Zu Hause

Inhaltsverzeichnis

In dem holsteinischen Städtchen Pinneberg, das damals noch ein Flecken war, stand vor ungefähr hundert Jahren am Ufer der Pinnau das Häuschen des alten Schneidermeisters Kroll. Ein Gemüsegarten reichte vom Hof bis zum Wasser herab, und mehrere baufällige Scheunen beherbergten unter ihren moosbewachsenen Ziegeldächern allerlei Tiere, die auf dem Lande die meisten Leute selbst halten und schlachten: Schweine, Hühner und Tauben; außerdem aber auch noch eine Kuh und zwei Ziegen. Daneben gab es einen Holzstall, eine Geschirrkammer und einen kleinen ausgemauerten Raum, den etwa zehn bis zwölf Kaninchen bewohnten. Sie gehörten Robert, dem fünfzehnjährigen Sohn des Meisters, der als Oberaufseher über alle Bewohner des Hofes von seinem Vater angestellt worden war, obgleich er dies Amt nicht immer zur Zufriedenheit des Alten verwaltete. Besonders an Sommerabenden brüllte, grunzte und piepste es in den Ställen jämmerlich durcheinander, bis der Meister mit der Brille auf der Nase herauskam und all die leeren Futtertröge sah. »Wo steckt nur wieder der Junge? Auf und davon, sobald die Feierabendglocke geschlagen hat, anstatt sich noch in Haus und Hof nützlich zu machen, noch einen Groschen extra zu verdienen oder wenigstens ein gutes Buch zu lesen. Der schwimmt irgendwo auf der Aue oder auf dem Mühlteich, und wenn es mir nicht gelingt, ihn zahm zu machen, so wird er ein Vagabund, ein Taugenichts.«

Und kopfschüttelnd versorgte der Alte die Tiere, kopfschüttelnd nähte er wieder seine Flicken auf die schadhaften Kleidungsstücke der Ortsbewohner und überlegte zum hundertsten Male, womit er seinen einzigen Sohn zur Vernunft bringen sollte. Robert war ein so kluger Junge, konnte alles spielend vollenden, was andern die größte Mühe machte, aber er hatte 'seinen eigenen Kopf', wie der Vater seufzend dachte, und er verachtete heimlich das Schneiderhandwerk, zu dem er doch erzogen werden sollte. Ja, er verachtete es, er warf Schere und Bügeleisen in den Winkel, sobald es irgend möglich war, und lief lieber mit einem Loch im Ärmel herum, als es sich fein säuberlich zuzunähen.

Meister Kroll ließ die Hand mit der Nähnadel in den Schoß sinken und schaute vom Tisch herab ganz trübsinnig auf die Straße hinaus. »Könnte es so schön haben«, murmelte er vor sich hin, »könnte so warm sitzen und will durchaus in die weite Welt laufen, um sich erst einmal mürbe machen zu lassen und auszuprobieren, wie fremder Leute Brot schmeckt. Soll aber nichts daraus werden, so wahr ich Hans Fürchtegott Kroll heiße. Den einen Jungen besitze ich nur, das Häuschen ist schuldenfreies Eigentum und die Kundschaft nährt ihren Mann, also was will der Robert weiter? Sag, Mutter, was meinst du dazu?«

Die alte Frau fuhr mit der Schürze über die Augen. »Es nützt ja nichts, Vater, du kannst ihn nur halten, bis er ausgelernt hat, dann geht er zur See.«

Der Alte nickte vor sich hin. »Hat dir's wohl schon alles anvertraut, nicht wahr?« brummte er, »aber daraus wird nichts.«

Die Mutter schwieg, um ihren Mann nicht noch mehr aufzubringen und dadurch dem Jungen zu schaden. Sie machte Robert vielmehr, wenn er spät nach Hause kam, allerlei heimliche Zeichen, daß er nur ganz still ins Bett schlüpfen und sich gar nichts merken lassen solle.

»Der Junge muß sich doch am Abend ein bißchen austoben«, dachte sie. »Er ist ja noch ein Kind, das vergißt der Alte.«

Sie nahm sich auch, wenn es irgend möglich war, der Tiere an und verschwieg es dem Vater, wenn Robert heimlich fortgelaufen war. »Er mag nun einmal nicht sitzen«, überredete sie sich, »und den einzigen Jungen habe ich nur. Warum soll er immer arbeiten, als wären wir arme Leute, die das Brot trocken essen müssen? Laß ihn nur laufen.«

Die Folgen dieser falschen Erziehung zeigten sich aber bald. Der Vater schlug den Jungen mehr als er verdiente, die Mutter dagegen half ihm immer wieder, sich durch kleine Lügen diesen Bestrafungen zu entziehen, und Robert selbst wurde immer trotziger und ungehorsamer.

»Ich will kein Schneider werden«, erklärte er eines Tages dem Alten rund heraus, »ich habe dazu keine Lust. Das Seemannshandwerk ist auch ein ehrliches Gewerbe, nicht schlechter als sonst eins. Ich möchte mehr von der Welt sehen als nur das kleine Pinneberg.«

Der Meister schüttelte den Kopf. »Ist alles dummes Zeug«, antwortete er. »Sollst in die Kundschaft hereinwachsen, dies Häuschen übernehmen und eines Tages hier begraben werden, wie schon mein Großvater selig und mein Vater hier begraben worden sind. Sie waren Schneider vom Vater auf den Sohn, und du wirst es auch, verstanden?«

Robert weinte bitterlich. »Ich sehe es aber gar nicht ein!« schluchzte er.

»Ich desto besser. 'Bleibe im Lande und nähre dich redlich!' heißt der alte Spruch. Wer's nicht getan hat, der mußte es bitter zu seinem Schaden erfahren.«

Robert hob plötzlich den Kopf. »Wenn aber jeder in seinem Lande geblieben wäre, dann sähe doch die Welt ganz anders aus!« rief er. »Christoph Kolumbus und –«

»Ach laß doch die greulichen Heiden. Es hilft dir alles nichts, die Krolls sind von jeher Schneider gewesen, und du wirst auch einer. Da, diese Naht nähst du mir mit einem sauberen Steppstich. Finde ich einen Fehler daran, so schmeckst du den Stock, und nun den Mund gehalten, wenn ich bitten darf. Lehrjungen plappern nicht während der Arbeitsstunden.«

Robert mußte sich fügen, aber das Verlangen nach Erlösung aus diesen Verhältnissen wurde immer stärker. Hier bleiben fürs ganze Leben, nie etwas anderes sehen als den engen Hof und die enge Straße, das war schrecklich. Der Vater erlaubte gar kein Vergnügen und keine Erholung, er durfte nicht ein einziges Mal mit der Eisenbahn nach Hamburg fahren oder mit anderen Jungen eine Wanderung machen. »Das alles kostet Geld und Zeit«, war die Antwort, die er seinem Sohn gab. »Was willst du in Hamburg? Da stehen Häuser und laufen Menschen wie hier. Das Geld wäre ganz umsonst ausgegeben.«

Robert senkte mutlos den Kopf. »Und die Schiffe und die Elbe?« fragte er kleinlaut. »Das ist doch sehenswert.«

Der Alte wich und wankte nicht. »War mir allezeit ein Greuel, das Matrosenleben«, antwortete er. »Die Kerle fluchen und trinken und sind Verschwender; hat so einer seine Heuer empfangen, dann geht es darauf los, als könnte die Geschichte gar kein Ende nehmen. In die Sparkasse wandert kein Pfennig.«

So endete jeder Versuch, etwas mehr Freiheit zu erringen, und Robert wurde endlich ganz stumm und sprach nicht mehr mit seinem Vater.

