Klappentext

Auf einem schmalen Eisenbett schliefen ein Mädchen und ein Mann ... »Es ist Berlin, Georgenkirchstraße, dritter Hinterhof, vier Treppen, Juli 1923, der Dollar steht jetzt – um sechs Uhr morgens – vorläufig noch auf vierhundertvierzehntausend Mark«.

Mit dieser reportagehaften Skizze leitet Hans Fallada seinen Epochenroman ›Wolf unter Wölfen‹ ein. Im Zentrum des Werks stehen der junge Wolfgang Pagel und seine Freundin Petra, verwoben mit den Schicksalen Dutzender anderer Menschen, die alle während der Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit der Zwanziger Jahre ihren individuellen Weg des Überlebens, vielleicht sogar des kleinen Glücks, suchen. Falladas Buch ist ein Klassiker der Moderne, der in genialer Erzählweise die Verhältnisse der damaligen Zeit präzise schildert wie kaum ein anderes literarisches Werk.

© Redaktion eClassica, 2018

 

Über den Autor: Hans Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen) (1883–1947) war einer der produktivsten deutschen Schriftsteller der 30er Jahre. In der Zeit des Nationalsozialismus lebte er als »unerwünschter Autor« zurückgezogen auf einem Anwesen in Mecklenburg. Einige seiner Bücher waren von den Nazis aber auch geduldet, weil sie die Weimarer Republik kritisierten, wodurch er persönlicher Verfolgung entging.

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NEUNTES KAPITEL: Ein neuer Start am neuen Tag

1

In einem Hotelzimmer, auf einem Bett, liegen ein Mädchen und ein Mann. Der Mann schläft dicht an der Wand, in dem nicht breiten Bett bläst er leise pfeifend den Atem durch die Nase. Das Mädchen ist eben wach geworden, das Kinn auf die verschränkten Arme gelegt, auf dem Bauche liegend, blinzelt es zu den beiden Fensterrechtecken, die schon hell sind.

Das Mädchen hört: Das Geräusch von Schnellbahnzügen, die in einen Bahnhof einfahren; das stöhnende Gepuff einer Lokomotive; Geschilp von Spatzen; viele Fußgängerschritte, eilig, hastig, eilig; nun schüttert das Zimmer mit allem, was darin ist, von einem schnell fahrenden, schweren Gefährt – das muss ein Autobus sein, überlegt das Mädchen –, und jetzt, ungewohntes Geräusch unter so vielen gewohnten, tutet ganz nah ein Dampfer, zwei-, dreimal, fordernd, ungeduldig …

Das Mädchen, Sophie Kowalewski, ist ihrem Entschluss treu geblieben: zum Abschied ist sie in der Altstadt bummeln gegangen, und nun ist sie in einem Hotel an der Weidendammer Brücke gelandet – daher das Dampfertuten, auf der Spree fahren Dampfer – oder ist dies hier gar nicht die Spree –?

Leise, behutsam, den Mann nicht zu wecken, schlüpft Sophie Kowalewski aus dem Bett, läuft, wie sie ist, ans Fenster und hebt einen Zipfel des Vorhangs. Strahlend blau steht der Himmel über den Eisenbogen der Brücke.

Herrliches Wetter werde ich in Neulohe haben, denkt Sophie. Großartige Sache: am Eingang des Waldes unter einem Baum liegen und sich schmoren lassen … keine Gnädige … Badeanzug Fehlmeldung … Und abends, wenn der Mond hochkommt, ganz nackt in den kalten Krebsteich mitten im Walde …

Sie lässt den Zipfel des Vorhangs fahren und macht sich rasch an Waschen und Anziehen. Sie spült sich nur so ein bisschen ab, gurgelt flüchtig – all das kann sie noch gründlich im Hospiz besorgen, sie hat Zeit genug, bis ihr Zug geht. Eine freudige Spannung, etwas wie das Vorgefühl eines nahen Glückes erfüllen sie … Neulohe, der alte, verwilderte Fliederbusch hinter dem Spritzenhaus, wo sie ihren ersten Kuss bekam, o Gott! Sie wird im Hospiz auch frische Wäsche anziehen. All dies Zeugs ekelt sie …

Sophie Kowalewski ist fertig, ihr Täschchen in der Hand, steht sie und späht unschlüssig zum Bett. Sie macht zwei Schritte in der Richtung und sagt halblaut, sehr vorsichtig: »Du, Bubi …«

Nichts.

