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Gitta Rübsaat

Gutenachtgeschichten

Zum Lesen, Vorlesen oder Erzählen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Autoren - Anthologie

*Gutenachtgeschichten*

Zum Lesen, Vorlesen oder Erzählen - Gemeinsam für Kinder im Krankenhaus - Die Autoren verzichten auf jegliches Honorar, der Nettoerlös geht also vollständig an den Sonnenschein e.V.

http://sonnenschein-kehrigk.de

 

Allen BookRix Autoren ein herzliches Dankeschön und unser besonderer Dank gilt Heike Helfen, die uns das von ihr entworfene und gemalte Coverbild ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellt hat. 

Die Originalausgabe erschien im September 2017 bei BookRix GmbH & Co.KG als e-book www.bookrix.de und das Taschenbuch über Print on Demand by CreateSpace. 

Herstellung: Amazon Distribution GmbH Leipzig Copyright © 2017 Gitta Rübsaat (Hrsg. und Mitautor), Alle Rechte liegen bei den Autoren, Cover Illustration: ©Heike Helfen

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung der Autoren zulässig. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen, so wie das Speichern und Verarbeiten in elektronischen Systemen.

Inhaltsverzeichnis

Altersangaben: ab 3,4*, ab 4,5** ab 6,7***, ab 8**** Jahren (alle Angaben ohne Gewähr)

 

  1. - Vorwort - Phil Humor
  2. - Als das Sandmännchen krank wurde (*) - Michaela Haidenthaller & Annabella Hauser 
  3. - Gutenachtgeschichte für Ninya (*) - GaSchu
  4. - Interview mit einer Waldfee (**) - Roland Schilling
  5. - Der blaue Luftballon (***) - Anneliese Koch
  6. - Besuch bei Oma (*) - Gitta Rübsaat
  7. - Tüffel (***) - Enya Kummer
  8. - Lenas Schneeflöckchen Mira (**) - Manuela Schauten
  9. - Geschichte vom kleinen Gespenst (**) - Michel Pinball
  10. - Jungs mögen keine Ponys (**)- Petra Peuleke
  11. - Bei Oma Pöppel (**) - Elke Lehmann)
  12. - Der traurige Teddy Theo (***) - Martina Hoblitz
  13. - Träumerle - und das Wettschwimmen (***) - Ulrike Aulebach
  14. - Die Sonne hat so viel zu tun (*) - Ute Wunderling
  15. - Lily, die große Schwester (**) - Stephanie Schauten
  16. - Mondkind (*) - Jasmin Frei
  17. - Leas Höhle (***)   - Heidrun Böhm 
  18. - Der Traumverkäufer (*)- Roland Schilling
  19. - Der Bauer und der Troll (***) - Heidun Böhm
  20. - Purmel will nicht (*) - Manuela Schauten137
  21. - Träumerle - Die Hausaufgabe (***) - Ulrike Aulebach
  22. - Der Raub der Prinzessin Safranita (***) - Matthias März
  23. - Squirrels abwegige Abenteuer (***) - Martina Jud
  24. - Otti und Charly (**) - Ute Wunderling
  25. - Großer kleiner Bär (*) - Enya Kummer
  26. - Bonnie (**) - Bernd Terlau
  27. - Träumerle - Als Eva ein Kleid aussuchen durfte (***) - Ulrike Aulebach
  28. - Das schönste Geschenk (***) - Doris Frese
  29. - Der Schäferhund am Gartenzaun (***) - Andrea Grau
  30. - Der neugierige Fliegenpilz (**) - Gitta Rübsaat
  31. - Wenn der liebe Gott schimpft (**) - Anneliese Koch
  32. - Mondmännchen (*) - Dörte Müller
  33. - Der verspätete Wunschzettel (***) - Johannes Peter
  34. - Zwerg Alvin und die Elfe Viola (***) - Wine van Velzen
  35. - Ich kaufe mir einen fliegenden Teppich (****) - Phil Humor
  36. - Unsere Autoren Anthologien

Vorwort von Phil Humor

Eigentlich will der Autor ja nicht, dass seine Leser oder Zuhörer einschlafen - er sieht sich nicht als Sandmännchen vom Dienst: Insofern ist es eine echte Herausforderung, sich mit der Aufgabe konfrontiert zu sehen, eine waschechte Gutenachtgeschichte zu verfassen. Das bringt ihn leicht aus der Fassung - das gewohnte Repertoire im Werkzeugkasten lassen - jede Aufregung vermeiden, Ruhe ist des Autors erste Pflicht? Da langweilt er sich ja schon bei dem Ge­danken daran. 

