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Birgit Carstensen | Richard Jeske

MODERNE CREWFÜHRUNG AUF SPORTBOOTEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Zum Geleit

Teil I. Unser mentales Modell – was wir an unseren Einstellungen einstellen können

Führung und Teamarbeit

Psychologie für Team und Krise

Das subjektive Kompetenzempfinden

Zwischenfazit

Das gemeinsame mentale Modell heißt »kompetente Crew«

Auf dem Weg zur kompetenten Crew – das Cockpit als Klassenzimmer

Das Null-Erwartungen-Modell

Speaking Up – mach den Mund auf!

Fehlerfreundlichkeit

Das SkipPsy-Führungsmodell im Überblick

Teil II. Das Handwerkszeug – wie wir aus unserer Crew ein gutes Team machen

Vom Micromanagement zur Selbststeuerung. Unser Job: Machen lassen!

Gar nicht so einfach: als Skipper*in Zurückhaltung üben

Das Kommunikationssystem – Einzelerfahrungen werden zu Teamerfahrungen

Die Alltagskommunikation

Das Tagesbriefing

Das Manöverbriefing

Das Debriefing und die drei Was-Fragen

Skipperfeedback – Feedback andersrum

Das Tagesfeedback

Kommunikation über das Große und Ganze

Die Vorbereitung

Die Anfangsbesprechung – Weichen stellen für einen guten Törn

Die Abschlussrunde

Werkzeug zur Stärkung des subjektiven Kompetenzempfindens

Friede, Freude, Eierkuchen?

Arbeitsorganisation

Wachplan & Co

Spezielle Jobs

Im Alltag erprobt, in der Krise bewährt: FOR-DEC

Teil III. Epilog – die Skipperrolle im Wandel

Wilfried Erdmann – ein Pionier der Crewbeteiligung?

Verschiedene Crewtypen und die Anwendung des Crewbeteiligungsmodells

Crews von Freunden und Vereinscrews

Freunde in einer Runde von Gleichen

Freunde, von denen nur eine*r skippert

Paare – die »Hochrisikocrews«

Familiencrews

Was brauchen Sie, um als Skipper*in gut zu sein?

Führung lernen

Führungsstärke und Führungsschwäche

Literatur

Danksagung

 

 

 

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Briefing zum Start.

 

Moderne Crewführung auf Sportbooten

Plädoyer für ein Crew-Beteiligungsmodell

Vorwort

§ 1 Der Skipper hat Immer Recht.

§ 2 Sollte der Skipper einmal nicht Recht haben, tritt automatisch §1 In Kraft.

Sinnspruch in den Salons zahlreicher Sportboote

Ein Skipper muss sich als »übender Meister« begreifen.

Achim Dunker in »Team Spirit – Crew Management für Skipper und Mannschaft«, 2008

Die Annahme, es gebe noch einen Skipper, der alles kann und weiß und der allen sagt, was zu tun ist, ist überholt.

Wouter Verbraak, Navigator auf dem gestrandeten Volvo Ocean Racer »Vestas Wind«, 2015

Being a race-winning skipper was going to be about 20 % sailing skills and 80 % people-management skills.

Brendan Hall, Skipper der »Spirit of Australia« – Sieger des Clipper Round the World Race 2009/10. In diesem Rennen fahren reine Amateurcrews unter Leitung professioneller Skipper*innen.

und last but not least:

Er will unter sich keinen Sklaven seh'n

und über sich keinen Herrn.

Bertolt Brecht über den Menschen

Es ist wohl so: Die Skipperrolle, und damit auch die Rollen der weiteren Crewmitglieder, sind im Wandel begriffen und bewegen sich im oben zitierten Spannungsfeld.

Es gibt viele Unsicherheiten darüber, wie die jeweilige Rolle heute im Konkreten auszufüllen ist:

• Ist Skippers Wort noch Gesetz?

• Darf ich als Crewmitglied Fragen stellen, Anmerkungen machen, Diskussionen anregen?

• Muss ich das sogar?

