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Nr. 2952

 

Wald der Nodhkaris

 

Ein Mann bricht ein Tabu – und trifft auf einen einzigartigen Menschen

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Gäste

2. Besuch

3. Fallen

4. Gruben

5. Legenden

6. Moschran

7. Entdeckungen

8. Vhor

9. Fundstücke

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet trotz allem zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Derzeit machen vor allem die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris von sich reden, einst ein von ES erwähltes und dann vertriebenes Volk. Dazu gesellen sich die Gemeni, die angeblich den Frieden in der Lokalen Gruppe im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen.

Mitten in diese Gemengelage hinein kehrt Atlan aus den Jenzeitigen Landen zurück – und landet auf einer fernen, fremden Welt zwischen menschlichen Nachkommen, die sich selbst Menes nennen. Doch es gibt einen Ort ohne Menschen, er nennt sich WALD DER NODHKARIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan da Gonozal – Der Arkonide erkundet einen Wald.

Fitzgerald Klem – Der Geheimagent fühlt sich Atlan verbunden.

John Pierce – Der Menes fragt nach einer Legende.

Vhor – Der Jäger befiehlt.

Xaadu – Das Leittier gehorcht.

1.

Gäste

SWORD OF CESSAIR

 

Kommandant Geo Rabsilber lehnte sich mit geschlossenen Augen im Sessel zurück und sprach Richtung Projektormikro. Er ignorierte das schlechte Gefühl in der Magengrube. Es gab Aufgaben, an die er sich nie gewöhnen würde, selbst nach all den Dienstjahren nicht, aber sie einem anderen zu überlassen, kam für ihn nicht infrage.

»Sehr geehrte Dyn Jarski. Ich betrauere das Ableben Ihres Mannes und bin in Gedanken bei Ihnen und Ihrer Familie. Jonathin Jarski war ein stets korrekter Offizier, ein Mann mit Prinzipien, der das Gemeinwesen Aller Menes bis zum Tod treu verteidigte. Wir haben es auch seinem Mut zu verdanken, dass die Schlacht gegen die Gauchen zu unseren Gunsten geschlagen wurde und unsere Heimat sicher ist. Sein Opfer soll niemals vergessen werden.«

Rabsilber hielt inne, öffnete die Augen und schaute auf die Holografie, die einen schneidigen Mann in den besten Jahren zeigte, der voller Tatkraft neben seinen Kameraden den Hauptkorridor der SHIELD OF CESSAIR entlanglief, drei Stunden vor der vernichtenden Explosion. Das Programm stellte Rabsilbers Worte und die Bilder automatisch zusammen, sodass eine berührende Kondolenzbotschaft entstand, die Jonathin Jarski kurz vor seinem Tod im Einsatz zeigte.

Obwohl es die zwanzigste Nachricht dieses Tages war, sprach Rabsilber jede einzelne individuell. Er hielt nichts davon, lediglich die Namen seiner Leute auszutauschen, auch wenn ihm das viel Arbeit erspart hätte. Es wäre ihres Andenkens unwürdig gewesen. Jeder einzelne der Gefallenen hatte in der Schlacht gegen die Gauchen vollen Einsatz gezeigt. Sie waren in der Überzeugung gestorben, das Richtige zu tun.

Einen Moment erinnerte sich Rabsilber an Jarski, den er wie die meisten Kommandanten der großen Kugelraumer persönlich gekannt hatte. »Jarski war ein Mann mit Humor, wusste, wie man eine Situation auflockert. Er war einer unserer besten Schwimmer, stets der Erste, wenn es darum ging ...«

Ein heller Summton erklang, die Aufnahme stoppte, und das Holobild wechselte automatisch. Das Gesicht einer hageren, groß gewachsenen Frau mit eisblauen Augen und stoppelkurzen Haaren erschien. »Kaltherz-Moni«, nannten die Soldaten sie hinter ihrem Rücken. Unter ihrem Konterfei standen Name, Rang und Datum: Monica Smitt, Erste Offizierin der SWORD OF CESSAIR, 8. Cucullatar 2853 p.S. – per Salutatem.

»Was gibt es?«, fragte Rabsilber.

