SALIM GÜLER

 

 

 

 

 

Die Stillen müsst ihr fürchten

 

– Tatort Köln: Krimi

 

 

 

 

 

 

1. Auflage August 2015

 

Autor: Salim Güler

Lektorat: Christiane Saathoff, www.lektorat-saathoff.de

Covergestaltung: Irina Bolgert

Erstveröffentlichung: 2015 als E-Book

Copyright © 2015 by Salim Güler

 


  1. INHALTSVERZEICHNIS:

 

INHALTSVERZEICHNIS:

Das Buch

Der Autor

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Eine Bitte

 

  1. Das Buch

 

Ein psychopathischer Killer vergewaltigt und ermordet junge Frauen in Köln auf brutale Weise. Nach dem Mord stellt er Bilder der toten Frauen in die Facebook-Profile der Toten.

Die Kripo Köln um Lasse Brandt ermittelt auf Hochtouren, da der Mörder bereits seine nächste Tat angekündigt hat. Zu allem Überfluss bekommt Brandt einen neuen, unerfahrenen Partner an die Seite gestellt.

Kann die Kripo Köln den Täter schnappen, bevor die nächste junge Frau dem Psychopathen zum Opfer fällt?

 

 

 

 

  1. Der Autor

 

Salim Güler, aufgewachsen in Norddeutschland, studierte in Köln Wirtschaftswissenschaften und promovierte an der TU-Chemnitz. Er arbeitete lange Zeit in der freien Wirtschaft, zuletzt als Pressesprecher.

Schon als Schüler begann er mit dem Schreiben von selbsterfundenen Geschichten und diese Leidenschaft ließ ihn bis heute nicht los.

In seinen Romanen finden sich immer wieder gesellschaftlich aktuelle Themen, die er geschickt in eine fiktive und hoch spannende Geschichte einzubetten versteht.

Seine Bücher landen regelmäßig in den Bestsellerlisten der Verkaufs-Charts.

Salim Güler ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert und freut sich daher über jeden Kontakt, entweder über Facebook oder über seine Homepage.

www.salim-gueler.de

https://www.facebook.com/salim.gueler.autor

 

  1. Kapitel 1

 

Ich kenne dich! Du glaubst mir nicht? Das solltest du aber. Ich weiß, wo du wohnst, wo du dich heute herumgetrieben hast, mit wem du rumhurst. Ich weiß alles über dich. Ich bin dein stiller Liebhaber. Mache ich dir Angst?

Nein?

Warum nicht?

Weil du mir nicht glaubst?

Das solltest du aber.

Ich weiß, wann du nach Hause kommst, erschöpft und unzufrieden von der Arbeit. Ich weiß, wo dein Schlafzimmer ist und ich weiß, dass du immer kurz nach elf Uhr abends ins Bett gehst, da du um sieben Uhr schon wieder aufstehen musst.

Überrascht?

Ich weiß noch mehr über dich. Viel mehr. Ich weiß, dass du, bevor du ins Bett gehst, die Fenster im Schlafzimmer öffnest. Dass du, während du lüftest, ins Badezimmer verschwindest, um deine Zähne zu putzen, dein Make-up zu entfernen und dich bettfertig zu machen.

Und ich weiß, dass du Single bist, seit einigen Monaten, und dass du darüber sehr unglücklich bist. Es ist halt nicht leicht, in deiner Position einen verständnisvollen Freund zu finden.

Woher ich das alles weiß?

Weil ich dich kenne, sehr gut sogar. Wie gesagt, ich bin dein stiller Liebhaber.

Du bist nicht anders als die meisten Menschen, die meisten anderen Schlampen. Deine Gewohnheiten machen dich schwach, angreifbar, und mich stark.

Während du gerade im Bad bist, habe ich mir durch dein Fenster Zugang zu deiner kleinen schnuckeligen Wohnung verschafft. Ich höre, wie du deine Zähne putzt, du nutzt eine elektrische Zahnbürste, wie süß …

Ich lege mich in dein Bett, wärme es für dich vor. Ich hoffe, es gefällt dir. Deine Bettwäsche riecht gut, du riechst gut. Aber was tue ich überrascht, das weiß ich doch bereits, denn ich war schon öfter bei dir. Immer dann, wenn du im Bad warst und das Fenster zum Lüften aufgemacht hast, habe ich dich besucht. Du hast es sicherlich nie bemerkt, oder?

Ich war aber da, ich konnte einfach deinem Duft nicht widerstehen.

Warum ich mich dir noch nicht vorgestellt habe? Die Zeit war noch nicht reif. Doch jetzt ist sie es. Gleich wirst du mich endlich kennenlernen, und ich freue mich darauf. Auch mein kleiner Freund freut sich.

Vielleicht können wir ja Freunde werden oder ein Paar? Lass mich nachdenken – nein, ich glaube nicht.

Ob ich mich vielleicht doch ausziehen sollte, bevor du kommst? So mit Klamotten im Bett liegen wäre vielleicht unhöflich, oder?

Egal, ausziehen kann ich mich auch noch später. Du hast gerade aufgehört, deine Zähne zu putzen, die Zahnbürste ist verstummt und ich muss gestehen, dass ich ein wenig aufgeregt bin, mein Herz schlägt schneller. So müssen sich frisch Verliebte fühlen, die zum ersten Mal Sex haben.

Schließlich weiß ich nicht, wie du dich anfühlst. Ich habe dich ja bisher nur gesehen, zwar auch von Nahem, aber deinen Körper habe ich noch nie berührt.

