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Tirol aus nächster Nähe

Zeitzeugen im Gespräch

Herausgegeben von Tiroler Tageszeitung,

ORF Tirol und Casinos Austria

Inhaltsverzeichnis

Dr. Karl Stoss: Eine sechsteilige Erfolgsstory 7

Hermann Petz: Persönlichkeiten, ganz persönlich … 9

Helmut Krieghofer: Eine Vielfalt an Erfahrungen 11

Fred Steinacher: Geschichten aus der Vergangenheit14

Bernhard Aichner: Eine spannende Reise16

Alois Vahrner über Michael Seeber:

Elke Ruß über Elisabeth Zanon:

Denise Daum über Elisabeth Gürtler:

Michael Domanig über Christof Grassmayr:

Toni Zangerl über Gretl Patscheider:

Mario Zenhäusern über Sixtus Lanner:

Bildnachweis 203

Eine sechsteilige Erfolgsstory

Stoss_1_c_Huger_H0A5775.jpgDr. Karl Stoss, Generaldirektor der Casinos Austria AG

Der große Erfolg der Zeitzeugengespräche im Casino Innsbruck wird mit der vorliegenden Auflage des nunmehr sechsten Buches weiter verlängert. Darin aufgezeichnet sind die Gespräche von Bernhard Aichner mit sechs Persönlichkeiten, die maßgeblichen Anteil an den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Landes hatten und haben. In mit viel Feingefühl geführten Interviews haben Aichners Gesprächspartner sehr persönliche Einblicke gewährt und uns die Erlebnisse längst vergangener Zeiten anschaulich dargestellt.

Ihnen sei hier gedankt, denn um es mit den Worten des preußischen Gelehrten und Staatsmannes Wilhelm von Humboldt zu sagen: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“. Ein Teil der Vergangenheit wurde in den Zeitzeugengesprächen aufgearbeitet und dank dieses Buches für die jüngeren Generationen sowie für unsere Nachkommen festgehalten.

Mein Dank gilt natürlich auch unseren Kooperationspartnern, der Moser Holding und dem ORF-Landesstudio Tirol. Sie haben durch die begleitende, umfangreiche Berichterstattung zum erfolgreichen Gelingen dieser Veranstaltungen ebenso beigetragen wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Verantwortlichen des Casinos Innsbruck.

Liebe Leserinnen und Leser, nach insgesamt 36 Zeitzeugengesprächen ist dieses Vorwort im sechsten Zeitzeugen-Buch gleichzeitig mein letztes, da ich mich nach zehn Jahren Tätigkeit als Generaldirektor aus dem Vorstand der Casinos Austria und Österreichische Lotterien Gruppe zurückgezogen habe.

Ich wünsche Ihnen eine spannende und aufschlussreiche Lektüre und alles Gute für die Zukunft.

Herzlichst,

Dr. Karl Stoss

Generaldirektor

Casinos Austria AG

Persönlichkeiten, ganz persönlich …

Petz_Aichner.jpgHermann Petz, Vorstandsvorsitzender der Moser Holding

Drei Frauen, drei Männer! Erstmals im Rahmen unserer in der Zwischenzeit schon traditionellen Serie „Zeitzeugen im Gespräch“ ist es uns gelungen, sozusagen ein ausgeglichenes „Kräfteverhältnis“ zu schaffen. Wir durften in diesem ersten Halbjahr 2017 sechs Persönlichkeiten genießen, deren Geschichten sowohl begeisterten wie auch dem jeweils sehr aufmerksamen Publikum interessante Einblicke in die persönliche Vergangenheit vermittelten. Ausschlaggebend dafür? Ich habe es als großartig empfunden, wie locker Bernhard Aichner durch die Abende führte, abwechselnd behutsam und dann wieder forsch hinterfragte und so den Zuhörern im Casineum die erlebte Zeitgeschichte unserer Protagonisten intensiv näherbrachte.

Diese Erinnerungen aufzuzeichnen und gemeinsam mit dem Haymon Verlag in einer Buchreihe zu dokumentieren, hat schon einen besonderen Reiz. Nicht zuletzt deshalb, weil wir alle dadurch seit Jahren – aus nächster Nähe quasi – zu atemlosen Passagieren dieser ganz besonderen Erzählungen geworden sind und eintauchen durften in die Historie von Menschen, die mit und durch ihren Einsatz entscheidend zur heutigen Positionierung Tirols beigetragen haben.