Um diese Zeit machte er eine Bekanntschaft, die für seine ganze Zukunft von Bedeutung werden sollte. Der Seilermeister, dessen Bahn an den Krollschen Garten stieß, hatte einen neuen Gesellen genommen, und Georg, so hieß er, suchte sehr bald die Freundschaft des Schneiderlehrlings.

Nur wenige Jahre älter als Robert, hatte er von der Welt schon ein gutes Stück gesehen, war als Schiffsjunge in fremden Ländern gewesen und kannte das Seemannsleben genau. Kein Wunder also, daß sich Robert mit ihm befreundete.

Zuerst sprachen die beiden nur über den Zaun hinweg, dann aber schlüpfte Georg hindurch, und auf dem Heuboden entspann sich die lebhafteste Unterhaltung. Robert hörte auf das, was ihm der Seiler erzählte, wie auf eine Verkündigung. Endlich hatte er gefunden, was er suchte, endlich durfte er alle diese Dinge kennenlernen, nach denen er sich sehnte. Selbst an die Bootsfahrten auf dem Mühlteich dachte er nicht mehr, sondern verbrachte jede freie Stunde neben dem neuen Kameraden auf dem Heuboden oder im Holzstall. Georg mußte fortwährend erzählen.

Der schlaue Bursche wußte sehr bald seinen Vorteil wahrzunehmen. »Willst du eine Zigarre?« fragte er einmal, »oder ist dir eine Pfeife lieber?«

Robert errötete. »Ich – ich habe noch nie geraucht!« stammelte er.

»Was? Nicht geraucht?« lachte der andere. »Darfst wohl nicht, kleiner Junge, was? Gibt dir der Alte noch Schläge?«

Robert sah zur Seite. »Oh nein. Und das Rauchen verbietet der Vater auch nicht, ich – habe schon manche Zigarre verdampft, aber –«

»Hah, Hah, Hah, und vor zwei Minuten sagtest du das Gegenteil, Bürschchen. Dich haben sie aber schön in der Zucht.«

»Gib her!« rief Robert, gereizt durch den Spott des anderen. »Gib her! Auch wenn es mein Vater verbietet, würde ich mich nicht daran kehren.«

»Das meine ich aber auch. Wie alt bist du eigentlich, Junge?«

»Bald sechzehn«, entgegnete Robert. »Du brauchst mich übrigens gar nicht 'Junge' zu nennen, Georg. Ich bin fast so alt, wie du selbst.«

Der Seiler lächelte überlegen. »Wirst ja noch wie ein kleines Kind behandelt, mein Bester«, sagte er, »daher kommt es wohl. Ich glaube, du mußt um Erlaubnis fragen, wenn du niesen willst. Na, da war ich ein anderer Kerl!«

»So?« fragte Robert, mannhaft gegen den Tabakrauch kämpfend, »und wie fingst du die Geschichte an? Warst du da schon Schiffsjunge?«

»Natürlich. Ach, das ist ein herrliches Leben, sage ich dir. Es geht nichts über die See. Sollte ich so wie du auf dem Tisch sitzen und immer mit der Nadel in die Lappen hineinbohren, das wäre mir was rechtes. Weiberarbeit und weiter nichts, – ich danke!«

Robert hatte große Lust zu weinen. Die Beschäftigung, die ihm von seinem Vater aufgedrängt wurde, erschien ihm in diesem Augenblick wie eine Art Schande.

»Ja, du hast gut reden«, seufzte er. »Aber was soll ich machen? Mein Alter läßt mich nicht los, sooft ich ihn auch bitte.«

Er verbiß das Unwohlsein, das ihm die Zigarre verursachte. Um keinen Preis hätte Robert dem anderen eingestanden, daß ihn dies männliche Vergnügen jämmerlich über den Haufen zu werfen drohte. »Warum verspottest du mich immer?« fragte er. »Erzähle mir lieber von deinen Reisen.«

Der Seiler gähnte. »Die Kehle wird einem trocken dabei«, antwortete er. »Hat dein Alter nirgends einen Schluck hinter seinen Flicken und Lappen verborgen?«

»Branntwein?« fragte Robert, »den trinkt er nie.«

»Welch ein Muster von einem Mann.«

Robert erhob sich, etwas schwankend, aus dem Heu. »Bier haben wir«, sagte er. »Ich will dir eine Flasche holen.«

»Du!« rief ihm Georg nach, »bring auch einen Bissen Brot mit und ein Stück Speck oder dergleichen. Deine Alte hat ja natürlich die Speisekammer voll.«

Robert winkte ihm. »Pst, – laß es doch niemand hören.«

Dann aber schlich er fort und gelangte durch eine zerbrochene Scheibe in den kleinen Vorratskeller. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, als er eine Bierflasche und ein tüchtiges Stück Schinken an sich nahm. Das war gestohlen, sein Gewissen sagte es ihm laut genug.

Jeden Augenblick glaubte er den schlürfenden Schritt des Vaters zu hören. Und nannte nicht dort jemand seinen Namen – »Robert!«

Er horchte; aber alles blieb still. Leise wie ein Dieb kroch Robert wieder durch das Fenster in den Hof hinauf und brachte seinem Freund das Verlangte. »Da, nun iß«, sagte er, »und dann erzähle. Warum bist du überhaupt für immer an Land gegangen?«

Der Seiler setzte die Flasche erst wieder auf den Fußboden, als sich kein Tropfen mehr darin befand. »Warum?« wiederholte er. »Hem, ich habe einmal das Bein gebrochen, – bin aus dem Mast gefallen und kann daher nicht mehr klettern.«

»Aus dem Mast gefallen?« wiederholte Robert. »Binden sich denn die Seeleute nicht fest da oben?«

Der Seiler wollte sich ausschütten vor Lachen. »Festbinden!« rief er, »das ist köstlich. Nein, du, sie machen sich's noch bequemer, will ich dir sagen. Die Mutter muß mit an Bord und an Deck die Schürze ausbreiten, dahinein fällt der Junge, wenn er das Gleichgewicht verliert.«

Robert errötete. Das und so vieles andere waren Anspielungen auf seine abhängige Lage und auf den strengen Gehorsam, den der Vater von ihm forderte.

»Du bist glücklich«, sagte er, »kannst tun und lassen, was du willst. Aber ich muß Schneider werden, weil mein Vater durchaus will. Wenn er nur erfährt, daß ich einmal auf dem Mühlenteich gefahren bin, so gibt es schon –«

»Ohrfeigen!« ergänzte gleichmütig der andere. »Kann ich mir genau denken. Aber warum fährst du nicht in der Nacht? Eben jetzt haben wir die günstigste Jahreszeit dazu. Wahrhaftig, ich möchte einmal an des Müllers Segelboot meine Kunst wieder üben.«

Roberts Herz klopfte. Wie mutig war Georg, wie leicht schien das alles, wenn man ihn so sprechen hörte. An das Segelboot des reichen Müllers hatte er selbst noch nicht einmal zu denken gewagt. Das lag ja mit einer Kette und einem Schloß fest an dem zierlichen, über das Wasser hinausgebauten Gartenhaus, es war das Eigentum fremder Leute, wie konnte man also davon sprechen, als dürfte es der erste beste zu seinem Vergnügen besteigen?

