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Über dieses Buch

Der einzige Roman von Emily Brontë gilt als geniales Stück Weltliteratur. Eine leidenschaftliche Liebes- und Rachegeschichte, die in der rauen Landschaft des englischen Yorkshire spielt – eine Gegend so stürmisch wie die Gefühle der beiden Hauptfiguren.

Ein Sturm tobt über das Hochmoor von Yorkshire, der neue Pächter Mr. Lockwood muss die Nacht auf Wuthering Heights verbringen, dem geheimnisumwitterten Anwesen seines Gutsherrn Heathcliff. Hier erfährt er die Geschichte seines düsteren Gastgebers: Als Findelkind von der Familie Earnshaw aufgenommen, fühlt sich Heathcliff auf das Innigste mit seiner Stiefschwester Catherine verbunden, doch die junge Catherine heiratet den angesehenen Nachbarn Edgar Linton. Tief verletzt schwört Heathcliff Rache – Rache, die sich über viele Jahre und Generationen hinwegziehen soll …

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Endnoten

Herde besessener Schweine: Lockwood nimmt Bezug auf die in der Bibel überlieferte Heilung des Besessenen von Gerasa: »Da fuhren die ausfahrenden unreinen Geister in die Schweine, worauf die ganze Herde, an zweitausend Stück, den Abhang gegen den See hinunterstürmte und im See ertrank« (Mk. 5,13).

erst um fünf zu speisen: Die warme Hauptmahlzeit, das Dinner, wurde um 1800 in der »feinen Gesellschaft« üblicherweise zwischen 16 und 18 Uhr eingenommen. Das Unverständnis, das die einheimische Haushälterin Lockwoods Wunsch, am späten Nachmittag zu speisen entgegenbringt, zeugt davon, dass die Gegend, in die er sich geflüchtet hat – die weite, einsame Moorlandschaft West‑Yorkshires –, tatsächlich vom »Treiben der Gesellschaft« und von städtischen Gebräuchen weitgehend unberührt ist.

Was wolln Se: Joseph spricht im Original einen breiten, manchmal ans Unverständliche grenzenden nordenglischen Dialekt. Es liegt in der Natur von Dialekten, dass sie – aufgrund ihrer regionalen Beschränktheit – nicht übersetzbar sind, weil jeder Dialekt andere kulturelle und soziale Werte und Erfahrungen impliziert. Da aber sowohl für die Charakterisierung Josephs wie auch als weiterer Hinweis auf die Weltabgeschiedenheit von Wuthering Heights Josephs »grobe« Sprache von grundlegender Bedeutung ist, halten wir es trotzdem für notwendig und gerechtfertigt, dem Knecht auch in der Übersetzung eine – gewiss willkürliche – mundartlich gefärbte Ausdrucksweise zu geben.

König Lear: Vgl. William Shakespeare, König Lear II,4:

»Ich will mir nehmen solche Rach an euch,
Dass alle Welt – will solche Dinge tun –
Was, weiß ich selbst noch nicht; doch solln sie werden
Das Graun der Welt.« (Übers. von A. W. Schlegel)

Siebenzigmal siebenmal: Vgl. Mt. 18,21: »Petrus fragt Jesus: ›Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal?‹ Jesus sprach zu ihm: ›Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmal!‹«

Ort … ihn nicht mehr erkennen kann: Vgl. Hiob 7,9 f.: »Eine Wolke vergeht und fährt dahin: So kommt nicht wieder herauf, wer zu den Toten hinunterfährt; er kommt nicht zurück und seine Stätte kennt ihn nicht mehr.«

jeder kämpfte gegen jeden: Vgl. Gen. 16,12: »Er wird ein wilder Mensch sein: seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, …«

Oh, meine liebe Mary, sehen Sie doch: Jeder Übersetzer aus dem Englischen sieht sich vor die Frage gestellt, wie er »you« wiedergeben soll, da es sowohl die Höflichkeitsform »Sie« als auch das verwandtschaftlich‑freundschaftliche »du« bzw. »ihr« beinhaltet. Da ihm die Sprache die Lösung nicht vorgibt, ist er gezwungen, eigene Entscheidungen zu treffen, die von der Zeit der Handlung des Romans sowie vom Kontext, den sozialen Beziehungen und Standorten der Personen, abgeleitet sein müssen. Doch auch diese Forderung kann nur einen allgemeinen Rahmen vorgeben, in dem manche Entscheidungen angreifbar bleiben und bleiben müssen. Grundlage für unsere jeweilige Entscheidung für »Sie« oder »du« war 1. die Notwendigkeit, der mit heute nicht mehr zu vergleichenden Förmlichkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jh.s (wenn sich etwa Eheleute wie die alten Lintons mit »Sie« ansprechen) Rechnung zu tragen – ohne dabei jedoch das Befremden des heutigen deutschsprachigen Lesers zu wecken und damit die Lesbarkeit zu beeinträchtigen; und 2. die Möglichkeit, durch die Differenzierung in »Sie« und »du« die jeweiligen Beziehungen der Personen zueinander deutlicher herauszustellen: So ist z. B. das Verhältnis von Catherine, Hindley und Heathcliff zu Nelly, die praktisch mit ihnen aufgewachsen ist, ein anderes als von Isabella und Edgar Linton zu der Haushälterin Ellen; ebenso sind Beziehungen zu berücksichtigen, die eine Entwicklung durchmachen, in deren Verlauf das »Sie« vom »du« abgelöst wird.

Die Kinder … erwacht: Es handelt sich um die Anfangsverse der schottischen Ballade »The Ghaist’s Warning«:

»It was far in the night, and the bairnies grat,
The mither beneath the mools heard that.«

Schicksal des Milo: Milon von Crotona war ein wegen seiner Stärke berühmter griechischer Athlet. Er lebte Ende des 6. Jh.s v. Chr. und kam ums Leben, als er einen Baum, den Holzfäller mit einem Keil teilweise gespalten hatten, auseinanderreißen wollte. Dabei sprang der Keil heraus, seine Hand wurde zwischen den beiden Baumhälften eingeklemmt. Er konnte sich nicht mehr befreien und wurde schließlich das Opfer von Wölfen.

Noah und Lot: Vgl. Gen. 5,299,28: Rettung Noahs und seiner Familie; und Gen. 19,129: Gericht über Sodom und die Rettung Lots.

Jona: Als Jona, ein engstirniger und widerspenstiger Prophet des Alten Testaments, sich Gottes Auftrag, der Stadt Ninive ein Strafgericht anzudrohen, entzog, geriet das Schiff, auf dem er flüchtete, in Seenot. Die Seeleute waren der Meinung, er hätte den Zorn Gottes auf ihr Schiff gelenkt und warfen ihn über Bord. Der Name steht für jemanden, der an einem Unheil, das über andere kommt, schuld ist.