Kaltherz-Monis Gesicht hatte einen ganz und gar ungewöhnlichen Ausdruck. Nicht einmal kurz vor Beginn der Auseinandersetzung mit den Gauchen hatte sie so ausgesehen. Etwas war passiert. Rabsilber richtete sich im Sessel auf, schenkte Smitts Anruf hundertprozentige Aufmerksamkeit.

»Nun ...«, brachte Smitt hervor. »Wir haben Gäste. Sie sind im Geheimen an Bord gekommen und haben die Zelle inspiziert, in der Sird Atlan gewesen ist. Nun wollen sie Sie sprechen. Konferenzraum Gold.«

»Die ›Golden Pearl‹? Das protzige Ding?« Eine Überraschung jagte die andere. Zuerst dieser Gesichtsausdruck Smitts, als hätte sie vor etwas Angst – was im Widerspruch zu ihrer Persönlichkeit stand – und nun das.

Konferenzraum Gold, umgangssprachlich »Golden Pearl« genannt, war so gut wie nie in Benutzung. Er gehörte den Reinigungsrobotern, die einen unbeobachteten, ewigen Wettkampf gegen den Staub austrugen.

»Es eilt«, sagte Smitt statt einer Antwort.

Rabsilber stand auf. Er wusste, dass er von Smitt keine weiteren Informationen bekommen würde, sonst hätte sie ihm die bereits ohne Nachfrage gegeben. »Bin unterwegs.«

Auf dem Weg durch das Flaggschiff fragte er sich, was das bedeuten könnte. War es Erstminister Whitecross, der das Zentparla verlassen hatte, um Rabsilber persönlich zur Rechenschaft zu ziehen? Bisher hatte es erstaunlich wenig Konsequenzen gegeben, was nicht zuletzt an seinem Rang und der Stellung innerhalb seiner Dynastie lag.

Rabsilber hatte Sird Atlan laufen lassen. Er hatte die Flucht des Fremden und seinen Anteil daran mehr schlecht als recht getarnt. Heimlichkeiten lagen ihm nicht.

Wenn Atlan da Gonozal nicht gewesen wäre, der geheimnisvolle ehemalige Admiral, der womöglich der Sternenwanderer war, hätte an diesem Tag viel mehr Arbeit vor Geo Rabsilber gelegen – oder gar keine mehr, weil sie das System und damit die Heimat verloren hätten. Das Eingreifen des Mannes hatte unzählige Leben gerettet.

Jemand wie Sird Atlan gehörte nicht in Handschellen oder hinter abgeschlossene Metalltüren. Wenn es nach Rabsilber gegangen wäre, hätte er dem Fremden höchstpersönlich einen Orden an die Brust geheftet.

Er legte den größten Teil der Strecke zu Fuß zurück. Der Gang durch den dreihundertfünfzig Meter durchmessenden Kugelraumer beruhigte ihn. Wer immer die Gäste waren – hochrangige Politiker oder Geheimdienstler, jemand anders kam wohl nicht infrage –, wäre es wirklich ein Notfall gewesen, hätte Smitt ihm das gesagt. Da wartete wohl eher jemand, den man nicht gerne warten ließ.

Als Rabsilber die »Golden Pearl« betrat, war es still wie auf einer Gedenkfeier. Die acht Wesen im Raum standen absolut reglos. Sechs von ihnen hatten sich neben der Treppe platziert, die nach unten führte, in das Podiumsrund des kugelförmigen Saals. Sie ragten wie Statuen unter der vermeintlich gläsernen, mit bunten Bildern bemalten Kuppel auf, die von goldenen Bauträgern gehalten wurde.

Keines der ... Wesen hatte auf den goldenen Polstern der Sitzreihen Platz genommen. Er hatte solche Geschöpfe noch nie gesehen.

Rabsilber spürte einen eiskalten Hauch, der über seine Halswirbelsäule strich. Äußerlich ließ es sich nichts anmerken, doch die sechs hoch aufragenden Tiergestalten, die auf ihren kräftigen Hinterläufen rechts und links von ihm standen, weckten Urängste. Sie mussten gentechnisch veränderte Hunde sein, die sich die Cucullaten für ihre Zwecke herangezüchtet hatten.