»Ja«, sagte er ganz verwirrt, »aber das ist nicht erlaubt!«

»Ach, dummes Zeug. Was schadet es den Planken, wenn wir einmal darauf herumtrampeln? Du glaubst gar nicht, wie angenehm es ist, bei stillem Wetter im Boot zu liegen und sich von den Wellen schaukeln zu lassen.«

»Das weiß ich!« rief mit glänzenden Augen der Junge. »Oh, es ist ein Vergnügen wie kein anderes. Den Kahn des Holzhändlers darf ich benutzen, weil ich den Leuten manchmal einen Gefallen tue, und dann fahre ich oft nach Feierabend quer über den Teich. Der Vater darf es aber nicht wissen.«

Georg kaute noch an dem mitgebrachten Schinken. »Der platte, schwerfällige Kahn«, sagte er verächtlich, »der Klotz, an dem man sich die Arme lahm rudern muß. Nein, mein Junge, was erst große Anstrengung kostet, das ist kein Vergnügen mehr. Ein Segelboot fliegt wie eine Möwe über das Wasser, aber dein Kahn ist ja wie ein Schubkarren. Versuch erst einmal den Unterschied.«

Robert war bereits halb besiegt. »Meinst du, daß es ginge?« fragte er. »Ich glaube, das Boot ist angeschlossen.«

»Nun, dafür hat man krumme Nägel. Wir wollen ja nicht stehlen.«

»Wie komme ich nur aus dem Hause, daß es die Eltern nicht merken?« murmelte Robert. »Den Schlüssel darf ich auf keinen Fall nehmen.«

»Ist ja auch gar nicht nötig. Die Hoftür hat doch einen Riegel, und den zieht man leise zurück, das ist das Ganze. Die Alten schnarchen ruhig weiter.«

»Ja«, rief Robert, »aber dann stände das Haus offen!«

»Nun, und was schadet das weiter? Schätze werden in dem alten Kasten nicht verborgen sein, denke ich.«

Robert lächelte. »Schätze wohl nicht, aber ein paar hundert Taler hat der Alte doch im Schrank. Er bringt es immer erst zur Sparkasse, wenn das Tausend voll ist, so alle zwei oder drei Jahre.«

Georg hatte aufmerksam zugehört. »Sieh an,« rief er, »also ein Krösus im kleinen. Ja, die Schneider sind kluge Leute und sparsam dazu.«

Robert seufzte. »Die Schneider sind doch überall verachtet«, sagte er. »Ich mag keiner werden, und wenn es auch noch so viel Geld abwirft.«

Georg nickte. »Wäre auch schade um einen so frischen, kräftigen Jungen wie du bist«, meinte er. »Gott, wenn ich mir dich als Leichtmatrosen vorstelle, – du könntest es in ein paar Jahren zum Kapitän bringen. Und ein Kapitän ist ein König im kleinen.«

Robert fuhr mit der Rückseite der Hand über die Augen. »Es hilft mir ja doch nichts«, stammelte er. »Ich darf nicht fort.«

»Ach, Unsinn. Komm nur erst einmal mit mir auf den Mühlenteich hinaus, dann wird dir der Mut schon wachsen. Wie wäre es, wenn wir morgen die Geschichte versuchten? Du legst dich um neun Uhr in deine Koje und schnarchst wie ein Bär, bis du merkst, daß die Alten von ihren Sparkassenbüchern träumen, dann schlüpfst du zur Hoftür hinaus.«

Robert fühlte, wie ihn die Versuchung ergriff. Was wäre es denn auch weiter? Die Söhne des Müllers durften nach getaner Arbeit im Boot fahren, soviel sie wollten, er hatte es oft gesehen und auch dem Vater vorgehalten; dann schüttelte der Alte ärgerlich den Kopf. »Der Müller ist ein reicher Mann«, antwortete er, »da kann er es schon treiben, wie es ihm gefällt. Du aber bist armer Leute Kind und mußt Pfennig auf Pfennig legen. Ich hab's auch so gemacht.«

Es war dem Jungen, als höre er die warnende Stimme des alten Vaters, aber doch konnte er nicht widerstehen. »Ich komme, Georg«, flüsterte er, unwillkürlich leise sprechend, als fürchte er sich vor dem Verbotenen. »Wo treffen wir uns?«

»Hem, ich denke am Mühlenteich – und bring mir von dem Schinken ein tüchtiges Stück mit. Deine würdige Frau Mutter hat dies verstorbene Borstenvieh außerordentlich schmackhaft zubereitet.«

Robert versprach es, und dann trennten sich die beiden Genossen. Während der Seiler zufrieden lächelnd seine Dachkammer aufsuchte, stahl sich Robert, an allen Gliedern wie gelähmt, mit brennender Zunge und schwerem Kopf zunächst wieder in den Vorratskeller hinunter, um dort die leere Flasche an ihren Platz zu stellen, und dann ging er schleunigst zu Bett. So unwohl hatte er sich noch nie im Leben gefühlt.

Am folgenden Morgen sah er ganz blaß aus. Er mochte kaum essen, aber er arbeitete den Tag über mit besonderem Fleiß, um nur keinen Verdacht auf sich zu lenken, und ging früh wieder zu Bett.

O wie lang wurde dieser Abend! Der Vater hatte noch spät eine fertige Arbeit ausgetragen, und die Mutter knetete das Brot, wer weiß wie lange. Es schien dem ungeduldigen Robert, als sei ein Jahr vergangen, seit er sich in die Federn legte. Zehnmal war er im Begriff wieder aufzustehen, aber immer hinderte ihn die Furcht, sich dadurch verdächtig zu machen. Sein böses Gewissen ließ ihn vor jedem Geräusch erzittern.

Aber alles nimmt ein Ende, auch der längste Abend. Endlich war der Teig fertig und der Vater wieder nach Hause gekommen, endlich das Licht ausgelöscht und die Eltern zur Ruhe gegangen. Robert konnte geräuschlos aus dem Bett und in die Kleider schlüpfen.

Seine Stiefel behielt er in der Hand. Nur noch rasch wieder in den Keller – heute schon viel gleichgültiger als gestern, – dann zog er den Riegel von der Hoftür. Noch einmal sah er sich ängstlich um. Sollte er wirklich die ahnungslosen Eltern hintergehen, ihr Hab und Gut preisgeben, ihr Verbot übertreten? – Noch auf der Schwelle zögerte er. »Kein guter Sohn tut das!« flüsterte die Stimme des Gewissens.

Ja, aber wie wird Georg lachen, wie wird er mich morgen verspotten, dachte er. Ich höre es schon, daß er sich lustig macht. »Bist kein Kerl, du kleiner Schneider, hast keinen Mut. Geh und laß dir von den Alten die Lehren der Weisheit und Tugend vorpredigen, bis du ganz dumm geworden bist. Die Schafsköpfe leben am längsten.«

Er murmelte eine Entschuldigung, als stände Georg mit seinem mageren, blassen Gesicht und dem höhnischen Blick im Mondlicht unmittelbar vor ihm. Nein, so feige und unzuverlässig konnte er sich nicht zeigen. Hingehen mußte er.

