Erstes Buch.

Inhaltsverzeichnis

Das unschätzbare Leben des grossen Gargantua, Vaters Pantagruelis, weiland verfaßt durch Meister Alcofribas Nasier den Abstractor der Quintessenz.

Ein Büchlein voller Pantagruelismus.


Den Lesern.

Ihr Leser dieses Buches lobesan
Thut ab von euch Affect und Leidenschaft,
Und wann ihrs leset, ärgert euch nicht dran:
Denn es kein Unheil noch Verderben schafft.
Die Wahrheit zwar zu sagen, musterhaft
Ist wenig drinn, wenn wir nicht Lachen meinen.
Den Text erwählt mein Herz, und weiter keinen.
Seh ich den Kummer, der euch nagt und frißt,
Handl ich von Lachen lieber denn von Weinen,
Dieweil des Menschen Fürrecht Lachen ist.

Des Authors Prologus.

Inhaltsverzeichnis

Sehr treffliche Zecher, und ihr meine kostbaren Venusseuchling, (denn euch und sonst niemandem sind meine Bücher zugeschrieben) Alcibiades, in dem Gespräch des Platon die Zech betitelt, sagt unter anderen Reden zum Lob seines Meisters Sokrates, welcher ohnstreitig der Weltweisen Kaiser und König war, daß er sey gleich den Silenen gewesen. Silenen waren vor diesem kleine Büchslein, wie wir sie heut in den Läden der Apotheker sehen, von außen bemalet mit allerlei lustigen, schnakischen Bildern, als sind Harpyen, Satyrn, gezäumte Gänslein, gehörnte Hasen, gesattelte Enten, fliegende Böck, Hirschen die an der Deichsel ziehen, und andre derley Schildereyen mehr, zur Kurzweil konterfeyet um einen Menschen zu lachen zu machen: wie denn des guten Bacchus Lehrmeister Silenus auch beschaffen war. Hingegen im Innersten derselben verwahrt' man die feinen Spezereyen, als Balsam, Bisam, grauen Ambra, Zibeth, Amomum, Edelstein und andre auserlesne Ding. So, sagt er, wär auch Sokrates; weil ihr denselben von aussen betrachtend und äusserm Ansehn nach schätzende, nicht einen Zwiebelschelff für ihn gegeben hättet: so häßlich war er von Leibesgestalt, so linkisch in seinem Bezeigen, von Spitznas, Augen wie eines Stieres Augen, Narren-Antlitz, einfältiger Sitten, bäurisch in Kleidung, arm an Vermögen, bey Weibern übel angesehen, untauglich zu allen Aemtern im Staat, immer lachend, immer Jedem zutrinkend, immer Leute foppend, immer und immer Versteckens gespielt mit seiner göttlichen Wissenschaft. Aber, so ihr die Büchs nun eröffnet, würdet ihr inwendig funden haben himmlisch unschätzbare Spezereyen: einen mehr denn menschlichen Verstand, wunderwürdige Tugend, unüberwindlichen Standmuth, Nüchternheit sonder gleichen, feste Genügung, vollkommenen Trost, unglaubliche Verachtung alles dessen darum die sterblichen Menschen so viel rennen, wachen, schnauffen, schiffen und rauffen.

Wohin (denkt ihr in euern Gedanken) zielt doch dieß Vorspiel, dieser Probschuß? Dahin, daß ihr meine guten lieben Jüngerlein und etlich eurer Mitmaulaffen, wann ihr die lustigen Titel etlicher Bücher von unsrer Erfindung leset, als: Gargantua, Pantagruel, Stürzbecher, die Würdigkeit der Hosenlätz, von Speckerbsen cum commento etc., allzuleichtfertig urtheilt es werd darinnen nichts abgehandelt als eitel Spottwerk, Rarreteiden und lustige Lügenmährlein, hinsichts ihr äusserlich Sinnschild (das ist der Titel) ohn weitre Untersuchung gemeinlich für Possen und Schimpff geachtet wird. Aber also leichtfertiglich ziemt sich nicht Menschenwerk abzuschätzen; denn ihr pfleget doch selbst zu sagen, daß das Kleid nicht den Mönch mach, und ist mancher verkappt in eine Mönchskutt, der innerlich wenig vom Mönchthum weiß; geht auch wohl mancher im spanischen Mantel, dem sein Sinn nimmer nach Spanien stehet. Derhalb soll man das Buch recht aufthun und was drinn ausgeführt sorglich erwägen. Dann werd ihr merken daß die Spezerey drinn wohl von einem andern und höheren Werth ist, als euch die Büchs verhieß: will sagen, daß die hie beregten Materien nicht allerdings so thörigt sind, als es die Ueberschrift vorgeschützt.

Und auf den Fall gesetzt daß ihr auch im buchstäblichen Sinn genugsam lustige Ding anträfet und die sich wohl zum Namen schickten, sollt ihr doch gleichwohl hieran nicht hafften bleiben wie am Sirenen-Sang, sondern vielmehr im höheren Sinn auslegen was ihr vielleicht nur Scherzes halber gesagt zu seyn vermeinet hattet. Zogt ihr auch je einer Flaschen den Pfropf aus? Ei potz Zäpel! so denket zurück wie ihr euch dazu angestellet. Oder sahet ihr je einen Hund, wann er ein Markbein am Wege fand? Dieß ist, wie Plato Lib. 2 de Rep. schreibt, das philosophischste Thier der Welt. Wenn ihrs gesehen habt, habt ihr wohl merken können wie andächtig er es verschildwachtet, wie eifrig ers wahrt, wie hitzig ers packt, wie schlau ers anbricht, wie brünstig zerschrotet, wie emsig aussaugt. Wer treibt ihn an also zu thun? Was ist die Hoffnung seiner Hundsmüh? Was vermeinet er hieraus guts zu erlangen? Nichts weiter als ein wenig Mark: wenn schon in Wahrheit dieses Wenig weit köstlicher denn alles Viel der anderen Ding ist, in Obacht das Mark eine Nahrung, so zur Vollkommenheit der Natur ist erwirket worden, wie Galenus spricht III. facult. nat. et XI. de usu partium.

Nach dessen Fürbild nun ziemet euch Klugheit, daß ihr fein riechen, wittern und schätzen mögt diese edeln Schrifften vom dicken Schmeer, die man zwar leichtlich pürschen mag, schwer aber treffen: dann mittelst fleißigen Lesens und steter Betrachtung das Bein erbrecht und den substantialischen Mark draus sauget, dieß nämlich was ich unter diesen Pythagorischen Symbolis verstanden hab, in gewisser Hoffnung daß euch solch Lesen witzigen und erleuchten wird. Denn ihr sollt wohl einen anderen Schmack und tiefverborgenere Lehr drinn finden, die euch höchstüberschwengliche Sacrament und schaudervolle Mysterien offenbaren wird, beydes was unsre Religion, als Welt-und Regentenstand, wie auch die Hauszucht angeht.

