image

LUDWIG-ERHARD-PREIS

FÜR WIRTSCHAFTSPUBLIZISTIK

Reden der Preisträger seit 1977

Herausgegeben von Roland Tichy

Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung

Bonn 2017

image

image

© Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. 2017

Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Bildnachweis: Bundesregierung/Gerhard Heisler

Redaktion: Berthold Barth/Natalie Furjan

Gestaltung: gb-s, Königswinter

ISBN E-Book (PDF): 978-3-88991-092-9

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-88991-091-2

Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Johanniterstraße 8

53113 Bonn

info@ludwig-erhard-stiftung.de

www.ludwig-erhard.de

Vorwort

Roland Tichy
Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn

Vierzig Jahre Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik stehen für das besondere Interesse der Ludwig-Erhard-Stiftung, „dass Themen, die für die Erhaltung, Erneuerung und Entfaltung der Sozialen Marktwirtschaft wichtig sind, publizistisch, wissenschaftlich und in den Medien intensiv behandelt werden“. So steht es in der Präambel zur Satzung des „Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik“.

Ludwig Erhard hat den Preis 1977 selbst ins Leben gerufen. Seitdem werden jährlich Persönlichkeiten aus den Medien, der Wissenschaft, der Politik und der unternehmerischen Praxis ausgezeichnet. Seit 1991 wird zudem der Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik an Bewerber unter 35 Jahre verliehen.

Fester Bestandteil der feierlichen Preisverleihung sind seit jeher die Ansprachen der Preisträger, die im Nachgang zur Veranstaltung von der Ludwig-Erhard-Stiftung publiziert werden. Die Sammlung der bisher veröffentlichten Vorträge halten Sie nun in Ihren Händen. Es ist eine Dokumentation von vier Jahrzehnten deutscher Wirtschaftsgeschichte über die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre und der sie begleitenden Publizistik.

Die Texte waren bei ihrer Abfassung nicht als Teil einer Sammlung gedacht. Erst rückblickend auf vierzig Jahre Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ergibt sich das, was man eine „spontane Chronik“ nennen könnte. Die Preisträger sind bei der Wahl ihres Themas frei, sodass sich ein Kontinuum dessen ergibt, was die jeweils Ausgezeichneten im Jahr der Preisvergabe für mitteilens- und beleuchtenswert hielten.

Aus der heutigen Zeit heraus wird der Leser Zeuge, wie sich Stil, Form und Duktus über die Jahre verändert haben. Bis Ende der 1970er Jahre waren Preis und Reden noch den Printmedien und dem Hörfunk verhaftet. Die mediale Welt war noch in Ordnung.

Nur langsam wurde das Fernsehen als „neues Medium“ wahrgenommen – und mit Argwohn beobachtet: ein Medium, das immer noch schneller sendet, dem die Zeit fehlt, Sachverhalte anständig zu erklären. Der Anspruch des Journalisten auf Genauigkeit, Vollständigkeit und Tiefe müsse hinter dem mutmaßlichen Wunsch des Rezipienten nach Schnelligkeit und Masse zurückstehen. Es sind vielfach Formulierungen, die man heute wieder liest. Aber das gescholtene Medium ist nun das Internet, das zu schnell, zu seicht, zu wenig kompetent berichte. Medienkritik scheint sich zu wiederholen. Spöttisch könnte man sagen, es wiederholt sich der Vorwurf an die Jugend – die war früher immer besser. Nur langsam, vielleicht zu langsam drängen sich Formate der digitalen Medienwelt in die Wirtschaftsberichterstattung. Preise haben oft eine konservierende, keine avantgardistische Wirkung. Es fehlt ein Maßstab, um die Veränderung zu beurteilen, die von der Veränderung der technischen Bedingungen der Medien auf die Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft schließt.

Anfang der 1980er Jahre spürt man noch die lebendige Erinnerung an Ludwig Erhard, sein Wirken, seine Glaubwürdigkeit und seine Leistungen – aber zunehmend auch die Sorge angesichts der verblassenden Wertschätzung marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik aufgrund vulgär ausgelegter keynesianischer Rezepte. Daraus resultierten unerfüllbare Machbarkeitsabsichten, die sich als illusorisch erweisen mussten.

Karl Schiller zählt zu den Geehrten der ersten Jahre. Er hat sich von dem distanziert, was er in der Nachfolge Ludwig Erhards schuf: der keynesianischen Konjunktursteuerung. Es fällt auf, dass diese Abwendung von der Wende in der Gegenwart kaum rezipiert wird: Schiller wird gefeiert für einen Weg, den er selbst als Irrweg erkannt hat. Diese Einsicht ist eines der frühen Kernstücke dieses Buches, die langen Linien werden in der Gegenwart immer wirksamer. Denn in der Gegenwart ist es die Auseinandersetzung mit den Folgen exzessiver Staatsverschuldung – die zuerst die Fiskalpolitik bestimmte und seit einigen Jahren die Geldpolitik in den Dienst nimmt: Nur durch expansive Geldpolitik, annähernden Null-Zins und damit das Aushebeln des Preismechanismus in einem wichtigen Sektor scheinen die Schulden der Staaten noch beherrschbar. Rückblickend erhalten die Mahnungen der frühen Jahre neues Gewicht: Die ernstesten Befürchtungen wurden bittere Realität; immer neuer und immer hektischerer Aktionismus der Fiskal- und Geldpolitik können kaum über die Gefährdung der Grundlagen hinwegtäuschen. Es sind globale Phänomene.

Der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik bleibt nicht an nationalen Grenzen stehen. Zu den Ausgezeichneten zählen auch ausländische Journalisten, Wissenschaftler und vor allem Reformpolitiker osteuropäischer Transformationsstaaten, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Erhard’sche Politik als Vorbild für die Neu- und Umgestaltung der Gemeinwesen beispielsweise in Polen und Tschechien genommen haben. Auch Personen, die gegen viele Widerstände für das Wettbewerbsprinzip in der Europäischen Gemeinschaft und dessen unumstößliche Implementierung geworben und dafür gekämpft haben, sind unter den Preisträgern. Bemerkenswert: Hier werden die Leistungen in anderen Ländern oder auf EU-Ebene gewürdigt; Deutschland ist längst zum kranken Mann Europas geworden.

