Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Prolog
Kapitel 1 - Große Liebe
Kapitel 2 - Die Neue
Kapitel 3 - Hans Guck-In-Die-Luft
Kapitel 4 - Provokantes Verhalten
Kapitel 5 - Goldlöckchen
Kapitel 6 - Kennenlernen
Kapitel 7 - Einsamkeit
Kapitel 8 - Eine Verabredung
Kapitel 9 - Freundschaft
Kapitel 10 - Ellas Halloweenparty
Kapitel 11 - Saunagang
Kapitel 12 - Alkohol und seine Wirkung
Kapitel 13 - Bilderbuchfamilie
Kapitel 14 - Geburtstagsfeier und Feuerwerke
Kapitel 15 - Schockierende Wahrheit
Kapitel 16 - Gespräche und ein Neuanfang
Kapitel 17 - Date auf dem Eis
Kapitel 18 - Momente im Schnee und schwere Entscheidungen
Kapitel 19 - Alles auf Anfang
Kapitel 20 - Leidenschaft
Kapitel 21 - Outing
Kapitel 22 - Spiel mit dem Feuer
Kapitel 23 - Verluste
Kapitel 24 - Auszeit in Hamburg
Kapitel 25 - Große Emotionen
Kapitel 26 - Gebrochene Flügel
Kapitel 27 - Am Ende der Kräfte
Kapitel 28 - Abschlussprüfungen und Abiball
Kapitel 29 - Wettlauf gegen die Zeit
Kapitel 30 - Frankfurter Flughafen
Epilog – Romy
Dank
Bonusmaterial
1) Die Autorin über sich und das Schreiben
2) Interview mit Nadine Roth
Buchempfehlungen
Nadine Roth
SAMe Love
Band 1: Nur mit dir
Liebesroman
SAMe Love (Band 1) – Nur mit dir
»LOVE IS LOVE«
Die siebzehnjährige Sam will nur eins in ihrem Leben: glücklich sein. Doch wenn sie in den Armen ihres Freundes Robin liegt, ist sie ganz und gar nicht glücklich. Es fühlt sich falsch an. Unvollständig. Erst als die neue Schülerin Romy wie ein Wirbelwind nicht nur ins Klassenzimmer, sondern auch in Sams Leben platzt, sind da mit einem Mal die Gefühle, die sie sich bei Robin so sehnlich gewünscht hat. Die sich richtig anfühlen und vor denen Sam sich dennoch fürchtet. Es kann doch nicht sein, dass sie sich ausgerechnet in eine Frau verliebt! Oder doch? Und selbst wenn – hat diese Liebe überhaupt eine Chance in einer Welt voller Intoleranz, Vorurteilen und Tabus?
Eine Geschichte über ein Coming-out und die ganz große Liebe.
Die Autorin
Nadine Roth wurde 1993 geboren, lebt in Baden-Württemberg und arbeitet als Bürokauffrau in der Nähe ihres Heimatdorfes. Durch die »Bis(s)-Saga« entdeckte sie das Lesen für sich und später auch das Bloggen. Im Alter von 15 Jahren begann sie selbst zu schreiben, was zunächst nicht mehr als ein Hobby war. Im September 2015 entwickelte sie die Idee zu ihrem Debüt »Bloody Mary«, das sie im April 2016 fertigstellte. Nach einigem Zuspruch von ihren Freunden entschloss sie sich dazu, das Buch zu veröffentlichen. Schon jetzt hat sie Ideen für weitere Projekte.
www.sternensand-verlag.ch
info@sternensand-verlag.ch
1. Auflage, September 2017
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2017
Umschlaggestaltung: Rica Aitzetmüller | Cover & Books
Illustrationen: Mirjam Hüberli
Titel-Illustrationen (Schmetterlinge): Christine Krahl | fotolia.de
Lektorat / Korrektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-41-8
ISBN (epub): 978-3-906829-40-1
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für alle, die lieben, wen sie lieben,
und deswegen verurteilt werden.
Ihr seid die Stärksten.
Gebt euch und eure Liebe niemals auf.
Ich glaube an euch!
Schmetterling
Ich wünschte, ich wäre ein Schmetterling. Dann wäre ich frei, unberührt und niemand würde mich für das, was ich bin oder was ich nicht bin, verurteilen. Dafür, wen ich liebe oder wen ich nicht liebe. Ich würde für meine Schönheit und meine Zartheit bewundert werden. Niemand würde zulassen, dass mir ein Leid geschieht, und jeder würde mir mit einem Lächeln auf dem Gesicht hinterherschauen und sich wünschen, genauso frei zu sein wie ich. Aber ich bin kein Schmetterling. Ich bin ein Mensch. Und genau deswegen bekomme ich den Hass der anderen zu spüren. Weil ich bin, wie ich bin, und weil ich liebe, wen ich liebe.
Aufmerksam beobachtete ich Channing Tatum dabei, wie er Amanda Seyfried immer näher kam, bis die beiden sich endlich küssten. Zuerst sanft, dann heftiger, ehe sich Channing im strömenden Regen auf den Boden setzte und Amanda – die im Film Savannah hieß – auf seinen Schoß zog. Ich konnte das Ganze nur mit einem belustigten Lächeln betrachten. Mal im Ernst, wer setzte sich denn auf den nassen, schlammigen Boden, nur um ein bisschen rumzuknutschen? Ich hatte das jedenfalls noch nicht gemacht.
Trotzdem kam ich nicht umhin, die Szene mit gebannten Blicken zu beobachten. Etwas in meinem Brustkorb vibrierte, als ich den leidenschaftlichen Kuss der beiden verfolgte. Meine Augen klebten förmlich auf dem Fernseher und während ich die weibliche Darstellerin betrachtete, wünschte mir fast, ein Teil der Handlung zu sein.
Dann verschwand die Szene und von den bunten Farben blieb nur ein schwarzes Bild zurück. Alles im Zimmer war dunkel, als die einzige unnatürliche Lichtquelle des Raumes ausgeschaltet wurde. Lediglich der Mondschein fiel durch das Fenster, an denen ich die Jalousien noch nicht heruntergelassen hatte.
»He!«, rief ich und bewegte mich in seinen Armen. Nein, nicht in denen von Channing Tatum, sondern von Robin – meinem Freund. »Warum hast du das ausgemacht? Ich wollte den Film anschauen«, beschwerte ich mich und drehte mich auf den Rücken. Robin machte mir Platz.
»Ich habe eine viel bessere Idee«, hauchte er und legte seine Hand auf meinen Bauch, wobei er mein Tanktop ein Stück nach oben schob. »Eine viel, viel bessere Idee.«
Mein Magen zog sich zusammen, was nicht daran lag, dass seine Berührung mich in die richtige Stimmung versetzt hätte. Vielmehr war das Gegenteil der Fall.
Er drehte sich neben mir, sodass er halb auf meinem Körper zum Liegen kam. Seine Lippen fanden mein Kinn und er küsste sich sanft zu meinem Hals nach unten. Doch von Sekunde zu Sekunde wurden seine Liebkosungen verlangender und meine innerliche Blockade immer stärker.
Mein Herz begann, schneller zu schlagen, und ich lag starr unter ihm, während er sich auf mir bewegte. Ich war wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht.