Aber glaube nicht, dass es keine Gelegenheit dazu gab, die gab es reichlich, so leichtsinnig wie du bist. In der U-Bahn, in der Fußgängerzone, selbst im Schwimmbad war ich dir sehr nahe, näher als du glaubst. Du hast mich nie wahrgenommen, aber was meinst du, wie oft ich dich hätte berühren können, wenn ich nur gewollt hätte. Ich hätte dir gar in die Sauna folgen können, ohne dass du mich bemerkt hättest. Aber ich wollte es nicht. Mein erstes Mal sollte etwas ganz Besonderes sein, ich wollte dich zum ersten Mal berühren, wenn du nackt bist. Gleich.

Ich muss mich beherrschen, meine Aufregung und Geilheit unter Kontrolle halten, da ich gerade höre, wie du die Tür zum Badezimmer schließt.

Wie immer wirst du jetzt deinen Kindle aus dem Wohnzimmer holen, um noch ein paar Seiten zu lesen, wie an jedem Abend.

Wie leicht du mir doch alles machst. Das ist schön, denn andere werden es mir auch sehr leicht machen. Eine wunderbare Zeit kommt auf mich zu.

Wie recht ich hatte. Ich spüre deinen Atem, ich sehe deine Silhouette, die vom Mondlicht sanft beschienen wird. Du bist verdammt sexy.

Zum Glück schläfst du bei offenem Fenster, im Sommer erst recht. Und da dein Kindle beleuchtet ist, machst du nicht einmal das Licht an.

Ich würde gerne laut loslachen, weil alles so einfach ist. Aber sei ohne Sorge, es gibt viel mehr Frauen wie dich, und einige von ihnen werde ich in den nächsten Tagen aufsuchen, aber jetzt gilt meine volle Konzentration nur dir.

Du steigst ins Bett, ich rieche dich immer stärker. Dein Geruch macht mich wahnsinnig. Du liest und bemerkst mich nicht einmal, so ein Doppelbett hat schon seine Vorzüge, muss ich sagen.

Ich kann dir nicht mehr widerstehen, ich muss dich berühren, dich spüren und besitzen.

Dann geht alles ganz schnell. Du schreist, als ich meine Hand auf deinen Arm lege, versuchst, dich zu wehren, doch schnell verstummst du, als du die kalte Klinge an deinem Hals spürst. Ich kann deine Angst förmlich riechen und das macht mich noch geiler.

Glaubst du mir jetzt, dass ich dich kenne, du aber mich nicht?

Und das ist auch gut so.

 

 

  1. Kapitel 2

 

Tag 2, Agnesviertel – Köln

 

»Immer wenn ich glaube, ich hätte schon alles gesehen, werde ich eines Besseren belehrt«, sagte Alexander Rech, Kriminalbeamter bei der Spurensicherung der Kölner Polizei, mit betrübter Stimme.

Brandt antwortete nicht gleich. Sein Blick ruhte auf der übel zugerichteten Leiche. Auch ihm fiel es schwer, seine Fassung zu behalten.

»Endlich bist du da.«

Mit diesen Worten wurde Brandt aus seinen Gedanken gerissen. Er drehte sich um, neben ihm stand seine Chefin Kristina Bender. Sie war neununddreißig Jahre alt, knapp einen Meter siebzig groß und hatte kurze braune Haare. Rein äußerlich wirkte sie wie eine ganz normale Frau ihres Alters. Sie hielt nicht viel von Schminke, und wenn, dann sah man es nicht auf den ersten Blick. Ihre Wortwahl war öfter alles andere als ladylike, aber sie war eine Überfliegerin.

Seit zwei Jahren war sie die Chefermittlerin der Kölner Mordkommission und damit die jüngste Leiterin vom K-11, das war die interne Abkürzung für das Kriminalkommissariat.

Bender war sehr ehrgeizig, fachlich kompetent und schien für ihren Beruf zu leben. Diese Eigenschaften verschafften ihr Respekt und Anerkennung bei den Mitarbeitern und Kollegen. Trotz ihres jungen Alters war sie die Richtige für den Job.

»Ging nicht schneller«, antwortete Brandt trocken.

»Hast du getrunken?«, fragte Bender.

»Das tut man, wenn man in einer Kneipe ist.«

Bender verdrehte nur ihre Augen. »Du bist aber nicht mit dem Wagen hier?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete er pflichtbewusst. So viel Verstand besaß er noch, schließlich hatte er mehr als fünf Kölsch getrunken.

Als ihn der Anruf seiner Chefin erreicht hatte, war er zunächst versucht gewesen, das Auto zu nehmen, hatte sich dann aber doch dafür entschieden, die Strecke zu laufen, da die Kneipe fußläufig zum Tatort lag. Ansonsten hätte er sich nicht nur eine Predigt von Bender anhören dürfen, sondern wer weiß was noch.

Bender duldete keine Pflichtverletzungen in ihrer Abteilung, ihre Mitarbeiter mussten immer Vorbilder sein und über jeden Zweifel erhaben. Gerade Brandt fiel das nicht immer leicht, da er doch hier und da zu unkonventionellen Methoden neigte. Das führte immer wieder dazu, dass er mit Bender aneinandergeriet.

Bender hielt sich die Hand vor den Mund, als sie die Leiche sah. Es schien, als wollte sie einen Schrei unterdrücken.

»Schlimm, sehr schlimm«, machte sich Rech bemerkbar.

