Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis


Befehl der Kaiserin, das Abendmahl zu nehmen. – Die Kompagnie des Großfürsten in Oranienbaum. – Langweiliges Leben in Oranienbaum. – Ich tröste mich mit meinen Büchern. – Amüsanter Winter in Petersburg. – Reise nach Tischwin. – Der kaiserliche Favorit Razumowski. – Tschoglokoff. – Tod der Fürstin Gagarin. – Im Sommerpalast. – Verschiedene Verabschiedungen. – Reise nach Gostilitza. – Tod meines Vaters. – Man verbietet mir, ihn länger als acht Tage zu beweinen. – Intrige Bestuscheffs. – Die Meute des Großfürsten. – Er spielt mit Puppen und anderem Spielzeug. – Man verbietet uns, mit unserer Umgebung halblaut zu sprechen. – Der Hundestall neben unserm Schlafzimmer. – Maskenbälle in meinen Gemächern. – Ungnade Repnins. – Die Kaiserin macht mir Vorwürfe. – Ich bekomme die Masern.

Zu Anfang August ließ die Kaiserin dem Großfürsten und mir sagen, daß wir zum Abendmahl gehen sollten. Wir entsprachen beide ihren Wünschen und begannen sogleich die Frühmette und Vesper bei uns singen zu lassen, sowie täglich in die Messe zu gehen. Am Freitag, als es sich darum handelte, die Beichte abzulegen, klärte sich denn auch die Ursache zu diesem Befehl auf. Simon Theodorski, der Bischof von Pleskow, fragte uns nämlich beide, natürlich jeden besonders, was zwischen den Czernitscheffs und uns vorgegangen sei. Aber da absolut nichts vorgefallen war und er sah, daß wir ihm offen und unschuldig erklärten, auch nicht ein Schatten von dem, was man gewagt habe; anzunehmen, sei begründet, ward er ein wenig verlegen. Und es entschlüpften ihm gegen mich die Worte: »Aber woher kommt es, daß die Kaiserin vom Gegenteil überzeugt ist?« worauf ich ihm antwortete, ich wisse es nicht. Ich glaube sicher, daß unser Beichtvater unsere Geständnisse dem Beichtvater der Kaiserin mitteilte und dieser sie Ihrer Majestät übermittelte, was nicht zu unserem Nachteile geschah. Wir nahmen das Abendmahl am Sonnabend und gingen am Sonntag auf acht Tage nach Oranienbaum, während Elisabeth einen Ausflug nach Zarskoje Selo machte.

Sobald wir in Oranienbaum angekommen waren, bildete der Großfürst aus seinem ganzen Gefolge eine Kompagnie. Die Kammerherren, Kammerkavaliere, Hofchargen, die Adjutanten des Fürsten Repnin, ja sogar dessen Sohn, die Hofbedienten, Jäger, Gärtner, alle, alle mußten sie das Gewehr über die Schulter nehmen. Seine kaiserliche Hoheit exerzierte sie täglich und ließ sie auf die Wache ziehen; der Korridor des Hauses diente ihnen als Wachtstube, wo sie den Tag verbrachten. Zu den Mahlzeiten gingen die Kavaliere hinauf, und abends kamen sie in den Saal, um so, wie sie waren, in Gamaschen, gestiefelt und gespornt, zu tanzen, von Damen waren nur ich, Madame Tschoglokoff, die Fürstin Repnin, meine drei Ehrendamen und meine Kammerfrauen da; folglich waren diese Bälle stets sehr spärlich und schlecht arrangiert, zumal da die Männer von dem fortwährenden Exerzieren, einer Beschäftigung, die dem Geschmack der Hofleute durchaus nicht zusagte, ermüdet und schlechter Laune waren. Nach dem Ball durften sie dann in ihrem Zimmer zu Bett gehen. Im allgemeinen waren ich sowie alle andern des langweiligen Lebens in Oranienbaum, wo wir fünf oder sechs Frauen von früh bis abends allein waren, während die Männer ihrerseits wider Willen exerzierten, herzlich satt. Ich nahm deshalb meine Zuflucht zu den Büchern, die ich mir mitgebracht hatte. Seit meiner Heirat beschäftigte ich mich fast ausschließlich mit Lektüre. Das erste Buch, welches ich nach meiner Vermählung las, war ein Roman, betitelt »Tiran le Blanc«, und ein ganzes Jahr lang las ich nichts als Romane. Diese begannen mich aber bald zu langweilen. Zufällig kamen mir die Briefe von Madame de Sévigné in die Hände, eine Lektüre, die mich sehr amüsierte. Nachdem ich sie förmlich verschlungen hatte, las ich die Werke Voltaires, doch nach diesen suchte ich meine Bücher mit größerer Wahl aus.

Wir kehrten nach Peterhof zurück, und nach zwei oder drei Hin-und Rückreisen zwischen Peterhof und Oranienbaum, wobei es stets bei denselben Zerstreuungen blieb, bezogen wir den Sommerpalast in Petersburg.

Ende des Herbstes siedelte die Kaiserin in den Winterpalast über. Sie bewohnte dort die Gemächer, welche wir den Winter vorher benutzt hatten, während wir in die vor unserer Verheiratung vom Großfürsten bewohnten einquartiert wurden. Diese Gemächer gefielen uns sehr gut und waren in der Tat außerordentlich bequem; sie waren einst von der Kaiserin Anna benutzt worden. Jeden Abend versammelte sich hier unser ganzer Hof, man spielte allerhand unterhaltende Gesellschaftsspiele, oder es fanden Konzerte statt. Zweimal wöchentlich war im großen Theater, das damals der Kasaner Kirche gegenüberstand, Vorstellung. Mit einem Wort, dieser Winter war einer der heitersten und angenehmsten, die ich je verlebt habe. Wir taten wirklich den ganzen Tag nichts als lachen und fröhlich sein.

Ungefähr gegen Mitte des Winters befahl uns die Kaiserin, ihr nach Tischwin, wohin sie sich begab, zu folgen. Diese Reise hatte einen religiösen Zweck, doch gerade, als wir in den Schlitten steigen wollten, erfuhren wir, daß sie aufgeschoben sei. Man flüsterte uns zu, der Oberjägermeister Graf Razumowski sei von der Gicht befallen, und Ihre Majestät wolle nicht ohne ihn reisen. Erst zwei oder drei Wochen später gingen wir nach Tischwin. Die Reise dauerte einschließlich unserer Rückkehr nur fünf Tage. Als wir durch Ribatschia Slobodk kamen und an dem Hause vorbeifuhren, wo sich die Czernitscheffs befanden, suchte ich sie hinter den Fenstern zu erspähen, sah aber nichts. Von Fürst Repnin, der an dieser Reise nicht teilnahm, wurde gesagt, er leide an Blasenstein. Sein Amt vertrat der Gemahl der Tschoglokoff, was allen nicht gerade sehr angenehm war. Er war ein anmaßender, brutaler, dummer Mensch, vor dem alle die größte Furcht hatten, selbst seine eigene Frau. Beide waren aber auch wirklich böswillige Menschen. Dennoch gab es, wie wir später sehen werden, Mittel, nicht allein jene Argusse einzuschläfern, sondern sie sogar zu gewinnen. Damals indes bemühte man sich noch, diese Mittel zu entdecken. Eins der sichersten war, Pharo mit ihnen zu spielen, denn beide waren sehr interessierte Spieler. Diese Schwäche wurden wir zuerst an ihnen gewahr, während wir die andern leider erst viel später entdeckten.