Sein Mund wanderte von meinem Hals nach oben zu meinem Ohr. Mit den Zähnen erreichte er die empfindliche Spitze und knabberte behutsam an dieser.
Ich wusste, was er wollte.
Ich wusste es ganz genau.
Der Film musste Robin in Stimmung gebracht haben, aber mich nicht. Ich lag regungslos auf dem Bett, obwohl ich es doch eigentlich genießen müsste. Vor meinem inneren Auge flackerte wieder das Bild des Filmkusses auf und das gab mir den Rest. Mit den Händen packte ich seine Schultern.
»Robin«, keuchte ich, während sich ein Ring um meine Brust legte, der es mir erschwerte, Luft zu holen.
Doch mein Freund brummte nur und seine Küsse wurden noch fordernder, während seine Hand sich gänzlich unter mein Top schob. Er berührte meine nackte Haut, ohne jegliche Barriere. Seine Finger wanderten nach oben.
Doch mit jedem Zentimeter, den er berührte, wuchs das Bedürfnis in mir, Abstand von ihm zu nehmen. Von meinem eigenen Freund! Es hätte mir gefallen sollen, aber es löste Abneigung in mir aus, ohne dass ich es mir erklären konnte. Es war wie ein Rätsel, dessen Antwort ich tief in mir kannte, aber nicht danach fassen konnte.
Bevor das Gefühl mich übermannen und Robins Finger meine Brüste finden konnten, drückte ich ihn hastig von mir weg, was mit seinem Gewicht gar nicht so leicht war.
»Nicht«, murmelte ich, um noch deutlicher zu werden.
Manchmal hatte ich diese Tage. An vielen lief es ziemlich gut zwischen uns. Wir verstanden uns, wir lachten, wir hatten Spaß und wir hatten auch Sex. Aber dann gab es diese düsteren Tage – so wie heute –, an denen ich die Berührung meines Freundes nicht ertragen konnte, als wäre sie ätzend und schmerzvoll wie Säure.
»Komm schon, Sam, ich will dich«, drängte Robin und verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er seine Erektion gegen meinen Oberschenkel drückte, auf der Suche nach meinem Intimbereich.
»Nein, ich habe gesagt, du sollst aufhören«, fuhr ich ihn nun fast schon panisch an und endlich ließ er sich ein Stück nach oben drücken.
Dort, wo sein Mund mich berührt hatte, hinterließ er eine feuchte Stelle, die sich kühl anfühlte, als er von mir abließ.
Im Halbdunkeln konnte ich seine Gesichtszüge und seine Augen ausmachen, deren Farbe ich nicht erkannte, aber wusste, dass die Iris braun war – kein normales Braun, sondern wie das von Vollmilchschokolade. Jetzt sahen mich diese Augen an. Enttäuscht und verständnislos.
Eine eisige Faust legte sich um mein Herz, dass mir innerlich ganz kalt wurde. Ich brauchte mehr Abstand, doch er war noch nicht gewillt, mich gänzlich frei zu geben. Mit den Fingern umfasste er meine Handgelenke, zog sie von seinen Schultern weg und drückte sie in die Matratze. Machte mich wehrlos.
»Was ist denn jetzt schon wieder dein Problem?«, fragte er entnervt.
Du, wisperte eine Stimme in meinem Kopf, aber ich ignorierte sie. Ich verstand mich ja selbst nicht.
Ich sollte glücklich mit ihm sein. Aber ich hatte das Gefühl, dass etwas in mir nicht richtig funktionierte. Wo waren das Bauchkribbeln, das wilde Herzklopfen und das Gefühl von Geborgenheit, von dem die Menschen immer sprachen? Ich fühlte mich bei Robin wohl und ich schätzte ihn sehr als Mensch und Partner, aber trotzdem … An Tagen wie diesen hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. Dieses Etwas war so elementar, dass ich glaubte, es würde mir den Hals zuschnüren und ich könnte nicht mehr atmen.
So sollte sich doch die ›große Liebe‹ nicht anfühlen.
Andererseits hatte ich auch keinen Vergleich, denn Robin war mein erster Freund, vor ihm hatte es nie jemanden gegeben. Ich kannte ihn, seitdem ich im Sandkasten aufrecht sitzen konnte. Obwohl er mit seinen zwanzig Jahren drei älter war als ich, hatten wir uns schon im Kindergarten angefreundet.
Vielleicht waren wir uns zu nah, als dass ich dieses Gefühl hätte spüren können. Oder ich hatte zu hohe Erwartungen und das, was Robin und ich hatten, war schon alles, was die Liebe zu bieten hatte.
»Das Problem ist, dass ich keine Lust auf Sex habe. Nicht jetzt.«
Robins Augenbrauen zuckten in die Höhe.
»Mal wieder«, kommentierte er trocken. Dann gab er endlich meine Hände sowie meinen Körper frei und ließ sich wieder neben mich fallen.
Erleichterung durchströmte mich für einen kurzen Moment, ehe sich das schlechte Gewissen zu ihr gesellte. Es war so unfair, dass es zwischen mir und Robin manchmal so mies lief. Aber wenn ich gewusst hätte, woran es lag, hätte ich es geändert. Wir hatten es sogar mal mit einer Beziehungspause probiert, aber das hatten wir beide nicht ertragen. Danach war es für ein paar Wochen gut gelaufen und ich hatte mich beim Sex auch richtig entspannen und ihn genießen können. Und dann, wenige Wochen später, war es wieder bergab gegangen.
In meinem Bauch zog sich etwas zusammen, als hätte jemand ein Seil um ihn gebunden und es zu straff zugezogen.
»Wir sind jetzt fast eineinhalb Jahre zusammen und haben weniger Sex als die meisten Paare in diesem Stadium«, beschwerte er sich und ich schloss meine Augen, in der Hoffnung, seine Stimme ausblenden zu können.
Doch er machte seinem Ärger Luft.
»So habe ich mir eine Beziehung einfach nicht vorgestellt«, knurrte er und ließ seinem Frust freien Lauf.
Etwas in mir veränderte sich, aus dem schlechten Gewissen erwuchs Wut. Er machte mir Vorwürfe für etwas, wofür ich nichts konnte und was ich so nie gewollt hatte.
»Du kennst mein Problem, wie du es so schön gesagt hast, seit mehr als einem Jahr.«
Hektisch richtete ich mich auf, um auf ihn runterschauen zu können. Er lag auf dem Rücken und ich konnte deutlich erkennen, dass er mich direkt ansah. Seine ständige Anklage sorgte dafür, dass mir die Wut wie ein Blitzschlag die Wirbelsäule hinaufzuckte. Deshalb kamen meine nächsten Worte heftiger als nötig über meine Lippen.
»Du kennst es und wirfst es mir doch immer und immer wieder vor, damit ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Du kannst ja Schluss machen, wenn es dich so sehr stört!« Meine Stimme zitterte. Ob vor Wut oder vor Verlustangst, konnte ich nicht genau benennen.
