrscheinlich um die weichen Lockenwellen nicht zu verlieren, die ihm die Natur gegeben hat.

Der Zweite ist ein Mann von kaum sechsunddreißig Jahren, sein Gesicht aber von Narben nach allen Richtungen hin so durchzogen, daß man darnach unmöglich sein Alter bestimmen könnte. Der Arm und ein Theil der Brust ist bloß und auf dem was man so von seinem Körper sieht, kann man eine Reihe nicht minder zahlreicher Narben erkennen als in dem Gesicht. Er ist eben beschäftigt, eine Wunde zu verbinden, die ihm zum Theil den zweiköpfigen Muskel am linken Arme bloßgelegt hat, die aber für ihn nicht eben hinderlich ist, wie sie es sevn würde, wenn sie sich an dem rechten Arme befände. Mit den Zähnen hält er das Ende einer Leinwandbinde, mit der er eine Hand voll Charpie zusammendrückt, die er vorher in einem Balsam getränkt hat, den ihm ein Zigeuner gab und der ihm, wie er sagt, sehr gut thut. Uebrigens geht kein Klagelaut aus seinem Munde und er scheint gegen Schmerz so unempfindlich zu seyn, als wenn der Arm, mit dessen Heilung er sich beschäftigt, von Holz wäre.

Der Dritte ist ein Mann von vierzig Jahren, groß und hager, mit blassem Gesicht und frommer Haltung. Er kniet in einem Winkel, hat den Rosenkranz in der Hand und sagt mit nur ihm eigenthümlicher Zungenfertigkeit ein Dutzend Paternoster und ein Dutzend Ave her. Von Zeit zu Zeit läßt seine rechte Hand den Rosenkranz los und klingt auf der Brust wie der Schlägel des Böttchers auf einem leeren Fasse, nachdem er aber zwei- oder dreimal mea culpa gesprochen hat, greift er wieder nach dem Rosenkranze.

Die drei noch übrigen Personen haben, Gott sey Dank, keinen so hervortretenden Charakter als die fünf, welche wir den Lesern bereits vorgeführt haben.

Einer dieser letzten Drei stemmte beide Hände auf den Tisch, an welchem der Schreiber arbeitete, folgte jedem Zuge der Feder und macht die meisten Bemerkungen über die Abfassung; auch sind seine Bemerkungen, wenn auch etwas egoistisch gefärbt, fast alle durch Schlauheit und gesunden Verstand ausgezeichnet. Er ist fünfundvierzig Jahre alt und hat kleine kluge Augen, die tief unter blonden dicken Brauen liegen.

Ein Anderer liegt am Boden; er hat einen Stein gefunden, der zum Wetzen der Schwerter und Dolche dienen kann, und benutzt dies, um mit Aufwand von vielem Speichel und durch vielfaches Reihen auf dem Steine eine neue Spitze an seinen ganz stumpfen Dolch zu machen. Seine Zunge, die er fest zwischen den Zähnen hält und die am Mundwinkel heraussteht, verräth die große Aufmerksamkeit, wir möchten fast sagen das Interesse, das er an seiner Arbeit nimmt. Indeß ist seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich darauf gerichtet; er hört auch auf die Erörterung. Wenn das Schreiben seinen Beifall hat, so begnügt er sich mit dem Kopfe zu nicken; wenn es dagegen gegen seine Erwartung und Berechnung ausfällt, steht er auf, tritt zu dem Schreiber, weiset mit der Spitze seines Dolches auf das Papier und sagt; »mit Verlaub, … Ihr sagt? … « Den Dolch nimmt er nicht eher hinweg, bis er eine vollkommen befriedigende Auskunft erhalten hat, was er durch reichlicheres Ausspucken auf den Stein und eifrigeres Wetzen des Dolches zu erkennen gibt, der denn wirklich auch bald seine ursprüngliche Spitze Form wieder zu erhalten scheint.

Der Letzte — und wir erkennen unser Unrecht, daß wir ihn zu Jenen gerechnet haben, welche sich mit den in Frage stehenden materiellen Interessen beschäftigen sollen — der Letzte lehnt an der Wand der Höhle, läßt die Arme herabhängen, sieht nach dem Himmel oder vielmehr nach der dunklen feuchten Höhlenwölbung hinauf, an welcher das flackernde Licht spielt, und sieht aus wie ein Träumer und Dichter. Was sucht er in diesem Augenblicke? Die Lösung eines Problems gleich dem, welches Christoph Columbus und Galilei gelöst hatten? Die Form einer der Terzinen, wie sie Dante schrieb, oder der Octaven wie sie Tasso sang? Das würde nur der Geist sagen können, der in ihm wacht und so wenig sich um das Materielle kümmert, daß er alles an dem Anzuge des Dichters, was nicht von Eisen, Stahl oder Kupfer ist, in Fetzen zerfallen läßt.