• Muss ich als Skipper*in alles wissen und auf alles eine Antwort haben – oder zumindest so tun, als ob?

• Welchen Stil pflege ich an Bord?

• (Wie) Kann, darf, soll ich Verantwortung delegieren, um mich zu entlasten?

• (Wie) Bin ich auf Krisensituationen vorbereitet?

• Muss ich den einsamen Wolf spielen, von dem alles abhängt, und dessen Kräfte irgendwann erlahmen?

• Ist in der hierarchischen Führungswelt der Seefahrt Raum für offene Kommunikation, kritische Anmerkungen, Diskussionen? Für die Verbesserung der alltäglichen Abläufe sowie die Vermeidung von, Vorbereitung auf und das Durchstehen von Krisensituationen?

Wir – Autorin und Autor – plädieren für ein Modell der Crewbeteiligung, das wir unter dem Titel SkipPsy – Psychologie für Skipper*innen – in den vergangenen Jahren entwickelt, zunehmend angewendet und erprobt haben. SkipPsy speist sich aus 30 Jahren Engagement für Schiffsführungs-, Ausbildungs- und Sicherheitsfragen als Segellehrer und Inhaber einer Segelschule einerseits sowie 25 Jahren ebensolchen Engagements für Beteiligung und Teamarbeit, kooperative Führung und Selbstorganisation als Moderatorin und Supervisorin von Teams und Projektgruppen andererseits. Kolleg*innen aus der Segelausbildung sowie aus der Teamentwicklung und Teamforschung haben Ideen und Erfahrungen beigesteuert. Achim Dunker, der uns mit seinen Büchern und seiner praktischen Unterstützung inspiriert hat, schrieb in seinem Buch »Team Spirit« im Jahre 2008: »Crewmanagement ist etwas, was leider (noch) nicht in einer Segelschule gelehrt wird.« Erfreulicherweise ist man da inzwischen einen kleinen Schritt weiter. Wir bilden seit einigen Jahren Skipper*innen in Crewmanagement aus und haben dabei fast nichts Neues erfunden. Hin und wieder hören wir den Satz: »Vieles von dem, was ihr macht und wie ihr das macht, kenne ich schon von Fortbildungen an Land. Aber dass man das auch an Bord eines Bootes anwenden kann …« In der klassischen Führerscheinausbildung spielt das Thema »Crewmanagement« in der Tat nach wie vor keine Rolle.1 In der ergänzenden Literatur hat sich seit dem Erscheinen von Achim Dunkers Buch auch noch nicht viel getan. Hin und wieder schimmern Konturen eines neuen Skipperbildes durch. Die Frage, ob und wie man denn Crewführung lernen kann, stößt ansonsten auf Schweigen, auf große Skepsis oder gar auf aktive Ablehnung. »Alte Hasen« vertreten häufig die Meinung, zum Skipper müsse man geboren sein – und das ist man oder ist es eben nicht.

Doch es gibt auch den Gegentrend: In der Regattaszene ist es inzwischen allgemein anerkannt, dass ein gut funktionierendes Team leistungsfähiger ist als ein Führungsmodell, das auf Befehl und Gehorsam basiert. Dabei gehört Crewmanagement heute genauso zum Trainingsprogramm wie das eigentliche Regattasegeln. Auch im Breitensportbereich kämpft sich ein partnerschaftliches (Schiffs-)Führungskonzept mühsam nach vorn. Wir möchten diese hoffnungsvollen Pflanzen beim Wachstum fördern und mit diesem Buch zeigen, dass ein teamorientiertes Modell von Crewführung sinnvoll und dazu noch lern- und lehrbar ist – genauso wie Achtknoten, Ankern und Anlegemanöver. Sie werden in diesem Buch eine Reihe von Fachbegriffen finden, wie z. B. »gemeinsames mentales Modell« oder »Schutz des subjektiven Kompetenzempfindens«, die nicht aus dem maritimen Bereich stammen, sondern aus der Teamforschung übernommen wurden. Das haben wir bewusst getan, um einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die (Sport-)Schifffahrt ein wenig mit der Disziplin der Teamforschung anfreundet – ein wesentlicher Inhalt unseres Kommunikations- und Führungsmodells.

