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»Alles Sein ist flammend Leid.«
(Franz Marc, 1880 – 1916)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet
diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2017

© 2017 Verlag der Ideen, Volkach

eISBN 978-3-942006-28-6

Covergestaltung und Satz:

Coverfotografie: Corinna Gänßle

Printed in Germany

Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-942006-88-0

Inhalt

Vorwort

Wenn dich die Angst beherrscht mit all ihrer Macht

Kapitel 1

Der wundersame Fernseher

Geisteskrank?

Hintergrundinformationen zu meinen Erkrankungen

Erinnerungsfetzen aus der Psychose

Warum wurde ich bipolar?

Überforderung in der Psychose

Zwölf vor fünf

Der erste Suizidversuch

Der zweite Suizidversuch

Der dritte Suizidversuch

Hinweis und Fazit zum Thema Suizid

Wenn dich Zwänge einengen …

Tipps, damit die Zwänge nicht mehr so einengen

Aggression und Angst

Wie sich Zwangsgedanken anfühlen

Hoffnung

Vera im Drogenwunderland

Suchtlebenslauf

Die NA-Gemeinschaft

Freunde – Liebe – Spiritualität

Spiritualität

Neue Ziele

JA zum Leben

Nachwort – Mein »Phönixflug«

Bildnachweis

Vera Maria

Die unheimliche

Magie der

PSYCHOSE

Eine Erfahrung

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Für meinen Partner, der immer geduldig für mich da ist, für meine Familie und meinen Papa, die mich immer unterstützen und für meine höhere Macht, die mich wirklich sehr lieben muss.

Danke!

Vorwort

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Ich heiße Vera Maria und bin vierundzwanzig Jahre alt. Ich hatte ein normales und schönes Leben, bis sich bei mir mit ungefähr siebzehn Jahren eine Angststörung einstellte, die sich im Laufe der Zeit zu einer schizoaffektiven Störung entwickelte.

Meine psychische Erkrankung hätte mich fast das Leben gekostet, aber auf ihrem Höhepunkt, während einer Psychose, wurde mir auf geheimnisvolle Weise das Leben wieder geschenkt.

Mithilfe der folgenden Seiten habe ich die letzten Jahre aufgearbeitet und schildere, wie ich es schaffe, mein Leben mit der Erkrankung zu meistern und sogar zu genießen.

Meine Gedanken kreisen um die Frage, ob ich komplett verrückt bin, weil ich mich von manchem Gedankengut meiner Psychose nicht distanzieren kann, auch in »normalem« Zustand nicht. Es sind religiöse und allumfassende Wahrheiten, die sich mir in der Psychose offenbart haben. Bin ich anmaßend? Gänzlich übergeschnappt? Steht womöglich mein Glaube meiner geistigen Gesundheit im Wege? Oder kann eine Psychose auch heilsam wirken und spirituelle Elemente und Wahrheiten enthalten, deren Reichtum man einfach spürt, als wären sie Naturgesetze?

Die Schulmedizin jedenfalls verneint diesen Gedanken und betont die krankhaften Aspekte einer Psychose. Ich habe so eine ähnliche Frage einmal in einem psychologischen Internetforum gestellt. Daraufhin erhielt ich unter anderem eine sehr kritische und zweifelnde Antwort:

»Es ist Spinnerei zu behaupten, eine Psychose könnte mehr sein als das, was sie ist, nämlich eine Krankheit. Der Gedanke, eine Psychose könne irgendein Potenzial enthalten, ist schlichtweg dumm und entspringt wahrscheinlich deinem psychotischen Gedankengut, ist also Teil deiner Krankheit. Wenn du wieder in die Normalität zurückfindest, wirst du dies einsehen. Auch die religiösen Wahrheiten, die du zu entdecken glaubtest, würden wohl von Theologen so nicht bestätigt werden …« Wer hat also recht?

Nun, meine folgende Geschichte ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Schilderung der Ereignisse, die ich erlebt habe, und ich denke, niemand kann mit Gewissheit sagen, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Illusion tatsächlich verläuft. Nach meinen eigenen schmerzlichen, existenziellen Erfahrungen bin ich der Überzeugung, dass es diese Grenze auch gar nicht gibt, sondern die Konturen ineinander verlaufen und so unsere durchaus legitime subjektive Wirklichkeit entsteht.