Mit drei Sätzen war die Hecke des Nachbargartens überklettert, und nun ging's in eiligem Lauf weiter. Der schlurfende Schritt des einzigen alten Nachtwächters, sein Stolpern über das schlechte, unebene Pflaster waren schon von weitem zu hören, – er konnte einer Begegnung leicht ausweichen. In weniger als einer Viertelstunde hatte er die Gruppe hoher alter Linden erreicht, in deren Schatten sich der Eingang zum Garten des Müllers befand.

Georg trat ihm plötzlich von der Seite entgegen, so daß er erschrak.

»Ach, – du bist's«, flüsterte er. »Ich dachte schon der Müller –«

»Lag hier auf der Lauer, um uns zu fangen, nicht wahr?« lachte der Seiler. »Na, komm nur; im Garten ist niemand, ich habe es schon ausgekundschaftet.«

Die beiden durchschritten den langen Kiesgang und kamen an ein kleines chinesisches Gartenhaus, dessen Tür verschlossen war. Robert wandte sich bedauernd zu seinem Gefährten. »Was nun?« fragte er.

Der Seiler suchte in allen Taschen. »Wirst gleich sehen«, sagte er. »So mußt du die Sache anfassen! – Das ist keine Hexerei.«

Er hatte ohne große Mühe das Schloß geöffnet, noch ehe Robert eine Einwendung machen konnte. Mit pochendem Herzen folgte er ihm in den kleinen offenen Raum, an dessen Treppe das Segelboot auf dem Wasser lag. Heller Mondschein überflutete den breiten Teich und seine hübschen, von grünen Wiesen umrahmten Ufer; weiße Schwäne zogen langsam vorüber.

Georg wandte sich blinzelnd zu seinem jüngeren Gefährten. »Wie angenehm ist es doch, ein reicher Mann zu sein, nicht wahr, Robert?« fragte er. »Aber der Einfältige, der Schüchterne wird es nie im Leben. Sieh, wie oft hast du schon im stillen die Söhne des Müllers um ihr hübsches Segelboot beneidet, aber hingehen und es dir nehmen, das wagtest du nicht. Jetzt fahren wir und kehren uns nicht daran, wer das Ding bezahlt hat, – so macht es der Kluge überall.«

»Aha, ein hübsches Fahrzeug«, fuhr er fort, »verteufelt nett. Alles so fein gemalt und sauber gehalten, man sollte meinen, daß es richtige Teerjacken wären, die es unter den Händen haben. Wahrhaftig, auch ein Flaschenkorb! Prosit, Müller!«

Er trank ein paar Schluck von dem Branntwein, den er fand, und öffnete dann das Schloß des kleinen Bootes, alles mit einer Sicherheit, als sei er der rechtmäßige Eigentümer dieser Dinge. Robert folgte ihm, der Seiler setzte das Segel, und dann stießen sie ab. Er schien so recht in seinem Element zu sein; das Vergnügen lachte ihn aus den Augen.

»Paß auf, Landratte«, rief er, »so bedient man ein Boot.«

Robert horchte fast andächtig. Sein Herz hüpfte vor Freude. Unter sich den blauen Spiegel des Teiches und über sich das weiße, bauschende Segel, – er glaubte, daß es auf der Welt kein größeres Vergnügen geben könne. Vergessen war der Ungehorsam, das Unrecht, fremder Leute Schlösser gewaltsam geöffnet zu haben, und die Gefahr einer etwaigen Entdeckung. Robert empfand nur die Seligkeit, in einem wirklichen Schiff, wie er es nannte, fahren zu dürfen. Langsam glitt das Boot über die Wellen dahin.

»Du bist ja ganz stumm geworden«, lachte der Seiler. »Hast am Ende noch nie die Planken eines Schiffes betreten?«

»Ach«, seufzte Robert, »nie eins gesehen sogar.«

»Unmöglich! Du bist doch gewiß oft in Hamburg gewesen?«

»Noch nie. Vater gibt keinen Pfennig unnötig aus.«

Georg zog verächtlich die Schultern empor. »Dein Alter ist ein Narr«, sagte er, »aber du bist ein dreifacher. Paß nur auf, die Gelegenheit zu einem Abstecher nach Hamburg soll sehr bald kommen. – Hast du etwas zu leben mitgebracht?«

Robert reichte dem Freund das Bier und den Schinken. »Sind alle Boote so eingerichtet wie dieses?« fragte er. »Ach, das Segeln ist doch ganz etwas anderes als das Rudern.«

»Habe ich dir's nicht gleich gesagt, Däumling? Aber das Ei will immer klüger sein als die Henne. Was wirst du erst für Augen machen, wenn wir einmal auf einem Dampfer sind.«

»Wie sind die eingerichtet?« fragte der Junge wißbegierig.

Georg lachte laut. »Wie tief ist das Meer bei Grönland? Ebensogut könnte ich das auf Stecknadelbreite angeben wie ohne weiteres beantworten, wie Dampfschiffe gebaut sind. Sehr verschieden, das ist erst einmal alles, was du zu wissen brauchst.«

Der Seiler zog aus der Brusttasche seiner Jacke eine kleine Flasche hervor und tat einen tüchtigen Zug. Dann reichte er Robert den Rest. »Trink aus, mein Junge«, sagte er.

Der hielt verlegen das Fläschchen in der Hand. »Branntwein?« fragte er.

»Natürlich, es ist kein Gift. Hast wohl noch nie ein paar Tropfen über die Zunge laufen lassen?«

Robert umging die Antwort, indem er das Getränk eilends verschluckte. Es schmeckte ihm schlecht, aber er fühlte sehr bald eine angenehme Wirkung, so etwas wie ein Wachsen und Dehnen aller Kräfte, eine Unternehmungslust, wie er sie nie vorher in dem Maße gekannt hatte.

»Ich möchte, daß das Amerika wäre oder Afrika«, sagte er, auf die bewaldeten Ufer deutend, »und daß dort Wilde hausten, die wir bekämpfen oder überlisten würden. Hast du wohl schon wirkliche Schwarze gesehen, Georg?«

»Gesehen?« lachte der Seiler »Das ist nicht schlecht, wahrhaftig. Ich bin über ein Jahr lang als Heizer auf den Red-River-Dampfern gefahren, mit lauter Negern als Schiffsmannschaft.«

Roberts Augen glänzten. »Habt ihr da Abenteuer erlebt, du?«

»Mit den Schwarzen? Das sind urgemütliche Kerle, sage ich dir. Wenn ihre Arbeit getan ist, so balgen sie sich wie die Kinder und stoßen mit den eisenharten Köpfen zum Spaß wie die Ziegenböcke gegeneinander. Einmal, als bei einer großen Überschwemmung alle Holzlager weggespült waren und auch in den durchnäßten Wäldern kein brauchbares Feuerungsmaterial aufgetrieben werden konnte, nahmen wir zum Ersatz die Staketpfähle der Farmen, und unsere Neger mußten, sooft der Vorrat zur Neige ging, an Land, um wieder Nachschub herbeizuschaffen. Das war überaus komisch.

