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Alana Abendroth

Bodymodification

Tattoos, Piercings, Scarifications
Körpermodifikation im Wandel der Zeit

2. Auflage November 2017
Titelbild: Thomas van de Scheck
www.tvds.de
Covermodel: Carlin

©opyright 2009 by Alana Abendroth
Lektorat: MetaLexis
Satz: nimatypografik

ISBN: 978-3-86608-112-3
eISBN: 978-3-86608-600-8

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Was ist eigentlich schön?

1Tattoos

1.1 Jahrhundertealt und immer wieder neu

Das Tattoo: Erfindung vs. Unfall – Berühmte Tätowierte der Jungsteinzeit – Tätowierte Frauen – Männer-Tattoos – Tätowierungen als Kriegslist – Wie die Farbe in die Haut kommt – Tätowieren international – Psychologie des Tätowierens

1.2 Matrosen, Mörder und Majestäten

Der Status quo ante in Europa – James Cook und seine Begleiter entdecken das Tätowieren auf Tahiti – James Cooks zweite Reise: Rückkehr mit einem Ureinwohner – Symbolik bei Seemannstattoos – Das Tattoo kommt ins Gefängnis – Tätowierungen im Goldenen Käfig: Tattoos in Adelskreisen

1.3 Kultur wird Kult

Jahrmarkttattoos – Die Erfindung des ersten elektrischen Tätowiergeräts – Tätowieren nach dem 2. Weltkrieg – Moderne Wilde (Punkkultur) – Tattoo-Revival – Übergangsriten – Neue Herausforderungen beim Hautstich

2Piercings

2.1 Kneifen, Stechen, Dehnen

Akzeptanz – Moderne Primitive und moderne Legende – Woher kommt das Piercen? – Die Wiederkehr des Ohrrings – Handwerker und Schlitzohren

2.2 Schock oder Schmuck?

Piercing im Europa der 70er – MTV und Piercing – Wer ist wo gepierct – Piercing-Berufsethos – Microdermals

2.3 Gepierct und doch nicht gepierct

Vegetarier-Festival in Thailand – Der Sonnentanz – Suspensionen – Temporär begrenzte Piercings/Play-Piercings – Sewings – Schmerz und Lust

3und was sonst noch wehtut

3.1 Scarification: Brandings und Cuttings

Brandmale als Glücksbringer – Brandmale und Wundmale im Mittelalter – Strafmarkierungen – Brandings heute – Strike-Brandings – HF-Brandings vs. Thermokauter-Brandings – Schmucknarben in frühen Kulturen – Strafnarben – Cuttings – Skin-Removal

3.2 Implantate

Yakuza-Beads – Schönheit, die unter die Haut geht: Implantate – Saline Injektion – Eyeball Implants

3.3 Verschönern oder Verstümmeln – eine Gratwanderung

Church of Body Modification – Stapling –Body-Art online – Zunge geritzt, Ohren gespitzt und Zähne gefletscht – Lieblingskörperteile zerteilen bringt doppelte Freude – Amputationen

Schlussbetrachtung

Moderne Primitive vs. moderne Zeiten

Literaturverzeichnis

Anhang

Preußische Gesetzsammlung 1932, Gesetzblatt Nr. 46 Badepolizeiverordnung vom 18. August 1932 (Bracht’scher Erlass auch «Zwickel-Erlass» genannt) und Gesetzblatt Nr. 56 Polizeiverordnung zur Ergänzung der Badepolizeiverordnung vom 28. September 1932.

Polizeiverwaltungsgesetz von 1931, 8. durchgesehene Aufl. von 1943 (ein «Gummiparagraph», der der Polizei weite Befugnisse einräumt).

Reichsministerialblatt für die Innere Verwaltung von 1938, Nr. 5 – Runderlass des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei vom 26.1.1938 über Schaustellungen auf Volksfesten und Vergnügungsplätzen

Einleitung

«Schönheit liegt im Auge des Betrachters»1 – aber ist es wirklich so? Entscheidet derjenige, der andere Menschen ansieht, was schön ist und was nicht? Wo wird der Maßstab angelegt? Wer legt fest, was unansehnlich ist? Wie objektiv und wie subjektiv ist Schönheit?