Ich habe gelernt, auf meine Gefühle zu vertrauen, und nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, vor allem das erste Kapitel, bitte ich Sie, über diese Fragestellungen noch einmal nachzudenken und dann für sich zu entscheiden.

Ein zweiter Leitgedanke meines Buches ist die Notwendigkeit der Annahme von Leid, das Entdecken eines Sinns im Leid und damit ein konstruktiver Umgang mit den Schattenseiten des Lebens.

Wenn dich die Angst beherrscht mit all ihrer Macht

Angst um meine Gesundheit

Angst um die Gesundheit anderer

Angst vor dem Betrügen

Angst vor dem Betrogenwerden

Angst vor dem Verletzen

Angst, verletzt zu werden

Angst vor dem Denken

Angst vor dem Handeln

Angst vor Menschen

Angst um Menschen

Angst vor der Liebe

Angst um die Liebe

Angst vor Verantwortung und vor dem Alltag

Angst vor dem Leben

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Kapitel 1

»Ich fürchte, ja. Du bist übergeschnappt, hast eine Meise, bist nicht ganz bei Sinnen. Aber weißt du, was? Das macht die Besten aus!« (Alice im Wunderland)

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Ein langer, verworrener Weg liegt vor mir …

Der wundersame Fernseher

Wie gebannt starre ich auf den Fernseher, der vor mir steht. Ich sehe darin Ausschnitte eines alten Heimvideos. Meine Familie, mein Freund, Menschen, die ich liebe, und – mich selbst. Die erste Szene, die ich anschaue, zeigt meine Mutter, die gerade ihr neues Geschäft eröffnet – einen Blumenladen. Sie lacht in die Kamera und strahlt über das ganze Gesicht, schließlich hat sie sich ja ihren größten Traum erfüllt. Schon immer liebte sie die Gartenarbeit und war von der Schönheit der Pflanzen und Blumen fasziniert. Sie verbringt Stunden in unserem Garten, und nun hat sie endlich ihr Hobby zum Beruf gemacht. In dem Laden herrscht reger Betrieb, Stimmengewirr, das Klirren von Sektgläsern. Es sind sehr viele Menschen gekommen.

Dann ist die Szene zu Ende. Nun ist mein Papa zu sehen. Er steht wie ein Priester auf einem Podest vor einer Menschenansammlung und spricht zu ihnen. Die Leute hören ihm aufmerksam zu. Papa lächelt kurz in die Kamera und spricht dann eilig weiter. Er scheint voll in seinem Element zu sein und genießt es sichtlich, dass das Publikum so interessiert seinen Erzählungen folgt.

Worum es geht, verstehe ich nicht genau, dazu ist der Ton des Videos zu leise, aber ich bin mir sicher, dass es etwas Spirituelles ist. Mein Papa ist ein sehr weiser Mann, der sich schon immer für viele Themen interessiert hat, sei es nun Literatur, Religion, Philosophie, Astronomie oder was auch immer. Schon oft hatte er mir etwas über diese Themen erzählen wollen, doch ich war meist eher desinteressiert.

Umso mehr genießt er jetzt seinen ganz persönlichen Triumph, auch wenn er es selbst noch nicht zu glauben scheint, dass er sein Wissen anderen nahebringen kann und ihm die Menschen tatsächlich zuhören, ihr aufrichtiges Interesse zeigen und er dadurch in die Rolle eines Predigers schlüpfen kann. Er zwinkert noch einmal kurz in die Kamera, dann ist auch diese Szene zu Ende. In der nächsten Szene sehe ich eine Frau und einen Mann auf einer roten Couch sitzen. Die beiden kommen mir sehr vertraut und fremd zugleich vor. Das Mädchen hat ein blasses Gesicht, schulterlange, braune Haare und ist sehr schlicht gekleidet. Der Mann hat ein liebes, rundes Gesicht und hält die Hand der Frau. Die beiden sind offensichtlich ein Liebespaar. Während die Frau aufgeregt in die Kamera spricht, schweigt der Mann und lächelt in sich hinein. Ich starre das Bild auf dem Fernseher fassungslos an und nur langsam begreife ich, was ich da sehe …