In der Flotte hatte vieles einen eigenen Namen, und Rabsilber fiel spontan einer für diese Biester ein: Fellhenker! Ganz offensichtlich waren sie tödliche Jagdinstrumente, gezüchtet, um den Feind zur Strecke zu bringen. Sie strahlten eine Entschlossenheit aus, die an Wahnsinn grenzte. Es würde Rabsilber nicht wundern, falls sie höchstes ein Kopfschuss von einer Spur abhielt.

Diese fremdartigen Geschöpfe waren wie Wächter zu beiden Seiten der Treppe aufgereiht, sodass es sich anfühlte, als wäre Rabsilber zu seiner eigenen Hinrichtung bestellt. Er ging zwischen den mit Westen und Halsbändern versehenen Tieren auf ein siebtes zu, dass der Anführer des Rudels sein musste und das vor der Treppe stand.

Das Fell des Leittiers war schwarz, die Zähne noch länger und spitzer als die der anderen. Sie alle strahlten Kampfbereitschaft aus, den Willen, auf ein einziges Wort hin zu töten, ohne Gnade und ohne nach dem Warum zu fragen.

Der achte seiner Gäste war kein Fellhenker, er stand ein Stück abseits und wirkte gegen die Bestien beinahe unscheinbar. Er wies alle Rabsilber bekannten Charakteristika eines Nodhkaris auf, war aber deutlich größer. Statt der üblichen braunen oder beigefarbenen Gewandung mit Kapuze trug er einen schwarzen, vermutlich hochtechnisierten Kampfanzug, der ihn wie ein Panzer einhüllte.

Die feinen Rillen und Spalten in dem ungewöhnlichen Material irritierten Rabsilber. Er meinte, unter der dunklen Oberfläche eine vage Bewegung zu sehen, als würden sich Würmer durch schwarzen Teer schieben.

War das ein spezieller Nodhkari? Vielleicht ein hochrangiger Vertreter dieser Art? Jemand, der lange im Verborgenen gelebt hatte, und sich nun zeigte?

Der Nodhkari drehte sich langsam zu ihm um. Die vier tiefblauen Augen waren ausdruckslos, wirkten wie etwas Totes. Der längliche Spalt im Gesicht erinnerte an eine Wunde. »Du kommst spät.«

In der Nähe des Wesens fröstelte Rabsilber. Der Eindruck wurde durch die leicht knisternde Stimme verstärkt, die nach Wind in abgestorbenen Blättern klang, als stünden sie an einem kalten Wintertag im Wald. »Nun bin ich da. Wer bist du, und warum hast du mich rufen lassen?«

»Ich bin Vhor. Ein Gemen und Jäger aus dem Spross LORINA. Meine offizielle Bezeichnung lautet Ghatu. Ich will den Sternenwanderer.«

»Die LORINA?« Rabsilber meinte, den Boden unter sich schwanken zu fühlen. Hörten denn die Überraschungen an diesem Tag nie auf?

Die LORINA war ein Mythos! Angeblich ein Raumschiff, von dem die ersten Menes vor knapp dreitausend Jahren gerettet worden waren. Konnte dieses Schiff wirklich noch existieren?

Der schwarze Fellhenker kam näher, seine dunkle Nase zuckte. Ein Translator am Halsband übersetzte die bellenden und knurrenden Laute. »Es riecht wie in der Zelle. Atlan! Ich wittere ihn.«

»Gut gemacht, Xaadu«, sagte Vhor. Er senkte den Kopf, schaute Rabsilber beim Sprechen nicht an. »Du warst mit Atlan zusammen. Was kannst du mir über ihn sagen?«

Beiläufig berührte Vhor die schwarze Rüstung am Unterarm. Ein Bild von Atlan da Gonozal flammte auf. Es zeigte den hochgewachsenen Fremden mit den roten Augen und den schulterlangen, weißen Haaren.

Rabsilber ließ sich keine Unsicherheit anmerken. Er vermutete, dass diese Wesen Angst rochen, doch er hatte keine Angst. Was er getan hatte, hatte er mit reinem Gewissen getan – weil es das Richtige gewesen war. Nun würde er erneut das Richtige tun. »So gut wie nichts. Ich weiß nur, dass er uns entkommen ist.«

»In der Tat.« Vhors Stimme raschelte, als schliche eine Katze durch welkes Laub. »Deshalb bin ich hier. Ich werde ihn wieder einfangen.«

»Das könnte schwierig werden.«

Der gegabelte Spalt im unteren Gesichtsbereich des Ghatus verzog sich knisternd. »Ich denke nicht. Wenn er glaubt, dass er der Sternenwanderer ist, weiß ich, wo wir ihn finden werden.«

2.