»Habt ihr schon etwas?«, wollte Bender wissen.

»Nein, nicht wirklich. Wir haben ja gerade erst angefangen. Aber nach dem zu urteilen, was ich auf den ersten Blick sehe, dürfte der Todeszeitpunkt noch nicht lange zurückliegen. Ich vermute maximal zwei Stunden.«

»Wer hat sie gefunden?«, fragte Bender.

»Niemand. Um 1:15 Uhr ging ein Notruf bei der Polizei ein«, erklärte Bender.

»Und wer hat den Notruf getätigt?«, hakte Brandt nach.

»Das wissen wir nicht. Die Stimmenanalyse läuft noch.«

»Warum soll jemand einen Mord melden und sich nicht zu erkennen geben? Konnten wir den Anruf zurückverfolgen?« Brandt bekam ein ganz mulmiges Gefühl, die Sache fing an zu stinken, bevor die Ermittlungen überhaupt angefangen hatten.

»Genau diese Frage stelle ich mir auch. Der Notruf wurde aus der Wohnung übermittelt, vom Festnetzanschluss.«

»Aus dieser Wohnung?«

»Mensch, Brandt, wie viel hast du getrunken? Ja, aus dieser Wohnung, verdammt noch mal, und es ist davon auszugehen, dass der Notruf nicht von der Frau kam.« Benders Stimme erhob sich, sie machte einen genervten und ungehaltenen Eindruck.

»Wieso ruft der Mörder bei der Polizei an?«, fragte Brandt laut in die Runde.

»Wieso macht ein Mensch so was?«, bemerkte Bender sarkastisch und schaute auf die Leiche. »Rech, was hast du für uns?«, wandte sich Brandt an seinen Kollegen von der Spurensicherung. Er war zu angetrunken, um sich auf eine Diskussion mit seiner Chefin einzulassen.

»Wie gesagt noch nicht viel. Bei der Toten handelt es sich um Julia Schick. Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt und soweit wir das bisher beurteilen können, lebte sie alleine. Jedenfalls gibt es in der Wohnung keine Hinweise darauf, dass sie einen Freund hatte.«

»Habt ihr Spermaspuren gefunden?«

»Nein, noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass sie vergewaltigt wurde.«

»Nachdem Sie ermordet wurde?«, unterbrach Bender das Gespräch der beiden Männer.

»Ich denke nicht. Wenn ich mir die Verletzungen anschaue, deutet vieles darauf hin, dass er die junge Frau nach dem Sexualakt, wenn es denn wirklich dazu gekommen ist, ermordet hat.«

»Meinst du, dass sie vielleicht gar nicht vergewaltigt wurde?«

»Doch, ich vermute es. Leichte Verletzungen im Intimbereich lassen darauf schließen. Aber wir haben noch keine Spermaspuren gefunden.«

»Könnte es sein, dass er versucht hat, sie zu vergewaltigen, und als es nicht geklappt hat, ist er ausgeflippt und hat sie so zugerichtet?«

»Sehr gut möglich. Der Mörder muss unter extremer Anspannung gestanden haben. Wenn er auf diese Weise keine sexuelle Befriedigung finden konnte, hat er sie sich anders geholt …«

»… indem er sein Opfer abgeschlachtet hat«, beendete Brandt den Satz. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Psychopathen durch Gewalt erregt wurden.

Trotz der schlimmen Verletzungen konnte Brandt sehen, dass Julia Schick eine junge attraktive Frau war. Sie war schlank und sehr gepflegt.

»Warum hat er das Gesicht nicht verletzt?«, fragte Bender.

»Gute Frage, vielleicht hat das Gesicht eine bestimmte Bedeutung für ihn.«

»Oder er hat sich an ihrem Gesicht einen gewichst«, zeigte Brandt eine weitere Möglichkeit auf.

Bender verdrehte nur die Augen, ihr abwertender Blick war für ihn Antwort genug.

»Wir treffen uns morgen früh um 10 Uhr zur Besprechung. Ich hoffe, dass wir bis dahin brauchbare Hinweise haben.«

»10 Uhr?«, fragte Brandt. Schließlich war es inzwischen schon fast 2:30 Uhr und er vermutete, dass er und seine Kollegen noch einige Zeit am Tatort verbringen würden – im Gegensatz zu Bender, die jetzt nach Hause fuhr, um zu schlafen. Das jedenfalls nahm er an.

»Sei froh, dass ich nicht 9 Uhr gesagt habe«, fiel Bender ihm ins Wort.

Er antwortete nicht. Sie verabschiedete sich von den Kollegen und verließ die kleine Wohnung.

»Mann, ist die gut drauf«, spottete Brandt, als sie gegangen war.

Er trat an die Leiche heran und betrachtete sie genauer. Der Brustkorb war blutverschmiert, ebenso ihre Beine und ihre Füße. Am Bettlaken blieb sein Blick hängen.

Mit der rechten Hand berührte er das Laken, natürlich mit Einmalhandschuhen, um keine Spuren zu verwischen. Er senkte den Kopf und schaute genauer hin.

»Nass«, sagte er überrascht.

»Ja, wir wissen auch noch nicht, was das zu bedeuten hat. Aber um den Intimbereich ist es nass.«

»Urin?«

»Ich denke nicht. Sie hat sich zwar entleert, was typisch ist, der Körper wird schlaff nach dem Tod, aber da ist nicht nur Urin, sondern auch Wasser.