Ein Betthupferl kann aber auch so seine Reize haben. Zuwendung für Protagonisten, die nicht so im Horror- oder Thriller-Milieu beheimatet sind. Hier kommen ihre Stärken voll zur Geltung: Endlich einmal das Gefühl "Alles ist gut". Kein Krisenmanagement, die Welt muss nicht zur Zubettgehzeit gerettet werden.  

Abschalten - irgendwann hat man das verlernt. Der Aufmerksamkeits-Motor läuft ununterbrochen. Kontrolle ist ja so wichtig. Dabei kann man die wichtigsten Dinge im Leben nicht einfordern, durchboxen: Liebe, Freundschaft, Vertrauen - denen kann man nicht befehlen, dass sie auf der Matte zu stehen haben, wenn einem danach ist. Auch der Schlaf weigert sich da strikt, zu kooperieren.

"Zwingen lass ich mich nicht. Aber ich lasse mit mir reden. Man schaffe mir entsprechendes Umfeld, dann finde ich mich wohl ein", verkündet seine Hoheit der Schlaf. Ist eine Gutenachtgeschichte der Herold des Schlafes? Der Schlaf liebt das Ritual - seine Traumtruppen machen sich sodann schon marschbereit, wissen, es geht bald los.

Also, nicht nur den Kindern etwas vorlesen - vielleicht auch seinem Partner: Die menschliche Stimme hat was Beruhigendes - wenn man sich nicht gerade als Elvis-Imitator versucht.  

In dieser Anthologie haben die Stars der Zubettgeh-Szene ihren Auftritt: Traurige Teddys, Trolle, Luftballons, Elfen, kesse Schneeflöckchen, fliegende Teppiche, Eichhörnchen, Ponys, Prinzessinnen, Waldfeen - und ein Gespenst hat auch erfolgreich um Einlass gebeten.

Als das Sandmännchen krank war - Michaela Haidenthaller & Annabella Hauser

Sandmännchen Theo seufzte tief und stützte seinen schmerzenden Kopf in die kleinen Hände. Nein, er konnte heute unmöglich arbeiten gehen. Er hatte unerträgliche Kopfschmerzen und auch erhöhte Temperatur, was in all den Jahren noch nie vorgekommen war. Er nahm eine Kopfschmerztablette und im selben Moment spürte er einen Stich: Wer würde ihn in den nächsten Tagen vertreten, und die vielen Kinder der Stadt in den Schlaf lesen? Er überlegte fieberhaft: Eltern hatte er keine mehr und sein Bruder wohnte zu weit weg. Schweren Herzens blieb ihm also nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben, mit dem Wissen und dem entsetzlichen Gefühl, hunderte Kinderaugen weinen zu lassen. 

***

Mona und Lisa lagen unruhig in ihren Betten. Die beiden vierjährigen Schwestern warteten ungeduldig auf das Sandmännchen, das jeden Abend ans Zimmerfenster im Parterre klopfte und freudig eingelassen wurde, um ihnen dann Geschichten vorzulesen, die sich die Mädchen selber aussuchten und irgendwann dabei einschliefen. Mama erklärte einmal, dass dies nicht nur bei ihnen so war, sondern bei allen Kindern in der Stadt.

Aber wo blieb das Sandmännchen heute nur? Mona setzte sich ruckartig auf: „Komm, wir fragen Mama. Vielleicht weiß sie ja etwas.“

Sie sah in der Dämmerung, dass ihre Schwester nickte und so verließen die beiden Mädchen Hand in Hand das Kinderzimmer. Aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen, Mama sah sich bestimmt ihre Lieblingskrimiserie an. Zögerlich blieben die Mädchen vor der halbgeöffneten Tür stehen. Sie wollten auch nicht stören, nur wissen, warum das Sandmännchen heute nicht kam.