Robins Augen weiteten sich in der Dunkelheit und das Weiß in ihnen trat deutlich hervor, ehe er sich selbst in eine aufrechte Position brachte. An seinen angespannten Schultern und dem Kopf, den er gesenkt hielt, konnte ich sehen, dass er das Gefühl hatte, zu weit gegangen zu sein. Wenn man jemanden schon so lange kannte, lernte man, dessen Körpersprache zu verstehen.
Vorsichtig legte er seine Hand auf meine Schulter und streichelte zärtlich mit seinem Daumen darüber, als wäre ich zerbrechlicher als dünnes Glas.
Die Berührung beruhigte mich etwas, auch wenn ein Teil von mir ihn immer noch gern abgeschüttelt hätte.
»Ist das dein Ernst?«, flüsterte er.
Ich konnte die Angst aus seiner Stimme heraushören und sofort verrauchte die Wut und es tat mir leid, dass ich ihn mit meiner Aussage verletzt hatte. Es war ein ewiger Kreislauf meiner Empfindungen, als würde ich nur von diesen bestimmt werden: Abneigung, Wut und das schlechte Gewissen.
Ich wollte nicht so zu ihm sein, aber ich hatte das Gefühl, dass diese Beziehung etwas kaputt machte, das wir uns in all den Jahren unserer Freundschaft aufgebaut hatten. Aber beenden konnte ich es auch nicht, es würde mir fehlen, in seinen Armen zu liegen und Kraft aus seiner Nähe zu tanken.
»Ist es das, was du willst, Sam?«, bohrte er nach, da ich ihm wohl zu lange geschwiegen hatte.
Ich drehte mich zu ihm, um ihn anschauen zu können, und schüttelte meinen Kopf, sodass sich meine langen Haare wippend mitbewegten.
In diesem Moment wirkte er wieder so verwundbar, dass ich ihn beschützen wollte. Aber ich war die ungeeignetste Person dafür, denn ich war diejenige, die ihm immer und immer wieder wehtat.
»Nein. Nein, natürlich nicht. Tut mir leid, das war nur so dahergesagt«, ruderte ich zurück, weil ich die Heftigkeit meiner Worte im Nachhinein bereute.
Robin atmete erleichtert aus und ich spürte seinen Atem über meine Schulter und mein Dekolleté streifen.
»Dann sag so was nicht. Das macht mir eine Scheißangst. Ich will dich doch nicht verlieren, Sam, ich will nur wie jedes andere Paar sein.«
Er nahm seinen Arm von meiner Schulter und schlang ihn gänzlich um meine Mitte, um mich in eine Umarmung zu ziehen. Ich schmiegte mich an seinen Körper, hörte sein Herz im Brustkorb rasen und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Robins Kinn ruhte auf meinem Kopf, er strich mir sanft über meine Hüften und der Knoten in meinem Magen lockerte sich Stück für Stück.
Das war es, was mich an Robin festhalten ließ. Dass seine Nähe wie ein schützendes Sicherheitsnetz war, das mich auffing, wenn ich zu fallen drohte.
»Es tut mir leid. Du hast recht, in Zukunft werde ich mich mehr für uns beide anstrengen«, versuchte ich, die Wogen zu glätten.
Robins Hand stoppte seine Zärtlichkeiten und ich spürte, wie er sich neben mir anspannte.
Ich begriff erst zu spät, wie sich meine Worte für ihn angehört haben mussten und dass ich damit noch mehr Öl ins Feuer gegossen hatte.
»Du musst dich nicht anstrengen, ich will, dass es dir gefällt.« Er schnaubte. »Das klingt danach, als würdest du dich zwingen, mit mir zu schlafen!«
Ich schloss ergeben die Augen. Egal was ich sagte, Robin schien es persönlich zu nehmen.
Um ihm ins Gesicht schauen zu können, wenn ich meine Worte wie so oft erklärte, wollte ich mich aus seinen Armen befreien. Doch er verstärkte seinen Griff, sodass ich noch fester an ihn gedrückt wurde.
»Das habe ich damit nicht gemeint! Ich versuche nur, mehr in unsere Beziehung zu investieren«, verteidigte ich mich.
Robin ließ mich los, knipste die Nachttischlampe an, umfasste mit seiner Hand mein Kinn und drehte meinen Kopf so, dass wir uns in die Augen schauten. Sie waren mir so vertraut, als wären es meine eigenen, die ich immer wieder im Spiegel ansah.
Robin strahlte eine unendliche Liebe und Fürsorge aus, die mein Herz zum Stolpern brachte.
»Ich weiß. Es tut mir leid. Ich sollte dich nicht so unter Druck setzen«, gab er nach. Das tat er immer. Ich wusste, dass er mich einfach nicht verlieren wollte.
Ich verzog meine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. Robin beugte sich nach vorn und hauchte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, als Zeichen, dass alles wieder gut zwischen uns war. Mit dem Daumen strich er über mein Kinn, ehe er es losließ.
»Schlafen?«, fragte er nun mit einem versöhnlichen Tonfall. Verflogen war seine Wut, dafür wuchs das schlechte Gewissen in mir. Ich hätte ihn nicht so in die Ecke drängen sollen, das war unfair von mir und kindisch noch dazu.
Und da war er wieder, der Kreislauf, der mich gefangen hielt.
»Schlafen«, bestätigte ich, in der Hoffnung, dass es morgen früh wieder besser sein würde. Die Stimmung war ohnehin zerstört und es war nur ein weiterer von vielen Tagen, an denen mein Körper mit einer Abneigung auf meinen Freund reagierte, dass ich mich fragte, ob ich falsch verkabelt war.
Robin gab mich gänzlich frei, nur um mich im nächsten Augenblick zu sich runterzuziehen, nachdem er sich hingelegt und das Licht wieder ausgemacht hatte.
Ich ließ es zu, denn solange seine Berührungen nicht sexueller Natur waren, konnte ich mich entspannen. Es war, als würden kleine Elektrostöße meine Muskulatur lockern
Meine Hand streichelte automatisch Robins Bauch. Wobei man schon ›Bäuchlein‹ sagen konnte. Denn ein kleines bisschen hatte er zu viel, was mich aber überhaupt nicht störte. Im Gegenteil, dadurch hatte ich viel mehr das Gefühl, selbst nicht perfekt sein zu müssen. Meine Ecken und Kanten zu haben und von ihm akzeptiert zu werden. Und das war ein weiterer Grund, wieso ich Robin trotz all der Schwierigkeiten nicht losließ.
Seine Finger fanden meinen Kopf und er begann, sanft durch meine Haare zu streicheln, nahm mir damit Stück für Stück den Rest der Schwere auf meinem Körper, sodass ich mich fallen lassen konnte.
Ich holte tief Luft und roch seinen vertrauten Duft. Die Beklemmung in mir wich langsam, auch wenn sie wie ein Raubtier nur darauf lauerte, mich erneut zu packen.
Für einige Sekunden war es ruhig zwischen uns, bis wir eine angenehme Schlafposition gefunden hatten, in der wir beide bequem liegen konnten. Dann brach Robin das Schweigen.
»Gute Nacht, Sam. Ich liebe dich«, flüsterte er nahe an meinem Ohr, sodass ich seinen warmen Atem spüren konnte, während seine Finger weiterhin meinen Kopf liebkosten.