Verbunden mit einem herzlichen Dank an unsere Zeitzeugen, an unsere Partner Casinos Austria und ORF Tirol, an den Haymon Verlag und vor allem an Bernhard Aichner wünsche ich einmal mehr höchstes Lesevergnügen mit „Tirol aus nächster Nähe“.

Hermann Petz

Vorstandsvorsitzender

der Moser Holding

Eine Vielfalt an Erfahrungen

Helmut_Krieghofer_2016.jpgHelmut Krieghofer, Landesdirektor des ORF Tirol

In der bereits sechsten Staffel der populären Gesprächsreihe „Zeitzeugen im Gespräch“ in Zusammenarbeit von Casinos Austria, Tiroler Tageszeitung und ORF Tirol ist die jüngere Zeitgeschichte Tirols einmal mehr lebendig geworden. An sechs Abenden haben jeweils Hunderte interessierte Tirolerinnen und Tiroler faszinierende Persönlichkeiten als Zeitzeugen im Gespräch mit Autor Bernhard Aichner als neuem Gastgeber erlebt.

Ein Tiroler Parade-Unternehmer ist Leitner-Eigentümer Michael Seeber. Er schildert eindrucksvoll seinen erfolgreichen Weg vom verkrachten Südtiroler Studenten zum Chef eines globalen Seilbahnunternehmens. Besonders bewegend sind Seebers ganz persönliche Erinnerungen an einen schweren Skiunfall, infolge dessen er im Koma lag.

Spannende Politik-Geschichten aus erster Hand kann die frühere Gesundheitslandesrätin Elisabeth Zanon erzählen. Nach ihrem unfreiwilligen Ausstieg aus der Politik ist sie in ihren erlernten Beruf als plastische Chirurgin zurückgekehrt. Sie befasst sich mit medizinischen Möglichkeiten, aber auch ethischen Grenzen der Schönheitschirurgie.

Als Grande Dame der österreichischen Wirtschaft gilt Elisabeth Gürtler. Sie ist ehemalige Chefin des legendären Hotels Sacher, Direktorin des Hotels Astoria in Seefeld und Leiterin der Spanischen Hofreitschule. Einen großen Teil ihrer Kindheit hat sie in Tirol verbracht. Heute pendelt sie zwischen Wien und Seefeld.

Ein Urgestein der ÖVP ist Sixtus Lanner aus der Wildschönau. Der Bauernbub machte eine steile Karriere, wurde im Alter von 33 Jahren Chef des Bauernbundes und später dann ÖVP-Generalsekretär. Viele Anekdoten aus der damaligen Zeit – von Bruno Kreisky bis Udo Proksch – regen zum Schmunzeln an.

Christof Grassmayr, Seniorchef der traditionsreichen gleichnamigen Innsbrucker Glockengießerei, gilt als „Herr der Glocken“. Er kennt die Geschichte des ältesten handwerklichen Familienbetriebes Österreichs (seit 1599) wie kein Zweiter und erzählt sie mit viel Humor. Voller Begeisterung führt Christof Grassmayr auch durch das familieneigene Glockenmuseum in Innsbruck.

Eine hartnäckige Kämpferin mit viel Herz ist Gretl Patscheider. Die Oberländer Erfolgsunternehmerin und frühere Frauenvorsitzende der Tiroler Volkspartei erzählt eine sehr bewegende Lebens- und Erfolgsgeschichte. Dazu gehören auch Patscheiders Erfahrungen und Enttäuschungen in ihrem Bestreben, den Frauen in der Politik mehr Bedeutung zu geben.

In den „Zeitzeugen“-Gesprächen haben alle diese außergewöhnlichen Persönlichkeiten faszinierende Lebensgeschichten erzählt. Im „Trommelfell“ von ORF Radio Tirol waren die Höhepunkte aus den einzelnen Interviews bereits zu hören. Ich darf Ihnen eine kurzweilige Lektüre mit den ausführlichen Lebensgeschichten der „Zeitzeugen“ wünschen.

Helmut Krieghofer

Landesdirektor

ORF Tirol

Geschichten aus der Vergangenheit

zeitzeugen_nairz_0216.jpgProjektkoordinator Fred Steinacher

Und die Erfolgsgeschichte unserer Zeitzeugen-Serie geht weiter – der beste Beweis dafür ist der nunmehr vorliegende bereits sechste Band. Vollgepackt mit Erzählungen, Erinnerungen faszinierender Menschen, die uns in den von Bernhard Aichner meisterhaft moderierten Gesprächen mitgenommen haben auf eine Zeitreise der besonderen Art.