Stell dir vor, daß unser harmloses kleines Gehölz der Urwald wäre, mit breiten, himmelhohen Stämmen, von Unterholz und Schlingpflanzen in eine grüne, unentwirrbare Wildnis verwandelt und von unzähligen Tieren bevölkert. Affen und Papageien in den Wipfeln, ein brauner Bär mit seiner Familie am Ufer oder ein schwerfälliger Alligator, der, so schnell es ihm seine kurzen, unbehilflichen Beine erlauben, die Flucht ergreift; dazu alle Arten von kleineren Tieren, alle möglichen Stimmen, alle erdenklichen Geräusche. Jeden Abend entzündeten wir riesige Feuer, um das Gesindel aus unserer Nähe zu vertreiben, und dann mußten die Neger in das Wasser hinein, an einzelnen Stellen sogar bis unter die Arme. Sie jauchzten dabei vor Vergnügen und trugen auf ihren Schultern größere Lasten, als sie ein Weißer auf ebener Erde fortbringen könnte.«

Robert legte den Arm über die Augen. Er weinte.

»Erzähle mir lieber gar nichts mehr, Georg«, schluchzte er. »Solche Abenteuer möchte ich erleben, die ganze weite Welt sehen, wilde Tiere und wilde Menschen, – aber ich soll ja Schneider werden. Am liebsten möchte ich sterben, Georg.«

Der Seiler pfiff spöttisch durch die Zähne. »Du bist ein Narr, dir den Tod herbeizuwünschen. Halte dich doch lieber an das Leben und erobere es mit Gewalt, wenn andere es dir mit Gewalt aus den Händen reißen wollen. In Hamburg gibt es Kapitäne genug, die einen solchen Jungen, wie du bist, an Bord nehmen, ohne viel nach Papieren oder der Erlaubnis des Herrn Vaters zu fragen. Weil sich so ein alter Schneidermeister in den Kopf gesetzt hat, daß sein Sohn unbedingt auch mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch sitzen und allerlei Flicken zusammenstoppeln soll, darum ist die Welt noch nirgends mit Brettern vernagelt. Laß mich nur machen.«

Robert fühlte wohl, daß es nicht recht war, Reden mit anzuhören, die seinen Vater beleidigten. Georg hatte ja recht, der Vater mißhandelte sein eigenes Kind.

»Es sind schon viele Jungen auf- und davongegangen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr gefiel«, fuhr der Seiler fort. »Ich selbst hab's ja so gemacht!«

Robert fuhr auf. »Du?« fragte er ganz erstaunt.

»Natürlich, ich und kein anderer. Meine Mutter war eine Milchhändlerin, die mich an jedem Morgen vor ihren Wagen spannte, bis es mir nicht mehr gefiel. Da ging ich durch die Lappen, – wer wollte mir das verdenken? Zum Hund fühlte ich mich nicht geschaffen.«

Robert saß da mit heißer Stirn und unruhigen Gedanken. Seine Augen gingen sehnsüchtig über das Wasser und den dunklen Wald.

»Laß uns umkehren, Georg«, seufzte er, »und am linken Ufer entlangfahren. Da liegen die kleinen Inseln, auf denen wir als Schuljungen oft Krieg spielten und denen wir Namen gaben. Ich war immer der König.«

Georg musterte die Umgebung. »Vor allen Dingen müssen sich Eure Majestät die Landratten-Bezeichnungen abgewöhnen«, antwortete er. »Vom Umkehren weiß der Seemann nichts, und mit einem Segelboot so ohne weiteres einen andern Kurs einschlagen, das kann er auch nicht. Die verschiedenen Arten der Fortbewegung nennt man erstens, wie wir es bisher taten, 'vor dem Wind segeln', wenn er von hinten, zweitens 'bei dem Wind', wenn er von der Seite weht, 'mit halbem Wind' oder 'backstags', wenn er halb von hinten, halb von der Seite kommt, und 'kreuzen' oder 'lavieren', wenn er entgegenweht. Dabei kann man sein Ziel natürlich auf geradem Wege nicht erreichen, sondern segelt in stumpfem oder mindestens doch rechtem Winkel von einem Ufer zum andern. Was du eben in richtiger Fuhrmannssprache 'umkehren' genannt hast, heißt 'über Stag gehen', das Kommando lautet: 'Klar zum Wenden!' und dann, wenn alle Schooten bedient sind: 'Wenden!'«

Er hatte während dieser Auseinandersetzung die erforderlichen Handgriffe ausgeführt, und Robert verfolgte mit fast zärtlichen Blicken jede Bewegung seines Freundes.

»Georg«, rief er, »jetzt fahren wir 'beim Wind', nicht wahr?«

»All right, Sir«, lachte der Seiler. »Wahrhaftig, du bist zum Seemann geboren. Gib doch noch einmal die Flasche da aus dem Kasten herüber. Der Müller wird ja nicht arm werden, wenn ich mit seinem Kognak auf dein Wohl trinke.«

Robert gehorchte widerstrebend, nur um in seines Freundes Augen als ein ganzer Mann dazustehen. Georg machte sich ja aus solchen Kleinigkeiten nichts, also durfte er nicht weniger mutig erscheinen.

Der Seiler hielt die Flasche gegen das Licht. »Wird gar nicht bemerkt«, sagte er, »und darauf kommt im Leben alles an.«

Robert verbarg aufatmend die Flasche. Obwohl niemand dabei war, so schien es ihm doch, als sähen tausend Augen den Diebstahl. – Jetzt hatte das Boot den eigentlichen Mühlenteich wieder erreicht, und Georg hielt sich links, wo verschiedene kleine Inseln wie grüne Punkte im ruhigen Wasser lagen. Durch alle diese einzelnen Arme des Teiches kreuzte das kleine, wendige Fahrzeug, während der Seiler von seinen Reisen erzählte und den lauschenden Jungen so gut zu fesseln wußte, daß er tief seufzte, als der Garten des Müllers wieder erreicht war.

»Du fährst noch manches Mal mit mir, nicht wahr, Georg?« fragte er.

»Sooft du willst, mein Junge. Aber für heute müssen wir es genug sein lassen, glaube ich. Mitternacht ist vorüber, und bald wird es heller Tag werden.«

Die beiden brachten nun das Segel wieder in seine vorige Lage, schlossen das Boot an den Eisenring der Treppe und versperrten auch die vordere Tür. Dann schlichen sie durch den Garten auf die Straße hinaus.

