Cain der Killer

THE PAIN

 

Horror-Thriller

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

ISBN: 978-3-96068-019-2

 

1. Auflage

Erstausgabe Juni 2017

© 2017 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Michael Kruschina

Lektorat/Korrektorat: Anita Herzog

Covergestaltung: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Maik Bold

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

 

Kapitel 1

 

»Hey Chefe! Ich bin dann mal weg!«, Carlos Venga winkte seinem Boss zu. Schon beim Reden wandte dieser sich in Richtung des Ausgangs. Ohne sich umzusehen gab er Gas, um rasch aus dem Geschäft zu verschwinden. Damit Vesini ihm nicht noch eine Aufgabe aufs Auge drückte.

»Wenn du morgen wieder zu spät kommst, kannst du gleich daheimbleiben, Carlos!«, rief Alfredo Vesini dem Angestellten flugs hinterher, doch jener verschwand in diesem Moment durch die hinter ihm zufallende Eingangstür des Ladens in den unverdienten Feierabend.

Rasch entfernte sich der schwarzhaarige Mexikaner aus den Blicken seines Bosses. Vesini verfolgte den Weg Vengas mit wütend funkelnden Augen. Dabei presste er die Zähne dermaßen fest zusammen, dass es knirschte.

Alfredo fluchte noch einige Zeit vor sich hin. Bis zum Schließen des Geschäftes vergingen zwanzig Minuten, die er wieder einmal alleine verbringen durfte. Carlos war die Unzuverlässigkeit in Person, doch war er leider auf ihn angewiesen. Niemand sonst schien bereit, in dem Shop Vesinis zu arbeiten, welcher im Süden der Millionenstadt Chicago lag. Ein kleiner aber feiner Delikatessenladen, der allerlei Köstlichkeiten aus der alten Heimat feilbot.

Der als Choleriker verschriene Amerikaner, italienischer Abstammung, besaß viel Temperament, zu viel, selbst für einen Italiener, für die meisten seiner Mitmenschen. Ob Angestellte, Kunden oder Nachbarn, nur wenige von ihnen kamen mit Alfredo gut aus.

Doch das interessierte den untersetzten Mann mit der Halbglatze nicht im Geringsten. Er musste andere Probleme meistern – immense Probleme. Das Problem hatte auch einen Namen – Cosa Nostra, der amerikanische Ableger, der sizilianischen Mafia.

Bei der ehrenwerten Familie aus Chicago stand er mit 100 Riesen in der Kreide – Spielschulden. Das Chicago Outfit war nun erpicht darauf, diesen Batzen Geld von Vesini zurückzubekommen.

Auch wenn es an deren anderen Einnahmen gemessen nur Peanuts waren.

Doch Alfredo Vesini hatte sich schon längst einen Plan zurechtgelegt, mit dem er seine Person aus der Schusslinie brachte. Er war ja nicht auf den Kopf gefallen, dachte Alfredo bei sich. Den Mafiosi würde er schon durch die Schlinge hüpfen, da kamen keinerlei Zweifel in ihm auf.

Übermorgen lief die Frist ab, bis dahin hieß es, sich nichts anmerken zu lassen. Das Geschäft musste weiterlaufen wie immer.

Was für ihn wiederum bedeutete, einige leere Regale aufzufüllen, jene Arbeit, vor der sich sein Angestellter erfolgreich drückte und vorzeitig Feierabend feierte.

»Vaffanculo! Stets bleibt die Arbeit an mir hängen!«

Mit schweren Schritten schlurfte Alfredo Vesini in den hinteren Bereich des Ladens. Verschwand durch den Durchgang am Verkaufstresen, um aus dem kleinen Lager die Kisten herbeizuschaffen, die dort ihren Platz fanden, mit deren Inhalten er die Regale aufzufüllen gedachte. Lager war eigentlich zu viel gesagt, es handelte sich um eine bessere Abstellkammer, in der Alfredo die Kisten mit den Waren abstellte, die er noch nicht benötigte.

Voll beladen kehrte er zurück in den Laden, hinter ihm fiel die Tür quietschend ins Schloss, als er mit dem Stapel daran anstieß.