Dass diese Ausflüge in die Vergangenheit einem Krimi glichen, hat aber nichts mit dem Erfolgsautor zu tun, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die Welt, in die wir gemeinsam eintauchen durften, eine spannende, aufregende war; voll mit Herausforderungen, Abenteuern, geprägt von Visionen und Unternehmergeist. Geschichten aus der Glitzerwelt des Sacher, über den Aufbau eines Imperiums, die Bewahrung von Traditionen, den Einsatz neuester medizinischer Technik, von einer Frau, die den Männern der Politik trotzte, oder einem Mann, der österreichische Politik mitgestaltet hat. Redakteure der Tiroler Tageszeitung haben einmal mehr mitgeschrieben, nachgefragt und präsentieren nun in diesem Band Porträts herausragender Menschen, die in vielen Bereichen Großes und Nachhaltiges geschaffen, ihren Nachfolgern und dem Land ein Vermächtnis für die Ewigkeit hinterlassen haben.

Ein herzliches Dankeschön allen Zeitzeugen, den Redakteuren für die Storys, Bernhard Aichner für seine erfrischende Gesprächsführung sowie den Gönnern und Sponsoren dieser Serie.

Viel Spaß bei der Lektüre.

Fred Steinacher

Projektkoordinator

Moser Holding

Eine spannende Reise

Aichner_Nov_2011_fotowerk_aichner.jpgBernhard Aichner, Autor und Moderator der Zeitzeugengespräche

Es ist eine große Freude für mich, Teil dieses wunderbaren Projektes zu sein. Als Moderator der Zeitzeugenserie 2017 durfte ich sechs wunderbare Tirolerinnen und Tiroler kennenlernen, Menschen, die dieses Land geprägt haben, deren Geschichte aufwühlend, spannend und vorbildhaft ist. Jedes einzelne Gespräch war berührend und inspirierend, politisch, wirtschaftlich und menschlich. Zu sehen, dass jedes Mal Hunderte Menschen ins Casino Innsbruck kommen, um diesen Lebensgeschichten zu lauschen, ist wundervoll. Das Interesse war überwältigend, und die Tatsache, dass durch dieses Buch nun alle in den Genuss der diesjährigen Zeitzeugengespräche kommen, freut mich ganz besonders.

Ich wünsche allen viel Vergnügen beim Lesen der von den Redakteuren der Tiroler Tageszeitung wunderbar recherchierten Geschichten.

Erleben Sie ein Stück Tirol – lauschen Sie unseren Zeitzeugen!

Bernhard Aichner

Moderator Zeitzeugengespräche

Ein Leitwolf, der dem Glück die Tür aufmachte

Von Alois Vahrner

Zeitzeugen_Seeber_8890.jpgDer Seilbahnexperte Michael Seeber im Zeitzeugengespräch mit Bernhard Aichner.

Der richtige Riecher für Chancen, die sich ergeben. Der Mumm und Mut, diese auch beim Schopf zu packen, trotz aller gerade im Wirtschaftsleben oft noch absehbaren Risiken. Die moralische Einstellung, dabei den Bogen mit Blick auf Umwelt und Mitarbeiter nicht zu überspannen, sondern verantwortungsvoll zu handeln. Der Intellekt, voraus und quer zu denken und dabei sich anbahnende Möglichkeiten und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Und das Glück, dass bei all dem im Wirtschaftsleben zu nehmenden Risiko trotzdem nichts Fundamentales schiefläuft. Das alles sind Eigenschaften, die wirklich erfolgreiche Unternehmer und Manager auszeichnen. Und all diese Eigenschaften treffen in besonderem Maße auf den ersten Gast der modernisierten und runderneuerten Zeitzeugen-Staffel 2017 von Tiroler Tageszeitung, ORF Tirol und Casinos Austria zu: Der Mehrheitseigentümer der global erfolgreich tätigen Südtiroler Unternehmensgruppe Leitner, Michael Seeber, stellte sich im ausgezeichnet besuchten Innsbrucker Casineum den Fragen des auch weit über Tirols Grenzen hinaus bekannten und erfolgreichen Krimi-Starautors Bernhard Aichner.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – oder mit Blick auf verschiedene Internet-Giganten aus dem Silicon Valley von Bill Gates bis Facebook-Gründer Marc Zuckerberg bis hin zum neuen US-Präsidenten Donald Trump eher hin zum (Multi-)Milliardär: Das ist der von der US-Politik und Hollywood-Filmemachern so gerne gebrachte amerikanische Traum. Die Vorstellung, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten eben mit Tüchtigkeit tatsächlich alles möglich sei. Auf die Nebenwirkungen sowohl in sozialer wie auch in ökologischer Hinsicht wird bei so manchen Erfolgsgeschichten meist geflissentlich vergessen. Eine verantwortungslose Goldgräber-Mentalität ist Michael Seeber völlig fremd, trotzdem hat er aus kleinsten Anfängen Großes und Bleibendes geschaffen. Wie es Seeber vom „zerkrachten Juristen“, wie er sich gerne selbst bezeichnet, zum global tätigen Seilbahnkaiser gebracht hat, was seine obersten Prinzipien in Beruf und Privatem sind, was vor allem auch viel Glück mit Erfolg zu tun hat, welches umfassende Tirol-Bild er hat, wie er die weitere Zukunft des Tourismus in den Alpen sieht und warum auch die Kunst für ihn so essenziell wichtig ist – davon soll das folgende Porträt über einen der erfolgreichsten Wirtschaftskapitäne Südtirols und Gesamt­tirols erzählen. Einen Macher, Visionär und Leitwolf.