Glaubt ihr auch wohl, auf euern Eyd, daß Homerus, als er die Ilias und Odyssee schrieb, jemals an die Allegorien gedacht hab die aus ihm auskalfatert Plutarchus, Eustathius, Phurnuthus, Heraklides Ponticus und was aus ihnen Politian gestohlen hat? Wo ihr es glaubt, kommt ihr weder mit Händen noch Beinen zu meiner Meinung die besagt, daß dem Homero dergleichen so wenig im Traum erschienen als dem Ovid in seinem Metamorphosen die evangelischen Sacrament, wie sie ein Bruder Hans Laff und wahrer Speckschnäppel sich drinn zu erweisen gemartert hat, ob er vielleicht mehr Narren wie Er, und wie man spricht, Deckel auf seinen Topf fänd.

So ihr es aber nicht glaubt, ey was wehret euch mit dieser muntern und neuen Chronik nicht eben auch also zu thun? Wiewohl Ich, derweil ichs dictirt, so wenig drauf gedacht hab als ihr, die ihr wohl trinkt so gut als ich. Denn ich mit Stellung dieses sehr herrlichen Buches kein ander noch mehr Zeit verthan noch verdorben hab als die ich mir zu Einnahm meiner Leibesnahrung fürbestimmt hätt, nämlich während Essens und Trinkens. Auch ist dieß just die rechte Stund, da man von so erhabenen Dingen und tiefen Scienzien schreiben soll.

Wie sich gar wohl darauf verstanden Homerus, der Spiegel aller Schrifftgelahrten und Ennius, der lateinischen Poeten Ziehvater; wie Horaz bezeuget: wenn schon ein Mollkopf behaupten will daß seine Vers mehr nach Wein denn nach Oel röchen.

Dergleichen sagt nun ein Thier-Lupin auch von meinen Büchern. Aber ich ach ihn einen Quark. Weingeruch, o wie weit nützlicher, schützlicher, kützlicher, himmlisch holdseliger ist er doch als des Oeles! Und werd mirs zu keinem geringern Ruhm anrechnen, daß man von mir sag ich hab in Wein mehr aufgehn lassen denn in Oel, als Demosthenes thät, da man ihm nachsagt' er hätt in Oel mehr verthan denn in Weine. Ich für mein Theil kann nur Ehr und Ruhm davon haben, so man mich für einen guten Schlucker und Kunden mit gelten und laufen läßt. Bin unter dem Namen gern gesehen bei allen guten Pantagruelsbrüdern. Dem Demosthenes hats ohnhin ein Sauertopf längst vorgeruckt daß seine Reden wie eines alten garstigen Oelhökers Kram-Plan röchen. Derhalb legt meine Wort und Werk zum allervollkommensten aus, habt Ehrfurcht vor dem käsförmigen Cerebro das euch mit diesen schönen Schaumbläslein ätzet und, so viel an euch, bleibt mir fein allzeit guter Ding.

Nun so erlabt Euch dran, lieben Schätzlein: lests fröhlig all zu Leibestrost und Nierenfrommen. – Buescht! Hundsfisli! daß euch der Wolf ins G'säß schlag! Wollt ihr mir gleich mein Gottslohn trinken? Ich werd euch auch plötzli Bschaid thun.

Zwölftes Kapitel.

Von des Gargantuä Steckenpferden.

Inhaltsverzeichnis

Hierauf, damit er all sein Lebtag ein guter Reiter wär, macht' man ihm ein schönes grosses Pferd von Holz: das ließ er paradiren, tummeln, voltigieren, sprengen, tänzeln, alles zugleich, im Schritt, im Trott, im Mittelschritt, Galop, Paß, Hoppas, im Kleppergang, im Kamelin, Harttrab, Waldeseltritt, und färbt ihm das Haar um, wie die Mönch ihre Alben nach den Festen, in kästenbraun, in fuchsroth, apfelgrau, rattenfarb, hirschhaar, rothschimmel, kühfahl, muschigt, scheckigt, älstersprenklich, weiß.

Er selbst macht' ihm aus einem grossen Trämel ein Pferd zur Jagd, ein andres aus einem Trottbaum zum täglichen Brauch, und aus einem dicken Eichenstamm ein Maulthier samt der Schabrack fürs Zimmer. Ausserdem hätt er ihrer noch zehn bis zwölf zur Umspann und sieben zur Post, und nahm sie auch Nachts alle mit zu Bett. Einmal besucht' der Herr von Qualimsack seinen Vater mit grosser Suit und Anhang, auf welchen Tag deßgleichen auch der Herzog von Offentisch und der Graf von Nasengüsel schon bei ihm eingesprochen waren.

Mein Treu! Da ging das Losament was knapp her für so vieles Volk, und sonderlich die Pferdeställ. Der Hofmeister also nebst dem Furirer gedachten Herren von Qualimsacks, um zu erforschen ob es im Haus noch sonst wo ledige Ställ hätt, wandten sich an das junge Männlein Gargantua und fragten ihn heimlich wo die Ställ für die grosse Pferd wären, denn sie gedachten daß Kinder gern alle Ding ausschwatzen und offenbaren. Da führt' er sie die grosse Schloßtrepp hinan, durch den zweyten Saal auf einen langen Gang, aus dem sie in einen dicken Thurm kamen. Wie es nun wiederum andere Stiegen hinauf ging, spricht der Furirer zum Hofmeister: dieß Kind narret uns, denn niemals sind doch die Ställ zu oberst im Haus. – Da seyd ihr schlecht bericht antwortet der Hofmeister, denn ich weiß Ort zu la Basmette, Lyon, Chaisnon und anderwärts, wo die Ställ im obersten Stock sind: wird also wohl hie hinten ein Pförtlein zum Auftritt seyn. Frug also den Gargantua: Mein kleiner Schatz, wo führt ihr uns hin? – Zum Stall, sprach er, wo meine grosse Pferd stehen; werden gleich da seyn, steigt nur noch die Paar Stiegen. Darauf bracht er sie wieder durch einen andern grossen Saal und führt' sie endlich in seine Kammer, zog die Thür zurück und ruft': da sind die Ställ, die ihr begehrt, da ist mein Spanier, mein Wallach, mein Schweisfuchs, mein Gaskonier. Und nahm einen schweren Hebebaum, packt' ihn den Beyden auf und sprach: diesen Friesländer schenk ich euch; hab ihn von Frankfurt, er soll aber euer seyn: ist ein gut Rößlein; so klein es ist, so hart und arbeitssam ist es: mit einem Habichtmännlein, einem halben Dutzend Bracken und ein Paar Windhunden seyd ihr Hasen- und Hühnerkönig' den ganzen Winter. – Beym Sankt Johannes! sprachen sie, da kommen wir schön an. Dießmal han wir den Mönch im Sack. – Das leugn ich euch, sprach er, seit drey Tagen ist er uns nicht ins Haus gekommen. Hie rathet nun, ob sie sich eher vor Schaam in die Erd verkriechen oder vor Lachen hätten bersten mögen über den Schnack. Enteilten also sporenstreichs wieder hinunter ganz verplüfft. Da frug er sie: Wollt ihr auch einen Beißkorb? – Was ist das? sprachen sie. – Fünf Drecker, antwortet' er, euch zum Kappzaum. – Und wenn man, sprach der Hofmeister, uns auch heut noch briet, würden wir doch nicht am Feuer verbrennen, so trefflich mein ich, sind wir gespickt. Ei kleiner Schatz, du hast uns mal das Heu wohl auf die Hörner gebunden: will noch erleben daß du Papst wirst. – Das mein ich, sprach er, und dann seyd ihr der Papelfink, und dieser feine Papa hie wird mein Papagey. – Schon gut, schon gut, spricht der Furirer. – Aber rathet mal, sprach Gargantua, wie viel Nadelstich hat meine Mutter in ihrem Hemd? – Sechzehn, spricht der Furirer. – Du sagst auch kein Evangelium, antwort Gargantua, vierzehn sind ihrer hinten, und fünfzehn vorn, hast schlecht gezählt. – Wann eher? fragt der Furirer. – Damals, spricht Gargantua, als man aus deiner Nas einen Hahn macht' um ein Ohm Dreck damit abzuziehen und aus deinem Hals einen Trichter, ihn auf ein ander Faß zu füllen, denn der Boden hätt einen Sparren zu wenig. – Potz Biltz: sprach der Hofmeister, da han wir einen Schwadronirer funden. Gott tröst euch, Herr Schwafler, denn euer Maul ist frisch genug.