Das sind die wohl oder übel gezeichneten Porträts Sehen wir nun die Namen darunter.

Der welcher die Feder führt, heißt Procop; er ist Normann von Geburt und seiner Bildung nach fast Jurist ; er spickt seine Reden mit Aussprüchen des römischen Rechtes und Aphorismen aus den Capitularien Carl des Großen. Sobald man aber etwas Schriftliches von ihm hat oder ihm gibt, muß man auf einen Prozeß gefaßt seyn; begnügt man sich mit seinem Worte, so findet man es treu wie Gold, nur stimmt die Art es zu halten nicht immer mit der gewöhnlichen Moral überein. Nur ein Beispiel davon und zwar das, welches ihn in das Abenteuerleben getrieben hatte, in welchem wir ihn finden. Ein Herr vom Hofe Franz I. hatte eines Tages ihm und dreien seiner Genossen ein Geschäft angetragen; er wußte, daß der königliche Schatzmeister denselben Abend tausend Goldthaler aus dem Arsenale nach dem Louvre bringen sollte. Das Geschäft bestand nun darin, den Schatzmeister an der Ecke der Straße St. Paul anzuhalten, ihm die tausend Goldthaler abzunehmen und sie so zu theilen, daß fünfhundert der vornehme Herr erhalte, welcher auf dem Königsplatze warten wollte, bis die Sache geschehen seyn würde, und eben als vornehmer Herr die Hälfte der Summe verlangte; die andere Hälfte sollte Procop mit seinen drei Gefährten theilen. Man gab einander gegenseitig das Wort und die Sache geschah, wie verabredet. Als aber der Schatzmeister beraubt, erschlagen und in den Fluß geworfen war, machten die Gefährten Procops den Vorschlag, nach der Notre-Dame zu statt nach dem Königsplatze zu gehen und die tausend Goldthaler zu behalten, statt die Hälfte an den großen Herrn abzugeben. Procop erinnerte sie an ihr Wort.

»Meine Herren,« sagte er ernsthaft, »Ihr vergesset, daß dies ein Bruch des Vertrages, eine Uebervortheilung eines Clienten wäre. Ehrlich währt am längsten. Wir wollen dem Herzoge (der vornehme Herr war ein Herzog) die fünfhundert Goldthaler übergeben, die ihm zukommen, so daß nicht einer fehle aber,« fuhr er fort als er bemerkte, daß der Vorschlag mißbilligendes Gemurmel veranlaßte, »distinguimus; sobald er das Geld eingesteckt und uns für ehrliche Leute anerkannt hat, steht nichts entgegen, daß wir uns am Johannesgottesacker, an dem er vorüber muß, in Hinterhalt legen; es ist dies ein abgelegener und ganz passender Ort. Wir machen es dann mit dem Herzoge, wie wir es mit dem Schatzmeister gemacht haben, und da der Gottesacker gar nicht weit von der Seine entfernt ist, so kann man morgen Beide in den Netzen zu St. Clous finden. Wir bekommen dann ein jeder zweihundertfünfzig Goldthaler, über die wir ohne Gewissensbisse verfügen können, da wir dem guten Herzoge getreulich das Wort gehalten haben.«

Der Vorschlag wurde mit Begeisterung, angenommen und ausgeführt. Nur bemerkten die vier Verbündeten in ihrem Eifer nicht, daß der Herzog noch lebte, als sie ihn in den Fluß warfen; die Kühle in demselben gab ihm aber seine Kraft wieder, er gelangte an das Ufer, begab sich in das Chatelet und gab dem Prevot von Paris, der damals Herr von Estourville hieß, eine so genaue Beschreibung der vier Banditen, daß dieselben es am andern Morgen schon für gerathen hielten Paris zu verlassen, um einem Prozesse zu entgehen, in welchem sie trotz den tiefen Rechtskenntnissen Procops recht wohl dasjenige verlieren konnten, auf welches man immer großen Werth legt, nemlich das Leben.