Michael Seeber ist am 19. Mai 1948 in Sterzing geboren. Sein Vater, der ursprünglich Priester werden sollte, im 1. Weltkrieg an der Front kämpfte, dort für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde und während eines Kurzurlaubs das Abitur absolvierte, führte in Sterzing seit 1932 eine Anwaltskanzlei. Seine Mutter Anni (eine geborene Lauda) hat österreichische Wurzeln und stammte aus Brixen. Dort besuchte Seeber das Wissenschaftliche Lyzeum (heute Realgymnasium). Der Vater erkrankte früh schwer, noch bevor Michael Seeber das Abitur machte. Für ihn war mit dem viel zu frühen Tod des Vaters eigentlich die weitere berufliche Karriere vorgezeichnet: Jurist zu werden und die Kanzlei in Sterzing zu übernehmen. Seeber, der sich selbst als „schlechten Schüler“ bezeichnet, hat das allerdings nur wenig interessiert. „Meiner Mutter zuliebe habe ich dann aber trotzdem begonnen, in Wien Jus zu studieren.“

Die Rechtswissenschaft war ihm allerdings „immer viel zu trocken und zu fad. Das galt auch beispielsweise für einfache Prozesse, die ich besuchte, wo es beispielsweise um Zollvergehen ging“. Und weil das persönliche Interesse an der Rechtsmaterie und der Paragrafen-Reiterei fehlte, ging beim Studium auch nur wenig weiter. „Ich habe schlecht studiert und mich um alles andere mehr gekümmert als um die Vorlesungen und Seminare.“ Sein Professor habe ihm bei einer Prüfung dementsprechend trocken ausgerichtet: „Wer sind Sie? Ich habe Sie bei meinen Vorlesungen noch nie gesehen.“ Das Jus-Studium ließ Seeber dann auch irgendwann sausen. „Das war einfach nicht meine Erfüllung, ich wäre sicher ein sehr schlechter Anwalt geworden.“

Stattdessen hatte Seeber ganz andere Interessen und Talente: Schon früh während des Studiums begann er, sich mit diversen Jobs sein persönliches Budget aufzubessern. Etwa, als er in einer Druckerei Skripten heftete. Und Seeber bewies schon sehr früh sein großes Gespür für Zahlen und für Geschäftschancen. Beispielsweise, als er in Nieder-und Oberösterreich bei Bauern alte Truhen, die diese nicht mehr haben wollten, durch neue Kästen ersetzte. Und die alten Truhen und Bilder machte er dann zu schönem Geld. Seeber arbeitete zeitweise auch in einer Betriebs-Beratungsgesellschaft, welche damals sehr stark im Osten tätig war. Er sprühte gerade vor Ideen und es war ihm immer klar: „Ich wollte etwas aufbauen.“ Seeber hatte immer schon ganz besondere Stärken: Er hatte Ideen, er verfolgte Strategien und Konzepte zielstrebig. Dabei tat er sich, wenn es ihm sinnvoll erschien, mit weiteren Fachleuten zusammen, die über das nötige technische Know-how verfügten.