Unser Buch richtet sich an all diejenigen, die auf Sportbooten skippern oder mitfahren. Wir bieten ein System für die Profis, die mit immer wieder neu zusammengesetzten Einmal-Crews fahren, und wir übertragen es auf Freizeitskipper*innen und Mehrmals-Crews, z. B. Gruppen von Freund*innen, die öfters miteinander fahren, sowie auf Familien und Paare.

Wir unterteilen das Buch in drei Hauptabschnitte:

Der erste Abschnitt »Unser mentales Modell« beschäftigt sich mit der Frage, welche Einstellungen zum Thema wir für sinnvoll erachten – quasi unser Menschenbild im Konzept der Crewführung auf Sportbooten. Denn viele Dinge verändern sich »nur« durch eine Änderung von Einstellungen.

Im zweiten Abschnitt »Handwerkszeug« beschreiben wir praktische Werkzeuge der Anleitung, Kommunikation und Organisation im Bordalltag, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben und mit denen auch Sie gut üben können. Wenn Sie dieses als Erstes kennen lernen wollen, können Sie auch direkt mit dem zweiten Abschnitt beginnen. Im dritten Abschnitt »Die Skipper-Rolle im Wandel« gehen wir noch einmal auf die Themen Führung und Autorität – auch in verschiedenen Crewtypen – ein und beantworten die Frage, wie Sie als Skipper oder Skipperin selbst lernen und kompetenter werden.

Zu den Skipperqualifikationen gehören ganz wesentlich technische und seemannschaftliche Fähigkeiten – die Hard Skills.Von denen ist in diesem Buch ausdrücklich nicht die Rede. Wir behandeln ausschließlich die Soft Skills, und wollen so dazu beitragen, sie aus ihrem Schattendasein zu holen.

Eine Bemerkung noch zum Schluss: Wenn wir vom Menschen an Bord sprechen, mögen wir uns im Geschlecht nicht festlegen. Am Beispiel von Skippern und Skipperinnen werden Sie bei uns das Wort Skipper*innen lesen.

Wir würden uns freuen, wenn Ihnen die Lektüre Spaß macht, Ihnen ein paar erhellende Momente verschafft und Sie ermuntert, Neues auszuprobieren. Und schreiben Sie uns gern Briefe, Karten, Mails oder schauen Sie auf unserer Webseite, denn das ist Teil des Konzeptes. Wir sind an Feedback interessiert!

Birgit Carstensen & Richard Jeske

www.folgenreiche-fortbildung-maritim.de

Hamburg / Neustadt 2017

 

 

 

  1 In der englischen Yachtmaster-Ausbildung ist dies etwas anders in dem Buch »The Complete Yachtmaster« von Tom Cunliffe startet gleich das 1Kapitel mit dem Titel »The Skipper« und beschreibt die Skipperrolle (Stichworte sind: »thoughtful delegation«, »positive communication«)Diesen Literaturhinweis verdanken wir Anja Schlutius.

 

 

 

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Alle dabei: Anleitung zum Segel setzen.

 

Zum Geleit

Es ist interessant, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen, warum manche Segeltörns eigentlich als »mies«, »Katastrophe!« oder »eine nie-wieder-Erfahrung« erlebt werden. Liegt es eher an

(a) ungenügender Seemannschaft von Skipper oder Crew, oder eher an

(b) schlechter Stimmung an Bord, mühsam unterdrückten Konflikten, Grüppchenbildung innerhalb der Crew.