Unsere vier Helden hatten demnach Paris verlassen und sich nach verschiedenen Gegenden gewendet. Der Norden war unserem Procop zugefallen und deshalb haben wir das Glück , ihn mit der Feder in der Hand in der Höhle zu finden, wo er, nach der Wahl seiner neuen Genossen, die seine Verdienste anerkannten, das wichtige Schriftstück abfaßte, mit dem wir uns sogleich zu beschäftigen haben werden.

Der, welcher dem Schreibenden leuchtet, heißt Heinrich Scharfenstein und ist ein Anhänger Luther’s, welchen das üble Verfahren Carls V. gegen die Hugenotten in die Reihen, des französischen Heeres getrieben hat und zwar sogleich mit seinem Neffen Franz Scharfenstein, welcher in diesem Augenblicke draußen Wache hält. Sie sind zwei Riesen, die, könnte man sagen, Eine Seele bewegt und Ein Geist leitet. Viele behaupten, dieser Eine Geist genüge nicht für zwei so riesige Körper, sie selbst aber sind dieser Meinung nicht und finden Alles so wie es ist gut. In dem gewöhnlichen Leben halten sie es meist unter ihrer Würde, irgend eine Hilfe von Menschen, ein Werkzeug, in Anspruch zu nehmen, um ihren Zweck zu erreichen. Handelt es sich darum, irgend eine Masse zu bewegen, so sinnen sie nicht nach wie unsere neuen Gelehrten, durch welche Mittel Cleopatra ihre Schiffe aus dem Mittelmeere in das rothe Meer brachte oder mit welchen Maschinen Titus die riesigen Blöcke des Flavianischen Circus emporhob, sondern sie packen einfach den zu beseitigenden Gegenstand mit ihren Armen, bringen ihre Eisenfinger unauflöslich in einander, machen gleichzeitig eine Anstrengung mit jener Regelmäßigkeit, die alle ihre Bewegungen auszeichnet, und der Gegenstand kommt dahin, wo sie ihn haben wollen. Ist eine Mauer zu ersteigen oder ein Fenster zu erreichen, so schleppen sie keineswegs, wie es ihre Gefährten thun, eine schwere Leiter, die sie nur im Gehen hindert, wenn das Unternehmen gelingt, und die sie im Stiche lassen müssen, wenn es mißlingt, sondern sie gehen mit leeren Händen an Ort und Stelle; der Eine gleichviel welcher, lehnt sich an die Wand, der Andere steigt auf die Achseln und im Nothfalle auf die über den Kopf gestreckten Hände. Mit Hilfe seiner eigenen Arme erreicht der Zweite so eine Höhe von achtzehn bis zwanzig Fuß, welche fast immer genügt, um über eine Mauer oder in ein Fenster zu gelangen. Auch im Kampfe gilt dieses Associationssystem, sie gehen neben einander in gleichem Schritte, aber der Eine haut und der Andere eignet sich zu ; ist der Eine des Dreinschlagens müde, so gibt er dem Andern das Schwert, die Streitaxt oder das Beil und sagt: »nun Du,« er und sie wechseln die Rollen; der, welcher erst hieb, eignet sich zu und der Andere haut. Uebrigens ist die Art des Zuschlagens bekannt und sehr geschätzt, indeß legt man, wie gesagt, überhaupt mehr Werth auf ihre Faust als auf ihren Geist. Deshalb hat denn auch der Eine den Auftrag erhalten Schildwache zu stehen und der Andere zu leuchten.