»Geh du allein«, flüsterte Georg, »und ich auch. Wenn dann einer gesehen wird, so ist doch wenigstens der andere nicht entdeckt. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« gab Robert zurück. »Und vielen Dank, Georg.«

»Hat nichts zu sagen«, lachte der. »Aber du, wenn einmal deine Alte ein bißchen zu essen im Küchenschrank hat, dann denk an mich. Etwas Warmes bekomme ich nie.«

Robert stand vor Erstaunen still. »Nie ein Mittagessen?« wiederholte er. »Aber du verdienst doch wöchentlich dein bestimmtes Geld.«

Georg zuckte die Achseln. »Fürs Verhungern zu viel und fürs Sattessen zu wenig«, antwortete er. »Ich bin ja noch ein Anfänger in diesem Handwerk, mußt du wissen. Es kommt alles durch den gebrochenen Fuß, sonst wäre ich längst Steuermann.«

»Du Armer!« rief der Junge gerührt. »Ich will für dich tun, was ich kann und werde dir auch in Zukunft deine Kleider flicken. Der Schneider soll doch zu etwas gut sein.«

»Es tranken ihrer neunzig, ja neunmal neunundneunzig aus einem Fingerhut!« – summte Georg spöttisch, und dann winkte er im Halbdunkel der Linden noch einen lachenden Abschiedsgruß. Robert war jetzt allein. Schnell die Flaschen ergriffen, einen letzten Blick zum Teich hinüber, eine Rundschau, ob auch alles ganz ruhig sei, und dann Fersengeld gegeben. Husch, husch, über den Bahnkörper, vorbei am hohen, alten Gefängnis, durch die Straße, an deren Ende erst der Nachtwächter daherklapperte, und dann in den Garten gekrochen.

Nichts regte sich. Jetzt stand er auf dem Hofplatz seines elterlichen Hauses und probierte die Tür, – sie war offen. Pikas, der Spitz, kroch ihm wedelnd entgegen, alles atmete so tiefen Frieden, war so ganz ungestört, ganz wie immer, daß es dem Jungen mit jeder Minute leichter ums Herz wurde. Er warf Stiefel, Mütze und Jacke von sich, dann schlich er an die angelehnte Tür zur Schlafkammer seiner Eltern und sah hinein. Die beiden alten Leute schliefen fest.

Robert lächelte, als er jetzt den Riegel der Hoftür vorlegte. Welche unnötigen Sorgen hatte er sich gemacht. Georg verspottete ihn wirklich nicht mit Unrecht, das begriff er erst in diesem Augenblick und beschloß, daß das nicht mehr so bleiben dürfe.

»Ich will kein Stubenhocker werden, wie Georg sagt, keiner, der Branntwein und Zigarren nur dem Namen nach kennt. Andere Lehrjungen haben auch ihre freien Stunden; ich nehme also nur, was mir als mein gutes Recht zusteht.«

Er schlüpfte in sein Bett und träumte in verworrenem Durcheinander von Segeln und Booten, von erbrochenen Schlössern und leeren Flaschen. Am Morgen hatte er zwar ein Gefühl, als müßte das Geheimnis der Nacht auf seiner Stirn zu lesen sein, aber das verzog sich auch bald wieder.

Gegen Mittag schaute Georg verstohlen durch die Lücke im Zaun. »Hast du etwas zu essen, Kleiner?«

Robert schob hindurch, was er unbemerkt hatte beiseite bringen können, und so ging es auch an den folgenden Tagen. Er bestahl seine Mutter, um sich die Freundschaft des ehemaligen Matrosen zu erhalten und um mit ihm bei jedem günstigen Wetter zu segeln. Der Gedanke, daß das Boot dem Müller gehörte, daß die Benutzung Unrecht sei, war längst vergessen.

Die beiden Kameraden sprachen nur noch darüber, wie man es einrichten könnte, hinter dem Rücken des alten Schneiders einen Abstecher nach Hamburg zu machen. Robert brannte vor Begierde, wirkliche Schiffe und Schiffswerften zu sehen. »Wenn ich nur Geld hätte!« seufzte er.

Der Seiler schien diesen Ausruf erwartet zu haben. »Besitzt du keinen Spartopf, Kleiner?« fragte er. »Alle wohlerzogenen Kinder haben doch einen.«

Dieser Ton reizte jedesmal den ganzen Trotz Roberts. Er wollte nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. »Ich habe Geld«, antwortete er, »aber den Schlüssel zum Spartopf gibt mir der Vater nicht. Jeden Weihnachten wird der Inhalt auf die Sparkasse getragen und für mich angelegt.«

Georg lachte. »Du bist ja ein reicher Mann. Weißt du aber, daß ich es von deinem Alten sonderbar finde, dir das Verfügungsrecht über dein Eigentum zu entziehen? Ich wenigstens ließe mir das nicht gefallen.«

Robert errötete. »Aber was soll ich dabei tun?« fragte er kleinlaut.

»Hem, Notwehr ist erlaubt. Hat er deine Sparbüchse, so halte du dich an seinen Geldkasten. Wo er steckt, das wirst du ja wissen.«

Roberts Herz pochte schneller. »Natürlich weiß ich das«, antwortete er, »aber –«

»Nun, und das kleine Instrument, das über eigensinnige Schlösser hinweghilft, kennst du ja. Hier ist es.«

Robert wehrte mit erhobenen Händen ab. »Du«, stammelte er, »das kann ich doch nicht tun. Es ist Vaters Geld, und nähme ich es, so wäre es gestohlen.«

Der Seiler steckte gelassen den Dietrich wieder in die Tasche. »Bleib bei deinen Ansichten, Kleiner«, sagte er, »ich habe nichts dagegen. Aber sag doch einmal, für wen spart und geizt denn eigentlich dein Alter? Wem wird einmal alles gehören, was er zusammenstichelt?«

Robert machte bei dieser Frage seines Freundes ein sehr vergnügtes Gesicht. »Mir natürlich«, antwortete er. »Ich bin ja das einzige Kind meiner Eltern.«

Georg nickte leicht. »Siehst du«, sagte er, »es ist alles dein rechtmäßiges Eigentum, aber du läßt dich willig knechten.«

Und nachdem er achselzuckend das gesagt hatte, sprach er von etwas anderem. Er wußte, daß Robert an seiner empfindlichsten Stelle getroffen war. Wirklich vergingen auch nur wenige Tage, bis der Sohn des alten Schneiders auf allerlei Umwegen wieder zu dem Geldkasten seines Vaters zurückkehrte.

»Hör mal, du, wäre es eine große Sünde, wenn ich es täte?«

Der Seiler sah ihn mit dem unschuldigsten Gesicht an. »Was denn?«

Robert wandte sich errötend ab. »Nun, du weißt doch, – mit dem Geld!« stammelte er.

»Ach! – Das hatte ich längst vergessen. Du meintest ja, es sei ein Diebstahl, also tu's um Himmels willen nicht.«

»Aber man kann doch davon sprechen«, rief Robert unwillig.

»Du sagtest, es sei mein gutes Recht, aus dem Geldkasten des Vaters das herauszunehmen, was er mir vorenthält. Glaubst du das wirklich, Georg, oder hast du es nur so hingeworfen?«

Der Seiler lächelte. »Komische Frage, – ob dein Eigentum dein Eigentum ist. Sechs oder acht Taler wirst du wohl im Spartopf haben, und über die mußt du allezeit frei verfügen können, denke ich. Ob es nun gerade dieselben Münzen sind oder andere, was macht das? Es handelt sich ja um den Wert, nicht um das Geldstück, und mehr als acht Taler brauchst du ja nicht aus dem Kasten zu nehmen.«

Robert warf stolz den Kopf zurück. »Oho, du, – sechsundzwanzig habe ich bestimmt drin«, sagte er. »Ich bekomme immer das neue, blanke Geld, das sich hier und da findet, außerdem etwas zum Geburtstag, und wenn ich den Kunden das Zeug bringe, manchmal ein Trinkgeld. Das wandert alles in die Sparbüchse.«

»Hahaha«, lachte der Seiler, »weshalb lieferst du denn die Trinkgelder an den Alten ab, du dummer Junge?«

Robert stutzte. Er hatte immer angenommen, daß das so sein müsse, sich aber über das »Warum« nie Rechenschaft abgelegt. Jetzt, unter dem Einfluß Georgs, hielt er sein früheres kindliches Betragen für albern.