„Mama?“, flüsterte Mona nicht sehr laut, aber laut genug, dass sich die Mama erstaunt umdrehte und aufstand. „Mäuschen, was macht ihr denn hier? Könnt ihr nicht schlafen?“

Sie schüttelten wie auf Kommando die Köpfe und Lisa antwortete: „Wir vermissen das Sandmännchen. Warum kommt es heute nicht?“

Mamas Gesichtszüge veränderten sich und sie nahm ihre Mädchen in die Arme. „Es ist krank“, erklärte sie, „es hat vorhin alle Mamas und Papas angerufen und sich entschuldigt, dass es nicht kommen kann. Ich weiß, dass ihr sehr traurig darüber seid, aber …“

Wieder schüttelten die beiden Mädchen die Köpfe, noch heftiger, als vorhin und dies ließ die Mutter verstummen. „Mama, wir müssen doch etwas tun! Viele Kinder sind sicher genau so traurig wie wir, weil sie heute keine Geschichte vorgelesen bekommen.“

Ja, Lisa hatte recht, aber was konnte sie machen? Das Geheimnis lüften? Aber das wäre ein Vertrauensbruch gegenüber Theo und den anderen Mamas und Papas. Wenn jemand davon wüsste, würde sich das schnell herumsprechen und dann wäre der Reiz dieses Geheimnis weg. Also schüttelte die Mutter den Kopf.

Mona atmete hörbar aus, dann legte sie nochmal los: „Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, die Kinder glücklich einschlafen zu lassen!“

Lisa und Mona sahen sich verzweifelt an, die Mutter spürte die Not der beiden Kinder und setzte sich wieder hin. Sie musste es ihnen sagen, und sie konnte als Einzige verhindern, dass die anderen Kinder tränennasse Augen bekamen - die Eltern und auch Theo würden es ihr verzeihen.

Sie begann: „Ihr kennt doch das kleine Loch im Garten hinter dem Schuppen, oder?“

Erst als Mona und Lisa einstimmig nickten, fuhr sie fort: „Das ist nicht irgendein Loch, wie Papa und ich euch immer gesagt haben. Es ist extra für das Sandmännchen gemacht worden. Theo, so heißt es nämlich, kommt in unserem Garten an und kann von ihm aus alle Kinder besuchen.“

Lisa und Mona machten vor Erstaunen große Augen. Das hatten sie nicht gewusst! „Ihr könnt dem Sandmännchen helfen, aber dazu müsst ihr Theo in seiner Wohnung, tief unter der Erde, besuchen.“  

Fragend sah die Mutter ihre beiden Mädchen an. Die Augen der Schwestern wurden noch größer, denn das fanden sie ganz ganz toll und sehr aufregend! Die Mutter sah die Freude und die Bereitschaft der Kinder, etwas Gutes tun zu können und erklärte: „Ihr müsst immer den roten Pfeilen folgen. Irgendwann seht ihr dann eine kleine bunte Tür, dann seid ihr angekommen. Traut ihr euch das zu?“

Ein wenig Gedanken machte sie sich schon, da die beiden Schwestern doch erst vier waren, aber ein lautes und glückliches „Jaaaaa!“, überzeugte sie sofort vom Gegenteil. Ihre Mädchen würde diese Reise ins Erdreich schaffen!

Nachdem sich die beiden noch schnell eine Jacke über den Pyjama gezogen hatten, drückte die Mutter ihnen eine Taschenlampe in die Hand und begleitete die beiden in den dunklen Garten hinaus. Sie half ihnen beim hinabsteigen und erst als die Köpfe der beiden Mädchen nicht mehr zu sehen waren, ging die Mutter zurück ins Haus. 

*** 

Dort unten roch es nach feuchter Erde, wie nach einem Regen, ein Geruch, der den beiden Mädchen aber gut gefiel. „Oh, sieh mal, der erste Pfeil!“, rief Lisa aus und zog ihre kleine Zwillingsschwester, die nur fünf Minuten jünger war als sie, hinter sich her. Immer tiefer drangen sie, den Pfeilen folgend, in den finsteren Gang ein, der nur durch den schwachen Schein der Taschenlampen etwas erhellt wurde.

