Der Earl von Gaudibert

Der Earl von Gaudiber

M. W. Ludwig

 

Information zur Reihe

Der Earl von Gaudibert

 

Teil 1

Der Earl von Gaudibert – Eine Novelle

 

Teil 2.1

Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis

Der Fluch des Vincent St.John-Smythe

 

Teil 2.2

Der Earl von Gaudibert gegen die Mächte der Finsternis

Die Loge der Lucretia

 

Erscheinen beide 2019 im Art Skript Phantastik Verlag

 

Impressum

 

Copyright © 2017 Art Skript Phantastik Verlag

Copyright © 2017 M.W. Ludwig

 

Lektorat/Korrektorat » Marion Lembke

www.mysteryofbooks.de

 

Gestaltung » Art Skript Phantastik Verlag

Cover-Foto Mond » David Knospe

www.davidknospe.de

 

Der Verlag im Internet

www.artskriptphantastik.de

 

 

Alle Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Es werden Ihnen jedoch diverse historische Persönlichkeiten begegnen.

 

 

Über den Autor

 

 

M.W. Ludwig erblickte am 13.9.1977 das Licht der Welt. Bereits während seines Studiums der Germanistik und Anglistik in Aachen und Köln begeisterte er sich für das Abgründige und Fantastische. Danach arbeite er als Radiomoderator, Zeitschriftenkolumnist und Künstlermanager. Heute lebt er mit seiner Familie, Hunden und Katzen in Dresden und Düren (Rheinland), wo er eine Theatergruppe leitet und an neuen Ideen arbeitet. Bislang sind ein Ebook und einige Kurzgeschichten in gedruckter und gesprochener Form von ihm veröffentlicht worden.

 

 

Danksagungen

 

Ich danke Konstanze Thelen-Jordan für viel Geduld, Brainstorming und Zuversicht, George und Ivan und noch vieles mehr… Mit Sicherheit würde der Geschichte ohne Deine Hilfe etwas sehr Wichtiges fehlen! Für Übersetzungen ins Russische, sowie viel Schulterklopfen und unermüdliche Unterstützung danke ich Regine Jordan.

Ich danke Kanchalak Suriyaphan (กัลย์จลักษณ์ สุริยะพันธ์) für schnelle und zuverlässige Übersetzungen auch abwegigster Sätze ins Thailändische (ohne je an meiner Rechtschaffenheit zu zweifeln).

Stefan Keirat danke ich für spontane und sorgfältige Übersetzungen ins Lateinische. Meinen Eltern sowieso.

 

Für Inspiration (auch, wenn sie sich nicht mehr wehren konnten): H.G. und Orson Wells, George Orwell, Arthur Conan Doyle, Charlie Chaplin nebst Familie, Fritz Lang und Jules Verne, ganz besonders George Méliès.

 

Ich zitiere Moon for sale mit freundlicher und sehr unkomplizierter Erlaubnis von Kai und Thorsten Wingenfelder.

 

Grit Richter danke ich sehr herzlich, dafür, dass sie mir den Trip zum Mond (oder so) ermöglicht und mir mit großem Vertrauen viele Freiheiten bei der Reisevorbereitung gelassen hat. Zudem für das wunderschöne Cover, das mir schon sehr früh ein guter Anschub war.

 

Nicht zuletzt meiner Familie. Ohne Euch hätte ich es nicht hinbekommen. Danke, dass Ihr meine Mondreise-Schrulle mitgetragen habt!

 

Und natürlich danke ich Ihnen, werte Leserin/ werter Leser, dafür, dass Sie sich auf diese absolut und unbedingt wahre Geschichte eingelassen haben!

 

Für Lob, Kritik und falls Sie den Wunsch haben, den Earl und seine Mannschaft wiederzusehen, besuchen Sie mich auf Facebook oder schreiben Sie mir unter m-w.ludwig@gmx.de.

 

Ihr M.W. Ludwig

Dresden, 23. August 2016

 

 

In liebevoller Erinnerung an

Josef Thelen

Christel und Ludwig Neuerburg.

 

Für Bruno & Wilhelmine

 

Der Weg zum Mond ist mit guten Vorsätzen gepflastert. (sehr frei nach G. B. Shaw)

 

 

 

 

Seht ihr den Mond dort stehen?

Er ist nur halb zu sehen

und ist doch rund und schön:

so sind wohl manche Sachen,

die wir getrost belachen,

weil uns‘re Augen sie nicht seh‘n.