Zu dieser Zeit erfährt der Prophet im eigenen Land keine Wertschätzung, und er findet wenig Gehör. In den 1990er Jahren wurde nach Abklingen des Vereinigungsbooms der Reformstau unübersehbar: Die Strangulierung der Marktkräfte und das Ersticken der Eigenverantwortung in vermeintlich sozialen Wohltaten um den Preis hoher und verfestigter Arbeitslosigkeit mussten beseitigt werden, wenn nicht die marktwirtschaftliche Ordnung vollends zur Staatswirtschaft degenerieren sollte. Die Jahre der Auseinandersetzung um die Gestaltung einer modernen Angebotspolitik sind damit ein weiteres Kapitel – das zunächst einen Abschluss findet: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete im Jahr 2003 die Agenda 2010, die dem Vorrang für Eigenverantwortung wieder Geltung verschaffen sollte, und setzte sie in Politik um. Im Jahr 2016 wurde er dafür mit dem Ludwig-Erhard-Preis geehrt.

Alle Preisträger haben den Lesern, Zuhörern und Zuschauern ihre Sicht der Dinge dargelegt; ihre Reden lassen sich nun mit dem Wissen und den Erfahrungen auf dem Stand von heute neu lesen, neu entdecken und neu bewerten. So manche Überraschung dürfte für den Leser dabei sein, wenn er merkt, dass vieles von dem, was wir heute für neue Erkenntnisse und neue Überlegungen halten, schon vor einigen Dekaden, als der eigene Werdegang vielleicht noch in den Kinderschuhen steckte, auf den Nägeln brannte und heiß diskutiert wurde.

Der Dank der Ludwig-Erhard-Stiftung gebührt der unabhängigen Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik, die in jedem Jahr und auf höchstem Niveau die Preisträger ausgewählt hat. Ein Auszug aus der jeweiligen Laudatio ist jedem Festbeitrag vorangestellt. Die Redner werden in der Funktion genannt, die sie zum Zeitpunkt der Preisverleihung innehatten.

Besonderer Dank für das vorliegende Werk gebührt dem langjährigen Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung Herrn Dr. Herbert B. Schmidt. Die Idee und die Initiative, die Festreden der Träger des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik gesammelt als Buch zu veröffentlichen, stammen von ihm. Das Projekt wurde zudem durch die „Dr. Herbert B. Schmidt und Ruth Schmidt-Niemack Stiftung“ großzügig gefördert.

Auch nach vierzig Jahren Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ist festzuhalten: Das Ringen um die Erhaltung, Erneuerung und Entfaltung der Sozialen Marktwirtschaft, die den Werten von Freiheit und Verantwortung verpflichtet ist, wird weitergehen. Die Ludwig-Erhard-Stiftung wird diesen Prozess mitgestalten und mit der Vergabe des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik weiterhin Stellung beziehen für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Sinne Ludwig Erhards.

Inhalt

Roland Tichy

Vorwort

Ludwig Erhard

Ansprache anlässlich der ersten Preisverleihung 1977

1977Jürgen Eick

Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten

Wolfram Engels

Erfahrungen eines Hochschullehrers

Diether Stolze

Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten im Fernsehen

1978Rudolf Mühlfenzl

Das Unternehmerbild im Fernsehen

Hans-Henning Zencke

Marktwirtschaft auf dem Bonner Markt – Anmerkungen eines Korrespondenten

Wolfgang Stützel

Einige Bemerkungen über den Nachwuchs an Volkswirten

1979Fides Krause-Brewer

Marktwirtschaft im Fernsehen – aus der Sicht eines Bonner Korrespondenten

Karl Schiller

Anmerkungen zur ordnungspolitischen Diskussion

Franz Thoma

Leistungswille und Innovation als Wegweiser in die Zukunft

1980Hans Herbert Götz

Anmerkungen eines ordnungspolitischen Grenzgängers

Michael Jungblut

Marktwirtschaft und Wirtschaftswachstum

Ernst-Joachim Mestmäcker

Über Selbständigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft

1981Karl Darscheid

Über Moralisten in der Marktwirtschaft

Willy Linder

Theorie und Praxis – Eine Handvoll lockerer Bemerkungen zu einem Missverständnis

Helmut Schlesinger

Wettbewerb und gesundes Geld

1982Ernst Günter Vetter

Marktwirtschaft – auch noch im Jahre 2000?

1983Renate Merklein

Marktwirtschaft – eine Frage der Weltanschauung?

Peter Gillies

Über die Bewirtschaftung der Phantasie

Herbert Giersch

Das Dilemma des Sozialen

1984Raymond Barre

Die Verpflichtung der liberalen Tradition

Thomas Löffelholz

Über wirtschaftliche Herausforderungen und die Gestaltungskraft der Ordnungspolitik

1985Walter Kannengießer

Sozialpolitik in der Marktwirtschaft

Olaf Sievert

Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftspolitik und Öffentlichkeit

Henry C. Wallich

Die freien Märkte in der Welt von heute

1986Johannes Gross

Motivationen

Artur Woll

Staatliche Beschäftigungsprogramme – Ein Beitrag zur Arbeitslosigkeit

1987Armin Gutowski

Wirtschaftspolitik unter der Tyrannei des Status quo

1988Samuel Brittan

Das soziale Element in der Sozialen Marktwirtschaft

Walter Hamm

Zeithorizonte in der Wirtschaftspolitik

1989Hans D. Barbier

Journalisten: Private Anbieter eines öffentlichen Gutes 230

1990Rudolf Herlt

Journalismus – Bemerkungen zu einem Beruf im Zwielicht

Bernd Rüthers

Die verkannte Einheit: Staatsverfassung, Wirtschaftsverfassung, Arbeitsverfassung

1991Karl Otto Pöhl

Geldpolitik und Marktwirtschaft

1992Leszek Balcerowicz

Polens Übergang zur Marktwirtschaft

Heinz Heck

Über die Versäumnisse der Industrieländer im Nord-Süd-Konflikt

1993Václav Klaus

Der Mut Ludwig Erhards und die marktwirtschaftliche Transformation in Tschechien

1994Klaus Adomeit

Über den ökonomischen Imperativ

J. Jürgen Jeske

„Freiheit! Ein schönes Wort, wer’s recht verstände“

1995Wernhard Möschel

Tarifautonomie auf dem Prüfstand

Dieter Vogel

Engagement für die Soziale Marktwirtschaft heute

1996Juergen B. Donges

Mehr wirtschaftliche Dynamik durch Deregulierung

Gerhard Schwarz

Die Marktwirtschaft in einer Glaubwürdigkeitskrise?