Schönheit ist keine absolute Größe, sie lässt sich nicht messen und verallgemeinern. Schönheit ist Moden unterworfen. Was früher mal schön war, muss heute lange nicht mehr dem Massengeschmack entsprechen. Und der Geschmack wandelt sich in immer schnelleren Takten. Die Modewelt kennt acht Kollektionen pro Jahr – wer heute eine schicke Kopfbedeckung trägt, läuft bereits Ende des Jahres mit einem alten Hut herum.

Vor diesem Hintergrund ist es beinahe anachronistisch, sich eine dauerhafte Körpermodifikation wie eine Tätowierung, ein aufgedehntes Lobe-Piercing oder ein Implantat zuzulegen. Läuft man doch Gefahr, bereits wenige Jahre später nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein.

Eine Körpermodifikation, die man damals noch nicht so nannte, die allerdings ab der Mitte des 19. Jahrhunderts en vogue war, war der so genannte Schmiss. Wer einen Schmiss trug, die Narbe eines Degenhiebs im Gesicht, wies sich damit als Akademiker und Mitglied einer schlagenden Verbindung aus. Der Schmiss sollte Tatkraft und Unerschrockenheit symbolisieren und den Träger als wagemutigen Mann charakterisieren, der vor bedrohlichen Situationen nicht zurückschreckt. Und wer noch ein wenig verwegener erscheinen wollte, färbte seinen Verband stellenweise mit schwarzer Tinte ein, um eine tiefe Wunde vorzutäuschen. Nicht selten bezahlte er diese Angeberei dann mit seinem Leben, weil die schwarze Farbe zu einer Infektion führte.2 Um eine schöne Narbe zu bekommen, legte so mancher ein Rosshaar in die offene Wunde oder kratzte den Wundschorf immer wieder ab. Ein Jurist oder Mediziner ohne Schmiss war undenkbar. Wer die Mensur, den studentischen Zweikampf mit Degen, scheute, sich aber trotzdem in der anschließenden Berufszeit im Deutschen Kaiserreich einen furchtlosen Anschein geben wollte, ließ sich vom Arzt seines Vertrauens ein Cutting machen, was ja damals noch nicht so hieß. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam diese Art des Männerschmucks aus der Mode. Der Schmiss war zum Symbol einer vergangenen Zeit geworden und Schmissträger wurden beargwöhnt.

Ob es den heutigen Trägern von Brandings oder Cuttings auch mal so geht, dass ihre Schmucknarbe – bei deren Entstehung ja auch das Ertragen und Überwinden von Schmerzen zum eigentlichen modifizierenden Akt mit dazugehört – belächelt wird, weil sie so unendlich aus der Mode gekommen ist?

Ist eine Körpermodifikation gar ein Kennzeichen von Stillstand beim Träger? Ist es dieses «Verweile doch, du bist so schön», das Goethes Faust wegen der Gefahr, seine Seele an den Teufel zu verlieren, vermeiden will? Möglich, dass gerade mit der Körpermodifikation Faust Mephisto hätte überlisten können, indem er den Moment verstreichen lässt und zur Erinnerung ein Zeichen setzt.

Und mit dem «Zeichen setzen» nähert man sich der ursprünglichen Bedeutung von Tätowierungen, Piercings und Scarifications. Der Träger sollte markiert werden. In Zeiten, zu denen noch keine Personalausweise existierten und Geburten nicht taggenau schriftlich registriert wurden, hatten Markierungen auf der Haut den Status, die Reife und die Eingebundenheit in eine Gemeinschaft beim jeweiligen Träger zu dokumentieren. Es mussten Hinweise gegeben werden: Ist das hier noch ein Kind oder ist diese Person schon als geschlechtsreif einzustufen? Ist diese Frau noch ungebunden oder hat sie einen Mann und Kinder? Gehört mein Gegenüber zu meinem Clan oder ist er ein völlig Fremder? Mit komplexen Zeichensystemen, die von den Angehörigen eines Kulturkreises gedeutet werden sollten, mussten Neulinge einer Gemeinschaft markiert werden, damit sie auch ein Teil der Gruppe werden konnten und so auch den Schutz der Gemeinschaft genießen konnten. Die Schmuckfunktion kam erst an zweiter Stelle dazu.

