Dr. Laurin – 149 – Ich kann - und will nicht mehr hassen

Dr. Laurin
– 149–

Ich kann - und will nicht mehr hassen

Kommt Lis auf bitteren Umwegen doch noch zur Erkenntnis?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-973-3

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Dr. Leon Laurin war immer verunsichert, wenn eine der beiden Schwestern Bischoff zu ihm kam.

Obwohl Lisanne zwei Jahre älter war als Annette, sahen sie sich nahezu unheimlich ähnlich, und wer sie nicht ganz genau kannte, musste überlegen, wen er nun eigentlich vor sich hatte.

Als jedoch dann Ernst Bischoff mit einem Kreislaufzusammenbruch in die Prof.-Kayser-Klinik eingeliefert wurde, brauchte Dr. Laurin nicht mehr zu überlegen, mit welcher der Schwestern er es zu tun hatte.

Nur Annette besuchte ihren Vater. Ganz beiläufig hatte sie bemerkt, dass Lisanne sich auf einer langen Auslandsreise befände und noch nicht verständigt werden konnte.

Dr. Laurin fragte nicht weiter. Er wusste inzwischen, dass es zwischen Ernst Bischoff und Lisanne Differenzen gegeben hatte. So groß die äußere Ähnlichkeit zwischen den Schwestern auch war, im Charakter waren sie grundverschieden.

Lisanne war temperamentvoll, oberflächlich und sehr materiell eingestellt.

Annette war feinsinnig, künstlerisch begabt, sehr zurückhaltend, und seit dem Tod der Mutter sorgte sie liebevoll für ihren Vater, den Gutsherrn und Sägewerksbesitzer Ernst Bischoff.

Er war ein guter und gerechter Vater, aber vielleicht hatte er Li­sanne früher doch ein bisschen vorgezogen, weil er mit ihr mehr anfangen konnte als mit dem Sensibelchen Annette, die so zart war und so sehr an der Mutter hing.

Er sollte später froh und dankbar sein für diese Tochter, denn Lisanne bereitete ihm viel Kummer. Doch darüber wurde nicht geredet.

Annette machte sich nun große Sorgen um ihren Vater. Sie verbrachte viel Zeit an seinem Krankenbett, und endlich schien es, als hätte er alles überstanden.

Annette atmete auf, als sie einmal länger mit ihm sprechen konnte, denn es gab so manches zu bereden. Der Betrieb auf dem Gut und im Sägewerk musste weitergehen. Sie konnte nicht überall sein, und ihr Vater hatte sich früher nie darüber geäußert, wer einmal, wenn er krank werden würde, die Geschäfte übernehmen sollte.

Ganz vorsichtig brachte sie das Gespräch darauf.

»Ich weiß, ich weiß, meine Kleine, ich hätte früher daran denken sollen, dass ich einmal abtreten muss«, gab er mit schleppender Stimme zu, »aber es kam dann doch überraschend.«

»Du wirst ja wieder gesund, Papa, aber momentan fällt so vieles an … Der Steuerprüfer hat sich angemeldet, da weiß ich überhaupt nicht Bescheid.«

»Dafür ist Buchholz zuständig. Auf ihn ist Verlass. Und mit Hennig würde ich gern über das Sägewerk reden. Er soll heute Nachmittag kommen.«

»Du hast doch nichts an ihm auszusetzen?«, fragte sie bestürzt.

»Im Gegenteil. Ich werde ihm Prokura geben. Ich habe einen Warnschuss vor den Bug bekommen, Nanni.«

Er nannte sie gern so. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie den Namen Nanette bekommen, wie ihre Mutter, aber das hatte diese nicht gewollt. So brauchte Ernst Bischoff den Namen Nanni als Kosenamen, nachdem seine Frau gestorben war.

Annette atmete insgeheim auf, denn ich wäre es arg gewesen, wenn Hennig Schwierigkeiten bekommen hätte.

»Ich werde es Hennig ausrichten, dass er dich bald besucht, Papa. Du brauchst noch viel Ruhe.«

Es zuckte um seinen Mund, und er ergriff ihre Hand.

»Du bist ein gutes Kind, Nanni. Sag, magst du Henning? Du brauchst es allerdings nicht zu sagen, ich weiß es. Es wäre mir schon ein großer Trost, wenn du es ihm auch zu verstehen geben würdest. Ich will nicht, dass du die Last allein trägst. Ich will aber auch nicht, dass der Name Bischoff nichts mehr gilt.«

»Ich will nicht, dass du dir solche Gedanken machst. Du wirst gesund werden, Papa, du darfst jetzt nur nicht resignieren.«

Er wusste es besser. Er würde nicht mehr gesund werden. Es hatte schon seinen Grund gehabt, dass der Zusammenbruch kam. Dahinter steckte mehr.

Schon lange hatten ihn Schmerzen geplagt. Nun wusste er, dass er Krebs hatte, Magenkrebs. Und er sollte baldmöglichst operiert werden. Aber das wollte er Annette noch nicht sagen. Er glaubte auch nicht mehr daran, dass ihm noch geholfen werden könnte, so groß auch sein Vertrauen zu den Ärzten der Prof.-Kayser-Klinik war.

