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Psychotherapie kompakt

 

Begründet von

 

Harald J. Freyberger

Rita Rosner

Ulrich Schweiger

Günter H. Seidler

Rolf-Dieter Stieglitz

Bernhard Strauß

 

Herausgegeben von

 

Harald J. Freyberger

Rita Rosner

Günter H. Seidler

Rolf-Dieter Stieglitz

Bernhard Strauß

Heidi Möller Mathias Lohmer

Supervision in der Psychotherapie

Grundlagen – Forschung – Praxis

Unter Mitarbeit von

Thomas Giernalczyk, Martin Stellpflug, Jan Moeck, Isabell Diermann, Silja Kotte, Sylvia Wagenaar, Gisela Grünewald-Zemsch, Michael Stasch, Andreas Herrmann

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029843-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-029844-6

epub:   ISBN 978-3-17-029845-3

mobi:   ISBN 978-3-17-029846-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

Geleitwort zur Reihe

 

 

 

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthält.

 

Harald J. Freyberger (Stralsund/Greifswald)

Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)

Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)

Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)

Bernhard Strauß (Jena)

 

Inhalt

 

 

 

Geleitwort zur Reihe

Vorwort der Autoren

A Grundlagen der Supervision

1 Ein Wirkmodell der Supervision

Mathias Lohmer

1.1 Das Dreieck der Supervision

1.1.1 Der Pol des Patienten

1.1.2 Der Pol des Psychotherapeuten

1.1.3 Der Pol des Supervisors

1.2 Der dynamische Regelkreis des Supervisionsprozesses

1.2.1 Die intrapsychische Dynamik im Patienten

1.2.2 Die interpersonelle Dynamik Patient – Therapeut

1.2.3 Die interpersonelle Dynamik Supervisand – Supervisionsgruppe – Supervisor

1.2.4 Die interpersonelle Dynamik Therapeut – Patient

1.2.5 Auswirkung auf die intrapsychische Dynamik im Patienten

1.3 Fazit: Supervision als Triangulierung und Containment

2 Selbstreflexion in der Supervision – sehnsüchtig gewünscht und ängstlich vermieden

Thomas Giernalczyk

2.1 Einführung

2.2 Aspekte der Gegenübertragung

2.3 Selbstreflexion in der Ausbildungssupervision

2.4 Auseinandersetzung mit der Übertragung in der Ausbildung von Supervisoren

2.5 Innenkreis

2.6 Außenkreis

2.7 Das Agieren unbemerkter Übertragung

2.8 Die zweite Chance – Metakommunikation und Selbsterfahrung

»Das Ungesagte Gedachte«

Schaukasten: Gedachtes Ungesagtes

2.9 Fazit

3 Der Kontext der Supervision

Mathias Lohmer und Heidi Möller

3.1 Supervision im stationären Kontext

3.1.1 Die interne Supervision

3.1.2 Die externe Supervision

3.2 Supervision im ambulanten Kontext

3.2.1 Die Rollen des Supervisors

3.3 Fazit

4 Rechtliche Grundlagen der Supervision in der Psychotherapie

Martin Stellpflug und Jan Moeck

4.1 Supervision in der Ausbildung und Supervision für Approbierte

4.2 Der Supervisionsvertrag

4.3 Haftung des Supervisors

4.3.1 Haftung gegenüber dem Supervisanden

4.3.2 Haftung gegenüber dem Patienten

4.4 Berufsrechtliche Vorgaben

4.4.1 Supervision als Berufsausübung

4.4.2 Berufsrechtliche Anforderungen an Ankündigung und Ausübung von Supervision

4.4.3 Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung

4.4.4 Schweigepflicht

4.4.5 Dokumentationspflicht

4.4.6 Abstinenzgebot

4.4.7 Zusammenfassung

B Empirische Zugänge in der Supervision

5 Zum Stand der Forschung in der Klinischen Supervision

Heidi Möller, Isabell Diermann und Silja Kotte

5.1 Die Forschungslandschaft zur Supervision

5.2 Einblicke in den Forschungsstand zur psychotherapeutischen Supervision

5.2.1 Tatsächliche Inanspruchnahme von Supervision und Intervision durch Psychotherapeuten

5.2.2 Befunde zur Wirksamkeit von psychotherapeutischer Supervision

5.2.3 Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit psychotherapeutischer Supervision