Ganz besonderen Geschäftssinn bewies er, als er mit seinem Geschäftspartner Giuseppe Stefani im Jahr 1972 die Baufirma Seeste (steht für die Abkürzung der beiden Familiennamen Seeber und Stefani) gründete. Im Jahr darauf errichtete die Firma die erste Wohnanlage in Sterzing. Es war eine Gelegenheit, die andere zunächst nicht sahen. Ein Sterzinger besaß mitten in der Nähe des Stadtzentrums einen Baugrund, wollte offenbar aber nicht das Risiko eingehen, dort selbst etwas zu bauen. Seeber schlug ihm vor, dass er das Wohnprojekt auf sein eigenes Risiko bauen würde und er dafür aber einen Teil der Immobilie bekommt. Das Wohnhaus wurde für beide Seiten ein lohnendes Projekt. Ein erstes, dem noch viele weitere folgen sollten. Bei der Seeste war Seeber der Geschäftsanbahner, Stefani (der heute nicht mehr im Unternehmen tätig ist) der Techniker und Bauleiter. Bereits zehn Jahre nach der Gründung war die Seeste die größte Baufirma Südtirols. Seit der Zwangs-Italienisierung im Faschismus durch den Duce Benito Mussolini sei das Baugewerbe stark in italienischer Hand gewesen. Seeber setzte da einen starken Kontrapunkt.

Nach einigen Jahren folgten auch bereits die ersten Projekte im Ausland. Mit der Niederlassung in München wurde der erste Schritt auf den riesigen deutschen Markt gesetzt, Ende der 70er Jahre wagte Seeber zuerst den Schritt nach Algerien und dann nach Libyen. Vor allem aus Libyen bekam die Firma von der libyschen Regierung Aufträge zur Errichtung von Lagerhallen und Kasernen in Tripolis. „Es waren riesige und auf dem Papier äußerst lukrative Aufträge.“ Ein Lockruf und „Rausch“, dem auch etliche andere ausländische Firmen, gerade aus Italien, gefolgt waren. Die Zeiten änderten sich, als 1979 Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ans Ruder kam. Die Verbindungsleute und „Schutzengel“, mit denen man bisher im Kontakt war und die für einen halbwegs reibungslosen Ablauf sorgten, verschwanden teilweise. Etliche Firmen wurden enteignet. „In dieser Zeit haben wir viel Geld draufgezahlt“, erzählt Seeber. Um satte zwölf Millionen Dollar ist er umgefallen. Im Jahr 1980 war das ein beachtliches Vermögen. Teilweise war es zu dieser Zeit in Libyen auch hochriskant. „Es ist eine unglaubliche Geschichte: Aber weil in Libyen von Seiten der Regierung kein Geld floss, Bankschecks und Kreditkarten gab es damals in Libyen auch nicht, so mussten wir für unsere 180 bis 200 Mitarbeiter in Tripolis Bargeld aus Italien nach Libyen ‚schmuggeln‘, um ihre dringend benötigten Löhne zu bezahlen, aber insbesondere vor Ort die Lebensmittel und Getränke kaufen zu können.“

Glücklicherweise nahmen die meisten anderen Projekte, welche die Seeste anpackte, auch langfristig einen ganz anderen, weit positiveren Verlauf. Seebers Motto dabei lautete auch hier schon mutige Expansion. Ob in Deutschland, Österreich oder Polen. Schon früh wurden in verschiedenen Stadtteilen von München wie Schwabing, Grünwald, Bogenhausen oder Solln Wohnhäuser in bevorzugten Lagen im sogenannten „Bauherrenmodell“, und das zum Teil in Eigenregie, errichtet. Im Jahr 1989 wird nach dem Fall der Berliner Mauer der Sitz der deutschen Tochter nach Leipzig verlegt. Dutzende Wohnanlagen und Wohnhäuser wurden allein im Raum Leipzig gebaut, etwa der Dorotheenhof in Zusammenarbeit mit dem renommierten Architekten Prof. Adolfo Natalini aus Florenz. 1992 folgte der Start der polnischen Tochter­firma in Krakau. Seeste ging neben dem Erwerb verschiedener Baufirmen auch Beteiligungen an Touristikunternehmen ein, die auf dem Sektor Planung, Errichtung und Betrieb von Ferienanlagen und Apart-Hotels in Apulien, Sardinien, Südtirol und Osttirol spezialisiert waren.