Und da war er wieder, der unangenehme Druck in meinem Bauch, als würde man das Seil erneut stramm ziehen, nur um es wieder ein weiteres Mal zu lockern.
»Gute Nacht. Ich …«
Sag es schon: Ich liebe dich auch!
Alles in mir sträubte sich, diese Worte auszusprechen. Aber warum? Ich tat es doch. Ich liebte ihn. Oder nicht? Ja, das tat ich!
»Ich liebe dich auch«, flüsterte ich in die Dunkelheit und die Stille, die plötzlich entstanden war, hinein und spürte, wie Robin erleichtert ausatmete.
Seine Finger packten ein bisschen fester zu, als müsste er mich festhalten, weil ich sonst davonlaufen würde.
Meine Augen schlossen sich, nachdem sich mein Körper wieder beruhigt hatte, und ich schlief ein.
Das Frühstück war eines der Dinge, auf die meine Mutter immer bestand. Besonders dann, wenn Robin bei mir übernachtete. Manchmal beschlich mich das Gefühl, dass sie einen Kontrollzwang hatte. Es erschien mir fast so, als wollte sie überprüfen, ob Robin und ich noch glücklich miteinander waren.
Für sie war er der Traumschwiegersohn. Nicht nur, weil er so nett war. Nein, es lag auch daran, dass er irgendwann die Softwarefirma seines Vaters übernehmen würde. Dafür studierte Robin Betriebswirtschaftslehre im zweiten Semester an der Universität in Mannheim, die ihm so gut gefiel, dass er dafür die Stunde Fahrzeit in Kauf nahm, um mich besuchen zu kommen. Er entsprach damit dem, was meine Mutter sich als Zukunft für ihre Tochter vorstellte.
Ich hatte dem nie Beachtung geschenkt. Natürlich unterstützte ich meinen Freund und war stolz auf das, was er machte, aber es war nicht maßgebend, was für einen Job er hatte. Für meine Mutter allerdings schon. Seitdem sie wusste, welche Pläne Robins Vater für seinen Sohn hatte, war sie wie ein Hai, der Blut gerochen hatte. Ständig beriet sie mich, wie ich meine Beziehung frisch halten könnte, oder kritisierte mein Verhalten, wenn ich mich in ihren Augen Robin gegenüber unangemessen verhielt.
Es störte mich, dass sie mein Leben so bestimmte.
Nicht nur einmal hatte ich ihr gesagt, dass sie sich verdammt noch mal nicht einmischen sollte, aber da stieß ich nur auf taube Ohren. Also tat ich so, als würde ich ihre Vorschläge beherzigen. So war ich eben. Lieber gab ich nach, um den Frieden wiederherzustellen, als mich ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen. Harmonie war mir wichtig. Wenn ich mit jemandem im Clinch lag, ließ es mich nicht mehr los, bis die Sache geklärt war. Das führte oft dazu, dass ich mich selbst zu sehr zurücknahm. Aber meine Familie und meine Freunde waren mein sicherer Hafen und ich wollte nicht an den Pfeilern rütteln, die mich stützten.
Nach dem Frühstück gab ich Robin zum Abschied einen Kuss, woraufhin er mir ein Lächeln schenkte, wie es Männer nur in Filmen taten. Voller Hingabe, Liebe und dem Versprechen, alles dafür zu tun, um mich glücklich zu machen.
Ich schnappte mir mein Fahrrad, denn obwohl es bereits September war, waren die Temperaturen so mild, dass ich nicht mit dem Bus fahren oder mich von Robin kutschieren lassen musste – was ich sowieso nicht wollte.
Das unterschied mich von den anderen Schülern in meinem Alter und dem Bild, das sie von mir hatten, denn der Reichtum meiner Eltern war allseits bekannt. Im Grunde war ich nur schüchtern, aber ein Junge aus meiner Stufe hatte mir mal gesteckt, dass ich den Ruf der versnobten Zimtzicke weghatte. Das hatte mich tief getroffen, denn ich selbst war nicht der Meinung, dass ich so verwöhnt war, wie ich anscheinend rüberkam. Es war erschreckend, wie schnell Schüchternheit mit Arroganz verwechselt wurde.
Wir wohnten in einer nobleren Gegend von Karlsruhe. Bis zur Schule war es nicht weit und ich konnte gemütlich durch einen kleinen Park, einen Teil der Altstadt und entlang eines plätschernden Wasserlaufs fahren. Ich liebte meinen Schulweg, schon allein deswegen lehnte ich es ab, wenn Robin mir anbot, mich mit dem Auto zu bringen. Und nicht zu vergessen: Morgendlicher Sport brachte den Kreislauf in Schwung und ich fühlte mich im Unterricht viel fitter.
Nach zwanzig Minuten erreichte ich die Schule, stellte mein Fahrrad bei den Ständern ab und entdeckte meine beste Freundin Vanessa, die ebenfalls mit dem Rad zur Schule kam.
»Hey«, sagte ich, während wir beide mit unseren Schlössern hantierten.
»Hey, Sam«, erwiderte sie, als wir beide uns zur Begrüßung umarmten.
»Alles gut bei dir? Du siehst etwas niedergeschlagen aus«, bemerkte Vanessa in einem einfühlsamen Tonfall.
Ich schnappte mir meinen Rucksack aus dem Korb und schwang ihn mir über die Schultern.
»Du merkst auch alles, oder?«, fragte ich und schnitt eine Grimasse.
»Tja, ich bin nicht umsonst deine beste Freundin. Also was ist los?« Sie sah mich aufmerksam an, während wir uns auf den Weg zum Schulgebäude machten.
»Ich hatte gestern eine heftige Diskussion mit Robin, in der ich ihm gesagt habe, dass er ja Schluss machen kann, wenn er nicht zufrieden ist.« Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen. Worüber Robin und ich genau gestritten hatten, erzählte ich ihr nicht. Ich schämte mich ein bisschen dafür, dass ich … den Sex nicht wirklich genießen konnte, ja nicht einmal sonderlich mochte.
»Autsch. Wie hat er reagiert?«
»Er war nicht gerade begeistert davon, wie du dir vorstellen kannst. Wir haben das zwar direkt geklärt, aber es hat immer noch einen komischen Beigeschmack. Und dann natürlich die typische Kontrolle meiner Mutter beim Frühstück. Ich habe ihre Ermahnungen, ich solle es mir mit Robin nicht verscherzen, jetzt noch in den Ohren.«
Nachdem ich mich ausgekotzt hatte, ging es mir besser und meine Laune hob sich allein durch Vanessas Anwesenheit.
»Streit kommt in jeder guten Beziehung vor, aber ich denke, Robin hat das schon längst wieder vergessen. Und deine Mutter? Du kennst sie ja. Ignorier sie einfach und tu so, als wäre nichts gewesen. Sie braucht ja nicht zu wissen, was zwischen dir und Robin vorfällt«, erwiderte sie, während wir über den Schulhof marschierten.
»Ich weiß, es ist trotzdem nervig«, antwortete ich, aber mit einem Lächeln. »Ist bei dir denn alles gut?«
»Logisch, bis auf die Tatsache, dass Montag ist.« Sie warf ihr hellbraunes Haar, das ihr fast bis zur Brust reichte, über die Schultern.