Cathy: Es handelt sich jedoch um Isabella.

wie durch Feuer: Vgl. 1. Kor. 3,1315: »Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch.«

Geistlicher … weltliches Gericht: Die Haushälterin spielt auf eine Bestimmung (»benefit of clergy«) an, nach der Geistliche in Kriminalfällen von der weltlichen Gerichtsbarkeit befreit waren.

Methodisten oder Baptisten: Beide Glaubensgemeinschaften sind aus der anglikanischen Staatskirche hervorgegangen und haben im Verlauf des 18. und des 19. Jh.s breite Bevölkerungskreise in England angesprochen. Dies gilt in besonderem Maße für den Methodismus, der vor allem ab Ende des 18. Jh.s unter den Werktätigen eine ständig wachsende Zahl von Anhängern fand. Doch auch die Baptisten gewannen nach der Gründung der »New Connexion« 1770 in den unteren Bevölkerungsschichten mehr Einfluss. In Yorkshire waren beide Sekten verbreitet. Wichtiger, als festzustellen, ob Joseph sich nun den Baptisten oder den Methodisten zuwandte (wobei manches für das Letztere spricht), scheint der in dieser Stelle enthaltene Hinweis auf den wachsenden Einfluss der Freikirchen auf Kosten der Staatskirche.

Chevy Chase: »Chevy Chase«, die schriftlich überlieferte Version der vermutlich bereits im 15. Jh. entstandenen Ballade »The Hunting of the Cheviots« gehört zu den ältesten und bekanntesten englischen Balladen. Sie behandelt den Konflikt zwischen der englischen Familie der Percys und dem schottischen Clan Douglas, der am 19. August 1388 in einer Schlacht zwischen Engländern und Schotten seinen Höhepunkt fand.

trockene Bettwäsche: Die Feuchtigkeit in den Steinhäusern Nordenglands war so groß und hielt sich so hartnäckig, dass das Bettzeug klamm wurde und vor Gebrauch getrocknet werden musste.

Kapitel 1

1801. – Gerade bin ich von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekommen – diesem unzugänglichen Nachbarn, der mich noch beschäftigen wird. Die Gegend hier ist einfach herrlich! Ich glaube, in ganz England hätte ich keine andere Stelle finden können, die vom Lärm der Gesellschaft so gänzlich unberührt ist. Ein Paradies für einen Menschenfeind! Und Mr. Heathcliff und ich, wir sind genau die Richtigen, um uns diese Einöde zu teilen. Ein famoser Kerl! Er ahnte ja nicht, wie sympathisch er mir wurde, als ich bemerkte, wie sich seine schwarzen Augen bei meinem Näherreiten so argwöhnisch unter ihre Brauen zurückzogen und seine Hände sich in entschlossenem Misstrauen noch tiefer in seine Weste vergruben, während ich meinen Namen nannte.

»Mr. Heathcliff?«, fragte ich.

Ein Kopfnicken war die Antwort.

»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter, Sir. Ich habe mir gestattet, Sie nach meiner Ankunft so schnell wie möglich aufzusuchen, um meine Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, dass ich Ihnen mit meiner Beharrlichkeit, Thrushcross Grange zu pachten, nicht lästig gefallen bin. Gestern hörte ich, Sie hätten daran gedacht …«

»Thrushcross Grange gehört mir«, fiel er mir aufbrausend ins Wort, »und ich würde es nicht zulassen, dass man mich belästigt, wenn ich es verhindern könnte. Kommen Sie herein!«

Dieses »Kommen Sie herein!« wurde durch die zusammengepressten Zähne gestoßen, und gemeint war eigentlich ›Scher dich zum Teufel!‹; auch das Tor, über das er sich lehnte, machte keine einladende Geste zu den Worten. Es waren wohl diese Umstände, die mich bewogen, seine Einladung anzunehmen, denn ein Mann, der in noch übertriebenerem Maße zurückhaltend ist als ich selbst, weckte mein Interesse.

Als er sah, dass mein Pferd mit der Brust heftig gegen das Gatter stieß, streckte er seine Hand aus, um die Kette zu lösen, und ging mir dann mürrisch voraus den Weg hinauf. Sobald wir den Hof betraten, rief er: »Joseph, nimm Mr. Lockwoods Pferd! Und hol Wein herauf!«

›Dies ist wohl die gesamte Dienerschaft‹, war die Überlegung, die sich mir angesichts dieser kombinierten Anordnung aufdrängte. ›Kein Wunder, dass das Gras zwischen den Steinplatten herauswächst und nur das Vieh die Hecken stutzt.‹

Joseph war ein älterer, nein, ein alter Mann, vielleicht sogar sehr alt, aber gesund und kräftig. »Der Herr steh uns bei!«, murmelte er mit einem Unterton mürrischen Unbehagens vor sich hin, als er mir mein Pferd abnahm. Dabei zog er ein saures Gesicht, so dass ich wohlmeinend annahm, er bedürfe zum Verdauen seines Mittagessens göttlichen Beistands und sein frommer Stoßseufzer habe nichts mit meinem unerwarteten Auftauchen zu tun.

»Wuthering Heights«, Sturmhöhe, heißt Mr. Heathcliffs Anwesen. »Wuthering« ist ein Mundartwort, welches das Toben der Winde, dem der Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist, treffend zum Ausdruck bringt. Und gewiss haben die Leute dort oben immer eine reine, frische Brise. Mit welcher Gewalt der Nordwind über die Hügel bläst, kann man sich vorstellen, wenn man die wenigen extrem schiefen, verkümmerten Kiefern auf der anderen Seite des Hauses oder die Gruppe von dürren Dornensträuchern sieht, die alle ihre Arme in eine Richtung strecken, als erflehten sie von der Sonne ein Almosen. Zum Glück hatte der Baumeister genügend Voraussicht bewiesen und das Haus robust gebaut: die schmalen Fenster sind tief in die Mauern eingelassen, und die Ecken werden von mächtigen, vorspringenden Steinen verteidigt.

Bevor ich über die Schwelle trat, blieb ich stehen, um eine größere Anzahl seltsamer Verzierungen zu bewundern, die in der Vorderseite des Hauses, und besonders über dem Haupteingang, in verschwenderischer Manier eingemeißelt waren. Über diesem entdeckte ich, inmitten eines wilden Durcheinanders von zerbröckelnden Greifvögeln und kleinen nackten Kinderfiguren, die Jahreszahl 1500 und den Namen »Hareton Earnshaw«. Ich hätte gern einige Bemerkungen gemacht und den mürrischen Besitzer um eine kurze Geschichte des Hauses gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien zu verlangen, dass ich entweder rasch einträte oder mich endgültig davonmachte. Und ich hatte keine Lust, seine Ungeduld weiter zu erhöhen, bevor ich nicht auch das Innere des Hauses in Augenschein nehmen konnte.