Sie frohlockten innerlich! Solch ein Abenteuer hatten sie noch nie erlebt! Sie waren tatsächlich auf dem Weg zum Sandmännchen! Vorsichtig gingen sie weiter, immer in Erwartung, hinter der nächsten Biegung die bunte Tür, von der Mama gesprochen hatte, zu sehen.

„Sind wir gerade wirklich auf dem Weg zu unserem Sandmännchen, oder träumen wir das nur?“, fragte Mona und, noch bevor Lisa antworten konnte, blieben beide abrupt stehen. Da vorne war sie!

„Da!“, japste Mona, und die Schwestern näherten sich Hand in Hand vorsichtig. Als sie nah genug waren, konnten sie erkennen, dass das Eingangstor mit einzelnen bunten Papierstreifen verklebt war. Auf jedem Streifen standen die Namen aller Kinder der Stadt, darüber ein nicht bunter Streifen mit dem Namen Theo. „Das ist so süß“, befanden beide gleichzeitig, dann hielten sie sich wieder an den Händen und vorsichtig klopften sie an der Tür. Klopf, Klopf!

***

 

Theo hob den Kopf. Hatte es da gerade geklopft? Er warf einen Blick auf die Kuckucksuhr - 20.00 Uhr. Er überlegte, wer das sein konnte. Irgendwelche Eltern, die besorgt waren und nun nach ihm schauten? Aber er hatte doch jeder Familie Bescheid gegeben, dass er nicht kommen konnte. Träge erhob er sich, zog sich schnell seinen blauen Morgenmantel über, und ging zur Tür. Er erblickte zwei dunkelhaarige Mädchen, die mit großen erwartungsvollen Kulleraugen vor ihm standen und ihm schüchtern entgegen lächelten. Das waren doch die beiden vierjährigen Schwestern Mona und Lisa Mondschein. Er versuchte ein Lächeln, und hoffte so verbergen zu können, wie schlecht es ihm ging. Er räusperte sich kurz und sagte dann: „Hallo ihr beiden! Schön, dass ihr gekommen seid!“ Theo machte eine einladende Handbewegung, was den beiden Mädchen zu verstehen gab, in seine kleine Wohnung einzutreten.

***

Mona und Lisa traten, sich noch immer an den Händen haltend, zögernd hinein. Noch immer konnten sie nicht glauben, was sie erlebten! Die Wohnung war klein, viel kleiner als das Haus, in dem sie wohnten. Mehr als ein Bett, ein Tisch, eine Couch und eine kleine Küche war nicht vorhanden.

„Nehmt doch bitte Platz!“, meinte das Sand­männchen freundlich. Erst jetzt hatte Lisa den Mut, etwas zu sagen. „Hallo Sandmännchen. Wir sind gekommen, um dir zu helfen, da du doch krank bist. Wir und die anderen Kinder sind traurig, dass du nicht kommen kannst.“

Das Sandmännchen nickte bedächtig und erklärte. „Ich freue mich sehr, dass ihr mir helfen wollt, und jetzt habt ihr auch die Macht, es zu tun."

Er deutete auf ein dickes Buch, das auf der Couch lag. Lisa nahm das Buch vorsichtig in die Hand - lesen konnte sie natürlich noch nicht, aber sie wusste, dass dies das Gute-Nacht-Geschichten-Buch war, aus dem das Sandmännchen ihnen jeden Abend vorlas. Sandmännchen Theo nahm neben den Schwestern Platz und erklärte: „Das ist das Buch, aus dem ich meine Geschichten habe. Ich bitte euch jetzt, die Augen zu schließen.“

Verängstigt warfen sich Mona und Lisa einen Blick zu. Theo bemerkte es und sagte sanfter: „Ihr müsst keine Angst haben. Ihr könnt mir vertrauen, so, als wäret ihr in Eurem Kinderzimmer zu Hause!“

Sie wurden ganz ruhig und beide schlossen die Augen. Theo blätterte in dem Buch, und fuhr fort: „Ich lese euch jetzt eine Geschichte vor. Haltet die Augen ganz fest geschlossen, und stellt euch vor, dass ihr in eurem Bettchen liegt.