Noch einmal: »Ich geh jetzt, Schatzi …«

Nichts, nur das leise Pfeifen durch die Nase …

Es ist keine plötzliche Eingebung, wenn Sophie jetzt scharf zu den Kleidern des Schläfers hinschaut, die unordentlich über den Stuhl geworfen daliegen. Nebenbei hat sie die ganze Zeit, seit sie wach ist, daran gedacht, dass bei dieser dämlichen Nacht wenigstens das Reisegeld nach Neulohe herausschauen könnte. Sie muss jetzt ein bisschen auf ihr Geld sehen, in Neulohe gibt es kein frisches. Rasch ist sie bei dem Stuhl, auf den ersten Griff fasst sie die Brieftasche (sie hat schon heute Nacht darauf geachtet, wohin er sie steckt), sie macht sie auf …

Es ist nicht viel Geld in der Tasche – ach, es ist eigentlich sehr wenig darin für einen Mann, der gestern Abend viele Millionen für Sekt ausgab! Einen Augenblick zögert Sophie. Sie wirft einen Blick auf die Kleider, und mit dem Auge der Frau sieht sie, dass es wohl sorgfältig geschonte, aber gar nicht neue Kleider sind, vielleicht hat der Mann all sein Geld zusammengescharrt für diesen einen großen Ausgang. Es gibt solche Männer, Sophie weiß es, sie sparen und sparen, sie versprechen sich die Welt von einem solchen Abend, ein Glück, wie sie es noch nie erlebten …

Dann erwachen sie am nächsten Morgen, ernüchtert, verzweifelt, ausgeleert …

Zögernd steht Sophie, die Geldtasche in der Hand. Ihr Blick geht hin und her zwischen den paar Scheinen, den Kleidern, dem Schläfer …

Das bisschen Geld hilft mir auch nichts, denkt sie. Schon will sie die Scheine in die Brieftasche zurücklegen.

Aber der Hans würde mich auslachen! denkt sie plötzlich. Der Hans ist nicht so dumm. Man muss alles mitnehmen, sagt er immer. Die Anständigen sind die Doofen. Nein, es ist ihm grade recht, wird er das nächste Mal besser aufpassen …

Sie nimmt das Geld. Und noch einmal ein Überlegen: Wenigstens das Fahrgeld müsste ich ihm lassen. Sicher muss er auf sein Büro. Dass er wenigstens rechtzeitig auf seinem Büro ist!

Und wieder die andere Stimme: Aber was geht das mich an, ob er rechtzeitig auf dem Büro ist?! Wer hat sich je um mich gekümmert, wie ich nach Haus kam?! Auf der Straße haben mich die Herren Kavaliere stehenlassen, zu faul waren sie, mir die Haustür aufzuschließen, aus der Taxe haben sie mich gesetzt, wenn sie erst ihren Willen hatten! Was heißt hier Fahrgeld?!

Ordentlich stolz ist sie auf ihren Entschluss. Mit zorniger Entschlossenheit stopft sie das kümmerliche Geld in ihr Täschchen. Recht hast du! würde der Hans sagen. Und recht habe ich auch! Wer nicht nimmt, dem wird genommen. Wer nicht beißt, der wird gebissen. Guten Morgen!

Und leichtfüßig, vergnügt läuft sie die Treppe hinunter.

 

2

Es ist schon hell – auch im Walde. Der kleine ehemalige Feldinspektor Meier stapft wütend die Schneise entlang: die Koffer sind zu schwer, die Schuhe drücken, er hat zu wenig Geld, der Weg nach Grünow ist viel zu weit, er ist unausgeschlafen, der Kopf schmerzt wie sieben Affen – es gibt nur bescheidene Dinge, an die er denken kann.

Das Allerbescheidenste steht plötzlich, wie aus der Erde geschossen, am Wege, es ist der Leutnant.

Aber er ist ganz freundlich. »Morgen, Meier«, sagt er. »Ich wollte Ihnen doch noch adjüs sagen.«

Meier starrt ihn argwöhnisch an. »Also adjüs, Herr Leutnant!«

»Gehen Sie ruhig weiter. Nehmen Sie Ihre Koffer und gehen Sie weiter, wir haben ein Stück gemeinsamen Weg.«

Meier aber bleibt stehen. »Ich gehe ganz gerne alleine«, sagt er.

»Aber! Aber!« meint der Leutnant lachend. Sein Lachen klingt falsch, findet Meier, und seine Stimme flackert. »Sie werden doch keine Angst vor mir haben, jetzt, wo Sie sogar eine Pistole in der Tasche tragen.«

»Es geht Sie einen Dreck an, was ich in der Tasche trage!« schreit Meier gereizt, aber seine Stimme zittert.

»Eigentlich ja«, gibt der Leutnant zu. »Aber wichtig ist es doch für mich, weil ich nämlich nun nicht in Verdacht komme.«

»Wieso nicht in Verdacht komme –?« stottert Meier.