Ohne Vorraum oder Flur führte eine einzige Stufe direkt in den Wohnraum der Familie, den man in dieser Gegend meist als »das Haus« bezeichnet. Normalerweise ist es Küche und Wohnzimmer in einem, aber in Wuthering Heights war die Küche wohl in einen ganz anderen Teil des Gebäudes verbannt, zumindest konnte ich von weiter drinnen Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchenutensilien vernehmen. Auch bemerkte ich weder an dem riesigen Kamin irgendwelche Anzeichen, dass dort gebraten, gekocht oder gebacken würde, noch an den Wänden den Glanz von Kupferpfannen und zinnernen Sieben. Auf der einen Seite aber reflektierten riesige Zinnschüsseln, die sich zusammen mit silbernen Kannen und Krügen Reihe um Reihe auf einer gewaltigen Eichenanrichte bis unter die Decke auftürmten, Licht und Wärme. Die Decke war nicht verkleidet, so dass das ganze Gebälk offen vor den Augen des Betrachters lag, bis auf die Stellen, wo ein hölzernes Gestell, bepackt mit Haferkuchen und Unmengen von Rinder‑, Hammel‑ und Schinkenkeulen, es verbarg. Über dem Kamin hingen verschiedene alte Räuberflinten und ein Paar Sattelpistolen, auf dem Kaminsims waren als Schmuck drei auffällig bemalte Blechbüchsen aufgestellt. Der Fußboden war aus glattem weißem Stein, die einfachen Stühle mit ihren hohen Lehnen grün gestrichen, und etwas abseits standen ein oder zwei schwarze Stühle im Schatten verborgen. In einer Nische unter der Anrichte hatte sich eine riesengroße rotbraune Vorstehhündin, umgeben von einem ganzen Haufen quiekender Welpen, niedergelassen. Auch andere Schlupfwinkel waren von Hunden in Beschlag genommen worden.

Zimmer und Einrichtung wären nichts Ungewöhnliches gewesen, hätten sie einem einfachen, dickköpfigen Bauern aus dem Norden gehört, dessen kräftige Glieder in Kniebundhosen und Gamaschen erst so richtig zur Geltung kamen. Männer dieses Schlages, im Lehnstuhl sitzend und einen Krug mit schäumendem Bier auf dem runden Tisch vor sich, kann man in dieser hügeligen Gegend überall im Umkreis von fünf bis sechs Meilen antreffen, wenn man nur um die richtige Zeit, nach dem Mittagessen nämlich, seine Runde macht. Mr. Heathcliff aber bildet einen einzigartigen Kontrast zu seiner Wohnstätte und seinem Lebensstil. Seinem Aussehen nach ist er ein dunkelhäutiger Zigeuner, seiner Kleidung und seinem Benehmen nach ein Gentleman, das heißt, ein Gentleman wie eben andere Gutsbesitzer auch: etwas schlampig vielleicht, wobei er aber dank seiner aufrechten und ansehnlichen Gestalt trotz seiner Nachlässigkeit nicht übel aussieht, und etwas mürrisch. Möglich, dass manch einer bei ihm ein gewisses Maß an ungebührlichem Hochmut vermutet – ein verwandtes Gefühl in mir aber sagt mir, dass dies nicht zutrifft. Ich weiß instinktiv, dass seine Zurückhaltung aus der Abneigung, Gefühle zur Schau zu stellen, herrührt, aus seiner Abneigung gegenüber dem Austausch von Freundlichkeiten. Er liebt und hasst gleichermaßen, ohne es zu zeigen, und würde es als Zudringlichkeit empfinden, stieße er bei anderen auf solche Gefühle. Aber halt, ich lasse meinen Gedanken allzu freien Lauf – zu freizügig übertrage ich meine Eigenschaften auf ihn. Mr. Heathcliff mag gänzlich andere Gründe haben als ich, seine Hand nicht auszustrecken, wenn er jemanden trifft, der seine Bekanntschaft sucht. Ich hoffe, meine Veranlagung ist eher ungewöhnlich. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, dass ich nie ein gemütliches Heim haben würde, und erst im vergangenen Sommer habe ich bewiesen, dass ich auch wirklich keines verdiene.

Während ich bei herrlichem Wetter einen Monat an der See genoss, machte ich die Bekanntschaft eines höchst faszinierenden Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen – solange sie mir keine Beachtung schenkte. Ich habe ihr meine Liebe nicht gestanden, nicht in Worten jedenfalls, aber wenn Blicke sprechen könnten, hätte auch der größte Dummkopf bemerkt, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. Schließlich verstand sie mich und erwiderte meine Blicke. Es waren die süßesten Blicke, die man sich nur vorstellen kann. Und was tat ich? Zu meiner Schande muss ich gestehen: Eisig verkroch ich mich wie eine Schnecke in mich selbst und zog mich bei jedem ihrer Blicke kühler und weiter zurück, bis schließlich das arme, unschuldige Geschöpf glaubte, an ihren eigenen Sinnen zweifeln zu müssen und, gänzlich verwirrt über ihren vermeintlichen Fehler, ihre Mama zur Abreise bewegte. Dieser seltsamen Veranlagung wegen kam ich in den Ruf vorsätzlicher Herzlosigkeit; wie ungerechtfertigt dies ist, kann nur ich allein ermessen.

Ich setzte mich an die Seite des Kamins, die derjenigen, auf die mein Gastgeber zusteuerte, gegenüberlag, und überbrückte das eingetretene Schweigen mit dem Versuch, die Hundemutter zu streicheln, die ihre Kinderstube verlassen hatte und sich mit gefletschten weißen Zähnen wie eine Wölfin gierig von hinten an mein Bein heranschlich. Die Aussicht auf einen Biss machte ihr den Mund wässrig. Mein Streicheln provozierte ein langes, heiseres Knurren.

»Lassen Sie den Hund lieber in Ruh«, knurrte auch Mr. Heathcliff mich an, während er einen ungestümeren Ausbruch durch einen Fußtritt bremste. »Sie ist’s nicht gewöhnt, verhätschelt zu werden, ist doch kein Schoßhund.« Dann ging er zu einer Seitentür und rief wieder: »Joseph!«

Joseph murmelte undeutlich etwas aus der Tiefe des Kellers, machte aber keine Anstalten heraufzukommen. Deshalb stieg sein Herr zu ihm hinunter und ließ mich allein mit der rauflustigen Hündin und zwei Angst einjagenden zottigen Schäferhunden, die mit dieser gemeinsam jede meiner Bewegungen misstrauisch überwachten. Da ich nicht darauf erpicht war, in ihre Klauen zu geraten, blieb ich ruhig sitzen. Aber ich dachte, dass sie stumme Beleidigungen wohl kaum verstehen würden, und gestattete mir unglücklicherweise das Vergnügen, dem Trio zuzuzwinkern und Grimassen zu schneiden. Eines meiner Mienenspiele reizte die Hundedame so sehr, dass sie plötzlich einen Wutanfall bekam und auf meine Knie sprang. Ich schleuderte sie zurück und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu bringen. Dieser Vorgang machte die ganze Meute rebellisch. Ein halbes Dutzend vierbeiniger Ungeheuer, unterschiedlich groß und alt, sausten aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln in die Mitte des Raumes. Auf meine Absätze und Rockschöße hatten sie es ganz besonders abgesehen, und ich war, obwohl ich die größeren Angreifer so gut wie möglich mit dem Schürhaken abwehrte, doch genötigt, laut jemanden aus dem Haus um Hilfe zu rufen, damit der Frieden wiederhergestellt werde.