Nach jedem Satz mache ich eine Pause und ihr sagt ihn nach. So übertragt ihr das Gelesene in Gedanken an die anderen Kinder, die nun einschlafen können. Seid ihr bereit?“

Lisa und Mona nickten eifrig und kniffen ganz fest die Augen zusammen. Theo begann: „Es war einmal ein Sandmännchen …“ - „Das krank war“, ergänzten die beiden Vierjährigen und Theo las weiter, die beiden Mädchen sprachen ihm nach, glücklich, dass sie helfen konnten und eine gute Tat vollbrachten.

 

***

„Mama, das Sandmännchen liest mir vor, aber ihr habt doch gesagt, dass es gar nicht hier ist“, konnten viele Mamas und Papas nun von ihren Sprösslingen hören. Erklären konnten sie sich nicht, warum die Kinder auf einmal Visionen des Sandmännchens hatten, dachten aber nicht länger darüber nach. Wichtig war doch, dass die Kinder glücklich und zufrieden eingeschlafen waren.

Auch die Mama von Mona und Lisa sah ihren Mädchen zu, wie sie nun mit einem Lächeln auf den Lippen tief und fest schlummerten, träumend von dem einzigartigen Besuch bei Sandmännchen Theo. 

Nun schließe auch du ganz fest die Augen und stell dir vor, dass zwei Mädchen, namens Mona und Lisa, dir die Geschichte von dem kranken Sandmännchen vorlesen und dich so in den sanften Schlaf mit schönen Träumen gleiten lassen. Schlaf gut!

Gutenachtgeschichte für Ninya - GaSchu

Es war einmal ein kleines Mädchen namens Ninya, das lebte in einem großen Haus zusammen mit Mama, Oma, Opa und Elliot.

Elliot war ein großer, schwarzer Hund. Mama sagte, dass er ein Labrador sei, aber darunter konnte sich Ninya nichts vorstellen. Für sie war Elliot einfach nur ihr Kumpel und bester Freund der Welt. Sie verstanden sich ohne Worte und Elliot wusste immer genau, wie Ninya sich fühlte und Ninya wusste auch immer genau, was Elliot wohl gerade dachte.

 

Elliot war schon immer da gewesen und für Ninya war er so was wie ein Ersatz für Geschwister. Als sie noch kleiner gewesen war, also fast noch ein Baby, da hatte sie immer gesagt, dass Elliot ihr großer Bruder sei. Sie verstand gar nicht, warum die Erwachsenen dann manchmal lachten, Elliot war ein fantastisch guter, großer Bruder. Vielleicht war er sogar noch besser als ein Menschenbruder, denn er war fast immer fröhlich und hatte immer Lust zu spielen, nur beim Essen musste man aufpassen, denn Elliot war ein ganz verfressener Kerl, er hatte einfach immer Hunger.

Wenn man nicht aufpasste, dann fraß er einem das Brot aus der Hand weg. Das war sein einziger Fehler, doch Ninya konnte gut damit umgehen, sie hatte es sich angewöhnt, gut auf ihr Essen auf zu passen.

Ab und zu gab sie Elliot auch den Rest von ihrem Essen, wenn sie keinen Hunger mehr hatte, auch wenn Mama und Oma dann schimpften. Es machte ihr Spaß, zu sehen, wie sich Elliot freute, wenn er unerwartet ein Leckerli bekam. 

Jeden Tag spielte sie mit Elliot, am liebsten im Garten. Da hatten sie jede Menge Platz und man musste nicht aufpassen, dass man beim Toben etwas umschmeißen würde. Man konnte dort rennen und sich verstecken und im Sand spielen. Es gab eine kleine Rutsche, eigentlich für Babys, aber Ninya benutzte sie trotzdem noch gerne und man konnte gut darauf rumturnen. Außerdem hatte Ninya einen tollen Kletterbaum, auf dem sie auch schon alleine klettern konnte. Draußen hatte man einfach nie Langeweile. Wenn man mal gar nichts machen wollte, dann konnte man sich auf die Schaukelbank setzen oder man beobachtete Vögel und Käfer und Schnecken.

