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Wolfgang Breuer

Mords-Stünzel

Ein Wittgenstein-Krimi

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Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.

Wolfgang Breuer

Cover: unter Verwendung einer Zeichnung von

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten!
© 2017

Impressum

eISBN 978-3-96136-022-2

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Inhalt

Sonntag, 12. Juni

Montag, 13. Juni

Dienstag, 14. Juni

Mittwoch, 15. Juni

Sonntag, 12. Juni

„Junge, kannst Dü mäa äwe mul helfe, hie dä Ohänga aus’m Dreck ze zieh?“ „Kienhewersch Winfried“ hatte sich an einen jungen Mann gewandt, der gerade dabei war, die Rückseite eines Marktstandes zu demontieren.

Doch der Angesprochene, den er eigentlich für den Junior vom „Schaumwaffel-Willi“ aus Aue gehalten hatte, schaute ihn nur etwas irritiert an. Von dem Wittgensteiner Platt hatte er kein Wort verstanden und fragte: „’tschuidigen’s, wos moanans?“

‚Mist, das iss’n Ausländer’, dachte der Bauer aus Rinthe und wollte gerade abdrehen. Aber der Mann fragte nochmals, diesmal auf Honoratioren-Bayerisch: „Wo-mit-konn-i-Eahnahöij-fen?“

Damit kam etwas mehr Licht ins Dunkel der Konversation. Also versuchte es auch Winfried erneut: „Es wäa schön, wenn De ma mal helfen könntest, hier an mei’m Pferdeanhänga. Ich krich den net aus dem Dreck da raus.“ Das war jetzt Wittgensteiner Hochdeutsch. Der Bayer lächelte und kam näher. Ging doch!

Benedikt, Sohn eines Loden- und Trachtenhändlers aus Lenggries in Oberbayern war ein ausgesprochen netter Typ. 22 Jahre alt und augenblicklich, während der Semesterferien, mit den Eltern auf Tour quer durch die Republik. Natürlich war der ‚Bene’, wie ihn alle nannten, bereit, dem Manne zu helfen, der sich durch ein ganz unglückliches Rangiermanöver direkt hinter dem Trachten-Stand festgefahren hatte. Sein Tandemanhänger steckte zwischen zwei Buchen fast bis zu den Achsen im aufgeweichten Boden. Und Winfrieds alter 230er Mercedes bekam die Karre nicht mehr raus.

Es war Sonntag, Tag eins nach dem sage und schreibe 184. Stünzelfest. Die große Tierschau mit Prämiierung, Markt und Rummel. Wieder war es ein grandioses Ereignis, das bei tollem Wetter über fünfzehntausend Menschen auf den herrlichen Waldfestplatz gelockt hatte. Und nun waren Händler aus aller Herren Länder dabei, ihre nicht verkauften Waren und ihre Stände zusammenzupacken und den Heimweg anzutreten.

Am späten Abend hatte es plötzlich wie aus Kübeln gegossen. Da war keiner von ihnen bereit, seinen Krempel zusammenzupacken und dabei patschnass zu werden. Der Abbau musste halt jetzt passieren.

Nur noch von den Laubbäumen fiel der eine oder andere Regentropfen herunter. Ansonsten schwante wieder so etwas wie Sommer über Wittgenstein.

Landwirt Winfried Stremmel, Hausname „Kienhewersch“, war am Morgen zu Fuß hergekommen. Denn er hatte über Nacht seinen Pkw samt Pferdeanhänger hier stehen lassen. Weil der Wallach, den er mit dem Hänger üblicherweise transportierte, gestern seinen Besitzer gewechselt und Winnie dieses lukrative Geschäft anschließend mit vielen Gläsern Pils, diversen Kurzen und dem legendären „Bullenauge“ begossen hatte. Seine Trinklaune war fast grenzenlos.

Trotzdem ging aber irgendwann vor seinem geistigen Auge ein rotes Lämpchen an. Denn der Mann aus Rinthe hatte absolut keinen Bock auf dauerhaftes Zufußgehen, weil ihm im Suff sein Lappen abgenommen worden war. Mit 61 kriegt man den Führerschein in der Regel nur noch mit tausend Klimmzügen wieder. Und das war ihm sogar in seinem „wahne sträwen Kopp“ erinnerlich geblieben.

Also hatte er sich von einem Taxi heimfahren lassen. Das war gar nicht so teuer. Denn seine Nachbarn, Ulla und Helmut Dreisbach, hatten zur selben Zeit dasselbe Fahrtziel. Und so wurden die Kosten für den Trip geteilt.

Noch billiger war jetzt nur noch sein Fußmarsch hierher. Ein Kraftakt zwar, nach der Stallarbeit. Aber die frische Luft, die er bei der Wanderung rauf nach Stünzel gegen letzte Alkoholausdünstungen in seiner Lunge tauschte, ließ ihn richtig munter werden. Der durchaus ansehnliche, schlanke Mann mit dichtem, grauem Haar fühlte sich fit wie ein Turnschuh.

Benedikt Raitmaier hatte sich inzwischen die Lage genauer angesehen und dem Winnie angeboten, seinen BMW-Offroader ganz vorne dran zu hängen. „Des dearft’ reich’n. Dann ziag ma Sie samt Daimler do heraus. Obschleppseil hob’ i dabei. Is des a Wort?“

„Jo, kimma su mache …, äääh … können wa so machen“, grinste der Hilfebedürftige und ging schon mal zu seinem Auto, um die vordere Anhängeschlaufe für das Schleppseil ausfindig zu machen. Häufig hatte er die in den 23 Lebensjahren seines Diesels nicht benutzen müssen. Aber jetzt galt’s.

Ein paar Minuten später hatten sie das Gespann zusammengebunden. Und der ‚Bene’ war langsam angefahren. Doch es ging nicht so recht vorwärts. Darum erhöhte der BMW-Fahrer die Drehzahl. Dreck spritzte auf die Frontscheibe von Winfrieds Wagen. Des Offroaders breite Schlappen drehten auf dem nassen Boden durch. Trotz „Four-Wheel-Drive“. Früher nannte man das „Allrad-Sperrdifferenzial“.

‚Jetzt bloß den Scheibenwischer auslassen’, dachte sich der Landwirt. ‚Sonst hast du gleich den größten Schmier vorne drauf und siehst gar nix mehr.’

Aber es klappte einfach nicht. Und der junge Bayer kapitulierte erst einmal. Er stieg aus und kam zum Daimler zurück. „Des woa fei a saublede Idee. Wos hoidn’s dovon, dess ma den Hänger abkoppijn und z’erst a moij schaugn, des mia mit die zwoa Autos do naus kimma? Mia hätt’n sofoart an Traktor hoi’jn soijn.“

„Die Idee hatte ich auch schon. Awwa hia is ja keina weit und breit“, ärgerte sich Stremmel, der sich langsam in den Slang seines jungen Helfers reingehört hatte. „Kein Schwein mit’m Schleppa da.“

„Doch, do kimmt oana!“, rief der Bene begeistert aus. „Un wos fir an Brumma!“ Tatsächlich näherte sich ein riesiges Gefährt. Der Bayer rannte quer zwischen halb zerlegten Buden und Wagen zum Hauptweg, hielt den Treckerfahrer an und erklärte ihm in breitem, alpenländischem Slang, wo der Hase im Pfeffer lag. Der Mann auf dem mächtigen Deutz begriff offenbar sofort und nickte. Kurz darauf hatte er erst den BMW und dann den Mercedes samt Hänger am Haken und zog sie fast behutsam aus dem Dreck. Eine prachtvolle Demonstration von Stärke war das, für die sich die Männer im Schlamm brav bedankten.

