Christoph Martin Wieland

Krates und Hipparchia



e-artnow, 2017
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ISBN 978-80-268-7061-6

Inhaltsverzeichnis
I. Leukonoe an ihre Nichte Hipparchia
II. Hipparchia an Leukonoe
III. Leukonoe an Hipparchia
IV. Melanippe an Hipparchia
V. Hipparchia an Melanippe
VI. Melanippe an Hipparchia
VII. Hipparchia an Leukonoe
VIII. Hipparchia an Melanippe
IX. Melanippe an Hipparchia
X. Hipparchia an Melanippe
XI. Melanippe an Hipparchia
XII. Hipparchia an Melanippe
XIII. Hipparchia an Krates
XIV. Krates an Diogenes zu Korinth
XV. Hipparchia an Melanippe
XVI. Hipparchia an Lamprokles
XVII. Hipparchia an Melanippe
XVIII. Krates an Hipparchia
XIX. Hipparchia an Krates
XX. Ebendieselbe an Melanippe
XXI. Melanippe an Hipparchia
XXII. Diogenes an Krates
XXIII. Krates an Hipparchia
XXIV. Hipparchia an Melanippe
XXV. Melanippe an Hipparchia
XXVI. Hipparchia an Krates
XXVII. Metrokles an Hipparchia
XXXVIII. Krates an Hipparchia
XXIX. Hipparchia an Metrokles
XXX. Metrokles an Hipparchia
XXXI. Metrokles an Hipparchia
XXXII. Hipparchia an Krates
XXXIII. Hipparchia an Melanippe
XXXIV. Melanippe an Hipparchia
XXXV. Krates an Hipparchia
XXXVI. Hipparchia an Krates
XXXVII. Antwort des Krates
XXXVIII. Hipparchia an Melanippe

I. Leukonoe an ihre Nichte Hipparchia

Inhaltsverzeichnis

Wenn ich je um dich verdient habe, als deine zweite Mutter betrachtet zu werden, liebe Hipparchia: wenn es wahr ist, was du mir so oft in der unzweideutigsten Sprache des Gefühls versichert hast, daß du mich als solche liebest – Doch, wozu dieser feierliche Eingang, als hätt ich etwas mit dir vor, wobei ich dein Herz auf meine Seite zu bringen suchen müßte, um deinen Verstand desto eher überraschen zu können? – Dies ist keineswegs der Fall, und was hälfe mir auch eine so wenig verdeckte List bei einem so besonnenen Mädchen wie du? Nein, liebste Nichte, dieser Eingang sollte dir nur sagen, daß mir die Sache, wovon ich mit dir zu reden habe, sehr am Herzen liegt, und daß du mich überaus glücklich machen würdest – aber das sieht ja schon wieder einer Bestechung ähnlich? Also, ohne Vorrede, mein Kind!

Dein Vater hat mir aufgetragen, dich zu benachrichtigen, daß sein alter Freund und Stammgenoß Chabrias für seinen Sohn Leotychus um dich angehalten habe.

Daß der Vater für einen der angesehensten und reichsten Bürger von Athen gehalten wird, ist dir bekannt; weniger vielleicht, daß unter unsern schönsten und gebildetsten Jünglingen nicht viele sind, die dem Sohne den Vorzug streitig machen könnten. Aber was du, wie ich besorgen muß, am besten kennst, ist die unbegrenzte Güte deines Vaters gegen dich, die ich, wie groß auch meine eigene Liebe zu dir ist, Schwachheit nennen würde, wäre ich nicht gewiß, daß deine ungemeine Ähnlichkeit mit deiner seligen Mutter1 , die wahre Quelle derselben ist. Schreib es bloß einem aus dieser vielleicht übermäßigen Güte entspringenden Zartgefühl zu, daß er, statt dir seinen Willen selbst anzukündigen, mich zur Auslegerin und Fürsprecherin seiner Wünsche bei dir erbeten hat. Er hat sein Versprechen, deinem Herzen keinen Zwang anzutun, nicht vergessen. Aber dagegen erwartet er auch, daß seine schon so oft bewährte Nachsicht gegen deine Wünsche, dich desto williger machen werde, den seinigen entgegen zu kommen, wenn sie, so augenscheinlich wie im gegenwärtigen Fall, dein eigenes Bestes zur Absicht haben. Du hast bereits vier oder fünf Freier abgewiesen, unter denen keiner war, der nicht zwanzig andern Mädchen deinesgleichen willkommen gewesen wäre. Auch haben sie sich bereits durch Verbindungen mit den ersten Häusern der Republik für deine Verachtung entschädigt. Du machtest gegen jeden von ihnen Einwendungen, denen unsre Parteilichkeit für dich mehr Gewicht beilegte, als sie billig hätten haben sollen.