1997Stefan Baron

Unsoziale Marktwirtschaft – Die mentalen Hintergründe der deutschen Krankheit

Sir Roger Douglas

Die Prinzipien des wirtschaftlichen Wandels

1998Karel van Miert

Die Zukunft der Europäischen Wettbewerbspolitik

Peter Norman

Zu wenig Markt – zu viel Soziales: Über den gegenwärtigen Zustand Deutschlands

1999Horst Siebert

Mit drei Problemklötzen ins neue Jahrhundert

Hans K. Herdt

Welt AG, Shareholder-Value, Soziale Marktwirtschaft – Über globale Ordnungsfragen

2000Carola Kaps

Amerikanische Erfahrungen

Paul Kirchhof

Das Steuerrecht als Ausdruck einer Sozialen Marktwirtschaft

2001Gerhard Fels

Brauchen wir eine internationale Ordnungspolitik?

Nikolaus Piper

Die Wahrheit als öffentliches Gut

2002Norbert Berthold

Das Tarifkartell: Ein Fall für Hartz?

Wolfgang Kaden

Akute Mängel bei der Kontrolle von Unternehmen durch die Mitbestimmung

2003Hans-Olaf Henkel

Freiheit oder Gleichheit?

Günter Ederer

Die Suche nach Erhards Enkeln

2004Wulf D. von Lucius

Vertragsfreiheit versus staatliche Zwangslizenzen im Urheberrecht

Thomas Straubhaar

Wer die Soziale Marktwirtschaft wagt, gewinnt die Zukunft!

2005Harold James

Kapitalismus und Demokratie

Dirk Maxeiner/Michael Miersch

Unser Umweg zum Markt

2006Heike Göbel

Markt und Mehrheit

Otmar Issing

Der Abschied von der Ordnungspolitik – unaufhaltsam?

2007Otto Graf Lambsdorff

Die Rolle der Staatsfonds: Wider den neuen Drang zum Protektionismus

Ursula Weidenfeld

Wie viel Wahrheit, wie viel Dichtung braucht die Wirtschaftspolitik?

2008Thomas Schmid

Das Unbehagen an der Freiheit – Warum die beste aller Welten als eine schlechte Welt gilt

Roland Tichy

Wer oder was zwingt Journalisten in den Meinungs-Mainstream?

2009Rainer Hank

Shylocks Erbe – Was wir von Shakespeare über die Finanzkrise lernen können

Martin Wolf

Globalisierung nach der Finanzkrise

2010Karen Horn

Unsere Aufgabe

Roger Köppel

Die Freiheit aus den Bergen – Gedanken zum Liberalismus

2011Dorothea Siems

Warum ein Kompass in dieser wandelbaren Welt unentbehrlich ist

Werner Mussler

Welches Europa?

2012Josef Joffe

Zur Kritik am Kapitalismus

Jens Weidmann

Die Stabilitätsunion sichern

2013*

2014Wolfgang Clement

Wer Bewahrenswertes bewahren will, muss bereit sein, vieles zu ändern

Werner Plumpe

Wirtschaftspolitische Reformen als „Staatskunst“

2015Nicola Leibinger-Kammüller

Für eine neue Aufbruchstimmung!

Claus Döring

Es ist höchste Zeit, das VW-Gesetz abzuschaffen

2016Gerhard Schröder

Die Agenda 2010 hat diese Würdigung verdient

Holger Steltzner

Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit

Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik

* Im Jahr 2013 erhielten Prof. Dr. Niall Ferguson, Professor für Geschichte an der Harvard University (USA), und Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik. Die Reden wurden nicht veröffentlicht.

Ansprache von Prof. Dr. Ludwig Erhard

Der Bundeswirtschaftsminister und Bundeskanzler a.D. spricht anlässlich der ersten Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik am 3. Februar 1977 in der Redoute in Bonn-Bad Godesberg.

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es möchte so klingen, als ob ich hier nur noch eine bescheidene technische Funktion, nämlich die Übergabe der Preise zu erfüllen hätte. Aber mit dem Preis und dem Engagement aller hier in diesem Raum Anwesenden soll vor allem auch eine Idee lebendig erhalten werden, will eine geistige Haltung Ausdruck finden, auf die ein freiheitliches Volk nicht verzichten kann. In meinem Vokabular der Werte stehen Freiheit, Recht und Ordnung an erster Stelle.

Davon werde ich nicht abgehen, und deshalb habe ich es in diesen Tagen wiederholt erklärt, dass ich, wenn ich trotz meines Alters zum achten Male im Bundestag tätig sein möchte, auch dort keine andere Aufgabe kenne, als meinem Gewissen treu zu sein. Sechsmal habe ich das persönlich geschworen, als Kanzler und als Wirtschaftsminister. So schwierig es auch sein mag, zwischen dem individuellen Gewissen und der parlamentarischen Übung, auf parlamentarischer Ebene Disziplin zu üben, so kommt eine Demokratie doch nicht darüber hinweg, diese Aufgabe zu erfüllen. Das Problem muss meiner Überzeugung nach sogar besser bewältigt werden, als es heute der Fall ist. Ich gehe mit Eifer und vollem Engagement an diese Aufgabe heran.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine lieben Freunde: Ein Einzelner schafft das nicht. Ich weiß sehr wohl, dass ich darauf angewiesen bin, dass viele Frauen und Männer gleichen Geistes und gleicher Gesinnung mir zur Seite stehen müssen, dieses Ideengut lebendig zu erhalten. Als diese Freunde darf ich Sie hier alle über die Preisträger hinaus begrüßen.

Zu den Preisträgern will ich noch sagen, dass ich an Ihrer Ernennung persönlich völlig unbeteiligt war. Denn die Ludwig-Erhard-Stiftung hat bewusst eine Jury gebildet, die nach ihren Maßen und von mir völlig unbeeinflusst sich auf drei Persönlichkeiten geeinigt hat.