(Der Mond ist aufgegangen – M. Claudius)

 

Prolog

 

Für einen Gentleman gibt es nichts Schlimmeres (mit Ausnahme eines zu kurz gezogenen Darjeelings, eines labbrigen Steak and Kidney Pies, eines miesen Sitzplatzes in Ascot oder Wimbledon oder eines schlecht gestutzten Moustaches), als der Lüge bezichtigt zu werden.

Doch genau diese Schmach wurde Graham McPherson am Freitag, dem 18. Oktober, 291. Tag des Jahres 1895, zuteil. Dabei hatte dieser Abend so gut angefangen …

 

Kapitel 1

 

Der Himmel war ein einziges Sternenmeer. Ich erkannte die Gestirne, wie ich sie in Büchern und durch Fernrohre studierte hatte. Nur waren sie jetzt fast zum Greifen nah. In der Ferne funkelte die Erde wie eine Brosche auf schwarzem Samt. Die Erhabenheit dieser Aussicht war so überwältigend, dass sie mir Tränen in die Augen trieb.

Und doch blieb mir nicht viel Zeit, mich ihrer zu erfreuen, denn plötzlich ertönte hinter mir ein markerschütternder Schrei.

Augenblicklich fuhr ich herum. Der Anblick ließ mir das Mark gefrieren. Eben noch einsam und verlassen, hatte sich der Krater mit den absonderlichsten und scheußlichsten Kreaturen gefüllt, die man sich denken kann. Eine ganze Brigade stand dort versammelt und schnitt mir den Weg zu meinem Weltraumschiff ab.

Sie trugen merkwürdig martialische Harnische, die wie bunt-lackierte Ritterrüstungen oder die Kleidung asiatischer Samurai-Krieger aussahen. Ihre Gesichter waren zum Kampf geschminkt, wodurch sie noch bedrohlicher wirkten. Manche hielten Speere, andere Waffen, die wie Musketen schienen. Ein paar ritten auf diesen seltsamen Tieren, die ich zuvor auf den endlichen Steppen hatte grasen sehen und Mondkühe getauft hatte. Doch entgegen ihren friedvollen Erdvettern sahen diese Viecher nicht minder kampfeslustig aus wie ihre Reiter, und erinnerten mich an wilde Stiere in spanischen Arenen. Mechanische Vögel flatterten um sie herum und zwitscherten ein schrilles Lied.

Und so wurde mir eines bewusst: Der Schrei, den ich eben vernommen hatte, war Kriegsgeheul gewesen!

Doch blieb mir keine Zeit, diese Erkenntnis zu verarbeiten, denn just in diesem Augen-blick flog mir ihre Munition um die Ohren.

Als Munition dienten ihnen die abertausend Diamanten, die achtlos wie Kieselsteine in dem Krater lagen. Auf der Erde wären sie wohl ein Vermögen wert gewesen, für die Wilden auf dem Mond waren sie nichts weiter als Geschosse, die hart genug waren, ihre Feinde zu durchlöchern.

Von allen Seiten pfiffen die Diamanten vorbei und schlugen in die Felsen und baumhohen Pilzgewächse.

Geistesgegenwärtig griff ich nach meinem Regenschirm, den ich in weiser Voraussicht stets bei mir trug, und spannte ihn auf. Mit diesem Schutzschild gelang es mir tatsächlich, der Bande so lange die Stirn zu bieten, bis sie, des Schießens müde, zum Rückzug bliesen. Jedoch war ich mir darüber im Klaren, dass dieser Sieg nur von kurzer Dauer sein sollte. Wenn man eines von den Scharmützeln in Afghanistan gelernt hatte, dann dass man seinen Gegner niemals unterschätzen sollte.

Außerdem wollte mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf gehen. Nun, ich will weder mein Kampfgeschick noch meine Überlegenheit als Vertreter unseres großartigen Empires herabwürdigen, doch erschien mir der Aufwand, gar eine ganze Armee loszusenden, um mich zu fangen, etwas übertrieben. Das Auftauchen dieser wilden Kerle musste einen anderen Grund haben. Ich war sozusagen nicht mehr als ein Kollateralschaden oder ein bloßer Zeitvertreib auf ihrer eigentlichen Mission gewesen.