 

Eines Tages saß Ninya nun mit Elliot zusammen auf dem Hügel im Gras und sie schauten zum Wald herüber. Es war ein schöner Sommertag, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Man konnte ohne Jacke draußen spielen, aber man schwitzte nicht. Die Vögel flogen sehr hoch in die Luft und ganz hoch oben sah man ab und zu ein Flugzeug in die Ferne schweben. Ninya saß gerne hier mit Elliot, das war der Lieblingssitzplatz im Garten von den beiden.

Ninya sah einem Vogel nach, der übers Haus flog, als sie plötzlich eine Stimme hörte.

„Hilfe, ist hier keiner? Kann mir vielleicht mal einer helfen? - Hallo! Hallo!“

„Hast du das gehört, Elliot?“ Ninya sah Elliot fragend an.

Der Hund guckte sie ebenfalls an und es sah so aus, als ob er genickt hätte.

„Wer hat da gerufen?“ Ninya war ratlos.

„Hilfe! Ich will hier raus! Hört mich keiner?“

Da war die Stimme wieder. Sie kam von hinten im Garten.

„Komm, Elliot! Wir gucken mal nach!“

Das Kind sprang auf und lief los, Elliot trottete hinterher. Er konnte sie ja nicht alleine rumlaufen lassen!

Hinten angekommen sah sie in alle Richtungen, doch es war niemand zu sehen.

„Es ist gar keiner da, Elliot!“ Enttäuscht schaute sie zum Hund. Der hechelte.

 „Wie keiner? Bin ich etwa keiner!“ Erbost kamen diese Worte zurück. „Vielleicht schaust du einfach mal nach unten und nicht immer oben in der Gegend rum?“

Ninya war verblüfft, schaute dann aber auf dem Boden nach und siehe da, dort raschelte eine kleine Kröte im Laub.

Ungläubig sah sie auf das Tier.

„Hast du gesprochen?“ Ninya konnte sich das wirklich nicht vorstellen.

„Na, siehst du etwa hier noch sonst jemand?“ Die Kröte war ziemlich frech.

„Aber… Tiere können doch gar nicht sprechen“, rutschte es dem Kind heraus.

„Wer sagt das? Jedes Tier kann sprechen. Was ihr Menschen euch auch immer alles so einbildet.“ Die Kröte sah das Kind missbilligend an.

„Ich hab noch nie ein Tier sprechen gehört!“ Das Mädchen machte große Augen.

„Wahrscheinlich musste auch noch nie ein Tier in deiner Nähe sprechen. Du verstehst die Tiere meist auch so. Das spüren wir.“ Die Kröte wurde freund­licher und es sah jetzt so aus, als ob sie Ninya anlächeln würde.

„Kann Elliot denn auch sprechen?“ Das war dem Kind wichtig.

„Natürlich kann er das! Aber Elliot ist bekannt dafür, dass er nur sehr wenig redet. Er spricht nicht gerne und du verstehst ihn sowieso auch so, das hat er schon mal erzählt!“

„Elliot? Stimmt das? Sag mal was!“ Ninya wollte doch zu gerne mal ihren Hund reden hören.

Doch der war stur, er machte nur „Hm, grummel“ und das war es schon.

Ninya war etwas enttäuscht, aber es stimmte natürlich, dass sie ihren Hund auch ohne Worte verstehen konnte, also war es eigentlich egal.

„Warum hast du um Hilfe gerufen?“, fragte sie die Kröte.

„Ich muss ganz dringend zum kleinen Teich hier hinter eurer Mauer. Aber ich komme nicht aus dem Garten raus. Das Tor ist zu und keine Lücke da, wo ich durchschlüpfen könnte. Kannst du mir helfen, dass ich in den Park komme? Dort ist nämlich eine Kröten­versammlung heute Nachmittag und ich bin sicher schon zu spät. Und das ist sehr wichtig für uns Kröten, dass wir alle dort teilnehmen!“

„Hm… ich weiß nicht, ich darf nicht alleine in den Park, aber ich kann ja versuchen, ob ich dich wenigstens hinter die Mauer bringen kann.“ Ninya nahm die Kröte vorsichtig in ihre Hand und dann liefen sie alle drei zur Gartentür.