»Wollte der Täter Spuren verwischen?«, suchte Brandt nach einer Antwort.

»Gut möglich. Aber für eine konkrete Aussage ist es noch zu früh, ich hoffe, dass ich morgen im Meeting mehr dazu sagen kann.«

»Ist er durchs Fenster eingestiegen? Oder gibt es Spuren an der Haustür?« Brandt schaute zum Schlafzimmerfenster, das nur angelehnt war.

»Davon ist auszugehen. An der Haustür gibt es keine Spuren, die auf Gewalteinwirkung schließen lassen.«

»Oder er kannte sie«, überlegte Brandt weiter.

»Auch möglich. Bevor du fragst, es gibt noch keine Hinweise auf Fingerabdrücke. Du musst mir einfach noch ein wenig Zeit lassen, minge Fründ.«

Brandt näherte sich dem Fenster. Er öffnete es und schaute sich den Rahmen an, danach schaute er hinaus. Julias Wohnung lag im Erdgeschoss, das Schlafzimmer wies zum Innenhof und war leicht versetzt, es bot somit gute Voraussetzungen für einen Einbruch.

Jedoch deutete nichts am Tatort auf einen Einbruch mit Diebstahl hin, sondern allein auf ein Sexualverbrechen mit Todesfolge.

Woher wusste der Mörder, dass eine junge Frau hier wohnt?, fragte sich Brandt. Ob die junge Frau ihren Mörder gekannt hatte?

Ein Gefühl sagte ihm, dass es so war.

Köln war groß, das Agnesviertel war eine sehr beliebte Wohngegend, nah am Zentrum, und es lag linksrheinisch, was für viele Kölner wichtig war. Die richtige Rheinseite. So waren die Kölner eben, sie hatten ihre Prinzipien, auch wenn einige von ihnen arg an den Haaren herbeigezogen waren. Doch das machte sie auch sympathisch.

Die kühle Luft, die durchs Fenster eindrang, half ihm, seine Gedanken zu sortieren. Kurzentschlossen schwang er ein Bein durch den Fensterrahmen.

»Was machst du da?«, hörte er Rech fragen, aber da war er schon zum Fenster hinaus.

»Alles gut, ich will nur mal sehen, wie der Einbrecher sich Zugang verschafft hat«, erklärte Brandt.

Das Grummeln seines Kollegen verriet ihm, dass er mit dieser Antwort nicht glücklich war. Die größte Sorge der Spurensicherung war immer, dass andere wertvolle Spuren verwischen könnten.

Der Boden des Innenhofes brachte die erste Enttäuschung. Mit bloßem Auge konnte er keine Schuhabdrücke entdecken, alles war betoniert.

»Rech, schaut bitte auch hier nach Schuhspuren.«

»Gerne, aber wenn du da rumtrampelst, wird nicht mehr viel davon übrig bleiben.«

»Ich fürchte, das passiert so oder so », entgegnete Brandt.

»Und warum soll ich dann die Männer damit beschäftigen?« Ärger lag in Rechs Stimme.

»Man kann nie wissen«, erklärte Brandt und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Der Innenhof war dunkel, er machte ein paar Schritte in der Hoffnung, dass ein Licht angehen würde, aber nichts geschah.

Ein dunkler Innenhof?, dachte er verwirrt. Oder hat der Mörder die Glühbirne zerstört?

Dank des Mondlichts, das zwischen die Häuser fiel, war es nicht stockfinster. Auch das Licht aus dem Schlafzimmer hellte den Innenhof leicht auf. Er ging Richtung Eingang, schaute auf die Namensschilder, fand dann den Lichtschalter und betätigte ihn. Es wurde hell.

»Kein Sensor«, stellte er fest und musste seinen Gedanken, dass der Mörder am Licht manipuliert hatte, revidieren. Kein Bewegungsmelder.

Sparmaßnahmen? Umweltschutz? Brandt schüttelte ärgerlich den Kopf und blickte sich um.

Vom Eingang aus konnte man das Schlafzimmer nicht sehen, also hatte sich der Mörder fast ungehindert Zugang verschaffen können. Dann fiel sein Blick auf ein anderes Fenster.

Das Nachbarhaus!

Er ging hinüber. Es war ein kleines Fenster, aber von hier aus hatte man einen guten Blick zum Schlafzimmer von Julia.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer!

Brandt ging zur Haustür und klingelte. Niemand reagierte, er klingelte noch ein zweites Mal, wieder reagierte niemand.

Er schaute auf seine Uhr, inzwischen war es kurz vor 3 Uhr. Er wusste zwar, dass es die denkbar ungünstigste Zeit war, jemanden zu sprechen, aber hier ging es um einen Mord, da konnte er keine Rücksicht auf die Belange anderer nehmen. Also betätigte er die Klingel ein weiteres Mal, diesmal ausdauernd.

»Mist«, fluchte er. Wer immer in der Wohnung wohnte, schlief entweder tief und fest oder hatte einfach keine Lust, die Tür zu öffnen.

Er klingelte noch einmal, aber wieder keine Reaktion.

»So nicht«, sagte er verärgert und beschloss, eine andere Klingel zu nehmen, um in das Haus zu kommen. Wenn er erst einmal den Flur betreten hatte, würde er so lange an die Tür klopfen, bis geöffnet wurde. Brandt konnte sehr hartnäckig sein.

Gerade als er eine andere Klingel betätigen wollte, berührte ihn jemand an der Schulter.