Damit liefens in Eil hinunter, liessen den schweren Hebebaum den er ihnen aufgepackt, unter dem Treppengewölbe fallen. So! sprach Gargantua: Ey zum Teucker! was seyd ihr doch für schlechte Reiter! Euer Gaul geht euch zur Zeit der Noth durch. Wenn ihr von hie nach Cahusac müßtet, wollet ihr lieber ein Gänslein reiten oder die Sau am Seile führen? – Ich wollt lieber saufen, sprach der Furirer. – Und mit diesen Worten kamen sie in den untersten Saal zurück, wo die ganze Gemein beysammen war, erzählten da diese neue Mähr; da lachtens wie ein Rudel Fliegen.

Vier und Zwanzigstes Kapitel.

Wie sich Gargantua bey Regenwetter die Zeit vertrieb.

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Begab sichs daß das Wetter regnicht und trüb war, so bracht man die ganze Zeit vor Mittag wie gewöhnlich zu, ausser daß er ein schön hell Feuer anmachen ließ, die Feuchtigkeit der Luft zu mildern. Aber nach dem Mittagsessen blieben sie, statt der sonst üblichen Leibesübungen, zu Haus und unterhielten sich apotherapeutischer Weis mit Heubinden, mit Holzspalten und Sägen und Garbendreschen in der Scheun. Dann trieben sie die Malerey und Schnitzkunst; oder brachten auch das alte Spiel der tali wieder auf die Bahn, wie Leonicus davon geschrieben und unser guter Freund Lascaris es zu spielen pflegt: und gedachten unter dem Spielen der Stellen in den alten Authoren da dieses Spieles Meldung geschieht, oder ein Gleichniß daraus entlehnt ist. Oder gingen auch aus und sahen wie man die Metalle schmolz und schied, oder Geschütz goß, oder besuchten die Goldschmiede, die Juwelirer, Steinschneider, Alchymisten und Münzer, deßgleichen die Weber, Sammet- und Tapetenwirker, die Uhrmacher, Spiegelschleifer, Orgelbauer, Drucker, Färber und mehr dergleichen Handwerksleut, und überall wo sie hinkamen, da theilten sie Trinkgelder aus, wogegen sie die Industri und Erfindsamkeit der Gewerbe betrachteten und einsehn lernten.

Wohnten auch den öffentlichen Lectionen, den solennen Actibus, Repetitionen, Declamationen, Zeugenverhören der artiger Anwält, den Sermonen der evangelischen Priester bey. Oder er trieb sich durch die Säl und Schulen wo gefochten ward, schlug sich daselbst auf alle Waffen mit den Meistern, und bewies ihnen augenscheinlich, daß er davon soviel als sie, ja mehr verstünd. Und statt des Herborisirens gingen sie in die Specereygewölb, zu den Kräuterhändlern und Apothekern, untersuchten da aufmerksam die fremden Wurzeln, Blätter, Frücht und Sämereyen, Gummen, Salben, deßgleichen wie man sie verfälscht. Besucht' die Gaukler, Taschenspieler und Marktschreyer, und betrachtet' sich ihr Treiben, ihre Finten, Gestus, Kapriolen und edles Mundwerk, sonderlich derer von Chaunys in Picardien; denn dieß sind von Haus aus die allergrößten Schwadronirer und Possenreisser, was den Punkt der grünen Affen anbelangt. Wenn sie sodann zum Abendbrod heimkamen, assen sie um Vieles mässiger als die andern Tag, und mehr austrocknende, dünnende Speissen, damit die unvermeidlich dem Körper mitgetheilte feuchte Luft dadurch verbessert würd, und ihnen nicht nachtheilig wär, weil sie nicht, wie gewöhnlich, eine Leibesübung zuvor gehabt.

So ward Gargantua guberniret und schritt tagtäglich weiter vor in diesem Gleise, profitirend, wie ihr selbst einseht, daß ein junger Mann seines Alters von guten Gaben, bey also fortgesetzter Übung wohl profitiren muß; die, ob sie gleich anfangs beschwerlich schien, doch im Verlauf so süß, leicht und ergötzlich ward, daß es vielmehr ein Kurzweil für einen König als eines Schülers Zucht zu seyn schien. Gleichwohl ihm eine Fristung von so schwerer Geistesarbeit zu geben, erkor Ponokrates in jedem Monat einen schönen hellen Tag aus, an dem sie morgensfruh aus der Stadt aufbrachen, und entweder gen Gentily oder gen Boulogne, Montrouge, oder Charantonsbrucken, gen Vanves oder Sainct Clou zogen. Da brachten sie den ganzen Tag in aller nur ersinnlichen Lust mit Schäkern, Jauchzen, Spielen, Singen, Tanzen und Runda trinken hin, wälzten sich auf den grünen Wiesen, nahmen Spatzen aus, strichen Wachteln, fischten Krebs und haschten Frösch.

Aber obschon der Tag ohn Bücher und Lection verging, ward er darum nicht ohn Frucht verloren. Denn auf dieser lustigen Wiesen entsannen sie sich aus dem Kopf allerley artiger Vers vom Feldbau aus dem Virgil, Hesiodus, dem Rustico des Politianus, verfaßten allerley artige Sinnschriften zu Latein, und brachtens dann auf Französisch in Balladen und Rundreim. Wenn sie dann banketirten, schieden sie von dem gewässerten Wein, wie Cato de re rust. und Plinius lehren, mit einem Becher von Epheu das Wasser, wuschen den Wein in einem vollen Wasserbecken, zogen ihn darauf mit einem Trichter wiederum ab, vermochten das Wasser aus einem Glas ins andre, bauten vielerley kleine Automata oder sich selbst bewegende Werklein.

Sechs und Dreyssigstes Kapitel.