Der junge Mann mit dem Schnurrbarte und mit dem Lockenhaare, welcher den Bart streicht und das Haar kämmt, heißt Yvonnet und ist ein Pariser von Geburt, ein Franzose von ganzem Herzen. Seinen bereits erwähnten körperlichen Vorzügen sind noch zierliche Hände und Füße hinzuzufügen. Im Frieden klagt er fortwährend und über Alles; wie den Sybariten in der alten Zeit drückt ihn ein gerunzeltes Rosenblatt; er ist faul, wenn er gehen soll ; er leidet an Schwindel, wenn zu steigen ist, und er hat Kopfschmerzen, wenn er denken soll. Er ist empfindlich und reizbar wie ein junges Mädchen und muß deshalb äußerst schonend behandelt werden. Um sich in das Dunkel zu wagen, das ihm zuwider ist, muß ihn eine starke Leidenschaft außer sich bringen. Am Tage fürchtet er sich vor Mäusen und der Anblick von Spinnen oder Kröten macht ihm übel. Uebrigens muß man ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er immer eine starke Leidenschaft hat, nur kommt er, wenn es in der Nacht ist, erschrocken und zitternd zu der Geliebten und es bedarf so vieler beruhigender Worte, so warmer Liebkosungen und so schmeichelhafter Aufmerksamkeit, wie Hero dem Leander gewährt, wenn er triefend von dem Wasser der Dardanellen in ihren Thurm trat. Freilich, sobald ei- die Trompete hörte, sobald er Pulver roch, sobald er die Fahnen sah, ist Yvonnet nicht mehr derselbe und es geht in ihm eine vollständige Umwandlung vor. Der mädchenhafte Jüngling wird ein rauher Soldat, der um sich haut und sticht, ein wahrer Löwe mit eisernen Klauen und stählernen Zähnen. Er, der sich zögernd bedachte, eine Treppe hinaufzusteigen, um in das Schlafzimmer einer hübschen Frau zu gelangen, klettert auf eine Leiter, klammert sich an einen Strick, hängt sich an einen Faden, um zuerst auf die Mauer zu kommen. Ist der Kampf vorbei, so wäscht er sich mit der grüßten Sorgfalt die Hände und das Gesicht und, wechselt die Wäsche und den Anzug, dann wird er allmälig wieder der zarte Jüngling, den wir in diesem Augenblicke den Schnurrbart streichen, das Haar kämmen und Stäubchen von dem Anzuge blasen sehen.

Der, welcher die Wunde am linken Arme verbindet, heißt Malemort. Er ist ein finsterer, melancholischer Charakter, der nur eine Liebe, eine Leidenschaft, eine Freude kennt: den Krieg, eine unglückliche Leidenschaft, eine schlimm vergoltene Liebe, eine kurze, traurige Freude, denn kaum hat er sich an der Metzelei zu weiden begonnen, als er, wegen des blinden, wüthigen Eifers, mit dem er sich in das Gedräng stürzt, und wegen der wenigen Vorsicht zu seinem Schutze einen fürchterlichen Pikenstich oder einen Schuß bekommt, der ihn zu Boden streckt, wo er kläglich jammert, nicht aus Schmerz in der Wunde, sondern aus Verdruß, daß die Andern ohne ihn bei dem Feste bleiben. Zum Glück heilt bei ihm Fleisch und Knochen schnell. Jetzt zählt er fünfundzwanzig Wunden, drei mehr als Cäsar, und er hofft, wenn der Krieg fortdauert, noch fünfundzwanzig wie jene zu erhalten, welche dieser Laufbahn voll Ruhm und Schmerzen unfehlbar ein Ende machen müssen.

Der Hagere, der in einem Winkel kniet und betet, heißt Lactantius. Er ist ein eifriger Katholik und duldet kaum die Nähe der beiden Scharfenstein, von deren Ketzerei er besudelt zu werden fürchtete. Da er sich gegen seine Brüder in Christus schlagen und so viele derselben als möglich umbringen muß, so legt er sich alle erdenklichen Bußen auf, um jener grausamen Nothwendigkeit das Gleichgewicht zu halten. Das Tuchgewand, das er trägt und zwar, ohne Weste und Hemd auf der Haut, ist mit einem Panzerhemd gefüttert, wenn nicht das Tuch das Futter des Panzerhemdes ist. Im Kampfe trägt er jedenfalls das Panzerhemd nach außen; nach dem Kampfe wendet er sein Gewand um, damit das Panzerhemd nach innen kommt. Uebrigens ist es offenbar ein Gewinn von ihm getödtet zu werden, wenigstens kann der, welcher von den Händen des frommen Mannes stirbt, sicher seyn, daß viel für ihn gebetet wird. In dem letzten Gefechte hat er zwei Spanier und einen Engländer getödtet und da er ihretwegen im Rückstande ist, namentlich wegen der Ketzerei des Engländers, der sich nicht wohl mit dem gewöhnlichen de profundis begnügen kann, betet er, wie wir gesehen haben, eifrig viele Pater und ave und überläßt es seinen Gefährten sich mit den weltlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Hat er seine Rechnung mit dem Himmel geschlossen, so wird er auf die Erde herabsteigen und seine Bemerkungen gegen Procop machen.