„So, i muass jetz’ a. Pfia Di, meijn Liawa“, rief der Benedikt, holte das Schleppseil ein und stieg in seinen BMW, um wieder vor den Stand seiner Eltern zu fahren. Winnie, glücklich wieder auf halbwegs trockenem und festem Boden zu stehen, wollte es ihm gleich tun. Doch er musste zunächst die Fußmatten einsammeln, die er am Morgen als Unterlage für seine durchdrehenden Räder in die Pampe am Boden gelegt hatte. „Meine Herrschaften, sin’ die dreckich“, motzte er vor sich hin, als er die vor Matsch triefenden Teile mit weit ausgestreckten Armen und spitzen Fingern zu seinem Anhänger schleppte. Die Seitentür vorne war unverschlossen geblieben und leicht zu öffnen. Wie immer, wenn nichts drin war. So konnte er die schmierigen Matten einfach mit Piff um die Ecke in den Hänger feuern und sich vom Acker machen.

Was ihm auffiel, war, dass die Matten keinen Ton, nicht mal ein Rascheln auf dem Stroh im Inneren des Hängers verursachten. Sie schienen auf etwas Weiches gefallen zu sein. ‚So’n Mist’, dachte der Bauer, ‚is’ da etwa noch die Pferdedecke drin, runner gefallen un’ liecht jetz’ unner dem Matsch?’ Die hätte eigentlich der Käufer von „Luego“, haben sollen. Da war nämlich der Name des Wallachs eingestickt.

Nichts, was ihn jetzt sonderlich beunruhigte. Aber irgendwie wollte er doch nachschauen. Eventuell müsste er da heute noch nach Feudingen, um dem neuen Besitzer sein Eigentum nachzuliefern.

Also öffnete er die Seitentür nun weiter, schaute um die Ecke in den Wagen und schreckte zurück. „Hey, was machen Sie denn da drin? Kommen Sie da raus. Sofort. Hallo, aufstehen bitte!“ Auf dem Stroh und unter seinen dreckigen Fußmatten lag eine junge Frau. Sie schien tief zu schlafen und rührte sich nicht einen Millimeter. Daneben die Pferdedecke.

„Das gibt’s doch auf kei’m Schiff, verdammt noch mal“, wurde Stremmel jetzt lauter. „So besoffen kann ma doch gar net sein. Aufstehen jetz’! Awwa dalli! Sonst schmeiß’ ich Sie eijenhändich raus!“ Doch die Frau rührte sich nicht.

Winfried wurde richtig sauer. Da musste er wohl jetzt wirklich selbst Hand anlegen. Obwohl ihm mulmig dabei zumute war. Eine fremde, liegende Frau anfassen. Bei dem Gedanken kam er sich nicht gut vor. So ganz ohne Zeugen. Also kletterte er in seinen Hänger und kniete sich neben die vermeintlich Schlafende. „Aufstehen, bitte!“, wurde er noch lauter. Er fasste sie an den Schultern und wollte sie wachrütteln. Doch dann sah er plötzlich, dass der Schlaf dieser wirklichen Schönheit einer für die Ewigkeit war. Die Augen der jungen Frau waren offen, ihr Blick starr. Sie war tot. Eindeutig.

Der Landwirt wich zurück, atmete tief, rang sich aber bald zur Pulskontrolle an der Frau durch. Doch die Suche nach einem fühlbaren Herzschlag in den Adern konnte er sich getrost sparen. Der Arm, an dem er kontrollieren wollte, war steif und eiskalt.

„Du liewa Herrgott“, entfuhr es ihm. „Was für ’ne Katastrophe. Was für eine unglaubliche Scheiße“, wurde er immer lauter. Eine Tote. Und das noch in meinem Pferdeanhänger. „Die is’ doch noch keine 25 Jahre alt,“ stammelte Stremmel laut vor sich hin. „Und dann noch so ein hübsches Ding.“ Er war total durch den Wind.

„Hey!“, brüllte er, „hey, komm doch mal einer her!“ Aber niemand hörte ihn.

In seinem Kopf spielte alles verrückt. ‚Was soll ich denn jetz’ machen?’ Er brauchte eine Weile, um wieder zu klarem Verstand zu kommen. Dann aber war alles klar für Winfried. ‚Erst Polizei anrufen und dann die Händler informieren, die noch am Platz waren. Die müssen noch bleiben’, dachte er. Sie waren vielleicht Zeugen.

Winnie ließ alles so, wie er es vorgefunden hatte. Auch seine Fußmatten lagen noch auf der Leiche, als er ausstieg und sein Handy aus seinem Daimler holte.

„Polizeinotruf, guten Morgen“, kam es wenige Sekunden nach seiner Nummernwahl 110 mit weiblicher Stimme aus dem Mobiltelefon.

„Ich hab’ hier ’ne Frauenleiche zu melden“, verkündete Winfried Stremmel mit zitternder Stimme. Alles was Recht ist. Aber keiner kann von einem 61-Jährigen verlangen, in einer solchen Situation cool zu bleiben.

„Eine Frauenleiche? Wer sind Sie denn? Und wo befinden Sie sich zur Zeit?“

„Winfried Stremmel aus Bad Berleburg-Rinthe. Ich bin zur Zeit auf’m Festplatz in Stünzel. Ich hab’ se grade gefunden. Die liecht in meinem Pferdeanhänger. Sieht aus, wie wenn se schlafen würde.“

„Sind Sie sicher, dass die Frau tot ist? Haben Sie auch den Rettungsdienst gerufen.“

„Nein, Rettungsdienst noch net. Aber ich glaub’, den brauchen wa net. Ich bin sicher, dass se tot ist. Wohl schon länger. Denn se is eiskalt und steif. Wahrscheinlich schon Leichenstarre.“

„Alles klar. Konnten Sie irgendwelche Verletzungen an der Toten erkennen?“

„Nä, awwa das is auch net so einfach. Ich hab’ keine Erfahrung mit so was. Un’ ich will auch nix verändern oder noch mal anpacken.“

„Wieso ‚noch mal anpacken’?“

„Ja, weil ich doch nach’m Puls fühlen musste. Awwa dabei wurde’s dann klar, dass se tot is’.“

„Das war richtig, was Sie getan haben“, erwiderte die Frau am Polizeinotruf. „Lassen Sie bitte alles unverändert und warten Sie auf das Eintreffen meiner Kollegen. Die werden aus Bad Berleburg kommen und in dieser Minute losfahren.“

Nachdem sie auch noch Winnies Handynummer aufgeschrieben hatte, beendete die Dame auf der anderen Seite das Gespräch.

