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MATTHIAS ROTTER

50 ALPENPÄSSE

FÜR RENNRADFAHRER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

 

 

 

 

 

INHALT

Vorwort

Vom Saumpfad zum Serpentinentraum

Technik und Ausrüstung – Die wichtigsten Tipps

OSTALPEN

Stilfser Joch

Großglockner Hochalpenstraße

Nockalmstraße

Passo del Vivione

Passo di Giau

Sellarunde

Gaviapass

Passo di Fedáia

Kitzbüheler Horn

Roßfeld-Panoramastraße

Sudelfeldpass

Monte Grappa

Passo di San Boldo

Sella di Razzo

ZENTRALALPEN

Grimselpass

Albulapass

Ofenpass

Klausenpass

Flüelapass

Furkapass

Sustenpass

Splügenpass

Passo San Marco

Berninapass

Nufenenpass

Sankt Gotthardpass

Lukmanierpass

Kühtaisattel

Penserjoch

Timmelsjoch

Glaubenbielenpass

Hahntennjoch

WESTALPEN

Col du Galibier

Col d’Agnel

L’Alpe d’Huez/Col de Sarenne

Col d’Izoard

Col de la Madeleine

Col de la Croix de Fer

Col de Chaussy

Mont Ventoux

Col/Cime de la Bonette

Col de la Lombarde

Col de la Machine

Col de l’Iseran

Col de la Cayolle

Cormet de Roselend

Colle delle Finestre

Colle dei Morti

Colle del Nivolet

Colle di Sampeyre

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Die Dolomiten zählen zu den schönsten Revieren für Pässefahrer.
Die Runde um den Sellastock ist ein Klassiker.

Erklärung der Symbole:

imgJahreszeitliche Befahrbarkeit

imgVerpflegungsmöglichkeiten

imgSehenswürdigkeiten

imgVerkehrsdichte

imgAnreise

imgKartenmaterial

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Liebe zur Kurve: Ob Gotthard, Stilfser Joch oder der unbekannte Col de Chaussy (Bild), solche Bergstraßen üben eine magische Anziehungskraft aus.

VORWORT

Spüren auch Sie dieses Kribbeln in den Beinen, beim Anblick einer schwungvoll in den Hang gelegten Serpentinenstraße? Möchten Sie sich dann am liebsten sofort in den Sattel schwingen und losfahren? Immer höher treten, der Sonne entgegen, den Berg mit jedem Meter intensiver spüren? Dann sind Sie längst infiziert vom Virus des Pässefahrens. Und wo sonst lässt sich diese Leidenschaft besser ausleben, als in den Alpen?

Hochgefühle

Das höchste und größte Gebirge Mitteleuropas ist überzogen von einem dichten Netz an Bergstraßen. Die unzähligen Kurven sind reinste Medizin für Bergradler. Ein legales Rauschmittel, das mit jeder Serpentine immer größere Hochgefühle erzeugt. 50 solcher Freudenspender sind in diesem Buch versammelt. Herrliche, wild mäandernde Routen durch eine grandiose Bergwelt. Das sind bei weitem nicht alle Pässe und Bergstraßen, die die Alpen zu bieten haben. Aber viele der schönsten und für Rennradfahrer lohnendsten. Und historisch bedeutende, denn Passübergänge haben immer eine große Rolle in der Geschichte der Alpen gespielt. Bei der Besiedelung, beim Handel zwischen den Ländern und nicht zuletzt auch während Kriegen.

Die direkten Verbindungen zwischen Nord und Süd wurden zu den Lebensadern des Gebirges. Ein gutes Beispiel ist der Sankt Gotthard in der Schweiz, an dessen Südrampe die liebevoll restaurierte Serpentinenstraße durchs Val Tremola einen beeindruckenden Blick in diese Vergangenheit erlaubt. 24 holprige Kopfsteinpflaster-Serpentinen, die heute für herrlichen Kletterspaß sorgen.

Neben den Klassikern faszinieren mich jedoch vor allem die kleinen, versteckten Übergänge, von einem Seitental in ein anderes. Schmale Straßen, verkehrstechnisch unbedeutend, aber gerade deshalb ein Traum für Rennradler.

Selbstverständlich steht für viele Bergfahrer der sportliche Aspekt im Vordergrund: Training, Fitness, vielleicht die Vorbereitung auf einen Marathon. Wer jedoch nur mit gesenktem Kopf und in den Schläfen hämmerndem Puls zur Passhöhe hinauf keucht, verpasst das große Kino. Mit jedem Pass lernt man, seine Kräfte besser einzuteilen und die Gipfelfahrt zu genießen. Und spätestens, wenn nach der letzten Serpentine das Passschild vor dem Lenker auftaucht, gesellen sich zu den Hochgefühlen echte Glücksgefühle. Versprochen!

Matthias Rotter

VOM SAUMPFAD ZUM SERPENTINENTRAUM

22 Gänge am Rad, Hightech-Carbonrahmen, Gewicht kaum mehr als sieben Kilo. Dazu Straßen mit meist glattem Asphaltbelag. Im Vergleich zur bewegten Vergangenheit der Pässe wirkt der moderne Radsportler wie ein verwöhnter Luxus-Abenteurer. Ein bisschen zumindest. Ein Rückblick in vergangene Zeiten weckt nicht nur nostalgische Gefühle, sondern lässt einen die Berge auch einmal mit anderen Augen sehen.

Die Passfahrt als Zeitreise: Wo sich Radler heute vergleichsweise komfortabel und vor allem nur zum Spaß in die Höhe schrauben, drohte vor einigen Hundert Jahren eine unwirtliche Bergwelt, die für eine Besiedlung nicht geeignet schien. Doch Funde von historischen Gegenständen und Fragmenten alter Wegtrassen belegen, dass es bereits vor den alten Römern einen Warenverkehr über die Alpen gab. Immer wieder für Gesprächsstoff sorgt auch die spektakuläre Alpenüberquerung des karthagischen Feldherren Hannibal samt Heer und 37 Elefanten im Gefolge. Die erste Transalp im Jahre 218 vor Christus? Sicher nicht zum Vergnügen. In der Region des Col du Mont Cenis im nördlichen Piemont soll der Feldzug gegen das römische Reich stattgefunden haben. Genauer gesagt über den unbekannten Col du Clapier. Echte Beweise für diese Theorie stehen zwar noch aus, aber zumindest wurde diese Route im Jahre 1979 für einen wissenschaftlichen Test bereits einmal mit zwei Elefanten begangen.

Einen entscheidenden Beitrag zur Erschließung vieler Pässe leisteten viele Jahrhunderte nach Hannibal die Walser, ein nomadisches Bergvolk, das sich vermutlich aus dem oberen Wallis heraus über weite Teile der Alpen verbreitete. Warum genau diese Wanderung um das Jahr 1200 herum begann, ist zwar nicht endgültig geklärt – die Walser waren Analphabeten und haben nichts Schriftliches überliefern –, aber sie legten zahlreiche Saumwege in die steilen Bergflanken. Diese wurden der Grundstein für den sich danach entwickelnden Handel zwischen verschiedenen Alpenregionen und Ländern. Etwa ab Beginn des 14. Jahrhunderts begann das sogenannte Säumerwesen mehr und mehr an Bedeutung zu gewinnen. Der Warentransit brachte auch einen gewissen Wohlstand in die oft armen Täler, konnten sich doch Bauern nun auch als Säumer (also als Bergspediteure) verdingen.

Interessant auch, dass sich die Handelsrouten immer wieder veränderten. So wurde beispielsweise der Septimer, einst einer der wichtigsten Pässe überhaupt, nie als befestigte Fahrstraße ausgebaut. Er stellte die Verbindung zwischen dem Nord-Bündnerischen Oberhalbstein und dem Bergell her. Heute rollt der Verkehr über Julier- und Malojapass oder über den San Bernardino gen Süden. Der historische Pflasterweg über den Septimer ist Wanderern und Mountainbikern vorbehalten. Aber auch Rennradler können in dieser geschichtsträchtigen Region einen Blick in die Vergangenheit werfen. Denn durch die genannten Hauptrouten ist der benachbarte Splügenpass in Vergessenheit geraten. Die Verbindung zwischen Thusis und Chiavenna ist ein wahres Kleinod. Noch heute kann man abseits des Asphaltsträßchens den grob gepflasteren historischen Saumweg sehen, oft in direkter Linie bergauf. Tiefe Fahrrinnen im nackten Fels lassen erahnen, wie schwer die Fuhrwerke waren, die in mühevoller Arbeit bergauf gewuchtet werden mussten. Schwerstarbeit für Säumer und Tier. Dazu das wechselhafte Wetter, dem man im Vergleich zu heute fast schutzlos ausgeliefert war. Einzige Zufluchtsorte waren meist die Hospize auf den Passhöhen.

Die Walser waren es auch, die mit ihrer ausgeklügelten Wegbautechnik beispielsweise die als unüberwindbar geltende Schöllenenschlucht am Sankt Gotthard erschlossen. Das berüchtigte Nadelöhr zwischen Göschenen und Andermatt ist eine topografische Gemeinheit. Eine trostlose Bresche im Berg, als hätte sie der Teufel höchstpersönlich mit einem wütenden Axthieb in den Fels gedonnert. Man mag sich die windigen Holzstege dennoch lieber nicht vorstellen, die sich mit Ketten an die nackte Felswand klammerten. Ein Himmelfahrtskommando, das sich erst mit dem Bau der sagenumwobenen Teufelsbrücke in menschenwürdigeres Reisen verwandelte.

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Am rauen Colle di Finestre kann man eine kleine Reise in die kriegerische Vergangenheit der Alpen machen.

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Das Tullio-Campagnolo-Denkmal auf dem Passo Croce d'Aune.

Mit dem Ausbau der Straßen und dem Aufkommen der Postkutschen begann schließlich im 19. Jahrhundert der Wettlauf mit der Zeit. Zwischen 1830 und 1884 erlebten die Einheimischen in der Zentralschweiz einen Zuwachs an Geschwindigkeit, wie er wohl nie mehr erreicht werden wird. So verkürzte die Express-Postkutsche die Reisezeit zwischen Luzern und Lugano von ursprünglich 10 Tagen herunter auf etwa fünf Stunden. Allzu lange hielt der Rekord jedoch nicht, denn mit dem 1882 eröffneten Eisenbahntunnel wurde diese Zeit abermals pulverisiert. Zudem konnte man nun die Fahrt das ganze Jahr hindurch absolvieren.

Am benachbarten Furkapass, dem Tor, durch das einst die Walser in Richtung Osten wanderten, war die Ära der Postkutschen erst 1921 vorbei. Im Sommer jenes Jahres tuckerte das erste Postauto über die 2429 Meter hohe Passhöhe. Und der relativ glatte Fahrbahnbelag machte schließlich auch den Weg für Radfahrer frei. Doch diese spezielle Geschichte begann ursprünglich im Nachbarland Frankreich.

Tour und Giro

Im Jahre 1907, bei der fünften Austragung der Tour de France, war es der 1326 Meter hohe Col de Porte, dem die Ehre der Rad-Premiere zufiel. Der kleine Übergang liegt im Massif de la Chartreuse, einem Gebirgsstock nördlich von Grenoble. Von einer launigen Bergfahrt, wie sie heute jeder ambitionierte Hobbysportler als Training absolviert, war diese Überquerung allerdings meilenweit entfernt. Nach 250 bereits gefahrenen Kilometern, mit schweren Rädern ohne Gangschaltung, mussten alle Fahrer früher oder später vor der Steigung kapitulieren und Teilstrecken zu Fuß gehen.

Nur vier Jahre später ging es mit dem legendären Col du Galibier, immerhin doppelt so hoch wie der Porte, richtig ins Hochgebirge. Der Verbindungspass zwischen der Maurienne im Norden und dem Brianconnais war bis 1876 ein Saumpfad, der dann zum Fahrweg ausgebaut wurde. Noch heute vermögen die alten Schwarzweißbilder zu faszinieren, auf denen sich die schmutzverkrusteten Rennfahrer über die Schotterstraße nach oben kämpfen. Ersatzreifen um den Oberkörper geschlungen, den Blick ins Leere gerichtet.

Längst haben viele der französischen Pässe und Bergstraßen Kultstatus erreicht, darunter auch Col d’Izoard, Col de la Croix de Fer, Mont Ventoux und Alpe de l’Huez. Wer sich auf die Spuren der Tour de France begibt, sollte jedoch keinesfalls versäumen, auch unbekanntere Pässe in diesem Teil der Alpen unter die Räder zu nehmen. Zum Beispiel die spektakulär in den Kalkfels geschlagenen Sträßchen durchs Vercors, oder den Col de la Cayolle in den Seealpen. Er zählt für mich neben dem Colle dei Morti und dem Passo del Vivione zu den drei schönsten Pässen der Alpen.

Etwas verzögert, im Jahre 1909, fiel auch in Italien der Startschuss zur großen Landesrundfahrt, dem Giro d’Italia. Allerdings führte die erste Bergetappe nicht in die Dolomiten, sondern im Jahre 1911 hinauf ins Piemonteser Bergdorf Sestrière. Erst 1937 tauchten die Dolomiten im Streckenplan auf, heute eines der beliebtesten Pässe-Eldorados überhaupt. Pordoijoch, Sellajoch, Stilfserjoch und Gaviapass zählen zu den legendären Anstiegen des Giro, die jeder Kletterer einmal bezwungen haben sollte. Aber auch wegweisende Erfindungen in Punkto Fahrradtechnik wurden in den italienischen Bergen gemacht. So kam einem Rennfahrer namens Tullio Campagnolo am Passo Croce d’Aune, während eines Radrennens im November 1924, die Idee zum Schnellspanner. Damals mussten die Rennfahrer noch das Hinterrad ausbauen und umdrehen, um die Übersetzung zu wechseln. Im Schneetreiben vermochte Campagnolo mit seinen kalten Fingern jedoch die Flügelmuttern nicht zu öffnen. Das Rennen um den »Gran Premio della Vittoria« hat er an jenem Tag zwar verloren. Aber die kleinen Hebel sind noch heute ein unverzichtbares Fahrradteil. Dem Gründer eines der führenden Unternehmen zur Herstellung von Fahrradkomponenten wurde an dem kleinen Pass nördlich des Monte Grappa sogar ein Denkmal errichtet.

Dunkle Kapitel der Vergangenheit

Auch zahlreiche Kriege haben im Lauf der Jahrhunderte das Gesicht der Alpen gezeichnet. Blutige Schlachten wurden in den Tälern ausgefochten, hart umkämpfte Frontlinien verliefen über die Bergkämme. In den Dolomiten wurden im Ersten Weltkrieg gar ganze Gipfel weggesprengt. Besonders in Südtirol und Venetien, sowie entlang der italienisch-französischen Grenze in den Westalpen säumen Relikte aus jener Zeit die Bergstraßen. Historische Burgen sitzen auf waghalsigen Bergvorsprüngen, trutzige Forts und Bunkeranlagen direkt im nackten Fels. Manche Bergmassive sind von kilometerlangen Stollennetzen durchlöchert. Passstraßen dienten als Nachschubwege oder wurden sogar nur zu diesem Zweck gebaut. Dies gilt zum Beispiel für den Passo di San Boldo in den venezianischen Alpen, gerade einmal 706 Meter hoch und heute einer der kuriosesten Pässe. Um die sogenannte Piave-Front während des Dolomitenkrieges im Jahre 1918 zu versorgen, baute man den waghalsigen Pfad durch die San Ubaldo Schlucht zu einer Militärstraße aus. Unter Einsatz von Tausenden Arbeitern wurde die Straße in nur einhundert Tagen in den Fels gesprengt. Am oberen Ende der Schlucht durchfährt man fünf Kehrentunnels, da für frei liegende Serpentinen kein Platz am Berg war. Am Gipfel des benachbarten Monte Grappa, einst Schauplatz der barbarischen Piave-Schlachten, gemahnt eine Gedenkstätte der mehr als 20000 Toten aus diesen Kriegen.

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Durch das Dorf Barcelonnette in den Südfranzösischen Alpen rollte die Tour schon bei den ersten großen Alpenetappen.

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Begegnungen mit Einheimischen geben einer Pässefahrt die nötige Würze.

Das Pendant zum San Boldo-Pass in den Westalpen ist der 2176 Meter hohe Colle delle Finestre. Die eigentliche Herausforderung der alten Militärstraße ist jedoch nicht der deutlich größere Höhenunterschied, sondern der Schotterbelag auf den letzten acht Kilometern der Nordrampe. Sogar der Giro d’Italia stattete dem Finestre in den Jahren 2005 und 2011 aufsehenerregende Besuche ab. Auf seiner Passhöhe und am Südfuß beim Dorf Fenestrelle nimmt eine der monumentalsten Verteidigungslinien der Alpen ihren Anfang. Auf dem Bergkamm reiht sich entlang der Assietta-Kammstraße eine Festung an die andere, düstere und meist verfallene Bollwerke aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Bis hinüber auf die französische Seite der Grenze bei der Stadt Briançon thronen zahlreiche Forts auf den kargen Bergen.

Höhenrausch

Neben dem sportlichen Aspekt und dem Landschaftserlebnis sind für uns Bergfahrer vor allem Fakten wichtig. Aber wie genau sind die Höhenangaben und wie kommen sie zustande? Den Werten auf Straßenschildern sollte man jedenfalls lieber nicht trauen. Es sind die ewigen Streitfragen unter Bergfahrern: Wie hoch ist der Pass? Welches ist der höchste Alpenpass überhaupt? An welchem Anstieg kann man den größten Höhenunterschied überwinden? Wo befinden sich die steilsten Rampen?

Klar, wenn man sich schon zwei Stunden oder länger bergauf quält, will man auch wissen, was man geleistet hat. Die nächste Frage lautet jedoch: Warum entbrennt darüber überhaupt ein Streit, wo doch in der heutigen Zeit jeder Winkel der Erde vermessen und katalogisiert ist? Bei intensiverer Recherche stellt man fest, dass zu fast jeder Passhöhe zwei, drei manchmal auch noch mehr unterschiedliche Höhenangaben existieren. Und zwar in allen Alpenländern. Prominente Beispiele gibt es zuhauf, angefangen beim höchsten asphaltieren Pass, dem Col de l’Iséran: Während das gemauerte Schild auf der Passhöhe 2770 Meter verkündet, gibt die topografische Karte des Französischen Landesvermessungsamtes 2764 Meter an. Auch am legendären Col du Galibier ist man sich uneinig. Hier pendelt die Höhe zwischen 2642 Meter (Topo), 2645 Meter (Schild) und 2646 Meter (Michelin Karte). Und nicht zuletzt die vollmundige Behauptung »Höchste Straße Europas« am Col de la Bonette legt die Vermutung nahe, dass man den Schildern vor Ort am allerwenigsten Glauben schenken sollte. Denn diese Ehre gebührt ohne Zweifel der Straße auf den 3384 Meter hohen Pico del Veleta in der spanischen Sierra Nevada.

Sogar der Riedbergpass, höchster innerdeutscher Straßenpass, trägt ein Schild mit der falschen Höhe (1420 Meter). Den Beweis liefert ein trigonometrischer Messpunkt in unmittelbarer Nähe der Passhöhe, der eine Höhe von 1405,9 Metern markiert. Dabei handelt es sich um einen sogenannten geodätischen Lagefestpunkt, dessen Position auf wenige Zentimeter genau bestimmt wurde. Er dient Landesvermessern und Kartografen als Ausgangspunkt für Vermessungen. Denen zufolge weist die topografische Karte des Bayerischen Landesvermessungsamtes die nur minimal höher liegende Passhöhe mit 1407 Metern Höhe aus.

Auch in der Schweiz findet man etliche Pässe mit unterschiedlichen Höhenangaben. Beispiel Furkapass, wo das Schild mit 2436 Metern sieben Meter mehr als die Swisstopo angibt. Und eine der mit 35 Metern Unterschied größten Diskrepanzen findet man am österreichisch-italienischen Timmelsjoch: Auf dem Schild stehen 2509 Meter, die Austria-Topo markiert die Passhöhe jedoch mit nur 2474 Metern. Aber wo findet man nun die korrekten Daten? Ein Vergleich der verschiedenen Quellen und Messmethoden bringt Aufschluss.

Pass

oder nicht?

Wenn es um Höhenmeter geht, sprechen Radler oft pauschal von Pässen. Doch nicht jede Bergstraße ist gleichzeitig ein Pass.

Das Lexikon sagt: Pass leitet sich ab von »Passage«. Als Gebirgspass bezeichnet man aus Sicht des Talbewohners den Übergang in das jenseits der Bergkette liegende Tal. Und zwar an der tiefstmöglichen, gangbaren Stelle eines Bergkamms, Höhenrückens oder Gratverlaufs zwischen zwei Bergen. Beispiel Col de la Bonette: Der Pass wird oft mit 2802 Metern Höhe als höchster Alpenpass geführt. Der Punkt mit 2802 Metern Höhe befindet sich jedoch nicht an der Passhöhe, sondern etwa in der Mitte einer kurzen Ringstraße, die von der Passhöhe aus um den Berggipfel »Cime de la Bonette« herum führt. Die eigentliche Passhöhe, also der Übergang ins Val de la Tinée, liegt auf 2715 Metern Höhe.

Aber sind die Pass-Kriterien für Rennradler erst dann erfüllt, wenn die Passhöhe über (asphaltierte) Straßen von beiden Tälern her erreichbar ist? Beispiel Colle del Nivolet: Die 2612 Meter hohe Passhöhe ist nur von Süden her asphaltiert. Auf der Nordseite existiert lediglich ein Wanderweg. Andererseits sind Pässe wie Umbrail oder Finestre für Rennradler durchaus fahrbar, obwohl eine der Rampen (teilweise) geschottert ist. Hier muss jeder für sich entscheiden, ob er sich und seinem Material eine Befahrung zumutet.

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Hüttenübernachtung am Col de la Cayolle.

Landkarte

Die topografischen Karten der nationalen Landesvermessungsämter liefern in der Regel die genauesten Höhenangaben. Sie werden in bestimmten Intervallen aktualisiert, etwa in der Schweiz alle sechs Jahre. Dort wird beispielsweise mithilfe der sogenannten Stereoskopischen Bildmessung gearbeitet, einem Verfahren, bei dem Luftbilder räumlich ausgewertet werden. Die Genauigkeit liegt dabei im Bereich von bis zu wenigen Zentimetern. Zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz gibt es sogar seit einigen Jahren ein Abkommen, Geobasisdaten gegenseitig auszutauschen.

Wenn sich beispielsweise an der Passhöhe kein bezifferter Höhepunkt befindet, kann man die Höhe mithilfe der Höhenlinien recht genau bestimmen. Das Höhensystem, auf das sich die Höhen der Karte beziehen, sollte am Kartenrand angegeben sein. Die Topokarten der Alpen kann man in den Geoportalen der Länder in sehr detaillierter Darstellung einsehen.

Deutschland www.do-viewer.nrw.de/do-viewer/
Bayern www.geodaten.bayern.de/BayernViewer/
Österreich www.austrianmap.at
Schweiz http://map.geo.admin.ch/
Italien www.pcn.minambiente.it/viewer/
Frankreich www.geoportail.fr

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Regen oder Hitze? Die Smartphone-App als Wetter-Orakel.

Barometrischer Höhenmesser

Ein barometrischer Höhenmesser, wie er in vielen Radcomputern eingebaut ist, kann auf Tour gute Ergebnisse liefern – wenn die Wetterlage stabil ist. Er muss zumindest am Startort im Tal kalibriert werden. Auch nachjustieren unterwegs ist möglich. Große Ungenauigkeiten können beispielsweise an Wetterscheiden entstehen (Alpenhauptkamm), oder wenn eine Gewitterfront heran zieht und sich der Luftdruck sehr kurzfristig ändert.

GPS-Gerät

Neben der Position kann ein GPS-Gerät auch die Höhe mithilfe der Satellitensignale berechnen. Die Genauigkeit hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen muss das Gerät dazu mindestens vier Satelliten empfangen – je mehr, desto besser. Außerdem orientiert sich die Messung (zunächst) nicht an der Meereshöhe, sondern am sogenannten Referenzsystem WGS84, das im Jahre 1984 aus dem Bestreben heraus entstand, ein weltweit einheitliches System zu schaffen. Dem zu Grunde liegt unter anderem ein sogenanntes Geoid, eine Bezugsfläche zur Beschreibung der Erdfigur. Dieses entspricht zwar bestmöglich dem mittleren Meeresspiegel. Leider kann man jedoch aus verschiedenen Gründen den Meeresspiegel nicht einfach als theoretische Linie unter der Landmasse weiterführen. Zudem ist unsere Erde alles andere als eine Kugel. Fakt ist, dass es somit bei allen Messungen zu gewissen Ungenauigkeiten kommt. So sind beispielsweise in Deutschland die mithilfe von GPS ermittelten Höhen zwischen 36 Metern (Vorpommern) und 50 Metern (Schwarzwald und Alpen) höher als die von Normalnull (Nordsee Meeresspiegel) ausgehenden Messungen. In der Regel werden jedoch bei GPS-Handempfängern die Höhen über ein implementiertes Geoidmodell in Höhen über dem Meeresspiegel umgerechnet. Hochwertige Geräte besitzen zusätzlich einen barometrischen Höhenmesser, der sich je nach Einstellung über die GPS-Höhe kalibriert. Ein weiterer Vorteil beim Empfang zahlreicher Satelliten. Auf diese Weise lassen sich mit etwas Erfahrung unterwegs sehr gute Höhenwerte ermitteln.

Zurückgelegte Höhenmeter

Den exaktesten Wert erhält man bei bei kontinuierlich steigenden Rampen mithilfe der Topo-Karte. Das heißt, es gibt keine Zwischenabfahrten, an denen man wieder Höhe verliert. Flachstücke hingegen spielen keine Rolle. Die Differenz zwischen Passhöhe und Höhe des Talortes ergibt die zu erkletternden Höhenmeter. Das Problem bei Zwischenabfahrten ist, den jeweiligen Endpunkt der Steigung zu finden (Höhenlinie) und den Punkt (Höhe), wo die die Steigung wieder beginnt. Lässt man die Höhenmeter auf Tour vom barometrischen Höhenmesser und/oder dem GPS-Gerät permanent addieren, unterliegt man den genannten Ungenauigkeiten.

Ein Kuriosum aus dem Jahre 2003 beweist allerdings, dass es die absolute Wahrheit dennoch nicht gibt: Beim Bau einer länderverbindenden Brücke zwischen Deutschland und der Schweiz kam es dazu, dass sich die Hälften der Trassen in der Mitte um 54 Zentimeter verfehlten. Grund: Die beiden Länder beziehen ihre Messungen auf den Referenzpegel unterschiedlicher Meere (Nordsee und Mittelmeer). Diese Höhendifferenz von 27 Zentimetern wurde bei der Planung zwar berücksichtigt, jedoch versehentlich mit einem falschen Korrektur-Vorzeichen versehen. Es mag daher ein guter Tipp für die Statistiker unter den Bergfahrern sein, auch mal alle Fünfe gerade sein zu lassen und sich einfach darüber zu freuen, dass man einen Anstieg gemeistert hat.

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Innehalten am Fausto-Coppi-Denkmal (Col d’Izoard, Südseite).

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Neben dem Equipment sollte auch die Fahrtechnik »funktionieren«.

TECHNIK UND AUSRÜSTUNG – DIE WICHTIGSTEN TIPPS

Rennrad

Es muss nicht gleich ein Carbonrad der obersten Preiskategorie sein, wenn man auf Pässefahrt gehen möchte. Wenngleich ein leichtes Rad grundsätzlich von Vorteil ist – schließlich muss jedes Gramm bergauf mitgetragen werden. Fest steht jedoch, dass spezielles Leichtgewichts-Tuning teuer ist. Ab einer bestimmten Grenze nach unten, etwa ab sieben Kilogramm, muss man für jedes weitere eingesparte Gramm unverhältnismäßig hohe Summen auf den Verkaufstresen legen. Andererseits tummeln sich heute bereits unter den Mittelklasse-Rennern in der 1500-Euro-Klasse viele Modelle, die serienmäßig kaum mehr als acht Kilo wiegen. Eine neue Welt, wenn man dies mit den noch vor zehn Jahren üblichen Gewichten in dieser Klasse vergleicht. Oft stehen sogar schon Carbon und Aluminium als Rahmenmaterial zur Wahl. Tipp: Die Alu-Varianten sind in der Regel hochwertiger ausgestattet. Durch das Mehrgewicht der preiswerteren Anbauteile bei den Carbonmodellen egalisiert sich unterm Strich meist das Gesamtgewicht des Rades.

Weitaus größeres Augenmerk sollten vor allem Einsteiger auf die Sitzposition und Übersetzungsbandbreite legen (siehe Extra-Punkt). Ob sportlich-gestreckt oder aufrecht-komfortabel – die Rahmengeometrie legt den Grundstein für die Sitzposition. Gemeint ist damit nicht die Position zur Tretkurbel, die sich durch Vermessen der Beinlänge definiert, sondern die Länge des Oberrohrs (horizontal) und die Länge des Steuerrohrs (vertikal). Letztere bestimmt den Niveauunterschied zwischen Lenker und Sattel.