Im Zuge der Christianisierung gerieten vorchristliche Traditionen in den Hintergrund. Erst als sich zu Beginn der Neuzeit – und in der Gewissheit, dass die Erde doch keine Scheibe ist – Entdecker und Weltreisende auf den Weg ins Unbekannte machten, brachten sie alte Fertigkeiten zur Körpermarkierung wieder zurück nach Europa. Eine Wiederbelebung erfuhren diese Traditionen erneut im 20. Jahrhundert und es wurde Mode, seinen Körper auf archaische Art zu verschönern.

Wenn jedoch so viele Menschen ein Tattoo, ein Piercing oder ein Branding tragen, wo bleibt denn da das Individuelle im Massenphänomen Körpermodifikation?

Die Globalisierung des Massengeschmacks bei Body Modifications wäre sicher ohne die internationalen Musiksender und das Internet nicht denkbar gewesen. Und wenn Körpermodifikation zum Inhalt von Fernsehformaten wird und dort die Besonderheiten des jeweiligen Tattoos gefeiert werden, dann scheint es auch kein Tattoo ohne Bedeutung zu geben. Coolness ist nicht Grund genug.

Ein herzlicher Dank für die Hilfe bei der Suche und dem Auffinden von Quellenmaterial gebührt Frau Dr. Ursula Hartwieg, Fachreferentin des Sondersammelgebiets Rechtsgeschichte von der Staatsbibliothek zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz). Sehr hilfreich und erhellend waren auch Schriftwechsel und Gespräche mit Stephan vom EXPAND-Magazin, Marcus vom Studio Trust in Mannheim und Alexandra vom Studio Körperkult in Bad Homburg.

1 Beauty is in the eye of the beholder / Margaret Wolfe Hungerford (née Hamilton) The Duchess In: Molly Bawn, 1878. Dieser Ausspruch wird aber auch dem schottischen Erkenntnistheoretiker David Hume in den Mund gelegt.

2 http://de.wikipedia.org/wiki/Mensur_(Studentenverbindung) und http://de.wikipedia.org/wiki/Schmiss

1

TATTOOS

1.1. Jahrhundertealt und immer wieder neu

Das Tätowieren ist eine alte und weltweit sehr verbreitete Kulturtechnik. Es lässt sich nur schlecht eine einzelne Kultur als Erfinder des Tätowierens ausmachen, die dann diese Tradition an andere Völker weitergegeben haben könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit, Farbe unter die Haut zu bringen, zufällig entdeckt wurde, das Ergebnis als schön oder wenigstens ungewöhnlich empfunden wurde und man dann begann, diese Technik zu kultivieren. Diese zufälligen Male werden heute auch Schmutztattoos genannt.

Wie leicht ein spitzer Gegenstand Schmutz, Farbe oder Tinte unter die Haut bringen kann, haben viele möglicherweise als Schüler erlebt, wenn sie sich oder ihren aufsässigen Banknachbarn mit der Spitze des Füllfederhalters gestochen haben und am Ende ein kleiner blauer Fleck blieb.3 Unseren Vorvätern und -müttern dürfte es beim Hantieren mit spitzen Gegenständen wie Faustkeilen und Pfeilspitzen bei gleichzeitigem Gebrauch von Asche und färbenden Pflanzenteilen ähnlich ergangen sein.

Es ist davon auszugehen, dass die Körperbemalung älter ist als das Tätowieren. Sei es, dass die Bemalung zur Verschönerung des eigenen Körpers aufgebracht wurde, um sich für das andere Geschlecht attraktiver zu machen oder um traditionellen Riten der Heilung oder des Übergangs von einem Lebensabschnitt zum nächsten innerhalb einer Gemeinschaft einen feierlichen Rahmen zu geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei diesen Praktiken Farbe in frische Verletzungen eingerieben wurde und später als Farbmal zurückblieb, ist sehr groß. Und da sich Ursache und Wirkung aufgrund des fehlenden medizinischen Wissens für unsere Vorfahren nicht immer sofort erschlossen, scheinen einige Völker davon ausgegangen zu sein, dass von den Farbmalen, die zurückbleiben, nachdem Pflanzensäfte und Asche-, Ruß- oder Kohle-Bestandteile auf die Haut gerieben wurden eine heilende bzw. schützende Kraft ausging.