Wie Gargantua das Schloß am Furth Vede zerstört', und wie sie über den Furth gingen.

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Als er ankam, erzählt' er wie er die Feind getroffen hätt, und den an ihrer ganzen Schaar von ihm allein vollführten Streich: betheuert' es wären eitel Dieb, Strauchhähn und Räuber, die gar nichts verstünden vom Kriegshandwerk, und sollten sich nur frisch an sie machen, denn es würd ihnen ein leichtes seyn, sie wie das liebe Vieh zu schlachten. Demnach beschritt Gargantua, in Begleitung seiner obigen Freund, die große Mär, und unterwegens traf er einen gewaltigen hohen Baum an, den man gewöhnlich Sankt Martins-Baum nannt, weil er aus einem Pilgerstab also erwachsen war, den vor Zeiten der heilige Martin dorthin gepflanzet. Da sprach er: Siehe da was mir fehlt! Dieser Baum soll mir zum Spieß und Pilgerstecken dienen. Damit riß er ihn leichtfertig aus der Erden, streift' die Aest herunter und putzet' ihn zu seinem Vergnügen. Unterdessen stallt' seine Mär', sich die Blaas zu lehren, solches aber so überflüssig, daß auf sieben Meilen ein Fluth draus ward und aller Brunzt in den Furth von Wede lief. Den schwemmt' es so gewaltsam wider den Strom an, daß des Feinds Geschwader mit Mann und Maus elendiglich daselbst ersoffen, ohn Etliche, die ihren Weg links über den Berg genommen hatten.

Als Gargantua vor dem Forst von Vede ankam, warnt' ihn Eudämon, daß im Schloß noch etliche Feind verborgen lägen. Welchs zu erfahren Gargantua so laut er konnt rief: Seyd ihr drinnen oder nicht? Wenn ihr drinnen seyd, so seyds gewesen! Seyd ihr nicht drinn, darfs nicht der Wort. Ein Bengel aber von Schützenmeister hinter der Schuß-Schart richtet eine Kanon auf ihn, und traf ihn grausam an die rechte Schläf'; es thät ihm aber nicht weher als wenn er ihn mit einer Zwetschen geworfen hätt. Was ist dieß? sprach Gargantua, werft ihr uns hie mit Traubenkernen? der Herbst soll euch noch theuer kommen: denn er meint' nicht anders, die Stückkugel wär ein Traubenkern gewesen. – Diejenigen, die sich im Schloß mit dem Rapiamus erlustirten, liefen, als sie den Lärmen hörten, auf Thürn und Bollwerk und thäten aus Falkonetten und Büchsen mehr denn neuntausend fünfundzwanzig Schüss auf ihn, zielten ihm all nach dem Kopf, und hagelten so hageldicht, daß er ausrief: Ponokrates, mein Freund! die Fliegen da blenden mich: o lang mir doch einen Zweig von diesen Weiden her, sie zu verscheuchen! denn er sah die bleyernen Schusser und die Stein aus dem Wurfgeschütz für Kühfliegen an. Ponokrates bedeutet ihn aber, daß es die Fliegen aus den Kanonen im Schlosse wären, die man ihm zuschöß. Da rannt er mit seinem großen Baum wider das Schloß an, zermalmt' mit schweren Stössen Thürn und Bollwerk, und schleift' es alles dem Boden gleich, dergestalt, daß Alle darinnen zerschmettert und erschlagen wurden.

Von da weiter kamen sie an die Mühlenbruck und fanden dort den ganzen Furth so gehauft voll Leichen, daß sie den Mühlgang verstaueten. Dieß war aber eben die in der Mär-Harnfluth Ersoffenen. Gingen also zu Rath wie sie drüber kämen, in Betracht der Stämmung dieser Cadaverum. Gymnastes aber sprach: Sind die Teufel hinüber kommen, will ich auch wohl hinüber. – Die Teufel, sagt Eudämon, sind 'nüber kommen als sie die verdammten Seelen hohlten. – Nun beym Sankt Trinian! rief Ponokrates, so muß er nothwendig auch hinüber. Ey! sprach Gymnast, das mein ich auch, oder will unterwegen bleiben. Gab damit seinem Pferd die Sporen und setzt' risch über, ohn daß das Pferd einmal vor den Todten gescheuet hätt. Denn er hätt es nach Aeliani Lehr gewöhnt, weder Seelen noch Leichnam zu fürchten: nicht daß er die Leut (wie Diomedes die Thrazier) umbracht, oder wie Ulysses, nach Homers Bericht, die Leiber seiner Feind den Pferden unter die Füß warf: sondern er legt' ihm ein Gespenst in sein Heu, und ließ es gewöhnlich darüber traben, wann er ihm seinen Haber gab. Die andern Dreye folgten ihm ohn Anstoß nach, bis auf Eudämon, dessen Pferd mit dem rechten Fuß einem grossen feisten Schelmen, der da rücklings ersoffen war, bis ans Knie in den Wanst einbrach, und ihn nicht wieder herausziehn konnte. Mußt auch so lang drinn stecken bleiben bis Gargantua mit seinem Stab die übrigen Kutteln des Schelmen vollends in Grund bohrt': da dann das Pferd den Schenkel 'raus renkt'. Und (was wunderbar in der Hippiatri zu merken) so war dieß Pferd von einem Ueberbein, das es an selbigem Fuß hätt, blos durch die Anrührung der Gedärm dieses groben Schliffels geheilt, und aus dem Grund curiret worden.

Acht und Vierzigstes Kapitel.

Wie Gargantua den Pikrocholus in Clermaldsburg angriff, und dessen Heer aus dem Felde schlug.