 Die war eigentlich immer verschlossen, doch heute hatten sie Glück. Ninyas Opa hatte morgens Rasen gemäht und vergessen, die Tür richtig zu ver­schließen. Ninya öffnete sie und ging mit der Kröte in der Hand in den Wald. Elliot lief hinterher, er musste ja auf sein Kind aufpassen.

 

Der Tümpel, wo die Krötenversammlung stattfinden sollte, war kurz hinter der Mauer. Ninya sah viele Kröten und sie quakten alle, als sie näher kamen. Die Kröte in ihrer Hand wurde unruhig.

„Du kannst mich nun runter lassen, Ninya, sie warten schon auf mich und Menschen dürfen nicht bei den Versammlungen dabei sein. Auch würdest du nichts verstehen, denn dort unterhalten wir uns natürlich in der Krötensprache.“

Ninya senkte die Hand und ließ das kleine Tier runterspringen.

„Vielen Dank, Ninya! Das vergesse ich dir nicht. Wir sehen uns bestimmt mal wieder.“ Mit diesen Worten sprang die Kröte davon und Ninya sah ihr kurz nach, dann ging sie schnell mit Elliot zurück in den Garten und machte die Tür wieder ordentlich zu. 

„Das war aber ein Abenteuer heute, nicht wahr, Elliot?“ Sie sah ihren Hund an.

„Wuff!“, machte der und wedelte mit dem Schwanz.

Er sprang um sie rum und legte ihr seinen Ball vor die Füße und sie spielten noch eine Weile vergnügt im Garten.

„Ob ich die Kröte auch wirklich mal wiedersehe? Und ob sie dann wieder mit mir spricht?“ Ninya dachte oft darüber nach. 

Sie würde sie wirklich mal wiedersehen, doch das ist eine andere Geschichte und die wird an einem anderen Abend erzählt.

Interview mit einer Waldfee - Roland Schilling

 Hallo, ich werde heute die kleine Waldfee Wugi im Wald besuchen und mich mit ihr unterhalten. Und nun, drückt mir die Daumen, denn es ist gar nicht so einfach, das Waldfeenhaus im tiefen Wald zu finden.

Mein Auto habe ich am Wanderparkplatz am Waldrand abgestellt und gehe nun den Waldweg entlang. Es ist kein Mensch außer mir unterwegs.

Es ist ja auch mitten unter der Woche. Aber, das ist auch gut so. Niemand darf wissen, wo sich das Waldfeenhaus befindet. Die Beschreibung, wie ich da hinkomme, habe ich von Wugis Mutti erhalten. 

An dem großen Ameisenhaufen angekommen, mache ich ein wenig Rast und schaue den Ameisen bei ihrer Arbeit zu. Es ist faszinierend, dass sie sich bei ihrem geschäftigen Treiben nicht gegenseitig auf die Füße treten. Ich möchte noch gerne eine Weile zuschauen, aber ich muss weiter. Der Weg zu Wugi ist noch weit.

Kurz vor der Brücke, die über den kleinen Bach führt, schaue ich mich noch einmal um, ob mir auch wirklich niemand folgt.

Denn jetzt mache ich etwas, das ihr auf keinen Fall nachmachen dürft: Ich verlasse den Waldweg, um direkt durch den Wald zu Wugis Haus zu gelangen, denn kein von Menschen gemachter Weg führt dorthin.

Es ist sehr gefährlich, den Waldweg zu verlassen und einfach drauf loszumarschieren, weil man sich leicht verlaufen kann und dann nicht mehr aus dem Wald herausfindet.

Aber ich habe ja die Beschreibung von Wugis Mutti und einen ganz tollen Tipp, den sie mir gleich mitgeben hat: Die moosbewachsene Seite der Bäume zeigt immer Richtung Norden.