Der Gedanke beruhigte mich im ersten Moment, um mich dann sogleich wieder in Aufruhr zu versetzen. Zwar sollte es wohl bedeuten, dass die Burschen kein weiteres Interesse an einem Kampf mit mir haben mochten, doch stand in diesem Fall ein sehr ungemütliches Schlachtgetümmel bevor, wenn sie auf ihren wahren Gegner treffen sollten. Und zudem, was wäre, wenn ich bislang nur die freundlichere der beiden Parteien kennengelernt hatte?

 

Kapitel 2

 

Graham McPherson hielt einen Augenblick inne und blickte gespannt in die Gesichter seiner Zuhörer. Diese klebten an seinen Lippen, dass es eine wahre Freude war. Und obgleich er sich selbst gern als bescheidenen Menschen bezeichnete, konnte er doch einen gewissen wohligen Schauer in diesem Augenblick nicht leugnen, da man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Als ein Scheit im Kaminfeuer knackte, kiekste eine Dame laut auf. Augenblicklich wurde sie von einer anderen Frau in den Arm genommen, die sie mit einem Glas Sherry zu beruhigen suchte. Ein älterer Herr zupfte nervös an seinem Schnurrbart. Dass er einen Armeeorden an seinem Revers trug, erfüllte McPherson mit zusätzlichem Stolz. Fest entschlossen, die Spannung noch einen Augenblick im Raume stehen zu lassen, wandte er sich dem Kamin zu.

Er befand sich auf einem Empfang. Dieser war von Herbert George Wells ausgerichtet worden, einem Freund aus dem ehrwürdigen Reform Club, der sich seit seiner Gründung den Idealen progressiven Denkens verschrieben hatte und dem er die Ehre hatte anzugehören. Wie so oft hatte es nicht lange gedauert, bis McPherson zum unangefochtenen Zentrum der Gesellschaft geworden war.

Er nippte an seinem Single Malt, lächelte und fuhr fort. »Um ehrlich zu sein, war es meiner guten Erziehung zu verdanken, dass ich dieses Abenteuer überlebt habe. Natürlich wollte ich den Umständen dieses Angriffs auf den Grund gehen. Also fasste ich mir ein Herz und folgte der Spur des Heeres, das mich angegriffen hatte. Endlich und nach einem nicht unbeschwerlichen Fußmarsch, der mich vorbei an scharfkantigen Diamantfelsen und hohen Pilzgewächsen durch die Mondtäler führte, erreichte ich bei Anbruch der Nacht ihr Lager. Dort angekommen, ersuchte ich die Wächter darum, bei ihrem Anführer vorstellig zu werden. Der Hauptmann entpuppte sich als ein Offizier Alter Schule, der mich gleich an unsere eigenen wohlverdienten Veteranen erinnerte. Ich trat ihm respektvoll, jedoch selbstbewusst gegenüber und berichtete ihm von meiner Mondmission, die ich zu Ehren unserer Queen Victoria und dem britischen Empire unternahm. Nach anfänglichem Zögern glaubte er meinen Worten und berichtete mir seinerseits. So erfuhr ich, dass es sich in der Tat um die rechtschaffene Seite der Auseinandersetzung handelte, die sich im Zwist mit der Rasse der Selenen (wohlweislich benannt nach der altgriechischen Mondgöttin Selene) befand, einer kriegerischen Kaste von Monstern, die die Herrschaft den friedvolleren Seleniten entreißen wollten.« McPherson hielt einen Augenblick inne und schenkte sich einen weiteren Schuss Whiskey ein.

»Mich und mein Schiff hatte man für Kundschafter des Feindes gehalten, weshalb man mich vorsichtshalber unter Beschuss genommen hatte. Da ich dabei jedoch nicht, wie sie es von ihrem Gegner kannten und erwartet hatten, in wildes Gegacker ausgebrochen war, hatten sie die Gefahr, die von mir ausgehen mochte, als eher gering eingeschätzt und waren weitergezogen. Der Hauptmann entschuldigte sich in aller Form für das Missverständnis. Im Gegenzug sicherte ich ihm meine Hilfe im Kampf zu.« Befriedigt stellte McPherson fest, dass seine Zuhörer an seinen Lippen klebten wie Fliegen an einem Leimfaden. Wieder unterbrach er sich und nahm einen Schluck, um ihre Spannung noch etwas zu erhöhen. Alles in allem war es doch ein glänzender Abend. Er kostete den Augenblick noch etwas aus, dann setzte er das Glas wieder ab und fuhr fort.