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Gargantua führt' das Obercommando des ganzen Heers: sein Vater blieb in seiner festen Burg daheim und macht' ihnen Muth durch gute Wort und Verheissung reichlicher Gaben für die so tapfer fechten würden. Darauf rückten sie gegen den Furth von Vede vor, und setzten mit Hülf leicht fertiger Kähn und Brucken hinüber in einem Strich. Besichtigten da die Gelegenheit der Stadt, die hoch und sicher lag: da ward die Nacht über Raths gepflogen was zu thun wär. Gymnastes aber sprach zum Gargantua: Gnädigster Herr, es ist die Art und Natur der Franzosen daß sie nichts taugen als in erster Hitz und Anlauf; da sind sie ärger als Teufel; läßt man sie aber erst ruhen, dann sind sie weniger denn Weiber. Mein Rath wär, daß ihr euer Volk itzt auf der Stell, sobald es nur ein wenig verschnauft und gefuttert hat, Sturm laufen liesset. – Der Rath gefiel ihm; führt' also sein ganz Heer ins Feld und stellt' das Hülfsvolk gegen die Halden. Der Mönch nahm mit sich sechs Fähnlein Fußknecht und zweyhundert Küriser, mit denen setzt' er auf das behendeste über den Moor, und gewann die Höhen über dem Brunnen bis auf die Straß gen Loudun. Inzwischen lief der Sturm an; Pikrochols Volk wußt nicht ob besser wär auszufallen und sie zu empfangen, oder die Stadt ohn Wank zu behaupten. Gleichwohl brach er wüthig herfür mit einem Banner Reiterey seines Hofgesindes, und ward allda zum Willkomm mit schwerem Geschütz empfangen, das wider die Höhen hagelte, welchem mehr Spielraum zu gewähren die Gargantuisten sich thalwärts zogen. Die in der Stadt vertheidigten sich so gut sie konnten, aber die Schüß gingen überhin und trafen keinen. Etliche von dem Banner die dem Geschütz entkamen, setzten tapfer in unser Volk, aber schafften wenig, denn sie wurden all in die Glieder genommen, und da zu Boden gestreckt. Dieß spürend wollten sie wieder rückwärts, aber der Mönch hätt ihnen inzwischen den Paß verrannt; da gaben sie sich ohne Halt noch Ordnung in Flucht. Es wollten zwar Etliche sie verfolgen, aber der Mönch hielt sie zurück, besorgend daß sie auf der Jagd nach den Flüchtigen ihre Stellung verlören, und die aus der Stadt derweil auf sie anstürmen möchten. Verzog also eine gute Weil, und als kein Feind sich blicken ließ, schickt' er den Herzog Phrontistes an Gargantua ab, ihn zu ermuntern daß er vorruckt', die Höhen linker Hand zu besetzen, damit dem Pikrocholus die Einflucht zu diesem Thor verhauen wär. Welches Gargantua eilig thät, und vier Schwadronen der Legion Sebaste hinschickt'; aber sie hatten den Berg noch nicht sobald erreicht, als sie mit dem Pikrocholus und seinem Schwarm Bart gegen Bart zusammenstiessen.

Da hieben sie denn derbe drauf. Gleichwohl ward ihnen von denen auf den Mauern auch ein ziemlicher Schaden zugefügt mit dem Wurfgeschütz und der Artilleri. Sobald es Gargantua inne ward, eilt' er ihnen mit grosser Macht zu Hülf, und seine Stücke fingen dermaasen auf den Theil der Mauern zu spielen an, daß die ganze Kraft der Stadt dahin entboten ward. Als nun der Mönch dieß Theil das er belägert hielt, von Volk und Wachen entblöst sah, rückt' er heldenmüthig gegen die Burg und ließ nicht ab bis er oben stund nebst etlichen der Seinigen, deß Glaubens daß mehr Furcht und Schrecken Die stiften die sich in ein Treffen plötzlich mengen, als die nach bestem Vermögen schon drinn kämpfen. Gleichwohl macht' er eher nicht Lärm als bis seine ganze Schaar auf den Mauern droben stund, ohn die zweyhundert Küriser die draussen ließ für alle Unfäll.

Drauf erhub er mit seinen Leuten ein mörderlich Geschrey, erschlugen ohn Widerstand am selbigen Thor die Wachen, eröffnetens den Kürisern, und rannten in vollem Ungestüm all miteinander nach dem Thor gen Morgen wo das Gemetzel war, und warfen alle feindlichen Haufen von hinten darnieder.

Da nunmehr die Belägerten an allen Enden ihre Stadt von den Gargantuisten erobert sahen, ergaben sie sich dem Mönch auf Gnad und Ungnad. Der Mönch nahm ihnen ihre Wehr und Degen ab, logiert' und sperrt' sie sämmtlich in die Kirchen ein, nahm aber zuvor alle Kreuzstöck' 'raus und stellt' an die Pforten Wächter die niemand ausliessen. Oeffnet' ihnen dann das Thor gen Osten und zog dem Gargantua zu Hülf hinaus. Pikrochol aber meint' die Hülf käm Ihm aus der Stadt, und wagt' sich tolldreist weiter denn zuvor heran, bis Gargantua ausrief: Bruder Jahn, mein Freund, Bruder Jahn! Zur guten Stund bist du gekommen. – Da, als Pikrochol und sein Volk nun einsah daß alles ohn Rettung verloren, rissen sie aus nach allen Winden. Gargantua setzt' ihnen nach bis gen Vaugaudry, mit Mord und Todtschlag. Dann aber ließ er zum Rückzug blasen.

Acht und Funfzigstes Kapitel.

Räthsel-Prophezey.

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Ihr armen Menschen denen Heil von nöthen,
Ermuntert euch und merkt auf meine Reden!
Wenn uns zu glauben sicher ward vergönnt
Daß durch Gestirn am Himmelsfirmament
Des Menschen Geist von selber mag gedeihn
Zur Wissenschaft Zukunft zu prophezeyn,
Und wenn man kann durch göttliche Gewalt
Vom Dermaleinst erkennen die Gestalt,
Bis auch entfernter Jahre Lauf und Schick
Ermessen wird mit scharfem Geistesblick:
Thu ich wer Ohren hat, zu wissen Jeden
Daß nächsten Winter, ohne mehr Verspäten,
Ja eher noch, hie wo wir sind und stehn
Ein Menschenhäuflein wird zu Tag erstehen
Der Ruhe Feind, und ohne Sitzefleisch.
Am hellen Tage ziehn sie mit Geräusch
Frey um und wiegeln alles Volk im Land
Zu Rotten auf, Partey und Widerstand.
Und wenn man ihnen glaubt und folgsam ist,
Hetzt dieß Geschlecht in offenbarem Zwist,
Was auch daraus entstehn mag und entstammen,
Die nächsten Freund und Vettern selbst zusamen.
Der kecke Sohn hält es für kleine Sünden
Sich wider seinen Vater zu verbünden:
Die Hohen selbst aus edelm Blut erzeugt,
Sehn von Vasallen sich bekämpft, verscheucht.
Gehorsam, Ehrerbietung, Dienerpflicht
Verlieren all ihr Ansehn und Gewicht:
Denn, ist ihr Wort, trifft jeden doch die Reih
Daß er erhöht, und dann erniedrigt sey.
Und wird ein solch Handiren seyn und Raufen,
Mishelligkeit und Hin- und -widerlaufen,
Daß keiner Zeiten wunderreiche Schrift
Von ähnlicher Verwirrung uns bericht.
Alsdann wird mancher ehrenwerthe Mann,
Weil er im Jugendmuth zu hitzig rann
Und solchem Trieb gefröhnet ungescheut,
Des Todes seyn nach kurzer Lebenszeit.
Und wird auch Keiner diesem Werk entsagen.
Wenn er erst einmal daran fand Behagen,
Bis er im Kampfgewühl mit Lärmen wild
Die Luft, das Land mit Schritten hat erfüllt.
Zu gleichen Theilen ehret man alsdann
Den Ehrvergeßnen und den Ehrenmann,
Weil alles wird am Glauben und Verlangen
Der tollen Meng und dummen Einfalt hangen;
Davon den Gröbsten man zum Richter macht.
Weh uns! welche grause Wassersfluth erwacht!
Fluth sag ich, und geschieht mit gutem Grund:
Denn diese Krankheit wird nicht eh gesund
Und wird davon die Erde nicht befreyt,
Bis Wasser jählings herschießt weit und breit,
Das mitten in des Handgemenges Hitze
Die Härtesten erweiche und besprütze:
Und das mit Fug, weil also kampfgewohnt
Ihr blutig Herz auch nicht der Thiere schont.
Von armen Heerden und unschuldgem Vieh
Verworfne Därm und Sehnen bringen sie
Den Göttern nicht zum Opfer, sondern weihn
Sie irdischem gemeinen Dienst allein.
Nun mögt ihr selbst erachten wie fortan
Das Ganze wohl im Gleise mag bestahn,
Und welche Ruh bey also blindem Wüthen
Des runden Triebwerks Körper sey beschieden.
Die, denen er die höchste Huld erweist,
Die Reichsten bläun und martern ihn zumeist
Und werden allerweis und wegen ringen
Ihn einzufangen und ins Joch zu zwingen:
Bis daß der Arme, gar zu Fall gebracht,
Nicht Zuflucht weiß als Den der ihn gemacht.
Und was das Härteste zu seiner Pein:
Eh noch die Sonne wird im Westen seyn,
Wird sich Verfinstrung über ihn ergiessen,
Mehr denn bey Nacht und Sonnenfinsternissen,
Die ihm die Freyheit raubt auf Einen Schlag,
Und höchste Himmelsgunst, den heitern Tag,
Ihn mindestens zur Wüste wird entstellen.