Im Laufe des Winters starb die Ehrendame Fürstin Gagarin an einem hitzigen Fieber, eben als sie im Begriff war, sich mit dem Kammerherrn Fürsten Galitzin, welcher später ihre jüngere Schwester heiratete, zu vermählen. Ich bedauerte ihren Verlust sehr und besuchte sie oft während ihrer Krankheit, trotz der Einwände Madame Tschoglokoffs. Die Kaiserin ließ an ihrer Stelle ihre ältere Schwester aus Moskau kommen, die sich später mit dem Grafen Matjuschkin vermählte.

Im Frühjahr siedelten wir in den Sommerpalast über, und von dort ging es aufs Land. Fürst Repnin erhielt angeblich wegen zerrütteter Gesundheit die Erlaubnis, sich auf seine Besitzung zurückzuziehen, und Tschoglokoff führte ad interim die Geschäfte des Fürsten Repnin bei uns. Das erste, was er tat, war die Verabschiedung unseres Kammerherrn Grafen Devierre, der als Brigadier, und des Kammerkavaliers Villebois, der als Oberst in die Armee versetzt wurde. Beides geschah auf Veranlassung Tschoglokoffs, der sie mit Mißfallen betrachtete, weil der Großfürst und ich ihnen Wohlwollen bewiesen. Eine ähnliche Verabschiedung hatte schon im Jahre 1745 auf die Bitte meiner Mutter den Grafen Zacharias Czernitscheff betroffen, und stets sah man solche Verabschiedungen als Zeichen der Ungnade bei Hofe an, so daß sie für die betreffenden Personen sehr empfindlich waren. Die eben erwähnte war dem Großfürsten und mir besonders unangenehm. Ein anderer Kunstgriff der Tschoglokoffs, die den Großfürsten und mich vollkommen isolieren wollten, war, daß dem Prinzen August, nachdem er alles erhalten, was er wünschte, von der Kaiserin der Befehl erteilt wurde, sich zu entfernen. Sie folgten darin den Weisungen des Grafen Bestuscheff, dem alle ohne Ausnahme verdächtig waren.

Da ich während dieses Sommers nichts Besseres zu tun hatte und die Langeweile bei uns groß wurde, war meine Hauptleidenschaft das Reiten. Den Rest meiner Zeit benutzte ich, alles zu lesen, was mir in die Hände fiel. Was den Großfürsten betraf, so wählte er sich, da man ihm die Leute, die er am meisten liebte, genommen, unter den Hofbedienten neue Günstlinge aus.

In dieser Zeit benachrichtigte mich mein Kammerdiener Nevreinoff eines Morgens, als er mich frisierte, er habe durch einen eigentümlichen Zufall entdeckt, daß Andreas Czernitscheff und seine Brüder in Ribatschia in einem Lusthause der Kaiserin, welches sie von ihrer Mutter geerbt, gefangen säßen. Er hätte es auf folgende Weise erfahren. Während des Karnevals hatte er mit seiner Frau, seiner Schwägerin und seinen beiden Schwägern eine Schlittenfahrt gemacht. Der Gatte der Schwägerin war Magistratssekretär in Petersburg und hatte eine Schwester, welche an einen Untersekretär der geheimen Kanzlei verheiratet war. Sie machten einen Ausflug nach Ribatschia und kehrten bei dem Verwalter dieses Gutes der Kaiserin ein. Da sie sich über den Tag, auf welchen das Osterfest fallen würde, stritten, sagte der Hauswirt, er könne diesen Streit schnell schlichten, denn er brauche nur die Gefangenen um ein Buch zu bitten, welches Swiatzy hieße, und in dem alle Feste und der Kalender für mehrere Jahre aufgeführt seien. Nach einigen Augenblicken brachte man das Buch. Der Schwager Nevreinoffs ergriff es, schlug es auf und das erste, was er darin fand, war der Name Andreas Czernitscheffs und das Datum des Tages, an welchem der Großfürst ihm das Buch geschenkt hatte. Hierauf suchte er nach dem Osterfeste. Der Streit war beendet, das Buch wurde wieder abgegeben und sie kehrten nach Petersburg zurück, wo der Schwager Nevreinoffs ihm einige Tage später diese Entdeckung anvertraute. Er bat mich inständig, nicht mit dem Großfürsten davon zu sprechen, weil man auf seine Verschwiegenheit durchaus nicht bauen könne; ich versprach es und hielt Wort.

Um die Mitte der Fastenzeit begaben wir uns mit der Kaiserin nach Gostilitza zur Feier des Namensfestes des Oberjägermeisters Razumowski. Man tanzte, war sehr vergnügt und kehrte dann in die Stadt zurück.

Einige Tage nachher meldete man mir das Hinscheiden meines Vaters, eine Nachricht, die mich aufs tiefste betrübte. Acht Tage lang ließ man mich meinen Schmerz ausweinen, doch am Ende dieser acht Tage erklärte mir Madame Tschoglokoff, es sei nun des Weinens genug. Die Kaiserin befehle mir, aufzuhören, da mein Vater kein König gewesen sei. Ich erwiderte, ein König sei er freilich nicht gewesen, worauf sie antwortete, es schicke sich nicht für eine Großfürstin, länger um einen Vater zu weinen, der kein regierender König gewesen sei. Endlich befahl man mir, am nächsten Sonntag auszugehen und nur sechs Wochen Trauer zu tragen.