Indessen hat dich unvermerkt dein vierundzwanzigstes Jahr überschlichen, und deine Blütezeit eilt zu Ende. Hoffentlich ist es nicht deine Meinung, eine Priesterin der Athene oder Artemis zu werden, und dem besten der Väter die Freude zu versagen, sich in einem Sohn seiner einzigen Tochter wieder aufleben zu sehen. Was könnte dich also abhalten, ihm diesmal zu Gefallen zu sein, da er deine Verbindung mit dem Sohne seines besten Freundes eifrig wünschet? Ich habe mich, weil sonst keine Einwendung gegen den jungen Leotychus möglich ist, unter der Hand nach seinen Sitten und seiner bisherigen Lebensweise aufs genaueste erkundiget. Er steht in einem sehr guten Ruf. Er soll ein vorzüglicher Redner sein, und in allen edlern Leibesübungen nicht seinesgleichen haben. Der Stadtpfleger Demetrius2 selbst hat in öffentlicher Gesellschaft sehr vorteilhaft von ihm gesprochen. Kurz, das Einzige, was an ihm auszusetzen ist, – und was ich dir hätte verheimlichen können, wenn ich nicht ganz offenherzig gegen dich sein wollte – ist, daß er seit einiger Zeit die Tänzerin Lycänion aus Lesbos unterhalten haben soll, welcher ich (um nicht ungerecht zu sein) nachsagen muß, daß sie für die bescheidenste und sittigste ihres Gelichters bekannt ist. Leotychus hat indessen seinem Vater feierlich zugesagt, daß er sie von dem Augenblick an verabschieden werde, da er sich Hoffnung machen dürfe, deine Hand zu erhalten, und der Vater verbürgt sich für die Erfüllung dieses Versprechens.

Ich brauche kaum hinzuzusetzen, daß die vorgeschlagene Heirat den Beifall beider Familien hat, und daß kein Zweifel ist, auch dein abwesender Bruder (dessen Rückkunft aus Sicilien nahe ist) werde große Zufriedenheit über eine Verbindung zeigen, die ihm seinen Weg in der Republik nicht wenig erleichtern wird.

Ziehe nun das alles in reife Überlegung, liebe Hipparchia, und setze mich bald durch eine gefällige Antwort in den Stand, deinem Vater einen schönen Beweis zu geben, daß du nicht nur die Gestalt, sondern auch das Gemüt deiner edeln Mutter geerbt habest, die immer ihr höchstes Glück darin fand, sich ihren Pflichten aufzuopfern.

Deine Antwort wird mich auf meinem Landgute unweit Munychia3 finden, wo ich mich, häuslicher Angelegenheiten wegen, einige Dekaden aufzuhalten genötiget sein werde. Lebe wohl!

Den 7ten Thargelion. (Mai.)

II. Hipparchia an Leukonoe

Inhaltsverzeichnis

Ganz gewiß, ehrwürdige Leukonoe, hattest du weder beschwörender Formeln, noch herzgewinnender Beweggründe nötig, um mein Verlangen, dem gütigsten Vater, so viel in meinem Vermögen steht, immer gefällig zu sein, zu Gunsten des Antrags, den du mir in seinem Namen getan hast, in Bewegung zu setzen.

Wäre die Rede von etwas, wobei es nur auf das Opfer eines Vergnügens oder Vorteils, einer Laune oder Leidenschaft, ankäme: so dürfte ich mich beklagen, wenn du nur einen Augenblick zweifeln könntest, daß deine Hipparchia immer dazu bereit sei.

Aber bei einer Sache, wo das Schicksal meines ganzen Lebens, oder vielmehr, wo das Einzige, was dem Leben einen Wert in meinen Augen gibt, auf dem Spiele steht, daß ich bei einer solchen Sache mit meiner innersten Seele zu Rat gehe, und vor allem auf die Stimme horche, die, nach meiner Überzeugung, aller Göttersprüche heiligster ist, wirst du selbst nicht mißbilligen: und in dieser Rücksicht ist es glücklich für mich, daß ich bereits über die Jahre der ersten Jugend hinaus bin, wo man eben so leicht Gefahr läuft, durch schüchterne Nachgiebigkeit oder zärtliche Gefälligkeit gegen andere, als durch eigene Unerfahrenheit, Leichtsinn oder ungezügelte Leidenschaften, zu Schritten verleitet zu werden, auf welche öfters die bitterste Reue folgt.