5.3 Implikationen für Forschung und Praxis

6 Intervision als Qualitätssicherungsinstrument in der Psychotherapie

Heidi Möller und Sylvia Wagenaar

6.1 Einführung

6.2 Methode und Stichprobe

6.3 Ergebnisse

6.3.1 Inanspruchnahme von Intervision und Supervision

6.3.2 Gestaltung der Rahmenbedingungen von Intervisionsgruppen

6.3.3 Prinzip der Leiterlosigkeit

6.3.4 Die inhaltliche Arbeit von Intervisionsgruppen – Themen und Inhalte der Treffen

6.3.5 Abgrenzung zum Format Supervision

6.3.6 Merkmale guter und schlechter Intervisionssitzungen

6.3.7 Funktion und Wirkung von Intervision

6.4 Diskussion

6.4.1 Kernmerkmal ›Berufsbezogene Fälle‹

6.4.2 Kernmerkmal ›Gruppenmodus‹

6.4.3 Kernmerkmal ›Ablaufsystematik und Rollenstruktur‹

6.4.4 Kernmerkmal ›Wechselseitigkeit‹

6.4.5 Das Ergebnis in Bezug auf die Wirkung von Intervision

6.5 Ausblick

7 Supervision in der psychoanalytischen Ausbildung: Notwendigkeiten – Facetten – Stolpersteine

Gisela Grünewald-Zemsch

7.1 Rahmenbedingungen der Supervision während der Ausbildung

7.1.1 Passung zwischen Supervisand und Supervisor – die erste gemeinsame Sicht auf den Patienten

7.1.2 Die Unterschrift – Ausgangspunkt einer ersten institutionellen Verwicklung

7.2 Supervision während der Ausbildung – was geschieht da?

7.2.1 Das supervisorische Setting

7.3 Konzepte des Verstehens in der Supervision

7.3.1 Die triadische intersubjektive Matrix

7.3.2 Der Parallelprozess

7.3.3 Projektive Identifizierung

7.3.4 Beratung

7.3.5 »Verstehen« des Behandlungsgeschehens: eine unmögliche Aufgabe?

7.3.6 Die Supervisionsbeziehung als Beziehung mit erheblichem institutionellen Wirkungsgrad

7.4 Die Supervision im Kontext der institutionellen Bedingungen

7.4.1 Ausbildung als primäre Aufgabe der psychoanalytischen Ausbildungsinstitute

7.4.2 Supervision in der psychoanalytischen Ausbildung als »institutionelle« Kränkung

7.4.3 Supervision als ein Geschehen, an dem viele institutionelle Aspekte beteiligt sind

7.4.4 »Thinking under fire« – ein Forschungsprojekt zur Erforschung der emotionalen und institutionellen Aspekte der Supervisionsbeziehung

7.4.5 Ein gutes Ende?

C Methodische Zugänge in der Supervision

8 OPD-gestützte Fallsupervision in einem interdisziplinären Team

Michael Stasch

8.1 Einleitung

8.2 Herausforderungen an die stationäre Psychotherapie

8.3 Die Achse »Beziehung« der OPD – ein kurzer Exkurs

8.4 Beziehungsmuster als Bewältigung von Konflikt und Struktur

8.4.1 Dysfunktionale Beziehungsmuster als Konfliktbewältigung

8.4.2 Ein strukturelles Unvermögen »vergröbert« das Beziehungsmuster

8.4.3 Das Beziehungsmuster schützt strukturelle Vulnerabilitäten

8.4.4 Schlussfolgerungen für die Handhabung der therapeutischen Beziehung

8.5 OPD-gestützte Fall-Supervision als Gruppenprozess

8.5.1 Ablauf der Fallsupervision im Team

8.6 Zusammenfassung

9 Methoden in der Klinischen Supervision

Heidi Möller und Mathias Lohmer

9.1 Der Beitrag der Psychoanalyse zur Technik der Supervision

9.1.1 Psychoanalytische Grundlagen

9.1.2 Einzel- und Gruppensupervision

9.1.3 Supervision mit dem Stundenprotokoll

9.1.4 Supervision mit Videoaufzeichnungen

9.2 Der Beitrag der Humanistischen Psychologie zur Supervisionstechnik

9.2.1 Anleihen aus dem Psychodrama Morenos

9.2.2 Anleihen aus dem Methodenrepertoire der Gestalttherapie

9.3 Fazit

10 Balintgruppe als Methode der Supervision

Andreas Herrmann

10.1 Was ist und wozu dient eine Balintgruppe?

10.2 Michael Balint und die Entwicklung der Balintgruppenarbeit

10.3 Struktur und Leitung einer Balintgruppe

10.4 Eine »Balintsupervision«

10.5 Zur Diskussion der Fallsupervision in der Gruppe

10.6 Modifikationen und Grenzen der Balintgruppe

11 Image von Supervision im Klinikkontext

Isabell Diermann

11.1 Zur Relevanz des Images von Supervision im Klinikkontext

11.2 Konzeptualisierung des Images von Supervision

11.3 Warum Supervisionstransfer?

11.4 Das Image von Supervision im Klinikkontext – Ergebnisse einer Pilotstudie

11.4.1 Welches Image hat Supervision im Klinikkontext?

11.4.2 Verhaltensrelevanz des Images und Nachhaltigkeit der Supervision

11.4.3 Implikationen für die Praxis

Autoren- und Herausgeberportraits

Stichwortverzeichnis

 

Vorwort der Autoren

 

 

 

Der Supervision wird die zentrale Funktion der Qualitätssicherung in der Psychotherapie zugeschrieben. Das zentrale Ziel der Supervision ist die Steigerung der professionellen Kompetenz im Umgang mit den Patienten. Die Supervision wird dabei von praktizierenden Psychotherapeuten als maßgeblicher Einflussfaktor für ihre therapeutische Weiterentwicklung benannt und als höchst hilfreich eingestuft. Klinische Supervision dient zudem der therapiebezogenen Problemlösung, dem kollegialen Austausch und der emotionalen Entlastung.