Die Stiftung hat auch nicht vor, diese – wie ich glaube – gute und schöne Übung einschlafen zu lassen. Im nächsten Jahr werden andere neue Sterne aufleuchten, aber der Geist wird und muss stets der gleiche sein. Das ist die einzige Aufgabe, über deren Erfüllung zu wachen ich mich berufen fühle. Diese aus der Not der Vergangenheit erwachsende Idee der Freiheit gilt es von Mensch zu Mensch weiterzureichen, auf dass das Werk nicht untergeht.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, mit einem Scherz enden. Ich befinde mich hier ja in einem Kreis, den es unmittelbar angehen soll. Wenn wir in manchen Zeitungen von „Sozialer Marktwirtschaft“ lesen, so wird dabei das Adjektiv „sozial“ teils klein, teils wieder groß geschrieben. Ich glaube indessen, die Soziale Marktwirtschaft hat es verdient, „groß“ geschrieben zu werden. Ich habe zum Beispiel noch niemals erfahren, dass das „Kommunistische Manifest“ jemals klein geschrieben wurde. Für unsere Zeit ziemt es sich umso mehr, die Soziale Marktwirtschaft hoch zu werten – nicht aus Hochmut und nicht aus Eitelkeit, wohl aber im Bewusstsein, dass wir alle aufgerufen sind, dieser unserer Ordnung einen tieferen Sinn zu verleihen. Ich jedenfalls kenne nach der beruflichen Seite hin keine andere Aufgabe, als in diesem Geist zu wirken und dafür zu stehen – in Zukunft womöglich noch energischer und zielstrebiger als in der Vergangenheit. Nur so kann und wird es uns gelingen, eine Gesellschaft zu formen, die getragen ist von dem Willen nach Freiheit, Recht und Ordnung.

Aber lassen Sie mich zu der mir eigentlich zugeschriebenen Aufgabe kommen, das andere war von mir eine persönliche Einlage. Ich habe die Ehre, die drei von der Jury erkorenen Preisträger auszuzeichnen. Das geschieht durch die Übergabe eines Dokumentes. Ich hoffe, dass Sie es mit der übrigen Beigabe zur Preisverleihung als ein fortdauerndes Zeichen Ihrer Verbundenheit betrachten werden. Die Ludwig-Erhard-Stiftung will ja nicht irgendein geselliger Verein sein, sondern setzt voraus – das ist auch die Aufgabe und Verpflichtung ihrer Freunde –, zu dieser fortschrittlichen Idee stehen zu wollen. Gesinnungsfremde Bürger werden wir auch nicht in den Kreis der Freunde der Ludwig-Erhard-Stiftung aufnehmen. Die mögen dorthin gehen, wo sie sich zu Hause fühlen. Unsere Heimat aber ist die Freiheit, die gebundene Ordnung und das Recht, das unserem gesellschaftlichen Leben den Rahmen gibt.

Ansprachen der Träger des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik 1977–2016

1977

Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten

Dr. Jürgen Eick

Leiter des Wirtschaftsteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit 1949, ab 1963 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

„In dem Publizisten Jürgen Eick vereinigen sich die Genauigkeit der Beobachtung mit der Solidität des politischen und ökonomischen Urteils und vor allem mit einer von kämpferischem Elan getragenen Kunst der Darstellung, die […] das Komplizierte einsichtig macht […].“ Johannes Gross

Noch etwas benommen von der in bekannt scharfsinniger Diktion ausgesprochenen Laudatio durch Johannes Gross bleibt zunächst einmal der Dank, der Dank eines Wirtschaftsjournalisten, der seit etwa 30 Jahren dem Ordoliberalismus verbunden ist und ihn in diesen ganzen Jahren mit den Mitteln der Publizistik vertreten hat. Ein solcher Wirtschaftsjournalist kann sich schlechterdings keine schönere Auszeichnung denken als die mit dem Namen Ludwig Erhard verbundene.

Nun haben wir drei Preisträger als geschworene Wettbewerbspolitiker noch eben schnell ein Kartell gegründet: dass wir uns an die Redezeit halten wollen! Deshalb nehme ich meine Uhr, damit ich nicht des Kartellverbrechens – oder wie man das nennt – geziehen werde. Ich werde also versuchen, in knappster Zeit die Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten zu skizzieren; mehr kann es nicht sein.

Zunächst muss gesagt werden: Ein Wirtschaftsjournalist ist zunächst einmal und vor allem ein Journalist. Er ist nicht zunächst Wirtschaftler; er ist zunächst Journalist und teilt die Leiden und Freuden all der Kollegen aus den anderen Ressorts. Aber mir scheint, er hat etwas Glück, nämlich mit seinem Darstellungsobjekt, verglichen mit den Kollegen in den anderen Ressorts, denn dieses Darstellungsobjekt ist konkreter, fassbarer, solider – das klingt ein bisschen arrogant, natürlich von anderen Ressortstandpunkten aus gesehen – und es unterliegt zum Teil rechenhafter Kontrolle, und zwar im Bereich der Privatwirtschaft durch die Finanzen. Etwas von dieser rechenhaften Strenge und Verlässlichkeit wird Wesensbestandteil des Wirtschaftsjournalisten, verhilft ihm zu einem keineswegs immer voll gerechtfertigten oder wenigstens doch unverhofften Respekt, weil der Mensch das, was er sicher zu beherrschen glaubt, meist selbst nicht so fürchterlich hoch einschätzt. Aber man erinnert sich vielleicht in diesem Zusammenhang, dass Goethe die doppelte Buchführung als eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes bezeichnet hat.

Die Nationalökonomie ist die Lehre vom menschlichen Handeln

Dies wäre nun freilich ein miserabler Wirtschaftsjournalist, der nur das faktisch Registrierbare als Basis und als Hauptgegenstand seiner Überlegungen und Kommentare betrachtet. Die Nationalökonomie ist trotz aller quantitativen Elemente, trotz aller Versuche der Mathematisierung nach wie vor eine Lehre von menschlichem Handeln. Da Herr Professor Schmölders zu unser aller großen Freude anwesend ist, haben wir hier einen Vertreter der Nationalökonomie, der das sozusagen ein Leben lang vorgelebt hat, von Herrn Professor Erhard ganz zu schweigen. Mit Statistik allein kann man keine Konjunkturpolitik machen. Dazu gehört psychologisches Einfühlungsvermögen, Sinn für das Spekulative und im besten Fall jener Schuss Intuition, den Professor Ludwig Erhard als Konjunkturpolitiker so oft bewiesen hat. Er hat sich nicht in die letzten Dezimalen verloren, aber er wusste, wohin der Hase läuft. Etwas davon steckt auch in der konjunkturpolitischen Analyse der Wirtschaftsjournalisten, so schwer erklärbar und nachweisbar dies im Einzelnen sein mag.