Laut ächzend unter seiner Last näherte sich der Besitzer des Ladens dem ersten Regal, das von ihm mit neuer Ware ergänzt werden musste.

Dort angekommen stellte er die Kisten neben dem zu befüllenden Verkaufsgestell ab. Bückte sich, damit er mit einem Teppichschneider die Klebebänder aufschneiden konnte, als im gesamten Geschäft die Beleuchtung ausging, kein Flackern kündigte dies an. Mitten in der Bewegung erstarrte Alfredo. Dunkelheit umhüllte ihn wie ein dunkler Sack. Es dauerte einige Zeit, bis seine Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten.

»Merda! Was ist heute los?! Mamma mia!«

Alfredo richtete sich auf. Es konnte im Grunde genommen nur eine Sicherung herausgesprungen sein, da schlagartig alle Neonlampen auf einmal ausfielen.

Nur durch die beiden ausladenden Schaufenster, in denen einige Köstlichkeiten zu bestaunen waren, sickerte von außerhalb, spärliches Licht herein. Von der Straßenlaterne, die genau vor dem Geschäft stand.

Zum Abschied bedachte er die unterste der Kisten mit einem Tritt. Der Inhalt schlug leicht gegen die Wandung der Holzkiste, mehr geschah nicht.

Weiter vor sich hin fluchend marschierte der Ladenbesitzer los in Richtung des Sicherungskastens. Heute schien alles schiefzulaufen, ging es ihm auf dem Weg dorthin durch den Kopf. Nach dem Beheben des Fehlers, der sämtliche Lichtquellen zum Verlöschen brachte, würde er den Laden dichtmachen und heimfahren. Alfredo reichte es für den heutigen Tag endgültig.

In der Düsternis des Ladengeschäftes fand der Mann sich spielerisch anmutend zurecht. Die silhouettenhafte Umgebung genügte ihm vollauf zur Orientierung. Durch zwei Seitengänge ging es und er stand direkt vor dem Sicherungskasten, der an der Wand befestigt war.

Alfredo hob den linken Arm, um das Türchen des Kastens zu öffnen, als er von jemandem hinter ihm angesprochen wurde.

Von meiner Wenigkeit – Cain!

Mein Komplize und ich beobachteten den schnaufenden Fleischberg, seit er aus dem Hinterzimmer herauskam. Einer stand so, dass er ihn ständig unter Kontrolle hielt. Im passenden Moment gab er dem anderen durch Zeichen zu verstehen, die Sicherungen auszudrehen. Als unser Opfer die Waren abstellte, war es so weit!

Nun wurde es Zeit für die Ouvertüre.

»Tztztz, das würde ich auf gar keinen Fall tun, Arschloch!«, zischte ich dem völlig perplexen Vesini ins Ohr.

Alfredo verwandelte sich in die berühmte Salzsäule. Kübel voller Eiswasser wurden über ihm ausgeschüttet in diesem kurzen Augenblick.

»Das wird jetzt wehtun!«

»Wa...?«, weiter kam der Mann nicht.

Mein heftiger Schlag traf ihn im Nacken, mit der Handkante führte ich diesen aus. Nun gingen bei Alfredo Vesini sämtliche Lichter aus. Wie zuvor die Beleuchtung des Ladens. Eine Manipulation am Sicherungskasten reichte dafür aus. Eine Kleinigkeit für einen Profi. Mit einem Klatscher landete der Besitzer auf dem Boden und machte keinen Muckser mehr.

Die ganze Aktion diente dazu, mich in das Chicago Outfit einzuführen, als Assoziierter, da nur Leute italienischer Abstammung Vollmitglieder werden konnten. Doch auch diese Position war ein lukrativer Job für denjenigen, der ihn ausübte.

Eine zweite Person schälte sich aus den Schatten der uns umgebenden Finsternis. Die jene Gestalt hinter einem der zahlreichen Regale verbarg, bis zum passenden Moment.

Mein Blick schweifte von dem am Boden liegenden Mann ab und fixierte den mir Näherkommenden.

»Schemo! Hoffentlich war der Hieb nicht zu stark! Wir brauchen den Fettsack lebend, noch!«, blaffte mich Salvatore Amato schräg von der Seite an, ich mochte so etwas überhaupt nicht. Meine Hände formte ich zu Fäusten.