Kienhewersch Winfried lief wie ferngesteuert zwischen den Wagen und Anhängern herum, die mittlerweile fast alle fertig gepackt und abreisebereit waren. Vorne fuhren bereits zwei von den Händlern an. „Stopp, anhalten! Ihr könnt noch net weg!“, versperrte er ihnen den Weg. „Ihr müsst noch hier bleiben. Da hinten licht ’ne tote Frau. Die Polizei kommt gleich.“

„Bisse noch so besoffen, dasse weiße Mäuse siehs’ oda wat?“ Der Messer- und weiß der Himmel was noch -Händler aus Remscheid schaute aus dem Fahrerfenster seines Transporters und wedelte mit der linken Hand vor seinem Gesicht herum. „Wo soll denn da ’ne Tote herkommen? Du has’ doch einen am Appel, hömma! Leech Dich wieda hin un schlaf ma aus!“

Doch Winnie rührte sich nicht von der Stelle. Wenn hier einer losführe, dann müsste er ihn über den Haufen fahren.

Von weiter hinten kam der Benedikt nach vorne gesprintet. „Ja, wos is’n? Host scho wieada a Problem? Mia miassat’n longsom a moi los. Mia kriag’n neiche Ware, die mir underwegs auflod’n woijn.“

„Könnta awwa net.“ Winfried Stremmel erklärte schnell die Lage, worauf der junge Kerl kreidebleich wurde, wieder zurückrannte zu den wartenden Eltern und sie mehr oder weniger nötigte, auszuharren, bis die Polizei kommen würde.

Die Nachricht hatte allgemeine Verwirrung unter den Anwesenden ausgelöst. Eine Tote in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft? Die meisten wollten schnell mal in den Pferdeanhänger schauen, um sich zu vergewissern, ob das auch stimmte und ob sie die junge Frau eventuell kannten. Aber sie mussten vorsichtig sein, um keine Spuren zu hinterlassen. Im Übrigen konnten sie ihr Gesicht ja nicht sehen. So blieb ihnen dann, sich schaudernd oder kopfschüttelnd abzuwenden.

Drüben, vom Ort her, waren Martinshörner zu hören. Das Gedudel der Polizeisirenen überschlug sich. Sodass man den Eindruck haben musste, es sei eine ganze Hundertschaft im Anmarsch. Aber es kamen ‚nur’ drei Streifenfahrzeuge.

Jeweils mit zwei Leuten besetzt. Und kurz darauf traf noch ein Notarztwagen ein. Hatte die Dame vom Notruf dann wohl doch für nötig befunden.

„Wer von Ihnen ist Herr Stremmel aus Rinthe?“ Es war Polizeikommissar Jürgen Winter, der das fragte und in die Runde schaute. Winnie meldete sich aus der Gruppe der Umherstehenden. „Ach, Sie sind das. Wir kennen uns doch, Herr Stremmel. Ich wohne in Weidenhausen. So weit liegen unsere beiden Dörfer ja nicht auseinander. War doch erst neulich auf dem Sängerfest, als wir uns zum letzten Mal begegnet sind.“

„Stimmt. Jetzt, wo Sie’s sagen … Hab’ Sie doch noch nie in Uniform gesehen.“ Winnie war weit angenehmer in seiner Haut, als er erfuhr, dass er es mit einem Wittgensteiner Beamten zu tun hatte. Wenngleich er sich ja keiner Schuld bewusst war. Aber die Polizei war für ihn immer etwas Respekteinflößendes gewesen. Das hatte sich bis in sein siebtes Lebensjahrzehnt nicht geändert. „Wenn de net parierst, holt Dich de Polizei. Un dann kommste ins Loch.“ So hatten die Alten immer wieder bedingungslose Loyalität eingefordert. Und das funktionierte.

„Wo liegt denn die Frau?“, drängte der Notarzt. „Können Sie uns dahin bringen?“

„Natürlich. Kommense!“ Winnie setzte sich in eine Art Trab. Stimmte ja. Für den Arzt durfte keine Zeit vergehen.

Hinter ihm rannte jetzt eine kleine Armada her, rüber auf den Seitenweg im Buchenwald. Notarzt, Sanitäter, Jürgen Winter und ein weiterer Polizist. Im Laufen rief Winter den vier anderen Kollegen zu: „Bitte die Personalien der Händler und Schausteller aufnehmen und befragen! Niemand fährt oder geht weg, bevor nicht die Kripo hier ist!“

„Na, das kann ja noch heiter werden heute!“, rief eine Frau, die sich vor ihrem Brezelwagen aufgebaut hatte.

„Das ist mir zu dunkel hier drin!“, rief der Notarzt aus dem Anhänger heraus. Könntet Ihr mal hinten die Klappe aufmachen?“

„Aber bitte nur mit Handschuhen!“, befahl Winter. „Wegen der Fingerabdrücke. Lasst Euch welche vom Rettungssanitäter geben.“

Als die Klappe heruntergelassen war, lag die junge Frau da wie auf einer Show-Bühne. Ihr dunkles, langes Haar umgab ihr Gesicht wie eine Corona. Und gnädig beleuchtete die milchige Junisonne dieses Drama. Wenngleich die Schöne im Stroh von draußen gar nicht wie tot aussah. Nur extrem blass und mit fragendem Blick. Doch der Mediziner bestätigte jetzt offiziell ihr Ableben und schloss ihre Augen. Vor mindestens zwölf Stunden sei sie gestorben, stellte er fest, nachdem er den Leichnam genauer angeschaut und die Umgebung gesichtet hatte. Die Todeszeit könne man vage anhand der Leichenstarre bestimmen, die intensiv ausgeprägt war.

„Es ist jetzt 9.40 Uhr“, begann Jürgen Winter zu rechnen, „minus zwölf Stunden. Das wäre um 21.40 Uhr gewesen.“

„Ja, gehen Sie mal davon aus, dass sie grob gerechnet zwischen neun und elf Uhr heute Nacht starb.“ Der Notarzt packte seine Utensilien zusammen und stellte einen Totenschein aus. Todesursache: „Vermutlich Äußere Gewalteinwirkung, Fraktur des Os hyoideum wahrscheinlich.

Bitte lassen Sie alles weitere durch einen Kollegen vom Rechtsmedizinischen Institut untersuchen. Die Sache ist mir nicht geheuer. Die Frau hat mehrere Einstichstellen in der linken Armbeuge. Darunter eine recht frische. Aber ich kann in dem Wagen hier keinerlei Spritzutensilien finden. Dazu scheint mir ihr Zungenbein gebrochen zu sein. Beides würde einen natürlichen Tod nahezu ausschließen.“

„Na bravo“, kommentierte Winter die ärztliche Feststellung und wandte sich an den Kollegen Rüdiger Mertz, der ihn begleitet hatte. „Kannst Du bitte die Kollegen von der Kripo informieren, dass wir das ‚große Besteck’ aus Siegen brauchen?“ Gemeint waren damit Rechtsmedizin und Spurensicherung.