Das ökonomisch Wünschenswerte steht vor dem politisch Machbaren

Was zur Autorität der Wirtschaftsjournalisten beiträgt, sind zweifellos ihre Spezialkenntnisse. Aber da ich sagte, dass wir ohnehin eben doch Journalisten sind, hat das auch eine sehr gefährliche Kehrseite. Friedrich Sieburg, unser alter hochgeschätzter Kollege, hat geschrieben: „Der Journalist weiß, dass er nicht alles wissen kann, dass aber sein Geheimnis die Universalität ist, deren letzte Spuren sich in seinem Beruf finden.“ Oder man könnte auch etwas sarkastisch mit Lichtenberg sagen: „Wer nur Chemie kann, kann auch die nicht recht.“ Den Spezialisten noch „spezialistisch“ genug, den Nicht-Spezialisten aber verständlich und interessant genug, damit sie das lesen wollen, was sie eigentlich lesen müssen! In dieser ewigen Spannung steht der Wirtschaftsjournalist nicht allein, aber vielleicht er ganz besonders.

Schließlich muss der Wirtschaftsjournalist auch die politischen Kräfte im Auge behalten. Er muss sehen, was auch politisch geht, aber er darf um Gottes willen das politische Judiz nicht vor das ökonomische setzen. Zunächst muss das ökonomische Judiz da sein, zunächst muss festgestellt werden, was ökonomisch wünschenswert ist, und dann muss man darüber nachdenken, ob, wie und unter welchen Voraussetzungen das politisch geht. Wenn ein Wirtschaftsjournalist dies umkehrt, dann ist er meiner Meinung nach verloren, dann bringt er in die Debatte sein spezifisches Kapital, sein spezifisches Judiz überhaupt nicht ein, sodass man in Gefahr gerät, dass die wirtschaftliche Vernunft hinter sogenannten politischen Notwendigkeiten und Zwängen immer wieder überfahren wird.

Hinter den dunklen Lettern auf weißem Grund sollte, vielleicht besonders in den wirtschaftspolitischen Kommentaren, auch der Mensch nicht vergessen sein. Der Mensch zum Beispiel als Konsument, der im Mittelpunkt der Marktwirtschaft steht, aber auch der schreibende Mensch, der Autor. Ohne spürbare Passion bewirkt man nichts, bewegt man nichts. Jedes Geistesprodukt, ohne Begeisterung vorgetragen, ohne spürbares menschliches Engagement, entbehrt des zündenden Funkens. Der schweizerische Kollege Dr. Stutzer hat einmal gesagt: „Die meisten Journalisten sind nicht nur ehrgeizige Handwerker, sondern Idealisten. Sie möchten nicht nur informieren, sondern auch Einfluss ausüben auf politisches Denken, auf wirtschaftliches Verhalten.“ Wohl dem Wirtschaftsjournalisten, der da auf dem festen Boden des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft steht. Aber nach Alexander Rüstow liegt der ungeheure Vorteil der staatlichen Zwangswirtschaft darin, dass man deren Prinzip jedem blutigen Laien innerhalb von 10 Minuten mit Begeisterung klarmachen kann, während zum Verständnis der komplizierten Marktvorgänge innerhalb der Marktwirtschaft oft ein Studium der Wirtschaftswissenschaften kaum auszureichen scheint.

Dies bedeutet, dass der liberale Wirtschaftsjournalist gemeinsam mit dem liberalen Wirtschaftspolitiker keinen leichten Stand hat. Es ist schwer, wenn wir Wirtschaftsjournalisten liberalen Geblüts für scheinbar so abstrakte Dinge eintreten wie Wettbewerb, freie Marktpreise und Stabilität. Dies weiß jeder, der einer vielgliedrigen Redaktion angehört, das weiß aber auch ein Mann wie Bundeswirtschaftsminister Erhard, der so oft im Kabinett und in der Führung der Partei so stark mit seinen politischen antimarktwirtschaftlichen Widersachern zu kämpfen hatte bis zum Überdruss. Mit dem Kartellgesetz und der Stabilitätspolitik kam es in den fünfziger Jahren zum Schwur.

Wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von Anbeginn auf dieser Linie stand, so darf ein Name nicht unerwähnt bleiben: Professor Erich Welter, Gründungsherausgeber dieser Zeitung, geistiger Vater, Promotor und amtierender Seniorpartner. Spätestens seit diesen fünfziger Jahren ist auch das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Wirtschaftsjournalisten als abgeklärt zu bezeichnen. Inzwischen weiß jedermann, dass nur unabhängige Gazetten gelesen werden und Einfluss haben. Ich kann sagen: Die Arbeitsbedingungen, die ein Wirtschaftsjournalist heute in der Bundesrepublik vorfindet, kann man nur als ideal bezeichnen. Ich bekenne gern: Es ist eine Freude, diesen Beruf auszuüben.

Die Bevölkerung besitzt in der Mehrheit Verstand und Vernunft

Aber nun zu den traurigen Erfahrungen. Dazu gehört in erster Linie das, was hier schon bei Herrn Altmann und bei Herrn Professor Erhard anklang, dass offensichtlich nicht einmal das von aller Welt bewunderte Großexperiment Soziale Marktwirtschaft, das Bundeswirtschaftsminister Erhard auf so glanzvolle Weise inszeniert hat, ausreicht, um dieses Wirtschaftssystem auf Dauer in unserem Land zu sichern. Im Gegenteil: es scheint gefährdeter als etwa vor zehn Jahren. Die Mehrheit der Bevölkerung weiß gewiss den marktwirtschaftlichen Segen zu schätzen. Wir befinden uns in der merkwürdigen Situation, dass man Verstand und Vernunft, die man einst einer elitären Oberschicht zugeordnet hat, heute eher suchen muss bei der Masse der Bürger, beim Durchschnittsmenschen, auch beim „kleinen Mann auf der Straße“, während eine zahlenmäßig nicht große, aber ungeheuer einflussreiche Schicht seit Jahren dabei ist, den Boden der Marktwirtschaft zu unterhöhlen, leider mit dem gewissen Erfolg. Anarchisten, Radikale, sogenannte Reformer, überzeugte Marxisten, vom Leben frustrierte Überdemokraten, die aus der Demokratie das Zerrbild des Demokratismus machen wollen, politische Schwärmer – sie alle bilden ein gefährliches Bündnis, um die freiheitliche Ordnung zu stören. Wir lassen es zu, dass diese brisante Politik der Zerstörung des Bestehenden völlig risikolos ist und noch dazu höchst einträglich. Ich würde zu bestimmten Gruppen sarkastisch sagen: „Sie leben wie die Maden im Speck, indem sie eben jenen Speck madig machen.“