»Ach, halt die Schnauze, du Wichser! Ich kann dosiert zuschlagen, soll ich es dir beweisen?«, so langsam konnte mir der Pisser gestohlen bleiben. Ein weiterer blöder Kommentar und er lag neben dem Besitzer auf dem Boden. Irgendeine Ausrede würde mir schon einfallen. Wenn es sein musste, brach ich ihm einfach das Genick.

Moral, Skrupel – Begriffe, die mir fremd waren und damit für mich kein Stück existierten. Es erleichterte einem die Arbeit und das Leben um einiges.

Weiter fluchend kniete sich der Capo seitlich des Bewusstlosen hin, nahm eine Taschenlampe zu Hilfe, um etwas zu erkennen.

Er prüfte dessen Puls, so vergingen mindestens zusätzlich zwei Minuten. Der Trottel war kein Stück imstande die richtige Stelle zu finden, um den Pulsschlag zu messen. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es Amato letzten Endes doch.

Grinsend positionierte ich mich daneben, amüsiert über die Unbeholfenheit des Mafioso, die untereinander den Begriff nicht verwendeten.

Seufzend stand Salvatore auf, löschte die schmale Leuchte, verstaute sie in der Hosentasche, verlangte anschließend von mir, dass ich den bewusstlosen Mann zu unserem Wagen trug und in den Kofferraum verfrachtete.

Er selbst zog es vor, nach draußen zu gehen, um zu prüfen, ob die Luft rein war. Die Drecksarbeit oblag zur Gänze mir. Es machte mir nichts aus.

Ich wuchtete mir Alfredo Vesini über die Schultern, ein Leichtgewicht war jener beileibe nicht, doch es bereitete mir kaum Mühe, ihn hochzuheben und zu tragen.

An der Eingangstür wartete Salvatore auf mich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, deutete er auf den vor dem Laden stehenden Wagen, einen alten verrosteten Buick LeSabre. Er war immerhin so freundlich gewesen den Kofferraum der Rostlaube zu öffnen, einen Pluspunkt gab es bei mir für die Hackfresse nicht deswegen.

Relativ sanft ließ ich den Fleischklops in den Kofferraum gleiten. Für meine Verhältnisse versteht sich.

Dass Alfredo Vesini sich den Kopf anschlug, war einfach Pech für ihn. Es gab einen hohl klingenden Schlag, der wiederum Salvatore auf den Plan rief, der schon im Buick saß und auf mich wartete.

»Was los?«

»Nichts! Ich habe mir nur das Bein angestoßen!«, antwortete ich, mit einem weithin hörbaren Knall fiel die Klappe des Kofferraumdeckels zu.

»Che idiota!«

Ich begab mich auf die Beifahrerseite, der Motor wurde gestartet, als ich die Beifahrertür öffnete. Kaum saß ich, gab der Penner auch schon Gas. Gerade schaffte ich es noch, die Tür zu schließen.

Mit durchdrehenden Reifen ging die Reise los.

Wie in einem miesen Krimi, die mich pausenlos nervten in der Glotze.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es kurz vor Mitternacht war. Die Seitenstraße, durch die wir rasten, und in der sich der Feinkostladen befand, wirkte wie ausgestorben. Keine Menschenseele schaute aus dem Fenster, um zu sehen, was der Lärm sollte. Besser für die Anwohner, denn hinten bei Vesini gab es noch reichlich Platz.

Vor uns schaltete die Ampel auf Rot, Salvatore stieg voll in die Eisen. Zu seinem Glück, auf der Hauptstraße, in die wir einzubiegen gedachten, fuhr in diesem Augenblick ein Streifenwagen der Chicagoer Polizei an uns vorbei.

Der Cop auf dem Beifahrersitz bedachte uns mit einem skeptischen Blick, doch sie rauschten vorüber. Bei all den Überstunden waren sie wohl nicht erpicht, uns zu dieser Uhrzeit wegen einer Lappalie anzuhalten.

Ihr Glück, Bullen killte ich gerne.

Die Ampel schaltet auf Grün um. Weiter ging die wilde Fahrt. In die entgegengesetzte Richtung, welche der Streifenwagen nahm.