Das bin ich, die Frau, die Frau im Fernseher bin ich – aber sehr verändert. Mein »Ich« im Fernseher hat keine Tattoos und ist sichtlich älter, als ich es jetzt bin. Den Mann erkenne ich nicht sofort, erst sehr viel später sollte mir klar werden, dass dieser Mann mein Freund Noah ist, doch er sah im Fernseher so verändert aus, dass ich ihn in diesem Moment nicht erkannte. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Oder zumindest das nicht, was ich hier im Fernseher sehe. Ich versuche mich zu erinnern, wann diese Aufnahmen gedreht worden sind, aber vergeblich. Auch verstehe ich die äußerliche Veränderung meines »Ichs« im Fernseher nicht. Ich hatte noch nie so kurze Haare.

Obwohl ich einerseits sehr verwirrt bin und auch sprachlos angesichts meines munter weiterplappernden »Ichs« im Fernseher, bin ich begierig, noch mehr zu sehen, als die Szene auch schon vorbei ist.

Plötzlich erscheint ein großes Haus auf dem Bildschirm, umgeben von wunderschöner Natur. Das Haus ist in goldrotes Licht getaucht und erinnert etwas an einen alten Bauernhof, wie es ihn in der bayerischen Landschaft, aus der ich komme, so oft gibt. Doch das Haus ist nicht einfach nur irgendein Haus für mich. Es schaut einladend aus und ich bin mir sicher, ich würde mich in ihm geborgen und zu Hause fühlen. Dann wird das goldrote Licht immer intensiver und überstrahlt das Haus.

Nun ist ein Sonnenuntergang oder -aufgang zu sehen und dazu erklingt eine wundervolle, harmonische, glückselig machende Melodie, so wie ich sie noch nie gehört habe. Später habe ich oft versucht, mir die Melodie wieder ins Gedächtnis zu rufen, mich jedoch nur an den Eindruck und die Gefühle erinnern können, die sie in mir hervorgerufen hatte, nicht an die Melodie selbst.

Dann überkommt mich eine tiefe Müdigkeit. Ich schalte den Fernseher aus und gehe den langen Gang zu meinem Zimmer, meinem Zimmer in der Psychiatrie, in Gedanken noch ganz bei dem Video, das ich gerade gesehen habe.

Ich weiß nicht mehr, wann mir gänzlich klar wurde, was es mit dem Video tatsächlich auf sich hatte. Es ist wie in manchen Träumen: Man realisiert oft lange nicht – oder sogar nie – was einen Bezug zur Realität hat und was nicht.

Doch dies war nicht einfach ein Traum. Trotzdem ist mein Papa kein Prediger, denn er arbeitet bei einem großen Chemiekonzern, und meine Mama besitzt keinen Blumenladen, sondern ist Hausfrau. Auch Noah und ich sind noch nicht so alt wie in dem Video. Der Film zeigte eine mögliche Zukunft. War es aber auch wirklich DIE Zukunft? Oder war es Wunschdenken?

Früher hätte man von einer Vision gesprochen. Heute nennt man mein Erlebnis mit dem Fernseher eine optische Halluzination. Die mir zugewiesene Psychiaterin hat mir erklärt, dass es bei meinem Krankheitsbild oft akustische Halluzinationen gibt, optische wären seltener.

Halluzination, Trugbild, Geisteskrankheit, Wahnsinn. Oder doch eher Hellsehen, Vision und Segen? Diese Frage wird mich noch lange beschäftigen. Doch eines ist sicher. Irgendwie geben mir diese Videoausschnitte Hoffnung – auch wenn sie nur im meinem Kopf existieren.

Geisteskrank?

Wie man nun vermuten kann, stimmt etwas in meinem Kopf nicht so ganz. Das klingt hart – ist aber die Realität, meine Realität, mit der ich tagtäglich zu kämpfen habe.