»Wem sagst du das«, pflichtete ich ihr bei, als wir das Klassenzimmer betraten, in dem sich die Hälfte der Schüler bereits eingefunden hatte. Ich war froh, dass ich die erste Stunde zusammen mit meiner besten Freundin hatte. Das machte den Montag erträglicher.
Das Schlimmste an diesem Tag war nicht, dass er der Anfang der Woche war, sondern die Tatsache, dass die erste Schulstunde mit unserer Lehrerin Frau Holzmeier begann.
Sie führte ihren Deutschunterricht sehr akribisch und duldete keine Störungen oder mangelnde Mitarbeit.
Noch ehe Vanessa und ich uns weiter über unser Wochenende austauschen konnten, betrat Frau Holzmeier pünktlich wie die Kirchenuhr das Klassenzimmer und setzte sich auf den Stuhl hinter dem Lehrerpult. Augenblicklich kehrte Ruhe ein, auch in den hintersten Reihen, während sich alle Augen auf unsere Lehrerin richteten.
Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau. Ihre Haare, die sie mit einer Spange nach oben gesteckt hatte, ergrauten bereits. Auf der Nase trug sie eine schmale Brille, durch die sie uns ständig maßregelnd anschaute. Einmal in der Woche appellierte Frau Holzmeier an uns, dass wir mehr für unsere mündliche Note tun sollten. Sie erinnerte mich mit ihrer Erscheinung und ihrem Auftreten an Fräulein Rottenmeier aus der Kinderserie Heidi. Ich musste aufpassen, dass ich das ›Holz‹ in ihrem Namen nicht durch ›Rotten‹ ersetzte, wenn ich sie ansprach.
Frau Holzmeier hob den Blick, doch bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte, riss jemand stürmisch die Tür auf. Alle Köpfe drehten sich dem Neuankömmling zu. Auch meiner.
In der Tür stand ein Mädchen, das ich bisher noch nie gesehen hatte. Vielleicht hatte sie sich im Klassenzimmer geirrt?
Anscheinend nicht, denn sie betrat mit sicheren Schritten den Raum und sah sich kurz um. Ihr ganzes Erscheinungsbild verblüffte mich. Ihre Präsenz war atemberaubend.
Sie hatte langes, dunkelbraunes Haar, das ihr glatt über den Rücken fiel und ihr mindestens bis zum BH-Verschluss reichen musste. Sie trug eine schwarze Lederjacke, dazu ein weißes T-Shirt, dunkelblaue Jeans und schwarze Springerstiefel. Ihre ganze Aura strahlte Selbstsicherheit und etwas Rebellisches aus – nicht zuletzt, weil sie Kopfhörer in den Ohren hatte.
Ich tauschte einen Blick mit Vanessa, die ebenso verwirrt schaute wie ich. Das Mädchen schien ihr ebenfalls nicht bekannt vorzukommen.
»Wer ist denn das?«, murmelte meine beste Freundin neben mir und ich zuckte mit den Schultern. Gleichzeitig wanderten meine Augen wieder zu der Fremden zurück.
Sie war unglaublich hübsch und ich konnte mir nur vage vorstellen, was in den Köpfen der Jungs gerade vor sich gehen musste. Sie würdigte uns nur eines kurzen Blickes, dann schaute sie zu Frau Holzmeier, die den Neuankömmling ebenso irritiert ansah wie wir.
»Sorry, ich bin zu spät«, sagte das Mädchen. Ihre Stimme klang überraschend hell. Ich hatte aufgrund ihres Erscheinungsbildes angenommen, dass sie rauchiger wäre. Sie nahm die Kopfhörer aus den Ohren, die sich jedoch in ihren Haaren verfingen. Sie zerrte kurz daran und stopfte den Kabelsalat in die Tasche ihrer Lederjacke.
Meine Blicke schwankten zwischen ihr und Frau Holzmeier hin und her, die kurz die Nase rümpfte und über ihre Brille hinweg streng schaute.
»Das sehe ich selbst. Sie kommen mir allerdings nicht bekannt vor. Wie heißen Sie?«, fragte sie und griff nach einem Blatt Papier, auf dem sie sich vermutlich notieren wollte, dass die Fremde zu spät gekommen war.
Wie in der Grundschule! Ich konnte das nur mit einer Spur Belustigung zur Kenntnis nehmen. Außerdem war sie die einzige Lehrerin, die uns siezte, weil sie auf diese Etikette bestand.
»Ich gehe ab heute in Ihren Kurs«, antwortete das Mädchen. »Ich habe die Schule gewechselt.«
»Ah, Sie sind also die neue Schülerin?« Frau Holzmeier legte ihren Stift zur Seite und nickte, als wüsste sie nun Bescheid.
Wieder tauschte ich einen Blick mit Vanessa. Mir taten diese Schüler leid, die neu an eine Schule kamen. Es war sicherlich schwierig, Anschluss zu finden.
Neugierig betrachtete ich die Neue, die immer noch gelassen in der Nähe des Lehrerpultes stand, als wäre ihr diese ganze Situation kein bisschen unangenehm.
Ich hätte niemals mit so einer Selbstsicherheit dort stehen können, ohne mich wie auf dem Präsentierteller zu fühlen.
»Dann stellen Sie sich der Klasse vor«, forderte Frau Holzmeier das Mädchen auf. Sie deutete mit der Hand in unsere Richtung, während sie kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzen blieb.
Die Neue drehte sich zu uns, ließ den Blick musternd über jeden Schüler im Raum wandern, bevor sie den Mund öffnete.
Ich spitzte die Ohren, gespannt auf ihren Namen. Vanessa flüsterte mir etwas zu, das ich aber ausblendete, voll und ganz auf die Neue konzentriert.
»Mein Name ist Romy und ab heute gehe ich auf diese Schule und in euren Kurs«, stellte sich das Mädchen vor. Ihr Name gefiel mir sofort. Besonders die Art, wie sie ihn geschmeidig aussprach.
Romys Augen bewegten sich weiterhin wie ein Scanner über uns hinweg. Unsere Blicke begegneten sich nur kurz, aber ihrer war dennoch so intensiv, dass mir die Luft wegblieb.
Doch kaum hatte sie weggeschaut, schnellten ihre Augen wieder zu mir zurück und nahmen mich genauer ins Visier.
Ich hatte das Gefühl, jemand hätte mich auf meinem Stuhl festgebunden, denn ich konnte keinen Muskel mehr bewegen.
Ihre Iriden waren blau, aber anders als meine, die eher blau-grau waren. Sie strahlten in dem schönsten Dunkelblau, das ich je gesehen hatte. Romy hatte sie mit schwarzem Lidschatten und Kajal umrandet. Nicht so, dass es billig wirkte, sondern auf eine Art, die ihre Augenfarbe noch mehr betonte.
Ihre ganze Art, mich anzuschauen, war so faszinierend, dass mir warm und kalt gleichzeitig wurde. Diese Ausstrahlung brachte mich komplett aus dem Konzept und ich fragte mich unwillkürlich, ob sie mir gerade wie die anderen Schüler den Stempel des reichen und zickigen Püppchens aufdrückte.