Der, welcher beide Hände auf den Tisch stützt und ganz das Gegentheil von Lactantius, mit ausdauernder Aufmerksamkeit jedem Federzuge Procops folgte, heißt Maldent. Er , ist in Noyon geboren, hat eine tolle, verschwenderische Jugend durchgemacht, will in reiferem Alter die verlorene Zeit einholen und für »sein Bestes« sorgen. Er hat eine Menge Abenteuer gehabt, die er in ganz hübscher naiver Weise erzählt, welche aber sofort und gänzlich schwindet, wenn er mit Procop in einen juridischen Streit geräth. Uebrigens ertheilt und empfängt Maldent tüchtig Säbelhiebe, und wenn er auch nicht die Kraft der Brüder Scharfenstein, nicht den Muth Yvonnet’s, nicht den Ungestüm Malemort’s besitzt, ist er doch im Nothfalle ein Genosse, auf den man rechnen kann und der sicherlich keinen Freund im Stiche läßt.

Der Schleifer, welcher den Dolch spitzig zu machen sucht und die Spitze auf dem Fingernagel probirt, heißt Pilletrousse. Er ist ein Vollblutsoldat und diente abwechselnd den Spaniern und den Engländern, aber die Engländer handeln zu viel und die Spanier bezahlen nicht viel. Deshalb entschloß er sich für eigene Rechnung zu arbeiten. Pilletrousse treibt sich auf den Landstraßen umher; namentlich in der Nacht gibt es Räuber aller Nationen auf den Landstraßen: Pilletrousse beraubt die Räuber und schont nur die Franzosen, seine halben Landsleute — er ist ein Provencale; er hat auch ein gutes Herz, wenn sie arm sind, hilft er ihnen; sind sie schwach, so unterstützt er sie; sind sie krank, so pflegt er sie, — trifft er aber einen wirklichen Landsmann, das heißt Einen, der zwischen dem Berge Viso und der Rhone geboren ist, so kann derselbe über Pilletrousse ganz und gar, über Leib und Leben, Blut und Geld verfügen und Pilletrousse wird ihm noch Dank schuldig zu sevn glauben.

Der Neunte und Letzte endlich, der an der Wand lehnt, die Arme hängen läßt und nach der Decke sieht« heißt Fracasso. Er ist, wie wir gesagt haben, ein Träumer und Dichter; weit entfernt, Yvonnet zu gleichen, welchem das Dunkel zuwider ist, liebt er die schönen sternenhellen Nächte, die blumengeschmückten Flußufer und den Strand des Meeres. Da er leider dem französischen Heere folgen muß, wohin es zieht — denn, obgleich Italiener, hat er doch sein Schwert der Sache Heinrichs II. gewidmet — so kann er seiner Neigung zum Umherschweifen nicht folgen, aber gleichviel: für den Dichter wird alles Begeisterung, für den Träumer alles Traum, nur ist den Dichtern und Träumern Zerstreutheit eigen und diese ist in der Laufbahn« die Fracasso gewählt hat, sehr verderblich. So bleibt denn Fracasso oftmals mitten im Schlachtgedränge mit erhobenem Schwerte stehen, um auf eine Trompete zu hören, nach einer vorüberziehenden Wolke zu sehen oder eine schöne Waffenthat in seiner Nähe zu bewundern. Da benutzt der Feind Fracasso gegenüber diese Zerstreutheit, um ihm in aller Bequemlichkeit einen fürchterlichen Hieb zu versetzen, welcher den Träumer weckt. Aber wehe auch diesem Feinde, wenn er trotz der Bequemlichkeit nicht recht gezielt oder getroffen und Fracasso nicht betäubt hat! Fracasso wird Vergeltung üben, nicht um sich für den empfangenen Hieb zu rächen, sondern um den Störer zu züchtigen, der ihn aus dem siebenten Himmel zurückzerrte, in dem er sich auf den bunten Fittigen der Phantasie wiegte.

Nachdem wir so unsere Abenteuerer vorgeführt haben — von denen einige den Lesern der »zwei Dianen« und »Ascanio« nicht ganz unbekannt seyn werden, werden wir erzählen, welcher Zufall sie in der Höhle zusammenbrachte und was sie so bedächtig niederschrieben.

 

III. Der Leser macht weitere Bekanntschaft mit den Helden, die wir ihm vorgestellt haben.

Am Morgen desselben Tages, 5. Mai 1555, hatte eine Gesellschaft von vier Männern — welche zu der Besatzung von Doulens zu gehören schienen — die Stadt verlassen, indem sie sich durch das Thor schlichen, sobald dasselbe nur halb aufgemacht war.