Dann kam das Schlüsseljahr 1993. Die traditionsreiche Seilbahnfirma Leitner, die nach ihrer Gründung 1888 durch Gabriel Leitner vor allem ein Unternehmen für die Konstruktion und den Bau von Landmaschinen, Materialseilbahnen, Wasserturbinen und Sägewerken war, stand zum Verkauf. Sie gehörte damals drei Brüdern, die das Unternehmen von ihrem Vater geerbt hatten. Die Firma hatte große finanzielle Probleme, die Zukunft stand auf der Kippe. Zwei der drei Brüder verkauften an Seeber, Kurt Leitner behielt seine Anteile von gut 33 Prozent. Damals hatte das Unternehmen gerade einmal 25 Millionen Euro Jahresumsatz und beschäftigte 250 Mitarbeiter.

Ein Südtiroler Platzhirsch, das allerdings auch bei seinem Absatzmarkt: Beim Absatz von Sesselliften und anderen Aufstiegshilfen war man viel zu stark allein auf Südtirol und maximal auf die Nachbarregionen in Norditalien konzentriert. „Wehe, wenn da einmal ein Winter auslässt, wenn man nur auf ein Pferd setzt. Bei Seilbahnen ist jede Anlage absolut einzigartig und individuell, da kann nichts auf Lager hergestellt werden“, sagt Seeber. Das Unternehmen setzte auch auf fixgeklemmte Anlagen, und das habe damals keine Zukunft mehr gehabt. „Damals dachten viele, ich sei verrückt, dass ich mir dieses Abenteuer antue“, sagte der Südtiroler Unternehmer einmal. Leitner sei mit ihren Arbeitsplätzen für Sterzing natürlich eine wichtige Firma gewesen, daher habe er versucht sie zu retten. Seeber hatte freilich zunächst nicht vor, sich wegen seines Arbeits-Schwerpunkts bei der Seeste, zuerst in Leipzig und später auch in Wien, selbst um das operative Geschäft zu kümmern. So wurde zunächst ein deutscher Manager angeheuert, später dann ein italienischer, jeweils aber ohne Erfolg. Zumal die Firma weiter rote Zahlen schrieb, entschied sich Seeber dann, selbst das Ruder bei Leitner zu übernehmen. Unterstützt wurde er dabei von Finanzchef Werner Amort, aber auch von Martin Leitner, der für das Auslandsgeschäft verantwortlich war.

Seeber setzte erneut auf seine schon im Baubereich erfolgreich angewandte Strategie der Innovation und der Expansion – sowohl in neue Märkte als auch in neue Produktsparten. „Wer Erfolg haben will, muss in der Wirtschaft auch immer wieder Neues wagen.“ Seeber kaufte Firmen in Italien, in Österreich wie 1999 die Seilbahntechnik der Waagner Biro, wo man in der Folge aber mehr Probleme hatte als angenommen, weil viele aus der alten Mannschaft noch halbe Beamte waren. „Zudem wurden wir plötzlich durch den Ankauf des Seilbahnbereiches in den tragischen Unfall von Kaprun verwickelt. Nur durch ganz großen Einsatz ist es schlussendlich gelungen, die durch den berühmten amerikanischen Rechtsanwalt Fagan in Amerika zugestellten Schadensersatzklagen abzuwenden und somit zu beweisen, dass wir in keiner Weise Verantwortung an dem Unfall hatten“, sagt Seeber.

In der Schweiz kaufte Leitner im Jahre 2000 die Borer Technik und ging in immer neue Märkte wie 1998 bei der Gründung der Tochtergesellschaft in den USA und der Übernahme von BM Lits Ltd. in Barrie in Kanada. „In den Vereinigten Staaten kaufte ich nur eine ganz kleine Firma, aber ich konnte dadurch auf dem wichtigen US-Markt Fuß fassen“, so Seeber über die Beweggründe. Im Jahr 2000 wurde auch der Grödner Pistenfahrzeughersteller Prinoth übernommen. 2005 wurde die Pistenfahrzeugsparte des Herstellers Camoplast (ehemals Bombardier) in Kanada gekauft, 2011 dann die beiden Beschneiungsanlagen-Hersteller Demac und Lenko. Die Palette des Wintersport-Angebots wurde dadurch kräftig ausgeweitet, ebenso die Anzahl der Länder, in denen man aktiv war. „In einem Land kann in einem Winter viel Schnee liegen, in einem anderen gar keiner. Allein die Streuung auf verschiedene Märkte reduziert das Risiko für einen Seilbahnhersteller massiv“, erklärt Seeber. Immer wieder seien Seilbahnfirmen in die Pleite gerutscht, weil sie zu sehr nur auf den Heimmarkt fokussiert waren. Im Markt kam es zu einer massiven Konzentration.