Die Anfänge und auch die Beweggründe vorsätzlich eingebrachter Farbmale liegen allerdings wegen einer nicht vorhandenen schriftlichen Überlieferung im Dunkeln. Eine Schrift erfanden die meisten Kulturen erst danach. Anhand der Funde aus den verschiedensten Regionen, die bislang dokumentiert sind, müssen wir versuchen, Zusammenhänge herzustellen.4

Der spektakulärste Fund in Europa war die mumifizierte Leiche eines Mannes, der 1991 am Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen gefunden wurde5. Untersuchungen der Universität Innsbruck stellten fest, dass es sich bei der Mumie um einen Mann aus der Jungsteinzeit handelt, der gut 5.300 Jahre alt ist.

Auf der Mumie, die aufgrund ihres Fundortes auch Ötzi genannt wird, wurden 15 Tätowierungsgruppen gefunden, die sich aus 47 Einzeltätowierungen zusammensetzen. Die Tätowierungen waren aus Kohlenstaub und es wird vermutet, dass die Farbmale aus therapeutischen Gründen angebracht wurden.

Die parallelen Linien befanden sich im Lendenbereich und einige Streifen um seinen rechten Fußknöchel. Des Weiteren trug er eine Tätowierung in Form eines Kreuzes am Knie und einige Punktierungen an klassischen Akupunkturpunkten. Die sichtbaren Punktierungen kommen daher, dass Heilkräuter mit Nadeln unter die Haut gebracht wurden und Rückstände hinterlassen haben. Diese Vorgehensweise ist auch von anderen Völkern bekannt. Dass es sich um therapeutische Male gehandelt haben muss, schlossen die untersuchenden Wissenschaftler daraus, dass er unter diesen Tätowierungen Abnutzungen bzw. Verletzungen an Gelenken und Knochen im Körper hatte, die ihm Beschwerden verursacht haben mussten.

Aus der Jungsteinzeit sind auch Tätowierungen aus Japan bekannt. Allerdings kann man in Japan nicht auf Mumienfunde, sondern lediglich auf Keramikfunde verweisen, die eindeutig Personen mit einschnittartigen, farbigen Mustern darstellen.6

Ab ca. 2000 vor unserer Zeitrechnung sind Tätowierungen auf drei ägyptischen Frauenmumien nachweisbar. Mumienfunde sind sehr selten – insbesondere aufgrund der Grabräubereien des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Die bisher gefundenen Mumien weisen Tätowierungen auf Ober- und Unterbauch sowie auf Schultern, Armen und Oberschenkeln auf.

Auch für Ägypten belegen Keramikfunde, dass bereits ab dem 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung tätowiert wurde, hier waren es hauptsächlich Abbildungen auf den inneren Schenkelseiten. Erste Tätowierwerkzeuge wurden in Gurob in Nordägypten gefunden und können auf das Jahr 1450 vor unserer Zeitrechnung datiert werden.7

Bemerkenswert ist, dass im antiken Ägypten ausschließlich Frauen tätowiert wurden. Die männlichen Ausgräber der Neuzeit gingen – auf ihre Erfahrungen der Gegenwart zurückgreifend – davon aus, dass es sich bei den ausgegrabenen Mumien um Damen mit zweifelhaftem Lebenswandel gehandelt haben musste. Im besten Fall nahmen sie an, dass sie hier einbalsamierte Tänzerinnen oder kaiserliche Konkubinen vor sich hatten. Eine dieser Mumien wiesen die Inschriften jedoch als die Hohepriesterin Amunet aus. Das erstaunte die meist männlichen Ausgräber sehr.8