Diese vier Männer, welche in große Mäntel gehüllt waren, die eben so wohl dazu dienen konnten ihre Waffen zu verbergen, als sie gegen die Morgenkühle zu schützen, waren unter jeder möglichen Vorsicht am Ufer des kleinen Flusses hin nach der Quelle desselben hingegangen. Von da hatten sie die Hügelkette erreicht, von der wir bereits mehrmals gesprochen haben, und waren, immer gleich vorsichtig, an dem westlichen Abhange hingegangen. Nach zweistündigem Marsche betten sie endlich den Saum des Waldes von St. Pol-sur-Ternoise erreicht. Hier hatte der Eine, welcher in der Gegend am bekanntesten zu seyn schien, die Leitung der kleinen Schaar übernommen und war ohne langes Zögern an den Eingang der Höhle gelangt, in die wir selbst unsere Leser im Anfange des vorigen Capitels geführt haben.

Hier hatte er den Andern gewinkt einen Augenblick zu warten, mit einiger Besorgniß auf das Gras gesehen, das erst kürzlich niedergetreten zu seyn schien, sich platt auf den Bauch gelegt und war wie eine Schlange in, die Höhle hineingekrochen. Bald hatten seine außen zurückgebliebenen Cameraden seine Stimme gehört, aber diese Stimme klang nicht beunruhigend. Er hatte die Höhle durchsucht und darin gerufen und da er nichts Verdächtiges darin vernommen, so erschien er bald wieder am Eingange, um den Cameraden zu sagen, daß sie ihm folgen könnten.

Sie folgten ihm und befanden sich nach Ueberwindung einiger unbedeutender Schwierigkeiten mitten darin.

»Ah,« sagte der, welcher sie so gut geführt hatte, freudig aufathmend, »tandem ad terminum eamus.«

»Was heißt das?« fragte Einer der drei Andern.

»Das heißt, lieber Maldent, daß mir dem Ziele unserer Wanderung nahe oder vielmehr eben bei ihm sind.«

»Wie war das?« fragte eins Anderer. »Hast Du’s verstanden, Heinrich?«

»Ich habe gar nichts verstanden.«

»Warum wollet Ihr deutlicher es verstehen,« — die beiden Scharfenstein hatten zuletzt gesprochen — »wenn Maldent und ich uns nur verstehen, ist das nicht genug?«

»Unsertwegen!« antworteten die beiden Scharfenstein. »Es mag gehen wie’s will, wenn’s nur gut geht.«

»Also,« sagte Procop, »setzen wir uns, essen wir einen Bissen und trinken wir einen Schluck um die Zeit zu vertreiben; beim Essen und Trinken will ich Euch meinen Plan erklären.

»Ja, ein paar Bissen wollen wir essen und ein paar tüchtige Schluck wollen wir nehmen,« meinte Franz Scharfenstein.

Die Abenteurer sahen sich um und da ihre Augen allmälig sich an das Dunkel gewähnten, das übrigens in der Nähe des Eingangs der Höhle nicht so bedeutend war als in der Tiefe, so erblickten sie drei Steine, die sie aneinander rückten, um traulicher plaudern zu können.

Da ein vierter fehlte, so bot Scharfenstein den seinigen höflich Procop an, der keinen hatte, Procop dankte aber ebenso höflich, legte seinen Mantel an den Boden und streckte sich darauf aus.

Dann nahm man aus den Säcken, welche die beiden Riesen getragen hatten, Brot, kaltes Fleisch und Wein und legte alles in die Mitte des Halbkreises, dessen Bogen die da sitzenden Abenteurer bildeten, Procop aber die Sehne, und dann machte sich ein Jeder mit einem Eifer an das Frühstück, welcher bewies, daß der Morgenspazirgang trefflich auf den Appetit gewirkt hatte.

Etwa zehn Minuten lang hätte man nichts als das Knirschen der Kinnladen, die mit Maschinenregelmäßigkeit das Brot, das Fleisch und selbst die Knochen der Hühner zermalmten, welche man von den benachbarten Landgütern »mitgenommen« hatte.

Maldent fand zuerst das Wort wieder.