Das Ziel lag nicht weit entfernt, eine alte abgelegene Lagerhalle. In der wir unserem Gast einige Fragen stellen würden. Und wenn er diese nicht zu unser aller Zufriedenheit beantwortete, war dies für seine Gesundheit alles andere als förderlich.

Das Bild der Umgebung änderte sich langsam aber stetig. Heruntergekommene Bauten, vereinzelte Wohnhäuser wechselten einander mit alten Fabrikbauten ab. Von denen nur noch die wenigsten genutzt wurden.

Schutt und Müll lagen oft offen verteilt auf der Straße herum. Das eine und andere Mal fuhren wir den Wagen darüber hinweg. Was meinen Kollegen zu erneuten Fluchattacken verleitete, natürlich auf Italienisch.

Was ihm nicht bekannt war, ich verstand fast jedes der Worte. Auch seine Beschimpfungen in meine Richtung waren mit nicht entgangen, die Ratte würde irgendwann die passende Antwort erhalten.

Nach weiteren fünf Minuten erreichten wir unser Ziel, eine verwahrloste Lagerhalle, in der sich nur noch Ungeziefer wohlfühlte. Also genau richtig für unsere Zwecke.

Im Inneren war alles vorbereitet, der Spaß konnte bald beginnen.

Wir bogen in die Straße ein, die uns direkt zur Halle führte. Von Weitem schon tauchte das hässliche Ding in unserem Blickfeld auf. Früher diente es als Verwahrstelle von …

Ich wusste es nicht und ehrlich gesagt, war es mir scheißegal. Für unsere Zwecke war es ideal, vor allem abgelegen. Niemand würde die Schreie Alfredo Vesinis vernehmen – und schreien würde er, oh ja!

Die Lagerhalle lag etwas abseits anderer Gebäude, wie eine Insel im Wasser. Nur das hier statt Wasser eine Geröllwüste das Objekt umgab.

Die zur Halle gehörigen Anlagen waren den Baggern zum Opfer gefallen. Warum gerade sie diesem Schicksal entrann, erschloss sich mir keinesfalls, wie gesagt, es interessierte mich auch nicht.

Salvatore Amato lenkte den Wagen bis zu einem der großen Tore. Bremste und verlangte von mir, die beiden Torhälften zu öffnen, die im kalten Scheinwerferlicht badeten. Zähneknirschend gehorchte ich, noch konnte ich es mir unter keinen Umständen erlauben, dem Bastard die Kehle durchzuschneiden. Die Aufnahme in das Chicago Outfit war wichtig für mich. Es sollte meiner Karriere förderlich sein.

Der Italiener verharrte bei laufendem Motor, bis die Öffnung groß genug war, ein Fahrzeug hindurchzumanövrieren. Daraufhin gab er Gas, steuerte den Wagen hinein. Anschließend verschloss ich die Halle umgehend. Wie beim Öffnen quietschten die Torhälften erbärmlich.

Einige Meter war der Mafioso tiefer in die Lagerhalle gefahren. Nun stellte er die Kiste ab, stieg aus und wartete am Kofferraum stehend auf mich. Das Licht der Scheinwerfer brannte weiter, bis jetzt waren sie die einzigen Lichtquellen an diesem Ort. Der Wagen stand so, dass der Lichtschein, von einer der alten verrosteten Zwischenwände, reflektiert wurde, schwach zwar aber immerhin reichte die Helligkeit aus, die Hand vor Augen zu erkennen.

Bewusst provozierend schlenderte ich zu ihm. Nervös tappte er mit dem Fuß auf dem dreckigen Boden. Ich reizte ihn jetzt schon bis aufs Blut. Er und ich konnten uns nicht riechen, geschweige denn leiden. Vom ersten Augenblick an waren wir uns unsympathisch.

Er hielt mich für einen ungebildeten Glatzkopf mit frevelhaften Tätowierungen.

Ich ihn für überflüssig, damit auch entbehrlich in allen Belangen.

Es ist schon komisch mit den Mafiosi, auf der einen Seite töten und brechen sie jedes Gebot oder Gesetz, auf der anderen geben sich jene als fromme Katholiken aus. Die teuflischen Tattoos reizten einige Mitglieder der ehrenwerten Gesellschaft, wie ich wusste.