»Wenn Sie hier irgendwo tot im Walde liegen, Herr Meier«, sagt der Leutnant sehr höflich, aber bitterernst.

»Ich – tot – lächerlich …«, stammelt der kleine Meier aschfahl und späht in das Gesicht seines Gegenübers. »Ich hab Ihnen doch gar nichts getan, Herr Leutnant!«

Flehend, angstvoll späht er in das Auge des andern, aber darin ist nichts zu lesen, gar nichts, es glitzert kalt.

»Ihre Pistole und meine Pistole haben nämlich das gleiche Kaliber«, erklärt der Leutnant erbarmungslos. »Sie sind doch ein Riesenross, Meier, dass Sie die Pistole eingesteckt haben … Und nun haben Sie auch noch den Lauf frisch beschossen … Ich treff aber besser als Sie, Herr Meier. Und ich steh jetzt so schön rechts von Ihnen, Nahschuss auf zwanzig Zentimeter in die rechte Schläfe … Jeder Schießsachverständige sagt Selbstmord, mein lieber Herr Meier. Und daheim die geplünderte Kasse … der Schuss auf das Mädchen – nein, nein, Herr Meier, machen Sie sich gar keine Gedanken, da gibt’s keinen Zweifel: alles spricht für Selbstmord.«

Der Leutnant redet und redet, er tut sehr überlegen, aber er ist wohl nicht so ruhig, wie er tut. Etwas anderes ist es, im Kampf oder in der Leidenschaft auf jemanden zu schießen, wieder etwas anderes, kaltblütig ein Opfer auf Grund von verstandesgemäßen Erwägungen abzuschlachten. Er zählt sich säuberlich noch einmal auf, dass er nichts »riskiert«, dass er die Sache nicht gefährdet, sondern rettet vor einem Verräter.

Und dabei wünscht er doch im Stillen – Schießsachverständige hin, Risiko her –, dass der Meier hastig nach der Pistole in der Gesäßtasche griffe: ein rascher Schuss, mit dem der Leutnant ihm zuvorkommt, ist so viel leichter als der ruhige, kaltblütige Schuss in das graue, schon so klein und spitz gewordene Gesicht hinein.

Aber Meier denkt gar nicht an die Pistole in der eigenen Tasche, er stammelt: »Herr Leutnant, ich schwöre Ihnen, ich sage nie ein Wort von Ihnen und dem Fräulein Weio … Und auch nicht von dem Putsch … Ich halt’s, Herr Leutnant, ich hätt ja doch immer Angst, dass Sie mich erwischen, Sie oder einer von Ihren Leuten, ich bin ja doch feige … Bitte, schießen Sie nicht! Ich – schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist …«

Seine Stimme versagt ihm, er schluckt und starrt angsterfüllt auf den Leutnant …

»Aber es ist Ihnen ja nichts heilig, Meier«, sagt der Leutnant. Er kann sich noch immer nicht entschließen. »Sie sind ja ein völliges Schwein, Meier.«

Der kleine Meier, der Negermeier, hat atemlos auf die Lippen des andern gestarrt, nun flüstert er hastig: »Ich kann mich doch noch ändern! Glauben Sie mir, Herr Leutnant, ich kann noch anders werden, ich bin ja noch jung! Sagen Sie, bitte, sagen Sie ja! Ich mache kehrt, ich gehe wieder nach Neulohe, ich gestehe dem Rittmeister, dass ich das Geld geklaut habe. Soll er mich ins Gefängnis schicken, ich geh gerne, ich will mich ja bessern, es soll ruhig schwer sein … bitte, bitte, Herr Leutnant!«

Der Leutnant schüttelt finster den Kopf. Ach, hätte er doch gar nicht erst mit diesem Kerl zu quatschen angefangen! Hätte er nur gleich losgemacht, ohne ein Wort, aber nun … es wird immer ekelhafter! Er ist ja nicht völlig verderbt, der Leutnant, er macht sich auch nichts vor, er weiß, er allein hat diesen jungen Bengel hereingerissen. Der muss sterben, weil er, der Leutnant, es nicht lassen konnte, mit der kleinen Prackwitz anzubändeln … Es ist schlimm, aber es hilft nichts, jetzt weiß der Meier viel zu viel, er ist zu gefährlich, noch viel gefährlicher, seit er die toddrohende Pistole auf sich gerichtet sah.

»Nehmen Sie die Koffer, Meier, wir gehen noch ein Stück!«

Keine Spur von Widerstand, gehorsam wie ein Schaf nimmt Meier die Koffer, sieht den Leutnant fragend an.

»Da rauf, die Schneise lang!« befiehlt der.