Grund genug für uns, ein Werk zusammenzustellen, das konzeptionelle Überlegungen, unterschiedliche supervisorische Settings, methodische Zugänge, rechtliche Aspekte und den Stand der Forschung in diesem zentralen Aspekt psychotherapeutischer Versorgung zur Verfügung stellt. Mit Beiträgen zur Theorie der Supervision sowie Ausführungen zu unterschiedlichen Methoden und Konzepten legen wir einen Band rund um die Klinische Supervision vor, der Psychotherapeuten ebenso wie Supervisoren anspricht und letztendlich zum Wohle der Patienten beitragen kann.

Im ersten Teil des Buches werden die Grundlagen der Klinischen Supervision entfaltet:

Mathias Lohmer stellt ein Wirkmodell der Supervision vor, in dem deutlich wird, wie sich die intrapsychische Patientenproblematik interpersonell in der therapeutischen Beziehung inszeniert und in der Supervisionssituation widerspiegelt. Durch szenisches Verstehen in der Supervision kann die intrapsychische Verarbeitung des Patienten indirekt, aber effektiv gefördert werden.

Thomas Giernalczyk plädiert in seiner Arbeit über Selbstreflexion in der Supervision dafür, die Reflexion der Übertragung des Supervisanden als Teil seiner Gegenübertragung im Rahmen der Supervision explizit mitaufzunehmen. Es wird beschrieben, wie auf diese Weise der Beziehungs- und Interventionsspielraum für den Therapeuten erweitert und der Nutzen für den Patienten vergrößert wird.

Mathias Lohmer und Heidi Möller zeigen in ihrer Arbeit Der Kontext der Supervision, dass der organisationale Kontext der Fallsupervision eine Grundmatrix bildet, auf der sich die Dynamik des supervisorischen Prozesses entfalten kann.

Zu unterscheiden ist dabei die Supervision im stationären und im ambulanten Bereich.

Martin Stellpflug und Jan Moeck bieten in ihrer Arbeit Rechtliche Grundlagen der Supervision in der Psychotherapie einen profunden Überblick zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Supervision in der Ausbildung und für Approbierte. Fragen der Haftung, der Schweigepflicht, der gewissenhaften Berufsausübung etc. werden so abgehandelt, dass Praktiker komprimiert ein Fundament erhalten, das nicht nur Halt in der Arbeit mit Ausbildungskandidaten geben kann.

Der zweite Teil des Bandes widmet sich der wissenschaftlichen Fundierung von Supervision:

Heidi Möller, Isabell Diermann und Silja Kotte bieten eine Zusammenfassung zum aktuellen Stand der Forschung in der Klinischen Supervision. Belastbares, empirisch gewonnenes Wissen wird ebenso referiert wie offene Fragen, von denen es in der Klinischen Supervision noch zahlreiche gibt. Dies soll uns ermutigen, weiter in Kooperation mit den Experten der Praxis zu forschen.

Das am häufigsten gelebte Format der kollegialen Fallberatung – die Intervision – wird anhand einer explorativen Studie von Heidi Möller und Sylvia Wagenaar vorgestellt.

Das Kapitel von Gisela Grünewald-Zemsch Supervision in der psychoanalytischen Ausbildung – Notwendigkeiten – Facetten – Stolpersteine fokussiert Supervision in der Ausbildung zum Psychoanalytiker. Die Autorin beschreibt die dialektische Spannung zwischen Unterstützung und Kontrolle, indem sie Supervisionspaare über einen langen Zeitraum engmaschig durch Telefoninterviews begleitete.

Im dritten Teil des Buches werden schließlich unterschiedliche methodische Zugänge vorgestellt:

Michael Stasch zeigt in seinem Kapitel OPD-gestützte Fallsupervision in einem interdisziplinären Team, wie Supervision das Sprechen einer »gemeinsamen Sprache«, welche sich am unmittelbaren Erleben der Teammitglieder orientiert, einen lebendigen Austausch im Team, das Aufweichen hierarchischer Teamstrukturen und das Erkennen von Gegenübertragungsverstrickungen und Tendenzen zur Eigenübertragung fördert.