Archäologen waren lange davon ausgegangen, dass Tätowierungen genutzt wurden, um Prostituierte zu kennzeichnen, oder dass Frauen diese Tätowierungen zum Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten bekommen haben. Nach dem Fund der Hohepriesterin Amunet ist aber auch in Betracht zu ziehen, dass die Zeichen eine therapeutische Wirkung haben und bei Frauen als dauerhaftes Amulett während der schwierigen Zeiten von Schwangerschaft und Geburt wirken sollten. Diese These wird dadurch unterstützt, dass die Zeichen an Stellen auf dem Körper angebracht sind, die in Zeiten von Schwangerschaft und Geburt besonders exponiert sind: am Ober- und Unterbauch, an den inneren Schenkeln, an den Brüsten. Auch die Perlschnurmuster der Tattoos am Bauch weisen auf die spezielle Schutzfunktion hin – sie sollen das Kind im Bauch halten und Mutter und Kind vor einer Fehlgeburt schützen. Die Perlschnurmuster an den inneren Oberschenkeln haben die Aufgabe, eine sichere Geburt zu garantieren. Neben den eigenen Tätowierungen der Frauen gab es auch kleine Figuren der Göttin Bes, der Beschützerin der arbeitenden Frau, die im Haus aufgestellt wurden. Es kam auch vor, dass Abbildungen der Göttin Bes auf die Schenkel tätowiert wurden.

Dies erklärt auch, warum diese speziellen Tätowierungen nur von Frauen getragen wurden.9

In der nordafrikanischen Region waren Tattoos nicht ungewöhnlich und Nachbarvölker scheinen sich gegenseitig beeinflusst zu haben. Die Nubier im Süden Ägyptens waren dafür bekannt, dass sie Tattoos als dauerhafte Körperverschönerung verwendeten. Überreste von mumifizierten Körpern von Menschen aus der so genannten C-Gruppe, einer vorgeschichtlichen Kultur in Unternubien, belegen, dass diese Gruppe ihre Körper mit Tätowierungen schmückte, wobei diese Tattoos aus gleich verlaufenden Punktlinien über dem Oberbauch bestanden, die an die Bauchtattoos der ägyptischen Frauen erinnern. Die libyschen Nachbarn kannten Tätowierungen in der Zeit von 1300 bis 1100 vor unserer Zeitrechnung dagegen für Männer. Die Männer trugen geometrische Muster auf ihren Armen und Beinen, dies ist belegt durch Zeichnungen in ägyptischen Gräbern, Tempeln und Palastszenen.10

Tätowierungen waren aber auch in anderen Regionen der Welt bekannt. Bei den Pasyryk zum Beispiel, die zu den Skythen gehören und deren Kultur in die Jahre 500 bis 300 vor unserer Zeitrechnung eingeordnet wird. Sie waren im Altai-Gebirge zuhause und nutzten die Tätowierung, um den Träger als Angehörigen des Adels zu klassifizieren. Auch das Nicht-tätowiert-Sein war hier ein Zeichen: nämlich ein Zeichen für niedrige Geburt. Diese Kennzeichnungspraxis bestätigt auch der griechische Historiker Herodot in seinen Aufzeichnungen 450 vor unserer Zeitrechnung, als er die Gebräuche der Skythen und Thraker miteinander verglich.11

Als man 1948 den 2.400 Jahre alten Körper einen skythischen Mannes entdeckte, der bis dahin ins sibirische Eis eingeschlossen war, sah man, dass seine Arme und Beine und auch sein Torso mit mystischen Tierdarstellungen bedeckt waren. 1993 hat man in einer Grabanlage im Altai-Gebirge die Mumie einer Frau gefunden, und wieder stießen die Archäologen auf Tattoos. Wieder waren es mystische Tierdarstellungen an Handgelenken, Daumen. Die Frauenmumie stammte übrigens etwa aus der gleichen Zeit wie der Körper des Mannes und ließ daher auch gute Vergleiche zu. 2006 stieß man erneut auf einen Grabhügel eines skythischen Reiterkriegers.12

Aus römischen Chroniken ist von einem weiteren Volk zu berichten, das sich tätowiert haben soll.

Mit Pikten (lat. Picti – die Bebilderten) bezeichneten die Römer im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Stämme im Norden der britischen Inseln, die Bilder von vielen verschiedenen wilden Tieren auf der Haut trugen und damit auf die Römer Furcht erregend wirkten. Auch bei den Pikten waren die Körperbemalungen nur der Oberschicht vorbehalten.13 Bei den Pikten handelte es sich übrigens nicht um eine Ethnie, sondern um Allianzen von verschiedenen Stämmen, um gegen einen größeren Feind zu kämpfen. Die lateinische Bezeichnung Britannia für das Land, in dem die Pikten lebten, ist vom keltischen Begriff «brith» abgeleitet, was buntfarbig oder gefleckt heißt.14

Sowohl Römer als auch Griechen kannten im ersten Jahrhundert die Aufbringung von Zeichen, so genannten Stigmata, nur als passive Kennzeichnungsmöglichkeit durch die Obrigkeit zur Bestrafung oder Markierung von Kriminellen oder zur Kennzeichnung von Eigentum bei Sklaven.