»Du sagtest also, mein lieber Procop, daß Du beim Essen uns deinen Plan mittheilen wolltest. Der erste Appetit kännte nun wohl gestillt seyn, fange also mit deiner Mittheilung an.

»Wir essen,« sagte Franz Scharfenstein; »aber hören können wir doch dabei.«

»Die Sucht ist die … ecce res judicanda, wie man vor Gericht sagt.«

»Die Scharfensteins sollen still seyn, man hört kein Wort!« sagte Maldent.

»Ich habe ja kein Sterbenswörtchen gesagt,« entgegnete Franz verlegen.

»Ich, mein Seel, auch nicht,« betheuerte Heinrich.

»Mir war’s, als räsonnirtet Ihr inwendig …« sagte Maldent.

»Das bin ich, mein Seel’, nicht gewesen. Vielleicht raschelt was.«

»Die Sache ist also die,« wiederholte Procop. »Eine Viertelstunde von hier liegt ein hübsches Gütchen.«

»Ein Schloß hattest Du uns versprochen,« fiel Maldent ein.

»Mein Gott, Maldent, wenn Du nur das Sylbenstechen lassen wolltest!« entgegnete Procop. »Meinetwegen als ein hübsches Schlößchen …«

»Mein Seel’,« fiel Heinrich Scharfenstein ein, »mir ist’s einerlei, ob Gütchen oder Schlößchen, wenn nur brav daraus zu holen ist!«

»Das ist einmal vernünftig gesprochen, so gefällst Du mir, Scharfenstein; der Maldent hat immer Einwendungen,« sagte Procop.

»Nur weiter!«

»Also ein Viertelstündchen von hier liegt ein hübsches Landhäuschen, das nur von dem Besitzer, einem Diener und einer Magd bewohnt wird. Im Dorfe freilich wohnt der Pächter mit seinen Leuten.«

»Wie viel sind’s zusammengerechnet?« fragte Heinrich Scharfenstein.

»Etwa Zehn,« antwortete Procop.

»Zehn nur? Ein Dutzend übernehmen wir, Franz und ich, nicht wahr?«

»Ein Dutzend,« bestätigte Franz lakonisch.

»Die Sache ist also —- so,« fuhr Procop fort. »Wir essen hier, trinken, erzählen Geschichten und warten so die Nacht ab.«

»Wenn wir essen und trinken, vergeht schon die Zeit,« sagte Heinrich Scharfenstein.

»Ist’s Nacht,« sprach Procop weiter, »so schleichen wir still fort von hier, wie wir hergekommen sind, bis an den Waldsaum, von da in einem Hohlwege, den ich kenne, bis an die Mauer. An der Mauer steigt Franz auf die Achsel seines Onkels oder der Onkel auf die Achseln des Neffen, das bleibt sich gleich, der Scharfenstein aber, der auf den Achseln des Andern steht« klettert über die, Mauer und macht uns die Thür auf. Ist die Thür auf — verstehst Du, Maldent? — ist die Thür auf — Ihr begreift mich doch alle? — ist also die Thür auf, so — gehen wir hinein.«

»Hoffentlich nicht ohne uns,« sagte etwa zwei Schritte hinter den Abenteurern eine Stimme in so entschiedenem Tone, daß nicht blos Procop, nicht blos Maldent erschrak, sondern selbst die beiden deutschen Riesen.

»Verrath!« rief Procop, indem er aufsprang und einen Schritt zurücktrat.

»Verrath!« rief Maldent, indem er durch das Dunkel zu blicken suchte, aber auf seinem Platze blieb.

»Verflucht!« riefen die beiden Scharfenstein, indem sie die Degen zogen und einen Schritt vortraten.

»Kampf wollt Ihr?« sprach die Stimme wieder. »Ihr sollt ihn haben! Drauf, Lactantius! Drauf, Fracasso! Drauf, Malemort!«

Die drei Aufgerufenen antworteten in der Tiefe der Höhle kampfbereit.

»Einen Augenblick, Pilletrousse!« sagte Procop, der nun die Stimme erkannte. »Wir sind ja keine Türken und Heiden, daß wir einander im Finstern die Hälse brechen sollten, ehe wir versuchten uns unter einander zu verständigen.«

»Erst Licht auf beiden Seiten und sehen wir einander ins Auge, damit wir wissen, wen wir vor uns haben.« Können wir uns vergleichen, gut; können wir’s nicht, dann drauf!«

»Erst drauf!« rief eine schauerliche Stimme aus dem Dunkel hervor wie aus der Hölle herauf.