Die Methoden in der Klinischen Supervision werden von Heidi Möller und Mathias Lohmer breit aufgefächert. Neben psychodynamischen Zugängen finden vor allem auch Interventionsmethoden aus der humanistischen Psychologie ihren Platz und machen Mut, in der Klinischen Supervision auch neue Wege zu gehen.

Andreas Herrmann zeigt im Kapitel Balintgruppe als Methode der Supervision, dass die Arbeit mit einer Balintgruppe eine klassische Methode der Fallsupervision in der Gruppe darstellt. Klassisch kann diese Methode deswegen genannt werden, weil sie sich zum einen seit vielen Jahrzehnten in verschiedenen Feldern professioneller Beziehungen bewährt hat, zum anderen ist es so, dass die Arbeit mit einer Balintgruppe modifiziert werden kann und dennoch als eigenständiges Konzept erkennbar bleibt

So wichtig qualitativ hochwertige Supervisionsprozesse selbst sein sollten, Supervision muss auch als attraktives Instrument der Personen- und Personalentwicklung wahrgenommen werden. So stellt Isabell Diermann in ihrer Arbeit Das Image von Supervision im Klinikkontext eine erste Studie zum Image von Supervision und Coaching im Klinikkontext vor.

Alle Autoren geben Einblick in ihre langjährige Erfahrung und Expertise, in ihre konzeptuellen Überlegungen und ihre Praxis in Klinischer Supervision. Ihnen sei ein herzlicher Dank dafür! Isabell Diermann danken wir für ihre professionelle Unterstützung in der Manuskriptbearbeitung. Herrn Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer Verlag danken wir für die Einladung, dieses wichtige Thema in der Reihe »Psychotherapie kompakt« vorzustellen.

 

Kassel und München im September 2017

Heidi Möller und Mathias Lohmer

 

 

 

 

A          Grundlagen der Supervision

 

1          Ein Wirkmodell der Supervision

Mathias Lohmer

 

 

Warum wirkt Fallsupervision eigentlich? Wie transferiert sich die Problematik der Patient-Therapeut-Beziehung in die Supervision? Und wie wirkt sich dann das Ergebnis der Supervision auf den therapeutischen Prozess aus? Diesen Grundsatzfragen soll im nachfolgenden Kapitel nachgegangen werden.

1.1       Das Dreieck der Supervision

Das Verhältnis der grundlegend Beteiligten eines supervisorischen Prozesses zueinander kann in einem »Dreieck der Supervision« konzeptualisiert werden, bei dem immer die Beziehungen zwischen Therapeut (Supervisand), Supervisor und Patient im Verhältnis zueinander gedacht werden (image Abb. 1 »Das Dreieck der Supervision«).

Der Patient trifft dabei auf einen Therapeuten, der wieder auf einen Supervisor trifft – und jeder von den Dreien handelt nach einer impliziten bzw. expliziten Krankheits- und Heilungstheorie, bewegt sich in einem spezifischen Behandlungskontext und hat eigene Erwartungen. Es lohnt sich, diese Grundbedingungen zu reflektieren, um die Komplexität des Supervisionsgeschehens entsprechend konzeptualisieren zu können.

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Abb. 1: Das Dreieck der Supervision

1.1.1     Der Pol des Patienten

Der Patient hat in der Regel seine implizite Krankheits- und Heilungstheorie. Darin ist enthalten: »Was ist mein Problem? Was wird mich gesund machen? Was wünsche und befürchte ich vom Therapeuten?«. Der Patient steht in einem spezifischen Behandlungskontext: seinem sozialen, beruflichen und familiären Umfeld, er hat Vorerfahrungen, die er mit Therapie bisher gemacht hat, gegebenenfalls parallele Behandlungen im somatischen oder Heilpraktiker-Bereich, verfügt über eigene Motivation oder eher Fremdmotivation und hat spezifische Finanzierungsmodalitäten. Mit diesem Kontext trifft der Patient nun auf seinen Psychotherapeuten.

Ein depressiver Patient, Herr A., mit mittlerem Strukturniveau fühlt sich überarbeitet, leidet unter einer als abweisend erlebten Haltung seiner Ehefrau und ist mit seiner Karriereentwicklung unzufrieden. Er sucht einen Therapeuten auf, in der Hoffnung, dass dieser »ihn wiederaufrichten« und ihm »ein besseres Selbstvertrauen vermitteln« kann.