Der Trottel spuckte mir knapp an den Füßen vorbei, als uns ungefähr zwei Meter voneinander trennten. Unverfroren grinsend glotzte er mich mit seinen kleinen, glänzenden Schweinsäuglein dabei an.

Als er sich umdrehte, machte er eine lässige Bewegung, mit der er unter den Kofferraumdeckel griff, um ihn aufzuklappen. Bis dato schlummerte Alfredo Vesini tief und fest. Ich kannte meine Schläge und ihre einschläfernde Wirkung. Er würde noch lange nicht aus der tiefen Bewusstlosigkeit erwachen, die ihn umgab.

»Hol ihn raus, den Fettsack! Verfrachte die Polpetta an unser kuscheliges Plätzchen!«, nach diesen Worten entfernte sich Salvatore lachend und überließ mir den Rest der Schmutzarbeit. Wie schon im Feinkostladen.

Ich sah ihm kurz hinterher, wie er sich im Schein seiner Taschenlampe auf den Weg machte, an jene Stelle, an der wir Alfredo die Leviten lesen würden. Rasch verhallten die Schritte des Idioten.

Nun, da Amato sich außer Sicht- und Riechweite befand – er stank penetrant nach billigem Aftershave – wandte ich mich unserem Gast zu. Mir reichte die Funzel des Kofferraumes, um mich im diffusen Licht zurechtzufinden. In verkrümmter Haltung lag der Ladenbesitzer darin.

Ich bückte mich, fasste ihn unter die Achseln, nachdem ich ihn in die passende Position gedreht hatte. Vor seiner Brust griff eine Hand in die andere. Mit diesem Griff zog ich den Mann aus dem engen Kofferraum. Das Hineinwuchten erwies sich als unproblematischer, wie ich mir zähneknirschend eingestand. Kleinere Schweißperlen rannen mir über die Stirn und liefen in die Augen, in denen sie unangenehm brannten. Wut stieg in mir auf.

Als er auf dem Rand lag, ließ ich einfach los, damit er wie ein nasser Sack zu Boden klatschte.

Das Geräusch, das Alfredo Vesini bei der Landung auf dem Boden der Lagerhalle, der nur so vor Schmutz starrte, machte, hörte sich genau so an. In der weitläufigen Halle vernahm ich es als Echo, das schnell verklang.

Doch der Fleischberg hatte Glück im Unglück. Er rutschte am Heck so ab, dass er mit dem Arsch auf dem Hallenboden aufsetzte, dabei sich nur leicht den Hinterkopf anstieß. Ein leiser Schmerzlaut drang aus dem Mund, mehr nicht.

Enttäuscht trat ich dem Wichser voll in die Seite. Das Knacken einer Rippe, die brach, klang wie Musik in meinen Ohren. Der folgende Schmerzlaut fiel um einiges heftiger aus als der vorangegangene.

Der Tritt beförderte ihn aus dem Reich der Träume zurück in die Realität – einer brutalen Realität!

Die Augenlider flatterten, ein untrügliches Zeichen des nahen Erwachens. Durch einen Tränenschleier sah er mich an, eher durch mich hindurch, Alfredo begriff noch nicht, was mit und um ihn geschah.

Das würde er früh genug kapieren und am eigenen Leib erfahren.

Gerade war ich dabei mich zu ihm hinabzubücken, als mir etwas auffiel. Ein kleiner länglicher Schatten lag direkt neben dem auf dem Boden sitzenden Mann, dessen Rücken vom Wagen aufrecht gehalten wurde.

Mein Interesse war geweckt, Vesini lief mir nicht weg. Ich schnappte mir das Teil, in der Hand liegend wusste ich, um was es sich dabei handelte – ein handliches Teppichmesser. Es musste dem Besitzer des Feinkostladens aus der Tasche gefallen sein. Jetzt wechselte es den Eigentümer.

Mir würde es sich heute Nacht vielleicht noch als nützlich erweisen. Jetzt packte ich den Mann am Kragen und zog ihn daran hinter mir her, begleitet von dessen Jammern. So langsam schien er sich zurechtzufinden, Pech für ihn. Auch wenn der Mafioso mit der Taschenlampe sich am Verhörplatz befand, konnte ich mich doch in der in Düsternis getauchten Lagerhalle gut orientieren. Auf meine Augen war immer schon Verlass gewesen – Adleraugen sagten manche dazu. Ein paar der Personen weilten nicht mehr unter uns.