»Als nun die Schlacht losgehen sollte und ich Auge in Auge dem Feind gegenüberstand, stellte ich fest, dass es genau 5pm Greenwich Time war. Ich trat also todesmutig vor die Angreifer und bat um eine kurze Unterbrechung, um meinen Darjeeling zu mir zu nehmen. Die Teatime schien die Monster wenig zu beeindrucken, das mitgeführte Shortbread indes zog sie in ihren Bann. Gierig richteten sie ihre Waffen auf mich und forderten mich gackernd auf, ihnen mein gesamtes Gebäck zu überlassen, was ihre obersten Offiziere sogleich unter sich aufteilten und verschlangen. Doch, was soll ich Ihnen sagen, meine sehr verehrten Zuhörer. Gut möglich, dass sie es zwar mochten, vertragen haben sie das Shortbread keineswegs. Denn sobald es in ihren Kehlen verschwunden war, bliesen sich die Monster um ein Vielfaches ihrer Statur auf und zerplatzten in buntem Qualm. Derart führerlos geworden, ergaben sich die übrig gebliebenen Selenen nahezu widerstandslos. Und so hat mir die Tatsache, ein englischer Gentleman zu sein, den Kopf gerettet.« Er hob sein Glas und prostete den Umstehenden zu. Diese entgegneten seine Geste unter lautem Gelächter.

»Übrigens«, fuhr McPherson derart angestachelt fort, »nachdem ich den Seleniten derart zum Sieg über ihre Widersacher verholfen hatte, wurde ich ihrem höchsten Herrscher vorgestellt. Sogleich bot er an, mir seine Krone zu überlassen. Doch kann ein Gentleman dies natürlich nicht annehmen. Immerhin hatte ich nur meine Pflicht getan. Allerdings bestand er schließlich darauf, mich zum Dank zum Earl des Kraters zu machen, in dem mein Weltraumschiff gelandet war.«

»Sie meinen, den mit den Diamanten?«, fragte Sir Malcolm, einer der Zuhörer, sichtlich beeindruckt.

McPherson nickte beiläufig. »Was soll ich sagen, dies auch noch abzulehnen, wäre gar zu unhöflich gewesen. Tja, und so kam es, dass ich der Earl des Kraters Gaudibert wurde.«

McPherson war weit entfernt davon, sich als Schwindler zu betrachten. Zwar wusste er natürlich, dass er seine Abenteuer nicht erlebt hatte. Doch was zählte das schon?

Er hätte sie aber erlebt haben können. Zumal er sich große Mühe gab, bei seinen Ausführungen stets die neuesten Errungenschaften seiner Zeit zu berücksichtigen. Dafür verbrachte er Tage und Nächte in den Observatorien und Bibliotheken, lauschte Vorträgen und las Abhandlungen, bis er schließlich in der Lage war, jeden Krater und jede Schlucht auf der Oberfläche des Erdtrabanten vor seinem inneren Auge zu visualisieren. Dass er in persona noch nicht dort gewesen war, war indes nur ein unbedeutendes und zu vernachlässigendes Detail. Wäre er jemals auf dem Mond gewesen, so war er der festen Überzeugung, hätte sich all das genau so zugetragen. Er hatte seiner Biographie also lediglich vorgegriffen. Und was konnte daran schon falsch sein? So sah er sich in der Tradition eines Romanciers, der seine Zeitgenossen mit Reiseberichten unterhielt.

Natürlich gefielen ihm das große Interesse und der Respekt, den ihm die Mitglieder des Reform Clubs entgegenbrachten. Dass sie indes irgendwann glauben konnten, er wäre tatsächlich der Earl eines Mondkraters, dafür konnte er nichts. Nun, er sprach nie dagegen, noch stimmte er ihm auch jemals zu. Er tat nur, was ein Gentleman stets tun sollte. Er schwieg dazu.

Sichtlich geschmeichelt vernahm er, dass jemand hinter der Lehne eines Ohrensessels in die Hände klatschte.

»Nein, nein, zu viel der Ehre«, winkte er selbstlos ab.

Da erhob sich der Mann in einer einzigen, fließenden Bewegung und trat auf ihn zu. McPherson kannte den Mann nicht, hatte jedoch nichts etwas gegen eine Erweiterung seines gewogenen Publikums einzuwenden. Der Fremde war schlank, beinahe dürr, und groß. Er trug einen gepflegten, dunklen Anzug mit einem auffällig purpurnen Einstecktuch. Sein spitzes Kinn wurde durch einen schwarzen Bart noch spitzer. Langsam schritt er durch die Zuhörerschaft auf den Kamin und McPherson zu, diesen freundlich anlächelnd.