Ich bin gewiß, mein Vater würde die angetragene Verbindung nicht wünschen, wenn es ihm auch nur zweifelhaft schiene, ob er mein Glück dadurch befördern werde. Tausend andere Mädchen würden sich vielleicht selig preisen, wenn die Wahl des alten Chabrias auf sie gefallen wäre. O warum mußte sie gerade auf die einzige fallen, die weder Sinn noch Herz für ein Gut hat, um welches so viele andere sie beneiden würden!

Mein Vater liebt seine Tochter; aber – Adrastea verzeihe mir, wenn ich ihm unrecht tue! – er sieht in seiner Tochter nicht sie selbst; er sieht nur das geliebte Bild seiner Artemidora in ihr. Die sanfte, genügsame, den Pflichten der Gattin, der Mutter, der Hausfrau allein lebende Artemidora, die einst aus bloßem Gehorsam gegen ihre Eltern die Seinige geworden war, und ihn doch so glücklich gemacht hatte, wäre vermutlich für jeden andern, den ihr Vater für sie ausgewählt hätte, eben dieselbe gewesen: der Mann, mit welchem sie sich unglücklich gefühlt hätte, müßte eines so liebenswürdigen Weibes gänzlich unwürdig gewesen sein. Warum sollte nun mein Vater von ihrer und seiner Tochter nicht dasselbe erwarten dürfen? Was könnte sie an dem Jüngling, der ihr angetragen wird, auszustellen haben? Er ist schön, reich und von edelem Hause; er hat sich bereits die gute Meinung seiner Mitbürger erworben; das Haupt der Republik spricht gut von ihm: er ist sogar bereit, die reizende Lycänion mit der Unbekannten zu vertauschen, die sein Vater für ihn ausgesucht hat. Was kann ein gutes Mädchen mehr verlangen? Welche Attische Tochter würde nicht stolz darauf sein, das Weib eines solchen Mannes zu werden?

Aber, beste Leukonoe, ist es meine Schuld, wenn ich unter Tausenden auch die einzige wäre, die, von allen diesen Vorzügen wenig gerührt, noch mehr verlangte? die einzige, die sich nicht entschließen könnte, sich diesem oder irgend einem andern Manne aufzuopfern? Daß mein Vater kein solches Opfer von mir fordern wird, dafür bürgt mir sein feierlich gegebnes Wort. Oder war es etwa bloß Anwandelung einer zärtlichen Laune gegen ein begünstigtes Kind, dessen Bitten er in einem schwachen Augenblick nicht zu widerstehen vermochte? Wehe mir, wenn ich dies von meinem edeln Vater denken könnte! Nein! Er erkannte die Rechtmäßigkeit meiner Bitte, und bewilligte sie, weil er die väterliche Gewalt nicht mißbrauchen wollte. Er wußte, daß bei der Wahl eines Gatten das Glück meines Lebens, nicht das seinige, auf dem Spiel stehe, und daß Ihm kein anderes Recht dabei zukomme, als meine Wahl zu leiten, nicht mir die seinige aufzudringen; mich zurückzuhalten, wenn das unerfahrne Mädchen, von ihren Augen oder einem andern blinden Trieb verführt, sich unbedachtsam ins Unglück stürzen wollte, nicht sie zu zwingen, gegen ihr eigenes Gefühl sich glücklich genug zu glauben, wenn sie es in seiner Meinung sei. So dachte mein gütiger Vater, als er mir die Freiheit zugestand, den Mann, mit welchem, und für welchen ich leben und sterben sollte, selbst zu wählen. Ob ich jemals in den Fall kommen werde, von dieser Freiheit zu wählen Gebrauch zu machen, wissen die Götter: da sie aber auch das Recht zu verwerfen in sich schließt, so wünschte ich allen weitern Bewerbungen durch die Versicherung zuvorzukommen, daß ich unter allen unsern Jünglingen keinen kenne, dessen Gattin ich zu sein wünschen möchte.