Meier mit den Koffern geht voraus. Er hat die Schultern eingezogen, als könne das den gefürchteten Schuss von hinten verhindern. Die Koffer sind nicht mehr schwer, die Schuhe drücken nicht mehr, er geht eilig, als könnte er dem Tod weglaufen, der hinter ihm drein geht.

Wenn es doch erst vorbei wäre! denkt der Leutnant, die Augen aufmerksam auf den Vorausgehenden gerichtet. Aber diese Schneise hier ist wirklich zu begangen. Besser, sie finden ihn erst in drei oder vier Tagen, wenn es keine Spur mehr von mir gibt …

Diese Gedanken ekeln ihn, sie haben etwas so Unwirkliches, etwas von einem wüsten Traum. Aber hier geht der Mann vor ihm, es ist noch ein lebendiger Mann, es ist also kein Traum, jede Minute kann es Wahrheit werden …

»Jetzt links rein, den Steig hoch, Meier!«

Gehorsam wie ein Schaf, ekelhaft! Ja, dort droben auf der Höhe wird er es tun, muss er es tun … ein Verräter bleibt ein Verräter ewig, Verräter ändern sich nicht, sie bessern sich nicht … es muss sein …

Was hat der Meier? Was schreit er? Ist er verrückt geworden?

Jetzt fängt er an zu laufen, er schreit immer lauter, er schmeißt die Koffer dem Leutnant vor die Füße …

Der reißt die Pistole hoch – zu spät, er muss ja aus nächster Nähe schießen, damit Selbstmord glaubhaft ist …

»Wir kommen ja schon, Herr Förster! Jawohl!« schreit Meier und läuft.

Da steht der Förster Kniebusch, neben ihm liegt ein verschnürter Mann in Blaubeerkraut und Moos.

»Gott sei Dank, dass Sie kommen! Ich konnte ihn wirklich nicht mehr weiterschleppen, meine Herren. Seit Stunden schleppe ich den Kerl …«

Förster Kniebusch ist ganz redselig, endlich ist er von diesem Alleinsein mit dem gefährlichen Kerl erlöst!

»Es ist der Bäumer aus Altlohe – du weißt doch, Meier, der Schlimmste von der ganzen Bande! Ich habe einen sehr guten Fang getan, Herr Leutnant, dieser Mann ist ein Verbrecher!«

Der Leutnant steht an einen Baum gelehnt, er ist ziemlich weiß im Gesicht. Aber er sagt ruhig: »Ja, Sie haben einen guten Fang getan, Förster. Aber ich –?«

Er starrt hasserfüllt auf den kleinen Meier. Der erwidert den Blick – trotzig, triumphierend …

»Na, denn guten Morgen und angenehme Verrichtung!« sagt der Leutnant plötzlich, dreht sich um und marschiert wieder den Waldweg zur Schneise hinunter. Als er bei den beiden Koffern ankommt, die dort weggeworfen liegen, kann er es nicht lassen: er tritt erst nachdrücklich auf den einen, dann auf den andern Koffer.

»Nanu!« sagt der Förster verwundert. »Was hat denn der? Warum ist denn der so komisch? Hat der Ärger gehabt mit seiner Versammlung? Ich habe doch alle ordentlich bestellt. Verstehst du das, Meier?«

»O ja!« sagt der kleine Meier. »Das versteh ich schon. Der hat ’ne schöne Wut auf dich!«

»Auf mich!« wundert sich der Förster. »Aber warum denn?!«

»Weil du nicht den Bock geschossen hast, den Bock, weißt du, für das gnädige Fräulein, weißt du!« sagt Meier. »Na, komm man, Kniebusch, jetzt gehen wir zusammen auf den Hof, und ich spann den Jagdwagen an, und wir holen den Kerl und meine Koffer …«

»Deine Koffer –? Sind denn das deine Koffer? Reist du denn?«

»Ach, i wo … Das sind doch die Koffer von dem Leutnant. Ich erzähl dir schon alles. Komm jetzt, wir gehen lieber nebeneinander, so hintereinander, da erzählt es sich nicht gut …«

 

3

Die Autotaxe hielt in der Tannenstraße. Nur schwer lässt sich der Chauffeur überreden, mit hinaufzukommen und die Sachen anzufassen …

»Det saren Se so, Jüngling, det jetzt noch keener unterwejens is. Die Diebe hier in Ballin, die sind imma unterwejens. Jetzt zumal. Und wer kooft mir eenen neuen Jummi, der ooch jar nich zu haben is!?! Sie doch bestimmt nich!«