»Ruhig, Malemort!« sagte Pilletrousse; »Procop scheint mir einen ganz annehmlichen Vorschlag gemacht zu haben. Was meinst Du, Lactantius und Du, Fracasso?«

»Wenn der Vorschlag einem unserer Brüder das Leben retten kann, so nehme ich ihn an,« antwortete Lactantius.

»Es wäre aber doch poetisch gewesen, in einer Höhle zu kämpfen, die dann gleich das Grab der Erschlagenen geblieben, da man aber die materiellen Interessen der Poesie nicht aufopfern soll,« fuhr Fracasso schwermüthig fort, »so trete ich der Meinung Pilletrousse’s und Lactantius bei.«

»Und ich will mich schlagen!« schrie Malemort.

»Verbinde dann deinen Arm, und laß uns in Ruhe,« sagte Pilletrousse.

»Wir sind Drei gegen Dich, und Procop, der’s versteht, wird Dir sagen, daß Drei gegen Einen immer Recht haben.«

Malemort seufzte laut bedauernd, daß ihm eine so schöne Gelegenheit entging eine neue Wunde zu erhalten, aber er gab nach.

Unterdeß hatten Lactantius aus der einen und Maldent aus der andern Seite Feuer angeschlagen und da beide sich Parteien sich für den Fall, daß sie Licht brauchen würden, in Voraus mit Kienfackeln versehen hatten, so leuchteten bald zwei derselben und ließen ihr grelles Licht auf die Personen in der Höhle fallen.

Wir kennen bereits die Höhle und die Personen« die darin waren; nur die gegenseitige Stellung der Letzteren haben wir zu beschreiben.

Am Ende der Höhle befanden sich Pilletrousse, Malemort, Lactantius und Fracasso, mehr nach dem Eingange zu die beiden Scharfenstein, Maldent und Procop.

Pilletrousse stand von der hintern Gruppe am weitesten vor; hinter ihm kaute Malemort vor Wuth an den Nägeln, neben ihm stand Lactantius mit der Fackel und suchte seine kampflustigen Cameraden zu beruhigen; Fracasso kniete und befestigte etwas an seiner Fußbekleidung.

Auf der entgegengesetzten Seite bildeten, wie erwähnt, die beiden Scharfenstein die Avantgarde, einen Schritt hinter ihnen stand Maldent und hinter diesem Procop.

Die beiden Fackeln beleuchteten die ganze runde Höhle, nur eine Vertiefung in der Nähe des Einganges, in welchem ein Haufen dürren Farnkrautes lag, blieb im Halbschatten.

Das Ganze sah wild und schauerlich genug aus.

Die Abenteurer kannten einander bereits meist und hatten sich gegenseitig auf dem Schlachtfelde thätig gegen den gemeinschaftlichen Feind gesehen.

Procop trat setzt einen Schritt vor, aber nicht über die beiden Scharfenstein hinaus.

»Meine Herren,« sagte er, »wir hatten gegenseitig den Wunsch einander zu sehen und nun sehen wir einander, das ist schon etwas. Wir sind Vier gegen Vier, wir auf unserer Seite haben aber die Beiden da (und er zeigte auf die Scharfenstein), was mich fast berechtiget zu sagen, wir sind Acht gegen Vier.

Auf diese unkluge Prahlerei flogen nicht blos trotzige Weine über die Lippen Pilletrousse’s, Malemort’s, Lactantius und Fracasso’s, sondern auch deren Schwerter aus den Scheiden.

Procop bemerkte, daß er gegen seine gewöhnliche Klugheit gesündigt hatte und sich auf falschem Wege befinde. Er versuchte also umzukehren.

»Meine Herren,« sagte er, »ich behaupte damit nicht, daß uns der Sieg nun auch gewiß wäre, da die vier Gegner Pilletrousse, Malemort, Lactantius und Fracasso heißen.«

Dieser Nachsatz schien die Gemüther wieder etwas zu beruhigen, nur Malemort brummte noch.

»Zur Sache!« rief Pilletrousse.

»Ja,« antwortete Procop, »ad eventum festina. Ich sagte also, daß wir den innern zufälligen und ungewissen Eingang eines Kampfes bei Seite lassen und uns zu verständigen suchen müßten. Es schwebt gewissermaßen ein Prozeß zwischen uns, jacens sub judice lis est;Dixi