Doch lang vor dieser Noth und Unglücksfällen
Wird ein so furchtbar Bidmen jedermann
Ganz öffentlich an ihm verspüret han,
Daß Aetna damals minder ward bewegt
Als er auf Titans Sohn sich niederlegt',
Auch die Erschüttrung von Inarime
So jähling zu erachten nimmermeh,
Als die Gebirge voller Aergerniß
Typhöus abhub und ins Wasser schmiß.

Also in wenig Augenblicken scheitert
Sein Glück, so wird er hin und her geschleudert,
Daß wer ihn kurz zuvor ins Garn gebracht,
Der Folgemann ihn drum nicht streitig macht.
Dann ist die gute güldne Zeit nicht fern,
Da sich zu Ende neigt dieß lange Zerrn;
Denn vor den Wasserströmen nur gedacht
Wird jeder auf den Rückzug seyn bedacht.
Wiewohl, bevor sie auseinander gehn
Man offenbar in Lüften wird ersehn
Ein grosses Feuer hitziglich entzündet,
Davor der Spuk und Wasserschwall verschwindet.
Und wird von solchen Händeln seyn der Schluß,
Daß die Erwählten sich im Ueberfluß
Und Himmels-Manna alles Guten letzen,
Und daß man ausserdem sie reich mit Schätzen
Begabt; die Andern aber auf die letzt
Nackt auszieht, wie man recht und billig schätzt;
Damit, nach so gestillten Sturm und Drange
Ein jeder sein bescheiden Theil empfange.
Also gegeben. Ehret hoch den Mann
Er bis ans Ende treu beharren kann.

Nachdem dieß Denkmal zu End verlesen, erseufzt' Gargantua tief, und sprach zu den Versammelten: Es ist nicht von heut daß man die treuen Bekenner des evangelischen Glaubens verfolget. Aber selig wer sich nicht ärgert und, unzerstreuet und unverruckt durch seine fleischlichen Gelüsten, stetig dem Ziel und Zweck nachjagt, den Gott durch seinen lieben Sohn uns fürgesteckt hat. Darauf sprach der Mönch: Was meint ihr denn in euerm Sinn daß dieses Räthsel sagen und bedeuten woll? – Was anders, sprach Gargantua, als den Verfall und die Erhaltung göttlicher Wahrheit? – Nun beym Sankt Goderan, rief der Mönch, dieß stimmt zu meiner Auslegung schlecht: es ist des Propheten Merlin Stylus: thut ihr Allegorien und Verständniß drein so tief ihr wollt, und grübel die ganze Welt darüber so lang sie mag, ich, meines Theils, seh keinen andern Sinn dahinter als eine Beschreibung des Ballenspiels unter verblümten Redensarten. Die das Volk aufwiegeln, das sind die Partien-Macher, welches gemeinlich gute Freund sind: und wenn sie die beyden Gäng gemacht, kommt der aus dem Spiele der darinn war, und der Andre hinein. Man glaubt dem Ersten welcher sagt ob der Ballen über oder unter der Schnur gegangen. Das Wasser ist der Schweiß. Die Schnüren der Racketten sind gemacht aus Hammel- und Ziegendärmen. Das runde Triebwerk ist der Ballen oder Fangball. Nach dem Spiel erfrischt man sich bei einem guten Feuer und ziehet frische Hemder an, zecht auch und banketiret gern, doch lustiger die gewonnen haben. Und geht dann hoch her.

Zweytes Buch.

Inhaltsverzeichnis

Pantagruel der Dipsoden König in sein ursprünglich Naturell wiederhergestellt, nebst dessen erschrecklichen Heldenthaten und Ebentheuern: verfaßt durch Meister Alcofribas Nasier, Seligern, der Quintessenz Abstractor.


Zehn-Reim

Meister Hugo Salel's an den Author dieses Buches.

Wenn man den Author welcher sich befliß
Mit Nutzen Süssigkeit zu mischen, preist:
Wird man dich loben: dessen sey gewiß.
Ich habs erkannt; dieweil Dein Sinn und Geist
In diesem Büchlein was uns frommt zumeist
So wohl geschildert hat mit heitern Mythen,
Daß mich bedünkt ich sehe Demokriten
Und hör ihn lachen über unsre Streich.
Drum laß nicht ab! und bleibt Dein Lohn hienieden
Dir aus, er harret Dein im Himmelreich.

Des Authors Prologus.