Nachdem ich mich einmal so freimütig herausgelassen habe, sei es mir erlaubt, noch weiter zu gehen, und ohne Zurückhaltung zu erklären: daß ich den Gedanken hasse, mich in das Gynäceon irgend eines Mannes zu einem Webstuhl, einem Spinnrocken und einem Dutzend Mägden einsperren zu lassen, um unter einer ehrenvollen Benennung im Grunde weder mehr noch weniger als die gesetzmäßige Beischläferin eines Gebieters zu sein, der mir, in den ersten zwei oder drei Monaten, mit einer Zudringlichkeit, die ich für Liebe nehmen müßte, das Recht abgekauft zu haben glauben würde, mich, mein ganzes übriges Leben durch, der Unterhaltung mit mir selbst, der Kinderstube, und den Geschäften einer Oberschaffnerin seines Hauses zu überlassen, unbekümmert, ob die Erfüllung dieser Pflichten zu Befriedigung meiner wesentlichsten Triebe hinreichend sei oder nicht. Unsre griechischen Männer sind, nach dem Beispiel der morgenländischen, seit undenklichen Zeiten gewohnt, den einzigen Vorzug, den die Natur ihnen vor uns zugeteilt hat, die Stärke ihrer Knochen und Sehnen, zu unsrer Unterdrückung zu mißbrauchen, und uns in Schranken einzuzwängen, worin die Entwicklung unsrer edelsten Kräfte beinahe unmöglich ist. Wie? hat Prometheus den göttlichen Funken nicht auch in unsre Brust gesenkt? Oder hat er (wie der Dichter Simonides fabelt) unsre Seelen von Katzen, Hunden, Affen, Schweinen und andern Tieren gestohlen4 ? – Halte mich nicht für so unverständig, liebe Leukonoe, daß ich die Verdienste der Frauen, die sich auf eine kluge und edle Ausübung ihrer häuslichen Pflichten einschränken, verkenne, oder zu verkleinern suchen sollte. Gewiß sind sie dadurch sehr achtenswürdige Bestandteile des Gemeinwesens: es sei nun, daß ihre Anlagen wirklich nicht weiter reichen, oder daß sie sich freiwillig einer Art von Beschäftigung widmen, wodurch sie den Ihrigen am nützlichsten zu sein glauben. Ich verehre die Letztern nach dem Grade von Tugend, der zu einer solchen Selbstverleugnung erfordert wird. Wenn aber ein weibliches Wesen Trieb und Kraft in sich fühlt, weiter zu gehen; wenn eine Seele in ihm erwacht, die sich den Seelen der edelsten unter den Männern nahe genug verwandt fühlt, um, wie sie, nach geistiger Schönheit und geistigen Genüssen, nach einer höhern Vollkommenheit, kurz nach dem Glück zu trachten, dessen diejenigen teilhaft werden, die sich über die Nebel des Wahns und der Leidenschaften in das Element der Wahrheit und Freiheit erhoben haben: wie sollt es da Pflicht für die arme aufstrebende Psyche sein, sich, gleich einem von spielenden Kindern gefangenen und an einem Faden zu ihrer Belustigung hin und her flatternden Schmetterling, von Amorn oder Hymenäus an eine unzerreißbare Kette legen, oder, wie die Psyche des Milesischen Märchens,5 zu niedrigen Sklavenarbeiten und qualvollen Entbehrungen verdammen zu lassen?

Ich kann und will es nicht länger verhehlen, daß ich eines dieser lüftigen Wesen bin, und es mir ganz und gar nicht zuträglich fühle, lebenslänglich zu Mägden und Nachbarinnen in einen wohlvergitterten Frauenzwinger, wie in einen zierlichen Wachtelnschlag, eingeschlossen zu werden.

Was willst du also? wirst du mich fragen: was für Anschläge und Aussichten kannst du wohl haben, einem Schicksal zu entgehen, dem sich alle andere ehrliche Mädchen in Griechenland immer willig unterworfen haben? – Ich muß gestehen, liebe Tante, meine Aussichten sind nicht sehr tröstlich. Vierundzwanzig Jahre sind ein hübsches Alter für ein junges Mädchen, und ich hätte sehr unrecht gehabt, so lange zu warten, wenn das, was ich dadurch entbehrte, einen Wert in meinen Augen hätte. Das schlimmste indessen, was ich bei meiner Denkart über diesen Punkt zu befürchten habe, wäre, lebenslänglich zu bleiben was ich bin. Es ist nicht was ich wünsche; muß es aber sein, so werde ich mich darein zu finden wissen. Doch gebe ich noch nicht alle Hoffnung auf, über lang oder kurz, durch Vermittlung meines guten Genius, an einen Mann zu geraten, der für mich taugt: einen Mann, der es nicht unter seiner Würde hält, eine Verbindung auf gleiche Vorteile mit mir einzugehen, und was ich ihm an Schönheit und Vermögen zubringe, mir durch die Schönheit seines Gemüts und die Schätze seines Geistes zu ersetzen. Schmeichle ich mir zu viel, liebes Mütterchen, wenn ich eines solchen Mannes wert zu sein glaube? Das wäre traurig für mich! denn gewiß, es fehlt mir nicht an gutem Willen, das meinige zu Erfüllung des löblichen Wunsches beizutragen, der meinem guten Vater so sehr am Herzen zu liegen scheint. Nur bitte ich mir nicht zuzumuten, daß ich zu einem so ernsthaften Geschäft mit einem unsrer edlen, schönen, und reichen jungen Herren in Gesellschaft trete. Das ist nun einmal, wofern nicht irgend eine unnatürliche Verwandlung mit mir vorgeht, schlechterdings unmöglich.

Den 9ten Thargelion.

III. Leukonoe an Hipparchia

Inhaltsverzeichnis

Was kann ich zu deiner Antwort sagen, Hipparchia? was soll ich von dir denken? Sage mir, um aller Götter willen, Mädchen, wo nimmst du all das seltsame Zeug her, das du dir in den Kopf gesetzt hast? Doch, ich merke nur zu wohl, daß es die Früchte der Freiheit sind, die dir dein Vater, seit dem Ableben meiner guten Schwester, unvermerkt zugestand. Es wollte mir nie gefallen, daß du immer mehr Lust hattest, über Büchern, die wir Weiber nicht verstehen und die nicht für uns geschrieben sind, als an deinem Spinnrocken zu sitzen, und lieber Briefchen an deine Freundinnen kritzeltest, als die Küchenrechnung führtest. Wie oft habe ich deinen Vater gewarnt, sich vor deinen Schleichereien in seine Bücherkammer in acht zu nehmen! Aber so geht es, wenn man zu viel Nachsicht gegen euch junge Schwindelköpfe hat!

Zu unsrer Großmütter Zeiten war ein Mädchen gelehrt genug, wenn sie ein halb Dutzend Äsopische Fabeln auswendig wußte, und einen leslichen Marktzettel zu Stande bringen konnte. Je weniger sie sah, je weniger sie hörte, je weniger sie fragte, desto besser erzogen war sie.6 Die edelgeborensten Jungfrauen von Athen trugen an den Panathenäen die heiligen Körbe darum nicht mit weniger Anstand und Grazie auf ihren leeren Köpfen, als wenn sie mit ganzen Schiffsladungen philosophischer Spinneweben ausgestopft gewesen wären; und keine ehrbare Matrone in ganz Attika ließ sichs nur im Traum einfallen, mit ihrem Mann auf gleichem Fuße leben zu wollen, und sich über Unterdrückung zu beklagen, weil Gesetz und alte Sitte uns von jeher ein abgesondertes Frauengemach, wo wir allein regieren, eingeräumt haben.

Aber wozu sage ich dir das? Du hast, wie ich sehe, deinen Plan gemacht, und beinahe muß ich glauben, du kennest auch den Mann schon, mit dem du deine Verbindung auf gleiche Vorteile, wie du es nennst, zu schließen gesonnen bist. Wir werden acht haben müssen, daß uns der Schmetterling nicht einmal unversehens mit dem Faden um den Leib davon fliege.

Doch so schlimm kann ich von der Tochter meiner Schwester nicht denken. Wahrlich wir haben es nicht um dich verdient, daß es dir so gleichgültig sei, ob du uns Kummer oder Freude machest.

Ich habe weder Zeit noch Lust, über das, was du deine Denkart nennst, mit dir zu streiten. Nur eins will ich dir sagen, und ich bitte dich, nimm es wohl zu Herzen! Ich erinnere mich von meiner seligen Mutter, die eine sehr kluge Frau war, gehört zu haben, daß die schöne und in der Folge nur allzu berüchtigte Lais von Korinth gerade durch die nämliche Art zu denken, worauf du dir so viel zugute tust, durch denselben Abscheu vor den herkommlichen Einschränkungen unsers Geschlechtes, durch dieselbe Begierde, alle Vorrechte der Freiheit mit dem männlichen zu teilen, und durch den nämlichen heroischen Mut, sich über die sogenannten Vorurteile und die öffentliche Meinung hinwegzusetzen, endlich so weit gekommen sei, daß sie sich auch über die Scham hinweggesetzt, und keine Scheu getragen, sich an die Spitze einer Klasse von Frauenspersonen zu stellen, deren bloßer Name die Lippen einer ehrbaren Frau beflecken würde. Ich erwähne dieser Unglücklichen nicht, als ob ich dich nur des flüchtigsten Gedankens, ihrem Beispiel zu folgen, fähig glaubte. Aber wenn ich dich von demselben Blendwerk bezaubert sehe, in dessen Verfolgung sie ihren Untergang fand, könntest du mir übel nehmen, daß ich dich von einem Wege zurückrufe, worauf du unvermerkt mit ihr zusammen treffen würdest?

Lamprokles