Meine Diagnose lautet: schizoaffektive Störung. Anfangs hieß die Diagnose noch Angstneurose und Depression. Die angebliche einfache Depression entwickelte sich dann zu einer bipolaren Störung. Bipolar bedeutet manisch-depressiv, also das Schwanken zwischen extremer Euphorie (Manie) und Depression. Bei mir wurde zuerst eine Bipolar-2-Störung diagnostiziert, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die manischen Phasen im Vergleich zu den depressiven deutlich schwächer waren (hypomanische Episoden). Es fühlte sich so an, als wäre ich tagelang ununterbrochen auf Ecstasy-Trip. Dies war der »angenehme« Teil. Doch das Abrutschen in eine Depression ließ nicht lange auf sich warten. Meine Depressionen waren so extrem ausgeprägt, dass ich während dieser depressiven Phasen vier Suizidversuche unternahm.

Schnell wurden die leichteren Manien, also die Hypomanien, ausgeprägter und intensiver. Ich entwickelte die klassische Form der bipolaren Störung mit Schwankungen zwischen extremer Manie und tiefer Depression.

In einem Buch über bipolare Störungen habe ich gelesen – ich zitiere, wie ich es in Erinnerung habe: »… und manchen bedauernswerten Patienten ist es nicht vergönnt, zwischen ihren manischen und depressiven Phasen eine Pause zu haben, also eine Zeit lang in einem normalen, ausgeglichenen Zustand zu verweilen.« Das war auch bei mir der Fall. Manie und Depression wechselten sich rasend schnell ab. In der goldenen Mitte, in der psychisch gesunde Menschen den Großteil ihres Lebens verbringen, befand ich mich nur selten.

Zudem hatte und habe ich auch immer noch die Angststörung, die sich bei mir durch Zwangsgedanken und Grübelzwänge bemerkbar macht und die besonders in den depressiven Phasen dominant wurde. Die Depression verstärkte die Angst und den Zwang, der Zwang verstärkt die Depression – ein schrecklicher Teufelskreis. Zwänge fühlen sich an wie ein Gitter, das einen mehr und mehr umschließt, einengt und zu erdrücken droht. Wenn man dann manisch wird oder auch nur in eine normale Phase kommt, fühlt es sich unglaublich befreiend an, wenn man plötzlich aus diesem Gitter ausbricht und in eine explosive Gefühlswelt regelrecht katapultiert wird. Ähnlich fühlt sich wohl ein Taucher, der kurz vor dem Ertrinken in letzter Sekunde die Wasseroberfläche erreicht und begierig nach Luft schnappt.

In manischen Phasen waren die Ängste wie weggeblasen. Ich war in der Manie immer komplett frei von Ängsten und quälenden Grübeleien. Doch das Heimtückische an den Manien war, dass ich extrem übermütig und leichtsinnig wurde. Mein Verhalten während der manischen Phasen war mir hinterher immer extrem peinlich, die Gefühle der Reue entsprechend ausgeprägt, was mir anschließend in den zwingend nachfolgenden depressiven Phasen natürlich reichlich Stoff zum Grübeln bot. An der Weiterentwicklung zur schizoaffektiven Störung war ich schließlich selbst schuld.

Eine schizoaffektive Störung hat im Vergleich zur reinen bipolaren Störung noch einen psychotischen Anteil. Meist treten die Psychosen in der Manie auf. Ich hatte also Depressionen und Manien mit psychotischen Episoden. Bis jetzt habe ich zwei bis drei Psychosen erlebt. Ich sage zwei bis drei, weil ich zwei Psychosen ganz sicher hatte und mir bei einem weiteren manischen Zustand nicht sicher bin, inwieweit er bereits psychotische Züge aufwies.

Warum ich an der Entwicklung zur schizoaffektiven Störung selbst schuld war? Nachdem ich lange depressiv war und auch starke Angstzustände hatte, habe ich selbst beschlossen, die Dosis meiner Antidepressiva zu erhöhen, ohne dabei mit einem Arzt Rücksprache zu halten – ein fataler Fehler. Ich wurde dadurch in eine derart starke Manie katapultiert, dass ich total psychotisch wurde. Während dieser Psychose hatte ich jede Menge rätselhafter Erlebnisse, aber an vieles kann ich mich nur verschwommen oder gar nicht mehr erinnern.