Den dicksten Fisch allerdings zog Seeber im Jahr 2000 an Land: den weit größeren französischen Seilbahnhersteller Pomagalski, der unter dem Namen Poma eine sehr starke internationale Marktstellung innehatte. Ein Geschäft, das auch von der französischen Politik zunächst kritisch beäugt wurde. Das offensive unternehmerische Konzept der Südtiroler überzeugte aber schließlich. „Pomagalski war viermal so groß wie Leitner, für den Kauf brauchten wir 165 Milliarden Lire, eine astronomische Summe. Da hätten wohl viele lokale Banken bei so einem Finanzierungsansinnen den Psychiater gerufen.“ Zwei große Institute (die UniCredit und die Banco Ambrosiano) glaubten an die Chancen des Deals und gingen den Expansionsweg aber mit, der Deal gelang.

Die Übernahme blieb vorerst geheim, weil die Anteile über die High Technology Investment (HTI) in Amsterdam abgewickelt wurden. Jedenfalls war die Leitner-Gruppe mit einem Schlag an der absoluten Weltspitze. Und im Gegensatz zu vielen internationalen Fusionen sei jene mit Pomagalski auch nachhaltig erfolgreich, betont Seeber. Frankreich sei ein großes und stolzes Land, man habe der Firma ihre weitgehende Eigenständigkeit gelassen, etwa indem der Verwaltungsrat weiterhin nur mit Franzosen besetzt war. „Das Wichtigste ist, alle Mitarbeiter auf eine neue und gemeinsame Zukunft einzuschwören.“ So könne die Integration von verschiedenen Firmenkulturen gelingen im Gegensatz zur Vorgangsweise, dass die aufkaufende Firma der anderen Befehle erteilt. „Vertrauen kann ich nur aufbauen, wenn ich selbst Vertrauen schenke. Dieser Weg hat sich in Frankreich und auch anderswo bewährt.“

Unterdessen ging auch der technologische Fortschritt im Seilbahnwesen mit hohem Tempo weiter. Immer leistungsfähiger, immer komfortabler lautet das Motto. Leitner spielte jetzt auch damit in der obersten Liga mit dem ganz großen Konkurrenten Doppelmayr aus Wolfurt und setzt immer wieder neue Höhepunkte: In Ratschings in Südtirol baute Leitner 1993 die erste Compact Station. 1998 folgte die erste kuppelbare Sesselbahn mit der neuen Antriebsstation in Wolkenstein, 1999 errichtete Leitner die weltweit erste Zweiseilumlaufbahn in St. Ulrich in Gröden. In Ladurns realisierte das Unternehmen ebenfalls 1999 die erste Sesselbahn mit Direktantrieb. Im Jahr 2000 transportierte der Leitner Skyliner während der 153 Tage geöffneten Weltausstellung Expo in Hannover nahezu neun Millionen Besucher. Die Station, insbesondere die Mittelstation, in welcher die Ausstellung „Mountain Mistery“ gemeinsam mit Reinhold Messner organisiert wurde, wurde von Matteo Thun designt. Auch im Jahre 2008 wurde von Leitner eine Verbindungsbahn in Saragossa im Rahmen der Expo mit dem Architekten Vicens Ramos errichtet. Im Jahr 2009 baute Leitner seine erste Dreierumlaufseilbahn, „Bozen-Ritten“, 2010 folgte die erste Zehner-Einseilumlaufbahn am Kronplatz. 2014 wurde in Bursa in der Türkei die längste Einseilumlaufbahn der Welt errichtet.

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Mit der MiniMetro in Perugia bewies Leitner die Kompetenz für urbane Transportsysteme (Foto: Unternehmensgruppe Leitner).

Weithin sichtbar ist diese Leitner-Seilbahn in New York (Foto: Unternehmensgruppe Leitner).

Mit_Holland_2015.jpgMichael Seeber mit dem früheren französischen Präsidenten François Hollande nach der Poma-Übernahme (Foto: Unternehmensgruppe Leitner).