Als ich zum ersten Male wieder mein Zimmer verließ, fand ich den Grafen Santi, den Oberzeremonienmeister der Kaiserin, im Vorzimmer Ihrer Majestät. Ich richtete einige gleichgültige Worte an ihn und ging weiter. Ein paar Tage später erschien Madame Tschoglokoff, um mir zu sagen, Ihre Majestät habe vom Grafen Bestuscheff, dem Santi es schriftlich gegeben, erfahren, daß ich zu Santi gesagt habe, ich fände es sehr sonderbar, daß mir die Gesandten beim Tode meines Vaters keine Beileidsbesuche abgestattet hätten. Eine solche Bemerkung gegen Santi finde Ihre Majestät sehr unangebracht; ich sei ungemein stolz, müsse mich doch erinnern, daß mein Vater kein König gewesen sei, und daß ich aus diesem Grunde Beileidsbezeigungen seitens der fremden Gesandten weder verlangen könne noch dürfe. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich Madame Tschoglokoff so sprechen hörte, und erwiderte, wenn Graf Santi gesagt oder geschrieben, daß ich ein einziges dem erwähnten auch nur ähnliches Wort über diesen Gegenstand mit ihm gesprochen, so sei er ein absichtlicher Lügner. Nichts von alledem sei mir jemals in den Sinn gekommen, folglich könne ich auch weder an ihn, noch an sonst jemand solche Worte gerichtet haben. Dies war die vollkommenste Wahrheit, denn ich hatte es mir zur strengsten Pflicht gemacht, in keinem Falle irgend welche Ansprüche zu erheben, mich in allen Dingen dem Willen Ihrer kaiserlichen Majestät unterzuordnen und zu tun, was man mir befahl. Augenscheinlich war Madame Tschoglokoff durch die Offenheit, mit welcher ich antwortete, von der Wahrheit überzeugt, denn sie erwiderte, sie werde nicht verfehlen, der Kaiserin zu berichten, daß ich Graf Santi Lügen strafe. In der Tat begab sie sich sofort zu Ihrer Majestät und kam zurück, um mir zu sagen, daß die Kaiserin sehr böse auf Santi sei, weil er sich einer solchen Lüge schuldig gemacht, und sie habe befohlen, ihm einen Verweis zu geben. Einige Tage später schickte Graf Santi verschiedene Personen zu mir, unter andern auch den Kammerherrn Grafen Nikita Panin und den Vizekanzler Woronzow, um mir zu sagen, daß Bestuscheff ihn zu dieser Lüge gezwungen und es ihm sehr schmerzlich sei, deshalb in Ungnade bei mir gefallen zu sein. Ich antwortete ihnen, ein Lügner sei ein Lügner, was er auch für Gründe haben möge, zu lügen; aber aus Besorgnis, er könne mich wieder einmal in seine Lügen verwickeln, werde ich nicht mehr mit ihm sprechen. Meine Ansicht indes war folgende. Santi war ein Italiener; er intrigierte gern und war erfüllt von seinem Amt als Oberzeremonienmeister. Ich hatte mich mit ihm stets so unterhalten, wie ich es mit jedem andern auch tat. Vielleicht aber hatte er gedacht, daß Beileidsbezeigungen für den Tod meines Vaters seitens des diplomatischen Korps zulässig seien, und bei seiner Art, zu denken, scheint es, daß er mir dadurch einen Gefallen zu erweisen glaubte. Er ging also zum Großkanzler Grafen Bestuscheff, seinem Vorgesetzten, und berichtete ihm, ich sei zum ersten Male ausgegangen, und wie es ihm schiene, wäre ich sehr betrübt gewesen; vielleicht hätte die Unterlassung von Beileidsbezeigungen dazu beigetragen, meine traurige Stimmung zu erhöhen. Bestuscheff, der immer zänkisch und geneigt war, mich zu demütigen, ließ sofort aufschreiben, was Santi ihm in bezug auf mich gesagt oder angedeutet hatte und ließ ihn das Protokoll unterzeichnen. Santi, der seinen Vorgesetzten wie das Feuer, vor allem aber den Verlust seiner Stellung fürchtete, zögerte nicht, lieber diese Lüge zu unterschreiben, als seine Existenz zu opfern. Der Großkanzler schickte nun den Bericht an die Kaiserin, die über meine Anmaßung sehr erzürnt war und Madame Tschoglokoff zu mir schickte, wie ich soeben erzählt habe. Nachdem sie aber meine auf strikte Wahrheit beruhende Antwort gehört, hatte die ganze Intrige weiter keine Folge als einen Nasenstüber für den Herrn Oberzeremonienmeister.

Der Großfürst schaffte sich auf dem Lande eine Meute an und begann die Hunde selbst zu dressieren. War er müde, sie zu quälen, dann fing er an, auf der Geige herum zu kratzen. Er kannte nicht eine einzige Note, besaß indes gutes Gehör und glaubte, die Schönheit der Musik bestände in der Stärke und Heftigkeit, mit welcher er die Töne aus seinem Instrument hervorlockte. Seine Zuhörer würden sich manchmal gern die Ohren verstopft haben, wenn sie es gewagt hätten, denn er quälte sie fürchterlich.

Nach unserer Rückkehr in den Sommerpalast bewies Madame Kruse, die nie aufgehört hatte, ihre Argusrolle zu spielen, sich insofern freundlicher gegen uns, als sie sich sehr oft dazu hergab, die Tschoglokoffs zu hintergehen, welche allen sehr zuwider waren. Ja, sie tat mehr, sie verschaffte dem Großfürsten sogar Spielzeug, Puppen und andere Kindereien, die er bis zur Narrheit liebte. Tagsüber verbarg man dieselben in oder unter meinem Bett. Nach dem Abendessen legte sich der Großfürst gewöhnlich zuerst nieder, und wenn wir beide im Bett waren, verschloß Madame Kruse die Tür, und der Großfürst spielte bis ein oder zwei Uhr nachts. Wohl oder übel mußte auch ich an diesen herrlichen Vergnügungen teilnehmen, ebenso Madame Kruse. Manchmal lachte ich darüber, aber oft war es mir unangenehm und zuwider. Bisweilen war das ganze Bett von Puppen und Spielsachen, die ziemlich schwer waren, bedeckt und angefüllt. Ich weiß nicht, ob Madame Tschoglokoff diesen nächtlichen Vergnügungen auf die Spur gekommen war, aber eines Abends gegen Mitternacht klopfte sie plötzlich an die Tür unseres Schlafzimmers. Man öffnete nicht sogleich, weil der Großfürst, Madame Kruse und ich nichts Eiligeres zu tun hatten, als das Bett von den Spielsachen zu säubern und sie zu verbergen, wobei uns die Bettdecke, unter die wir alles stopften, gute Dienste leistete. Dann erst öffnete man. Sie beklagte sich bitter, wie lange wir sie hätten warten lassen und erklärte, die Kaiserin würde sehr unwillig sein, wenn sie erführe, daß wir zu so später Stunde noch nicht schliefen. Darauf zog sie sich brummend zurück, ohne eine weitere Entdeckung gemacht zu haben. Nachdem sie sich entfernt, setzte der Großfürst seine Spielerei fort, bis ihm die Lust zum Schlafe kam.

Bei Eintritt des Herbstes bezogen wir wieder die Gemächer, die wir zuerst nach unserer Verheiratung im Winterpalast bewohnt hatten. Hier ließ Ihre Majestät durch Herrn Tschoglokoff aufs strengste verbieten, daß jemand des Großfürsten und meine Zimmer ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Herrn und der Madame Tschoglokoff betrete. Gleichzeitig erging ein Befehl an die Damen und Herren unseres Hofes, sich im Vorzimmer aufzuhalten und die Schwelle unserer Gemächer nicht zu überschreiten; ferner nur laut mit uns und den Domestiken zu sprechen, andernfalls sie verabschiedet würden. Auf diese Weise auf das Alleinsein mit einander beschränkt, murrten wir beide und teilten uns gegenseitig unsere Gedanken über diese Art von Gefangenschaft mit, die keiner von uns verdient hatte. Um sich aber während des Winters ein wenig Unterhaltung zu schaffen, ließ sich der Großfürst acht oder zehn Jagdhunde vom Lande kommen, die er hinter einem Holzverschlag verbarg, welcher den Alkoven meines Schlafzimmers von einer großen hinter unsern Gemächern liegenden Vorhalle trennte. Da nun der Alkoven nur eine dünne Bretterwand hatte, drang der Geruch des Hundestalles herein, und in diesem Gestank schliefen wir. Beklagte ich mich darüber, so erwiderte er, es sei unmöglich, etwas daran zu ändern, und da der Hundestall so geheim wie möglich gehalten werden mußte, ertrug ich geduldig diese Unannehmlichkeit und bewahrte das Geheimnis Seiner kaiserlichen Hoheit.