„Klar, mach’ ich.“ Der Polizeihauptmeister ging ein paar Schritte zur Seite und setzte die Info per Smartphone ab. Auf der anderen Seite hatte sich Corinna Lauber gemeldet, die frisch zur Kriminaloberkommissarin befördert worden war. Die allseits beliebte Kollegin hatte Wochenenddienst und war sofort an der Strippe. „Hatte mich schon vorbereitet, dass da eventuell noch was dazu kommt. Bin schon fast bei Euch. Ich fahre gerade an Hemschlar vorbei. Okay, ich rufe sofort in Siegen an. Bis gleich.“

Wenige Minuten später kam Corinna in ihrem zivilen Dienst-Mondeo angerauscht. Besser, sie wurde angerauscht. Denn nicht sie saß am Steuer, sondern Sven Lukas, der ‚Freak’. Sie hatte ihn auf der Fahrt von ihrem Wohnort Girkhausen in der Wache in Berleburg aufgesammelt und von seinen schon fast manisch betriebenen Internet-Recherchen weggezerrt. „Komm“, hatte sie gesagt. „Das auf dem Stünzel ist realer als alles, was Du hier aus dem Netz ziehen kannst.“

„Stimmt“, hatte er gegrinst. „Das war schon ganz schön real, was ich gestern auf dieser Fete im Wald erlebt hab’. Ich war ja vorher noch nie da und hab’ mir die Augen gerieben, als ich sah, was da abgeht. Vor allem, was da weggeschluckt wird. Alte Schwedin“, lachte er, als sie die Treppe runter zum Wagen liefen.

„Mit der meinst Du aber jetzt nicht mich“, hatte sie sich kokett zur Wehr gesetzt.

„Mit der Schwedin, meinst Du? … Nee, die ist bedeutend älter.“

Es wurde eine fröhliche Fahrt aus einem todtraurigen Anlass. Diesen Widerspruch können Außenstehende nur schwer verstehen. Deshalb dringt so etwas auch selten nach ‚draußen’. Für viele der Polizeibeamten sind solche Spaß-Situationen einfach überlebenswichtig. Ohne einen gewissen Galgenhumor würden sie nämlich ihre häufig erschütternden Diensterlebnisse nicht heil an Geist und Seele überstehen. Und das hier war halt mal eine Portion ‚Humor zur Prophylaxe’. Bei der Einfahrt in den Festplatz, entlang der aufgereihten Händlerfahrzeuge, zischte Corinna dann auch: „So, aufhören mit Grinsen. Dienstgesicht bitte. Wir sind da.“

„Die sind da drüben“, hatte ihnen eine Kollegin bedeutet, die gerade bei einer Zeugenbefragung im Streifenwagen saß. Mit einer Kopfbewegung deutete sie ihnen den Weg an. Und während die beiden Kripo-Leute zum ‚Tatort’ liefen, meinte Sven: „Sieht ganz schön trostlos aus jetzt. Gestern steppte hier der Bär. Mann oh Mann.“

„Das scheint Dich ja ganz schön beeindruckt zu haben, die Trinklust meiner Landsleute“, lachte Corinna.

„Nee, das war nur geiles Beiwerk. War echt was geboten. So richtig nachhaltig beeindruckt hat mich aber eigentlich nur Kathrin, die ich gestern hier kennengelernt habe. Eine tolle Frau. Lebt in Laasphe und studiert an der Uni in Siegen. Wenn’s klappt, dann werde ich sie morgen Abend ab…“

„Dann wirst Du sie morgen Abend was?“, wollte Corinna wissen.

Sven kam nicht weiter. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Tote, die sie hinter einer Art Paravent fanden. Winter und Mertz warteten dort. Der Notarzt war bereits gefahren.

„Nee“, verbesserte Sven Lukas seinen Satz von eben, wobei er sich fast anhörte wie ein Roboter, so seltsam statisch klang seine Stimme, „nee, ich werde sie morgen Abend nicht abholen.“ Dann stiegen ihm Tränen in die Augen.

„Lukas? … Lukas? Hey, was ist los mit Dir?“, wollte Corinna wissen.

Doch er antwortete nicht.

„Kennst Du die Frau?“

Er nickte stumm.

„Wer ist das?“ Corinna erahnte die Antwort zwar. Aber sie wollte sie von dem Kollegen hören. „Ist das etwa Kathrin?“

„Ja“, brachte er unter Schlucken hervor, „das ist …, das ist Kathrin. Kathrin Kögel, gestern 24 Jahre alt geworden.“ Weiter kam er nicht. Sven drehte ab und ging langsam ein Stück in den Buchenwald hinein. Jürgen Winter folgte ihm mit einigen Schritten Abstand. Bis der schwer angeschlagene Kriminalhauptmeister stehen blieb. Jürgen legte seinen Arm um dessen Schulter und zog seinen Kopf nahe an sich.

„Heul’s raus, Junge. Das tut gut. Und schäm’ Dich nicht deswegen. Keinem von uns ginge es anders.“

„Aber ich hab’ sie doch erst gestern Mittag kennengelernt. Das gibt’s doch gar nicht, Mensch“, kam es mit weinerlicher Stimme zurück.

Jürgen blieb stumm. Was hätte er auch antworten sollen. ‚Das Schicksal ist eine Hure’, dachte er bei sich. ‚Sie arbeitet präzise nach Auftrag. Nur, woher der Auftrag kommt und wer sie dafür bezahlt, das ist nicht bekannt.’

So standen sie eine ganze Weile. Und Sven Lukas schien sich langsam zu beruhigen. Mit geröteten Augen schaute er nach einer ganzen langen Weile fast beschämt auf zu dem Kollegen, der ihn noch immer im Arm hielt. „Es ist so scheiße, das Ganze!“, rief er plötzlich, machte sich frei und ging zurück zu dem Pferdeanhänger. Jürgen folgte ihm.

„Geht’s wieder?“ Corinna legte einen besorgten Gesichtsausdruck auf, als sie den jungen Kollegen kommen sah.

„Ja, glaub’ schon“, antwortete dieser. Wissend, was jetzt kam. Corinna wollte sicher wissen, wann und unter welchen Umständen er Kathrin kennengelernt hatte, was er über sie wusste und wie intensiv diese erste Begegnung war. Das kannte er natürlich aus Schulung und praktischer Anwendung. Insgeheim hoffte er, dass er das ohne bedeutende Gemütsausbrüche durchstehen würde.

Doch die Kollegin ließ sich Zeit mit der Befragung. Vorher beauftragte sie Rüdiger Mertz noch damit, per POLAS, dem Polizeiauskunftssystem, und in anderen Datenbanken Recherchen in Sachen der Getöteten anzustellen. Besonders, ob sie in irgendeiner Form wegen Drogenkonsums und einschlägiger Delikte aktenkundig geworden war. Darüber hinaus natürlich Feststellung ihres Wohnortes, ihrer Familienangehörigen et cetera.

„Wäre eigentlich jetzt Aufgabe des ‚Freaks‘“, sinnierte Mertz. „Aber das geht natürlich überhaupt nicht. Arme Sau, der Kollege.“ Dann marschierte er zum Dienst-Bulli, der im hinteren Bereich alle möglichen Apparaturen wie Telefon, Laptop, Internetanschluss usw. beherbergte.

Corinna wandte sich an Jürgen Winter und ließ sich von ihm noch einmal den Totenschein zeigen, den der Notarzt ausgestellt hatte. ‚Todesursache: Vermutlich Äußere Gewalteinwirkung, Fraktur des Os hyoideum wahrscheinlich’ las sie dort. Und dann kontrollierte sie die Einstichstellen am linken Arm der jungen Frau. Tatsächlich konnte man erkennen, dass eine von ihnen jüngerer Natur sein musste. An den Kehlkopf der Toten aber traute sie sich nicht heran.

„Wie intensiv hat er sie denn untersucht?“, wollte Corinna von Jürgen wissen.