 »Na, meinswejen, weil’s noch bis zum Schlesischen jeht, für ’ne Molle und een Korn, wie man so sacht, aber een Kaffee is mir lieba! Leise soll ick sein –? Ick bin so leise wie ’ne Rejierung, wenn se Jeld klauen jeht! Die Brüda hören Se ooch nich, aber Ihr Jeld sind Se los, da fressen Se eenen Besen druff!«

 »Hübschet Haus – een bissken düster … Zentralheizung is wohl nich? Aba Jas, Jas ham Se doch? Den Jas im Haus erspart die Presskohle und den Strick zum Uffbammeln … ja, ick bin ja schon leise, so leise wie ick sind Sie noch lange nich! – Mit det Schloss nun zum Beispiel, det hätte ick leiser befummelt … Sie drücken sich woll französisch, Jüngling, kleena Mietrückstand, was –?«

 »Na, pusten Se sich bloß nich uff, ick war ooch im Felde; wenn Se mir anpusten, schrei ick so laut, dat de Bilder von de Wand rutschen. Sehen Se – jleich sind Se friedlich … So – und det is nu Ihre sojenannte Bude, was? Knorke mit ’nem kleenen Korn, so ha’ck dat nich bei Muttern … Und sojar ’n Schrankkoffer – da wer’n wa wohl zweimal jehn müssen, junger Mann …«

 

»Jottedoch! Wer liecht denn da auf die Chaiselongue –?! Ha’ ick mir erschreckt! ’ne olle Frau – und pennt janz friedlich. Na, nu sare ick noch keenen Ton mehr, die lassen wa schlafen, die hat sich ihren Schlaf vadient, die hat de janze Nacht jepackt, die olle Frau! – Det is aber keene Schlafbosten, det is Ihre jnädije Frau Mutta, was?! Na ja, ha’ ick mir ja jleich jedacht! Na, der würd ick aber doch ›atjeh‹ und ›juten Weech‹ saren, wo se de janze Nacht uff Ihnen gewartet hat … Scherbeln jewesen, was –? Na ja, Jugend hat keene Tugend, ick bin ooch nich anders jewesen in Ihren Jahren … Jetzt tut’s mir manchmal leid, jetzt, wo se tot is und uff ’m Matthäikirchhof liecht … Na ja, jeder Mensch macht wieda dieselben Dusslichkeiten, dafür is jesorcht, dat die nich alle wer’n …

Na, nun man los, jeben Sie mir den Schrankkoffa man ruhich uff ’en Rücken, ick schaff det Dings alleene, ick bin jleich wieda da … Nee? Sie wollen jleich mit runta –? Na, meinshalben, jeder, wie er will, jeder so doof, wie er kann, sa’ ick!«

 »Na ja, det is wenichstens wat! Schreiben Se der ollen Frau een paar Zeilen uff, een bissken was Nettes, verstehn Se! – Wenn’s ooch Schwindel is – ’ne Mutta freut sich imma, weiß, det det Kind se beschwindelt, freut sich doch. Will mir doch nich weh tun, denkt se …«

 »Na also, hauen wir ab … Sachte, junger Mann, vorsichtig bei die Türe … Wenn wir se jetzt aufwecken, is es freilich Scheibe … so beim Türmen erwischt werden, det is jemein! Vorsicht doch! Achtung, Sie Dussel! Se wecken se ja! – Jott sei Dank, det wäre jeschafft … Nu leise de Flurtür zu … leise, sare ick, Jüngling! Leise is wat anderes wie mit ’nem Aweck! – Jotte doch, bubbert Ihr Herz ooch so? Ick habe eene Angst jehabt, wir wecken die olle Frau noch uff. Darin bin ick komisch. Eenen Mann, so wie Ihnen, kann ick glatt in die Schnauze schlagen, da denk ick mir jar nischt bei, aber so ’ne olle Frau …«

 

4

Es stinkt – es stinkt atemraubend auf allen Gängen, Treppen, in allen Schlafsälen, in jeder Zelle, in den Arbeitsräumen und Werkstätten des Zuchthauses Meienburg. Die Abortkübel, die Desinfektionsmittel, das alte Werg, das gezupft werden muss, der Geruch angegangenen Dörrgemüses, Klippfisch und alte Socken, Kokosfasern und Bohnerwachs – eine dicke, heiße, verbrauchte, stinkende Luft. Auch über das Zuchthaus Meienburg ist gestern das Gewitter hingegangen, aber die feuchte, kühle Regenluft hat nicht einzudringen vermocht in den Riesenbau, das weiße Schloss über der Stadt aus Zement, Stahl und Glas.

»Pfui Teufel! Stinkt das einmal wieder!« sagen die Beamten vom Morgendienst, die um drei Viertel sechs kommen.