Weil es während des Karnevals diesmal absolut keine Festlichkeiten bei Hofe gab, fiel es dem Großfürsten ein, in meinem Zimmer Maskenbälle zu veranstalten. Seine Diener, sowie die meinigen und meine Frauen mußten Maskenkostüme anziehen und in meinem Schlafzimmer tanzen, was meist bis tief in die Nacht hinein währte. Was mich betraf, so legte ich mich meist unter dem Vorwande von Kopfweh oder Müdigkeit auf ein Sofa, jedoch immer im Maskenkostüm, und langweilte mich zum Sterben über die Einfältigkeit dieser Maskeraden, die ihm unendliches Vergnügen bereiteten. Uebrigens entfernte man bei Beginn der Fastenzeit noch weitere vier Personen von ihm, unter diesen auch drei Pagen, die er allen übrigen vorzog. Jene häufigen Verabschiedungen waren ihm äußerst unangenehm; trotzdem aber tat er nichts, sie zu verhindern, oder vielmehr, er beschwerte sich auf so linkische Weise, daß er das Uebel nur vermehrte.

Während dieses Winters erfuhren wir, daß Fürst Repnin, krank wie er war, das Truppenkorps kommandieren sollte, das man zur Unterstützung der Kaiserin Maria Theresia nach Böhmen zu schicken beabsichtigte. Dies war ein Zeichen völliger Ungnade für den Fürsten. Er ging und kehrte nicht wieder zurück, sondern starb aus Kummer in Böhmen. Die Fürstin Gagarin, meine Ehrendame, war die erste, die mir, trotz aller Verbote, uns auch nur das geringste von dem, was in der Stadt oder am Hofe vorging, zu melden, diese Nachricht überbrachte. Daraus kann man ersehen, was es mit ähnlichen Verboten auf sich hat: sie werden nie in ihrer ganzen Strenge ausgeführt, weil zu viele Leute ein Interesse haben, sie zu übertreten. Uebrigens bemühte sich unsere ganze Umgebung, selbst die nächsten Verwandten der Tschoglokoffs, die Strenge des politischen Gefängnisses zu mildern, worin man sie und uns einsperren wollte. Sogar der Bruder Madame Tschoglokoffs, Graf Hendrikoff, ließ mir oft die nützlichsten und notwendigsten Ratschläge zugehen, oder andere bedienten sich seiner, sie mir zu übermitteln, wozu er stets mit der Offenheit eines tüchtigen, ehrenhaften Mannes bereit war. Auch moquierte er sich über die Dummheit und Roheit seiner Schwester und seines Schwagers. Alle fühlten sich daher in seiner Gesellschaft wohl, ohne ihm im geringsten zu mißtrauen, weil er nie jemand bloßstellte, noch gegen jemand fehlte. Er war ein rechtschaffener, wenn auch etwas beschränkter Mensch, schlecht erzogen, sehr unwissend, aber fest und ohne Böswilligkeit.

Während dieser Fasten begab ich mich eines Mittags in das Zimmer, wo die Kavaliere und Damen sich aufhielten – die Tschoglokoffs waren noch nicht anwesend. Und während ich bald mit diesem, bald mit jenem sprach, kam ich auch zu der Tür, wo der Kammerherr Ouzin stand. Dieser äußerte sich halblaut über das langweilige Leben, das wir führten, und bemerkte, daß man uns noch obendrein bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht setze. Wenige Tage vorher habe nämlich Ihre Majestät bei Tafel gesagt, daß ich mich mit Schulden überlade, und alles, was ich tue, habe einen Anstrich von Dummheit. Dennoch bilde ich mir ein, ich besäße viel Geist, allein außer mir selbst denke niemand so vorteilhaft von mir, und niemand ließe sich von mir täuschen. Meine unzweifelhafte Dummheit sei allen bekannt, weshalb man weniger auf das achten müsse, was der Großfürst tue, als auf mich. Und traurig fügte er hinzu, er habe Befehl von der Kaiserin, mir das alles wiederzusagen, bat mich jedoch, nicht zu tun, als ob ich das wisse. Ich antwortete ihm, was meine Dummheit angehe, so könne mir die Schuld nicht zugeschrieben werden, da jeder sei, wie ihn Gott geschaffen. Daß ich aber Schulden habe, sei durchaus nicht zu verwundern, weil meine Mutter mir bei einer Einnahme von 30000 Rubel noch 6000 Rubel Schulden, die ich für sie bezahlen mußte, hinterlassen hatte. Außerdem habe mich die Gräfin Rumianzoff zu tausenderlei Ausgaben genötigt, welche sie als unvermeidlich angesehen, und Madame Tschoglokoff allein habe mich in diesem Jahre 17000 Rubel gekostet; denn er kenne ja selbst das Teufelsspiel, welches wir täglich gezwungen waren, mit ihnen zu spielen. Diese Antwort könne er getrost denen geben, die ihn beauftragt; übrigens sei ich sehr böse, zu hören, daß man mich bei Ihrer Majestät in ein schlechtes Licht setze, da ich es doch nie an Respekt, an Gehorsam und Untertänigkeit gegen sie habe fehlen lassen, wovon man sich um so mehr überzeugen könne, je mehr man mich beobachte. Ich versprach ihm, sein Geheimnis, wie er mich gebeten, zu bewahren, und tat es. Ob er meine Aufträge ausgerichtet, weiß ich nicht, aber ich glaube es, obgleich ich nie wieder etwas davon hörte und mich hütete, ein so wenig angenehmes Gespräch zu erneuern.

In der letzten Woche der Fasten bekam ich die Masern. Ich konnte zu Ostern nicht öffentlich erscheinen und nahm daher auch das Abendmahl am Sonnabend in meinem Zimmer. Während dieser Krankheit verließ mich Madame Tschoglokoff, obgleich sie hochschwanger war, kaum einen Augenblick und tat was sie konnte, um mich zu unterhalten. Außer ihr war noch eine kleine kalmückische Dienerin bei mir, die mir sehr angenehm war.

Vierzehntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis


Neujahr 1754. – Ein kaiserliches Witzwort. – Verlobung der Fürstin Gagarin mit Dimitri Matjuschkin. – Madame Tschoglokoffs Leidenschaft für den Fürsten Peter Repnin. – Tschoglokoff erkrankt schwer. – Er schüttet mir sein Herz aus. – Wortwechsel der beiden Ehegatten. – Die Kaiserin kontrolliert mich. – Sie schöpft Verdacht. – Tod Tschoglokoffs. – Aberglaube seiner Frau. – Verabschiedung Madame Tschoglokoffs. – Man will mir die Gräfin Rumtanzoff wieder geben. – Mein Kummer darüber. – Langweilige Fahrt nach Petersburg. – Schreckliche Befürchtungen.

In diesem neuen Hause feierte die Kaiserin den 1. Januar des Jahres 1754. Der Großfürst und ich hatten die Ehre, mit ihr öffentlich unter dem Thronhimmel zu dinieren. Bei Tafel schien Ihre Majestät sehr heiter und gesprächig. Neben dem Throne waren Tische für mehrere hundert Gäste aus den vornehmsten Kreisen der Gesellschaft gedeckt, während des Diners fragte die Kaiserin, wer jene magere, häßliche Person mit dem Kranichhals sei, die sie dort sitzen sehe – sie deutete auf den Platz. Und als man ihr sagte, es sei Fräulein Martha Schasiroff, brach sie in lautes Lachen aus, wendete sich dann zu mir und sagte, dies erinnere sie an ein russisches Sprichwort, welches laute: Ein langer Hals ist nur gut zum Aufhängen. Ich konnte mich nicht enthalten, über die Bosheit des kaiserlichen Witzes zu lächeln, und die Worte Ihrer Majestät fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Von Mund zu Mund wiederholten sie die Hofleute, so daß ich, als wir von der Tafel aufstanden, schon viele davon unterrichtet fand. Ob der Großfürst es gehört hatte, weiß ich nicht, er erwähnte es mit keiner Silbe, und ich hütete mich natürlich, mit ihm darüber zu sprechen.

Kein Jahr war so reich an Feuersbrünsten, als das Jahr 1753–1754. Mehr als einmal sah ich von meinen Fenstern im Sommerpalast aus zwei, drei, vier, ja fünf Brände zugleich an verschiedenen Punkten Moskaus auflodern.

Während des Karnevals arrangierte die Kaiserin mehrere Bälle und Maskenfeste in ihren Gemächern. Auf einem derselben bemerkte ich, daß sie eine lange Unterredung mit der Generalin Matjuschkin hatte, die nicht wollte, daß ihr Sohn sich mit der Fürstin Gagarin, meiner Ehrendame, vermählte. Allein die Kaiserin überredete die Mutter, und die Fürstin Gagarin, die achtunddreißig gutgezählte Jahre hinter sich hatte, erhielt die Erlaubnis, Dimitri Matjuschkin zu heiraten. Sie sowohl als ich selbst waren sehr froh darüber; es war eine Liebesheirat und Matjuschkin war damals sehr schön.

Madame Tschoglokoff zog nicht mit uns in die Sommerwohnung, sondern blieb unter verschiedenen Vorwänden mit ihren Kindern in ihrem nahe dem Schlosse gelegenen Hause. In Wahrheit hatte sie, so einsichtsvoll und voller Liebe zu ihrem Gemahle sie sonst gewesen war, eine große Leidenschaft für den Fürsten Peter Repnin und eine sichtliche Abneigung gegen ihren Gatten gefaßt. Sie glaubte indes ohne eine Vertraute nicht glücklich zu sein, und ich schien ihr wohl dazu am zuverlässigsten. Sie zeigte mir alle Briefe, die sie von ihrem Geliebten empfing, während ich ihr Geheimnis mit skrupulöser Treue und Gewissenhaftigkeit bewahrte. Trotzdem sie den Fürsten nur ganz im geheimen sah, stieg dem Gemahl der Dame Verdacht auf. Daran war ein Offizier der Garde zu Pferd, namens Kaminin, schuld, der die Verkörperung der Eifersucht und des Verdachtes selbst war; es lag so in seinem Charakter. Tschoglokoff kannte ihn schon lange. Er wandte sich an Sergius Soltikoff, der ihn zu beruhigen suchte, denn ich hütete mich, Sergius etwas davon mitzuteilen, aus Furcht, er könne eine unfreiwillige Indiskretion begehen. Endlich klopfte Tschoglokoff auch bei mir an, aber ich spielte die Einfältige, die Ueberraschte und – schwieg.

Im Februar machten sich wieder Anzeichen von Schwangerschaft bei mir bemerkbar.