Mr. Heathcliff und sein Diener stiegen die Kellertreppe in aufreizender Gelassenheit herauf. Ich glaube nicht, dass sie sich auch nur eine Sekunde schneller bewegt haben als gewöhnlich, und dies, obwohl auf dem Platz vor dem Kamin ein wahrer Orkan von Zerren und Kläffen tobte. Zum Glück legte jemand aus der Küche mehr Eile an den Tag. Ein stämmiges Frauenzimmer mit aufgeschürztem Rock, bloßen Armen und von der Hitze geröteten Wangen stürzte sich, eine Bratpfanne schwingend, mitten unter uns und benutzte diese Waffe und ihre Zunge so wirksam, dass sich der Sturm wie durch Zauber legte und nur sie, bewegt wie die See nach einem schweren Unwetter, noch dastand, als ihr Herr am Ort des Geschehens auftauchte.

»Was zum Teufel ist hier los?«, fragte er, wobei er mich auf eine Art musterte, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung nur schwer ertragen konnte.

»Ja, was zum Teufel!«, empörte ich mich. »Die Herde besessener Schweine konnte keine böseren Dämonen in sich haben als Ihre Tiere hier.1 Sie könnten einen Fremden genauso gut mit einer Horde Tiger allein lassen!«

»Sie würden nie auf jemanden losgehen, der nichts anrührt«, bemerkte er, während er die Flasche vor mich hinstellte und den weggerückten Tisch wieder an seinen Platz schob. »Die Hunde tun recht daran, wachsam zu sein. Glas Wein?«

»Nein, danke.«

»Nicht gebissen, oder?«

»Nein, sonst hätte ich dem Köter schon einen Denkzettel verpasst.«

Heathcliffs Miene entspannte sich zu einem Lächeln. »Na, na«, sagte er, »Sie sind aufgebracht, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie einen Schluck Wein. In dieses Haus kommen so selten Gäste, dass ich und meine Hunde, wie ich gern zugebe, kaum noch wissen, wie man sie empfängt. Auf Ihre Gesundheit!«

Ich gab nach und trank ihm ebenfalls zu, weil mir klar wurde, dass es dumm gewesen wäre, beleidigt dazusitzen, nur weil sich ein paar Köter schlecht benommen hatten. Außerdem wollte ich dem Kerl keine Gelegenheit mehr geben, sich auf meine Kosten zu amüsieren, wozu er durchaus aufgelegt zu sein schien. Wahrscheinlich veranlasst durch die vernünftige Überlegung, dass es unklug wäre, einen guten Pächter vor den Kopf zu stoßen, schwächte er seine lakonische Redeweise, bei der er Für‑ und Hilfszeitwörter einfach ausließ, wenigstens etwas ab und brachte das Gespräch auf einen Gegenstand, von dem er annahm, dass er mich interessierte: auf die Vor‑ und Nachteile meines derzeitigen Aufenthaltsortes. Zu den Themen, die wir streiften, äußerte er sich sachkundig, und bevor ich mich auf den Heimweg machte, war ich sogar so kühn, von mir aus einen erneuten Besuch für morgen anzukündigen. Offensichtlich wünschte er keine Wiederholung meines Eindringens. Ich werde trotzdem hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir im Vergleich zu ihm vorkomme.

Kapitel 2

Der Nachmittag gestern brach neblig und kalt an. Ich hatte mich entschlossen, ihn am Kamin in meinem Studierzimmer zu verbringen, anstatt durch Heidekraut und Morast nach Wuthering Heights zu waten. Als ich jedoch vom Mittagessen heraufkam (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und ein Uhr; die Haushälterin, eine rechtschaffene Frau, die ich gleichsam als lebendes Inventar zusammen mit dem Haus übernommen hatte, konnte oder wollte meinen Wunsch, erst um fünf zu speisen, nicht begreifen)2, als ich mit dieser behaglichen Absicht die Treppe heraufstieg und das Zimmer betrat, sah ich dort eine Dienstmagd, die, umgeben von Bürsten und Kohleneimern, vor dem Kamin kniete und einen höllischen Staub aufwirbelte, als sie die Flammen mit Bergen von Schlacke erstickte. Dieser Anblick vertrieb mich sofort; ich nahm meinen Hut und erreichte, nach einem Marsch von vier Meilen, gerade rechtzeitig Heathcliffs Gartentor, um den ersten federleichten Flocken eines Schneeschauers zu entkommen.

Auf dieser ungeschützten Höhe oben war die Erde hart gefroren, und die eisige Luft ließ mich am ganzen Körper zittern. Da ich die Kette nicht lösen konnte, sprang ich über das Tor, lief den gepflasterten, von wild wuchernden Stachelbeersträuchern gesäumten Weg hinauf und klopfte, vergeblich Einlass begehrend, an die Tür, bis meine Knöchel brannten und die Hunde heulten.

›Ihr elendes Pack da drin!‹, schimpfte ich innerlich. ›Für eure flegelhafte Ungastlichkeit verdientet ihr, auf ewig von euren Artgenossen ferngehalten zu werden. Wenigstens tagsüber würde ich meine Tür nicht versperren. Mir ist es gleich, ich werde schon hineinkommen!‹

Fest dazu entschlossen, ergriff ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Joseph steckte sein essigsaures Gesicht aus dem runden Fenster der Scheune.

»Was wolln Se?«, schrie er herüber. »Der Herr is druntn bei die Schaf. Gehn Se hinter der Scheun rum, wenn Se mit ihm redn wolln.«3

»Ist denn keiner im Haus, der die Tür aufmachen kann?«, rief ich zurück.

»Keiner, bloß d’ Frau. Un die macht net auf, un wenn Se bis heut nacht weitertobn.«

»Warum nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin, na, Joseph?«

»Na, i net. Da lass i d’ Finger weg«, murmelte der Kopf und verschwand.

Der Schnee begann dichter zu fallen. Ich ergriff die Klinke, um noch einen Versuch zu unternehmen, als ein junger Mann, ohne Rock und mit geschulterter Heugabel, hinten im Hof auftauchte. Er rief mir zu, ich solle ihm folgen, und nachdem wir durch ein Waschhaus und über einen gepflasterten Hof mit einem Kohlenschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag gegangen waren, gelangten wir in das riesige, warme, freundliche Zimmer, in dem ich schon das erste Mal empfangen worden war. Es erstrahlte behaglich im Schein eines gewaltigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Und in der Nähe des Tisches entdeckte ich zu meiner Freude die »Frau«, ein Wesen, von dessen Existenz ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. Ich verbeugte mich und wartete in der Annahme, sie würde mich bitten, Platz zu nehmen. Sie sah mich an, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blieb bewegungslos und schweigend sitzen.