Noch 300 Jahre vorher, als Ptolemaios IV. aus der Dynastie der Ptolemäer von 221 bis 205 vor unserer Zeitrechnung Ägypten regierte, hieß es, dass der Pharao selbst ein Efeu- und Weinlaub-Tattoo trug, um dem Gott des Weines, Dionysos, seine Ehrerbietung zu zeigen. Diese Mode, einen Gott zu ehren, wurde von den römischen Soldaten übernommen und sie verbreiteten die Tradition bis zum Beginn der Christianisierung über das gesamte römische Reich. Unter Kaiser Konstantin wurden Tattoos im 4. Jahrhundert verbannt, weil «die Zeichen Gottes Schöpfung entstellen», und der fortschreitende Einfluss der Kirche forcierte dies.15

Weiterhin gab es Funde auf mumifizierten Körpern in vorkolumbianischen Kulturen Perus und Chiles, wobei auch für die Körperverschönerungen ähnliche Symbole verwandt wurden wie auf ihren Textilien und Keramiken. Es wird über einen beeindruckenden Figurenfund der Nazca-Kultur berichtet. Die Figur sieht aus, als stelle sie eine Frau dar, die ein Tattoo oder eine Bemalung trägt, die sich über den gesamten Bauch bis hin zum Genitalbereich erstreckt und offensichtlich – wie die ägyptischen Tattoos – mit der Hoffnung auf eine gefahrlose Geburt verbunden ist. Auf mumifizierten Überresten von Menschen dieser Kultur wurden Tätowierungen auf den Körpern, den Armen und Beinen, den Fingern und Daumen gefunden. Manchmal wurden auch Gesichtstätowierungen nachgewiesen.16

Auf nahezu dem gesamten Erdkreis wird schon seit Jahrtausenden Farbe in die Haut eingebracht, und jede Kultur, jedes Volk hat dabei eigene Techniken entwickelt, die Farbe einzubringen. Die Inuit nutzen bei ihren Nähtattoos rußige Fäden, die, mit einer Nadel unter der Haut entlanggezogen, narbenähnliche Markierungen hinterließen. Diese Technik ist auch bei den Tschuktschen bekannt, die im nordöstlichen Sibirien in der Nähe der Beringstraße beheimatet sind. Bei den Tschuktschen sollte die Fadentätowierung gegen Unfruchtbarkeit helfen.17

Die Maori in Neuseeland meißelten mit Holzinstrumenten Farbe in die Gesichtshaut. Die Samoaner dagegen hämmerten mit einer kammähnlichen Hacke, der nachgesagt wird, dass sie bisweilen aus Menschenknochen bestand. Die Eingeborenen auf Tahiti benutzten für ihre Hautbilder spitze Knochen und Haifischzähne. Die Japaner zupfen traditionell die Farbe mit dem hölzernen Hari, einem Stecknadelstift, in die Haut.18

Auch das Tätowieren bestimmter Körperpartien war über alle Kontinente verbreitet. Gesichtstattoos beispielsweise sollten den Träger ausweisen, also identifizierbar für andere aus seiner Gruppe oder für Nichtgruppenmitglieder machen. Es handelte sich also um Hinweise auf den sozialen Status und dieser sollte sofort erkennbar sein. In Nordwest-Amerika gaben Linien im Kinnbereich bei Frauen an, ob sie verheiratet waren. Das bekannteste Gesichtstattoo ist das Moko der Maori, das für den Träger so individuell war wie ein Pass, da mit dem Grundornament der Spirale die Gesichtszüge individuell hervorgehoben wurden und so zu einzigartigen Kombinationen führten. Innerhalb der hierarchisch gegliederten Welt der Maori waren nur Freie und Adlige berechtigt, sich tätowieren zu lassen. Priester trugen als Zeichen ihres Standes nur ein kleines Muster oberhalb des rechten Auges.19 Zugleich war Moko auch zur Tarnung in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen wichtig und gab dem Träger so ein Furcht einflößendes Aussehen und wirkte einschüchternd auf Gegner. Unterstützt wurde das dann durch einen Kriegstanz (Haka), bei dem die Krieger mit weit aufgerissenen Augen, herausgestreckter Zunge und schutzlos dargebotenem Oberkörper auf ihre Kontrahenten losgingen, um zu prüfen, ob jemand in feindlicher oder friedlicher Absicht kommt.20