Gerade am Ostertage, während der Messe, erkrankte Tschoglokoff an einer trockenen Kolik. Man gab ihm sogleich kräftige Arzneien, allein sein Leiden verschlimmerte sich zusehends. In der Osterwoche machte der Großfürst mit unsern Kavalieren einen Spazierritt, an dem auch Sergius Soltikoff teilnahm. Ich blieb zu Hause, weil man mich in meinem Zustand nicht ausgehen lassen wollte, denn man befürchtete eine dritte Fehlgeburt. Ich befand mich daher ganz allein in meinem Zimmer, als Tschoglokoff mich zu sich bitten ließ. Ich ging und fand ihn im Bett. Er beklagte sich bitter über seine Frau, erzählte mir, sie empfinge den Fürsten Repnin bei sich, dieser komme zu Fuß zu ihr, ja, während des Karnevals habe er sie eines Tages bei Gelegenheit eines Hofballes sogar im Harlekinskostüm besucht. Kaminin habe ihn ausspähen lassen – und tausend andere Einzelheiten, die ich inzwischen vergessen habe. Gerade als er in der größten Aufregung war, trat seine Frau ein. In meinem Beisein überhäufte er sie nun mit Vorwürfen und sagte, sie verlasse ihn sogar während er todkrank darniederliege. Da beide argwöhnische, beschränkte Menschen waren, war ich fast außer mir vor Angst, seine Frau könne glauben, ich habe ihre Zusammenkünfte, die er in allen Einzelheiten schilderte, verraten. Sie erwiderte ihm indes, es sei durchaus nicht befremdend, wenn sie ihn für sein früheres Benehmen bestrafe, weder er, noch irgend jemand könne ihr vorwerfen, daß sie bis dahin ihre Pflichten als Ehefrau verletzt habe, ihm hingegen stehe es schlecht an, sich zu beklagen. Dabei wandten sich beide fortwährend an mich, als Richterin und Entscheiderin, da ich die einzige Person war, die sich außer ihnen im Zimmer befand. Aus Furcht, einen von ihnen oder gar beide zu beleidigen, oder mir eine Blöße zu geben, schwieg ich. Mein Gesicht brannte vor Aufregung. Da, mitten im heftigsten Streit, meldete mir Madame Wladislawa, daß die Kaiserin in meinen Gemächern sei. Sofort eilte ich hinaus. Madame Tschoglokoff folgte mir, blieb aber, wie ich nachher erfuhr, in einem Korridor stehen, aus welchem eine Treppe in den Garten führte, und setzte sich auf diese Treppe. Außer Atem kam ich in mein Zimmer, wo sich die Kaiserin wirklich noch befand. Als sie bemerkte, daß ich erhitzt und atemlos hereinstürzte, fragte sie, wo ich gewesen sei. Ich erwiderte, ich komme soeben von Tschoglokoff, dem es sehr schlecht gehe; da ich indes gehört, daß sie mir die Gnade erwiesen, mich zu besuchen, sei ich gelaufen, um so schnell als möglich zurückzukommen. Sie fragte mich nicht weiter aus, allein es schien mir, als wenn sie über meine Worte nachsinne und als habe sie etwas Auffallendes an ihnen gefunden. Dennoch fuhr sie fort, mit mir zu sprechen. Sie fragte mich, wo der Großfürst wäre, weil sie nämlich genau wußte, daß er ausgegangen war, denn weder er noch ich wagten es, während ihrer Regierung die Stadt oder nur das Haus ohne ihre Erlaubnis zu verlassen. Darauf wandte sie sich abwechselnd an mich und an Madame Wladislawa, sprach von gleichgültigen Dingen und entfernte sich nach einer kleinen halben Stunde. Noch im Hinausgehen sagte sie mir, daß sie mich wegen meines Zustandes davon enthebe, am 21. und 25. April öffentlich zu erscheinen. Es überraschte mich, daß Madame Tschoglokoff mir nicht gefolgt war, und ich fragte daher, als die Kaiserin fort war, Madame Wladislawa, was aus ihr geworden wäre. Diese teilte mir mit, daß sie sich auf die Treppe gesetzt und geweint habe. Nach der Rückkehr des Großfürsten erzählte ich Sergius Soltikoff, wie es mir während seines Spazierrittes ergangen sei, wie Tschoglokoff mich hätte rufen lassen, dann von meiner Aufregung während der Unterhaltung zwischen ihm und seiner Frau und von dem Besuche der Kaiserin. – »Wenn sich die Sache so verhält,« erwiderte er, »so glaube ich, daß die Kaiserin nur gekommen ist, um zu sehen, womit Sie sich während der Abwesenheit Ihres Gemahls beschäftigen. Damit sie aber sieht, daß Sie ganz allein in Ihren Gemächern und bei Tschoglokoff waren, werde ich mit allen meinen Kameraden, über und über beschmutzt, wie wir sind, zu Iwan Schuwaloff gehen.« Und in der Tat begab er sich, nachdem der Großfürst sich zurückgezogen hatte, mit allen, die an dem Spazierritt teilgenommen, zu Iwan Schuwaloff, der im kaiserlichen Palais wohnte. Als sie zu ihm kamen, erkundigte er sich nach den Details ihres Spazierritts, und Sergius Soltikoff sagte mir nachher, aus seinen Fragen sei hervorgegangen, daß er sich nicht getäuscht.

Seit diesem Tage nahm die Krankheit Tschoglokoffs eine mehr und mehr bedenkliche Wendung. Am 21. April, meinem Geburtstag, erklärten ihn die Aerzte für verloren. Man setzte sofort die Kaiserin davon in Kenntnis, und sie befahl, wie sie in ähnlichen Fällen zu tun pflegte, den Kranken in sein eigenes Haus zu schaffen, damit er nicht im Schlosse stürbe, weil sie sich vor Toten fürchtete. Als ich von dem Zustande, in welchem Tschoglokoff sich befand, hörte, bedauerte ich ihn sehr, denn gerade zu jener Zeit war es uns endlich nach vieler Mühe und Arbeit gelungen, ihn nicht nur weniger schlecht und böswillig zu machen, sondern auch mit ihm umzugehen und selbst etwas bei ihm auszurichten, weil man seinen Charakter schließlich kennen gelernt hatte, was seine Frau betraf, so liebte sie mich damals aufrichtig; aus einem strengen, bösen Argus war eine treue und ergebene Freundin geworden. Tschoglokoff lebte in seinem Hause noch bis zum 25. April, dem Krönungstag der Kaiserin, an welchem er nachmittags verschied. Da ich fast jeden Augenblick nach ihm fragen ließ, teilte man mir die Nachricht von seinem Tode sofort mit, worüber ich wahrhaft traurig war und lange weinte, während der letzten Lebenstage ihres Gatten war auch Madame Tschoglokoff ans Bett gefesselt gewesen, und so lag er in dem einen, sie in dem andern Flügel des Hauses krank darnieder. Sergius Soltikoff und Leon Narischkin befanden sich gerade in dem Zimmer Madame Tschoglokoffs, als ihr Gemahl starb. Da die Fenster offen standen, flog ein Vogel herein und setzte sich auf den Rand der Türfassung dem Bette gegenüber, worin Madame Tschoglokoff lag. Als sie den Vogel bemerkte, rief sie: »Ich glaube, mein Mann hat soeben seinen Geist aufgegeben; lassen Sie fragen, was daran Wahres ist!« Und in der Tat brachte man ihr die Botschaft, daß er soeben gestorben sei. Hierauf bemerkte sie, dieser Vogel sei die Seele ihres Gatten gewesen, und als man ihr beweisen wollte, daß es ein ganz gewöhnlicher Vogel sei, der sich nur verirrt hätte, war er nicht mehr da. Man versicherte ihr, er sei fortgeflogen, aber da niemand ihn fliegen gesehen hatte, blieb sie überzeugt, es sei die Seele ihres Gemahls gewesen, die sie aufgesucht habe.

Nach der Bestattung Tschoglokoffs wollte seine Frau mich besuchen. Als aber die Kaiserin sie über die Jausabrücke kommen sah, schickte sie ihr einen Boten entgegen, der ihr meldete, daß sie ihres Dienstes bei mir enthoben sei und in ihre Wohnung zurückkehren möge. Es mißfiel Ihrer Majestät, daß sie als Witwe so bald ausging. Denselben Tag ernannte sie Alexander Iwanowitsch Schuwaloff zu dem Posten des verstorbenen Tschoglokoff beim Großfürsten. Dieser Schuwaloff war, allerdings nicht an sich selbst, sondern durch die Stellung, welche er einnahm, der Schrecken des Hofes, der Stadt und des ganzen Reiches. Er war Präsident des Tribunals der Staatsinquisition, welche damals die geheime Polizei genannt wurde. Seine amtliche Tätigkeit hatte ihm, wie man sagte, eine Art konvulsivischer Zuckungen zugezogen, die, so oft er Freude, Zorn, Furcht oder Unruhe empfand, die ganze rechte Seite seines Gesichtes vom Auge bis zum Kinn verzerrten. Es war daher sehr zu verwundern, wie man diesen Mann mit einer so abschreckenden Fratze hatte wählen können, fortwährend in der Gesellschaft einer jungen Frau zu sein, die guter Hoffnung war. Hätte ich ein mit dieser unglücklichen Gewohnheit behaftetes Kind zur Welt gebracht, so würde die Kaiserin sicherlich sehr ärgerlich gewesen sein. Und doch hätte nichts leichter geschehen können als das, da ich ihn fortwährend sah, aber niemals gern, vielmehr meist mit einem Gefühl unwillkürlicher Abneigung wegen seiner Persönlichkeit, seiner Verwandten und seines Amtes, von welch letzterem man sehr bezweifelte, ob der gesellschaftliche Zustand dadurch gebessert werde. Allein dies sollte nur der Anfang der schönen Zeit sein, die man uns, besonders aber mir, bereitete.