»Stürmisches Wetter!«, bemerkte ich. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, an der Tür werden die Folgen der mangelnden Aufmerksamkeit Ihrer Dienstboten zu sehen sein. Ich hatte große Mühe, mich bemerkbar zu machen!«

Sie öffnete den Mund nicht. Ich starrte sie an, und sie starrte zurück. Jedenfalls ließ sie ihren Blick auf mir ruhen, und zwar auf eine kühle, gleichgültige Art, die äußerst verwirrend und unangenehm war.

»Setzen Sie sich«, sagte der junge Mann barsch. »Er wird bald zurück sein.«

Ich gehorchte, räusperte mich und rief Juno, dieses ungezogene Ding, zu mir, die sich bei diesem zweiten Zusammentreffen herabließ, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, als Zeichen, dass sie mich wiedererkannt hatte.

»Ein schönes Tier!«, begann ich von neuem. »Haben Sie die Absicht, die Jungen wegzugeben, gnädige Frau?«

»Sind nicht meine«, sagte die liebenswürdige Gastgeberin noch abweisender, als Heathcliff selbst hätte antworten können.

»Ah, dann sind Ihre Lieblinge sicherlich dort dabei«, fuhr ich fort, während ich mich einem etwas im Dunkeln liegenden Kissen zuwandte, auf dem anscheinend lauter Katzen lagen.

»Sonderbare Lieblinge hätte ich mir da ausgesucht«, bemerkte sie verächtlich. Unglücklicherweise handelte es sich um einen Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich noch einmal, wiederholte meine Bemerkung über die Unwirtlichkeit des Abends und rückte näher an das Kaminfeuer heran.

»Sie hätten nicht ausgehen sollen«, sagte sie, stand auf und langte nach zwei von den drei bemalten Blechdosen auf dem Kaminsims. Vorher hatte sie dem Licht abgewandt gesessen; jetzt aber konnte ich ihre Gestalt und ihr Gesicht deutlich erkennen. Sie war schlank und dem Mädchenalter anscheinend kaum entwachsen, hatte eine wunderbare Figur und das reizendste Gesichtchen, das ich jemals das Vergnügen hatte zu sehen: feine, sehr regelmäßige Züge, flachsblonde, nein, eigentlich mehr goldene Locken, die lose in ihren zarten Nacken fielen, und Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, hätten sie nur einen angenehmeren Ausdruck gehabt. Zum Glück für mein empfängliches Herz aber schwankte das einzige Gefühl, das sie verrieten und das in ihnen seltsam unnatürlich anmutete, zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung. Die Blechdosen waren fast außerhalb ihrer Reichweite. Ich wollte ihr zu Hilfe kommen, doch sie ging auf mich los, wie es wohl ein Geizhals tun würde, wenn jemand Anstalten machte, ihm beim Zählen seiner Goldstücke zu helfen.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, fuhr sie mich an, »ich kann sie mir selbst holen.«

»Ich bitte um Vergebung«, beeilte ich mich zu entgegnen.

»Sind Sie zum Tee eingeladen?«, wollte sie wissen, während sie sich eine Schürze über ihr adrettes schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über die Kanne hielt.

»Ich würde gern eine Tasse trinken«, antwortete ich.

»Sind Sie eingeladen?«, wiederholte sie.

»Nein«, erwiderte ich lächelnd. »Aber Sie können mich doch einladen.«

Sie schleuderte den Tee samt Löffel und allem zurück in die Dose und setzte sich verärgert wieder auf ihren Stuhl. Ihre Stirn war gerunzelt, ihre Unterlippe etwas vorgeschoben wie bei einem Kind, das gleich zu weinen anfängt.

Unterdessen war der junge Mann in ein ausgesprochen schäbiges Gewand geschlüpft, baute sich dann vor dem Feuer auf und sah aus den Augenwinkeln auf mich herab, als gäbe es zwischen uns eine unausgefochtene tödliche Fehde. Ich begann mich zu fragen, ob er wirklich ein Knecht war. Seine Kleidung und seine Sprache waren gleichermaßen grob und entbehrten gänzlich der Überlegenheit, die man bei Mr. und Mrs. Heathcliff beobachten konnte. Seine dichten braunen Locken waren struppig und ungepflegt, sein Backenbart wucherte wie ein Bärenpelz über seine Wangen, und seine Hände waren gebräunt wie die eines einfachen Landarbeiters. Doch sein Auftreten war ungezwungen, fast stolz, und gegenüber der Hausherrin legte er keineswegs die Beflissenheit eines Dienstboten an den Tag. Da mir eindeutige Hinweise auf seine Stellung im Hause fehlten, hielt ich es für das Beste, sein befremdliches Verhalten zu übersehen, und fünf Minuten später erlöste mich Heathcliffs Eintreten in gewissem Maße aus meiner unangenehmen Lage.

»Sie sehen, Mr. Heathcliff, ich bin gekommen, wie ich es versprochen habe!«, rief ich mit gespielter Heiterkeit. »Und ich fürchte, das Wetter wird mich eine halbe Stunde hier festhalten, wenn Sie mir so lange Obdach gewähren können.«

»Eine halbe Stunde?«, meinte er, während er sich die weißen Flocken von seinen Kleidern schüttelte. »Möchte bloß wissen, warum Sie sich für Ihre Streifzüge ausgerechnet das dickste Schneegestöber aussuchen. Ist Ihnen klar, dass Sie Gefahr laufen, sich im Moor zu verirren? Sogar Leute, die mit der Gegend hier vertraut sind, kommen an solchen Abenden oft vom Weg ab, und ich kann Ihnen sagen, dass im Augenblick keine Aussicht auf eine Änderung besteht.«

»Vielleicht finde ich unter Ihren Burschen einen Führer, er könnte ja bis morgen in Thrushcross Grange bleiben. Könnten Sie einen entbehren?«

»Nein, könnte ich nicht.«

»Ach, wirklich nicht? Nun, dann muss ich mich eben auf meinen eigenen Scharfsinn verlassen.«

»Hm!«

»Machst du jetzt endlich den Tee?«, wollte der im schäbigen Rock wissen und ließ seinen wilden Blick von mir zu der jungen Dame wandern.

»Soll er welchen kriegen?«, wandte sie sich an Heathcliff.

»Nun mach schon voran!«, war die Antwort, die so wütend ausgestoßen wurde, dass ich zusammenzuckte. Der Ton, in dem diese Worte geäußert wurden, enthüllte ein durch und durch bösartiges Wesen. Ich verspürte keinerlei Neigung mehr, Heathcliff als famosen Kerl zu bezeichnen.

Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, lud er mich ein: »Nun, dann kommen Sie her mit Ihrem Stuhl.« Wir alle, auch der ungehobelte junge Mann, setzten uns um den Tisch, und während wir unsere Mahlzeit einnahmen, herrschte feindseliges Schweigen.

Ich hielt es für meine Pflicht, mich zu bemühen, die Wolke, die ich offensichtlich heraufbeschworen hatte, wieder zu verscheuchen. Sie konnten ja nicht jeden Tag so verdrießlich und schweigsam dasitzen, und diese mürrische Miene, die sie alle machten, konnte doch unmöglich ihr Alltagsgesicht sein, wie übel sie auch gelaunt sein mochten.

»Es ist doch seltsam«, begann ich in der Pause, als ich meinen Tee gerade ausgetrunken hatte und darauf wartete, erneut eingeschenkt zu bekommen, »es ist doch seltsam, wie die Gewohnheit unsere Neigungen und Vorstellungen formen kann. Viele Menschen könnten sich gar nicht vorstellen, dass man bei einem Leben in derartiger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff, glücklich sein kann; und dennoch wage ich zu behaupten, dass, umgeben von Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswürdigen Gefährtin, die als guter Geist über Ihr Heim und Herz regiert …«

»Meine liebenswürdige Gefährtin!«, unterbrach er mich mit einem beinahe teuflischen Grinsen. »Wo ist sie denn, meine liebenswürdige Gefährtin?«

»Ich meine Mrs. Heathcliff, Ihre Gattin.«

»Ach, Sie wollen andeuten, dass ihr Geist das Amt eines Schutzengels übernommen hat und über das Schicksal von Wuthering Heights wacht, obwohl ihr Körper uns verlassen hat? Ist es das?«

Mir wurde klar, dass ich einen groben Fehler begangen hatte, und ich wollte ihn wiedergutmachen. Ich hätte sehen müssen, dass der große Altersunterschied zwischen den beiden es unwahrscheinlich machte, dass sie Mann und Frau waren. Er war um die Vierzig, also in einem Alter geistiger Vitalität, in dem sich Männer selten der Illusion hingeben, ein junges Mädchen könnte sie aus Liebe heiraten; dieser Traum ist uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah nicht einmal wie siebzehn aus.

Da schoss es mir plötzlich durch den Kopf: ›Dieser Tölpel da neben mir, der seinen Tee aus einem Napf schlürft und sein Brot mit ungewaschenen Fingern isst, könnte ihr Mann sein. Heathcliff junior, aber natürlich! Das kommt von diesem Lebendigbegrabensein: Sie hat sich an diesen Bauernlümmel weggeworfen, nur, weil sie nicht wusste, dass es auch bessere Männer gibt! Jammerschade. Ich muss mich davor hüten, sie ihre Wahl bereuen zu lassen.‹ Die letzte Überlegung mag überheblich klingen, aber sie war es nicht. Mein Tischnachbar hatte etwas an sich, das schon fast an Widerwärtigkeit grenzte. Und ich wusste aus Erfahrung, dass ich eine gewisse Anziehungskraft besaß.

»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff und bestätigte damit meine Vermutung. Während er sprach, warf er ihr einen eigentümlichen Blick zu, einen hasserfüllten Blick, es sei denn, er verfügte über eine höchst eigenwillige Mimik, die nicht, wie bei anderen Menschen, der Sprache seiner Seele Ausdruck verlieh.

»Aber gewiss, ich verstehe schon, Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee«, wandte ich mich an meinen Nachbarn.

Das war nun noch schlimmer. Der Junge lief dunkelrot an und ballte die Faust, als habe er die Absicht, sich auf mich zu stürzen. Aber offenbar gewann er seine Fassung sofort wieder. Er unterdrückte den stürmischen Ausbruch mit einem gegen mich ausgestoßenen Fluch, den ich jedoch tunlichst zu überhören suchte.

»Nicht gerade viel Glück mit Ihren Vermutungen«, bemerkte mein Gastgeber. »Keiner von uns hat die Ehre, zu Ihrer guten Fee zu gehören, ihr Mann ist tot. Ich sagte doch, sie sei meine Schwiegertochter, also muss sie meinen Sohn geheiratet haben.«

»Und dieser junge Mann hier ist …«

»Nicht mein Sohn, gewiss nicht!«

Heathcliff grinste wieder, als sei es denn doch ein zu starkes Stück, ihn für den Vater dieses Bären zu halten.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, ihm Achtung zu zollen.«

»Ich habe keinerlei Missachtung gezeigt«, entgegnete ich, während ich innerlich über die Würde, mit der er sich vorstellte, lachen musste.

Er heftete seinen Blick länger auf mich, als ich ihn erwidern wollte, denn ich fürchtete, ich könnte versucht sein, ihm eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Allmählich fühlte ich mich in diesem trauten Familienkreis völlig fehl am Platz. Die bedrückende geistige Atmosphäre überdeckte und erstickte schließlich die wohlige Behaglichkeit, die mich äußerlich umgab. Und ich beschloss, mich davor zu hüten, ein drittes Mal unter dieses Dach zu geraten.

Da die Mahlzeit beendet war und keiner auch nur Anstalten zu einer geselligen Unterhaltung machte, trat ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick, der sich mir bot. Die schwarze Nacht brach vorzeitig herein, und Himmel und Erde verschmolzen in einem einzigen, heftig wirbelnden Durcheinander von Wind und alles unter sich begrabendem Schnee.

»Ich glaube, jetzt finde ich ohne Führer wirklich nicht mehr nach Hause«, entfuhr es mir unwillkürlich. »Die Wege sind zugeschneit, und selbst wenn sie frei wären, könnte ich kaum einen Schritt weit sehen.«

»Hareton, treib das Dutzend Schafe aus dem Pferch in die Scheune. Sie werden eingeschneit, wenn sie die ganze Nacht draußen sind. Und mach ein Brett davor!«, sagte Heathcliff.

»Und was ist mit mir?«, fragte ich mit wachsendem Unmut.

Ich bekam keine Antwort auf meine Frage, und als ich mich umdrehte, sah ich nur Joseph, der gerade einen Eimer Haferbrei für die Hunde hereinbrachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Streichhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims heruntergefallen war, als sie die Teedosen an ihren Platz zurückgestellt hatte. Nachdem Joseph seine Last abgesetzt hatte, unterzog er das Zimmer einer eingehenden Prüfung und fauchte dann in krächzendem Ton: »Möcht wissn, wie Se sich unterstehn könn, da so faul rumz’stehn un nix z’tun, wo die andern alle raus sin. Aber Se sin zu nix nutz, un ’s hat kein Zweck, was z’sagn. Se wern Ihre schlechtn Gwohnheiten nie ablegn: Gehn Se doch zum Teufel – wie Ihr Mutter vor Ihnen.«

Einen Augenblick lang dachte ich, dieser Redeschwall gelte mir, und machte, reichlich erbost, einen Schritt auf den alten Halunken zu, in der Absicht, ihn mit einem Tritt vor die Tür zu setzen. Doch Mrs. Heathcliff kam mir mit ihrer Antwort zuvor.