 

 

  1. Kapitel 3

 

Was jetzt wohl die Polizei macht? Ob sie noch immer am Tatort ist? Ein Blick auf meine Uhr sagt mir Ja. Wieso muss ich nur grinsen? Weil die Polizei niemals erfahren wird, dass ich es war, es sei denn, ich will es? Oder weil ich es endlich getan habe? Endlich habe ich das Zuschauerdasein hinter mir gelassen und den großen Schritt gewagt.

Ob ich es bereue? Nein, warum sollte ich?

Es war schön, sehr schön, auch wenn du es mir anfangs nicht leicht gemacht hast, liebe Julia, dabei hattest du doch versprochen, brav zu sein. Ich dachte, die kalte Klinge an deinem Hals würde dich zur Vernunft bringen. Es hätte nicht so enden müssen, aber nein, du musstest mich ja wütend machen, sehr wütend.

Du Schlampe!

Allein daran zu denken, macht mich wieder wütend. Ich hätte dir die Faust ins Gesicht schlagen können, wenn du nicht so schön wärst. Dein Gesicht, das eines Engels. Ich bin stark geblieben, trotz all der Wut, habe ich dein Gesicht nicht … du weißt schon.

Ein Lächeln spielt bei diesem Gedanken um meinen Mund. Ach, ich bin noch ganz aufgewühlt. Es ging alles so schnell, dabei waren es nur fast zwei Stunden, oder? Warte, es waren zwei Stunden und fünf Minuten. Ich weiß es ganz genau. Woher ich das weiß? Ich habe die Zeit gestoppt. Ist das nicht schön, an was ich alles denke?

Ich muss meine Gedanken sortieren und mich von deinem Blut befreien, aber jetzt noch nicht. Ich möchte noch eine Weile deinen Geruch an mir spüren, du riechst so gut, selbst dein Blut riecht gut.

Ich hätte nie gedacht, dass der Anblick von menschlichem Blut mir so gefallen könnte. Ich muss gestehen, es hat mir fast so gefallen wie dein Gesicht, wie das Gefühl, dich zu berühren und in dich einzudringen …

Warte … Nein! Du Schlampe, du hast mich ja nicht reingelassen. Verdammte Schlampe, jetzt machst du mich wieder wütend, dabei gibt es keinen Grund, wütend zu sein, schließlich habe ich meine Ängste überwunden und meine Fantasien endlich ausgelebt.

Du warst dafür die Richtige. Und ich habe dazugelernt. Ich dachte, es wäre eine gute Idee gewesen, mir vorher einen runterzuholen, jetzt weiß ich es besser.

Es heißt doch immer, das erste Mal sei etwas Besonderes, beim ersten Mal klappt es oft nicht so, wie man es sich erhofft. Unser erstes Mal wird immer etwas Besonderes bleiben, auch wenn es anders war, als ich es mir gewünscht hatte.

Warum musstest du dich auch wehren? Du hattest doch versprochen, dass du brav sein wolltest, wenn ich das Messer von deinem Hals nehme. Ich habe mich an mein Versprechen gehalten. Ich halte immer meine Versprechen.

Anfangs habe ich dir vertraut, ich habe dich zärtlich gestreichelt, deinen Busen berührt, mit der Zunge umkreist und verwöhnt und zärtlich an ihm gesaugt. Dein Busen zeigte mir, dass es dir gefiel, du warst erregt, also habe ich mich weiter runtergewagt, weil ich wollte, dass es auch dir Spaß macht. Ich bin kein Egoist.

Und was machst du Schlampe? Du versuchst mit deinen Schenkeln meinen Kopf zu zerdrücken, mit deinen Händen hast du auf mich eingeschlagen, versucht, dich loszureißen, wolltest mir das Messer aus der Hand zerren. Du dummes Mädchen, ich bin ein Mann, ich bin dir überlegen, also musste ich tun, was ich tat, schließlich hast du mich wütend gemacht. Ich habe dir eine gescheuert, aber dann fingst du an zu schreien. Das konnte ich nicht zulassen, also habe ich zugestochen und gleichzeitig deinen Mund zugehalten.

Selbst dann hast du noch keine Ruhe gegeben, es war deine Schuld, dass ich erneut zustach und dann wieder und wieder. Nur deinetwegen. Und dann passierten zwei Missgeschicke. Du hast dich nicht mehr geregt und ich habe abgespritzt.

Ehrlich, ich weiß nicht, wie das geschehen ist, es ist einfach passiert. Ich wusste gar nicht, wie mir war. Aber du kannst dir sicher denken, dass ich erschrocken war. Alles war perfekt, aber mein Sperma konnte ich nicht am Tatort lassen, also musste ich es wegmachen. Ich glaube, ich konnte alles wegwischen. Ich bin mir sicher, dass ich alles wegwischt habe.

Nein, ich habe garantiert alles weggewischt. Ich mache keine Fehler!

Die dumme Polizei wird niemals auf mich kommen, es sei denn, ich will es. Ich werde noch ein wenig mit ihnen spielen. Morgen früh gibt es die nächste Überraschung.

 

 

  1. Kapitel 4

 

 

 

Als Brandt den Besprechungsraum betrat, waren bereits alle Kollegen da. Ein Blick auf die Wanduhr sagte ihm, dass er pünktlich war. Er nahm einen Kaffee aus der Kanne, die auf dem Tisch stand, und setzte sich.

Er war noch bis 4 Uhr morgens am Tatort gewesen.