Viele Freizeitsegler, besonders solche, die mit wechselnden Crews unterwegs sind, werden vermutlich Antwort (b) wählen. Und jeder Segler kennt Geschichten von »unmöglichen Skippern«, »unerträglichen Mitseglern« und einer fürchterlichen Atmosphäre an Bord – oder hat so etwas selbst schon einmal erlebt. Falls diese Beobachtung einen Kern der Wahrheit in sich trägt, dann ist es eigentlich erstaunlich, dass in den Prüfungsvorschriften des DSV zwar sehr viel Wert auf Seemannschaft, Rechtskunde, usw. gelegt wird, das Thema »Schiffsführung/Zusammenleben an Bord« aber praktisch nicht vorkommt.

Dabei gibt es Techniken und Konzepte, die das Zusammenarbeiten und das Zusammenleben spürbar verbessern können. Vieles davon stammt aus den »Human Factors«, einem Forschungsgebiet, das in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand, als man in vielen sog. Hochrisikoindustrien (Atomindustrie, Luftfahrt, chemische Industrie) erkennen musste, dass es nicht reicht, komplexe technische Systeme durch immer mehr Technik sicherer zu machen. Vielmehr hat man gelernt, solche Systeme als sozio-technische Systeme zu begreifen, in denen sich menschliche und technische Komponenten in komplexen und dynamischen Umwelten ständig aufeinander beziehen müssen (das wäre übrigens fast schon eine Definition von »Segeln«). Aus dieser Einsicht entstanden dann – durch eine Fülle empirischer Untersuchungen unterstützt – Trainingsprogramme, die als CRM-Trainings bekannt geworden sind. »CRM« steht für Crew Resource Management und umfasst Methoden, die einem Team zu einer besseren Kommunikation, Integration und Entscheidungsfindung verhelfen können und, nicht nur nebenbei, auch das Wohlbefinden der Crewmitglieder steigern. Dabei: der Ausdruck »Management« ist eigentlich irreführend, denn es geht eher um die Entwicklung eines Teams hin zu einem Zustand, in dem das Ganze (das Team, die Crew) mehr ist als die Summe seiner Teile.

Mittlerweile hat sich dieser Ansatz als so erfolgreich erwiesen, dass er in viele andere Felder übertragen wurde. In der Handelsschifffahrt beispielsweise sind seit dem Jahr 2012 entsprechende Ausbildungsinhalte für Offiziere verpflichtend festgeschrieben. Es ist nun ein besonderer Glücksfall, dass sich mit Birgit Carstensen und Richard Jeske ein begeisterter Segellehrer und eine begeisterte Trainerin und Verhaltenswissenschaftlerin (und Seglerin) zusammengefunden haben, um diese Erkenntnisse auch für die Sport- und Freizeitschifffahrt nutzbar zu machen. Jeder Segler, egal ob Skipper, Wachführer oder Crew, wird in diesem Buch eine Fülle von Anregungen dafür finden, wie er sein eigenes Handeln an Bord besser mit dem der anderen abstimmen kann um dem Ziel einer sicheren Reise mit einem freundlichen Binnenklima an Bord näher zu kommen. Nicht alles wird bei allen auf ungeteilte Zustimmung stoßen: Die Seefahrt ist ein traditionell konservatives Unterfangen und Carstensen und Jeske werfen manch’ unverzichtbar scheinende Tradition fröhlich über Bord. Aber auch wenn man nicht alle Empfehlungen übernehmen kann, bin ich doch sicher, dass dieses Buch dazu beitragen wird, die Zahl der Segelurlaubswochen, die aus psychologischen Gründen zum Misserfolg werden, deutlich zu reduzieren. Ich wünsche diesem Buch deshalb eine zahlreiche, nachdenkliche und für neue Ideen offene Leserschaft.

Prof. Dr. Stefan Strohschneider

Professur für Interkulturelle Kommunikation

Bereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation (www.iwk-jena.de)

Finka - Research Group Intercultural and Complex Working Worlds (www.finka.uni-jena.de)

Friedrich-Schiller-Universitaet Jena

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Traumhaft Segeln.

Teil I. Unser mentales Modell – was wir an unseren Einstellungen einstellen können

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Ein Moment der Muße.

Ist Führung noch modern?

Die erfolgreichste Führung ist die, von der alle am Ende annehmen, man habe sie nicht gebraucht.