Innovationen wurden forciert, auch der Schritt in neue Technologien wie etwa die Windkraft. So wurde 2003 aus der Synergie zwischen Seilbahn- und Windkrafttechnik die Leitwind-Windturbine entwickelt, in welcher der Direktantrieb als Generator dient. Die erste Windkraftanlage nahm in Mals im Vinschgau (in der Malser Haide ist es überaus windig) ihren Probebetrieb auf. Die Leitner-Gruppe wird zum ersten Komplettanbieter für Wintersport-Technologien und bietet Seilbahnsysteme, Pistenfahrzeuge, Beschneiungsanlagen und auf Wunsch auch noch die Windkraft als Stromerzeuger aus einer Hand an. Sozusagen ein „One-Stop-Shop“ für alle Bedürfnisse der Skigebiete.

Mit Hochdruck wurde auch an immer ausgefeilterer und effizienterer Technik und Technologie geforscht und gearbeitet. Im Zusammenhang mit dem im Jahr 1999 entwickelten DirectDrive wurde 2013 der LeitDrive-­Frequenzumrichter, eine laut dem Unternehmen besonders leise, umweltfreundliche und wirtschaftlich effiziente Antriebstechnik, entwickelt. Die Abwärme kann dabei für Heizung und Warmwasseraufbereitung verwendet werden. Im Jahr 2014 wird LeitControl eingeführt: Ein Tastendruck soll genügen, um mit dem neuen Steuerungssystem komplexe Arbeitsvorgänge bei Seilbahnen deutlich zu vereinfachen und die Gefahr von Bedienungsfehlern zu minimieren. Auch die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter sei deutlich verringert worden.

Seilbahnen sollten nicht nur stets komfortabler und noch leistungsstärker werden, sondern auch schöner, gab Seeber als Marschrichtung vor. Seit längerem wird daher mit Pininfarina, die auch die Ferraris designt, intensiv zusammengearbeitet. 2015 kam etwa Symphony, die neue Kabine im Pininfarina-Design, zum Einsatz. Für einiges Aufsehen in der Fachwelt sorgte auch der Leitner Premium Chair, das sind elegante Sportsitze in echtem Leder.

Seilbahnen der Unternehmensgruppe Leitner sind längst weltweit zu finden – hunderte in allen Alpenländern ohnehin, von Osteuropa bis in den Kaukasus, in Nordamerika und Asien. Dort verbindet eine 5,7 Kilometer lange Leitner-Seilbahn den Stadtteil Tung Chung mit dem auf einer künstlichen Insel errichteten Flughafen von Hongkong und dem darüber liegenden Hochplateau Ngong Ping. In der knapp 300 Kilometer von Peking entfernten Provinz Hebei wurde ein Skizentrum mit Feriendorf nach Südtiroler Vorbild errichtet. China, das mit fast 1,4 Milliarden bevölkerungsreichste Land, gilt auch im Wintersport als einer der künftig ganz großen Player und Zukunftsmärkte. Ein Schritt dorthin und wohl auch Initialzündung für milliardenschwere Investitionen in neue Skigebiete, neue Aufstiegshilfen, Hotels und Verkehrs- und andere Infrastruktur sind auch die im Jahr 2022 in der Region Peking stattfindenden Olympischen Winterspiele.

Für Seeber war klar, dass der Markt für Seilbahnen aus verschiedenen Gründen begrenzt ist. „Der Weltmarkt für Seilbahnen ist gerade einmal rund eine Milliarde Euro groß.“ Im Schnee und in den Bergen werde es immer schwieriger, Aufträge zu bekommen, da neue Skigebiete zumindest in den Alpenregionen von der Politik kaum mehr zugelassen werden. Daher suchte er schon frühzeitig nach neuen Möglichkeiten, für welche die Seilbahntechnik noch geeignet sein könnte. Global ist der Zuzug in die Städte ungebrochen, die Abwicklung des immer dichter werdenden Verkehrs stellt vielfach eines der ungelösten Probleme dar. Als sinnvolle Alternative etwa zu U-Bahnen oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln sieht Seeber daher auch Seilbahnen. Die ökologischen, verkehrstechnischen und raumplanerischen Eigenschaften einer Seilbahn seien für eine Stadt sehr interessant, sagt Seeber. So hätten Seilschwebebahnen einen geringen Platzbedarf, können in der Luft jedes Hindernis überqueren und seien daher auch zeitsparend. Außerdem gebe es zum Beispiel keine Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern und es genüge ein Motor, um mehrere Fahrzeuge zu bewegen, so das Argument. „Seilgezogene Transportsysteme in der Stadt ermöglichen nicht nur gute Aussichten für die Passagiere in den Kabinen, sondern auch für uns als Hersteller.“