Manche Erinnerungen aus der Psychose kommen mir in meinen Träumen oder in entspannten Zuständen kurz wieder ins Gedächtnis, aber wenn ich sie festzuhalten versuche, entgleiten sie mir. Oft habe ich das Gefühl, eine Blockade oder Barriere im Kopf zu haben, die es mir unmöglich macht, mich präzise zurückzubesinnen und die Erinnerungen konkreter werden zu lassen. Die beiden klassischen manischen Psychosen, die ich kurz aufeinanderfolgend durchlitt, habe ich großteils in der Psychiatrie erlebt.

Nachdem ich wegen der selbst verordneten Überdosierung der Antidepressiva psychotisch und in die Psychiatrie eingeliefert wurde, bekam ich starke Beruhigungsmittel, die mich nach einiger Zeit wieder in die Normalität beförderten und die Psychose abklingen ließen. Doch die dämpfenden Medikamente wurden zu schnell reduziert und so fiel ich wieder in die Psychose zurück. Die beiden Psychosen verschwimmen in meinem Gedächtnis ineinander, aber für mich spielt es jetzt auch keine Rolle mehr, welche Erlebnisse und Eindrücke wohin zuzuordnen sind.

Eines haben sie gemeinsam: Es waren Erlebnisse, die mich völlig überforderten und mich, wie die Pfleger erzählten, regelmäßig darum betteln ließen, den Beruhigungsraum aufsuchen zu dürfen. Dies ist ein isoliertes, abgeschlossenes Zimmer, in dem sich ein Fenster, ein Bett und eine Toilette befinden und man völlig alleine einige Stunden oder Tage verbringt und nur Kontakt zur Außenwelt hat, wenn man entweder penetrant den Schwestern klingelt oder etwas zu essen bekommt. Warum mich diese Ereignisse während der Psychose so überforderten? Ich denke, das Erlebnis mit dem Fernseher, das ich schon berichtet habe, liefert einen ersten Eindruck. Da war aber noch viel mehr. Ich bin während meiner Psychose in der Notaufnahme des Himmels gelandet, habe Götter gesehen und mit ihnen gesprochen und mit den Reinkarnationen des gesteinigten Jesus und Hitlers gesprochen. Ich bin Yin und Yang begegnet, habe mich mit dem Tod unterhalten, war für einen alten weisen Gott einkaufen und habe meinem Freund den Apfel der Entwicklung und Weisheit geschenkt.

Das alles habe ich in der Psychose erlebt. Ich weiß bis heute nicht, inwieweit ich halluziniert und Wahrheit und Realität mit Krankheit vermischt habe. Als gläubiger Mensch bin ich der festen Überzeugung, dass es Dinge gibt, die man sich nicht mit dem Verstand erklären kann. Für die Ärzte ist es Krankheit. Für Theologen wäre es ein Wunder. Was ist es für mich? Ich weiß es immer noch nicht.

Kann es sein, dass ich Dinge halluziniert habe, die aus meinem Unterbewusstsein projiziert wurden? Ich habe während dieser Psychosen plötzlich Dinge gewusst, die ich im Grunde nicht wissen kann. So habe ich beispielsweise beim Betrachten eines Schachbretts und eines Klaviers Grundzüge des Buddhismus verstanden, obwohl ich mich nie zuvor mit der buddhistischen Religion befasst habe. Ich denke, ich habe auf ein Wissen zugreifen können, das jeder von uns in sich trägt, aber wie in einer Schatztruhe fest verschlossen ist, in die man nur in erweiterten Geisteszuständen, ausgelöst beispielsweise durch Krankheit oder Drogen, zugreifen kann. War und bin ich geistig krank oder geistig erweitert?

Mein Freund Noah, dem ich viel über die Psychose erzählt habe, hat einmal gesagt, manche Menschen würden für so eine Erfahrung ihr Leben geben.