Die anderen Herrschaften schoben sich neugierig beiseite. Als der Fremde vor ihm angelangt war, sprach er im munteren Ton: »Ich bin der Meinung, dass Sie eine hervorragende Räuberpistole zum Besten gegeben haben, werter Herr!«

»Nun, ich …«, wollte McPherson gerade geschmeichelt ansetzen, als die eigentümliche Formulierung des Fremden sein Bewusstsein erreichte. Augenblicklich unterbrach er sich. »Entschuldigen Sie, wie haben Sie meinen Erlebnisbericht doch gleich genannt?«

Der Unbekannte lächelte süffisant und sagte mit fester Stimme: »Eine Räuberpistole. Oder, falls Ihnen dieser Ausdruck nicht bekannt sein sollte, einen Schwindel. HUMBUG! Meiner bescheidenen Meinung nach sind diese sogenannten Mondabenteuer nichts anderes als die angeblichen Reisen dieser Scharlatane unter dem Ozean oder zum Erdmittelpunkt! Das ist ausgemachter Blödsinn für romantische Phantasten. Mehr nicht!«

McPherson blieb ob dieser Dreistigkeit die Luft weg. Nicht nur hatte er ihn frech vor seinen Clubfreunden angegriffen, gleichzeitig hatte er die Möglichkeit genutzt, die hochgeschätzten Professoren Aronnax und Lidenbrock anzugreifen.

Ehe er etwas sagen konnte, trat Sir Malcolm, ein treuer Zuhörer McPhersons, zwischen ihn und den Mann. Zufälligerweise war er gleichzeitig der Vater von Lady Mircalla, einer bezaubernden, jungen Dame, um deren Hand McPherson seit ein paar Wochen mit großem Eifer warb. Beruhigend legte er ihm eine Hand auf die Schulter und ergriff an seiner Statt das Wort: »Das sind sehr harte Anschuldigungen, die Sie da erheben! Darf man wohl erfahren, mit wem man es zu tun hat?« Er zog eine Augenbraue nach oben, was sein Missfallen unterstreichen sollte.

Der Fremde hielt diesem Blick jedoch mühelos stand. Mehr noch. Seine aufgesetzte Gleichgültigkeit zeugte von einer ganz Hohen Schule für Gentlemen, wie McPherson sehr zu seinem eigenen Missfallen eingestehen musste. Wobei dies das Einzige sein sollte, was er ihm eingestehen wollte.

Er deutete eine Verbeugung an, die Sir Malcolm wohlwollend quittierte. »Vincent St. John-Smythe, der Name. Wenn ich Ihnen meine Karte geben darf?« Damit griff der Mann in seine Westentasche und zog eine Visitenkarte hervor.

Wütend riss McPherson sie ihm aus der Hand. Was bildete sich dieser aufgeblasene Wichtigtuer ein, ihm derart in die Parade zu fahren?

Die Karte war aus unerfreulich hochwertigem Material, geradezu grauenhaft geschmackvoll. Vincent St. John-Smythe stand darauf, wie nicht anders zu erwarten. Jedoch fehlte eine Adresse. Hielt sich dieser Pinkel für derart wichtig, dass er es nicht nötig hatte, seine Anschrift anzugeben? McPherson hasste ihn sogleich noch glühender für diese Genialität. Unterhalb des Namens stand lediglich: Spiritist. Daneben erkannte er das Logo der British Society for Psychical Research, den altgriechischen Buchstaben Psi in einem Kreis.

Ein Spiritist? Nun, das sollte ihm genug Pulver geben, um diesen blasierten Gernegroß in die andere Ecke des Empires zu pusten.

»Oh, Sie sind Geisterforscher, Mr. Saint John-Smith?«, fragte er spitz. »Das erklärt natürlich Ihre Abneigung gegen die Wissenschaft!« McPherson bemühte sich, seine Stimme wie die eines guten Gewinners klingen zu lassen, mit einem Hauch Verständnis für die Flausen des Einfältigen.