Bei der Vorstellung unseres Crewbeteiligungsmodells fragt man uns manchmal: »Wollt Ihr den Skipper abschaffen?« Nein, das wollen wir nicht. Dieses Buch handelt vielmehr davon, wie und nicht ob geführt werden soll.

Führung und Teamarbeit

Ein Hoch auf das Team!

Warum soll das Team eigentlich gut funktionieren?

Segeln ist grundsätzlich ein Teamsport. Aber eigentlich kann eine gute Skipperin oder ein guter Skipper das Schiff doch notfalls auch allein von A nach B bringen – oder? Nicht wenige Törns scheinen auch heute noch nach diesem Leitbild unter »Anleitung« von wortkargen brummeligen Seemännern zu laufen. Kommunikation findet in solchen sozialen Gebilden vorwiegend »von oben nach unten« und nach den Buchstaben der DSV-Kommandotafel statt. Fragen, Anmerkungen oder gar Diskussionen stören da nur. Nehmen wir ein Fazit dieses Buches einfach schon einmal vorweg: Ein gut geführtes Team ist in seiner Gesamtheit sowohl im Alltag als auch in der Krisensituation leistungsfähiger als einzelne Führungskräfte, die hauptsächlich mit dem System »Befehl und Gehorsam« arbeiten. Die Zeit der einsamen Wölfe (in uns) ist abgelaufen, und der »Master next God« hat ausgedient. Wir brauchen empathisch angeleitete, gut funktionierende Teams auch in der Sportschifffahrt. »Empathisch« heißt dabei vor allem: offen und zugewandt, mit Interesse für die Menschen an Bord, ihr Zusammenwachsen als Crew, ihre Lernfortschritte und ihr Wohlbefinden. Warum glauben wir, dass das gebraucht wird? Vor allem aus zwei Gründen:

1. Aus Sicherheitsgründen

Die Situation auf See kann sich innerhalb kürzester Zeit grundlegend ändern. Sehr schnell findet man sich in einer bedrohlichen Situation wieder. Doch je mehr Menschen an Bord Ahnung von der Materie haben, je besser das Team zusammenarbeitet, je weniger Eifersüchteleien, Konkurrenzkämpfe oder Ähnliches ausgefochten werden, desto souveräner kann eine solche Situation gemeistert werden.

2. Aus Sicherheitsgründen

Mitglieder eines funktionierenden Teams achten aufeinander, machen sich und die Schiffsführung auf Gefahren aufmerksam, machen Vorschläge zur Optimierung von Arbeitsabläufen, kommunizieren miteinander mit der Absicht gegenseitigen Verständnisses und vermeiden so Unfälle. Ganz nebenbei trägt so ein Team zum Wohlbefinden der einzelnen Teammitglieder und damit in der Regel zu einem gelungenen Urlaub bei. Man setze an die Stelle dieser positiven Merkmale einfach einmal die negativen Pendants und kann sich vorstellen, mit welcher gefährlichen Chaos-Mixtur man es dann an Bord zu tun hätte. Wenn eine Crew nicht aufeinander achtet und nicht jede*r mitdenkt, wenn das Crewmitglied auf dem Vorschiff das Gefühl hat, es werde sowieso nicht gebraucht, und dann z. B. nicht mitteilt, dass am Bug eine Leine ins Wasser hängt, ist die Panne oder Schlimmeres nur eine Frage der Zeit. Machen wir uns keine Illusionen, wie viele solcher Zeitbomben zur See fahren und von wie vielen solcher Zeitbomben wir schon einmal ein Teil waren … Das Wohlbefinden der Menschen an Bord und ein hoher Sicherheitsstandard sind die Hauptgründe, warum ein gut funktionierendes Team unverzichtbar ist. Beides bedingt einander.

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Hand in Hand – ein Ziel im Auge. Das Team steht.