1.1.2     Der Pol des Psychotherapeuten

Der Psychotherapeut hat eine explizite und implizite Krankheits- und Behandlungstheorie und explizite und implizite Bedürfnisse im Rahmen der Therapie. Explizit sind Krankheits- und Behandlungstheorie, so wie er sie in seiner Ausbildung gelernt hat bzw. in kollegialen Diskussionen und dem Antragsverfahren an den Gutachter wiedergibt. Implizit und manchmal unbewusst, auch bedingt durch die eigene Übertragung und Gegenübertragung auf den Patienten (image Kap. 2 »Selbstreflexion in der Supervision«), gibt es ergänzende oder kontrastierende Krankheits- und Behandlungstheorien, die in das Behandlungsgeschehen einfließen. Explizite Bedürfnisse an die Therapie sind die Sicherung seiner eigenen materiellen Basis, aber auch die Bestätigung in seiner Rolle als Therapeut, Befriedigung über Behandlungserfolge und Wünsche und Ängste gegenüber dem Patienten – z. B. der Wunsch, der Aggression des Patienten zu entkommen, der depressiven Klage auszuweichen oder ein schlimmes Trauma »wiedergutzumachen«.

Die Therapie findet nun in einem spezifischen institutionellen Kontext statt. Findet sie in einer eigenen Praxis statt, wird der Therapeut sich stärker als »Herr des Verfahrens«, zuweilen aber auch alleingelassen und in Frage gestellt fühlen. Behandelt er den Patienten in einer Klinik (z. B. psychiatrische oder psychosomatische Klinik), so findet eine fokale oder intensive Kurztherapie statt, indem der Einzelpsychotherapeut nur eine Facette des therapeutischen Geschehens darstellt. Unterstützung wird auch durch andere therapeutische Settings in Anspruch genommen (Kunst- und Musiktherapie, Sport etc.). Oft leidet der Psychotherapeut darunter, nur selten die »Früchte des eigenen Tuns« ernten zu können, da das eigentliche Durcharbeiten einer Problematik in einem sich anschließenden ambulanten Kontext stattfinden wird. Im Rahmen zum Beispiel einer forensischen Psychotherapie ist der institutionelle »Zwangskontext« der Therapie bedeutsam, in dem der Patient nicht primär freiwillig an einer Therapie teilnimmt und das »dritte Element« der Behandlung, hier Justiz und Staat, immer präsent ist.

Der Therapeut hat weiterhin seine eigenen Erwartungen an Supervision. So kann er zum Beispiel Hilfe bei Verwicklungen oder einen Zuwachs an Kompetenzen, an »Mastering«, suchen, oder er muss die Supervision im Rahmen einer Ausbildung »absolvieren«.

Mit diesen Erfahrungen und Erwartungen des Patienten und seinen eigenen Krankheitsvorstellungen, Kontextvariablen und Erwartungen an eine Supervision trifft er nun auf einen Supervisor.

Der Therapeut, Herr B., begegnet seinem Patienten, Herrn A., zunächst mit viel Wohlwollen, ermutigt ihn, sich im Beruf und gegenüber seiner Ehefrau »besser abzugrenzen« und sieht ein zu hohes, forderndes Ich-Ideal und Eltern, die Anpassung und Leistungsbereitschaft forderten, als ursächlich für die Depression seines Patienten. Durch Konflikte am Arbeitsplatz und in der Ehe sowie die Aggressionshemmung des Patienten ist es seiner Diagnose entsprechend nun zu der neurotisch-depressiven Entwicklung gekommen. Nach einiger Zeit fühlt sich Herr B. jedoch zusehends gelähmter mit Herrn A., seine wohlwollenden Vorschläge werden von Herrn A. als »nicht wirklich hilfreich« zurückgewiesen, Herr B. wird ärgerlicher, hilfloser, fühlt sich ungenügend als Therapeut und sucht zur Supervision Herrn C. auf.

1.1.3     Der Pol des Supervisors

Der Supervisor wiederum hat auch seine eigene explizite und implizite Krankheits- und Behandlungstheorie, die sich von der des Supervisanden sowie der des Patienten unterscheiden kann, und explizite und implizite Bedürfnisse im Rahmen der Supervision. Auch er sichert durch die Supervision seine materielle Basis und möchte sein Selbstkonzept als guter Supervisor im Rahmen der Supervision stärken. Auch er hat Wünsche und Ängste gegenüber dem Supervisanden: Wird er als guter Supervisor anerkannt oder nur in Kauf genommen? Nimmt der Supervisand freudig-kritisch seine Anmerkungen auf oder verschließt er sich? Fühlt sich der Supervisor durch den Supervisanden in eine hilflose und ohnmächtige Situation gebracht, in der er auch nicht weiterweiß?

Auch die Supervision findet in einem spezifisch institutionellen Kontext statt. Sie kann ein »privater« Auftrag eines Supervisanden an den Supervisor sein, ihn zum Beispiel punktuell im Rahmen einer Verwicklung mit dem Patienten oder als kontinuierliche Begleitung zu unterstützen, es kann sich um die regelmäßige Supervision im Rahmen einer Aus- oder Weiterbildung innerhalb eines Institutes handeln oder aber um die externe Fallsupervision im Rahmen einer Behandlungseinrichtung – zum Beispiel einer Klinik oder einer Beratungsstelle. Weiterhin kann es auch die interne Fallbesprechung oder Supervision einer solchen Einrichtung sein, in der leitende Psychologen oder Oberärzte Therapeuten in ihrem Tun anleiten.