Tags darauf meldete man mir, daß mir die Kaiserin wieder die Gräfin Rumianzoff beigeben werde. Da ich wußte, daß sie die verschworene Feindin Sergius Soltikoffs war, daß sie ferner die Fürstin Gagarin ebenso wenig liebte, als ihn, und einst meiner Mutter bei der Kaiserin großes Unrecht getan hatte, verlor ich für einen Augenblick all meinen Mut, als ich dies hörte. Ich weinte bitterlich und sagte dem Grafen Alexander Schuwaloff, wenn man mir die Gräfin Rumianzoff gebe, könnte ich darin nur ein großes Unglück für mich erblicken, denn diese Frau habe früher meiner Mutter durch Anschwärzungen bei der Kaiserin geschadet und werde es nun genau so mit mir machen. Als sie bei uns gewesen sei, habe man sie gefürchtet wie die Pest, und wenn er kein Mittel fände, diese Verfügung abzuwenden, würden viele Personen dadurch ins Unglück gestürzt werden. Er versprach, sich darum zu bemühen und suchte mich zu beruhigen. Da er besonders meinen damaligen Zustand befürchtete, begab er sich auch sofort zur Kaiserin, und als er zurückkam, drückte er die Hoffnung aus, daß sie mir die Gräfin Rumianzoff wahrscheinlich nicht beigeben werde, wirklich hörte ich nichts mehr davon, und man beschäftigte sich ausschließlich mit der Abreise nach Petersburg. Es wurde bestimmt, daß wir neunundzwanzig Tage unterwegs sein sollten, also jeden Tag nicht mehr, als eine Poststation zurücklegen durften. Ich kam bald um vor Angst, man werde Sergius Soltikoff und Leon Narischkin in Moskau zurücklassen, allein man hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, die Gnade, sie mit auf die Liste unseres Gefolges zu setzen.

Am 10. oder 11. verließen wir endlich den Moskauer Palast. Ich fuhr in einem Wagen mit der Gemahlin des Grafen Alexander Schuwaloff, der langweiligsten Frau, die man sich denken kann, ferner mit Madame Wladislawa und der Hebamme, die man sich nicht ersparen zu können glaubte, weil ich guter Hoffnung war. Ich langweilte mich zum Sterben, und weinte beständig. Endlich paßte die Fürstin Gagarin einen günstigen Augenblick ab, wo sie sich mir nähern konnte, um mir zu sagen, daß sie sich bemühe, Madame Wladislawa günstig für mich zu stimmen, weil sie und alle andern fürchteten, die Hypochondrie, in welche mein Zustand mich versetzte, könnte mir und dem Kinde unter meinem Herzen schaden. Was Sergius Soltikoff angehe, so wage er sich mir weder von nah noch von fern zu nähern wegen der Aufsicht und fortwährenden Gegenwart des Schuwaloffschen Ehepaares. Sie persönlich liebte die Gräfin Schuwaloff nicht, weil deren mit Golowkin, einem Vetter der Fürstin Gagarin, vermählte Tochter sich gegen die Eltern ihres Gemahls sehr wenig zuvorkommend benahm. Es gelang ihr denn auch wirklich, bei Madame Wladislawa Gehör zu finden, die sich endlich hinsichtlich meines Zustandes und des drückenden Zwangs, aus dem eben jene Melancholie entsprang, deren ich nicht mehr Herr werden konnte, bewegen ließ. Es handelte sich übrigens um ein Geringes; nämlich um nichts weiter, als um eine kurze Unterhaltung mit Sergius Soltikoff. Endlich wurde mir dieselbe gewährt.

So kamen wir nach neunundzwanzig langweiligen Reisetagen in Petersburg im Sommerpalast an, wo der Großfürst sofort wieder seine Konzerte einführte. Dies gewährte mir indes bisweilen die Möglichkeit eines Zusammenseins mit Soltikoff. Allein meine Melancholie hatte einen so hohen Grad erreicht, daß ich bei der geringsten Veranlassung in Tränen ausbrach. Tausend Befürchtungen erfüllten meine Seele; kurz, ich konnte mich nicht von dem Gedanken befreien, daß alles auf die Entfernung Sergius Soltikoffs hinziele.

Nachtrag aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff.

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Mit dem zweiundzwanzigsten Kapitel bricht Katharina, dieser weibliche Kaiser, die Geschichte ihrer Jugendjahre kurz ab. Wollte sie über den weitaus interessanteren Teil ihres Lebens als Herrscherin nichts mehr sagen, oder konnte sie es nicht, oder was waren es sonst für Gründe, die sie beeinflußten, der Welt ein so wichtiges Dokument wie ihre Memoiren unvollendet zu hinterlassen? – Wir wissen es nicht und müssen uns daher mit andern authentischen Quellen ihrer Zeitgenossen begnügen, die uns den Entwicklungsgang dieser geistvollen Beherrscherin aller Reußen nicht minder interessant schildern. In der russischen Geschichte, wo ein außerordentlicher Mangel an stark ausgeprägten Individualitäten vorherrschte, muß uns besonders eine Frauengestalt neben Katharina auffallen: die Fürstin Daschkoff, geborene Gräfin Woronzow. In dieser Frau kam das russische Weib, aufgeweckt durch die stark revolutionären Bewegungen, die damals das Land durchwühlten, zum ersten Male aus seiner Bedrückung hervor. Kühn stellte sie sich an die Seite der Kaiserin, an deren Thronbesteigung sie einen bedeutenden Anteil hatte. Mit der größten Aufmerksamkeit und einer scharfen Kritik beobachtete sie alle Ereignisse, die vom Tode Elisabeths bis zum Jahre 1805 den russischen Thron und sein Volk erschütterten. Ihre Memoiren sind für die russische Geschichte von größtem Werte und so interessant geschrieben, daß wir nicht unterlassen können, um die Aufzeichnungen der Kaiserin zu vollenden, das Wichtigste über deren Thronbesteigung, den Tod Elisabeths und Peters III. diesen Memoiren zu entnehmen. Lassen wir also die Fürstin sprechen.

Einige Briefe des Großfürsten Peter.

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Anmerkung: Diese Briefe, die 1858 in Moskau aufgefunden wurden, sind in sehr mangelhafter französischer Sprache von Peter geschrieben. Leider ist es unmöglich, die Orthographie im Deutschen wiederzugeben, aber Stil und Interpunktion sind beibehalten worden.


I.

An die Großfürstin Katharina.


Madame.