„Naja, schon ziemlich. Okay, ausgezogen hat er sie nicht. Ich glaube, das hat sich für ihn erübrigt, nachdem er die Fixermerkmale ohne das dazugehörige Besteck und das mit dem Zungenbein entdeckte.“

„Natürlich. Das spricht alles für sich. Und die genauere Ermittlung der Todesursache ist jetzt ohnehin Aufgabe von Doc Kölblin und seinen Leichenfledderern. Ich wollte nur sicher gehen, dass der Notarzt seine Arbeit auch gründlich gemacht hat.“

„Das hat er ohne Zweifel“, beurteilte Doktor Kölblin persönlich die Auswertungen des Mannes vom Rettungsdienst in Bad Berleburg. Der Chef der Rechtsmedizin war ebenfalls Opfer der Sonntagsdienst-Regelung und verdammt schnell mit seiner Truppe am Ort des Geschehens aufgeschlagen.

„Es ist erstaunlich. Man erkennt keine Einblutung im Bereich des Kehlkopfs. Aber das Zungenbein ist eindeutig kaputt. Das junge Ding ist aller Wahrscheinlichkeit nach erwürgt worden. Gratulation an den Kollegen, der das bei seiner groben Leichenschau erkannt hat.“

Die umherstehenden Polizisten mussten schlucken. Tatsächlich Mord. Verdammte Sauerei!

Der Sonntagvormittag verging mit Personenbefragungen und mit einer Tatort-Nachsuche, die genauso kompliziert, wie am Ende ineffektiv war. Weil sich im Wald- und Wiesengelände hinter der abgeräumten Budenstadt der ursprüngliche Standort des Gespanns von Winfried Stremmel nicht mehr einwandfrei feststellen ließ. Zu tief und zu zertreten waren die Fahrspuren. Und Winnie konnte sich auch nicht mehr auf den Meter genau daran erinnern. Weil ihm jetzt die abgebauten Buden als Referenzpunkte fehlten. Sechs Uniformierte waren eigens nachgefordert worden. Aber so intensiv die Polizisten auch suchten. Es fand sich nichts Relevantes. Schon gar keine Spritzen oder dergleichen. Nur Müll und jede Menge ganzer und noch mehr zerballerter Biergläser.

Und letztere bekam Corinna schmerzvoll zu spüren. Sie hatte sich nämlich einen Glasboden durch die Sohle ihrer dünnen Sommerlatschen getreten und einen ordentlichen Schnitt im Fuß davongetragen. Zum Glück waren noch die Pathologen vor Ort, die, wenngleich eigentlich für Leichen zuständig, ihren Fuß gleich zu zweit kunstvoll verarzteten. Damit war fast alles wieder gut. Was blieb, war eine hinkende Ermittlerin.

Auch Mertz war mit seinen Recherchen zur Person nicht sonderlich erfolgreich. Denn Kathrin Kögel fand sich weder im Sündenregister der Polizei, noch in der Flensburg-Kartei wieder. Sie hatte eine blütenweiße Weste, eine Wohnung in der Sebastian-Kneipp-Straße 24 in Bad Laasphe und offenbar keine Angehörigen mehr. Seit dem Herbstsemester 2013 war sie an der Uni Siegen im Fach Wirtschaftsinformatik eingeschrieben.

Auffällig war jedoch, dass es bei der Leiche weder eine Handtasche mit Papieren, noch sonst irgend etwas Verwertbares zur Kontrolle der Personalien gegeben hatte. Nichts. Die Frau in hellen, modisch „angeknabberten“ Jeans, roten Sneakers und einer dunkelblauen Tunikabluse mit Dreiviertelarm hatte nichts dabei. Keinen Personalausweis, keinen Führerschein, nicht mal ein Papiertaschentuch in den Hosentaschen.

„Da hat jemand gründlich aufgeräumt“, war Steffen Siebert von der Spurensicherung schon wenige Minuten nach seinem Eintreffen überzeugt.

Denn nach Sven Lukas’ Schilderungen hatte die Studentin sehr wohl eine Tasche dabeigehabt. Eine Umhängetasche, die mit allem möglichen voll gestopft war. Immer wieder habe Kathrin den ganzen Sermon vor sich auf den Biertisch gekippt, „wenn mal wieder das Smartphone klingelte. Da kamen zig Anrufe zu ihrem Geburtstag“, erinnerte er sich mit roten Augen. „So ’ne Art ‚Shopper’ war das, in Hellgrau. Und die Tasche hatte ’nen Aufdruck. Wartet mal … Ich glaub’, ‚I love Uni Siegen’ stand drauf. Genau, das war’s. ‚I love Uni Siegen’.“

Der arme ‚Freak’ saß auch noch nach einer Stunde im ‚Verhör-Bulli’. Ihm gegenüber Corinna Lauber, die wirklich alles, jede Kleinigkeit, über den Tag mit der jungen Frau wissen wollte. Und Pattrick Born, der ebenfalls zu dem Fall hinzugezogen worden war. ‚Kein Detail auslassen’ musste ihre Devise sein. Denn es wäre der Teufel los, wenn man ihnen nachweisen könnte, dass sie bei der Vernehmung eines Kollegen in einem Mordfall nicht die rechte Sorgfalt hatten walten lassen.

„Könnte ohnehin passieren, dass sie Dir noch Kollegen aus einer anderen Direktion auf den Hals schicken. Der ‚inneren Hygiene’ wegen“, informierte Born den Kollegen. „Man will damit ausschließen, dass es zu Mauscheleien unter Kollegen kommt, die sich gut kennen.“ Sven kannte diese Verfahrensweise.

„Der liebe Gott bewahre mich davor. Ich hab’ doch nix gemacht. Ich hab’ nur eine tolle Frau kennengelernt und mich Hals über Kopf in sie verliebt. Mehr nicht. Das ist noch keine 24 Stunden her. Und jetzt ist sie tot, verdammte Scheiße. Wer glaubt denn, dass ich so was mache?“

Verstohlen aktivierte Sven das Foto-Archiv auf seinem Smartphone und suchte ein Bild heraus. „Hier, seht Euch das an. Das war etwa fünf Minuten, bevor ich nach Hause gefahren bin.“ Es war ein Selfie, das die beiden lächelnd Wange an Wange zeigte. Sie sahen happy aus. Glückliche Gesichter vor dem Hintergrund eines nur noch recht schütter besuchten Bierzelts.

„Wann war das?“, wollte Corinna wissen.