Als Folge dieses Aufeinandertreffens im Dreieck der Supervision findet ein komplexer Abgleichungs- und Anpassungsprozess statt. Explizit und implizit werden die unterschiedlichen Erwartungen und Voraussetzungen der einzelnen Akteure miteinander verhandelt. Im günstigen Falle stellt sich Komplementarität her und ein produktiver Regelkreis des Supervisionsprozesses kann wirksam werden (image Kap. 3 »Der Kontext der Supervision«).

Im ungünstigen Fall kommt es zu einer dauerhaften Störung der supervisorischen und therapeutischen Prozesse, die nur schwer aufgelöst werden kann. Hier kann eine »Supervision der Supervision« als Metaprozess nützlich und notwendig sein.

1.2       Der dynamische Regelkreis des Supervisionsprozesses

Supervision steht als Gesamtprozess in einem Regelkreis, der von der intrapsychischen Dynamik des Patienten über die interpersonale Dynamik Therapeut – Patient zur interpersonellen Dynamik Therapeut – Supervisionsgruppe – Supervisor zur interpersonellen Dynamik Therapeut – Patient und damit wieder zur intrapsychischen Dynamik des Patienten führt (image Abb. 2).

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Abb. 2: Der dynamische Regelkreis der Supervision

1.2.1     Die intrapsychische Dynamik im Patienten

Wenn wir als Startpunkt die intrapsychische Psychodynamik im Patienten oder Patientensystem nehmen, so ist die Grundlage der Supervision die Entfaltung der Patientenproblematik in einer Szene, einer Aktualisierung und einer unbewussten Einbeziehung des Therapeuten oder Therapeutensystems in die eigene Problematik. Widersprüchliche, intrapsychische Anteile und Ambivalenzen des Patientensystems (Einzelpatient/Gruppe/Paar/Familie) tendieren zur inneren Aufspaltung, um die innere Konfliktspannung zu verringern. So kann in einem inneren Autonomie-Abhängigkeitskonflikt der Teil der Abhängigkeitswünsche an den Partner (oder auch den Therapeuten) delegiert werden, wenn der Patient selbst sich als innerlich unabhängig, enge Beziehungen eher flüchtend und abgegrenzt erlebt. Beide Seiten gleichzeitig können nicht integriert werden, so dass eine andere Person als Träger des eigenen, nicht gelebten oder abgelehnten Anteils notwendig wird.

In unserem Fallbeispiel erlebt sich Herr A. selbst als gutwillig, angepasst, überfordert, gekränkt – also eher als »Opfer« seiner Lebensverhältnisse. Der Therapeut, Herr B., sieht ihn zunächst als »Opfer« seines inneren ungelösten Konfliktgeschehens und seiner Identifikationen – wird dann aber zusehends in eine »Macht-Ohnmacht-Szene« verwickelt, in der er sich selbst als ärgerlich und hilflos, ja entwertet erlebt.

1.2.2     Die interpersonelle Dynamik Patient – Therapeut

Erst durch diese »Ansteckung« des Therapeuten oder des Therapeutensystems geschieht auf einer tieferen oder unbewussten Ebene eine Kommunikation über die Struktur- oder Konfliktdynamik im Patienten/Patientensystem – auf diese Weise wird diese auch dem Erleben des Therapeuten zugänglich. Dies geschieht mittels projektiver Prozesse (Projektion bzw. projektive Identifizierung) und als Teil der Übertragungs-/Gegenübertragungsbeziehung.

Durch die Übertragung bzw. Projektion solcher unbewussten, abgelehnten, konflikthaften oder nicht bewussten Anteile von inneren Objekt- oder Selbstaspekten identifiziert sich der Therapeut – je nach eigener »Valenz«, also seiner Persönlichkeit, seiner Konfliktneigung und seiner Übertragungsneigung – mit den Einzelaspekten des Patienten und übernimmt spezielle »Rollen« in dessen »Szene«. Im Sinne der Gegenübertragung handelt es sich hier um eine konkordante (dem bewussten Selbstanteil des Patienten entsprechende) oder symmetrische (dem übertragenen Objektanteil des Patienten entsprechende) Gegenübertragung (Racker 1978). Der Therapeut »spielt also mit«, wird angesteckt, registriert vielleicht, dass er sich in einer für ihn ungewöhnlichen Weise kritisch, zaghaft, gelähmt oder unterstützend, konfrontierend, aber auch »aushaltend« verhält. Er kann es in einigen Fällen durch »Selbstanalyse« auch verstehen und einordnen, in anderen Fällen bleibt ihm die Art der Szene und seines eigenen Mitspielens aber unbewusst – genau hier greift die Wirkung von Supervision und begründet zugleich deren Notwendigkeit.