»Mensch, wie stinkt das bloß bei Ihnen!« sagt auch der Stationswachtmeister, der seinen Kalfaktor Hans Liebschner mit einem kräftigen Rippenstoß weckt. »Hoch, Mann, in zehn Minuten wird gekübelt. O Gott, und es stinkt schon jetzt so, dass mir mein ganzer Morgenkaffee hochkommt!«

»Ich riech nichts, Herr Hauptwachtmeister«, beteuert Liebschner und fährt in die Hosen.

»Zehnmal habe ich dir schon gesagt, dass ich Oberwachtmeister bin, nicht Hauptwachtmeister«, brummelt der Alte. »Auf die süße Tour erreichen Sie bei mir doch nichts, Liebschner …«

»Und ich möchte doch so gerne bei Ihnen was erreichen, Herr Hauptwachtmeister«, schmeichelt Liebschner mit grinsendem, übertriebenem Augenverdrehen.

»Und was möchtste denn erreichen, mein Sohn?« Der Beamte lehnt an der Tür, wippt mit den Schultern die schwere Stahlplatte hin und zurück und sieht nicht ohne Wohlwollen auf seinen Kalfaktor. »Du bist ein richtiger Galgenvogel!«

»Ich möchte so gerne auf Außenarbeit, auf Erntekommando«, bettelt Liebschner. »Wenn Sie mich dafür eingeben würden, Herr Hauptwachtmeister?«

»Warum denn, Mensch? Du stehst doch hier nichts aus als Kalfaktor!!«

»Aber ich vertrag die Luft nicht!« klagt der Gefangene mit erbärmlicher Stimme. »Mir ist so benommen im Kopf, ich kann überhaupt nichts mehr essen, und dann wird mir immer so übel von dem Gestank …«

»Und eben noch hast du nichts gerochen! Nee, mein Sohn, ich will dir sagen, was dir ist. Nach Türmen ist dir – stiften möchtest du gehen – zu den kleinen Mädchen, was?! – Daraus wird nichts! Hier bleibst du!« – Ganz dienstlich: »Außerdem ist es unzulässig, dass ein Zuchthausgefangener vor Verbüßung von mindestens der Hälfte seiner Strafe auf Außenarbeit kommt.«

Der Gefangene knotet stumm, mit gesenktem Kopf, an seinen Schuhen. Der Oberwachtmeister wippt weiter mit seiner Stahltür und betrachtet dabei den gesenkten, geschorenen Schädel.

»Herr Oberwachtmeister …«, sagt der Gefangene Liebschner und sieht entschlossen auf.

»Nu –?«

»Ich verpfeif keinen gerne, aber was muss, muss. Ich halt’s nicht mehr aus in der Zelle, ich werd verrückt …«

»So leicht wird man nicht verrückt, mein Sohn!«

»Aber ich weiß einen, der ’ne Stahlsäge hat, und Sie schwören mir, dass ich auf Außenarbeit komme, wenn ich Ihnen dem seinen Namen sage …«

»Hier hat doch keiner ’ne Stahlsäge!«

»Doch – grade auf Ihrer Station!«

»Unsinn – außerdem schick ich nicht auf Außenkommando, das macht der Arbeitsinspektor.«

»Aber, wenn Sie ’n gutes Wort für mich einlegen, komm ich raus.«

Lange Pause.

»Wer hat die Säge –?«

»Komm ich auf Außenkommando –?«

»Meinethalben – wer hat die Säge?«

»Leise, Herr Oberwachtmeister, bitte, leise! Ich sage es Ihnen ins Ohr. Verpfeifen Sie mich bloß nicht – die schlagen mich glatt tot, wenn ich auf den Arbeitssaal komme.«

Leise flüstert der Gefangene am Ohr des Wachtmeisters. Der nickt, fragt flüsternd, horcht, nickt wieder. Unten schlägt die Glocke an, von Station zu Station schallt der Ruf: »Kübeln! Kübeln!«

Der Wachtmeister richtet sich auf. »Also schön, Liebschner, wenn es stimmt, kommen Sie auf Kommando. – So eine verfluchte Schweinerei – da wäre ich schön reingerasselt! – Also los, Mensch, dalli, kübeln! Bisschen fix, dass wir rasch mit dem Gestank durch sind!«

 

5

Im Zuchthaus Meienburg schlägt die Morgenglocke um sechs Uhr an, im Polizeigefängnis Alexanderplatz zu Berlin wird es halb sieben, ehe der Gefangene aufstehen darf, weiß, dass die Nacht vorbei ist und es geschieht wieder etwas – vielleicht sogar mit ihm.