Er wollte gern noch eine Weile leben, denn er war noch keine sechzig Jahre alt, aber er fühlte, dass seine Zeit bald zu Ende war, und er wollte sein Haus wohlbestellt wissen.

Als Annette ging, sah sie Dr. Schubert kommen, den Anwalt der Familie. Hatte ihr Vater ihn bestellt, oder war es nur ein Anstandsbesuch?

»Wie geht es Ihrem Vater, Annette?«, fragte er.

»Heute etwas besser, aber er darf nicht überanstrengt werden.«

»Sei unbesorgt, ich werde mich nur ein paar Minuten zu ihm setzen.«

Er verriet nicht, dass Ernst ihn dringend um seinen Besuch gebeten hatte, und er hatte eine leise Ahnung, dass es dafür einen triftigen Grund gab.

Zu Annette sagte er davon nichts. Er konnte sie auch gut von Lisanne unterscheiden – und nicht nur deshalb, weil Lisanne nicht im Lande war.

Annette fuhr heimwärts, machte aber zuerst beim Sägewerk Halt. Sie wurde höflich von den Arbeitern gegrüßt. Sie war beliebt, weil sie immer freundlich war.

Henning Leonhard war nicht im Büro. Annette fand nur Lotti Trinkel vor, die die Schreibarbeiten erledigte, ein nettes, sehr rundliches Mädchen, das gleich von der Handelsschule zu ihnen gekommen war. Sie hatte sich sehr schnell eingearbeitet und war sichtlich froh, in einem Büro arbeiten zu können, wo sie nicht von anderen wegen ihrer überflüssigen Pfunde gehänselt wurde.

»Herr Leonhard ist nach Starnberg zum Gericht«, berichtete Lotti, als Annette nach Henning gefragt hatte.

»Zum Gericht?«, fragte Annette erschrocken.

»Wegen seines Autos. Es wurde wiedergefunden.«

»Du lieber Himmel, es ist doch schon ewig her, dass es gestohlen wurde.«

Lotti zuckte nur die Schultern. »Es ist sicher nicht mehr zu gebrauchen. Kann ich Herrn Leonhard etwas ausrichten?«

»Er möchte mich bitte sofort anrufen, wenn er kommt. Ich bin zu Hause.«

»Wird gemacht. Darf ich fragen, wie es dem Chef geht?«

»Heute etwas besser.«

»Hoffentlich ist er bald wieder ganz gesund. Für Sie ist es doch einfach zu viel, wenn ich das sagen darf. Sie sind ja nur noch ein Strich in der Landschaft. Entschuldigen S’ bitte, das ist mir so herausgerutscht.«

»Danke für die Anteilnahme, Lotti. Ich bin zäh. Natürlich kann ich meinen Vater nicht ersetzen, aber wir werden eine Lösung finden, wenn er noch länger in der Klinik bleiben muss.«

Sie verabschiedete sich, und Lotti blickte ihr mit traurigen Augen nach. Sie hatte so eine bange Ahnung, dass der Chef nicht mehr wiederkommen würde. Sie hatte nämlich manchmal Visionen, über die sie allerdings nur selten mal sprach – und dann auch nur, wenn sie was Gutes bedeuteten. Aber sie hatte Ernst Bischoff im Sarg gesehen, und Lisanne hatte Annette beschimpft.

Dieser Traum ging ihr nicht aus dem Sinn, und sie sorgte sich jetzt schon um Annette.

Die hatte davon freilich keine Ahnung, und sie machte sich ganz andere Gedanken, weil ihr plötzlich einfiel, dass Hennings Wagen zur gleichen Zeit verschwunden war, als Lisanne ihre große Reise antrat. Das war nun schon über drei Monate her.

Der Wagen war wieder aufgetaucht, vielleicht kam sie nun auch zurück, wenn man das als Omen nehmen wollte.

Blödsinn, dachte Annette, wie komme ich nur auf solche Gedanken?

Thekla hatte das Essen hergerichtet. Annette setzte sich zu ihr an den Küchentisch. »Ich esse gleich hier«, sagte sie. »Ich muss nachher wieder weg, Thekla.«

»Du musst in Ruhe essen, sonst bleibt gar nichts hängen«, mahnte die getreue Wirtschafterin. »Du wirst immer dünner.«

»Fang du nicht auch noch damit an!«

Aber Thekla durfte sich alles erlauben. Sie kannte Annette von den ersten Lebenstagen an, und sie hatte das zarte Baby, das eine Frühgeburt gewesen war, zuerst als Kinderschwester aufgepäppelt. Dann war sie im Hause Bischoff geblieben, weil Nanette Bischoff ständig kränkelte. Aber sie war eine geduldige, liebenswürdige Frau gewesen und dankbar für Theklas Treue.

Thekla war sogar ganz gut mit Lisanne fertig geworden, aber Annette war immer ihr Liebling gewesen.