»Du hast recht!« sagte er zögernd. »Ich glaube, daß es kein so großes Verbrechen wäre, aus dem Geldkasten einige Taler herauszunehmen. Aber wir brauchen ja nur wenig.«

Der Seiler zog die Stirn in krause Falten. »Hem«, machte er, »wie man's nehmen will. Die Groschen fliegen nur so, kann ich dir sagen.«

»So laß uns einen ganzen Taler nehmen!« rief ungestüm der Junge.

»Einen? – Unter fünf ist nicht daran zu denken.«

Robert erschrak, aber das Verlangen, die Elbe und wirkliche Schiffe zu sehen, ließ sich nicht mehr unterdrücken. »So nehme ich fünf«, entschied er nach kurzem Bedenken. »Aber wie fangen wir es denn überhaupt an, unbemerkt von hier fortzukommen?«

»Das ist kinderleicht. Dein Vater fährt in ein paar Tagen zum Elmshorner Jahrmarkt, um dort seinen Bruder zu treffen, der mit Schusterwaren aus Oldenburg herüberkommt. Ist er erst einmal fort, so haben wir freie Hand. Deine Mutter verrät nichts.«

Roberts Augen leuchteten. »Wie du dir alles ausdenken kannst«, rief er. »Das wäre mir gar nicht eingefallen.«

»Weil du dir die strenge Herrschaft deines Alten so gutmütig gefallen läßt, Junge.«

Robert wechselte schnell den Gegenstand des Gesprächs. »Du, wollen wir nach Hamburg fahren oder zu Fuß gehen?« fragte er.

»Natürlich fahren. Zum Gehen hätte ich keine Stiefel. Ach, es ist ein jämmerliches Leben so auf dem Trocknen, wo man bald dies und bald das Kleidungsstück anschaffen muß, – mit leeren Händen natürlich. An Bord braucht der Seemann das blaue Wollzeug und etwas Wäsche, damit Schluß.«

Robert sah mitleidig auf das blasse, kränkliche Gesicht seines Freundes und auf die zerfetzten Schuhe, die Georg trug. »Ob ich fünf Taler aus dem Kasten nehme oder acht«, dachte er, »das bleibt sich im Grunde ganz gleich. Zurückgeben werde ich dem Vater alles, und zwar von meinen Trinkgeldern. Georg hat ganz recht, ich bin früher ein dummer Junge gewesen.«

Er sprach nicht weiter von der Sache, aber er beschloß, für seinen Freund ein Paar neue Stiefel zu kaufen, und fühlte sich in diesem Gedanken ganz glücklich. Georg war ja doch, wie er glaubte, der einzige Mensch, der es wirklich gut mit ihm meinte.

»Du verrätst aber nichts!« bat er ihn, »darauf muß ich mich verlassen können.«

»Ganz bestimmt!« nickte Georg, »obwohl die Geschichte gar nichts auf sich hat. Ich sollte nur an deiner Stelle sein, Himmel noch einmal, der Alte würde einiges lernen. Kein Meister darf seinen Lehrjungen schlagen, also auch deiner nicht!«

Robert errötete. »Aber er ist ja mein Vater, Georg, nicht allein mein Meister!«

»Das ist gleich. Du bist konfirmiert und in der Lehre, gerade so gut wie irgendein anderer. Er kann dich ja fortschicken, sich von dir lossagen, mehr verlangst du ja nicht, glaube ich.«

Robert seufzte tief. »Ach, wenn er das tun wollte!«

»Siehst du, Kleiner! Laß dir alle Gewissensbisse vergehen, sie sind wirklich unnötig. Nähe und stopfe mit wahrer Andacht, bis der Alte nach Elmshorn unter Segel geht, sei recht freundlich und gehorsam, damit er keinen Verdacht faßt, und wir werden einen angenehmen Tag verleben, das verspreche ich dir. Du sollst es nicht bereuen, ein paar Taler geopfert zu haben.«

»Wann ist Elmshorner Markt?« fragte der Junge.

»Nächsten Mittwoch. Ich weiß, daß dein Alter am Dienstag hinfährt und am Donnerstag zurückkommt, also haben wir den ganzen Mittwoch für uns.«

»Noch vier Tage!« seufzte Robert. »Ach, wäre es erst so weit.«

»Das kommt alles eins nach dem anderen«, tröstete Georg. »Bleib du nur recht fleißig, und laß uns lieber während der ganzen Zeit nicht mehr miteinander sprechen, nur wenn du mir mittags ein paar Bissen durch den Zaun schiebst. Dann fährt der Alte ab und hält das heilige Grab für wohl verwahrt, während wir fort sind. Gar zu gestrenge Herren werden betrogen, das ist der Welt Lauf.«

Robert sah ein, daß sein Freund einen klugen Rat gegeben hatte, und obgleich es ihm sehr schwer wurde, hielt er sich doch bis zur Abreise ganz von dem Seiler fern und arbeitete auch tapfer drauf los, so daß ihn der Vater sogar lobte, was selten oder nie geschah. »Bist doch richtiges Schneiderblut!« murmelte er, mit innigem Vergnügen eine Naht betrachtend, die sein Sohn und Lehrjunge gerade vollendet hatte, »kannst es noch weit bringen in der Welt. Vielleicht erlebe ich ja, daß der Herr Branddirektor oder der Herr Bürgermeister bei dir ihre neuen Anzüge bestellen, und das wäre eine Auszeichnung, der die Krolls bis jetzt nicht für würdig befunden wurden. Vor allen Dingen laß dich nie verleiten, irgendeinem Verein beizutreten oder das neuerfundene Ding, die Nähmaschine, im Hause zu dulden. Solch moderner Firlefanz ist mir ein Greuel, hat auch nie zum Segen geführt, das weiß ich gewiß. Wie es mein Großvater und mein Vater gemacht haben, so mache ich es wieder, und damit basta.«

Der brave alte Mann sah nicht, wie sein Sohn errötete, als er ihn lobte. Robert fühlte jedes Wort wie eine Beschämung, wie einen bitteren Vorwurf. Er war fast im Begriff, dem Vater um den Hals zu fallen, ihm alles zu gestehen und ihn zu bitten »Vergib mir!« – aber dann mußte er ja zugleich den Freund verraten und mußte den Ausflug nach Hamburg aufgeben! – Nein, nein, das konnte er nicht. Die weichere Regung, das letzte Mahnen seines guten Engels wurde gewaltsam erstickt, und der Alte traf alle Vorbereitungen zur Abreise, ohne zu ahnen, welche Pläne sein Sohn im Kopfe hatte. Er bestellte und ordnete alles, als ob er mindestens ein Jahr lang ausbleiben wollte. »Mutter, vergiß das nicht, Mutter, behalte, was ich sage, und Mutter, hier auf diesen Kasten gib acht, du weißt, was darin steckt!« so klang es den ganzen Tag. Der Vater verdarb sich selbst die Freude an der kleinen Reise, weil er alles von der schwersten Seite ansah. Robert hätte lachen mögen, als er den dicken Wintermantel und das ungeheure Paket sah, das der Alte für die bei den Tage im schönsten Oktoberwetter mit sich herumschleppte. Er dachte an die Spottlieder seines Freundes und errötete für seinen Vater. Nein, unmöglich konnte er das Leben so auffassen; er wollte frei sein und genießen, nicht nur immer vorsichtige Schritte gehen und einmal sterben, ohne je gelebt zu haben.