»Es spricht sich: Sin-Dschinn-Smeith. Und nein, ganz im Gegenteil«, gab dieser ohne eine sichtbare Regung zurück. »Getreu dem Motto meiner Vorfahren: Superstitio malum afferet1, glaube ich nur, was ich mit eigenen Augen sehe. Meiner bescheidenen Meinung nach müsste es noch mindestens 66 Jahre dauern, bis der erste Mensch die Erdkugel verlässt. Und bis ein Weltraumreisender diesen großen Schritt für die Menschheit macht, den Erdtrabanten zu betreten, sollte es noch einmal gut und gerne acht Jahre dauern!«

Ein paar der umstehenden Männer schüttelten verständnislos die Köpfe. Während er noch an den Händen die Jahreszahl nachzuvollziehen suchte, spürte McPherson plötzlich, wie sich die Blicke der Übrigen auf ihn legten. Sir Malcolm klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. Schnell hörte er auf zu zählen und nahm seinen Gegner ins Visier.

»1969 also?« McPherson lachte laut auf und bemerkte beruhigt, dass es ihm einige der Clubmitglieder gleichtaten. »Nicht unclever von Ihnen, ein Jahr anzugeben, das, Sie entschuldigen, meine Herren, die Anwesenden hier schwerlich noch erleben werden!«

Triumphierend wollte er sich schon wegdrehen, als St. John-Smythe erwiderte: »Darum geht es nicht, McPherson. 1969 hin oder her. Was ich aber sage ist: Sie waren nicht da oben.«

Das war nun doch zu viel! Wütend stürmte McPherson auf den dürren Mann mit dem Spitzbart zu und drückte ihm seinen Zeigefinger auf die Brust. »Lassen Sie mich raten, St. John-Smythe, das ist Ihnen sicherlich während einer Ihrer Seancen zugeflüstert worden!«

St. John-Smythes Kopf wurde innerhalb einer Sekunde kalkbleich, dann puterrot. »Kein Grund, spitz zu werden, McPherson! Im Gegensatz zu Ihren Luftschlössern ist die Geisterbeschwörung eine empirisch nachweisbare Wissenschaft.«

Voller Bedauern bemerkte McPherson, wie selbst Anwesenden, an deren Urteil ihm einiges lag, allen voran Sir Conan Doyle oder Oliver Joseph Lodge, miteinander tuschelten und St. John-Smythe nickend zustimmten.

»Meine Herren, meine Herren!«, ging Sir Malcolm dazwischen. »Was schlagen Sie also vor, St. John-Smythe? Sie wollen unseren McPherson doch nicht zu einem Duell herausfordern?«

»Ich könnte mich ebenfalls dazu durch-ringen, davon abzusehen«, stimmte McPherson schnell zu, dem der Verlauf des Gesprächs nun alles andere als geheuer war. »Duelle sind so furchtbar 1850. Außerdem tun sie weh und bringen dem Gewinner nachher nur Scherereien. Ich spreche da aus Erfa-«

Weiter kam er nicht, denn St. John-Smythe fiel ihm ins Wort: »Eine Wette.«

»Eine Wette?«, McPherson blickte ihn verdattert an.

Mit scheinbar sardonischer Freude nippte St. John-Smythe an seinem Brandy. »Ja. Eine Wette. Ich fordere Sie hiermit auf, Ihren Worten Beweise folgen zu lassen. Beweisen Sie mir, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, dann wird es mir eine Freude sein, sämtliche meiner Anschuldigungen zu widerrufen. Mehr noch, ich erhöhe meinen Einsatz auf nicht weniger als 20.000 Pfund Sterling!«

Ein hörbares Raunen ging durch die Menge. McPherson blieb der Atem weg. 20.000 Pfund Sterling? Das entsprach so ziemlich seinem gesamten Vermögen! Und auch dann nur, wenn er wirklich alle seine Besitztümer liquide machte, inklusive Personal. Nicht mal ein Kohlestück mochte ihm dann noch bleiben. Er würde gar für seinen Lebensunterhalt arbeiten müssen! McPherson spürte eine Ohnmacht nahen, mahnte sich jedoch zur Stärke, immerhin hätte es schlimmer kommen können.

»Wenn Sie diese Wette jedoch verlieren, mein werter McPherson, so verlange ich von Ihnen nicht nur Ihr Geld. Nein, nein; ich möchte, dass Sie in diesem Fall vor mir und der gesamten wissenschaftlichen Welt für Ihre Lügen Abbitte leisten. Sagen wir, indem Sie eine ganzseitige Anzeige in der Times aufgeben, die Ihr Schuldeingeständnis zum Inhalt hat.«

Hörbar wurde um ihn herum die Luft eingesogen. McPherson spürte, wie nun die Blicke aller wieder auf ihm lagen.

»Aber … aber«, er räusperte sich. »Aber wie soll ich Ihnen, sozusagen von hier unten, denn beweisen, dass ich dort oben war?«