„Na, gestern Abend. Sag’ ich doch.“

„Nein, um wie viel Uhr? Wie spät es war, will ich wissen.“

Sven schaute in die Kopfleiste des Fotos. „Hier, kannste selbst ablesen. 20.58 Uhr.“

Corinna glaubte ihm zwar, kontrollierte aber sicherheitshalber noch mal die Angaben des Kollegen. „Warum bist Du denn so früh weg, wenn Du Dich so unheimlich verknallt hast?“

Sven Lukas lief rot an. „Das ist es ja, was mich so anfrisst, Himmelherrgott! Weil ich Sonntagsdienst habe. Ich hatte meinen Wagen ganz vorne, vor Stünzel, da in der Nähe des Denkmals geparkt. Das ist ’ne ganz schöne Latscherei bis dahin. Vor allem, wenn man unterwegs zig Bierleichen übersteigen oder umlaufen muss. Und für den Fall der Fälle, hatte ich mir vorgenommen, spätestens um elf, also um 23 Uhr zu Hause zu sein. Kathrin wollte partout noch eine Weile bleiben und dann mit Bekannten zusammen nach Laasphe laufen. Hier oben durch den Wald. ‚Machen wir immer so’, hat sie mir gesagt. Wir wollten uns morgen Abend wieder zusammentelefonieren.“

„Hast Du die Bekannten irgendwo gesehen? Gab’s die dort überhaupt?“

„Natürlich“, kam es messerscharf von Sven Lukas zurück. „Für wie blöde hältst Du mich denn eigentlich?“

„Hey, hey“, fuhr Born dazwischen, „jetzt iss’ aber gut hier. Wie redest Du denn mit Deiner Kollegin?“

„Nix is’ gut!“, trumpfte der ‚Freak‘ auf. „Glaubt Ihr etwa, ich würde eine Frau, in die ich mich gerade unsterblich verliebt habe und die ich lieber mit heim genommen als hier gelassen hätte, einfach sich selbst und einem kilometerlangen Fußmarsch durch einen dunklen Wald überlassen? Hier, das sind sie! Zumindest drei von ihnen“, zeigte er abermals sein Smartphone-Display vor. „Holger, heißt der hier, das ist Vivien und das hier ist …, Moment, ich komme gleich drauf, das ist Bastian. Mit denen und noch ein paar anderen wollte Kathrin zurücklaufen.“

Die drei vorgezeigten jungen Leute, alle offenbar in gleichem oder ähnlichem Alter wie die Getötete, saßen eindeutig im selben Festzelt und hatten scheinbar richtig Spaß. Zwei Bilder weiter vorne in dem Archiv saß Kathrin Kögel sogar mit in der Runde.

„Hier, in der Lücke da, zwischen ihr und Holger, habe ich gesessen. Bin aber aufgestanden, um das Foto zu machen. Und danach ist sie zu mir rübergekommen und wir haben uns eine Weile abgesetzt und draußen ein bisschen rumgeknutscht. … Wie die Pennäler, Mensch.“ Sven schniefte wieder und wandte sich ab. „Ich hab’ mich dermaßen verknallt, ey. So was gibt’s normalerweise gar nicht. Ich hab’ geschwebt. Ich war wie in Trance. Wisst Ihr überhaupt, wie das ist?“

Ein tiefer, gequälter Seufzer entfuhr seiner Kehle. „Und jetzt liegt sie da vorne. Tot. Diese schöne, tolle Frau. Totgemacht. So eine verfluchte, unmenschliche Schweinerei!“

Die beiden Kollegen schauderte es. Sie wussten nicht so genau, wie sie mit dem von einer Schluchz-Attacke übermannten Sven umgehen sollten. Aber sie brauchten noch mehr Informationen. Wie waren zum Beispiel die Nachnamen der drei Bekannten, wo genau wohnten sie und in welcher Beziehung standen sie zu Kathrin?

Es dauerte eine Weile, bis sich der Kollege wieder erholt hatte und vermutlich weitere Fragen ertragen konnte. Dass er der Mörder dieser jungen Frau sein sollte, diese Frage stellte sich den beiden Kriminalbeamten ohnehin nicht. Oder besser: nicht mehr. Denn Corinna hatte sich seit Svens Outing die ganze Zeit über gefragt, warum er ihr von seinem neuen Glück nicht schon während der Fahrt von Bad Berleburg hinauf zum Stünzel erzählt hatte.

Aber mittlerweile war ihr klar, dass er dieses zarte Pflänzchen der Liebe und des Glücks wohl noch eine Weile für sich bewahren wollte. Sie erinnerte sich, wie unglücklich der Kollege im vergangenen Jahr war, nachdem ihm seine damalige Freundin eröffnet hatte, sie würde dann doch ein Leben mit ihrem Ex am Bodensee vorziehen. ‚Und jetzt war seine demolierte Seele wieder versöhnt’, dachte sie. ‚Aber leider nur für einen Augenblick. Der arme Kerl.’

„Sag mal, wie geht denn das jetzt hier weiter?“ Rüdiger Mertz war es, der kurz angeklopft und dann einfach die Schiebetür des Bullis aufgerissen hatte. „Die Leute von der Rechtsmedizin sind fertig und wollen fahren. Sie werden die Leiche mit nach Siegen nehmen. Zur Obduktion.“

Erst in diesem Moment begriff er, dass Sven mit im Wagen saß und ob der letzten Worte wieder heftig zu schlucken begann. ‚Scheiße’, dachte Mertz. ‚Das hätte jetzt nicht passieren dürfen. Dieser arme Hund.’ „Sorry, Sven“, sagte er und hob eine Hand zu Entschuldigung. „Du weißt, unser Geschäft …“ Mehr fiel ihm augenblicklich nicht ein. Aber der junge Kollege hatte verstanden und nickte nur stumm.

Corinna stieg aus und begleitete Rüdiger rüber zum Fundort. „Ist schon okay“, klopfte sie ihm auf die Schulter, „konntest Du ja nicht ahnen. Sven ist ganz schön angezählt. Der wird eine Weile brauchen“, legte sie nach. „Wie ist denn eigentlich die Personenbefragung gelaufen? Gab’s was Auffälliges?“

„Nee, sonst hätten wir uns schon gerührt. Die Leute waren alle mehr oder weniger geschockt. Obwohl der eine oder andere das nicht zum ersten Mal erlebt zu haben scheint. Tote auf Rummelplätzen sind dann wohl doch nicht ganz so selten. Und Mordopfer sollen dabei nicht unbedingt die Ausnahme sein.“

Nur gesehen hatte sie wohl keiner von ihnen. Oder man konnte sich schlicht nicht erinnern. Die Aussagen der Leute inklusive ihrer Wohnadressen und Erreichbarkeiten unterwegs seien von den Kollegen aufgezeichnet werdenund würden nach Rückkehr ins Revier protokolliert.

Es war ein ergreifendes Bild, das sich Corinna und Rüdiger am Fundort der ermordeten Studentin bot. Und das die Oberkommissarin noch intensiver daran glauben ließ, dass die meisten Menschen, vor allem auch Polizeibeamte, Anstand und Seele besitzen. Ihre Kollegen und Winfried Stremmel standen Spalier, als der Zinksarg zum Leichenwagen gebracht wurde. Ihre Kopfbedeckungen in der Hand neigten sie ihr Haupt, als die beiden Männer von der Gerichtsmedizin die traurige Last vorübertrugen. Sie hätte weinen können. Aber sie blieb einfach nur tapfer stehen und schaute versonnen dem Sarg nach. ‚Ein vernichtetes Leben. Was für ein Wahnsinn.’

„Gab es noch Besonderheiten, auf die Sie gestoßen sind, Doc?“, empfing sie den Leiter der Rechtsmedizin.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube, wir haben es hier mit einem Fall einer abgewehrten Vergewaltigung zu tun.“

Die Kriminalistin wurde hellhörig. „Abgewehrte Vergewaltigung? Wie muss ich das verstehen?“

„Die Frau hat Einblutungen in Form von blauen Striemen um die Hüfte herum. Das zeigt, dass irgendjemand versucht hat, ihr die Hose vom Leibe zu reißen. Dazu sind einige ihrer Fingernägel abgebrochen. Was bedeuten könnte, dass sie sich massiv gewehrt und eventuell gewaltsam ihre Hose am Bund oder an den Gürtelschlaufen oben gehalten hat.“

„Und Sie können wirklich ausschließen, dass sie vergewaltigt wurde?“ Corinna insistierte, um für den Verlauf ihrer Ermittlungen mehr in der Hand zu haben.

„Also verzeihen Sie mir meine inkomplette Diagnose. Doch ich wollte, vor allem aus Gründen der Pietät, darauf verzichten, diesen jungen Körper in dem Viehanhänger komplett zu entkleiden. Aber ich bin zumindest zu der Erkenntnis gekommen, dass es weder Verletzungen im vorderen Genitalbereich noch austretendes Sperma gab. Dafür habe ich aber kleine Kratzer und einige Hämatome an ihren Brüsten gefunden. Alles weitere wie üblich nach der Obduktion.“

„Todesursache?“

„Ziemlich sicher Tod durch Erwürgen.“

„Todeszeitpunkt?“

„Wie der Kollege Notarzt bereits festgestellt hat. Zwischen 21 und 23 Uhr plus, minus eine halbe Stunde.“

„Danke Doktor. Wann werden Sie mit der Obduktion beginnen?“

„Ich werde heute noch öffnen. Lassen Sie doch vielleicht einen der Kollegen aus Siegen kommen. Die Fahrt von Berleburg rüber nimmt halt viel Zeit.“

„Mal sehen, was geht. Mir wäre auf alle Fälle recht, wenn wir schnell zu den Ergebnissen kämen.“

„Okay, dann bis später. Egal wie. Wir fahren dann mal. Tschüss.“

Schlagartig wurde es leer auf dem Stünzelplatz. Die Budenbesitzer waren längst weg. Und auch die wenigen Schaulustigen, die das Polizeiaufgebot aus dem kleinen Ort angelockt hatte, verdünnisierten sich langsam wieder. Lediglich die Monteure am Fliegerkarussell waren noch bei den Abbauarbeiten. Aber auch sie würden im Laufe des frühen Nachmittags fertig sein.

Nachdem auch die SpuSi-Leute ihre Fundbeutel und Werkzeuge eingepackt und sich verabschiedet hatten, gab Oberkommissarin Lauber, in Abstimmung mit ihrem Kollegen von der Schutzpolizei, das Zeichen zum Abrücken der uniformierten Kollegen. Zwei Teams waren ohnehin schon vorher verschwunden. Irgendwo hatte es Stress gegeben bei einer Frühschoppen-Fete.

„Okay, Kolleginnen und Kollegen. Das war’s erstmal. Ich danke Euch für Euren Einsatz und bitte um zügige Protokolle über die Personenbefragungen. Tschüss, wir sehen uns auf der Wache.“

Born, Winter und der bedauernswerte Lukas waren ‚übrig’ geblieben. Corinna hatte sie gebeten zu bleiben. Weil es jetzt galt, so schnell wie möglich die drei Bekannten ausfindig zu machen, mit denen die später Getötete zu Fuß nach Bad Laasphe laufen wollte. Holger, Vivien und Bastian. Drei junge Leute, die, so meinte sich der ‚Freak’ zu erinnern, allesamt in Laasphe wohnten. Aber Nachnamen … „Nee, ich kann mich nicht erinnern, auch nur einen genannt bekommen zu haben.“

Nur wegen Vivien habe es einen Lacher gegeben, der eventuell weiterhelfen könnte. Ein an ihrer Bierbank vorbeikommender Mann habe erst der wenig erfreuten Kathrin, dann aber der jubelnden Vivien seinen Hut mit Gamsbart aufgesetzt und „Halali – habe die Ehre“ gerufen. Daraufhin habe die gemeint: „Aha, ein Jäger. Das trifft sich gut. Ich wohn’ nämlich im Hubertusweg.“ Alle hätten gebrüllt vor Lachen. Und dann sei der Mann wieder abgezogen.

„Hubertusweg in Bad Laasphe?“, wollte Corinna wissen.

„Ja, demzufolge wohl. Sie wohnen ja alle dort in Laasphe.“

Die Lauber setzte sich in ihren Wagen und machte per Mobilfunk Kontakt mit der Polizeiwache in Laasphe. In kurzen Zügen legte sie dem Kollegen auf der anderen Seite ihr Problem dar. Natürlich hatte der längst vom Mord auf dem Stünzel gehört und war sofort elektrisiert, als Corinna ihn bat, eventuell ein paar Kollegen loszuschicken, die nach einer ‚Vivien im Hubertusweg’ suchen sollten.

„Kollegin, dafür werden wir nicht viele Leute brauchen. Wenn die Wohnstraße stimmt, dann haben wir die Frau schnell gefunden. Der Hubertusweg ist nur eine ganz kurze Querstraße mit wenigen Häusern. Verläuft ‚Zwischen Landwehr’ und ‚Puderbacher Weg’. Ich denke, das hat ein Team in Kürze abgeklopft. Wobei, Du weißt ja, Hausbesuche durch die Polizei sind, besonders an Sonntagen, ungefähr so beliebt wie der berühmte Pickel am Hintern. Aber wir machen das natürlich. So schnell wie möglich.“

Corinna lachte kurz auf, ob des Vergleichs. „Prima, danke Euch. Sagt Ihr bitte Bescheid, ob Ihr fündig geworden seid. Wir würden gerne mit der jungen Frau reden. Sagt Ihr aber bitte noch nichts von dem Mord. Okay!?“

„Selbstverständlich“, beendete Polizeikommissar Jost Gmeiner das Gespräch.

„So, Kollegen, passt bitte auf. Du, Sven, fährst bitte mit Pattrick Born zur Wache und nimmst dann für den Rest des Tages frei. Du musst erstmal zur Ruhe kommen. Schick mir bloß bitte vorher die Fotos von gestern auf mein Smartphone. Damit wir Vergleichsbilder haben.

Und Du, Pattrick, hältst bitte die Stellung in Berleburg und sichtest schon mal, soweit vorhanden, die Personenbefragungen. Okay?“

„Geht klar, natürlich“, antwortete Pattrick, der schon mal die Wagenschlüssel aus der Tasche gepult und sich mit Blick in die Sonne an seinen Wagen gelehnt hatte. „Und was habt Ihr vor? Fahrt Ihr gleich nach Laasphe?“

„Werden wir, sobald wir mit dem Besitzer des Pferdeanhängers gesprochen haben. Der Mann sitzt noch immer da vorne in seinem Auto und weiß nicht so recht, was er machen soll.“

„Alles klar. Dann dampfen wir mal ab. Ciao“, rief Born den beiden Kollegen zu und bedeutete Sven einzusteigen. ‚Der Junge ist ganz schön fertig’, dachte er, als auch er in seinen Sitz gerutscht war. ‚Hoffentlich verkraftet er den Dienst, wenn ständig über den Tod seiner frischen Liebe geredet wird. Vielleicht wären ein paar Tage Urlaub besser für ihn.’ Aber das konnte er natürlich nur vorschlagen. Entscheiden müsste das der Kripo-Chef, Klaus Klaiser, wenn der am Montag aus seinem Kurzurlaub zurückkommen würde. Und so verbot er es sich auch, gegenüber Sven eine solche Möglichkeit anzusprechen.