Petra ist erwacht von dem eiligen Gebimmel, einen Augenblick noch hat sie, beim Öffnen der Augen, vor sich den Schatten von Wolfs Gesicht. Es lächelte – dann zerriss vieles in Schwärze, eine alte Frau (Wolfgangs Mutter?) sagte ihr hart und hoch viele böse Dinge … Aus der Schwärze tauchte ein Baum, entlaubt, mit sperrigen, drohenden Ästen – ein Vers, den Wolfgang oft gesummt, klang in ihrem Ohr: Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick …

Nun sind die Augen weit offen. Die Zigeunerinnen schwatzen schon wieder in ihrem Winkel, mit vielen Gebärden, auf ihrer Matratze hockend; die Lange liegt noch in ihrem Bett, die hochgezogenen Schultern zucken, sie weint also schon wieder; die kleine Dicke steht vor dem handtellergroßen Zellenspiegel, feuchtet im Munde den Zeigefinger an und fährt damit glättend über ihre Augenbrauen. Frau Krupaß aber sitzt aufrecht in ihrem Bett und flicht ihre kümmerlichen Zöpfchen – und das Deckenpaket liegt reglos am Boden …

Vor den Fenstern, über Dächern, von Gitterstäben zerteilt, ist der Himmel mattblau und sanft durchsonnt – ein neuer Tag, wohlan, zu neuem Werke! Es ist kaum noch Wasser im Krug – wie soll man sich waschen?

Die alte Frau nickt. »Hör, Kindchen, was wir heute Nacht abgemacht haben, dabei bleibt es, was? Oder hast du es dir anders überlegt?«

»Nein«, sagt Petra.

»Ich hab so ’n Gefühl, du kommst heute noch raus, ganz plötzlich. Wenn wir uns nicht mehr sehen, gehst du zu Killich – Rechtsanwalt Killich an der Warschauer Brücke – behältst du das –?«

»Rechtsanwalt Killich, Warschauer Brücke …«, wiederholt Petra.

»Schön. Also gleich hingehen! – Wie siehst du denn aus? Denkste noch an den Kerl?«

»Nein!«

»Na! Na!«

»Aber ich glaube, ich hab von ihm geträumt!«

»So – na, dagegen wirste vorläufig nichts machen können. Das gibt sich mit der Zeit von selbst, das Träumen. Iss abends bloß keine Bratkartoffeln, sag der Randolfen, sie soll dir immer kalten Aufschnitt geben. Bratkartoffeln abends, und vor allem mit Zwiebeln, das treibt die Träume, so was musst du nicht essen, Kindchen, verstanden!«

»Nein«, sagt Petra. »Ich bin aber gar nicht so empfindlich.«

»Was willste dich um so ’nen Kerl abäschern? Kerle gibt’s genug, gibt’s viel zu viel – geh mir los mit denen! Immer kalten Aufschnitt und ein Glas Helles von Patzenhofer, da schläft es sich besser ein. Na, du wirst’s schon schaffen, da ist mir nicht Angst drum!«

»Mir auch nicht!«

»Na, und sieh jetzt mal nach deiner Kranken, ich merk doch, du bist ganz jieperig darauf. Was ein Schaf ist, bleibt ein Schaf. Du lernst es auch nie! – Du, Kindchen!«

»Ja?« fragt Petra und wendet sich noch einmal um.

»Ich glaube doch, es ist nichts mit dir. – Wenn er und er steht auf der andern Straßenseite und pfeift und winkt mit dem Finger – da läufst du schon, aus meiner schönen Etage und von dem guten, fetten Essen und der Badewanne und vons Bette – wie du stehst und gehst, läufste zu ihm, was –?«

Mit neu erwachtem Argwohn sieht sie Petra aus ihren alten Augen an.

»Aber, Mutter Krupaß«, sagt Petra lächelnd, »jetzt kommt er doch nicht mehr zuerst, jetzt denke ich doch immer zuerst an es!«

Sie sieht noch einen Augenblick Frau Krupaß an, nickt ihr dann zu und macht sich nun daran, die Feindin, die Hühnerweihe, die Kranke auszuwickeln.

 

6

Der Diener Hubert Räder ist schon auf und an der Arbeit, als Weio mit hochroten Backen in der Villa ankommt.

»Morgen, Hubert!« ruft sie. »Gott, machen Sie wieder so verrückt sauber –?! Mama hat Ihnen das doch schon so oft verboten!«

»Davon verstehen Frauen nichts!« stellt Räder unerschüttert fest und betrachtet sein Werk mit ernstem, aber billigendem Auge.