Während bei den Maori üblicherweise mit Nadelkämmen tätowiert wurde, wurde Moko mit meißelähnlichen Instrumenten wie eine Schnitzerei in das Gesicht einoperiert. Im Gegensatz zur tätowierten Haut, die sich – ob tätowiert oder nicht – immer noch weich anfühlt, ist eine mit Moko verzierte Haut, der das Muster auf traditionelle Weise aufgebracht wurde, je nach Intensität des Musters, hart und vernarbt.

Die ersten Muster werden mit Ende der Pubertät begonnen und kennzeichnen den Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Moko soll in Passagen die Geschichte des Trägers erzählen. Und da der Kopf als der heiligste Teil des Körpers angesehen wird, wurde dort mit der sehr individualisierten Verschönerung begonnen. Es dauerte oft mehrere Jahre, bis das Moko abgeschlossen werden konnte, da die Prozedur in vielen schmerzhaften Einzelschritten vorgenommen wurde. Als Besonderheit galt, dass der Tätowierer (tohunga-ta-oko) die Gesichtszüge hervorhob und nachzeichnete. Moko sollte die Männer für die Frauen attraktiver machen.

Maori-Frauen waren weniger tätowiert als ihre Männer. Verheiratete Frauen trugen ein Kinn-Tattoo (moko kauae) und weil rote Lippen als unschön galten, erhielten sie durch eine Lippentätowierung ein schwarz-bläuliches Aussehen.21

Auch auf dem amerikanischen Doppelkontinent, der sich durch eine Vielzahl von Kulturen und Gesellschaftsformen auszeichnet, konnte der Gebrauch von Tätowierungen nachgewiesen werden. Wie auch auf anderen Kontinenten war das Aufbringen von Hautbildern in einen religiösen, sozialen und/oder therapeutischen Kontext eingebunden. Mit Feuersteinspitzen, die in Holzstäben fixiert waren, gravierten sie Muster in die Haut. Und je nachdem, in welchem Zusammenhang die Tätowierung erfolgte, trugen mitunter alle Mitglieder eines Volksstammes dasselbe Muster eintätowiert.

Ein Mythos bei den Mohave/Mojave, die auf dem Territorium des heutigen Kalifornien beheimatet sind, besagt, dass es nur Gesichtstätowierten bestimmt ist, nach dem Ableben ins Land der Toten einzureiten. Nichttätowierten war nur die Hölle, die mit «Rattenloch» umschrieben war, zugewiesen. Die Tätowierungen wurden beim Eintritt des Todes noch verstärkt, damit sie in der Unterwelt auch noch lange sichtbar waren und die Träger nicht in Schwierigkeiten kamen.

Bei den Mohave waren auch alle Frauen mit Gesichtstätowierungen aus Punkten und Strichen markiert. Diese Tätowierungen waren das Kennzeichen einer erwachsenen, heiratsfähigen Frau und sie unterschieden sich von Familie zu Familie. Ein Mann konnte nur eine Frau mit Kinntätowierung heiraten, deren Tätowierung sich von der Familien-Kinntätowierung seiner Mutter und Schwester unterschied. In der Nacht der ersten Menstruation wurde das Mädchen zur Frau erklärt und bei der zweiten Menstruation wurde mit der Kinntätowierung begonnen.22

Im Bereich der sozialen Tätowierungen sind Maßeinheiten bei Männern der gleichen Region zu verstehen. Ihnen wurde eine Maßeinheit für die Länge ihres Zahlungsmittels, eine Muschelgeldschnur, als Kennzeichen für den ausgewachsenen und zugleich erwachsenen Mann auf den Arm tätowiert, der mit dieser Maßeinheit am Handel teilnehmen durfte.