Die Person, die ihn im Innenhof an der Schulter berührt hatte, war Frank Schneider gewesen. Brandt hatte diesen Zufall dankend angenommen, denn Schneider wohnte in der Wohnung, die zu dem Fenster gehörte, welches Brandt so brennend interessierte.

Allerdings war seine kleine Hoffnung schnell enttäuscht worden. Schneider arbeitete in der Nachtschicht und kam immer zwischen 3 und 4 Uhr morgens nach Hause. Er hatte demzufolge nichts gesehen.

»Da wir jetzt vollzählig sind, sollten wir keine Zeit verschwenden. Eine kurze Zusammenfassung für die, die nicht am Tatort waren: Gestern Abend gegen Mitternacht wurde die zweiundzwanzigjährige Julia Schick vergewaltigt und auf brutale Weise ermordet.«

Bender öffnete ihre Mappe, nahm zwei Fotos heraus und reichte sie herum. Ein Stöhnen ging durch die Reihen.

Brandt ließ sich für einen kurzen Augenblick ablenken, da er unter den Kollegen eine Person sah, die er nicht kannte.

»Rech, informiere uns bitte über den aktuellen Stand der Spurensicherung«, bat Bender und gab ihm das Wort.

Rech warf einen kurzen Blick in die Runde, sein Blick blieb kurz bei dem Neuen hängen, wanderte dann aber weiter.

Also kennt er ihn auch nicht?, dachte Brandt und fragte sich, warum Rech nicht gleich etwas über den neuen Kollegen in Erfahrung bringen wollte. Wenn er denn ein neuer Kollege war. Er machte einen recht jungen Eindruck. Zu jung für die Mordkommission?

Rech nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse, ehe er anfing zu berichten: »Wie schon gehört, bei der Toten handelt es sich um die zweiundzwanzigjährige Julia Schick. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Aller Wahrscheinlichkeit nach lebte sie alleine. Die Eltern wohnen in Bayern. Sie werden heute gegen 12 Uhr erwartet, um die Leiche zu identifizieren. Wir sind auch gerade dabei, ihre Telefon- und Internetkontakte zu überprüfen.«

»Internetkontakte? Wenn ich helfen kann, ich habe gerade Luft«, bemerkte Lutz Fischer. Fischer war vierunddreißig Jahre alt und arbeitete in der IT-Abteilung der Kölner Polizei. Es gab fast nichts, was er in Sachen Computer und Programme nicht entschlüsseln konnte. Brandt hatte das Gefühl, dass er mit seinem Computer sogar ins Bett ging.

»Die E-Mail sollte schon zu dir unterwegs sein. Ich gehe mal davon aus, dass Bender dich genau deswegen zu diesem Meeting gerufen hat«, bemerkte Rech, er konnte sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. Einige Kollegen grinsten, als sie jedoch Benders scharfen Blick sahen, sanken ihre Mundwinkel wieder herab.

Bender duldete es nicht, dass in Besprechungen allzu sehr abgeschweift oder gar herumgefrotzelt wurde. Dennoch konnten die Mitarbeiter manchmal nicht anders.

»Alles klar, sobald ich im Büro bin, mache ich mich an die Arbeit. Sicherlich das Übliche, oder?«

»Ja, vor allem Verhaltensmuster. Mit welchen Personen hat sie in letzter Zeit kommuniziert, gab es irgendwelche Abweichungen in ihrem Onlineauftritt etc. Du weißt das ja. Und setze bitte Brandt und mich in cc. Er wird die Ermittlungen leiten«, kam Bender Rech zuvor.

»Klar«, antwortete Fischer.

»Wir konnten auf ihrem Laptop zum Glück die Profile von Facebook und Instagram sicherstellen. Sie hatte Cookies auf dem Laptop, sodass sie nicht jedes Mal ihre Passwörter eingeben musste«, führte Rech aus.

»Super, das macht die Arbeit noch einfacher, wobei ich Herausforderungen auch schätze«, sagte Fischer mit einem vielsagenden Blick.

»Gibt es neue Erkenntnisse zur Todesursache?«, fragte Brandt.

»Die Obduktion findet nach dem Meeting in der Rechtsmedizin statt, ich werde mich nachher direkt auf den Weg dorthin machen, darfst mich gerne begleiten, minge Jung«, bemerkte Rech. Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, weil er wie die anderen wusste, dass Brandt Obduktionen hasste. So oft es ging, entzog er sich diesem Teil seiner Arbeit.

»Du schaffst das schon ohne mich. Ich denke, ich bin mit den Befragungen und den Ermittlungen mehr als ausgelastet«, suchte Brandt nach einer Ausrede.

Glücklicherweise war seine Chefin in dieser Angelegenheit nicht stur. Rech und sein Team zeichneten verantwortlich für den Kontakt zur Rechtsmedizin und das seit über zehn Jahren. Bender hatte diese Regelung von ihrem Vorgänger übernommen.

Dies war vermutlich auch ein Grund dafür, warum sie im Team so schnell Anerkennung gefunden hatte: Sie hatte nicht mit allen Ritualen und Bräuchen gebrochen, sondern viele Dinge ihres Vorgängers übernommen.