Hintergrundinformationen zu meinen Erkrankungen

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Ganz normal ist auch nicht normal …

Für ein besseres Verständnis meiner Erkrankungen will ich nun die psychischen Krankheiten Zwangsneurose und die schizoaffektive Störung mit meinen eigenen Worten näher erklären und Hintergrundinformationen dazu geben, die ich in dem Buch »Psychologie« von Gerrig und Zimbardo gefunden habe.

Die Zwangsstörung

Zwangsneurosen gehören zu der Kategorie der Angststörungen und nötigen den Betroffenen zu bestimmten Denk- und Verhaltensmustern, denen er dann zwanghaft unterliegt. Oft wird mit Zwangsneurose das klassische Beispiel eines Menschen verbunden, der Angst vor Infektionen hat und sich deshalb unzählige Male die Hände waschen muss, oder man denkt an eine Hausfrau, die den ganzen Tag putzt. Es wird unterschieden zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sowie einer Mischform. Viele von uns kennen eine leichte Form von Zwängen, die sich beispielsweise in Gedanken äußert wie »Habe ich die Türe abgeschlossen?« oder »Ist der Herd auch wirklich aus?«.

Wenn solche Gedanken oder auch Handlungen öfter und intensiver als gewöhnlich vorkommen und sich die damit einhergehenden Denk- und Handlungsmuster sukzessive verstärken und zeitaufwendiger werden, ist der betreffende Mensch bereits auf dem leidigen und steinigen Weg in eine klassische Zwangsneurose. Es gibt viele Spielarten der Zwangsstörung, beispielsweise aggressive Zwangsgedanken, bei der sich Gedanken aufdrängen, man könnte jemanden verletzen, sowie Grübelzwänge, Zählzwänge, Kontrollzwänge und auch Ordnungs-, Sauberkeits- und Putzzwänge.

Die Zwangsneurose ist eine psychische Erkrankung, die einen sehr hohen Leidensdruck verursachen kann, da der Betroffene, sozusagen bei klarem Verstand, seine Krankheit realisiert und zugleich ohnmächtig erlebt, dass er nicht mehr imstande ist, die quälenden Gedankenströme zu unterbrechen. So beginnt er immer mehr am eigenen Geisteszustand zu zweifeln.

Obwohl die Zwangsgedanken, deren Folge auch oft Zwangshandlungen sind, als unsinnig und unangebracht vom Betroffenen empfunden werden, muss dieser sie denken oder ausführen, damit ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl unterdrückt wird, das grenzenloser Angst und Panik am nächsten kommt.

Oft suchen sich die Betroffenen erst sehr spät Hilfe, und zwar aus Scham oder Angst vor den Reaktionen ihres Umfelds. Schätzungsweise 1,6 % der Bevölkerung leidet unter einer Zwangsneurose. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher liegen.

Die schizoaffektive Störung

Die schizoaffektive Störung ist eine Sonderform der bipolaren Störung. Dabei schwankt der Betroffene zwischen Phasen der Manie und der Depression. Manische Stimmung ist gekennzeichnet durch Euphorie und Übermut, himmelhoch jauchzend und voller Energie.

Sie steht im großen Kontrast zur Depression, die durch ein Leeregefühl und tiefe Verzweiflung geprägt ist. In den ersten Jahren dieser Erkrankung ist die Suizidrate sehr hoch, da der Erkrankte oft aus einer Manie direkt in die Depression fällt und der Unterschied der Stimmungen dadurch noch größer ist, als wenn er aus einem normalen Zustand in eine Depression fällt. Viele Betroffene erleben zwischen diesen Extremen auch normale Phasen. Ist dies nicht der Fall, spricht man von »Rapid Cycling«. Dies ist besonders anstrengend für Geist und Körper, da man nie eine Ruhepause und Zeit zum Aufatmen hat.

Bei der schizoaffektiven Störung liegt ebenfalls ein Wechsel von Manie und Depression vor, allerdings sind meist die manischen Phasen – seltener die depressiven Phasen – noch durch eine Psychose gekrönt, in welcher der erkrankte Mensch oft einem Realitätsverlust unterliegt und akustische sowie optische Halluzinationen wahrnimmt, also Stimmen hört oder Dinge sieht, die nicht real sind.