»Papa geht es heute etwas besser«, erzählte Annette, weil sie wusste, dass Thekla nicht gern von sich aus fragte. »Aber er will Henning größere Vollmachten einräumen.«

»Das wird gut sein, auf Henning ist Verlass«, meinte Thekla. »Du magst ihn doch auch, oder?«

»Jeder denkt das wohl«, meinte Annette verlegen.

»Stimmt es etwa nicht?«

»Ich leugne es doch nicht, aber man sollte es mir nicht ansehen.«

»Das tun wohl auch nur die, die dich gut kennen.«

Annette lenkte auf ein anderes Thema über.

»Wenn es bei dir nicht so gut schmecken würde, hätte ich gar keinen Appetit, Thekla. Ich muss auch mal so gut kochen lernen.«

»Du hast genug zu tun, während das gnädige Fräulein sich in der Welt herumtreibt und nur Geld ausgibt.«

Es klang zornig.

Ja, auch das machte Annette Sorgen, dass Lisannes Konto längst überzogen war. Das war ihr von der Bank mitgeteilt worden, aber sie hatte es dem Vater nicht sagen wollen. So hatte sie das Konto mit ihrem Geld ausgeglichen, aber es gleichzeitig sperren lassen. Vielleicht konnte sie Lisanne so zur Rückkehr zwingen, da sie sonst keine andere Möglichkeit sah.

»Weißt du endlich, wo sie steckt?«, fragte Thekla.

»Nein. Aber stell dir vor, Hennings Wagen wurde gefunden. Er ist deshalb zum Gericht nach Starnberg.«

»Wenn der man nicht von einem von Lisannes zwielichtigen Freunden gestohlen wurde«, sagte Thekla grimmig. »Ist doch komisch, dass sie zur gleichen Zeit abgedampft ist.«

Thekla hatte sich darüber noch ganz andere Gedanken gemacht als sie selbst.

Annette sah die Ältere bestürzt an. »Das meinst du doch nicht wirklich, Thekla?«

»Natürlich! Das waren doch alles nur Tagediebe, mit denen sie verkehrte. Und die müssen sich ja irgendwie Geld beschaffen. Es ist schlimm, dass ich so was denken muss, aber ich weiß, dass sie in schlechte Gesellschaft geraten ist. Es ist genug getuschelt worden.«

»Man soll nichts auf Klatsch geben. Lisanne verkauft sich nicht unter Wert.«

»Viel benutzte Ware bringt man nicht mehr an den Mann«, murmelte Thekla.

Annette kannte ihre Weisheiten, aber in Bezug auf Lisanne wollte sie solche doch nicht hören. Sie ging in ihr Büro, das sie sich im Haus eingerichtet hatte, weil sie da ungestört arbeiten konnte.

Sie brauchte nicht mehr lange auf Henning zu warten. Er kam schon wenig später.

Er war die verkörperte Zuverlässigkeit. Er strömte Ruhe und Standhaftigkeit aus, ein Fels in der Brandung wie Thekla von ihm gesagt hatte. Er war groß, blond und breitschultrig, hatte warme graue Augen und ein markantes Gesicht.

»Was gibt es Dringendes, Annette?«, fragte er.

»Papa möchte dich sehen, so bald als möglich. Ich schlage vor, du fährst gleich zur Klinik.«

Seine Augen verdunkelten sich. »Es geht ihm doch nicht etwa schlechter?«, fragte er heiser.

»Nein, er ist ansprechbar und wohlauf. Deshalb möchte er dich auch sehen. Er macht sich Sorgen ums Geschäft.«

»Dann bin ich schon unterwegs. Ich wäre sehr froh, wenn du dir nicht mehr solche Sorgen machen müsstest, Annette. Pass auf dich auf, damit du nicht auch noch krank wirst.«

»Ihr seid zu besorgt, aber es ist lieb, dass ihr an mich denkt.«

Er sah sie an, wollte wohl etwas sagen, aber sie las nur in seinen Augen, was sie so gern hören wollte.

»Ich komme nachher noch mal zu dir«, sagte er hastig.

»Dann musst du mir auch erzählen, wo dein Auto gefunden wurde.«

»Es ist schrottreif. Bis nachher«, meinte er, und schon fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

*

Zehntausend Kilometer entfernt stand Lisanne Bischoff vor einer Bank in Südamerika und ballte die Hände zu Fäusten. Ihre langen Fingernägel drückten sich schmerzhaft in die Handflächen, aber sie brauchte jetzt diesen Schmerz, um nicht um sich zu schlagen. Sie war außer sich vor Wut, in die sich aber auch Angst mischte.

Jetzt stand sie mit gerade noch vierzig Dollar in der Tasche da. Ihr Konto war gesperrt. Es gab kein Geld mehr. Das konnte ihr Vater doch nicht tun! Ihr Verstand sagte ihr aber, dass er es konnte, denn sie hatte nicht überlegt, wie viel Geld sie ausgegeben hatte. Immerhin mussten es mehr als vierzigtausend Euro gewesen sein, denn auf diesen Betrag war ihr Konto gedeckt. Genau genommen konnte sie es bis zu diesem Betrag überziehen.