»Wie du meinst«, sagte Rech und fuhr mit seinem Bericht fort: »Alles deutet darauf hin, dass sie durch die unzähligen Messerstiche im Brustbereich gestorben ist, Todesursache war vermutlich Verbluten. Die Stiche alleine waren nicht tödlich, erstaunlicherweise hat er das Herz nicht getroffen. Es gab auch Spuren an der Halsgegend. Ich gehe davon aus, dass sich der Mörder Zugang durchs offene Fenster verschafft und das Opfer im Bett überrascht hat.«

»Ist das sicher?«, warf Jens Schmadtke ein. Er war als Kriminalkommissar Teil des Ermittlungsteams.

»Ja, es gab weder Spuren an der Haustür noch an den Fenstern, die darauf deuten, dass sich jemand gewaltsam Zugang zur Wohnung verschafft hat.«

»Was, wenn es ein Bekannter war? Wäre ja nicht das erste Mal, dass sich ein Ex-Freund an seiner Freundin rächt. Verschmähte Liebe«, erwiderte Schmadtke.

»Das ist nicht auszuschließen, daher ist auch die Auswertung der Onlineprofile wichtig. Wir haben jedenfalls in der Wohnung keine Hinweise auf einen Freund oder Ex-Freund gefunden.«

»Wenn ich kurz dazwischen darf: Die Befragung einiger Anwohner bestätigt Rechs Annahme. Sie schien wirklich alleine zu leben«, meldete sich Brandt zu Wort.

Rech ging nicht weiter auf den Einspruch Schmadtkes ein und setzte seine Ausführungen fort: »Die Spuren an der Halsgegend lassen vermuten, dass er versucht hat, sie zu vergewaltigen. Bevor jemand Einspruch erhebt, will ich auch gleich erklären warum. Er hat sie mit einem Messer bedroht, um sie ruhigzustellen, und wollte sich dann an ihr vergehen. Wir haben Spermaspuren gefunden, die diese Annahme unterstützen.«

»In ihr?«, hakte Brandt nach. Gleichzeitig kam ihm ein Gedanke.

»Nein, nicht in ihr. Auf dem Bettlaken, daher auch die Wasserspuren. Es ist denkbar, dass der Mörder nach seiner Tat versucht hat, die Spermaspuren wegzumachen. Das nasse Laken deutet darauf hin.«

»Wieso hat er das Laken nicht vernichtet oder mitgenommen?«, fragte Schmadtke.

»Keine Ahnung. Warum hat er sie abgeschlachtet?«, gab Rech bissig zurück. »Der Mann muss unter enormem Druck gestanden haben. Gut möglich, dass er nicht daran gedacht hat, dass er glaubte, durch Wegwischen mit Wasser keine Spuren zu hinterlassen.«

»Er hat einen Fehler gemacht, das könnte uns in die Hände spielen. Wir sollten uns darüber freuen. Wir werden die Spuren mit den Profilen in unserer Datenbank abgleichen. Vielleicht haben wir Glück und es handelt sich um einen Wiederholungstäter. Brandt, ich möchte, dass du dich dessen annimmst.« Bender fiel Rech ins Wort. Sie schien intuitiv immer zu spüren, wenn die Kollegen begannen, sich verbale Wortgefechte zu liefern, die am Ende nur eine gereizte Stimmung hervorbrachten.

»Steht auf meiner To-do-Liste«, antwortete Brandt und machte sich eine Notiz.

»Wenn er außerhalb des Körpers ejakuliert hat, kannst du schon sagen, ob er überhaupt in sie eingedrungen ist?«, wollte Brandt wissen.

»Ich vermute nicht. Aber exakt kann ich dir das erst nach der Obduktion sagen.«

»Danke. Also wäre es denkbar, dass sie sich gewehrt hat, er nicht in sie eindringen konnte, weil er vielleicht zu nervös war, dann wurde er wütend und wollte sie ruhigstellen. Dabei ist das Ganze eskaliert und er hat sie in seiner Wut getötet«, versuchte er den möglichen Tatverlauf nachzuzeichnen.

»Das ist denkbar«, bestätigte Rech.

»Und wie konnte er abspritzen?«, erwiderte Schmadtke.

»Vielleicht danach«, antwortete Brandt. »Das hieße allerdings auch, dass es sich um einen Ersttäter handelt.«

»Warum?«, fragte Fischer.

»Ein Wiederholungstäter weiß, wie er in sein Opfer eindringt, auch wenn es sich wehrt. Sollte die Obduktion ergeben, dass der Mörder nicht in die Tote eingedrungen ist, spricht doch nicht viel für einen Wiederholungstäter«, erklärte Brandt.

»Das stimmt. Gut, Rech, gibt es von deiner Seite noch etwas zu berichten, was wichtig ist?«, nahm Bender wieder das Gespräch an sich. Sie schien unruhig. Sie wirkte nervös, als hätte sie eine böse Vorahnung, wo die ganze Geschichte noch hinführen würde.

»Eigentlich nicht. Die restlichen Ermittlungsergebnisse folgen im Bericht.«

»Gut! Brandt, kannst du uns bitte noch updaten?«

»Klar, es gibt allerdings nicht viel. Ich konnte drei der sieben Mieter in dem Wohnhaus sprechen. Die anderen haben nicht aufgemacht oder waren nicht da. Ich werde sie heute aufsuchen.«

»Und was ist bei den Gesprächen herausgekommen?«

»Leider nicht viel. Die Nachbarn kannten sie als zuvorkommende und nette Person. Man sah sie selten in männlicher Begleitung.«

»Verstehe. Ich hoffe, die weiteren Gespräche bringen mehr Erkenntnisse. Egal ob Wiederholungstäter oder Ersttäter, ihr bekommt jede erdenkliche Unterstützung. Die Zeit arbeitet gegen uns, das wisst ihr. Heute wird die Presse offiziell von uns informiert, aber sicherlich wird schon irgendein Nachbar geplaudert haben.