Welches Kartell hält schon? Mögen die Liberalen gegenwärtig auch in der Defensive sein, sie werden und müssen die Offensive zurückgewinnen. Die liberalen Wirtschaftsjournalisten, die übrigens in einer erfreulich gutnachbarlichen Beziehung miteinander verkehren, obwohl sie zum Teil in geradezu konkurrenzwütigen Blättern sozusagen auch gegeneinander tätig sind, sind im Grunde nur ein Teil einer großen liberalen Koalition eine Art, die etwa seit 30 Jahren von den verschiedensten Standorten aus für die Freiheit eintritt. Diese Koalition hat gegenüber allen sonstigen politischen Verbindungen den großen Vorzug, dass sie auf Dauer geschlossen ist. Denn in dieser entscheidenden Auseinandersetzung sind die Vorkämpfer für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung in allen Lagern aufeinander angewiesen, im Wirtschaftsjournalismus, in der Wirtschaftspolitik und last not least in der Wirtschaftswissenschaft – womit ich meinem Nachredner schon eine kleine Brücke baue. So wie die Freiheit unteilbar ist, so auch die Verbindung derjenigen, die für sie eintreten. image

1977

Erfahrungen eines Hochschullehrers

Prof. Dr. Wolfram Engels

Lehrstuhl für Bank- und Betriebslehre an der Universität Frankfurt

„Unsere Auszeichnung gilt […] seinem öffentlichen Engagement für die Soziale Marktwirtschaft, wie es sich akademisch ausdrückt im Behaupten einer prinzipienfesten Position inmitten des feindseligen Ambiente einer von sozialistischen Affekten gequälten Universität […].“ Johannes Gross

Ich war in meiner Studienzeit lange Zeit Studentenvertreter, Fakultätssprecher und Fachverbandsleiter der deutschen Wirtschaftsstudenten. Ich habe damals für eine Hochschulreform gekämpft und gehöre zu der ersten Generation derer, die die Hochschulreform forderten. Ich habe in zwei Artikeln die Prognose geäußert, die Professoren würden ihre Indolenz und ihr Desinteresse an der Hochschulreform noch einmal bitter bereuen, und die zweite Prognose, man könne an der deutschen Universität ändern, was man wolle – es könne immer nur besser werden. Von dieser Prognose ist eine eingetroffen, die andere hat sich als falsch erwiesen. Eingetroffen ist die Prognose, dass sich die Professoren noch einmal bitter beschweren würden. Nur waren diejenigen, die ich damals meinte, längst emeritiert und ich war inzwischen Professor. Nachdem ich Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, habe ich gelernt, dass es nicht an den Personen dieser Professoren lag, dass nicht die Professoren schuld sind, weil sie konservativ waren. Wir selbst stecken in derselben Mühle in einem System, das alle unsere Anstrengungen zunichtemacht, das es uns nicht erlaubt, unsere Kräfte auf ein Ziel zu richten, das es uns nicht erlaubt, das an Begabung und Energie zu entfalten, was immer noch in den deutschen Professoren und immer noch in den deutschen Studenten heute wie früher steckt.

Die zweite Prognose hat sich als falsch erwiesen. Man hat an der deutschen Hochschule sehr viel geändert, und es ist noch schlechter geworden. Das ist die eigentliche Überraschung der ganzen Hochschulreformgeschichte.

Die anfänglich eher gemütliche Studentenrevolte in Saarbrücken

Als ich mich in Saarbrücken habilitierte, war die Studentenrevolution noch eine gemütliche und fast familiäre Angelegenheit. Als das Rektorat in Saarbrücken besetzt werden sollte, sagte der damalige Rektor Maihofer: „Nur über meine Leiche!“ Wer Herrn Maihofer kennt, weiß, dass das eine Drohung war. Infolgedessen wurde das Rektorat nicht besetzt. Als er dann einmal verreist war und sein Stellvertreter Fragstein das Rektorat übernahm, wurde das Rektorat prompt besetzt. Das war sehr gemütlich. Eine Tochter Maihofers soll auch dabei gewesen sein.“

Das ist ein Gerücht in Saarbrücken. Meine Frau – ich hatte kurz vorher geheiratet – war nur mit Mühe davon abzuhalten, an der Rektoratsbesetzung teilzunehmen. Das war eben eine nette Sache; da war etwas los. Das war auch nicht so bösartig. Als wir meinen früheren Lehrer, Herrn Gutenberg, zum Ehrendoktor promovierten, wurde die Treppe vorne von feindlichen Studenten besetzt, und von befreundeten Studenten wurde die Hintertreppe besetzt. Wir sind dann durch die Hintertreppe entwichen. Das war so eine Art Indianerspiel auf höherer Ebene. Ich glaube auch, es war in Saarbrücken nie so hart, wie es nachher in Frankfurt wurde. Als ich zu ersten Berufungsverhandlungen nach Frankfurt kam, kam ich gleich in den Kampf der Lager, in eine Demonstration mit allem, was dazu gehört, mit Flaschenwerfen, mit Polizei, mit Wasserwerfern, mit Hass, mit Angst auf beiden Seiten, auch bei der Polizei, auch bei mir. Die ganze Bewegung war mir nicht mehr so harmlos, wie ich sie noch aus Saarbrücken kannte. Saarbrücken war eben eine kleine Universität, wo man sich kannte, Frankfurt war eine große Universität.