Besuch

Gut Klem

 

Die Spannung in dem großen, von Holzwänden und Monitoren eingefassten Wohnraum lag spürbar in der Luft. Skadi und Fitzgerald Klem starrten einander an, als könnten sie nicht glauben, was sie gerade erfahren hatten.

Da hat dich Julian Tifflor tatsächlich an den richtigen Ort gebracht, gab der Extrasinn zum Besten. Dass die LORINA auftaucht, ist kein Zufall.

Natürlich nicht. Aber warum ist sie hier?

Deinetwegen vermutlich. Wie Skadi es gesagt hat. Nur vielleicht mit deutlich unangenehmeren Absichten, als die Ahnin denkt.

Der Gedanke gefiel mir wenig. Wollte man mich gefangen nehmen?

Skadi Klem presste die gefalteten Hände gegeneinander. »Der Spross LORINA ... Dass ich das noch erleben darf ...«

Ich sah ihr die Aufregung an. Sie ging zum Holokunstwerk in der Raummitte, das ein Schiff auf hoher See zeigte, und schaltete es ab. Die Segel und Masten erloschen. Stattdessen erschien die transparente, dreidimensionale Abbildung eines Raumschiffs, wie ich es nie zuvor gesehen hatte.

Es erinnerte vage an ein überdimensioniertes Ei, dem jemand einen spitzen Hut aufgesetzt hatte. Rillen und Furchen durchzogen seine Oberfläche, als gäbe es dort eine skurrile Landschaft aus Schluchten und Kratern. Das Schiff war tiefblau, erinnerte an die Kapsel eines Glockenbaums. Unter der blättrigen Oberfläche schienen sich riesige, in Nebel gehüllte Schlangen entlangzuwälzen. Die Bewegungen verwischten, kamen zum Erliegen und entstanden an anderer Stelle neu.

Vor dem Raumer stand die SWORD OF CESSAIR, das 350 Meter durchmessende Flaggschiff der Menes. Es machte sich gegen die LORINA wie ein Spielball aus. Der Spross war gut fünf Kilometer lang.

Eine tiefe Frauenstimme ertönte. »Auch in Port Morrison hat das Auftauchen des Sprosses für große Aufregung gesorgt. Ihr seht Bilder aus den Barros Hammingway und Whitecross.«

Die Szenerie wechselte und zeigte Menschenmassen mit Kunststoffschildern, auf denen Begrüßungsformeln prangten. Kurz darauf folgten Ausschnitte von Gruppen, die im Kreis im Schatten von Wohntürmen am Strand standen und sich an den Händen hielten, während Redner das Ende der Menes verkündeten.

Ein selbst ernannter Prophet fiel mir besonders auf. Sein Körper war klein und untersetzt, die braunen Augen weit aufgerissen. Er stand auf dem Dach eines sechsrädrigen, blauen Autos, von dem aus seine Stimme über den dichtbesuchten Platz hallte. »Es ist so weit! Die Gauchen kommen! Die erste Schlacht war nur der Anfang! Die LORINA wird uns aufnehmen und in eine neue Heimat bringen!«

»Unsinn!«, rief Skadi Klem, als hätte der junge Mann direkt mit ihr geredet. »Die Leute spielen verrückt!«

Wieder wechselte das Bild und präsentierte nun die Sprecherin, eine hübsche, ein bisschen streng aussehende Frau mit kurzen roten Haaren. Sie trug ein hochgeschlossenes Hemd, Metallfäden fielen ihr über die Schulter, wohl ein besonderer Schmuck. »Überall auf Cessairs Welt spielen sich ähnliche Szenen ab. Jeder will wissen, was es mit dem Auftauchen der LORINA auf sich hat. Unser Sender versucht seit einiger Zeit Kontakt zu bekommen. Wie es aussieht, möchte die LORINA sich in Kürze melden und zu allen Bewohnern des Systems sprechen. Wir halten euch auf dem Laufenden!«

Es folgten Impressionen, die sowohl Panik als auch Euphorie zeigten. An einem öffentlichen Holopunkt hatte es Verletzte gegeben, weil sich zu viele Menschen gleichzeitig nach vorne gedrängt hatten, um Bilder der LORINA zu sehen. Andernorts wurden wilde Empfangspartys gefeiert.