Die Brutalität des Verbrechens an Julia Schick wird leider dazu führen, dass die Presse ausführlich darüber berichten wird. Ich möchte daher um höchste Konzentration bitten. Alle hier Anwesenden sind Teil der ‚Soko Julia‘. Ihr werdet euch in den nächsten Tagen und Wochen nur mit dem Fall Julia Schick beschäftigen. Alles andere wird zurückgestellt oder an Kollegen übergeben.«

»Ich bin aber schon sehr weit in der Angelegenheit Hardenberg«, fiel ihr Schmadtke ins Wort.

»Was heißt sehr weit?«, fragte Bender. Ihr Ton drückte Missmut aus.

»Na ja, es fehlt nicht mehr viel. Nur noch die schriftliche Aussage der Zeugen, dann kriegen wir das Schwein«, erklärte Schmadtke.

»Gut, was denkst du, wie lange du noch brauchst?«

»Zwei, vielleicht drei Wochen.«

Bender verzog ihre Lippen zu einem schmalen Spalt. Ein deutliches Zeichen, dass ihr das nicht gefiel.

»Dann bleib dran, aber Brandt kann dich jederzeit zu den Ermittlungen hinzuziehen, wenn nötig. Dein Handy sollte die nächste Zeit immer erreichbar sein.«

»Das ist es sowieso.«

»Das gilt für euch alle. Ihr habt 24/7 Bereitschaft. Bevor das Raunen losgeht, nach dem Fall bekommt ihr mehr als genug Zeit, euch zu erholen. Wir müssen den Täter schnappen, bevor er erneut zuschlägt.«

Brandt konnte nicht viel mit solchen Floskeln anfangen. Natürlich war sein Handy immer an, auch nachts, und das der Kollegen auch. Aber Bender schien es immer wieder betonen zu müssen. Brandt fragte sich, ob es einfach eine Macke ihrer Chefin war, die Mitarbeiter immer wieder auf grundsätzliche Dinge hinzuweisen, oder ob sie vielleicht einmal schlechte Erfahrungen gemacht hatte.

Wie Bender hoffte auch er, dass sie den Täter schnell zu fassen bekamen, allerdings hatten sie bisher keinen einzigen Anhaltspunkt. Er hoffte, dass sich das schnell änderte.

Brandts Blick fiel wieder auf den Neuen, der noch immer kein Wort gesagt hatte.

Wer bist du?

»Bevor wir uns trennen – die nächsten Sitzungen machen wir on-the-fly, das heißt, per E-Mail und Telefon, falls nötig treffen wir uns hier im Meetingraum.« Bender hielt inne und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Ihr Blick wanderte durch die Reihe.

Einige Kollegen wollten gerade aufstehen, da ergriff sie wieder das Wort: »Nicht so schnell, es gibt noch einen letzten Punkt auf der Agenda. Die Begrüßung eines neuen Kollegen.«

Plötzlich wurde es still im Raum und alle Blicke wanderten zu dem jungen Mann, der die ganze Zeit links neben Bender gesessen und kein Wort gesprochen hatte.

»Emre Aydin wird ab sofort unser Team verstärken. Er kommt direkt von der Hochschule und ich möchte, dass ihr alle ihn tatkräftig unterstützt.«

»Klar, willkommen im Team«, antwortete Fischer und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Die anderen Kollegen hießen ihn ebenfalls willkommen. Auch Brandt, der allerdings ein mulmiges Gefühl hatte.

»Ach ja, Aydin ist ab sofort der neue Partner von Brandt.«

 

 

  1. Kapitel 5

 

Brandt hatte Mühe, beherrscht zu bleiben. Die Nachricht war für ihn ein Schock. Er arbeitete seit zwei Jahren alleine, seit der Geschichte mit seinem Partner, und nun das.

Dass Bender ihm einfach einen neuen Partner vorsetzen würde, ohne Rücksprache mit ihm zu halten, hätte er nie für möglich gehalten. Und dann auch noch einen Jungspund, jemanden, der von Polizeiarbeit keine Ahnung hatte. Jedenfalls nicht in der Praxis. Das, was sie an der Hochschule lernten, war doch nur dämliche Theorie.

Hoffentlich nicht so ein Klugscheißer, dachte Brandt. Der Tag fängt ja echt gut an.

Wortlos folgte Aydin ihm ins Büro. Als Brandt die Tür öffnete, folgte die nächste Überraschung. Der freie Bürotisch, an dem sein letzter Partner gesessen hatte und der seitdem leergestanden hatte, war nicht mehr leer. Ein Monitor und ein Laptop standen darauf.

Ein Kollege von der IT war gerade dabei, den Computer einzurichten.

»Bin gleich fertig«, machte sich der Kollege bemerkbar.

»Ich denke mal, das ist Ihr neuer Arbeitsplatz«, sagte Brandt.

Er tat sich unglaublich schwer damit, seinen neuen Partner zu duzen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, dass Aydin jetzt sein Partner war.

Er hatte einen gehabt, und er wollte keinen neuen. Die Erinnerungen an Stahl, der gleichzeitig sein bester Freund gewesen war, hatten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Immer wieder suchten ihn Bilder heim, die er mit Alkohol auszulöschen versuchte.

Er setzte sich.

»Was machen wir jetzt?«