»Du niederträchtiger alter Heuchler!«, erwiderte sie. »Hast du nicht jedesmal Angst, der Teufel holt dich bei lebendigem Leib, wenn du seinen Namen aussprichst? Ich rate dir, mich nicht zu reizen, sonst werde ich es mir als besondere Gunst erbitten, dass er dich holt! Halt! Schau hierher, Joseph«, fuhr sie fort, während sie ein großes, dunkles Buch von einem Wandbrett nahm. »Ich werde dir zeigen, wie weit ich’s in der Schwarzen Kunst schon gebracht habe. Bald werde ich in der Lage sein, mit ihrer Hilfe das ganze Haus leerzufegen. Die rote Kuh ist nicht durch Zufall eingegangen, und deinen Rheumatismus kann man wohl auch kaum zu den glücklichen Fügungen des Himmels rechnen.«

»Oh, wie gottlos, wie gottlos!«, keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Bösen!«

»Nein, du Verworfener! Du bist von Gott verstoßen. Scher dich weg, oder ich werde dir wirklich etwas antun. Ich werde euch alle in Wachs und Ton modellieren, und der erste, der die von mir gesteckten Grenzen übertritt, der wird … Ich verrate nicht, was mit dem geschehen wird, aber du wirst schon sehen! Geh, ich schau dich an.«

Die kleine Hexe ließ ihre schönen Augen in gespielter Bosheit aufblitzen, und Joseph, der vor ehrlichem Entsetzen zitterte, eilte betend und immer wieder »gottlos« rufend hinaus. Ich hielt ihr Benehmen für eine Art Spaß, den sie sich aus Langeweile machte, und als wir dann allein waren, versuchte ich, ihre Aufmerksamkeit auf meine Notlage zu lenken.

»Mrs. Heathcliff«, begann ich ernst, »bitte, entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige. Ich wage es, weil ich mir ganz sicher bin, dass Sie, mit einem solchen Gesicht, gar nicht anders als gütig sein können. Nennen Sie mir doch bitte ein paar auffallende Punkte, an Hand derer ich den Weg nach Hause finden kann. Ich weiß ebenso wenig, wie ich heimkommen soll, wie Sie den Weg nach London fänden!«

»Gehn Sie den Weg zurück, den Sie gekommen sind«, antwortete sie und machte es sich, eine Kerze und das große Buch aufgeschlagen vor sich, auf ihrem Stuhl bequem. »Das ist zwar ein kurzer Rat, aber der vernünftigste, den ich Ihnen geben kann.«

»Und wenn Sie hören, dass man mich tot in einem Sumpf oder einem Schneeloch gefunden hat, wird Ihnen dann nicht Ihr Gewissen zuraunen, dass dies mit Ihre Schuld ist?«

»Wieso denn? Ich kann Sie nicht begleiten. Die würden mich nicht einmal bis ans Ende der Gartenmauer gehen lassen.«

»Sie! Es würde mir sehr leid tun, Sie bitten zu müssen, meinetwegen in einer solchen Nacht den Fuß über die Schwelle zu setzen. Sie sollen mir den Weg nur beschreiben, nicht zeigen, oder Mr. Heathcliff dazu überreden, mir einen Führer zur Verfügung zu stellen.«

»Und wen? Hier leben nur er, Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen hätten Sie denn gern?«

»Gibt es keine Gehilfen auf dem Hof?«

»Nein, das sind alle.«

»Das heißt dann wohl, dass ich gezwungen bin, hierzubleiben.«

»Das können Sie mit Ihrem Gastgeber regeln. Ich habe damit nichts zu tun.«

»Hoffentlich wird Ihnen dies eine Lehre sein, keine unüberlegten Ausflüge mehr in dieser Gegend zu machen«, drang Heathcliffs strenge Stimme von der Küchentür herüber. »Und was das Hierbleiben anbelangt, ich bin nicht für die Unterbringung von Gästen eingerichtet. Sie müssen sich schon ein Bett mit Hareton oder Joseph teilen, wenn Sie bleiben.«

»Ich kann doch auf einem Stuhl hier im Zimmer schlafen«, entgegnete ich.

»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er nun reich oder arm. Ich will nicht, dass sich irgend jemand hier aufhält, wenn ich nicht aufpassen kann«, sagte der unverschämte Kerl.

Nach dieser Beleidigung war meine Geduld am Ende. Ich brachte meine Entrüstung zum Ausdruck und drängte mich an ihm vorbei auf den Hof, wo ich in meiner Eile mit Earnshaw zusammenstieß. Es war so dunkel, dass ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und während ich suchend umhertappte, wurde ich Zeuge einer weiteren Kostprobe des höflichen Benehmens, mit dem sie untereinander verkehrten.

Der junge Mann wollte sich offensichtlich meiner annehmen. »Ich geh mit ihm bis zum Park«, sagte er.

»Zur Hölle wirst du mit ihm gehn!«, schrie sein Herr oder was er sonst sein mochte. »Und wer soll sich um die Pferde kümmern, he?«

»Ein Menschenleben ist wichtiger. Es ist nicht so schlimm, wenn die Pferde einen Abend mal nicht versorgt werden. Und jemand muss doch gehen«, murmelte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartet hatte.

»Nicht auf deinen Befehl!«, erwiderte Hareton heftig. »Wenn dir etwas an ihm liegt, sei lieber ruhig.«

»Dann wird dich hoffentlich sein Geist verfolgen, und Mr. Heathcliff keinen Pächter mehr finden, bis Thrushcross Grange bloß noch ein Trümmerhaufen ist«, entgegnete sie scharf.

»Hört, hört, sie verflucht se!«, brummte Joseph, auf den ich zugesteuert war. Er saß in Hörweite und molk die Kühe beim Licht einer Laterne, die ich ohne viel Aufhebens an mich nahm. Ich rief ihm zu, dass ich sie am folgenden Morgen zurückschicken würde, und stürmte auf die nächstliegende Pforte los.

»Herr, Herr, der stiehlt d’ Latern!«, brüllte der Alte und verfolgte mich auf meiner Flucht. »He, Gnasher! He, Hund! He, Wolf! Fasst ihn, fasst!«

Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungeheuer an die Kehle, warfen mich zu Boden und löschten dabei das Licht aus, während Heathcliffs und Haretons schallendes Gelächter meiner Wut und meiner Demütigung die Krone aufsetzte. Zum Glück schienen die Tiere mehr Lust zu verspüren, ihre Pfoten auszustrecken, zu gähnen und mit dem Schwanz zu wedeln, als mich bei lebendigem Leib zu verschlingen; aber sie duldeten nicht den kleinsten Versuch, mich zu erheben, und so war ich gezwungen liegenzubleiben, bis es ihren niederträchtigen Herren beliebte, mich aus meiner Lage zu erlösen. Ohne Hut und zitternd vor Wut, forderte ich daraufhin mit unzusammenhängenden Drohungen, die in ihrer abgrundtiefen Bösartigkeit an König Lear erinnerten,4 die Bösewichter auf, mich gehen zu lassen: es wäre ihr eigenes Risiko, wenn sie mich auch nur noch eine Minute länger festhielten.