Der Ton des Protests wird ruppiger

Von damals – 1968/69 – bis heute hat sich viel geändert. Die damalige Protestbewegung war intellektuell ungemein attraktiv, eine interessante Bewegung. Sie war organisatorisch und auch wohl intellektuell chaotisch. Aber sie war doch interessant, sie hatte ein ungemein starkes moralisches Pathos. Man konnte sich auch als Hochschullehrer der Faszination dieser neuen Linken nur sehr schwer entziehen. Das hat sich geändert. Die K-Gruppen, die die Nachfolge des alten SDS angetreten hatten, sind wohlorganisiert, aber dogmatisch erstarrt und intellektuell langweilig. Es fehlt der neuen Linken an Führerpersönlichkeiten. Die Aktionen werden gröber, zum Teil gemeiner. So hat sich auch die Faszination auf die Studenten verringert. Die Studenten stehen heute ohne vernünftige Idee da. Es gibt keine Idee, für die die Masse der Studenten sich begeistern kann. Als ich selbst das Opfer der Unruhen wurde, war die Sache längst vorher geplant. Das war wohl „strategiert“. Ich wusste etwa schon drei Wochen vorher, was geplant war, wer in den Planungsgruppen saß – man hatte ja auch seine Spione da –, und es gab schon vorher das Rechnen, wie viele Stunden ich wohl durchhalten würde. Wir planten dann Gegenstrategien. All das, was in der Vorlesung gesagt oder getan wurde, spielte überhaupt keine Rolle. Es spielte nur eine Rolle als Rechtfertigung. Die Sprengung der Vorlesung war beschlossen, bevor ich das erste Wort gesagt hatte.

Es war auch nicht meine Person, die zur Debatte stand. Einer der Anführer kam ganz freundlich zu mir und sagte: „Sie müssen nicht denken, dass es um Ihre Person geht; es geht ums Prinzip.“ Ich musste ihm eine „Eins“ in einem Seminar geben, das zu gleicher Zeit stattfand, weil er ein sehr eifriger und interessierter Student war. Es tat ihm offensichtlich leid, dass er meine Vorlesung so stören musste. Es ging einfach darum, dass ich kurz vorher für die CDU zum Deutschen Bundestag kandidiert hatte; das gab einen Aushängeeffekt, einen Mobilisierungseffekt. Deshalb war meine Vorlesung, die eine große Vorlesung war, gut geeignet zum Stören. Deshalb kann ich auch nicht sagen, dass ich die Unruhen selbst schwergenommen hätte, ich war eben ein Stein in dieser ganzen Auseinandersetzung. Meine Person war eher zufällig darin.

Meine Person wurde auch vom damaligen Präsidenten insofern gebraucht, als er sagte: „Der ist in der CDU, der hat zum Bundestag kandidiert; er kann nicht so leicht zurückziehen, er muss es einmal durchhalten.“ Ich konnte die Vorlesung nicht abbrechen – das ist für den Professor das Allerschönste, damit spart er sich viel Arbeit –; ich musste einfach durchhalten, weil ich aus der Bundestagskandidatur heraus bekannt geworden war. Ich muss auch sagen, dass ich die Studenten als fair empfand. Als es ganz heiß wurde, als der Saal, der 600 fasste, mit 1.000 gefüllt war und man die Masse nicht mehr kontrollieren konnte – da wurde ich durch einen Ring von befreundeten Studenten abgeschirmt, und um den Ring der befreundeten Studenten stand noch ein Ring gegnerischer Studenten, die mich auch abschirmten. Ich hatte Angst; ich dachte, es käme zur Schlägerei. Nein, es sollte gerade keine Schlägerei geben. Es war ein dicht gestaffelter Ring von Kommunisten um mich herum, die mich für den Notfall abschirmen wollten.

Fehlgerichtete Motivationen – kranke Universität

Die Universität ist zwar ruhiger, aber nicht gesünder geworden. Die Krankheit der Universität äußert sich nicht mehr in allzu großartigen Explosionen; sie äußert sich darin, dass die Universität völlig unbeweglich geworden ist, dass keine Entscheidungen mehr gefällt werden, dass es 14 Monate dauert, bis eine Professur besetzt werden kann, dass es fünf Jahre lang dauert, bis eine neue Prüfungsordnung beschlossen ist, kurz, dass der ganze Reform-Elan, der nicht nur bei Studenten, sondern zum Teil auch bei Professoren vorhanden war, versiegt ist, dass man sich in der Mühle nur noch mühsam vorwärtsbewegt – wenn überhaupt vorwärts. Man weiß gar nicht, ob eine Reform oder eine Änderung überhaupt noch etwas ist, das einen irgendwohin bringt, ob man nicht einen Schritt zurück macht oder in eine andere Richtung machen sollte. Der Druck vom Arbeitsmarkt wirkt selbstverständlich in die Universitäten hinein. Schließlich muss man auch sagen, dass die Revolte dazu geführt hat, dass ganze Fachbereiche von der Neuen Theologie übernommen worden sind.

Was ich aber gelernt habe – eben auch als Ökonom und Organisationstheoretiker –, ist, dass die Misere nicht an den Personen liegt, weder an den Professoren noch an den Studenten. Wir haben hier ein System geschaffen, in dem sämtliche Motivationen fehlgerichtet sind, sowohl die Motivation der Studenten, wie der Assistenten, wie der Professoren. Wir haben ein System geschaffen, in dem eigentlich niemand mehr für irgendetwas Verantwortung trägt. Denn „Verantwortung tragen“ ist natürlich ein leeres Wort, wenn keine Sanktion dahinter steht. Die Professoren tragen doch nicht die Verantwortung für die Universität! Ihr Gehalt läuft doch weiter, ganz gleich, wie schlecht die Universität beschaffen ist. Hier trägt niemand Verantwortung. Hier ist unter dem Druck des Numerus clausus, unter dem Druck des Nicht-wählen-Könnens Gewalt und Protest das einzige Mittel für die Studenten, das ihnen bleibt, wenn sie ihrem Unmut Luft machen wollen. Wer mit seinem Einzelhändler unzufrieden ist, geht nicht hin und protestiert, sondern wechselt seinen Einzelhändler. Das ist der Markt. Diesen Mechanismus haben wir an der Universität nicht. Ein bedeutender Kollege in Amerika, Hirschmann, hat gesagt: Wo diese Mechanismen fehlen, sucht sich das soziale Gebilde andere Mechanismen – eben Protest und Revolution. Die Studentenrevolution ist leicht damit zu erklären, dass es einfach keine anderen Möglichkeiten gibt, dem Unmut Bahn zu verschaffen, dass der Student gegenüber dem Professor nicht in der Situation eines Kunden ist, wie im Einzelhandelsgeschäft, sondern dass er weitgehend von ihm abhängig ist – und zwar heute viel mehr, als ich jemals von meinen Lehrern abhängig war. Das meine ich mit Verschlechterung der Studienverhältnisse.