Endlich war der Alte nach vielen Ermahnungen und dreimaligem Umkehren glücklich zum Bahnhof gekommen, und Robert sah mit erleichtertem Herzen dem Zug nach, wie er am Mühlenteich vorüber ins weite dampfte. Der Vater hatte daran keine Freude, weil er vielmehr seiner ganzen Natur nach die schwärzesten Bilder entwerfen und die schlimmsten Möglichkeiten als wahrscheinlich ansehen würde. Ob Mutter auch die Schweine gehörig versorgen, ob der Junge keinen Unfug machen, und ob das Haus nicht niederbrennen wird!

Robert ging durch das Gehölz nach Hause. Mochte sich sein Vater mit Grillen plagen so viel er wollte, das konnte ihn selbst nicht hindern, sein Schicksal nach Belieben einzurichten. Er wußte, mit welcher Freude er morgen nach der anderen Seite davonfahren würde. Ach, hätte doch Georg zu Fuß gehen wollen, dann brauchte man nicht bis um halb neun Uhr zu warten, sondern konnte um fünf schon unterwegs sein. Aber das ließ sich nun nicht mehr ändern, und die Hauptsache mußte überhaupt erst getan werden, bevor der ganze Plan einen sichern Boden besaß. Noch steckte das Geld im wohlverschlossenen Kasten.

Robert besah pochenden Herzens den kleinen Dietrich, den ihm Georg neulich ohne weitere Bemerkungen überreicht hatte. Ein Ruck, und jeder Widerstand war besiegt.

»Mein ist alles«, dachte er, »ich nehme nur, was mir gehört.«

Er wartete, bis die Mutter in den Stall hinausging, um die Kuh zu melken. Dann öffnete er mit schnellem Griff den altmodischen Eckschrank, der den Blechkasten mit Geld und Papieren enthielt. Jetzt nur noch der letzte Schritt – dann war die Reise gesichert.

Er schlich zum Küchenfenster und blickte vorsichtig hinaus in den offenen Stall. Die Mutter begann erst ihre Arbeit, nachdem sie das Tier mit frischem Futter versorgt hatte; sie rückte gerade jetzt den kleinen, kreiselförmigen Bock zurecht. Warum sollte sie sich auch beeilen, wie hätte sie denken können, daß ihr einziges Kind im Begriff war, die Kasse des Vaters zu erbrechen!

Da erschien plötzlich am Zaun das blasse Gesicht des Seilers. Georg winkte leicht mit der Rechten.

Robert nickte errötend. Schnell entschlossen eilte er in das Wohnzimmer, öffnete den Kasten und griff hinein. Seine Sparbüchse stand auch darin – wie schwer fühlte sie sich an! – aber das war zu weitläufig, er hatte keine Zeit zu verlieren. »Ob ich diese Taler nehme oder die«, dachte er, »das ist ja gleich. Eins – zwei – drei –«

Die Münzen klirrten in seiner zitternden Hand, er gab daher das Zählen auf und griff nur noch einmal hinein, dann schloß er den Kasten. Das Geraubte war schnell in der Tasche verborgen.

Robert war nur bei halbem Bewußtsein; er handelte wie im Traum ohne viel zu überlegen. Pfeifend schlenderte er in den Hof, wo immer noch der Seiler am Zaun stand, und winkte hinüber. »Komm!« flüsterte er.

Georg verschwand und erschien in der nächsten Minute an einer Lücke hinter dem Hühnerstall. »Schnell«, raunte Robert, ihm die gestohlenen Taler zusteckend, »da, bei mir könnte es gefunden werden.«

Der Seiler versteckte mit der größten Geschwindigkeit, was ihm sein junger Freund reichte. »Wieviel ist es?« fragte er.

»Das weiß ich nicht, aber genug wird es sein, auch zu einem Paar Stiefel für dich. Kauf dir welche und komm später wieder hierher.«

Der Seiler nickte nur, dann verschwand er geräuschlos, während Robert sich am Hühnerstall zu schaffen machte. Als nach einiger Zeit die Mutter zu ihm kam, erschrak sie über sein blasses Gesicht. »Fehlt dir etwas?« war die bange Frage.

Robert wußte kaum, was er antwortete. »Ich habe Kopfschmerzen«, sagte er.

»Leg dich ins Bett, Kind«, ermahnte die besorgte Frau. »Der Vater läßt dich zuviel sitzen«, fuhr sie fort, »du hast nicht genug Bewegung.«

Robert ergriff die gute Gelegenheit. »Das ist es ja gerade, Mutter«, schmeichelte er, »und darum fühle ich mich auch nicht mehr so wohl wie früher. Ach, wenn du mir einen rechten Gefallen tun wolltest – – –«

Er zögerte absichtlich und sah nur mit seinen fieberhaft glänzenden Augen in das Gesicht der Mutter. »Aber du erlaubst es doch nicht«, fügte er hinzu.

»Nun«, lächelte die alte Frau, »erst laß einmal hören, was du auf dem Herzen hast.«

»Nur ganz wenig«, bat der Junge, »einen einzigen freien Tag, – morgen. Was mir der Vater zu tun hingelegt hat, das mache ich fertig, du kannst es mir glauben.«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Wieder den ganzen Tag auf dem Wasser liegen, nicht wahr? Das geht nicht, Junge. Was sollte ich dem Vater sagen, wenn ein Unglück geschieht?«

»Ich denke nicht an den Mühlenteich«, rief Robert hastig. »Nur ein bißchen herumstreifen wollte ich, weiter nichts.«

»Auch nicht mit dem Kahn des Holzhändlers fahren?« forschte die Mutter.

»Ganz bestimmt nicht.«

»Nun, dann lauf. Mußt aber abends zurück sein, das sage ich dir.«

Wer war froher als Robert? Kaum ließ er sich Zeit, dem Seiler noch durch die Hecke ein paar Worte zuzuflüstern, dann ging es an die Vorbereitungen zur Reise. Die Stiefel blank gebürstet, den Konfirmationsanzug von jedem Stäubchen gesäubert und das weißeste Hemd hervorgesucht, – auch das Taschentuch durfte nicht vergessen werden. Aber einen Stich durchs Herz gab es ihm doch, als er die Mutter an dem wenigen Wirtschaftsgeld zählen und rechnen sah, bis sie ihm endlich vier Groschen in die Hand drückte. »Da, mein Junge«, sagte sie gutmütig lächelnd, »und kauf dir etwas dafür. Ich komme schon zurecht, bis der Vater wieder hier ist.«