Crewbeteiligung – die Ursprünge

Führung durch Beteiligung der Crew – woher kommt das? Der große Bruder unseres Crewbeteiligungsmodells ist das Crew Resource Management (CRM). Das sind Techniken, um die Crew, das Team und deren Qualifikationen, Fähigkeiten, Ideen zur Bewältigung von Alltags- und Krisensituationen zu nutzen. CRM begann in den 1970er/80er-Jahren in der Fliegerei Einzug zu halten. Heute gehört das regelmäßige Training im CRM zum Standard in der Aus- und Weiterbildung von Piloten und Flugcrews. Auch in anderen Bereichen wie Krankenhäusern, Feuerwehr, Berufsschifffahrt, Krisenstäben finden CRM-Trainings Anwendung. Dass die Fliegerei dabei ganz vorn liegt, mag damit zusammenhängen, dass der wirtschaftliche Erfolg einer Airline unmittelbar mit dem Sicherheitsimage verbunden ist, das sie in der Öffentlichkeit hat. Entsprechend wird von den Unternehmen in diesem Bereich viel investiert.

Dem Thema CRM und CRM-Training wurde in der Sportschifffahrt bislang jedoch kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Aber das muss nicht so bleiben. Erkenntnisse und Erfahrungen aus mehreren Jahrzehnten CRM und der Forschung dazu können auch für die Arbeit in der Sportschifffahrt genutzt werden. Dabei fällt ein wesentlicher Unterschied auf: Im klassischen CRM trainiert man alle Crewmitglieder. In der Fliegerei hat man das Cockpitteam und das Kabinenteam im Training, in der Schifffahrt mindestens die Offiziere, die sich auf der Brücke begegnen können. Die Profis haben im Team alle die gleiche Grundlage. Wie wir sehen werden, gilt dies nicht unbedingt für die Freizeitschifffahrt.

Auch für uns in der Sportschifffahrt hat die Beschäftigung mit CRM im Profibereich begonnen. Als Anbieter von Segelreisen und Qualifizierungskursen habe ich (Richard Jeske) ein Interesse daran, dass meine Törns sicher und für die Kunden angenehm verlaufen. Über die Ausbildung und interne Weiterqualifizierung meiner Skipper*innen in Sicherheits- und Krisentrainings entstand die Auseinandersetzung mit CRM-Beispielen aus anderen Bereichen.

Als Psychologin, Beraterin und Teamentwicklerin arbeite ich (Birgit Carstensen) ebenfalls mit Profiteams aus Unternehmen und Organisationen an ihrer Kommunikation und Zusammenarbeit, insbesondere in (oft krisenhaften) Umbruchsituationen. Ob ein Team oder eine Organisation Veränderungen gut meistert oder nicht, hängt wesentlich davon ab, wie die interne Verständigung gelingt. Die vergleichbaren Team-Anforderungen an Crews in der Sportschifffahrt beschäftigten mich, seit ich mit dem Segeln anfing.

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»Wenn es nicht lustig ist, mach ich nicht mit.« (Karlsson vom Dach)

Durch unsere Zusammenarbeit – auch mit anderen engagierten Kolleg*innen – wurde daraus das Projekt SkipPsy sowie ein Führungs- und Kommunikationsmodell, das über das Thema Sicherheit und Krisenbewältigung hinaus geht und den gesamten Bereich der Crewführung umfasst.

Aus der CRM-Forschung weiß man, dass viele Unfälle hätten vermieden werden können, wenn Crewmitglieder die Führung auf Fehler hingewiesen hätten, die die Führung selbst nicht bemerkt hatte. So sind schon manche Flugzeuge und Schiffe quasi sehenden Auges in die Katastrophe geflogen oder gefahren. Nur eben, dass die sehenden Augen nicht die der Führung waren. Der Gedanke »Der Kapitän wird schon wissen, was er tut!« war für die Sehenden oft der Grund, den Mund zu halten. Ein drastisches Argument dafür, warum wir die Crew und ihre Ressourcen nutzen sollten.