Der Therapeut erlebt sich jetzt unbewusst so, wie sich der Patient z. B. gegenüber seinem Chef oder seiner Ehefrau fühlt, bzw., wie diese sich ihm gegenüber erleben. Der aggressive Teil des Patienten, in der er auch Macht ausübt (hier die »Macht des Opfers«) wird latent in seiner Zurückweisung von Zuwendung, Deutungen und supportiven Ratschlägen deutlich, während er sich manifest weiterhin hilflos und ohnmächtig fühlt. Der Therapeut reagiert ärgerlich, womit er wieder die Wahrnehmung des Patienten bestätigt, von anderen stets schlecht behandelt zu werden.

1.2.3     Die interpersonelle Dynamik Supervisand – Supervisionsgruppe – Supervisor

Der Therapeut (Supervisand) bringt nun mit seinem Fallbericht die Dynamik der therapeutischen Szene (die spezifische Übertragungs-Gegenübertragungsgleichung, die spezifische Rollenverteilung im therapeutischen Paar) in das psychische Feld der Supervisionsgruppe bzw. der Supervisand-Supervisoren-Beziehung. In der Einzelbeziehung Supervisand – Supervisor erlebt der Supervisor stärker »am eigenen Leib«, wie ihn die berichtete Szene der therapeutischen Beziehung affiziert.

Dieses Phänomen wird in Gruppensupervisionen wie einer Balintgruppe (image Kap. 10 »Balintgruppe als Methode der Supervision«) noch deutlicher sichtbar, da die Affekte in diesem Spiegelungsprozess stärker hervortreten und die einzelnen Gruppenmitglieder sich mit den einzelnen Facetten der therapeutischen Szene klar identifizieren. Der Supervisor kann hier stärker in der beobachtenden Position bleiben und die Essenz der Szene erfassen.

Wird der Therapeut/Supervisand vom Patienten zum allmächtig-hilfreichen Objekt gemacht, so fühlt sich die Gruppe oft stellvertretend entweder hypomanisch, aktiv oder voller guter Ratschläge (symmetrische Gegenübertragung) oder aber überfordert, gelähmt, kritisch, dem Therapeuten sein Scheitern vor Augen führend (konkordante Gegenübertragung zur berichteten Szene). Je stärker strukturell gestört ein Patient ist, desto heftiger wird diese »Widerspiegelungsdynamik« sichtbar, in der sich die berichtete therapeutische Szene im Hier und Jetzt der Beziehung zum Supervisor bzw. zur Supervisionsgruppe reinszeniert.

Da die Gruppe, vor allem aber der Supervisor, weniger »dicht« an der therapeutischen Szene beteiligt ist als der Therapeut, also weniger verwickelt und in das Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehen einbezogen ist, können diese ihre eigenen Empfindungen, ihr Erleben und ihre Handlungsimpulse leichter aus der Distanz heraus zur Kenntnis nehmen, zurücktreten und die Dynamik der supervisorischen Szene als Spiegelphänomen erkennen. Hier ist es vor allen Dingen die Aufgabe des Supervisors, die Beobachtungen im Rahmen der Supervisionsgruppe und seine eigene Gegenübertragung daraufhin zu untersuchen, inwiefern diese ein Hinweis auf die therapeutische Szene sein können.

Das Zurücktreten des »handelnden Ich« hinter das »beobachtende Ich« ist der zentrale Schritt und die zentrale Kompetenz des Supervisors, die er ausüben und vermitteln kann. Anschließend interpretiert der Supervisor im Dialog mit dem Supervisanden und der Gruppe die Dynamik der therapeutischen Szene von der Teilhabe an der Szene bis zur Reflexion auf der Metaebene.

Auf dieser Grundlage können dann behandlungstechnische Strategien im Dialog zwischen Supervisand und, wenn vorhanden, Supervisionsgruppe und Supervisor erarbeitet werden. Der bisher unbewusst gebliebene Teil kann im günstigen Fall verstanden werden und im Therapeuten selbst kann es zu einem Schritt der Integration von vorher getrennt oder abgespalten gehaltenen Anteilen kommen. Auch hier geht eine Veränderung der Gegenübertragung einer Veränderung der Übertragung voraus. Der Therapeut macht zunächst einen Entwicklungsschritt, der im System Therapeut – Patient eine Veränderung ermöglicht.