Doch Romy sah mich nicht so an, als würde sie meine teuer wirkende Kleidung oder den Schmuck als störend empfinden. Sie legte vielmehr neugierig den Kopf schief, als suche sie nach etwas. Dann funkelten ihre Augen, als hätte sie es gefunden. Unsere Blicke verschmolzen miteinander wie erhitztes Gold.
Das war total verrückt!
Mir wurde ganz flau im Magen und ich schaute ausweichend auf die Tischplatte, um diesem Moment zu entgehen. Sie war mir nicht geheuer und ich nicht besonders scharf darauf, mich mit ihr anzulegen. Sie wirkte wie jemand, der rasch aufbrauste, und ich wollte sie auf keinen Fall mit meinen Blicken provozieren. Trotzdem spürte ich, dass sie mich weiterhin beobachtete.
»Warum starrt sie dich so an?«, hörte ich Vanessa neben mir fragen, die ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt hatte.
Ich konnte als Antwort darauf nur erneut mit den Schultern zucken.
Da ich mich nicht traute, noch einmal hochzuschauen, tat ich so, als wäre ich damit beschäftigt, die Papierfransen aus der Ringbindung des Blocks zu zupfen.
»… sich einen freien Platz«, hörte ich Frau Holzmeier ihren Satz beenden. »Und Sie sind bitte ruhig!«, polterte sie weiter und der Appell ging diesmal an die gesamte Klasse, deren zuerst anfänglich leises Gemurmel inzwischen zu einem lauten Stimmengewirr angewachsen war.
Nur langsam kehrte Ruhe ein. Es schien beinahe, als wäre ich nicht die Einzige, die von Romy aus dem Konzept gebracht worden war.
»Sie starrt dich immer noch an, Sam«, berichtete mir Vanessa.
Ich hob aus Neugier doch noch einmal den Kopf, aber Romy war schon an mir vorbeigegangen. Dafür spürte ich jetzt ihre Blicke in meinem Nacken wie ein brennendes Eisen auf der Haut.
»Kennst du sie irgendwoher?«, bohrte meine Freundin weiter.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, woher denn?«, flüsterte ich. »Wenn ich sie kennen würde, hätte ich dir davon erzählt, aber ich sehe sie heute auch zum ersten Mal.«
Und wie ich sie sah! Diese Begegnung ging mir durch Mark und Bein und ich fragte mich, woher diese Empfindungen kamen, die sich wie elektrische Impulse anfühlten.
War es ihre Art? Weil sie alles war, was ich immer hatte sein wollen? Mutig, rebellisch und draufgängerisch? Oder weil sie mir insgeheim unheimlich war und ich Stress mit ihr vermeiden wollte?
Ich schüttelte den Kopf und atmete tief durch, setzte mich aufrechter hin. Ganz sicherlich würde ich mich nicht von dieser neuen Schülerin einschüchtern lassen!
Ich bemerkte, wie Vanessa einen verstohlenen Blick über die Schulter zu Romy warf. »Mich würde interessieren, warum sie dich so anschaut. Sie ist wie eine weibliche Version von Edward Cullen.«
Damit brachte mich Vanessa zum Lachen und die Anspannung löste sich etwas.
»Ich habe keine Lust mehr, mich zu verlieben. Immer dieses ständige Analysieren, wie er sich gegenüber mir und den anderen Frauen verhält. Ob er sich bei mir anders benimmt«, seufzte Ella und spielte mit ihren Haaren, die sie sich zu einem hohen Zopf gebunden hatte. Unter ihren braunen Augen prangten dunkle Ringe, als hätte sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen.
Ich schaute sie mitfühlend an. Ella hatte seit einigen Wochen ein Auge auf einen Jungen in ihrem Kurs geworfen, der sie aber nicht zu bemerken schien.
Wir saßen an einem der Tische in der Kantine und verdrückten unsere mitgebrachten Brote. Neben mir saß wie immer Vanessa, ihr gegenüber Linda, eine Freundin von Ella.
»Warum sprichst du ihn nicht einfach mal an?«, schlug Vanessa stirnrunzelnd vor.
Ella sank in sich zusammen, als hätte man ihr die Luft abgelassen. »Ich traue mich nicht.«
Mein Handy vibrierte und ich fischte es aus der Hosentasche, um zu sehen, dass Robin mir zwei Nachrichten geschrieben hatte. Die eine vor einer Stunde, dass er gut zu Hause angekommen war, und die andere gerade eben, in der er mir mitteilte, dass er so müde sei, dass er sich noch mal aufs Ohr legen würde. Fies, das hätte ich jetzt auch gern gemacht.
Ich wünschte ihm eine gute Nacht und setzte dahinter einen Kuss-Smiley, ehe ich das iPhone wieder verstaute.
Das Stimmengewirr in der Kantine wurde lauter. Ich blickte durch den Raum voller Schüler, nur Romy konnte ich nirgendwo entdecken. Nach der Doppelstunde bei Frau Holzmeier hatten sich unsere Wege getrennt und seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen.
»Nein, der Mann hat die Frau anzusprechen«, mischte sich Linda in das Gespräch ein, während sie ihr Vollkornbrot mit Käse aß, als wäre es edler Kaviar. »Bei mir und Chuck war das so. Hätte er mich nicht angesprochen, wären wir heute nicht zusammen. Ich bin froh, dass es zwischen uns so gut läuft. Wisst ihr, was er Letztens gemacht hat? Hört zu …«
Und dann legte sie los.
Linda verkörperte genau das, wofür mich alle hielten: die Zimtzicke. Ich konnte sie absolut nicht leiden, aber sie war nun mal eine Freundin von Ella, weswegen sie immer bei uns am Tisch saß. Natürlich hieß ihr Freund nicht wirklich Chuck, sondern Elias. Aber sie nannte ihn so, seitdem sie Gossip Girl geschaut und sich in die Rolle des Chuck Bass verliebt hatte, den dunkelhaarigen Schönling und Draufgänger dieser Serie.
Ich fand das absolut lächerlich und nervig, denn Elias erinnerte weder vom Charakter noch vom Aussehen an Chuck. Er war ebenso blond wie Linda und hatte blaue Augen.
Aber sie bestand darauf, dass man ihn Chuck nannte.
Ich für meinen Teil stellte die Ohren instinktiv auf Durchzug, wenn sie begann, uns Geschichten von ihrem ach so tollen Freund zu erzählen.
Ella jedoch hing an Lindas Lipgloss-Lippen und saugte jedes Wort auf. Dass ihr eigenes Problem somit in den Hintergrund gerückt war, schien sie gar nicht zu bemerken.
Vanessa und ich tauschten einen genervten Blick und während ich versuchte, Lindas viel zu hohe Stimme auszublenden, musste ich wieder an Romy denken.
An ihr rebellisches Aussehen, ihr Auftreten, die Art, wie sie mich mit ihren intensiv blauen Augen angeschaut hatte.