Wenn wir in der (professionellen) Sportschifffahrt CRM trainieren, können wir das in der Regel nur mit der (Schiffs-)Führung tun. Der restliche Teil der Crew steht bei uns für die Trainings meist nicht zur Verfügung. Das erhöht die Anforderungen an die Schiffsführung.

Wenn Skipper*innen in der Sportschifffahrt die Ressourcen der Crew aktivieren und effektiv nutzen wollen, erreichen sie das vor allem, indem sie Vorbild sind in allen Bereichen, die wir in diesem Buch vorstellen möchten:

• offene, sowohl sachbezogene als auch beziehungsorientierte Kommunikation,

• Fördern und Wertschätzen von kritischen Anmerkungen (»Speaking Up«) und Fehlerfreundlichkeit,

• die Berücksichtigung der Grundbedürfnisse von Menschen in Teams,

• Anleiten / aktive Kompetenzförderung und selbst lernen.

Und damit diese guten Vorsätze nicht so schnell wieder untergehen, hilft es Skipper*in und Crew, wenn sie ein System ganzheitlicher Kommunikation im Bordalltag etablieren.

Das Beispiel Brendan Hall

Der Profiskipper Brendan Hall war erst 28 Jahre alt, als er mit einer reinen Amateurcrew das Clipper Around the World Yacht Race 2009/10 gewann.

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Er war erst 28: Round the World Skipper Brendan Hall.

Zehn baugleiche 68-Fuß-Yachten mit jeweils 18-köpfiger Crew aus zahlenden Kund*innen, die teilweise nur für einen der 14 Rennabschnitte an Bord waren (Halls Crew auf der »Spirit of Australia« umfasste insgesamt 44 Personen), lieferten sich über zehn Monate und 35 000 Seemeilen ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Team »Spirit« gewann nach Meinung des Skippers schließlich dadurch, dass er von vornherein nur zu 20 % auf fachliches Können und zu 80 % auf Teamarbeit und Teamführung, vor allem auf die Kommunikation, gesetzt hatte. Hall hatte sich beim Einlaufen des Feldes der Vorläufer-Regatta 2008 geschworen, auch er werde eines Tages dieses Rennen fahren und gewinnen. Er interviewte nach und nach die Skipper dieser Regatta und befragte sie nach den Faktoren ihres Erfolges und danach, was sie im Nachhinein lieber anders gemacht hätten. Aus seiner anfänglichen Überzeugung, dass nämlich beste Seemannschaft, fachliche Entscheidungen und vor allem Wettertaktik das Rennen machen würden, wuchs mit jedem dieser Interviews die Einsicht, dass nur eine überragende Teamleistung über Sieg oder Rang entscheiden würde.

Er beschreibt in einem Buch, wie er sich auf seine Führungsaufgabe vorbereitet und mit welchen Prinzipien und Mitteln er aus lauter anspruchsvollen Individuen mit höchst unterschiedlicher Motivation zum Mitfahren ein starkes, kompetentes, selbst- und sicherheitsbewusstes Team geschmiedet hat, das mit Engagement und beharrlicher Ausdauerleistung aufs Siegerpodest gesegelt ist und auch noch Spaß daran hatte! Er setzte ab Tag Eins der Vorbereitung auf offene und systematische Kommunikation im Team, auf Kompetenzzuwachs und ständige Verbesserung, indem Ideen von jedem Einzelnen einbezogen werden, setzte auf 360°-Feedback und gegenseitige Unterstützung. Der Höhepunkt dabei: Mitten im Nordpazifik musste ein Skipper eines Konkurrenzbootes aufgrund einer schweren Verletzung von Bord geholt werden. Unter abenteuerlichen Bedingungen wechselte Hall auf das Boot über, um dort den Skipper zu ersetzen. Die restlichen ca. fünftausend (!) Meilen fuhr seine Crew mit seinem Boot ohne ihren Skipper weiter. Zwar in regelmäßigem Funkkontakt, aber ansonsten der ursprünglichen Führung ledig. Offenbar wurde bis dahin Großartiges an Teambuilding und Kompetenzzuwachs geleistet.