Fitzgerald Klem setzte sich auf eine Ecke der ausladenden Couchlandschaft. Er berührte das eisgraue Amulett, das an einer Kette um seinen Hals hing. »Ein ziemlich starker Auftritt, was?«

Skadi ging vor dem Nachrichtenholo auf und ab. »Du musst der Sternenwanderer sein, Sird Atlan! Die LORINA ist gekommen, um dich zu begrüßen.«

Ich hatte Zweifel, dass es um eine freundliche Kontaktaufnahme ging. Feliodor Whitecross, der Erstminister des Gemeinwesens Aller Menes, hatte mich festsetzen wollen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stand er mit den Nodhkaris zumindest in Verbindung, sofern sie ihn nicht lenkten wie eine Marionette. Die Nodhkaris wiederum mussten in irgendeiner Beziehung zu diesem Spross stehen. Womöglich war er ein Raumschiff ihrer Ahnen, oder sie waren ein Zweigvolk, das aktiv Raumfahrt betrieb.

Das Gesicht der Nachrichtensprecherin vergrößerte sich sprunghaft. Ihre Stimme zitterte. »Es ist so weit! Der Spross meldet sich!«

Das Konterfei verschwand. An seiner Stelle wuchs der Kopf eines Wesens, das wie ein Nodhkari aussah, aber deutlich größer war. Es hatte den gleichen stämmigen Hals, der sich nach oben leicht verjüngte, den typischen Gesichtsspalt und vier dunkelblaue Augen, die glänzten wie poliert. Auf seinem Kopf ragten vier Spitzen aus einer Art Helm auf, als trüge es eine bizarre Krone.

Am Auffälligsten war das blauviolette Gewand. Es schien aus einem ungewöhnlichen Material zu bestehen, das der blättrigen Gesichtshaut ähnelte, und machte mich neugierig. Ich hätte es gerne näher untersucht, auch um herauszufinden, ob es wirklich ein Kleidungsstück war oder ein Teil seines Trägers.

»Wir sind die Gemeni«, teilte das Wesen mit. Seine Stimme ähnelte denen der Nodhkaris. Sie war leise, knisterte wie brennendes Papier. »Mein Name ist Tharc. Ich bin der Bhal der LORINA und erinnere euch an das, was ist. Jener, der über euch wacht, hat euch in Verwahrung gegeben für den Fall eines Verlustes von allem.«

Ich erkannte die Worte wieder. Auch in der Geschichte, die Skadi Klem mir vorgelesen hatte, war davon die Rede gewesen. Die Superintelligenz ES hatte die Menes gerettet und sie in die Obhut der Nodhkaris gegeben. Warum nannten diese sich nun Gemeni und waren deutlich größer als die bekannten Nodhkaris des Planeten? Waren es Vorfahren, Nachfahren oder ferne Verwandte der Nodhkaris?

Ich stellte mich neben Skadi. »Die LORINA ist vor knapp dreitausend Jahren von der alten Heimat aus aufgebrochen. Damals hieß der Bhal ebenfalls Tharc. Seltsam, oder?«

Skadi presste den Daumen gegen die Unterlippe. »Die Bücher geben keine Auskunft über die Lebensdauer der Nodhkaris. Ich weiß nicht, wie lange ein Bhal lebt.«

Durch meinen Kopf gingen eine Menge Fragen. »Irgendetwas muss es damit auf sich haben. Eine Unklarheit ist, woher die Besatzung des Sprosses LORINA vom Sternenwanderer weiß. Aus den Aufzeichnungen Lorina Hammingways? Durch die Nodhkaris auf diesem Planeten, mit denen sie zweifellos in irgendeiner Verbindung stehen?«