»Weißt du eigentlich, dass du dieser neuen Schülerin ähnlich siehst? Ihr könntet zumindest Cousinen sein«, begann Vanessa das Gespräch mit mir, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ich sah sie verwirrt an. »Was? Nie im Leben! Wie kommst du denn darauf?«
Hatte sie sich die Neue nicht genau angesehen? Ich trug oft helle Kleidung, schminkte mich dezent, aber mit ausgewählten Produkten, oder verzichtete auf Make-up und trug nur eine Tagescreme auf. Ich hatte eine undefinierbare Haarfarbe, die zwischen Dunkelblond und Hellbraun schwankte, während die von Romy dunkelbraun und kräftig war. Ich trug goldene Ohrringe und teure Halsketten, während Romy so aussah, als würde sie sich diese Dinge nicht einmal anziehen, wenn man ihr eine Pistole auf die Brust setzte.
Diese schwarze Lederjacke, die Springerstiefel … Sie war einfach kein typisches Mädchen wie ich.
Woher ich diese Gewissheit nahm, konnte ich nicht genau sagen. Schließlich hatte ich sie nur für einen kurzen Augenblick angesehen – aber der Eindruck war dennoch geblieben. All diese Details hatte ich mir eingeprägt.
»Ich weiß nicht, ich habe noch mal genau darüber nachgedacht.« Vanessa legte den Kopf schief und musterte mich mit schmalen Augen. »Ja, eure Gesichtszüge ähneln sich. Vielleicht hast du ja eine Schwester, von der du nichts weißt?«
Ich kommentierte ihren Scherz nur mit einem Kopfschütteln.
»… hatten wir den Rest des Abends wahnsinnig leidenschaftlichen Sex«, drang nun Lindas Stimme wieder lauter an mein Ohr. Sie schien zu ignorieren, dass nur Ella ihr zugehört hatte.
Zum Glück blieben uns weitere Einzelheiten erspart, denn in diesem Moment ertönte die Schulklingel und erinnerte uns daran, dass die Mittagspause zu Ende war.
»Ich bin am Wochenende auf einer Geschäftsreise«, informierte mein Vater mich und meine Mutter am nächsten Tag, als wir wie jeden Morgen im Esszimmer zum Frühstück beisammensaßen.
Er faltete die Zeitung, legte sie neben sich und begann, seinen Toast mit Marmelade zu bestreichen.
»Wo fährst du diesmal hin?«, hakte ich nach.
»Nach Lübeck. Soll ich dir was mitbringen? Marzipan vielleicht?«, fragte er mit einem Zwinkern und lachte, als ich das Gesicht verzog, denn er wusste, dass ich diese Süßware auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Als Manager eines Energieversorgers verreiste mein Vater ab und an. Oft innerhalb von Deutschland und ganz selten ins Ausland. Mich störte das nicht mehr, aber als Kind hatte es das getan. Ich hatte mich oft gefragt, wieso er nicht zu Hause war. Obwohl wir weniger Zeit miteinander verbrachten, als ich es mit meiner Mutter tat, hatte ich einen größeren Bezug zu ihm. Er war zwar selten da gewesen, aber nicht so streng wie meine Mutter. Seine Umarmungen waren herzlicher, sein Interesse ehrlicher und diente nicht nur dazu, zu prüfen, ob ich alles richtig machte.
Natürlich hatte er in vielen Dingen eine ähnliche Ansicht wie meine Mutter, aber es kam auch nicht selten vor, dass er mich vor ihr in Schutz nahm. Früher war es auch er gewesen, der einen Ausflug auf den Spielplatz, in den Zoo oder das Schwimmbad mit mir unternommen hatte. Für meine Mutter waren solche Aktivitäten mit einer Darmspiegelung zu vergleichen. Das Kind könnte sich ja dreckig machen oder sich danebenbenehmen.
Wenn ich ihn jetzt so ansah, mit dem Krümel, den er sich aus dem Mundwinkel leckte, überkam mich ein warmes Gefühl der Zärtlichkeit.
Nur meine Mutter schien nicht davon angetan zu sein, dass er am Wochenende nicht da sein würde. Ihre braunen Augen zuckten in seine Richtung, während sie sich mit ihren manikürten Fingernägeln gegen die Lippen tippte.
Manchmal erfüllten die beiden jedes Klischee von reichen Eltern, sowohl vom Aussehen als auch von ihrem versnobten Verhalten her. Als Kind war ich deswegen oft zu meiner Oma mütterlicherseits geflüchtet, die so gar nichts mit Reichtum anfangen konnte und mir ein bisschen Normalität schenkte.
Sie wohnte im selben Ortsteil von Karlsruhe wie wir, allerdings sahen wir uns zurzeit selten. Zum einen lag es daran, dass sie nicht gern hierherkam, denn meine Mutter kritisierte sie genauso sehr wie mich, und zum anderen hatte ich es vernachlässigt, sie zu besuchen. Stress in der Schule, Robin, der meine Zeit einforderte, und meine Freunde, mit denen ich viel unternahm, waren wichtiger gewesen. Ich würde das ändern müssen.
Zum Glück war mein Vater nicht ganz so versnobt wie meine Mutter. Ich liebte es, wenn er seinen Anzug oder die Hemden von Hugo Boss ablegte, in legere Kleidung schlüpfte und mit mir zusammen auf dem Sofa Pizza aß. Manchmal glaubte ich, dass meine Mutter das Leben in Saus und Braus mehr genoss als er.
»Das passt mir aber gar nicht«, murrte sie jetzt und zog die gezupften Augenbrauen zusammen. »Ich hatte für das Wochenende etwas für uns beide geplant. Aber das werde ich wohl absagen müssen.« Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr schulterlanges braun getöntes Haar, das sie jeden Morgen aufwendig föhnte und mit Haarspray in Form brachte.
»Die Geschäftsreise geht nun mal vor, Claudia«, erklärte mein Vater, ehe er in seinen Toast biss.
Eine Aussage, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte, so traurig wie das klang. Als Kind hatte er mir das auch oft versucht zu erklären. Ich erinnerte mich noch gut an seine Worte: ›Weißt du, der Papa muss arbeiten gehen, damit wir in diesem Haus wohnen bleiben können. Ich wäre auch viel lieber bei dir und Mama aber dann hättest du gar nicht mehr solche tollen Spielsachen, das wäre doch auch doof oder?‹
Ich hätte das Haus und die tollen Spielsachen eingetauscht, wenn mein Vater dafür wie andere Väter jeden Abend pünktlich zu Hause gewesen wäre, um mich ins Bett zu bringen.
»Na gut. Dann werde ich etwas mit Sam unternehmen, oder?« Meine Mutter sah mich auffordernd an und gab mir dadurch zu verstehen, dass sie von mir erwartete, dass ich ihr zustimmte.
»Ich mache etwas mit Robin«, murmelte ich, während ich die Milch aus meiner Müslischüssel löffelte.
»Oh«, sagte sie erstaunt, aber zugleich auch besänftigt. Immerhin machte ich ja etwas mit ihrem Schwiegersohn in spe. »Dann werde ich mich mit Andrea verabreden.«
Das war immer ihr letzter Ausweg. Ihre Schwester Andrea. Vermutlich würden sie das volle Wellnessprogramm in einem der neuen Spa-Tempel der Stadt austesten. Sehr gern ohne mich.
»Ich muss los«, klinkte ich mich aus dem Gespräch aus, schnappte mir mein Geschirr und brachte es in die angrenzende Küche, die im amerikanischen Stil eingerichtet worden war: die typische Kochinsel in der Mitte, wie man sie aus Filmen kannte, deckenhohe Schränke, breite Arbeitsflächen und Küchengeräte, die größer waren als normal. Das Material war natürlich vom Feinsten.