Herr B. berichtet in der Supervisionsgruppe über seine Behandlung mit Herrn A. Ein Teil der Gruppe findet, dass die Arbeitssituation von Herrn A. wirklich unzumutbar ist und Chef und Ehefrau sich seine Gefügigkeit zu Nutze machten. Andere Gruppenmitglieder ärgern sich über die Anspruchshaltung von Herrn A. und bestärken Herrn B., mehr von seinem Patienten zu fordern. Wieder andere fühlen sich nach einiger Zeit müde, weil nach dem Zurückrufen des Supervisanden in den Balintgruppenkreis dieser die meisten Anregungen seiner Kollegen als »nicht wirklich hilfreich« oder »alles schon ausprobiert« zurückweist. An dieser Stelle kann der Supervisor nun darauf hinweisen, dass hier ein »Parallel- oder Spiegelprozess« im Gange ist: Alle bemühen sich, versuchen Herrn B. zu stärken, müssen aber offensichtlich scheitern – ob dies nicht einen unbewussten Sinn habe? Jetzt kann der Therapeut offener über seinen Ärger gegenüber Herrn A. sprechen, und nun wird deutlich, wie sehr dieser eine passiv-aggressive Abwehr zur Konflikt- und Beziehungsregulation benutzt. In der Begegnung mit ihm kommt es also zu einer Rollenumkehr in der »Täter-Opfer«-Rollenaufteilung, die aber erst in der supervisorischen Situation vollständig erlebbar und verstehbar wird.

1.2.4     Die interpersonelle Dynamik Therapeut – Patient

Was der Therapeut aus dem Supervisionsprozess gelernt hat, kann er nun – mit affektiver Präsenz und ausreichender Distanz – in ein kognitiv-emotionales Konzept der therapeutischen Beziehung, der Psychodynamik des Patienten und der entsprechenden Behandlungstechnik integrieren. Dies führt zu einer veränderten Einstellung und einem veränderten Verhalten (klären, konfrontieren, deuten) des Therapeuten, was wiederum Einsicht und emotionales Lernen des Patienten befördert und damit einen Einfluss auf das Selbst- und das Beziehungskonzept des Patienten hat. Der Patient erlebt seinen Therapeuten »anders«, das ursprüngliche Spiel wird »gestört«, ein Veränderungsprozess kann eintreten. So induziert der Therapeut eine Veränderung der therapeutischen Szene.

In der nächsten Therapiestunde beschreibt Herr A. wie er »einfach nicht weiterkomme«, er sehe ja, dass sich sein Therapeut Herr B. alle Mühe gebe, aber ihm sei wohl nicht zu helfen. Herr B. fühlt sich nun nicht mehr so ohnmächtig wie noch vor der Supervisionsstunde, kann den unbewussten Sinn der Szene erkennen bzw. eine Hypothese dazu anbieten: »So sehr Sie sich wünschen, dass ich Ihnen mit einem guten Ratschlag entscheidend weiterhelfen kann, so gibt es doch auch eine andere Seite in Ihnen, die es vielleicht etwas zufrieden stellt, dass ich nicht wirklich weiterkomme und kein solcher »Schlaumeier« wie Ihr Chef oder eine »Besserwisserin« wie Ihre Frau sein kann. Könnte da was dran sein?« Zögerlich stimmt Herr A. zu: »Vielleicht ein bisschen.« Darauf Herr B.: »Das Gute daran für Sie ist ja, dass Sie keinen offenen Widerstand leisten müssen und trotzdem den anderen, in dem Fall mich, sonst manchmal Ihren Chef oder Ihre Frau, ganz gut aushebeln können!«. Herr A: »Wenn die sich aber immer auch so überlegen aufführen«! Darauf Herr B.: »So zeigen Sie mir und denen ganz schön die Grenzen auf, lassen uns abblitzen und sich ohnmächtig fühlen, so wie es Ihnen manchmal vielleicht auch geht«. Allmählich kann deutlich werden, wie auf diese verdeckte Weise Herr A. Macht ausübt, aber um den Preis des depressiven Rückzugs – ohne zu einer wirklich offenen Selbstbehauptung zu kommen.

1.2.5     Auswirkung auf die intrapsychische Dynamik im Patienten

Durch das wiederholte Durcharbeiten des bisher unbewusst Gebliebenen, aber auch durch das freiere, ungehemmtere und stärker reflektierte Zugreifen des Therapeuten auf seine eigenen Wahrnehmungen und Erkenntnisse, kommt es zu einer Veränderung der inneren Konzepte, der Selbst- und Fremdbilder, der Annahmen und Rollenmuster im Patienten. Er kann – begleitet vom Therapeuten – neben sich treten, sich selbst besser beobachten, eine neue emotionale Erfahrung mit dem Therapeuten machen und damit alte Denk- und Verhaltensmuster in Frage stellen. Im gelingenden Fall kommt es zu einer Modifikation der inneren Objektbeziehungen, einer Integration aufgespaltener Anteile und Ambivalenzen, einer reiferen Konfliktlösung und damit einer inneren Entwicklung des Patienten.

Für Herrn A. war es wichtig, dass sein Therapeut in wohlwollender, an Erkenntnis interessierter Weise die Rollenumkehr in der Macht-Ohnmacht-Szene beschreiben konnte – anders hätte er die Interpretation