Die Heftigkeit meiner Erregung verursachte starkes Nasenbluten, und noch immer lachte Heathcliff, und noch immer schimpfte ich. Ich weiß nicht, wie dieser Auftritt geendet hätte, wäre nicht eine Person zur Stelle gewesen, die vernünftiger als ich und wohlwollender als meine Gastgeber war. Es war Zillah, die stämmige Haushälterin, die schließlich erschien, um sich nach dem Grund des Aufruhrs zu erkundigen. Sie glaubte, jemand hätte Hand an mich gelegt, und da sie sich nicht traute, ihren Herrn anzugreifen, richtete sie ihr Wortgeschütz auf den jüngeren der beiden Schurken.

»Na, Mr. Earnshaw«, rief sie, »ich bin gespannt, was Se als Nächstes vorhaben. Bringen wir jetzt schon Leut vor unserer eignen Haustür um? Ich seh schon, dieses Haus is nix für mich. Sehn Se sich mal den armen Kerl an, der erstickt ja fast. Na, na, so beruhigen Se sich doch. Kommen Se rein, ich werd Ihnen helfen. Gut so, nun halten Se mal still!«

Bei diesen Worten schüttete sie mir plötzlich einen Krug eiskalten Wassers in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte uns, und seine durch den Vorfall ausgelöste Heiterkeit wich schnell wieder seinem gewöhnlichen mürrischen Wesen.

Ich fühlte mich äußerst elend, schwindlig und schwach und war dadurch genötigt, gegen meinen Willen einer Übernachtung unter seinem Dach zuzustimmen. Heathcliff wies Zillah an, mir ein Glas Branntwein zu geben, und ging dann ins »Haus« hinein, während sie mir ihre Anteilnahme an meiner bedauernswerten Lage aussprach und seinen Anordnungen nachkam. Sobald ich mich durch den Branntwein etwas belebt fühlte, zeigte sie mir mein Bett.

Kapitel 3

Als sie mir die Treppe hinauf vorausging, riet sie mir, die Kerze abzuschirmen und keinen Lärm zu machen, ihr Herr habe nämlich eine merkwürdige Einstellung zu dem Zimmer, in das sie mich bringen wolle; er würde nie jemanden mit seiner Zustimmung dort wohnen lassen. Ich fragte nach dem Grund. Sie kenne ihn nicht, erwiderte sie. Sie sei erst ein oder zwei Jahre im Hause, und es geschähen so viele sonderbare Dinge, dass sie gar nicht erst anfangen wolle, neugierig zu sein.

Selbst zu betäubt, um neugierig zu sein, schloss ich die Tür und sah mich nach dem Bett um. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einem großen Kasten aus Eichenholz, aus dem oben Vierecke herausgeschnitten waren, die wie die Fenster einer Kutsche aussahen. Ich ging zu diesem seltsamen Gebilde hin, warf einen Blick hinein und stellte fest, dass es eine merkwürdige Art alter Bettstatt war, äußerst zweckdienlich entworfen, um der Notwendigkeit, jedem Familienmitglied ein eigenes Zimmer zuzuweisen, zu entgehen. Es war eine richtige kleine Kammer, der Sims eines eingelassenen Fensters diente als Tisch. Ich schob die getäfelte Seitenwand auseinander, kroch mit meinem Licht hinein, machte sie wieder zu und fühlte mich vor der Wachsamkeit Heathcliffs und aller anderen sicher.

In einer Ecke des Simses, auf den ich meine Kerze stellte, lag ein Stapel stockfleckiger Bücher, und der ganze Sims war voll von Schriftzeichen, die in seinen Anstrich eingeritzt waren. All diese Inschriften aber wiederholten, in den verschiedensten Arten von Buchstaben, großen und kleinen, immer nur einen Namen – Catherine Earnshaw, da und dort abgewandelt zu Catherine Heathcliff und dann wieder zu Catherine Linton.

In dumpfer Teilnahmslosigkeit lehnte ich den Kopf gegen das Fenster und buchstabierte immer wieder Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton, bis mir die Augen zufielen. Aber ich hatte sie noch keine fünf Minuten geschlossen, da brachen mit grellem Glanz weiße Buchstaben, lebendig wie Gespenster, aus dem Dunkel hervor – in der Luft wimmelte es nur so von Catherinen. Als ich mich aufrichtete, entdeckte ich, dass der Docht meiner Kerze sich über einen der alten Bände geneigt hatte und sich im Raum der Geruch von versengtem Kalbsleder verbreitete. Ich kürzte den Docht, und da ich mich infolge der Kälte und der noch immer anhaltenden Übelkeit sehr unbehaglich fühlte, setzte ich mich auf, nahm den beschädigten Band auf meine Knie und schlug ihn auf. Es war eine in feinen Lettern gedruckte Bibel, die schrecklich modrig roch. Das Deckblatt trug die Inschrift: »Catherine Earnshaw – ihr Buch«, und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich klappte das Buch zu und nahm ein anderes zur Hand, dann noch eines und noch eines, bis ich sie alle durchgeblättert hatte. Catherines Bibliothek war auserlesen, und der abgenützte Zustand der Bücher bewies, dass sie häufig in Gebrauch gewesen waren, wenn auch nicht unbedingt immer ihrem eigentlichen Zweck entsprechend. Kaum ein Kapitel war von handschriftlichen Anmerkungen, oder dem, was zumindest so aussah, verschont geblieben, sie bedeckten jede noch so kleine Stelle, die der Drucker freigelassen hatte. Manchmal handelte es sich um unzusammenhängende Sätze, andere Passagen wiederum sahen aus wie ein regelrechtes Tagebuch, in einer unbeholfenen, kindlichen Handschrift hingekritzelt. Oben auf einer leeren Seite (die wohl einen Schatz darstellte, als sie entdeckt worden war), erblickte ich zu meinem großen Vergnügen eine ausgezeichnete Karikatur meines Freundes Joseph, der zwar nur grob, aber treffend skizziert war. Ein plötzliches Interesse für die unbekannte Catherine entflammte in mir, und ich fing sofort damit an, ihr verblasstes Gekritzel zu entziffern.

»Ein schrecklicher Sonntag«, begann der Absatz unter der Zeichnung. »Ich wünschte, mein Vater wäre wieder bei uns. Hindley ist ein grässlicher Ersatz für ihn, sein Benehmen gegenüber Heathcliff ist scheußlich. H. und ich werden uns auflehnen. Heute abend haben wir den ersten Schritt dazu getan.