Inhaltsverzeichnis

Sehr treffliche und mannhaftige Degen, edle freye gestrenge Herren und all ihr andern die ihr euch gern jedweder Anmuth und Tugend befleisigt: ihr laset, aset und ermaaset unlängst die grosse unschätzbare Chronik des ungeheuren Riesen Gargantua, und habt als wahre Gläubige daran so steif und fest geglaubt als an ein heiligs Evangelium oder unfehlbaren Bibeltext; auch manchmal euch die Zeit damit nebst den ehrsamen Frauen und Fräulein vertrieben, wann ihr ihnen, just müssig, daraus fein lange und schöne Geschichten erzähltet. Derhalben gebühret euch denn groß Lob und ein unsterblichs Ehrengedächtniß. Und wenn es meinem Willen nachging, sollt sich ein Jeder seiner besondern Geschäft entschlagen, um sein Gewerb nichts kümmern, all sein sieben Sachen gar aus dem Sinn thun, um lediglich hierinn zu leben mit äusserlich ganz unzerstreuten gesamelten Sinnen, bis mans zuletzt auswendig wüßt. Daß, wenn die Kunst zu Drucken etwann durch Zufall abkäm, oder künftig die Bücher all zu Grunde gingen, ein Jeder es seinen Kindern haarklein einlernen möcht und von Hand zu Hand auf Erben und Nachfahren weiter pflanzen, wie eine heilige Kabbala. Denn es ist weit mehr Furcht darinn als sich ein ganzer Haufen grober Hachen und Grindköpf träumen läßt, die von diesen kleinen Fröhligkeiten viel weniger verstehn als Raclet vom Institut. Ich hab wohl manche hohe, gebietende Herrn gekannt die, wenn sie auf die grosse Thierhatz oder Entenbaitz ausritten und sich begab daß sich das Wild nicht auf dem Bruch betreten ließ, oder der Falk irr ward und ihnen der Vogel vor ihren Augen entging, waren sie wohl wie ihr leicht einseht, unwirsch genug: doch ihre Hülf und Zuflucht gegen Erkältung einstweilen war dann die Recapitulation der unschätzbaren Thaten unsers Gargantua. Andre sind auf der Welt (und dieß sind keine Flausen) die vom Zahnweh hart geplagt ihr ganz Vermögen ohn allen Nutzen an die Aerzt und Baader schon verschwendet hatten; sie haben kein kräftiger Mittel erfunden als vorernannte unsre Chronik säuberlich zwischen zween warmen Läpplein auf die schmerzhafte Stell gelegt, mit etwas Güldenpulver besinapt. Aber was soll ich erst von den armen Gichtbrüchigen und Venerischen sagen? O wie oftmals haben wir sie gesehen wenn man sie eben gesalbt und über und über eingeschmiert hätt daß ihnen die Gesichter wie Schlösser an einem Fleisch-Scharren leuchteten, und die Zähn im Halse klappten wie ein Spinett oder Orgelklavier wenn man drauf spielt, und ihnen der Schaum vorm Mund stand wie einem Eber den der Brack im Garne zaust! Was thätens dann? Ihr einziger Trost war, eine Seit aus obigem Buch verlesen hören. Und haben ihrer darunter gesehen die sich zu hundert Pipen voll steinalter Teufel verschworen haben, wo sie aus Lesung dieses Buchs nicht merkliche Schmerzenslinderung schöpften wenn man sie eben in Limbo hielt. Nicht mehr noch minder als die Weiber in Kindesnöthen, wann man ihnen das Leben der heiligen Margret vorliest. Ist dieß ein Kleines? Zeiget mir in welcher Facultät, Sprach oder Wissenschaft ihr wollt das Buch, das solche Tugend, Eigenschaft oder Fürzug hätt, und ich zahl die Darm-Schwemm. Nein, nein, ihr Herrn, es ist unvergleichlich, ohn Beyspiel, hat seines Gleichen nicht. Ich behaupts bis zum Feuer exclusive. Und die es etwann leugnen wollten, soll man für Lästrer, Prädestinirer, Betrüger und Leutebescheisser halten. Zwar find man schon noch in etlichen Büchern vom hohen Pferd, gewisse verborgne Proprietäten und Eigenschaften, darunter zu rechnen: Stürzebecher, der rasende Roland, Robert der Teufel, Fierabras, Wilhelm ohn Furcht, Huon von Bourdeaulx, Monteville, Matabrune: aber sie kommen diesem nicht bey, von dem wir hie reden. Auch hat die Welt durch unumstößliche Erfahrung den großen Gewinn und Nutzen erkannt, der ihr aus dieser Gargantua's-Chronik erwachsen ist: denn die Buchdrucker haben in zween Monden mehr davon verkauft als man neun Jahr lang wird Bibeln kaufen. Derhalb ich dann (als euer unterthäniger Sklav) auf Mehrung eurer Kurzweil bedacht, anitzo euch ein ander Buch von gleichem Schrot und Muster darbring, nur daß es noch etwas manierlicher und glaubhafter ausfallen wird denn jenes. Denn denkt nur nicht (wo ihr nicht gar mit Vorsatz irren wollt) ich spräch davon wie die Juden vom Gesetz. Bin unter solchem Stern nicht geboren: und ist mir noch nimmer arrivirt daß ich je gelogen oder ichtes das nicht streng wahr wär, betheuert hätt. Agentes et consentientes, ist zu sagen: wer kein Gewissen hat, der hat gar nix. Ich bericht davon wir ein lustiger Onokrotalus, wollt sagen wie ein Podromus der verliebten Martyr, und Noth-Notarius ihrer Liebesnoth. Ich schreib wie Sankt Johann von der Apokalyps, quod vidimus testamur: nämlich, von den erschrecklichen Heldenthaten und Ebentheuern Pantagruels, dem ich seit ich die Kinderschuh vertreten hab bis diese Stund um Lohn gedienet; da ich dann mit seinem Urlaub einen Rutsch in mein Küh-Land auf Besuch gemacht hab, mich umzuschauen wer noch etwann von meinen Leuten das Leben hätt. Drum, diesem Fürwort ein End zu machen: gleichwie ich mich zu meinem Theil mit Leib und Seel, mit Darm und Dung in hunderttausend Spraukorb voll ansehnlicher Teufel wünsch wo auch nur ein einig Wort in der ganzen Geschicht erlogen ist: so baitz Euch wieder Sankt Tönigs Feuer, Sankt Asmus Haspel zerwirr euch die Därm, der Klamm, der Wolf schlag euch zu Leib, Blutscheiß, und Fiekbohn, rickrack zu! so dicht wie Haar an einer Kuh gepfeffert mit Quecksilber fahr euch in den Hintern immerdar, und müsset wie Sodom und Gomorrha in Feuer und Schwefel zum Abgrund gehn, wo ihr nicht festiglich alles glaubet was ich in gegenwärtiger Chronik euch nach der Reih berichten werd.

 

Zehn-Reim

des Authors fröhligem Geist zu Ehren neu gestellet.

Fünfhundert Zehn-Reim, tausend Dreh-
Und Wirbelsang-Rouladen
Anmuthig wohl gerathen
Von Marot oder Saingelais,
Ohn Säumen baar erlegt in Näh
Und Beyseyn der Dryaden,
Hymniden Dreaden,
Bezahlten nicht, noch Pantalais
Mit ganzen Ballen von Balladen
Den muntern klugen Rabelais.

Viertes Kapitel.

Von des Pantagruels Kindheit.

Inhaltsverzeichnis

Ich erseh aus den alten Historienschreibern und Poeten daß manche Leut zwar seltsamer Weis zur Welt sind kommen, das zu erzählen weitläufig wär: leset darüber, wenn ihr Zeit habt, das siebente Buch im Plinius nach: aber dergleichen wunderbare Geburth wie des Pantagruel, habt ihr doch nimmer noch erhöret. Denn es war schier unglaublich wie er an Leib und Leibeskräften zunahm in kurzer Zeit, und Herkules der die zween Schlangen in der Wieg erdruckt', war nichts dagegen; denn die Schlangen waren doch nur klein und gebrechlich: Pantagruel aber in seiner Wieg vollbracht die schauderhaftesten Ding. Ich red hie weiter nicht davon, wie er auf einen jeden Imbiß die Milch von viertausend sechshundert Kühen sog, und wie zu Fertigung eines Pfännleins darinn sein Brey gekocht ward, alle Pfannenschmiede von Saulmur in Anjou, von Villedieu in Normandi und von Bramont in Lothringen angestellt wurden; welchen Brey man ihm sodann in einem grossen Stein-Trog fürsetzt', der noch gegenwärtig zu Bourges beym Rathhaus stehet. Es waren ihm aber die Zähn bereits so fest gewachsen, daß er aus nurgedachtem Trog ein grosses Stück herausbiß, wie noch deutlich daran wahrzunehmen.