Der Bhal lehnte sich vor. »Wir wissen, dass dies eine besondere Zeit für euch ist. Wir haben eine Botschaft für euch alle. Möglicherweise hat der Sternenwanderer endlich seinen Weg nach Cessair gefunden. Ihr erwartet ihn lange, sehnt euch nach ihm. Falls er gekommen ist, wäre es zur Freude aller. Doch wir müssen vorsichtig sein. Vielleicht ist ebenjener Sternenwanderer ein Hochstapler oder sogar ein Agent fremder Mächte! Die Gauchen verstehen es, zu täuschen. Einige der Nodhkaris, die auf eurer Welt leben, haben diese Vermutung geäußert. Wir sind gekommen zu helfen und dem nachzugehen. Deswegen bitten wir um eure Unterstützung. Wir wollen den Sternenwanderer finden. Wenn er ist, was er zu sein vorgibt, hat er nichts zu befürchten.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wer es glaubt.«

Skadi runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Ich meine, dass es auf eurer Welt zu viele Katastrophen gibt. Diese ganze Rettungsaktion der LORINA wirkt, als hätte jemand die Menschen vor allem deswegen hierher gebracht, um sie langfristig zu erforschen. Möglicherweise sind die Nodhkaris überhaupt nicht daran interessiert, den Sternenwanderer zu finden.

Ich weiß nicht, was genau dahintersteckt, aber ich weiß, dass mir wichtige Informationen fehlen. Ehe ich die nicht habe, laufe ich nicht in die Höhle des Löwen und biete mich ihm als Mittagshäppchen an.«

Die Tür öffnete sich, und der alte Butler Hugh trat in den Raum. Sein von Falten zerknittertes Gesicht hatte einen Ausdruck, als hätte ihn gerade jemand in einer wichtigen Rede vor dem Zentparla unterbrochen.

»Sird Fitz, es tut mir leid, erneut zu stören, aber ich weiß nicht, was das mit deinem Pok-Sheet ist. Dieses vermaledeite Gerät steht schon wieder auf Stufe Gelb!« Er hielt das flache Gerät mit spitzen Fingern, als wäre es ein verschmutztes Taschentuch.

Klem nahm das Sheet entgegen. »Danke, Hugh!«

Der Butler ging mit kleinen, gemächlichen Schritten aus dem Raum.

Klem betrachtete den Bildschirm. Sein Gesicht versteinerte. »Sird Atlan hat recht. Seine Bedenken sind begründet. Die Nachricht kam von einem Freund, der uns warnt. Die Gemeni halten Sird Atlan für einen falschen Sternenwanderer. Sie haben die Jagd auf ihn eröffnet.«

 

*

 

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ich fasste mich zuerst. »Was genau bedeutet das?«

Klem senkte das Sheet. »Das bedeutet, dass sämtliche Nodh-Hüter in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Ein Teil der Wächter wird dich jagen. Zusätzlich sind ein Jäger der Gemeni und ein Rudel aus sogenannten Felanden hinter dir her. Felanden scheinen von den Gemeni gezüchtete Tiere für Spezialeinsätze zu sein. Sie können jederzeit eintreffen! Du musst schnell von hier verschwinden.«

Skadi drehte sich zu Klem um, griff seine Hände. »Du wirst mit ihm gehen, Junge.«

Der Agent starrte sie an, als wäre sie verrückt geworden. »Was?«

Die Ahnin zeigte auf das eisgraue Amulett, das wie ein in sich gewundenes, offenes Dreieck geformt war. »Spürst du es nicht?«

Langsam hob Klem eine Hand, befühlte das ungewöhnliche Metall. Die Seiten des Amuletts waren winzig, gerade einmal fünf Millimeter lang. »Doch. Ich spüre etwas. Ich fühle mich zu Sird Atlan hingezogen. Es ist, als wäre da ein Aufleuchten.«

»Siehst du!«, sagte Skadi. »Es ist deine Aufgabe. Sird Atlan ist der Sternenwanderer, doch die Nodhkaris verkennen ihn. Bleib bei ihm, bis sich die Situation geklärt hat.«

»Das kann gefährlich werden«, warf ich ein. »Nicht, dass ich mich nicht über Unterstützung freuen würde, sehr sogar ... Aber ich kann nicht für Klems Sicherheit garantieren, wenn ich gejagt werde.«

Klem stand auf. »Ich bin Geheimagent. Ich kenne Gefahren. Gehen wir.«

Es überraschte mich, wie schnell er sich auf Skadis Vorschlag einließ. Lag es wirklich nur an diesem Anhänger?

Was heißt »nur«?, fragte der Extrasinn.