Ich bin an der großen Baumwurzel angelangt, in der die Haselmaus ihren Bau hat. Neugierig schiebe ich einige Äste und Zweige zur Seite und schaue hinein. Die Haselmaus scheint nicht zu Hause zu sein. Aber es ist sehr ordentlich aufgeräumt in ihrem Haus. Ich lege die Zweige und Äste wieder sorgfältig vor den Eingang zu ihrem Bau.

Wenn ich von hier aus Richtung Westen gehen würde, würde ich nach ein paar hundert Metern zu dem Baumstumpf kommen, in dem Gunnar der Gnom lebt. In Richtung Osten wäre es nicht weit zu dem Hasenbau von Hansi Hase. Aber für beides habe ich keine Zeit. Und so gehe ich weiter Richtung Süden immer tiefer in den Wald.

Langsam wird es ziemlich beschwerlich. Ich muss aufpassen, wo ich hintrete. Waldfee müsste man sein, dann könnte man einfach zwischen den Bäumen hindurch flattern.

Endlich sehe ich die Lichtung, auf der das Waldfeenhaus steht. Wugis Mutti steht davor und winkt mir zu. „Na, hast du es gleich gefunden?“, will sie wissen.

„Ja“, sage ich, etwas außer Atem. „Du hast es ja gut beschrieben. Wo ist denn Wugi?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Unterwegs“, seufzt sie. „Ich hab gesagt, sie soll noch ein Weilchen warten und dass du gleich hier sein würdest. Aber warten ist nun mal nicht ihre Stärke. Irgendwas ist immer interessanter. Aber ich denke, sie wird bald wieder hier sein. Sie hat sich ja auch schon darauf gefreut, dass du kommst.“

Wugis Mutti hat mir Pfefferminztee gekocht. Sie selbst trinkt Gänseblümchentee. Aber den mögen wohl nur erwachsene Waldfeen. Wir unterhalten uns über alles Mögliche, während wir auf Wugi warten.

 

Und während wir uns so unterhalten, höre ich ein „Hallo“ hinter mir. Es ist Wugi, die jetzt um mich herum flattert und schließlich vor mir landet. 

„Schön, dass du hergefunden hast“, freut sie sich. „In unser Haus passt du ja nicht rein, aber du kannst gerne durch das Fenster sehen. Das oben rechts ist mein Zimmer“, bietet sie mir an.

Ich komme der Einladung natürlich gerne nach und schaue durchs Fenster.

Es ist sehr schön eingerichtet. Die Möbel in einem zarten Grünton und alles auch ordentlich aufgeräumt.

Wir setzten uns wieder auf die Decke, die ihre Mutter für uns auf der Lichtung ausgebreitet hat, nur Wugi kann nicht still sitzen und flattert immer wieder hoch. Durch die Zweige eines Baumes bis in den Wipfel, mit so einem Tempo, dass ich befürchte, sie tut sich weh.

„Jetzt bleib doch mal da, Wugi!“, ruft ihre Mutter ihr hinterher. Wugi landet wieder sanft vor mir.

„Tschuldigung“, sagt sie und bleibt jetzt tatsächlich bei uns sitzen. Nur ab und zu zucken ihre Flügelchen nervös.

Da sie jetzt relativ aufmerksam ist, kann ich ihr endlich ein paar Fragen stellen, die vielleicht auch meine kleinen Leser interessieren könnten. Zum Beispiel, wie sie ihre Freunde kennengelernt hat.

Wie ich die Haselmaus kennengelernt habe, weiß ich gar nicht mehr so genau. Aber ich habe immer bewundert, wie fleißig sie sammelt und einmal hat sie mir dann auch ihren Bau gezeigt. Ich bin einfach gern mit ihr zusammen.

Ich unterbreche sie kurz, um ihr zu berichten, dass ich darüber schon mal geschrieben habe und lese ihr auch einige Kommentare zu den Geschichten vor. Sie freut sich sehr darüber, dass die Leser ihre Abenteuer mögen und verspricht mir auch weiterhin von ihren Erlebnissen zu erzählen. 

Bis bald, servus, euer Roland und eure Wugi.