Ich bitte Sie sich diese Nacht nicht zu inkomodieren mit mir zu schlafen, denn die Zeit ist vorbei wo Sie mich betrügen; das Bett ist nach einer Trennung von 14 tagen von Ihnen, heute Nachmittag zu schmal gewesen.

Ihr

sehr unglücklicher Mann, den Sie niemals mit diesem Namen zu benennen geruhen.

Peter.

Den ....... X. 1746.



II.

An Iwan Schuwaloff.


Mein Herr,

ich habe Sie durch Lef Alexandrowitsch bitten lassen, daß ich mich nach Oranienbaum begeben kann, aber wie ich sehe, ist meine Bitte ohne Erfolg geblieben. Ich bin im höchsten Grade krank und niedergeschlagen und bitte Sie nun um des Himmels willen bei Ihrer Majestät ein Wort einzulegen, damit ich bald nach Oranienbaum abreisen kann, wenn ich nicht bald aus diesem schönen Hofleben herauskomme um ein wenig freier zu sein und die Landluft zu genießen, komme ich sicher vor Langerweile und Mißvergnügen um, Sie schenken mir das Leben wieder wenn Sie dies tun machen Sie sich den verbindlich, der sich sein ganzes Leben nennen wird

Ihren wohlgeneigten

Peter.



III.

An denselben.


Mein Herr,

da ich gewiß bin daß Sie nichts mehr zu tun suchen, als mir Freude zu machen, bin ich überzeugt Sie werden es auch in der Affaire Alexander Iwanowitsch Narischkin tun um Ihre Majestät zu bitten mir die Gnade zu erweisen ihn zu meinen Kammerherrn zu Ostern zu machen, es ist ein vollkommener Ehrenmann, den ich nicht empfehlen würde wenn ich ihn nicht als einen solchen kennte, beschleunigen Sie die Geschichte ich werde Ihnen sehr dankbar dafür sein und bin im übrigen

Ihr wohlgeneigter

Peter.



IV.

An denselben.


Mein lieber Freund,

Sie haben mir wieder einmal Ihre Freundschaft dadurch bewiesen, daß Sie Ihre Kaiserliche Majestät überredeten, mir 10 000 Dukaten zu geben damit ich meine Spielschulden bezahlen kann, ich bitte Sie Ihrer Majestät in meinem Namen für die neue Gnade die sie mir angedeihen ließ, zu danken und sie zu versichern, daß ich mein ganzes Leben versuchen werde mich immer mehr aller ihrer Gnaden mit denen sie mich überhäuft würdig zu zeigen. Mein Herr, empfangen Sie den aufrichtigsten Dank eines Freundes, der in der Lage sein möchte Ihnen zu beweisen wie sehr er wünschte Ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Im übrigen verbleibe ich, indem ich Sie bitte wie immer zu meinen Freunden zu gehören,

Ihr wohlgeneigter Freund

Peter.



V.

An denselben.


Mein Herr,

ich habe sie so oft gebeten Ihre Kaiserliche Majestät in meinem Namen zu beschwören, mich auf zwei Jahre ins Ausland reisen zu lassen, ich wiederhole es Ihnen noch einmal, indem ich Sie inständig bitte ein Wort für mich einzulegen, damit man es mir erlaubt, meine Gesundheit wird von Tag zu Tag schwächer, leisten Sie mir um Gottes willen diesen einzigen Freundschaftsdienst und lassen Sie mich nicht vor Kummer sterben, denn mein Gesundheitszustand erlaubt es mir nicht mehr meinen Kummer zu tragen und meine Melancholie wird täglich schlimmer, wenn Sie glauben daß es nötig ist es Ihrer Majestät zu beweisen, so machen Sie mir damit das größte Vergnügen von der Welt und um so mehr bitte ich sie darum. Im übrigen bin ich

Ihr wohlgeneigter

Peter.



VI.

An denselben.


Mein Herr,

da ich weiß, das Sie zu meinen Freunden gehören bitte ich sie mir das Vergnügen zu bereiten dem Vater des Ueberbringers dieses Briefes, dem Leutnant Gudowitz von meinem Regiment zu helfen, sein Glück hängt davon ab und er wird Sie selbst mündlich von der Sache unterrichten, alles was ich davon weiß ist, daß es Intrigen des Herrn Teploff sind, der damit nicht die erste angesponnen hat, der Hetmann läßt sich von diesen Menschen an der Nase herum führen und ich kann Ihnen nicht mehr sagen als daß es nicht die erste noch letzte Affaire ist, um die ich den Hetmann gebeten habe, der sich aber geweigert hat; ich hoffe daß Sie diese Geschichte bewerkstelligen, Sie tun mir damit einen großen Gefallen, weil ich diesen Offizier sehr liebe, nochmals bitte ich Sie meine Interessen nicht zu vergessen und ich werde immer Ihnen zu beweisen suchen, daß ich zu Ihren Freunden gehöre.

Ihr wohlgeneigter

Peter.



VII.

An denselben.


Mein Herr,

Ich war überaus erstaunt daß Ihre Majestät sich über den Maskenball und die Oper geärgert hat, die ich veranstaltete ich habe um so mehr geglaubt es tun zu können als es Herr Locatelli in Petersburg jede Woche zwei Mal ebenfalls tut auch erinnere ich mich sehr genau daß, als wir am Hofe Trauer wegen meiner Großmutter hatten, man bei uns einen Ball veranstaltete und drei Tage nach Beginn der Trauer sind wir im kleinen Theater im Lustspiel gewesen, ich bitte Sie daher mein Herr die Güte zu haben Ihre Majestät zu bitten mir zu erlauben mich wie es mir beliebt zu zerstreuen und ohne daß ich im Sommer daran verhindert werde Sie wissen ja daß man sich schon genügend im Winter langweilt außerdem habe ich schon so viele Ausgaben für die neue Oper gehabt und ich glaube nicht daß Ihre Majestät es wünscht wenn ich unnütze Ausgaben mache im übrigen bin ich

Ihr wohlgeneigter

Peter.



VIII.

An Baron von Stakelberg in Oranienbaum.


Mein lieber Freund und Bruder,

Ich bitte Sie heute ja nicht den Auftrag zu vergessen den ich Ihnen für die in Frage kommende Dame gab, und sie zu versichern, daß ich bereit bin ihr meine echte Liebe zu beweisen und was ich in der Kirche getan habe, wenn ich nicht selbst mit ihr gesprochen habe so geschah es weil ich es nicht zu oft vor den Leuten tun will und versichern Sie sie ebenfalls, daß, wenn sie nur ein einziges Mal zu mir kommen würde, ich ihr beweisen werde, wie sehr ich Sie liebe, wenn Sie mein teurer und aufrichtiger Freund ihr diesen Brief zeigen wollen. Indem ich glaube daß ich nicht besser bedient werde als von einem Freunde wie Sie, bin ich

Ihr treuer und Ihnen verbundener Freund

Peter.

Katharina die Grosse

Erinnerungen der Kaiserin Katharina die Große

Von ihr selbst verfasst

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1725-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.
Motto

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebtes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.