Noch einige Meter und es würde rechts eine Biegung vor mir auftauchen. Der folgende Gang führte mich drei Meter weiter, bis er direkt vor einer Tür endete, wahrscheinlich handelte es sich um das Büro des ehemaligen Geschäftsführers.

Dort hatten der Speichellecker der Mafia und ich, schon alles vorbereitet, um uns mit Alfredo Vesini in aller Ruhe zu unterhalten, o. k., Ruhe war relativ. Diese würde sicher von zahlreichen Schmerzschreien unterbrochen werden.

Bei den Gedanken daran legte sich ein kaltes Lächeln der Vorfreude auf mein Gesicht. Schmerzen waren mein Metier. Man nannte mich nicht umsonst – Cain the Pain!

In diesem Moment öffnete sich laut ächzend die Bürotür, Salvatore Amato stand im Türrahmen. Heller Lichtschein drang aus dem Zimmer zu mir vor. Erzeugt wurde er von drei aufgestellten Halogenstrahlern, die so angeordnet waren, dass sie uns nicht bei der Arbeit blendeten, aber alles ausleuchteten.

»Da kommst du ja endlich, che cazzo! Was hat da so lange gedauert? Ich dachte, du bist ein starker Junge, da lag ich wohl falsch! Los, schaff ihn rein und mach ihn fertig, damit es losgeht! Ich habe auch keinen Bock die ganze Nacht in diesem Drecksloch zu verbringen.«

»Ist heimelig hier, also mir gefällt es«, entgegnete ich ihm. Salvatore schaute mich völlig entgeistert an, winkte ab und verschwand wieder im Inneren des Büros.

Hinter mir vernahm ich ein Quieken, die wahren Besitzer des Grundstückes machten sich bemerkbar – Ratten. In dem von Unrat überhäuften Gebäude fühlten sich die pelzigen Nager wie im Paradies. Immer wieder kamen ungebetene Gäste vorbei und hinterließen etwas für sie. In weiten Teilen der Lagerhalle sah es eher wie in einem Schlachthaus aus. An den Mauerwerken und Böden klebte das Blut. Dieser Ort war unter dem Namen »Halle der Qualen« berüchtigt. Wenn diese Wände reden könnten, würden sie eine Geschichte des Grauens wiedergeben. Geschrieben mit dem Blut derjenigen, die hier gequält wurden und ihr Ende fanden.

Selbst die Bullen wussten davon, doch bis in die höchsten Ämter des Chicagoer Police Departments saßen die geschmierten Beamten. Für das »gespendete Cash« sorgten sie dafür, dass hier niemand herumschnüffelte.

Eine lohnende Vereinbarung für beide involvierten Parteien.

Des Weiteren kam dazu, dass hier nur Verräter oder ähnliches Gesocks bearbeitet wurden. Wer die Mafia bedrohte oder hinterging, endete hier. Oder wurde hergeschafft und eingeschüchtert.

Das alles war ein offenes Geheimnis in der Stadt, doch keiner traute sich, daran zu rütteln, schon gar nicht etwas hieran zu ändern. Warum auch, jeder hatte von der stillen Vereinbarung seinen Vorteil.

All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich mit meinem Anhängsel, das ich hinter mir herschleifte, das Zimmer betrat.

Anhand der Schleifspur war gut der von uns zurückgelegte Weg erkennbar. Auf dem Boden lag der Staub und Dreck fast knöcheltief, so war dies kein Wunder.

In der Mitte des Raumes legte ich das leise vor sich hinwimmernde menschliche Bündel ab, etwas zu unsanft, wie mir dessen Stöhnen verdeutlichte. Doch zum Vergleich, was ihm noch bevorstand, waren jene Schmerzen – Peanuts.

Das grelle Scheinwerferlicht riss das ungemütliche, heruntergekommene Büro aus der Finsternis, die es bisher gnädig verhüllte. Bis Salvatore die mitgebrachten Halogenscheinwerfer betätigte, die einem das hässliche Bild offenbarten.