Eine weitere Form sozialer Tätowierung kannten die Pima im Südwesten Nordamerikas. Dort wurden Braut und Bräutigam direkt nach der Hochzeit tätowiert, um ihre Zusammengehörigkeit zu dokumentieren. Bei beiden wurde eine Lidtätowierung durchgeführt, die beim Mann vor Falten schützen und die Jugend erhalten sollte und bei Frauen dafür sorgen sollte, dass sie keinen anderen Männern mehr nachschaute.

In den Bereich der therapeutischen Tätowierung, die bereits vom Ötzi bekannt ist, fallen beim Stamm der Ojibwa, die im Nordosten Nordamerikas um den Michigansee und Huronsee herum beheimatet sind, Schläfen-, Stirn- und Wangenmuster, die gegen Kopf- und Zahnschmerzen helfen sollen. Nicht dokumentiert ist, ob sie prophylaktisch angebracht wurden oder erst dann, wenn der akute Krankheitsfall eintrat.

Die Miwok aus dem Südwesten tätowierten schmerzende Stellen mit der Asche einer aromatischen Wurzel und benutzten dazu die scharfe Spitze eines Obsidians, manchmal auch eines Feuersteins, der an einem Stöckchen befestigt war. Mit diesem Stiftchen punktierten sie die Stelle, bis Blut floss, und rieben dann die Blut-Asche-Masse in die Wunden ein.23

Die im Südosten Nordamerikas beheimateten Coahuiltecans kannten bereits ein Pflanzenextrakt, das beim Tätowieren für ein kühles und schmerzlinderndes Gefühl auf der Hautoberfläche sorgte. Auch bei den Coahuiltecans war das Tätowieren die Markierung des Übertritts vom Kind zum Erwachsenen.

Die Azteken auf dem Territorium Mexikos und auch die Maya auf der Halbinsel Yukatan brachten die Farbe mit frischen Dornen und Kakteenstacheln unter die Haut. Für die spanischen Eroberer, die auf diese Art gefertigte Hautbilder von Maya-Heiligen und anderen ornamentalen Abbildungen zum ersten Mal sahen, ein Schock und Grund genug, diese Tradition der Maya als Teufelswerk zu verdammen.

Auch die Inka, die das Gebiet des heutigen Ecuador, Peru und Chile bevölkerten, schrieben den Tätowierungen magische Kräfte zu. Nach ihrem Glauben ging die Kraft dessen, was sie sich in die Haut stechen ließen, auf sie über. Jaguarflecken verliehen dem Träger die Eigenschaften dieser Raubkatze, Vogelschwingen im Gesicht übertrugen die Kräfte dieses Raubvogels, mit einigen Punkten im Gesicht konnte er einer Schlange ähnlich werden.

Im Landesinnern, im Gebiet des Amazonas-Tieflandes, haben sich traditionelle Kulturen und damit auch die Tätowierrituale erhalten. Hier soll es noch Ureinwohner geben, die die alten Rituale auch heute noch leben.24

An China scheint eine größere Tätowierwelle in der Vergangenheit vorübergegangen zu sein. Es lässt sich zwar auch für die Zeit um 1200 vor unserer Zeitrechnung nachweisen, dass Tätowierungen vorgenommen wurden. Einzelne Mumien, die in der Taklamakan-Wüste freigelegt wurden, trugen Hautbilder. Für die Han-Dynastie (202 vor bis 220 nach unserer Zeitrechnung) dagegen ist verbürgt, dass nur Kriminelle durch Tätowierungen an Oberarm oder Stirn gekennzeichnet wurden.25

«seine Haare kurzgeschnitten trägt und seinen Körper tätowiert hat, um Angriffe böser Drachen abzuwehren» Weiter im Text dieser Chronik wird berichtet, dass auch andere aus seinem Umfeld tätowiert seien, um beim Fischfang gegen Angriffe von großen Fischen und Wasservögeln gefeit zu sein. Die Chronik berichtet auch darüber, dass ein Wandel in der Nutzung der Muster aufgetreten sei und dass es vom sozialen Status des Trägers abhänge, ob und wie er tätowiert sei.