Ich habe auch ein gutes Verhältnis zu meinen Lehrern gesucht, aber deshalb, weil ich von ihnen sehr viel lernte. Ich habe meine Lehrer zum Teil verehrt, deshalb suchte ich ihre Anerkennung. Aber unsere Studenten suchen ein Verhältnis zu uns, weil sie großenteils glauben, es könne ihnen irgendwie nützen. Das meine ich mit der Verschlechterung der Studienverhältnisse. Wir sind in einer stärkeren Machtposition, als selbst unsere Lehrer es damals waren. Die Hochschulen werden nie wieder leistungsfähig, wenn wir nicht die Prinzipien anwenden, von denen wir am Markt gelernt haben, dass sie die vitalen Energien zu entfalten vermögen, wenn wir nicht Organisationszüge des Marktes auch auf die Universität übertragen, wenn wir nicht den Studenten zum Kunden an der Universität machen und den Professor wieder zur Verantwortung ziehen.

Schlussbemerkung

Ich darf eine persönliche Schlussbemerkung hinzufügen. Ich habe mich von der Wirtschaftstheorie, der Betriebswirtschaftslehre speziell, immer mehr auf das Gebiet der Organisationstheorie begeben. Die Prinzipien der Organisation, die man in einem Bereich hat, etwa am Markt, lassen sich auf andere Bereiche übertragen – Armee, Kirche, Schule, Staat. Sie gelten eben nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für ganz andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

Ich bin Herrn Kollegen und Altbundeskanzler Ludwig Erhard dankbar. Er ist in doppelter Weise für diesen Preis verantwortlich. Ich hätte niemals Wirtschaftswissenschaften studiert, wenn ich nicht so fasziniert gewesen wäre von den Debatten von Erhard und Nölting damals in den fünfziger Jahren. Von allen Politikern, die ich damals bewundert habe, Konrad Adenauer, Thomas Dehler, war er der einzige, der mein Leben beeinflusst hat dadurch, dass ich Wirtschaftswissenschaften studiert habe. Ich glaube, dass unsere heutige Wirtschaftswissenschaft und die Erkenntnisse, die wir erreicht haben, weit über den bloßen Bereich der Wirtschaft hinwegreichen in andere Bereiche wie die Universität oder die Politik oder die Armee. Wir können diese Prinzipien weithin anwenden, und ich glaube, wir sollten sie auch viel mehr anwenden, als wir es bisher gewohnt sind. image

1977

Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten im Fernsehen

Diether Stolze

Stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Leiter des Wirtschaftsressorts

„Diether Stolze [ist] zu ehren, weil er im Fernsehen, in dem die Anhänger der Marktwirtschaft nicht eigentlich dominieren, gegen heftigen Druck von außen als Mitmoderator der Sendung „Plusminus“ des ersten Programms die Grundzüge jener wirtschaftlichen Ordnung allezeit expliziert und energisch verteidigt hat […].“ Johannes Gross

Eigentlich müsste ich mich entschuldigen, dass bei einer Feierstunde, die der Marktwirtschaft gewidmet ist, so viel von Kartellen gesprochen wird. Herr Eick hat gleich zu Anfang das Geheimnis gelüftet: Wir haben ein Kartell gebildet – und Sie haben mittlerweile gesehen, dass es nicht funktioniert.

Herr Eick hat allerdings nur die eine Hälfte der Kartellvereinbarung genannt. Denn wie es mit Kartellen so ist: Viel Wettbewerb herrscht da nicht. Als ich hierher eingeladen wurde, rief Herr Dr. Hohmann mich an und sagte mir: Herr Eick spricht über Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten, Herr Professor Engels über Erfahrungen eines Hochschullehrers – worüber sprechen Sie? Da habe ich erkannt, dass die Marktchancen hier nach dem Alphabet zugeteilt werden. Aber wir kennen ja die schöne Erfindung der Marktnische. So habe ich meine Marktnische ausgesucht: die Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten im Fernsehen. Dieses Thema schließt in manchen Punkten auch an die Ausführungen von Herrn Altmann über Wirtschaftspolitik und Öffentlichkeit an.

Eine zweijährige Nebentätigkeit als Herausgeber und Moderator eines Fernsehmagazins, das in unregelmäßigen Abständen fünfmal im Jahr über die Bildschirme geht, bleibt im Leben eines Journalisten Episode. Wenn ich dennoch heute dazu einige Anmerkungen machen möchte, so im Hinblick auf die Diskussion über die Zukunft der Medien, insbesondere über die „innere Pressefreiheit“. Vielleicht mögen den einen oder anderen die Beobachtungen eines Journalisten interessieren, der einige Zeit auf beiden Seiten des Zauns gearbeitet hat, der das öffentlich-rechtliche System der Fernsehanstalten von der privatwirtschaftlichen Sphäre der Zeitungsverlage trennt.

Thema meiner Anmerkungen ist nicht die gewiss faszinierende Technik des Fernsehens, auch nicht seine Breitenwirkung – die im Übrigen manchmal überschätzt wird. Der „Stern“ zum Beispiel erreicht mit durchschnittlich 8,2 Millionen Lesern pro Woche einen größeren Teil der Bevölkerung als jedes Fernsehmagazin. Selbst „die Zeit“, die weder von ihren Lesern noch von ihrer Redaktion als Massenpublikation empfunden wird, bringt es jede Woche auf 1,2 Millionen Leser, was umgerechnet einer „Einschaltquote“ von 4 Prozent entsprechen würde, mehr also als viele politische Sendungen in den dritten Programmen. Mein Thema sind nur die Inhalte, die sozusagen verfassungsmäßigen Unterschiede zwischen den beiden Medien-Bereichen. Dabei beschränke ich mich auf die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen, präziser gesagt, im ersten Programm.

Vernachlässigung der Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen