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Paul Heyse

Troubadour-Novellen

Paul Heyse

Troubadour-Novellen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-94-5

null-papier.de/524

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Der lah­me En­gel

Die Ra­che der Vi­ze­grä­fin

Die Dich­te­rin von Car­cas­son­ne

Der Mönch von Mon­tau­don

Ehre über Al­les

Der ver­kauf­te Ge­sang

Dan­ke

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Widmung


Mei­nem lie­ben Freun­de
Wil­helm Pe­ter­sen
zu­ge­eig­net.

Der lahme Engel

(1880)

Ge­gen Ende des zwölf­ten Jahr­hun­derts war die Pro­vence voll von dem Ruhm ei­ner eben so wei­sen als schö­nen Dame, der Vi­ze­grä­fin Bea­trix von Be­zier­s, Schwes­ter des Vi­ze­gra­fen A­de­mar, der nach dem Tode sei­nes äl­te­ren Bru­ders Ro­ger die Herr­schaft über die la­chen­den Flu­ren und stol­zen Sch­lös­ser sei­nes Ge­bie­tes an­ge­tre­ten hat­te. Er selbst war seit Jah­ren ver­wit­wet, hat­te sei­ne bei­den jun­gen Söh­ne an den Hof des Kö­nigs von Frank­reich ge­sandt, dass sie dort früh­zei­tig rit­ter­li­che Küns­te und hö­fi­sche Sit­te lern­ten, und leb­te mit der un­ver­mählt ge­blie­be­nen Schwes­ter auf der Burg von Be­ziers, die ein­sam zwi­schen dunklen Wäl­dern und zer­streu­ten Ge­höf­ten auf ei­ner ge­rin­gen An­hö­he lag und von ih­ren höchs­ten Turm­zin­nen nach Sü­den hin­aus dem Blick bis ans Meer zu schwei­fen ver­stat­te­te. Er war ein stren­ger, starr­sin­ni­ger Herr, den man nie­mals la­chen sah, au­ßer über die Pos­sen sei­nes Nar­ren, was er sich sel­ber dann oft so übel nahm, dass er an dem ar­men Wicht, den er doch ei­gens zu sol­chem Diens­te füt­ter­te, sei­nen In­grimm mit Peit­schen­hie­ben aus­ließ. Ge­sang und Tanz er­schol­len nie­mals auf der Burg von Be­ziers, ob­wohl die Pro­vence von hö­fi­schen Sän­gern und Spi­el­leu­ten wim­mel­te, und selbst als der Vi­ze­graf noch ein ju­gend­li­cher Herr war, mied er die Wei­ber und schi­en auch sei­ne ei­ge­ne Schwes­ter nur mit heim­li­chem Un­mut ne­ben sich zu dul­den. Vor Jah­ren hat­te er sie sehr ge­liebt und in Ehren ge­hal­ten, da sie ihm Hoff­nung gab, mit ei­nem Kö­ni­ge in nahe Bluts­freund­schaft zu tre­ten. Zwei Söh­ne mäch­ti­ger Fürs­ten war­ben da­mals um die Hand der Sieb­zehn­jäh­ri­gen, de­ren Schön­heit, Sit­te und hei­te­re Klug­heit weit über Frank­reich hin­aus ge­prie­sen wur­den: Hein­rich’s II. von Eng­land zweit­ge­bo­re­ner Sohn und der Erbe der Kro­ne von Ara­gon. War es um der Nach­bar­schaft wil­len, oder weil der Sohn Pe­ter’s von Ara­gon der­einst die Kro­ne tra­gen soll­te, ge­nug, die­sem Letz­te­ren war das schö­ne Gra­fen­kind ver­lobt wor­den; sie hat­ten be­reits Brie­fe und Bild­nis­se ge­tauscht, da mach­te ein Un­fall die stol­zen Hoff­nun­gen zu Schan­den: Bea­trix stürz­te mit dem Pfer­de auf der Rei­her­jagd, eine schwe­re Ver­let­zung, die von un­wis­sen­den Ärz­ten falsch be­han­delt wur­de, warf das jun­ge Fräu­lein auf ein lang­wie­ri­ges Kran­ken­la­ger, und als sie end­lich, in ih­rem zwan­zigs­ten Jah­re, für ge­ne­sen er­klärt ihre Mar­t­er­statt ver­las­sen durf­te, war das eine ih­rer Bei­ne ge­gen das an­de­re so be­trächt­lich ver­kürzt, dass sie nur mit Hil­fe ei­nes Sta­bes zu ge­hen ver­moch­te und jede An­stren­gung des ver­sehr­ten Glie­des mit großen Schmer­zen be­zah­len muss­te.

Eine an­de­re Wun­de, ih­rem Stol­ze ge­schla­gen, brauch­te weit län­ge­re Zeit, um ganz zu ver­nar­ben. Ara­gon hat­te an dem Ge­bre­chen der jun­gen Braut, das ei­ner künf­ti­gen Kö­ni­gin nicht wohl an­zu­ste­hen schi­en, einen un­hol­den Vor­wand ge­sucht, das Ver­löb­nis, das aus Grün­den der Staats­klug­heit schon frü­her nicht mehr mit güns­ti­gen Au­gen be­trach­tet wor­den war, trotz des Wi­der­stre­bens von Sei­ten des Bräu­ti­gams zu lö­sen und ihr Bild­nis zu­rück­zu­schi­cken. Dass nun der frü­her ab­ge­wie­se­ne Wer­ber der Prinz von Eng­land, sich sei­ner al­ten Nei­gung er­in­nern und zu der nun ih­rer­seits Ver­schmäh­ten sich zu­rück­wen­den wür­de, konn­te Nie­mand er­war­ten. Gleich­wohl ge­sch­ah es. Aber die hoch­ge­sinn­te jun­ge Dame, im In­ners­ten ver­letzt durch die Ab­sa­ge ih­res spa­ni­schen Bräu­ti­gams, er­klär­te, sie wol­le sich nicht auf Krücken in ein Kö­nigs­haus ein­drän­gen, noch von Mit­leid und Groß­mut an­neh­men, was sie der Lie­be selbst zu­erst ge­wei­gert habe; sie ge­den­ke un­ver­mählt zu blei­ben und im Schat­ten, wie es ei­nem krüp­pel­haf­ten Wei­be ge­zie­me, zu sor­gen, dass Nie­mand je ih­rer spot­ten möge.

Die­sen ih­ren fes­ten Ent­schluss hat­te der ge­stren­ge Bru­der ihr nie ver­zie­hen, und nach­dem sie sel­ber längst die ihr zu­ge­füg­te Krän­kung ver­wun­den, saß der Wurm noch in sei­nem Her­zen und ver­gif­te­te das­sel­be ge­gen Die­je­ni­ge, die mit ihm an Ei­ner Mut­ter­brust ge­le­gen hat­te. Die Schwes­ter aber, so schwer sie die­sen un­brü­der­li­chen Groll und Hass emp­fand, ließ es ihn nie ent­gel­ten, son­dern zeig­te ihm stets das glei­che hel­le und hold­se­li­ge Ge­sicht, das sie auch nicht mit son­der­li­cher Mühe zu er­heu­cheln brauch­te. Denn als sie nur erst mit ih­rem Ge­bre­chen ver­traut und, ob­wohl mit Schmerz und Not zu An­fang, doch mehr und mehr wie­der Her­rin ih­rer Be­we­gun­gen ge­wor­den war, sah sie ihr Los gar nicht als ein so küm­mer­li­ches und be­kla­gens­wer­tes an, son­dern als ei­nes, das nur dazu die­nen soll­te, die Stär­ke ih­res Geis­tes und die Hei­ter­keit ih­res Ge­müts de­sto sieg­rei­cher zu be­wäh­ren.

Sie hat­te in den Jah­ren, die sie auf dem Sie­chen­la­ger zu­ge­bracht, es sich an­ge­le­gen sein las­sen, mit man­cher­lei Wis­sen­schaf­ten ver­traut zu wer­den, von de­nen sonst ein hoch­ge­bo­re­nes Fräu­lein zu je­ner Zeit so we­nig zu er­fah­ren pfleg­te, als heut­zu­ta­ge. Was näm­lich die gra­du­ier­ten Ärz­te an ih­rem ar­men jun­gen Lei­be ver­pfuscht hat­ten, war durch die Hil­fe ei­ner ein­fa­chen Bäue­rin in et­was wie­der ge­bes­sert wor­den, die mit al­ler­lei er­erb­ter Ge­heim­weis­heit zwar den Haupt­scha­den nicht zu hei­len, wohl aber die übels­ten Fol­gen zu ver­hü­ten ver­stand. Da sie nun alle Tage um die Ge­ne­sen­de war und sie lie­ber ge­wann, als eine ei­ge­ne Toch­ter, die der Him­mel ihr ver­sagt hat­te, weih­te sie nach und nach die klu­ge jun­ge Dame, die eine leb­haf­te Lern­be­gier­de be­zeig­te, in ihr gan­zes heim­li­ches Wis­sen ein, wies ihr die Kräu­ter, aus de­nen sie die er­fri­schen­den Trän­ke und heil­sa­men Sal­ben be­rei­te­te, lehr­te sie, wie man Wun­den ver­bin­den und in­ne­re Ge­bre­chen er­ken­nen möge, und als Bea­trix erst wie­der auf­ge­stan­den und kräf­tig ge­nug war, einen mä­ßi­gen Ritt zu un­ter­neh­men, sah man das wun­der­li­che Paar, die schö­ne Vi­ze­grä­fin und das Bau­ern­müt­ter­chen, man­chen Tag in den nächs­ten Dör­fern zu­sam­men her­um­zie­hen, die Alte mit flin­ken Schrit­ten ne­ben der Rei­te­rin, zu der sie be­stän­dig hin­auf­sprach, ihr etwa ein Heil­kraut, das am Wege wuchs, zu zei­gen, oder auf eine ih­rer Fra­gen zu ant­wor­ten.

Auf die­se Wei­se be­sorg­ten sie ge­mein­sam die ziem­lich aus­ge­brei­te­te Land­pra­xis der Mut­ter An­du­se, wie die wei­se Alte ge­nannt war, bis Vi­ze­graf Ade­mar, durch eine Spott­re­de, die ihm zu Ohren kam, auf­ge­reizt, sei­ner Schwes­ter dies ver­gnüg­li­che Werk der Barm­her­zig­keit mit hef­ti­gen Wor­ten un­ter­sag­te. Seit­dem blieb Bea­trix zu Haus, ohne doch des Un­ter­richts der Al­ten gänz­lich zu ent­beh­ren. Sie hat­te sich nahe den Zim­mern, die sie sonst be­wohn­te, in ei­nem der Schlos­stür­me ein fes­tes, stark aus­ge­wölb­tes Ge­mach zu ih­rem La­bo­ra­to­ri­um ein­ge­rich­tet, den Ka­min zu ei­nem Her­de um­ge­schaf­fen, auf wel­chem sie nach den Re­zep­ten der Mut­ter An­du­se die übel­schme­ckends­ten, aber heil­kräf­tigs­ten Säft­chen und Pil­len be­rei­te­te, so­dass sie mit der Zeit einen schö­nen Vor­rat da­von auf­spei­cher­te. Wur­de nun Je­mand vom Ge­sin­de oder in den Hüt­ten der föh­ni­gen Leu­te krank, so wand­te er sich an die jun­ge Her­rin um Hil­fe, die sie auch be­reit­wil­lig spen­de­te. Dass die Me­di­zi­nen häu­fig nicht mehr ganz frisch und wohl gar schon ver­go­ren und in Un­heils­mit­tel ver­wan­delt wa­ren, scha­de­te dem Er­fol­ge nur sel­ten. Das Siech­tum schwand schon al­lein durch den Glau­ben an die tie­fe Wis­sen­schaft der vor­neh­men Ärz­tin, und die Knech­te zu­mal würg­ten mit dem fröh­lichs­ten Ge­sicht das heil­lo­ses­te Zeug hin­un­ter, nur um der Gunst teil­haf­tig zu wer­den, von so schö­nen wei­ßen Hän­den und mit so gü­ti­gem Lä­cheln sich die zwei­fel­haf­te Wohl­tat rei­chen zu las­sen.

Mit der Zeit aber be­mäch­tig­te sich die Lei­den­schaft, mensch­li­che Lei­den zu ken­nen und zu be­kämp­fen, der­ge­stalt des jun­gen, ein­sa­men Ge­mü­tes, dass sie Al­les in ih­rem Le­ben nur auf dies Eine be­zog, sich einen Lehr­meis­ter kom­men ließ, der sie La­tei­nisch leh­ren muss­te, da­mit sie die Wer­ke der al­ten Na­tur­for­scher und Heil­künst­ler ver­ste­hen kön­ne, und selbst mit den be­rühm­tes­ten Leuch­ten der Fa­kul­tät zu Pa­ris sich in schrift­li­chen Ver­kehr ein­ließ, um über die Fort­schrit­te der Wis­sen­schaft ste­tig un­ter­rich­tet zu wer­den. Hal­be Näch­te lang saß sie über den Bü­chern oder han­tier­te mit Tie­geln und Kol­ben an ih­rem La­bo­rier­her­de, und die Land­leu­te, die das Licht im Schlos­sturm noch glim­men sa­hen, wenn sie selbst vor dem ers­ten Tau wie­der aufs Feld zo­gen, zeig­ten ein­an­der mit Ehr­furcht das Fens­ter, hin­ter wel­chem die Her­rin wach­te, und er­zähl­ten von den Wun­der­ku­ren, die ihr schon ge­lun­gen, und dem Le­bens­eli­xier, dem sie auf der Spur sei.

Es hät­te we­nig ge­fehlt, dass durch dies selt­sa­me Trei­ben und et­li­che Fäl­le von Hei­lun­gen, über die man bil­lig er­stau­nen konn­te, Bea­trix in den Ver­dacht ei­nes Ein­ver­ständ­nis­ses mit bö­sen Mäch­ten ge­kom­men wäre. Aber das Hel­le und Hei­te­re ih­res We­sens und dass sie stets zu Scherz und Lä­cheln auf­ge­legt und Kran­ken wie Ge­sun­den als ein Bild son­ni­ger Un­schuld er­schi­en, ließ den Ver­dacht ei­ner Teu­fels­ge­mein­schaft nicht auf­kom­men, so­dass man sie viel­mehr all­ge­mein nicht an­ders als »den lah­men En­gel« nann­te. Die Kir­che be­such­te sie flei­ßig, zu­mal aber un­ter­hielt sie eine gute und eif­ri­ge Freund­schaft mit den Non­nen ei­nes Ser­vi­tin­nen­klos­ters, das ziem­lich hoch im Ge­bir­ge über Stadt und Schloss Be­ziers in tiefer Ein­sam­keit ge­le­gen war, aber al­ler­lei Bä­che von Se­gen in die Nie­de­rung hin­ab­strö­men ließ, da die Schwes­tern ei­ner men­schen­freund­li­chen Re­gel un­ter­tan wa­ren und als Kran­ken­trös­te­rin­nen, Pfle­ge­rin­nen ver­wais­ter Kind­lein und in an­de­ren Wer­ken der Nächs­ten­lie­be viel­fach sich un­ter das nie­de­re Volk misch­ten. Da hat­te Bea­trix Ge­le­gen­heit, ih­ren Schatz an Kennt­nis­sen durch treue und sorg­li­che Hän­de un­ter die Ar­men und Hilfs­be­dürf­ti­gen aus­zu­tei­len, in­dem sie Re­zep­te zu neu­en Heil­mit­teln an­gab, oder bei Seu­chen, die hin und wie­der auf­tra­ten, die kräf­tigs­ten Me­di­ka­men­te, mit ei­ge­nen Hän­den be­rei­tet, der Äb­tis­sin über­lie­fer­te, von der sie selbst wie eine jun­ge Hei­li­ge be­trach­tet wur­de. Es war dies eben­falls ein Fräu­lein aus ed­lem Hau­se, wel­ches durch Ver­rat in der Lie­be der Welt ent­frem­det und ih­rem See­len­bräu­ti­gam zu­ge­führt wor­den war. So be­geg­ne­ten sich die bei­den treff­li­chen Da­men auch in ih­rer Stim­mung ge­gen die Män­ner­welt, nur dass Bea­trix es un­ter ih­rer Wür­de fand, in die oft sehr bit­te­ren Schmä­hun­gen der Frau Äb­tis­sin ein­zu­stim­men, son­dern sich mit ei­nem küh­len Rümp­fen der Lip­pe be­gnüg­te und nur etwa die Wor­te fal­len ließ: die hof­fär­ti­gen Her­ren bil­de­ten sich ein, man kön­ne sie nicht ent­beh­ren; aber Got­tes­dienst und Wis­sen­schaft sei­en ein bes­se­rer Zeit­ver­treib, als das ein­fäl­ti­ge Ge­lis­pel hö­fi­scher Ge­cken und eit­ler Selb­st­an­be­ter.

Der­glei­chen Re­den wur­den in dem Klos­ter­gärt­chen hoch oben am Fels oder in der Zel­le der Frau Äb­tis­sin ge­führt, da die­se das Haus nur äu­ßerst sel­ten ver­las­sen durf­te, Vi­ze­grä­fin Bea­trix da­ge­gen, seit sie in ih­rer un­an­tast­ba­ren Tu­gend das drei­ßigs­te Jahr über­schrit­ten hat­te, sich der lau­ni­schen Ty­ran­nei ih­res Bru­ders nicht mehr so de­mü­tig un­ter­warf, son­dern nach ih­rem ei­ge­nen Kop­fe han­del­te. Sie ver­sag­te sich’s da­her auch nicht mehr, zu ih­ren Kran­ken her­um­zu­rei­ten oder, so oft ihr die Lust kam, ihre geist­li­che Freun­din im Klos­ter dro­ben zu be­su­chen, die um meh­re­re Jah­re äl­ter war und schon zu krän­keln an­fing. Nun frei­lich trip­pel­te Alt­mut­ter An­du­se nicht mehr ne­ben ih­rem Tier, da sie längst an ei­nem ih­rer ei­ge­nen Eli­xie­re, das sie in zu star­ker Do­sis ge­nom­men, ei­nes un­sanf­ten To­des ver­bli­chen war. Statt ih­rer führ­te ein lang und ha­ger auf­ge­schos­se­ner Kna­be den Zü­gel des wei­ßen Maul­tie­res, wenn es die stei­len Fels­pfa­de zum Klos­ter hin­auf­ging; und auch auf an­de­ren We­gen, oft stun­den­weit ins Land hin­ein, da die Vi­ze­grä­fin die ge­sam­te ärzt­li­che Kli­en­tel der Al­ten über­nom­men hat­te, be­glei­te­te der halb­wüch­si­ge Stall­meis­ter rüs­ti­gen Schrit­tes die hohe Frau, hat­te des Tie­res Acht, so lan­ge ihr Dienst bei ei­nem Kran­ken sie ver­wei­len ließ, muss­te ihr hin und wie­der von den Pflan­zen brin­gen, die am Wege wuch­sen, oder ei­nem Lah­men oder Blin­den, der bet­telnd am Wege saß, das Al­mo­sen in die Hand ste­cken. Es sah ar­tig aus, die hohe, schmieg­sa­me Ge­stalt der schö­nen Ärz­tin in schmu­cker Ge­wan­dung – denn sie lieb­te hel­le Far­ben und gold­durch­wirk­te Tü­cher und Schlei­er – auf ih­rem mu­ti­gen wei­ßen Tie­re da­her­kom­men zu se­hen, am Sat­tel al­ler­lei Kör­be voll Phio­len und Büch­sen be­fes­tigt, die zu ih­rem Be­ru­fe ge­hör­ten, ne­ben ihr hin­schrei­tend der schlan­ke jun­ge Bursch in ein­fa­chem brau­nem Wams, ein schlich­tes Hüt­chen mit ei­ner klei­nen Pfau­en­fe­der nach­läs­sig auf das krau­se schwar­ze Haar ge­drückt. Uc Bru­net war sein Name; den zwei­ten hat­ten ihm die Leu­te ge­ge­ben, da sei­ne Haut, zu­mal in sei­nen frü­he­ren Kna­ben­jah­ren, so dun­kel war, wie die ei­nes Mau­ren, so­dass auch Vie­le glaub­ten, sein Va­ter, den Nie­mand ge­kannt, sei kein Christ ge­we­sen. Als ein zehn­jäh­ri­ges Büb­chen war er mit der Mut­ter, ei­nem ar­men fah­ren­den Wei­be, nach Schloss Be­ziers ge­kom­men, in zer­lump­tem Klei­de, mit hun­ger­dür­ren Wan­gen, und hat­te den fremd­ar­ti­gen Ge­sang sei­ner na­var­re­si­schen Mut­ter, die der Langue d’oc nur zur Not mäch­tig war, auf ei­ner klei­nen schwar­zen Gei­ge be­glei­tet, da­bei aus sei­nen fins­te­ren Kna­ben­au­gen scheue Blit­ze sprü­hend, wenn ein un­gu­tes Wort an sein Ohr schlug. Dies arm­se­li­ge Duett im Bur­g­ho­fe soll­te trau­rig en­den. Ein Blutstrom war der Sän­ge­rin aus dem Mun­de ge­quol­len, da sie eben die letz­te Stro­phe ih­res spa­ni­schen Lied­chens be­gin­nen woll­te. Der jun­ge Sohn hat­te sie in sei­nen Ar­men auf­ge­fan­gen und in einen Win­kel ne­ben der Hun­de­hüt­te ge­tra­gen. Als­bald war der »lah­me En­gel«, der von sei­nem Turm­fens­ter aus dem Ge­sang zu­ge­hört, un­ten um die be­wusst­lo­se Land­fah­re­rin be­müht, aber die kräf­tigs­ten Trop­fen und Bal­sa­me hat­ten Nichts ver­mocht; in der­sel­ben Nacht war das Weib ver­schie­den, und nur ein jam­mer­vol­ler Blick ih­res schon um­dun­kel­ten Au­ges nach dem ver­wais­ten Kna­ben hat­te bei ih­rer ed­len Ärz­tin Für­spra­che für ihn ein­le­gen kön­nen.

Dies war ge­sche­hen, als Bea­trix eben Drei­ßig ge­wor­den. Sie hat­te es so­fort bei ih­rem Bru­der er­wirkt, dass der el­tern- und hei­mat­lo­se Fremd­ling im Hau­se be­hal­ten wur­de. Ein al­ter Pfer­de­knecht fand Ge­fal­len an ihm und nahm ihn in sei­ne be­son­de­re Ob­hut, was Bru­net, ob­wohl er in lei­den­schaft­li­chem Gram um die Mut­ter sich ziem­lich fühl­los ge­gen al­les An­de­re zeig­te und selbst sei­ner schö­nen Gön­ne­rin eher ab­ge­neigt, sich gleich­wohl ge­fal­len ließ, da er noch Kind ge­nug war, mit­ten in sei­ner Trau­er und Ver­wahr­lo­sung sich der schö­nen Pfer­de im Stal­le von Be­ziers zu er­freu­en. Er blieb die ers­ten Mo­na­te so zu­rück­ge­zo­gen, dass die meis­ten der Schloss­be­woh­ner sein Da­sein völ­lig ver­ga­ßen und selbst Bea­trix, nach­dem sie zu­erst sich Mühe ge­ge­ben, das Kind sei­ner trot­zi­gen Scheu zu ent­wöh­nen, ihn end­lich sich selbst über­ließ. Mit der Zeit wur­de er ge­fü­gi­ger und be­geg­ne­te sei­ner Wohl­tä­te­rin nie­mals, ohne dass er ste­hen blieb und sein Hüt­chen zog. Sie ver­weil­te dann ge­wöhn­lich ein paar Au­gen­bli­cke bei dem dun­kel­wan­gi­gen Wild­ling, frag­te, wie es ihm er­ge­he, ob er ir­gend et­was zu kla­gen oder zu wün­schen habe, und nahm mit sei­nen ein­sil­bi­gen, aber höf­li­chen Ant­wor­ten vor­lieb. Nur die Fra­ge, ob er sein Gei­gen­spiel ganz ver­lernt habe, wie­der­hol­te sie nie wie­der. Das ers­te Mal, da sie ihr ent­schlüpft, wa­ren ihm die Trä­nen aus den Au­gen ge­schos­sen, ob­wohl er sich ge­walt­sam Mühe gab, sei­nen in­ne­ren Aufruhr zu be­zwin­gen. Sie sah, wie schwer der Tod der Mut­ter noch auf ihm las­te­te. Hal­te dich brav, Ugo­net! hat­te sie mit ih­rem gü­tigs­ten Lä­cheln ge­sagt, in­dem sie ihm sacht mit ih­rem Tüch­lein über die nas­se Wan­ge fuhr. Du sollst nicht hei­mat­los blei­ben und, so lang ich lebe, nicht ver­der­ben.

Da hat­te er ihre Hand mit­samt dem Tüch­lein ge­hascht, sie an sei­nen Mund ge­zo­gen, ein paar ver­wor­re­ne Wor­te ge­stam­melt und war mit glü­hen­dem Ge­sicht da­von­ge­rannt, sich im dun­kels­ten Win­kel des Mar­stalls zu ver­ber­gen.

Von die­sem Tage an war Bea­trix ih­rem Schütz­ling nie be­geg­net, ohne ein freund­li­ches Wort an ihn zu rich­ten; doch da sie be­stän­dig mit ih­ren ho­hen Wis­sen­schaf­ten, ih­rem Brief­wech­sel mit ge­lehr­ten Dok­to­ren und der Kran­ken­pfle­ge zu tun hat­te, auch zur Lehr­meis­te­rin ei­nes wild­auf­ge­wach­se­nen Kna­ben nicht son­der­li­che Nei­gung und Ga­ben in sich ver­spür­te, über­ließ sie ihn gänz­lich je­nem wa­cke­ren Knecht, der ihm bei­brach­te, was er sel­ber ver­stand: waid­män­ni­sche Küns­te und die An­fangs­grün­de in der Füh­rung der Waf­fen, wozu Bru­net so viel Be­gier­de als Ge­schick zeig­te. Nur dass es bei sei­nem stür­mi­schen Blu­te nicht ohne al­ler­lei Ge­fähr­de ab­ging und er mehr als ein­mal sich bei tol­len Rit­ten oder ver­we­ge­nem Kampf­spiel ge­gen Stär­ke­re einen blu­ti­gen Kopf und schar­fe Hieb- und Stich­wun­den hol­te. Mit die­sen Denk­zei­chen aber und den treff­li­chen Pflas­tern, die sein Zucht­meis­ter dar­auf zu drücken pfleg­te, ließ er sich nie­mals vor sei­ner Gön­ne­rin se­hen, ob­wohl die­se ihm weit lin­de­re Heil­sal­ben auf­ge­legt hät­te, als der Knecht, der im Grun­de nur Pfer­de zu be­han­deln ver­stand. Er schäm­te sich, da er sonst sei­nen jä­hen Trotz und Un­ge­stüm ge­gen Je­der­mann aus­ließ, vor ihr al­lein sei­ner Un­bän­dig­keit und hät­te ge­glaubt, ein stra­fen­des Wort von ihr nicht über­le­ben zu kön­nen.

Da er fünf­zehn Jah­re alt ge­wor­den war, be­gann noch eine an­de­re Lehr­zeit für ihn. Der Vi­ze­graf hat­te einen Nar­ren, O­li­vi­er ge­nannt, ein zwerg­haf­tes Männ­chen, nicht viel über drei Schuh hoch, mit ei­nem klei­nen, wel­ken, grei­sen­haf­ten Ge­sicht und ei­nem dün­nen Kin­der­stimm­chen, schon über Vier­zig alt, ein Ge­schenk des Gra­fen von Tou­lou­se, dem die­ser Mann nicht lus­tig ge­nug ge­we­sen war. Er hat­te aber bes­se­res Glück bei sei­nem neu­en Herrn, des­sen düs­te­rer Sin­nes­art die bit­te­ren, tief­sin­ni­gen Spä­ße die­ses ar­men Freud­lo­sen weit mehr ein­leuch­te­ten, als die der­ben Pos­sen sei­nes Vor­gän­gers. Oli­vi­er war der Ein­zi­ge, der von dem Vi­ze­gra­fen nie ge­schla­gen wur­de. Ein ein­zi­ges Mal, da sich der Witz des Klei­nen all­zu dreist ge­gen den Herrn selbst ge­kehrt, hat­te die­ser die Hand auf­ge­ho­ben mit ei­nem knir­schen­dem Fluch, sie aber gleich wie­der sin­ken las­sen, da sein Auge dem des Klei­nen be­geg­ne­te, aus wel­chem kei­ne Furcht, nur eine selt­sam trau­ri­ge Ver­klä­rung ihm ent­ge­gen­leuch­te­te. Und wie der fes­te Blick des Men­schen ein Raub­tier be­zähmt, so war der Jäh­zorn des Vi­ze­gra­fen als­bald ge­bän­digt wor­den.

Die­ser Oli­vi­er nahm sich des ver­wil­der­ten Schöß­lings an und wuss­te bald so sehr ihn an sich zu zie­hen, dass er sich noch mehr, als zu Lam­ber­t, dem Stall­meis­ter, zu die­sem wun­der­li­chen Men­tor hielt und man die Bei­den, so­bald der Herr des Schlos­ses nicht an­we­send war, oft hal­be Tage lang bei­sam­men­ho­cken sah, Oli­vi­er er­zäh­lend, Bru­net zu­hö­rend, wo­bei der Kna­be im­mer sorg­te, dass sein Freund einen wei­chen, be­que­men Sitz in der Son­ne hat­te, da er ge­brech­lich zu wer­den an­fing und Hus­ten und Glie­der­weh ihm zu­setz­ten. In die­sen lan­gen Plau­der­stun­den lehr­te der Narr den jun­gen Stall­bur­schen un­ter an­de­ren gu­ten Din­gen auch Le­sen und Schrei­ben und so­gar ein we­nig La­tein, das er selbst als ein auf­ge­weck­ter Kna­be früh von ei­nem Pfar­rer ge­lernt, der im­mer noch hoff­te, durch sein Ge­bet ihm zu ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Wuchs zu ver­hel­fen und dann ein rech­tes geist­li­ches Rüst­zeug aus ihm zu er­zie­hen. Die­se Hoff­nung war fehl­ge­schla­gen, ohne dass der Klei­ne sich dar­um be­trübt hät­te. Denn er hat­te große Lust zu al­len welt­li­chen Din­gen, und als sei­ne Mut­ter ihn trös­te­te, um sei­ner Klein­heit wil­len wer­de er jetzt an den Hof vor­neh­mer Her­ren tau­gen, hat­te er einen Freu­den­sprung ge­tan. Wie schlecht sei­ne Träu­me sich er­füllt, las man auf sei­ner weh­mü­tig ge­spann­ten Stir­ne und in den früh er­grau­ten Här­chen. Mehr als ein­mal sag­te er sei­nem Zög­ling, dass er we­nig so gute Stun­den ge­nos­sen, als wenn er mit ihm drau­ßen auf dem grü­nen Wall am Schloss­gra­ben un­ter dem Schle­hen­busch sit­zen und in sein Kna­ben­herz all sei­ne dunkle Weis­heit aus­schüt­ten konn­te. In ei­ner die­ser glück­li­chen Stun­den be­rühr­te ihn ein sanf­ter Herz­schlag. Bru­net mein­te nicht an­ders, als der Klei­ne sei ein­ge­nickt. Da er eine Stun­de stil­le ne­ben ihm ge­war­tet hat­te und das alte blas­se Ge­sicht­chen end­lich einen un­ge­wohnt spuk­haf­ten Aus­druck an­nahm, er­schrak er hef­tig, rief und rüt­tel­te eine Wei­le an dem stil­len Mann und nahm end­lich das Fi­gür­chen in die Arme, um es in den Schloss­hof zu tra­gen. Aber selbst die Kunst und Weis­heit der Vi­ze­grä­fin Bea­trix ver­moch­ten das ent­flo­he­ne Le­ben nicht mehr zu­rück­zu­ru­fen.

Sein Nach­fol­ger war lei­der in Al­lem sein Wi­der­spiel, ein fre­cher höck­ri­ger Wicht von der är­ger­lichs­ten Ge­müts­art, nei­disch und hä­misch, aber mit so aus­bün­dig bö­sen Pos­sen aus­ge­rüs­tet, dass er sich rasch in die Gunst sei­nes Herrn noch si­che­rer ein­nis­te­te und ihm viel un­ent­behr­li­cher wur­de, als der tief­sin­ni­ge Oli­vi­er. Er ge­dach­te es auch bei der schö­nen Schwes­ter des Vi­ze­gra­fen da­hin zu brin­gen, dass sie sich ihm huld­reich be­zei­ge. Die­se aber, ob­wohl sie gern lach­te, ja oft das Sprich­wort an­führ­te: La­chen macht gu­tes Blut, – von den Spä­ßen die­ses Buf­fo­ne wen­de­te sie sich mit un­ver­hoh­le­nem Ver­drus­se hin­weg, wäh­rend sie die schwer­mü­ti­gen Scher­ze des klei­nen Oli­vi­er mit ih­rem lieb­lichs­ten Lä­cheln zu be­loh­nen pfleg­te.

Gu­i­go – so hieß der Schelm – emp­fand dies um so bit­te­rer, da er ein heiß­blü­ti­ger Ge­sell war, trotz sei­nes Nar­ren­ha­bits Frau­en­gunst viel­fach ge­nos­sen und beim ers­ten Blick auf die stol­ze Frau, die eben jetzt, ob­wohl ih­ren Vier­zig nicht mehr fern, im vol­len Flor ih­rer Schön­heit stand, ver­we­ge­ne Wün­sche in sei­ner miss­bil­de­ten Brust emp­fan­gen hat­te. Er warf von Stund an einen tie­fen Hass auf sie und Al­les was zu ihr ge­hör­te, und da er mer­ken muss­te, dass der schlan­ke schwar­ze Ju­ve­nil, der im Stal­le schlief, von dem »lah­men En­gel« freund­li­cher be­han­delt wur­de, als er selbst, wur­de er auch die­sem spin­ne­feind und lau­er­te auf einen An­lass, ihm einen Streich zu spie­len.

Bru­net be­ach­te­te ihn kaum. Dass er der Nach­fol­ger sei­nes ge­lieb­ten Freun­des und Lehr­meis­ters war, reich­te al­lem schon hin, ihn von Gu­i­go fern zu hal­ten. Ihm war aber zu die­ser Zeit über­haupt an alle dem, was um ihn vor­ging, we­nig ge­le­gen, denn ein neu­er Sinn war ihm auf­ge­gan­gen, so­dass er blind und taub wur­de für Al­les, was sonst in sei­ne Nähe kam.

Ei­ner der be­nach­bar­ten Baro­ne hat­te dem Herrn von Be­ziers einen Be­such ge­macht, was sich sel­ten er­eig­ne­te, da, wie be­rich­tet, Vi­ze­graf Ade­mar ein Feind der Ge­sel­lig­keit war und lie­ber den Vor­wurf des Gei­zes sich ge­fal­len ließ, als dass er zu den her­ge­brach­ten Zei­ten sei­ne Tore ge­öff­net und Gas­te­rei­en ver­an­stal­tet hät­te. Dies­mal war ein po­li­ti­sches Zwie­ge­spräch der Zweck der Be­geg­nung, und der Gast kam, um sich sei­ner Macht und Ho­heit wür­dig dar­zu­stel­len, mit sei­nem ge­sam­ten Hof­staat, dar­un­ter auch ein Sän­ger war, den er seit ei­ni­ger Zeit auf sei­nem Schlos­se be­her­berg­te: ein da­mals nicht un­be­rühm­ter Mann, des­sen Name hier aber nichts zur Sa­che tut. Es hat­te nicht feh­len kön­nen, dass der Trou­ba­dour für die Gast­freund­schaft, die er in Be­ziers ge­noss, sich durch ein Ge­dicht dank­bar er­zeig­te, das ne­ben und vor an­de­rem Köst­li­chen, was die Burg um­schloss, die herr­li­che Frau in über­schwäng­li­chen Wor­ten fei­er­te, die männ­li­chen Geist und tie­fe Wis­sen­schaft mit al­lem Zau­ber ih­res Ge­schlech­tes ver­ei­ni­ge, al­so­dass sie gleich dem Vo­gel Phö­nix in al­ler Welt nur dies eine Mal vor­han­den sei. Dies war nach al­tem Brauch der hö­fi­schen Dich­tung in vie­len Stro­phen hin und her ge­wen­det und im Grun­de eine gar fros­ti­ge Hul­di­gung, zu der auch die Ver­herr­lich­te selbst nur um der hö­fi­schen Sit­te wil­len eine huld­vol­le Mie­ne mach­te, wäh­rend ihr kla­rer Ver­stand ihr sag­te, dass nicht viel da­hin­ter sei. Sie war noch froh ge­nug, dass der Herr Poet sich’s nicht ein­fal­len ließ, sich im Ernst in sie zu ver­lie­ben, da sie un­gern sich ge­nö­tigt sah, eine Be­wer­bung die­ser Art mit schar­fer Käl­te ab­zu­wei­sen. Und so ver­lief Al­les in bes­tem Be­ha­gen, und als der Be­such sich end­lich wie­der ver­ab­schie­det hat­te, hin­ter­ließ er kei­ne an­de­re Spur, als eine Hand­fes­te, die zwi­schen den bei­den ho­hen Her­ren be­schlos­sen, ver­brieft und be­sie­gelt wor­den war, und et­li­che Lücken in Spei­cher und Kel­ler, die sich bald wie­der füll­ten.

Nur in Ei­nem Ge­müt war ein Fun­ke zu­rück­ge­blie­ben, der fort­glimm­te und nicht wie­der er­lö­schen woll­te. Un­ter dem Ge­sin­de, das an den halb of­fe­nen Tü­ren des Spei­se­saals ge­lauscht hat­te, als der Spiel­mann des frem­den Trou­ba­dours jene Can­zo­ne sang und sie auf sei­ner schön ver­zier­ten Lau­te be­glei­te­te, hat­te auch Bru­net ge­stan­den und in traum­haf­tem Ent­zücken Wor­te und Wei­se in sich auf­ge­nom­men. Dass man so stol­ze Aus­drücke kunst­voll zu­sam­men­fü­gen und eine edle Dame ge­ra­de­zu da­mit an­sin­gen kön­ne, schi­en ihm ein un­be­greif­li­ches Glück, um das er den Sän­ger in­nig be­nei­de­te. Kaum war er wie­der al­lein, so ver­such­te er auf sei­ne ei­ge­ne Hand et­was Ähn­li­ches und ge­riet in tie­fe Schwer­mut, als es ihm nicht so­gleich ge­lin­gen woll­te. In ei­nem al­ten Kas­ten un­ter wert­lo­sem Gerät hat­te er die klei­ne Gei­ge ver­wahrt und seit Jah­ren sich ge­scheut, sie wie­der an­zu­rüh­ren, als müs­se der ers­te Ton das blei­che Ge­s­penst sei­ner ar­men Mut­ter aus ih­rem Gra­be her­auf­lo­cken. Jetzt aber, in fie­ber­haf­ter Hast, riss er das un­schein­ba­re In­stru­ment ans Ta­ges­licht, stimm­te die Sai­ten und ver­such­te die lang ver­ges­se­nen Grif­fe. Zu sei­nem ei­ge­nen Stau­nen klang es ihm lieb­li­cher, als er ge­fürch­tet, und die Tote blieb ru­hig in ih­rer Tie­fe. Da­für aber schweb­te, wie er den Sai­ten im­mer sü­ße­re und schmel­zen­de­re Wei­sen ab­ge­wann, ein le­ben­des Frau­en­bild zu sei­ner Qual und Won­ne her­an und stand un­be­weg­lich ihm ge­gen­über, dass end­lich auch das Band sei­ner Zun­ge zer­riss und er in frei­en dich­te­ri­schen Wor­ten, nur viel hef­ti­ger und glü­hen­der als je­ner Hof­poet, sein Herz und Le­ben, Dank und An­dacht, Be­wun­de­rung und scheue Bit­te da­hin­strö­men ließ.

Die Knech­te und Mäg­de lie­fen bald her­zu und lie­ßen es an auf­mun­tern­dem Bei­fall nicht feh­len. Bru­net aber run­zel­te die Stirn und warf, so­bald er merk­te, dass man ihm zu­hör­te, das In­stru­ment auf sein dürf­ti­ges La­ger, das in ei­ner Kam­mer ne­ben dem Stal­le auf­ge­schla­gen war. Auch wi­der­stand er in den nächs­ten Ta­gen al­len Ver­su­chun­gen, wie­der zu mu­si­zie­ren. Selbst als Bea­trix, da er ihr in den Sat­tel half, lä­chelnd zu ihm sag­te: Alte Lie­be ros­tet nicht. Ich höre, Ugo­net, dass du dei­ne Mu­sik wie­der her­vor­ge­sucht hast. Du musst mir ein­mal vor­spie­len, dass ich sehe, ob die alte Ber­nar­da Recht hat, dass du es noch bes­ser kön­nest, als der Spiel­mann aus Nar­bonne! – da hat­te er mit tie­fem Er­rö­ten, in­dem er sich am Zaum­zeug zu schaf­fen mach­te, er­wi­dert, er be­schwö­re sei­ne Her­rin, dies nicht von ihm zu be­geh­ren; er habe Al­les ver­lernt, und die Leu­te im Hau­se trie­ben nur ih­ren Spott mit ihm und woll­ten, dass er auch vor der Herr­schaft be­schämt da­stün­de.

Bea­trix war nicht wei­ter in ihn ge­drun­gen. In der­sel­ben Nacht aber, da sie in ih­rem Turm­zim­mer über ei­nem schwie­ri­gen Re­zept brü­te­te und eben die Hand­schrift des Ga­le­nus un­mu­tig bei­sei­te schob, hat­te sie plötz­lich einen sü­ßen Sai­ten­klang un­ten vom Wall her­auf ver­nom­men, eine schmach­ten­de Wei­se, die nicht bloß ihr Ohr um­schmei­chel­te, son­dern sich lei­se zu ih­rem in­ners­ten Ge­mü­te stahl und dort ein wun­der­lich sü­ßes Wo­gen und Wal­len an­stif­te­te, so­dass sie von ih­rem Ti­sche auf­stand und an das Fens­ter trat. Die Nacht fun­kel­te mit tau­send Ster­nen her­ein, die Welt schlief in der wei­ten Run­de, nur die Stim­me der Gei­ge schwirr­te ru­he­los durch die Wip­fel und schwang sich an der stei­len Mau­er her­auf und in das ein­sa­me Ge­mach der ho­hen Frau. Es ist Ugo­net, der spielt, sag­te sie sin­nend vor sich hin. In der Tat, es klingt, wie wenn der Früh­ling selbst zu sin­gen an­hö­be. Wer ihn dies nur ge­lehrt ha­ben mag nach so lan­gen Jah­ren?

Als sie am an­de­ren Tage wie­der mit ihm über Land zog, er zu Fuß ne­ben ih­rem Maul­tier, sah sie ihn, der die Au­gen auf den Weg ge­senkt hat­te, prü­fend von der Sei­te an, und er er­schi­en ihr heut ein An­de­rer, als sonst. Auch in sei­ner knech­ti­schen Klei­dung trug er sich frei und mit küh­nem An­stand, und sein Wuchs wäre voll­kom­men ge­we­sen, nur dass er ein we­nig zu ha­ger war. Sei­ne dunkle Haut hat­te sich zu lich­ten an­ge­fan­gen, der schlan­ke Hals er­schi­en so­gar weiß, und auch die klei­nen Hän­de wa­ren bleich von Far­be. Noch zeig­te sich we­nig Flaum an Kinn und Ober­lip­pe, de­sto dich­ter kraus­te sich das glän­zen­de Haar um den fei­nen Kopf, und die Brau­en zo­gen sich in ei­ner ge­ra­den schwar­zen Li­nie über den großen, trüb­sin­ni­gen Au­gen hin. Sei­ne Gön­ne­rin sag­te sich zum ers­ten Mal, dass ein schö­ne­res Ju­gend­bild nicht leicht zwi­schen dem Meer und der Garon­ne zu fin­den sein möch­te, si­cher­lich aber kei­nes, das an sei­nem ei­ge­nen Aus­se­hen so we­nig Freu­de zu ha­ben schi­en. Es dau­er­te sie der arme land­frem­de Jüng­ling, den sein Irrs­tern zu ewi­ger Dienst­bar­keit ver­dammt zu ha­ben schi­en, da nicht vie­le der Edel­ge­bo­re­nen es an Ga­ben der Na­tur mit ihm auf­ge­nom­men hät­ten. – Die Ber­nar­da hat doch Recht ge­habt, sag­te sie lä­chelnd von ih­rem Sat­tel her­ab; die lan­ge Ruhe ist dei­nem Gei­gen­spiel gut be­kom­men; es ist, als hät­test du seit der Kna­ben­zeit Tag für Tag dich bei ei­nem gu­ten Meis­ter ge­übt, so schön und stark führst du den Bo­gen.

Und nach ei­ner Wei­le da er nichts er­wi­der­te und den Kopf tiefer auf die Brust senk­te: Du soll­test dar­auf den­ken, Ugo­net, dich zu ei­nem Trou­ba­dour zu ver­din­gen und ihn auf sei­nen Fahr­ten zu be­glei­ten. Da wür­dest du Ehre und rei­chen Lohn ge­win­nen und die fer­ne Welt se­hen, was dir bes­ser an­stün­de, als hier im Schat­ten zu ver­kom­men und es nicht hö­her zu brin­gen, als mit der Zeit zum Stall­meis­ter oder Mar­schall.

Der Jüng­ling schüt­tel­te stumm den Kopf. Und da sie ge­ra­de an ei­nem Hau­se an­ge­kom­men wa­ren, wo ein Kran­ker lag, den die Vi­ze­grä­fin zu be­su­chen hat­te, blieb es für dies­mal bei die­sen we­ni­gen Wor­ten. In der nächs­ten Nacht aber, als Bea­trix nach der Abend­ta­fel in ihr La­bo­ra­to­ri­um trat, um noch ei­ni­ge Heil­mit­tel zu be­rei­ten, de­ren sie für mor­gen be­durf­te, trat ihr Fuß auf et­was Har­tes, das am Bo­den lag. Sie bück­te sich, es auf­zu­he­ben, und sah im Mond­zwie­licht, dass es der Bol­zen ei­ner Arm­brust war, der durchs of­fe­ne Fens­ter her­ein­ge­flo­gen sein muss­te. Als sie das stump­fe Holz – denn die Spit­ze war sorg­fäl­tig ab­ge­bro­chen wor­den – nä­her be­trach­te­te, fand sie einen Strei­fen Per­ga­ment dar­um ge­wi­ckelt, auf wel­chem ei­ni­ge Stro­phen stan­den. So­fort wuss­te sie mit der untrüg­li­chen Ah­nung ei­nes Frau­en­her­zens, wer die­se wun­der­li­che Post an sie ab­ge­sandt, zün­de­te ihre drei­ar­mi­ge Lam­pe an und saß am Her­de nie­der, das Blatt zu le­sen. Es war eine Can­zo­ne, in der Stro­phe ge­dich­tet, die der frem­de Trou­ba­dour zu sei­nem Lie­de ge­braucht, und lau­te­te so:


O wol­let nicht, ich soll die Stät­te fliehn,
Wo ich zu­erst er­fuhr, was Le­ben heißt!
Den Fremd­ling, arm und glück­los und ver­wais’t,
Lasst ihn am Ort, wo ihm die Sonn’ er­schi­en!
Müsst’ ich von dan­nen ziehn,
Es wär’, als brä­che man ein Blatt vom Baum:
Die Win­de ja­gen’s hin am We­gessaum,
Und das noch eben prang­te frisch und grün,
Ist vor dem Herbst ver­dor­ret und er­greis’t.

O schickt mich nicht in frem­de Dienst­bar­keit!
Nur Ei­nem Zwang ge­horcht mein stör­risch Blut,
Und was mein Arm in die­ser Fro­ne tut,
Scheint mir wie Dienst, den Hei­li­gen ge­weiht.
Ich weiß, wie weit, wie weit
Mein Los von Der, die mir be­fiehlt, mich trennt;
Doch dul­de sie’s, wenn Stern an Stern ent­brennt,
Dass nur von fer­ne sich be­schei­den-kühn,
Der Glüh­wurm ih­rer Huld und Schö­ne freut.

Sie hat­te die Ver­se noch nicht zu Ende ge­le­sen, da fing un­ten am Wall die Gei­ge wie­der an zu klin­gen, und sie ver­nahm jene Me­lo­die, die der Spiel­mann von Nar­bonne auf der Lau­te ge­grif­fen hat­te, nur um Vie­les sü­ßer und sehn­süch­ti­ger. Da las sie die Stro­phen von Neu­em und dann zum drit­ten Mal, bis der Gei­ger eine neue Wei­se an­stimm­te, zu der die Wor­te nicht mehr pas­sen woll­ten. Es währ­te die­se Nacht­mu­sik über eine vol­le Stun­de. Und im­mer saß die Lau­sche­rin oben im Tur­me un­be­weg­lich und hat­te das Blatt auf den Kni­en und die Au­gen halb ge­schlos­sen, dass sie nur ein Stück von dem sil­ber­nen Mond­him­mel drau­ßen sah. Als das Spiel un­ten ver­stumm­te, tat sie einen tie­fen Seuf­zer und stand auf. Sie ging zu ei­nem klei­nen Spie­gel, der an der Wand hing, und in­dem sie die Lam­pe voll über ihr Ge­sicht schei­nen ließ, be­trach­te­te sie sich eine gan­ze Wei­le und muss­te end­lich selbst über die be­küm­mer­te Mie­ne la­chen, mit der ihr Bild sie an­blick­te. Er ist nicht recht ge­scheit, sag­te sie vor sich hin, und ich selbst noch un­klu­ger als er. Das sind Kin­der­pos­sen, wie sie zu Zwan­zig hin­ge­hen mö­gen; zu Vier­zig soll­te man sich lie­ber bin­den las­sen, als mit sol­cher Toll­heit frei her­um­ge­hen. Schä­me dich, al­tes Kind! Tu noch dei­ne Ar­beit und dann lege dich nie­der und schlaf alle klin­gen­de und sin­gen­de Tor­heit aus.

Dann trat sie an den Herd zu­rück und be­rei­te­te sorg­sam Al­les, was sie für ihre Kran­ken nö­tig hat­te, schlief auch die­se Nacht ru­hig und traum­los wie im­mer. Sie hat­te sich vor­ge­nom­men, Ugo­net da­vor zu war­nen, dass er sich der Vers­ma­che­rei nicht er­ge­ben möge, die sie in den meis­ten Fäl­len für ein mü­ßi­ges Spiel mit schö­nen Wor­ten hielt, nur er­fun­den, sein ei­ge­nes Ge­müt zu fäl­schen und frem­de, arg­lo­se See­len zu be­trü­gen. Als sie aber des Jüng­lings stil­le, trau­ri­ge Mie­ne sah, brach­te sie’s nicht übers Herz, ihm et­was zu un­ter­sa­gen, was ihm als ein Trost in sei­nem ar­men Da­sein er­schei­nen muss­te, und so war von den Ver­sen und der Se­re­na­de zwi­schen ih­nen nicht die Rede.

Auch nicht an den fol­gen­den Ta­gen, ob­wohl die Gei­ge pünkt­lich, so­bald es Nacht wur­de, wie­der er­klang und die Vö­gel im Wal­de im­mer län­ger wach er­hielt. In der vier­ten Nacht wur­de das Spiel plötz­lich un­ter­bro­chen. Die Lau­sche­rin oben ver­nahm die hef­ti­ge Stim­me ih­res Bru­ders, der sich das Wim­mern und Win­seln ein für alle Mal ver­bat. Als Bea­trix ihre ge­treue Ber­nar­da be­frag­te, er­fuhr sie, Gu­i­go, der Narr, habe aus Ei­fer­sucht auf Bru­net, der durch sei­ne Mu­sik das gan­ze Ge­sin­de be­zau­bert habe, dem Herrn hin­ter­bracht, dass der Stall­bu­be all­nächt­lich vor den Fens­tern der Vi­ze­grä­fin die Gei­ge spie­le und man be­reits dar­über zu re­den an­fan­ge. Bea­trix ant­wor­te­te mit ei­nem Scherz und tat, als sei es auch ihr fast un­lieb ge­we­sen, in ih­rem nächt­li­chen La­bo­rie­ren ge­stört zu wer­den. Sie hat­te sich aber schon so sehr dar­an ge­wöhnt, durch die Gei­ge in Schlaf ge­sun­gen zu wer­den, dass sie die nächs­te stum­me Nacht hin­durch sich ru­he­los auf ih­rem La­ger wälz­te und mit über­wach­ten Au­gen auf­stand.

Nun war für die­sen Tag ein Ritt nach dem Klos­ter hin­auf be­schlos­sen ge­we­sen, da die Äb­tis­sin in die Burg hin­un­ter Bot­schaft ge­sen­det, sie füh­le sich mehr als sonst un­pass und wün­sche sehr, ihre ärzt­li­che Freun­din zu Rate zu zie­hen. Also wur­de das Maul­tier ge­sat­telt, Bru­net be­fes­tig­te die Wan­de­rapo­the­ke an den Sat­tel­knauf und half der Her­rin in den Bü­gel. Sie war Wil­lens ge­we­sen, sich für dies­mal einen an­de­ren Beglei­ter zu neh­men, da sie be­sorg­te, es möch­te über den nächt­li­chen Vor­fall zu Er­ör­te­run­gen kom­men, die dem hef­ti­gen Kna­ben viel­leicht Wor­te ent­ris­sen, wie sie sie nicht zu hö­ren wünsch­te. Als sie aber sah, dass er ein ganz ver­färb­tes Ge­sicht und ge­röte­te Au­gen hat­te, konn­te sie sich nicht ent­schlie­ßen, ihm eine neue Krän­kung zu­zu­fü­gen, gab ih­rem Tier einen Schlag mit der Hand auf den rau­en Hals und trab­te mun­ter den Berg hin­an, so­dass Bru­net sie erst ein­ho­len konn­te, als die Stei­le des Pfa­des ih­ren Schritt mä­ßig­te. Nun hat­te sie sich in­zwi­schen be­dacht, als eine klu­ge und herz­haf­te Frau, wie sie war, den Stier lie­ber gleich bei den Hör­nern zu fas­sen, fing des­halb an, in scher­zen­dem Tone von der un­ter­bro­che­nen Nacht­mu­sik zu re­den und dass es auch ihr leid dar­um sei, viel­leicht aber doch zu sei­nem Bes­ten ge­rei­chen wer­de. Denn er ver­wöh­ne und ver­zär­te­le sich mehr und mehr durch die Übung die­ser mü­ßi­gen Küns­te, die ihm end­lich je­des mann­haf­te Tun ver­lei­den wür­den. Sie den­ke nicht ge­ring von der fröh­li­chen Kunst der Poe­sie. Es habe zu al­len Zei­ten große und er­lauch­te Dich­ter ge­ge­ben, die einen ge­rech­ten Ruhm ge­ern­tet und noch lan­ge nach ih­rem Tode wie Stern­bil­der den spä­te­ren Ge­schlech­tern ge­leuch­tet hät­ten. So wer­de jetzt auch in der Pro­vence der Name man­ches Trou­ba­dours gleich dem ei­nes mäch­ti­gen Fürs­ten oder sieg­rei­chen Kriegs­hel­den mit ho­hen Ehren ge­nannt, und sie selbst wür­de nicht min­der gern, als einen der wei­sen Meis­ter, die von den Ge­heim­nis­sen der Na­tur ge­schrie­ben, einen Dich­ter wie Ber­tran von Born, oder Bern­hard von Ven­ta­dour oder Ar­naut Da­niel von An­ge­sicht ken­nen ler­nen. Die­se aber sei­en zu ih­rem Ruhm nicht ohne Mühe und eif­ri­ges Nach­den­ken über die Kunst ge­langt, wie denn nichts Vor­treff­li­ches nur so im Flu­ge zu er­rei­chen sei, etwa gleich ei­nem Vo­gel, den ein gu­ter Schütz mit sei­nem Pfeil aus den Wol­ken hole. Wie aber er, Ugo­net, zu sol­cher Höhe der Kun­st­übung ge­lan­gen wol­le, im Stall bei sei­nen Pfer­den, ohne Bü­cher oder Lehr­meis­ter? Da­ge­gen, wenn er sich in der Füh­rung der Waf­fen eif­ri­ger aus­bil­de, er bald einen tüch­ti­gen Kriegs­mann aus sich ma­chen und wohl hof­fen kön­ne, trotz sei­ner ge­rin­gen Her­kunft der­einst noch ein­mal sich zu rit­ter­li­chen Ehren auf­zu­sch­win­gen. Das ge­zie­me ihm bes­ser, als ein poe­ti­scher Stüm­per zu blei­ben, was un­fehl­bar ge­sche­hen wer­de, da er es ja ver­schmä­he, fort­zu­ge­hen und sich bei ei­nem or­dent­li­chen Dich­ter in die Schu­le zu be­ge­ben.

Hier­bei er­rö­te­te sie ein we­nig, da sie, ohne es zu wol­len, bei dem ver­fäng­li­chen Punkt je­nes ers­ten Ge­dich­tes an­ge­langt war. Er mach­te es ihr aber durch sein de­mü­ti­ges Schwei­gen leicht, wie­der da­von ab­zu­len­ken, und so konn­te sie noch eine Zeit lang ihr Er­mah­nen fort­set­zen, wo­bei sie sich red­li­che Mühe gab, ihm recht als eine welt­wei­se müt­ter­li­che Vor­se­hung zu er­schei­nen, die seit un­denk­li­cher Zeit über alle ju­gend­li­chen An­wand­lun­gen hin­aus sei. Ver­sprich es mir, Ugo­net, sag­te sie schließ­lich, dass du die­se Kin­de­rei­en ab­tun und einen tap­fe­ren Mann aus dir ma­chen willst. Im Früh­ling blü­hen alle Bäu­me; aber nur die­je­ni­gen wer­den von den Men­schen ge­schätzt und ge­pflegt, die Frucht tra­gen. Die an­de­ren lässt man eine Wei­le wach­sen und haut sie dann um, dass sie we­nigs­tens Brenn­holz ge­ben.

Er mur­mel­te tief er­glü­hend et­was vor sich hin, das sie für eine Zu­stim­mung nahm. Dann spra­chen sie auf dem üb­ri­gen Wege nichts mehr hier­über.

Der Tag war son­nig und sie lit­ten von der Glut. Als sie dann beim Klos­ter an­ka­men, lief ih­nen der Mei­er oder Klos­ter­vogt ent­ge­gen, der in ei­nem Häu­schen, einen Bo­gen­schuss von den geist­li­chen Mau­ern ent­fernt, mit sei­nem Wei­be wohn­te. Er half der Her­rin aus dem Sat­tel, führ­te sie selbst an die Klos­ter­pfor­te, wo sie als­bald mit ehr­er­bie­ti­ger Freu­de von der Schwes­ter Pfört­ne­rin be­will­kommt wur­de, und band das Maul­tier, nach­dem er es des schwe­ren Sat­tels und sei­ner üb­ri­gen Last ent­le­digt hat­te, an ei­nem Pfahl mit­ten auf ei­ner grü­nen, schat­ti­gen Aue, wo die wür­zigs­ten Berg­kräu­ter wuch­sen und auch die Klos­te­re­se­lin wei­de­te, die zu­wei­len ge­wür­digt wur­de, die Frau Äb­tis­sin oder eine der Non­nen auf ih­rem ge­dul­di­gen Rücken zu Tale zu tra­gen. Dann zog er Bru­net, an dem er von je­her großes Ge­fal­len ge­fun­den, zu ei­nem länd­li­chen Mahl un­ter sein schlich­tes Dach, wun­der­te sich auch kaum, dass der Jüng­ling heu­te noch ein­sil­bi­ger und ver­son­ne­ner schi­en, als ge­wöhn­lich, da er schon wuss­te, dass sei­ne mun­te­re alte Frau und sein feu­ri­ger jun­ger Wein mit der Zeit es da­hin zu brin­gen pfleg­ten, den scheu­en Gast ein we­nig auf­zut­au­en.

So ge­sch­ah es auch heut, und sie sa­ßen über die hei­ßen Ta­ge­s­stun­den ein­träch­tig bei­sam­men, der Mei­er von Hi­spa­ni­en er­zäh­lend, wo er in jun­gen Jah­ren als Knap­pe ei­nes Rit­ters sich man­chen Wind hat­te um die Nase we­hen las­sen, Bru­nei be­gie­rig hor­chend, da er je­nes Land als sei­ne ei­gent­li­che Hei­mat be­trach­te­te. Dar­über hat­ten sie es nicht Acht, dass die Son­ne sich neig­te, bis die Pfört­ne­rin ge­lau­fen kam und die Nach­richt brach­te, die Vi­ze­grä­fin wol­le un­ver­züg­lich den Heim­weg an­tre­ten. Bru­net sprang auf, das Maul­tier wie­der zu sat­teln und auf­zu­zäu­men. Wie er aber auf die Hal­de hin­austrat, war we­der dort, noch so weit die Bli­cke rei­chen moch­ten, von dem sonst so ge­dul­dig har­ren­den Tier auch nur der Schat­ten zu er­spä­hen. Er rief und lock­te und stieg auf den nächs­ten Ab­hän­gen und um­busch­ten Klip­pen her­um. Da aber auch die Klos­te­re­se­lin ver­schwun­den war und auf das Pfei­fen des Mei­ers sich nicht wie­der ein­stell­te, war es klar, dass das herr­schaft­li­che, an gu­tem Fut­ter nicht dar­ben­de Tier Ge­fal­len an der schlich­ten geist­li­chen Bluts­ver­wand­tin ge­fun­den, im Über­mut sei­ner zärt­li­chen Nei­gung die Half­ter zer­ris­sen und sich der arg­los Wei­den­den ge­nä­hert habe. Die­se, an der­glei­chen hö­fi­sche Zu­dring­lich­kei­ten nicht ge­wöhnt, moch­te das Wei­te ge­sucht und von dem stür­mi­schen Be­wer­ber be­drängt in die ho­hen Fich­ten­wäl­der hin­auf­ge­klet­tert sein, die das Klos­ter­ge­biet im Win­ter ge­gen La­wi­nen­sturz schirm­ten.

Noch stan­den die Bei­den rat­los, und Bru­net woll­te ver­ge­hen vor Grimm und Un­mut, dass er sei­nes Diens­tes nicht bes­ser ge­ach­tet habe, als die Klos­ter­pfor­te sich öff­ne­te und Bea­trix, von der sämt­li­chen from­men Schar ge­lei­tet, auf die abend­lich küh­le Aue hin­austrat. Ge­senk­ten Haup­tes nä­her­te sich ihr der Jüng­ling und be­rich­te­te, wie die Sa­che stand. Es kön­ne ein Stünd­lein dar­über ver­ge­hen, füg­te der Mei­er hin­zu, bis man der Flücht­lin­ge wie­der hab­haft ge­wor­den, da die Spu­ren im Krei­se lie­fen und der Berg vol­ler Schluch­ten sei. Bea­trix lä­chel­te, wäh­rend sie die wun­der­li­che Mär ver­nahm. Sie woll­te aber nichts da­von hö­ren, wie­der ins Re­fek­to­ri­um zu­rück­zu­keh­ren, um dort zu har­ren, bis der Ent­füh­rer ein­ge­fan­gen sei. Die Luft ist lieb­lich, sag­te sie, und ich den­ke, ich kann es wa­gen, den Heim­weg zu Fuß an­zu­tre­ten. Die­ser mein Freund – und sie er­hob den Stock von Eben­holz mit sil­ber­ner Krücke, auf den sie sich im Ge­hen zu stüt­zen pfleg­te, – ist zwar so stei­le Pfa­de nicht ge­wöhnt. Aber Bru­net wird ihm zu Hil­fe kom­men und mir sei­nen Arm lei­hen, und wenn Meis­ter Eli­as – so hieß der Klos­ter­vogt – so gut sein will, mei­nem leicht­fer­ti­gen Zel­ter nach­zu­spü­ren, holt er uns viel­leicht noch auf hal­b­em Wege ein. Wer hät­te dem from­men Tier, das längst al­ler Welt­lust ab­ge­sagt zu ha­ben schi­en, ein so un­schick­li­ches Be­tra­gen zu­ge­traut?

Sie um­arm­te ihre geist­li­che Freun­din, küss­te sie auf bei­de Wan­gen und ließ es dann mit Wi­der­stre­ben ge­sche­hen, dass die Nönn­chen sämt­lich der Rei­he nach ihr die Hän­de küss­ten. Dann wink­te sie dem Jüng­ling, ihm ein freund­li­ches Wort zum Tros­te sa­gend, und ver­ließ ohne Wei­te­res, die lin­ke Hand auf sei­nen Arm ge­stützt, mit der Rech­ten den Stock re­gie­rend, un­glei­chen aber ra­schen Schrit­tes das Klos­ter­ge­biet, von dem der Weg sich als­bald durch nie­de­res Ge­strüpp über un­re­gel­mä­ßig hin­ge­streu­te Fel­sen ziem­lich jäh in die Tie­fe wand.

Sie war sicht­lich in hei­ters­ter Lau­ne; der star­ke Würzwein, der im Klos­ter be­rei­tet wur­de, und von dem sie ge­gen ihre mä­ßi­ge Ge­wohn­heit ein vol­les Kelch­glas ge­leert, die Hil­fe, die sie ih­rer Freun­din ge­bracht, der Glanz, von dem der pfir­sich­far­be­ne Abend­him­mel er­zit­ter­te, dazu das un­ge­wohn­te Ge­fühl, sich ein­mal auf ihre ei­ge­nen Glie­der zu ver­las­sen, all das mach­te sie lus­tig und schier über­mü­tig, dass ihr zu Mute ward, wie in ih­ren frü­he­ren Mäd­chen­ta­gen, ehe noch ihr lei­di­ges Ge­bre­chen sie von wil­den Sprün­gen zu­rück­hielt. Sie scherz­te mit Bru­net, dass er wohl zu tief der Frau Klos­ter­vög­tin in die Au­gen ge­se­hen und dar­über ver­säumt habe, von Zeit zu Zeit einen Blick auf das wei­den­de Pär­chen drau­ßen zu wer­fen. Da­zwi­schen wur­de sie wie­der ernst­haft, blieb auf­seuf­zend ste­hen, und in­dem sie ihr Tüch­lein her­vor­zog, sich die feuch­te Stirn zu trock­nen, klag­te sie: Wenn du wüss­test, Uc, wie ich den Le­mo­si be­nei­de! (so hieß der Maulesel, der aus Li­mo­ges stamm­te.) Er ist auch nicht der Jüngs­te mehr, aber da er kein Krüp­pel ist, kann er über Berg und Tal sei­ner tö­rich­ten Lau­ne nach­ren­nen, so weit es ihm be­liebt. Ich da­ge­gen – nun, ich bin zwar wei­se und vor über­mü­ti­gen An­wand­lun­gen ge­schützt durch mei­ne erns­ten Stu­di­en; aber ver­dienst­lich wür­de es erst sein, nicht mehr zum Tan­ze zu ge­hen, wenn ich leicht­fü­ßi­ger wäre. Nun hum­ple ich mei­nen schma­len Tu­gend­weg auf und ab im Schwei­ße mei­nes An­ge­sichts, als ob ich mit am Sün­den­fal­le schuld wäre. Hast du den Rei­her noch im Sinn, Ugo­net, der auf dem Hofe war, da du bei uns an­kamst? Er hat­te ein zer­schos­se­nes Bein und wur­de aus Barm­her­zig­keit vom Tor­wart ge­füt­tert, der ein großer Beiz­jä­ger war. Wie oft, wenn ich ihn so auf dem ge­sun­den Bei­ne ste­hen sah, den Stumpf des an­dern an den Leib ge­zo­gen, muss­te ich la­chen: Du treibst es nicht viel an­ders, als ich, ar­mer Bursch! Wer dich so sieht, möch­te dich für einen ganz schmu­cken Vo­gel hal­ten. Wir aber wis­sen, wie Krüp­peln zu Mut ist.

Sprecht nicht so, Her­rin! brach es von den Lip­pen des Jüng­lings. Bei San Joan, wen ich so von Euch re­den hör­te, ich wür­de ihn ei­lig stumm ma­chen. Wenn Ihr nun selbst so schlim­me Wor­te über Euch braucht, über Euch, die Ihr im­mer vor mir steht, wie ein We­sen aus ei­ner an­de­ren Welt –

Still, Herr Poet! lach­te sie wie­der und gab ihm mit der Lin­ken einen klei­nen Schlag auf den Arm. Ihr seid ein Träu­mer und Kinds­kopf und habt von der Welt nicht viel ge­se­hen, und frei­lich, mit den Per­ga­ment­ge­sich­tern dro­ben im Klos­ter und den Mäg­den in Be­ziers kann es der lah­me En­gel im­mer­hin noch auf­neh­men. Wenn du mich aber ge­kannt hät­test, wie ich aus­sah, als du eben zur Welt ge­kom­men, – ha, ich will dir doch das Bild­nis zei­gen, das da­mals ein wel­scher Ma­ler von mir ge­fer­tigt und das ich mei­nem Herrn Ver­lob­ten nach Ara­gon ge­schickt. Der klu­ge Prinz hat es mir her­nach mit höf­li­chem Dank wie­der zu­stel­len las­sen. Er hat­te sich ei­lig satt dar­an ge­se­hen. Dir aber wird es zei­gen, dass du ein Narr und Fan­tast bist, wenn du noch zwan­zig Jah­re spä­ter das Ur­bild, das in­zwi­schen nicht so wohl auf­ge­ho­ben und in Gold ge­fasst war, für ein Welt­wun­der hältst.

Bru­net er­wi­der­te nichts. Die Nähe der ge­lieb­ten Ge­stalt, de­ren Brust er an sei­ner Schul­ter fühl­te und de­ren leb­haf­ter Hauch sei­ne Wan­ge um­spiel­te, mach­te ihm das Herz er­glü­hen und den Kopf schwin­deln, dass er alle Mühe hat­te, den Weg im­mer im Auge zu be­hal­ten und die un­si­che­ren Schrit­te der Her­rin auf die be­quems­te Spur zu len­ken. Auch sie war wie­der still ge­wor­den, viel­leicht in Ju­gen­derin­ne­run­gen ver­sun­ken. So hat­ten sie vom stei­len Wege etwa die Hälf­te zu­rück­ge­legt, da er­lahm­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­