Eines Morgens als man ihm auch seiner Milchküh eine zum Säugen bracht (denn andre Ammen hätt er niemals, so viel uns die Geschicht lehrt) macht' er sich aus den Wiegenbändern darinn er geschnüret lag, einen Arm frey, packt' euch mein Kühlein unterm Knie, und aß ihm beyde Eiter und den halben Bauch ab samt Leber und Nieren, ja hätt es gänzlich aufgezehrt, wenn es nicht mörderlich geschrien hätt als ob es die Wölf an den Beinen zausten. Auf solchs Geschrey lief alles zu und entzogen die Kuh dem Pantagruel; ging aber doch nicht so säuberlich ab, daß er das Knie nicht in der Hand behalten hätt, wie ers just hielt. Das aß er rein auf, wie ihr eine Wurst ässet: und als man ihm den Knochen wollt nehmen, schlang er ihn alsobald hinunter gleich wie ein Seerab ein kleines Fischlein, erhub darauf die Stimm und sprach: bon bon bon bon! weil er noch nicht viel reden konnt, damit er wollt zu verstehen geben, daß ers trefflich bon befunden hätt und nichts mehr als noch einen solchen Bissen ihm wünscht'. Wie seine Wärter dieses sahen, banden sie ihn an starke Kabel, wie die, so man zu Tain schlägt zum Transport des Salzes gen Lyon, oder auch wie die Tau am grossen Franken-Schiff zu Port de Grace in Normandi. Als aber einmal ein grosser Bär den sein Vater hielt, entsprungen war und auf ihn zu kam, ihm das Gesicht belecken wollt, denn die Zofen hatten ihm just das Schnäuzel nicht allzusauber gewischt, entschlug er sich der Kabel so flink wie Simson unter den Philistern, packt' euch den Monsieur Bären an, und pflückt' ihn wie ein Hühnel in Stücken, worauf er ihn zu seiner Mahlzeit als guten warmen Braten verspeißt'. Da ließ Gargantua, besorgt daß er ihm einen Schaden thun möcht, vier schwere eiserne Ketten schmieden, nebst in die Wiegenränder wohl verfugten Streben, ihn dran zu legen. Und findet ihr von diesen Ketten noch eine zu Rochelle, womit man alle Abend die beyden grossen Hafen-Thürn sperret: die andre ist zu Lyon, die dritt zu Angiers, und die vierte ward von den Teufeln geholt, den Luzifer daran zu legen, der um die Zeit in einer Cholik die ihn aus der Maasen peinigt', weil er eines Schergen Seel im Fricassee zum Imbiß gegessen, entspringen wollt' – demnach ihr dann wohl glauben dürft was Nikolaus de Lyra über eine Stell im Psalter sagt, wo geschrieben stehet: Et Og regem Basan, das selbiger Og als kleiner Bub schon so stark und kräftig gewesen sey, daß man ihn mit eisernen Ketten in seiner Wieg hab anbinden müssen. – Und also blieb er dann still und geduldig, denn die Ketten konnt er nicht so leicht zerreissen, zumal er in der Wiegen nicht satt Schwungraum für die Arm hätt. Nun aber merket was einmal an einem hohen Fest sich zutrug, als eben sein Vater Gargantua allen Prinzen seines Hofs einen schönen Schmaus gab. Ich glaub gern, das sämmtliche Gesind im Haus hätt mit den Gästen so viel zu schaffen, das man sich um den armen Pantagruel nicht groß kümmert', und ihn also in Stichibus ließ. Was thät er? Was er thät, ihr lieben Leut'? Nun höret. Erst versucht er mit den Armen die Ketten der Wieg entzwey zu reissen; aber es ging nicht, denn sie waren zu fest; dann strampft' er mit den Beinen so lang bis er der Wieg den Boden eintrat, der doch aus einem starken, sieben Kubikspann dicken Pfosten gemacht war: und wie er jetzt die Füß heraushätt, ruckt' er sich so weit er konnt herunter, bis er mit den Füssen die Erd erreicht'. Darauf erhub er sich mit Macht, und trug also gebunden die Wieg auf dem Rückgrat davon wie eine Schildkröt die an einer Mauer hinan kreucht; daß man ihn auf den ersten Anblick für ein groß Kraak von fünfhundert Tonnen, so aufrecht stünd, gehalten hätt. Solchergestalt begab er sich in den Saal wo banketiret ward und erschreckt' die da Versammelten fürwahr nicht wenig. Weil ihm aber die Händ inwendig geschlossen waren, konnt er nichts zu essen erreichen, sondern bückt' sich mit schwerer Müh ob er etwann mit der Zung ein Mumpfel erwischen möcht. Welches als sein Vater sahe, ward er wohl innen daß man ihn ohn Nahrung gelassen, und befahl auf den Rath der versammelten Fürsten und Herren daß man die Ketten ihm abnehmen sollte: zumal auch des Gargantuä Leibärzt der Meinung waren daß, wenn man ihn so in der Wieg hielt, er sein Lebtag am Stein und Gries würd zu leiden haben. Als er nun los war, ließ man ihn mit niedersitzen: da hieb er sehr tapfer ein, und schlug gedachte seine Wieg in mehr denn fünfhunderttausend Stücken mit einem einzigen Faustschlag, denn er im Ärger mitten darauf verführt': mit Protest in seinem Leben nie einen Fuß mehr drein zu setzen.

Zwölftes Kapitel.

Wie Herr von Saugefist vor dem Pantagruel plädirt.

Inhaltsverzeichnis

Drauf hub der Herr von Saugefist an wie folget: Gnädigster Herr, und ihr andern Herren, wenn die Bosheit der Menschen so leicht nach kategorischem Urtheil erkannt würd, als man die Mucken im Milchnapf sieht, so wird das Vier Ochsen-Land von den Ratzen nicht so zerfressen seyn als es ist, und manche zu schimpflich gestutzte Ohren würden annoch auf Erden seyn. Denn obschon was die Geschicht des Facti und den Buchstaben anbetrifft, des Gegners Bericht auf ein Härlein wahr ist, so sieht man doch gleichwohl, meine Herren, die Listen, Schlich und die feinen Häklein, und sieht wo der Hund begraben liegt.

Muß ich mir etwann gefallen lassen daß, wenn ich schlecht und recht mein Supp eß, nichts übels weder thu noch denk, man mit der Thür mir in das Haus fall, den Kopf toll mach und das alte Lied in die Ohren dut:

Wer trinket wann er ißt sein Supp,
Nach seinem Tod thut keinen Schluck?

depiscando Froschibus(Salvopleno jureTunch,quid juris pro minoribus?