Sie fuhren raus aus dem Laubwald mit seiner ganzen Pracht der frischen Tausend Grüntöne, auf die schmale Straße hinüber zum Ort und rauf auf die Höhe, von der aus man das halbe Wittgensteiner Land überblicken konnte. ‚Was für ein geiles Panorama’, dachte er für einen Moment. Und dann ging es schon wieder runter in diese lange Linkskurve, die schon Abschleppunternehmer an manchen Wintertagen dazu gebracht haben soll, hier abwartend auf der Lauer zu liegen.

Links im Hang blühte der Ginster in herrlichem Gelb. Und unterhalb der Kurve lagen schwarz-bunte Kühe wiederkäuend in der Sonne. Doch für all das hatte der Kollege auf dem Beifahrersitz keinen Kopf. Er schaute nur immer geradeaus. Mit rot geränderten Augen und leerem Blick. Pattrick hätte wer weiß was dafür gegeben, wenn er ihn mit irgendetwas hätte aufmuntern können. Aber es fiel ihm partout nichts ein. An der Kreuzung mit der B 480 Leimstruth – Bad Berleburg bogen sie rechts ab.

Geradeaus hinter dem Baldenberg, im nur wenige Hundert Meter entfernten Rinthe, hatte die Nachricht vom Tod der Studentin auf ‚Kienhewersch Winnie sei’m Hänger’ Entsetzen ausgelöst. „Das gibt’s doch gar net“, war Helmut Dreisbachs schockierter Kommentar, als sein Nachbar sich bei ihm per Handy meldete. Winnie hatte in der langen Wartezeit auf dem Stünzel schon mal moralische Unterstützung in der Heimat gesucht und sich bei „Mannes“ nebenan gemeldet, um Bescheid zu geben, dass es wohl mit dem gemeinsamen Nachmittag mit Helmut und Ulla nichts werden würde. Aus besagtem Grund.

Helmut wollte nicht begreifen, dass es auf ‚seinem’ geliebten Stünzel ein solches Verbrechen geben konnte. Jahrelang war er als Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisvereins maßgeblich verantwortlich für dieses Großereignis gewesen, das in diesem Jahr zum 184. Mal stattgefunden hatte. Niemals hatte es dort ein schwereres Vergehen gegeben, geschweige denn ein Verbrechen. Der letzte Mord, vielleicht war es sogar der erste, der je hier oben stattgefunden hatte, geschah vor fast 340 Jahren. Am 3. März 1678 war das. Zumindest besagte das der ‚Mordstein’ am Rande des Dorfes, das es zu dieser Zeit offiziell noch gar nicht gab.

Und jetzt das! Und ausgerechnet Winfried Stremmel musste das widerfahren. Dem Mann, dem der Krebs vor vier Jahren seine geliebte Frau Brigitte hinweggerafft hatte. Sie hatte ihr Schicksal klaglos ertragen und ihn ermutigt, sein Leben zu leben. Doch für Winnie war eine Welt zusammengebrochen.

Mehr als zwei Jahre hatte er sich förmlich eingegraben, seinen Job aufgegeben und sich nur noch auf seinem Hof und in dessen engerer Umgebung bewegt. Ein Eigenbrötler, wie er im Buche stand. Und der nur noch eines liebte: seine Pferde.

In unendlich mühseliger nachbarschaftlicher Freundschaftsarbeit war es Ulla und Helmut gelungen, ihn wieder aufzurichten. Und ihn davon zu überzeugen, dass das Leben mehr zu bieten hat als Trauer und Abgeschiedenheit. So hatte sich Winnie langsam erholt und wieder Mut gefasst. Und nur so war es möglich, dass er jetzt auch wieder ‚raus’ ging. Auf Feste zum Beispiel. Und zum Stünzel, wo er seinen schönsten Wallach hatte auf der Tierschau prämiieren lassen. Und wo er das tolle Tier letztlich auch verkauft hatte.

„Noch immer en bisselchen mit weichen Knien“ hatte er seinen Zustand beschrieben, als Corinna und Jürgen zu ihm gekommen und ihn um ein paar Antworten gebeten hatten. „Das muss ma doch auch erst ma kapieren. Wenn ma de Hängatür aufmacht un da ’ne Tote findet. Ich dacht’, mich trifft da Schlag.“

Obwohl er das heute schon mehrfach machen musste, zeigte Winnie Stremmel auch Corinna, wie und wo er die Tote gefunden und was er dann getan hatte.

Lauber war sehr daran interessiert, warum er die Frau denn nicht schon am Morgen gefunden hätte, bevor er den Wagen im Dreck festgefahren habe.

„Ja, wie denn?“

„Sie hätten doch nur mal in den Hänger schauen müssen.“

„Ha, Sie sin’ gut. Wofür denn? Ich wusste doch, dass es da drin nix zu holen gibt. Der Luego war doch verkauft.“

„Ja, aber Sie wussten, dass die Seitentür unverschlossen ist.“

„Ach so. Un dann hätte ich nachgucken müssen, ob da net ne Tote drin licht, oder was? So was macht doch keina. … Normalerweise.“

„Nein, natürlich nicht, um nach einer Leiche zu schauen. Aber Sie hätten immerhin nachsehen können, ob alles in Ordnung ist.“

„Mag sein, dass Se Recht haben. Awwa wissen Se, ich schließ’ die Seitentür von dem Hänga nie ab, wenn nix drin is. Damit mir keina das Schloss knackt, falls er da drin was Klaubares sucht.“

„Und wenn da drin einer ein Schäferstündchen hätte halten wollen?“, hatte Corinna Lauber noch gefragt.

Dann wären die zwei nicht lange da drin geblieben und am Morgen mit Sicherheit nicht mehr da gewesen. Bei den Pferdeäpfeln. „Das hält ma so ohne weiteres nämlich net aus. Auch Pferdedung hat ein ganz besonderes Aroma.“ Mittlerweile grinste Winnie sogar. Er hatte seine Souveränität zurückgewonnen. Zum Glück. Weil er sich schon fast ein wenig schuldig vorgekommen war in dieser Sache.

Aber Corinna nahm ihm diese Zuversicht wieder. Weil sie ihm unverhohlen zu verstehen gab, dass ihr das alles zu obskur vorkomme.

„Vergiss es“, flüsterte Jürgen Corinna ins Ohr. „Der Mann ist nie und immer der, den wir suchen. Er hat vor Jahren den qualvollen Tod seiner Frau miterlebt. Niemals würde der jemanden umbringen.“

„Jaaa, jaaa, ist ja schon guuut“, motzte sie genervt zurück und ging mit ihm etwas beiseite, weg von Stremmel. „Ist mir eigentlich auch klar, dass wir’s da nicht mit einem echten Killer zu tun haben.“

„Und uneigentlich?“

Die Oberkommissarin schaukelte bedächtig den Kopf hin und her. „Naja, das ist halt ziemlich doof alles. Da karrt er hier auf dem Festplatz ’ne Leiche hin und her. Und er merkt’s nicht.“

„Hin- und herkarren ist stark übertrieben. Das waren beim Rangieren höchstens mal 15 Meter. Die Gründe hat er Dir genannt. Und außerdem saß die Dame ja nicht auf seinem Rücksitz im PKW. Sie lag im Anhänger.

„Und trotzdem!“, fuhr sie Winter an. So, als wollte sie sagen: ‚Wer führt denn hier die Ermittlungen? Du oder ich?’ „War doch in Ordnung, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Verdächtig ist nun mal verdächtig“, glimmte sie nach.