Aber daran merkte man, dass nicht nur ich ein Faible für alles hatte, was mit Amerika zu tun hatte, sondern auch mein Vater. Es war sein Wunsch gewesen, die Küche so einzurichten, weil er selbst gern kochte. Bis vor einem Jahr hatten wir das auch zusammen gemacht, aber dann war das auf der Strecke geblieben, weil er sich öfter in sein Arbeitszimmer zurückzog. Aber wir schauten uns oft Football zusammen an. Nicht im Fernsehen, nein, sonntags spielten unsere heimischen Jungs ganz in der Nähe. Das war eine Sache, die meinen Vater und mich verband und der meine Mutter so gar nichts abgewinnen konnte.
Aber diese Stunden mit meinem Vater genoss ich sehr, denn dann war er einfach locker, entspannter und nicht der konservative Manager. Manchmal kam auch Robin mit, aber er war nicht so Feuer und Flamme für den Sport. Eigentlich tat er es nur mir zuliebe.
»Tschüss, bis später«, rief ich auf dem Weg zur Haustür und schnappte mir einen dünnen Schlauchschal, der mein Outfit, das aus einem Strickpullover und einer engen Jeans bestand, abrundete. Dann schlüpfte ich in meine braunen Stiefeletten, nahm den Abschiedsgruß meiner Eltern zur Kenntnis und verließ das Haus.
Als ich zur dritten Stunde das Klassenzimmer betrat, blieb ich kurz in der Tür stehen und starrte auf meinen Platz. Romy saß direkt an dem Tisch vor mir.
Sie trug heute ein schwarzes T-Shirt, das zwei kreisrunde Löcher an den Schultern besaß, sodass ihre Haut sichtbar war. Ihre Wirbelsäule zeichnete sich unter dem Stoff ab, da er sich eng an ihren Körper schmiegte. Ihre dunkelbraunen Haare fielen ihr offen über den Rücken.
Ich betrachtete sie staunend, während ich mich mit schnellen Schritten zu meinem Platz begab. Für solche Haare hätte ich alles gegeben. Ich würde alles verwetten, dass sie sie nicht glätten musste. Im Gegensatz zu mir. Morgens eine halbe Stunde früher aufzustehen, um meine Haare zu bändigen, war bei mir die Norm. Tat ich das nicht, hatten sie diesen ›voluminösen‹ Schwung, den ich gern als ›nicht gekämmte Haare‹ bezeichnete.
Ich schaffte es nicht, den Blick von Romy abzuwenden. Es war beinahe so, als läge ein magischer Zauber auf ihr, der mich zwang, sie anzustarren. Da ich so gefesselt von ihrem Anblick war, achtete ich nicht auf den Weg und bemerkte zu spät, dass ich mich mit der Schuhspitze in dem Träger eines Rucksacks verfing, der auf dem Boden stand.
Ich stolperte – ziemlich unelegant – und konnte mich gerade noch an der Kante des Tisches festhalten, an dem mein Mitschüler saß, dem besagter Rucksack gehörte. Dabei ließ ich die Bücher fallen, die ich nicht in meine Tasche hatte stopfen wollen, um das Klassenzimmer zu wechseln. Sie fielen zu Boden, ich kam halb liegend auf der Tischplatte auf und stieß mir dabei ziemlich schmerzhaft den Hüftknochen.
Ich biss mir unwillkürlich auf die Unterlippe, um einen Aufschrei zu unterdrücken, der die ganze Situation noch peinlicher gemacht hätte, als sie ohnehin schon war.
Einige Köpfe drehten sich zu mir um, auf der Suche nach dem Ursprung des Radaus. Darunter auch der von Romy, die mich mit ihren dunkelblauen Augen intensiv anschaute.
Mir schoss das Blut in die Wangen und mein ganzer Körper schien sich zu erwärmen. Scham pulsierte in meinem Gesicht, in meinem Brustkorb – überall!
»Hast du dir wehgetan?«, fragte Tim an dessen Tisch ich mich gestoßen hatte.
Ich war froh darüber, dass er mir einen Grund gab, den Blick von Romy abzuwenden.
Dutzende Mitschüler starrten mich an und einzig und allein sie brachte mich in Verlegenheit! Das war absurd!
Schnell befreite ich meinen Fuß von dem Riemen und drehte mich zu Tim um. »Bei mir ist alles gut, bei dir auch?«
Ich war so durcheinander, dass ich ihm diese Frage stellte, obwohl ICH diejenige war, die sich verletzt hatte.
Mein vor Schmerz pochender Hüftknochen strafte mich auch gleich Lügen.
»Ähm, ja?« Tim sah mich verwirrt mit seinen grünen Augen an.
Ich lächelte verlegen. Er schenkte mir ein Grinsen und entblößte die schmale Lücke zwischen den Schneidezähnen. Dann wandte ich mich ab, um meine Bücher aufzuheben, doch da stand Romy schon vor mir, den Stapel bereits in der Hand.
»Oh«, stieß ich überrascht hervor und die Verlegenheit pumpte weiter Blut in mein Gesicht.
»Ich wusste gar nicht, dass meine Anwesenheit so umwerfend ist«, flüsterte Romy mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich war mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte, weil ihre Worte zwischen den anderen Geräuschen der Klasse fast untergingen.
»Was?«, hakte ich perplex nach.
»Ich habe gesagt: Du solltest beim Laufen besser aufpassen.«
Oh. Ohhh!
»Ja … Ja, klar. Danke«, beeilte ich mich, zu sagen, als ich ihr die Bücher aus der Hand nahm, woraufhin ihre Finger meine streiften. Oder waren es meine, die ihre streiften? Ich war schon so durch den Wind, aber seltsamerweise brachte mich das noch mehr aus dem Konzept.
Eilig drückte ich den Stapel an meine Brust, bewegte den Kopf so, dass die Haare mir ins Gesicht fielen und mich und meine brennende Haut wie einen schützenden Vorhang umgaben. Romys Blick brannte auf mir wie Feuer auf einem in Benzin getränkten Holz. Schnell huschte ich an ihr vorbei zu meinem Platz. Dort ließ ich meine Bücher auf die Tischplatte fallen, setzte mich und schloss die Augen.
Peinlich, peinlich, peinlich!
Ich traute mich gar nicht mehr, aufzuschauen, so unangenehm war mir mein ganzer Auftritt.
Hastig kramte ich meine Schreibsachen aus meinem Rucksack.
In dem Moment betrat Gott sei Dank Herr Knut den Klassenraum, um mit dem Geschichtsunterricht zu starten.
»Guten Morgen, Klasse«, brummte er auf dem Weg zum Lehrerpult, während er seine braune, zerfledderte Aktentasche öffnete. Die Brille hatte er sich auf den Kopf geschoben, die gleichzeitig mit einer Schnur um seinen Hals befestigt war.
Die anderen Schüler nahmen ihre Plätze ein, darunter auch Romy, die nun direkt vor mir saß und mir erneut ihre Rückenpartie präsentierte.
Du solltest beim Laufen besser aufpassenich