Da heute der Herr Rittmeister zurückkommt, muss sein Zimmer gründlich gesäubert werden. Der Diener Räder verfährt dabei so, dass er erst einmal die eine Seite des Raumes kehrt, aufwischt, einwachst, bohnert, staubwischt – dann erst beginnt er mit der andern Hälfte. Er bringt damit Frau von Prackwitz völlig zur Verzweiflung, die ihm immer wieder erklärt, die saubere Seite staube ja vom Reinigen der andern Hälfte immer wieder voll …

»Jawohl, gnädige Frau«, sagt der Diener Räder dann gehorsam. »Aber, wenn ich abgerufen werde zu einer andern Arbeit, haben der Herr Rittmeister doch wenigstens eine saubere Seite, auf der Herr Rittmeister wohnen können …«

Und er reinigt, eigensinniger als ein Maulesel, auf seine Art weiter.

Auch jetzt hat er wieder gesagt: »Davon verstehen Frauen nichts«, und setzt nachdrücklich hinzu: »Die gnädige Frau haben schon zweimal geniest, gnädiges Fräulein!«

»Jaja, Hubert«, sagt Weio eifrig. »Ist ja schon gut. Ich gehe gleich auf mein Zimmer und wasche mich ein bisschen und zieh mich um. Und eine Kute dreh ich auch schnell in mein Bett, als hätt ich drin gelegen. – Ach Gott, nein! Das brauch ich ja gar nicht, ich brauch ja gar nicht im Bett gelegen zu haben, wenn Mama und Papa hören, was heute Nacht alles passiert ist –!«

»Machen Sie man schnell«, sagt Räder und bewegt den Bohner mit liebevoller Bedachtsamkeit. »Wenn die gnädige Frau geniest hat, steht sie immer gleich auf.«

»Ach, Hubert, sei doch nicht so dumm!« ruft Weio vorwurfsvoll. »Du platzt doch auch vor Neugierde! – Denken Sie sich, der kleine Meier ist mit der Kasse durchgebrannt. Jetzt ist er aber wieder da. Und der olle Kniebusch hat den Bäumer verhaftet, er hat ihn aber noch nicht hier, er liegt gefesselt im Walde, und Kutscher Hartig hat angespannt, und jetzt sind sie raus, Hartig und Kniebusch und Meier, ihn zu holen – er ist aber bewusstlos. – Stehen Sie doch nicht so dumm da, Hubert!« schreit Weio wütend. »Lassen Sie doch den Bohnerbesen los! – Was sagen Sie bloß zu so was, Hubert?!«

»Sie haben zweimal du zu mir gesagt, gnädiges Fräulein«, sagt der Diener Räder kühl. »Sie wissen, der Herr Rittmeister will das gar nicht haben, und mir ist es auch nicht ganz recht …«

»Ach, du alter Schafskopf!« ruft sie. »Das ist mir ja ganz egal, wie ich zu Ihnen sage! Einen ollen Schellfisch rede ich auch nicht mit Sie an. Ja, das sind Sie – ein oller Schellfisch sind Sie! Ein oller Stockfisch! Passen Sie lieber auf das, was ich Ihnen erzähle, Sie sind doch auch dabei gewesen! Dass Sie nicht alles verquatschen; wenn Mama Sie fragt …«

»Entschuldigen, gnädiges Fräulein, ich bin nicht dabei gewesen! Wenn so was Wildes vorkommt, bin ich nicht dabei. Ich muss auch an meinen Ruf denken. Ich bin herrschaftlicher Diener – ich habe mit Kassendieben und mit Wilddieben nichts zu tun. Das ist genau wie mit Uniformen – da mische ich mich nicht rein!«

»Aber, Hubert!« sagt Weio vorwurfsvoll. »Sie wissen doch, Mama hat gesagt, Sie sollten mitgehen. Sie werden uns doch nicht reinreißen.«

»Tut mir leid, gnädiges Fräulein, es geht nicht. – Würden Sie bitte von dem Perser gehen, ich muss die Fransen auskämmen. Warum die Leute wohl überhaupt solche Fransen in die Teppiche machen? Immer sehen sie unordentlich und verfizzelt aus, bloß, damit man mehr Arbeit hat …«

»Hubert!« sagt Weio sehr bittend und ist plötzlich ganz kleinlaut. »Sie werden doch Mama nicht sagen, dass Sie wegen der wilden Geschichten nicht mitgegangen sind –?«

»Nein, gnädiges Fräulein –!« sagt Hubert und glättet seine Fransen. »Ich habe auf dem Hof schon Nasenbluten bekommen und wollte nachkommen und habe Sie nicht gefunden, weil Sie den Weg an den Remisen gegangen sind, und ich bin die Schneise beim Wildfutterplatz hoch gegangen …«

»Gott sei Dank!« atmet Weio auf. »Ein anständiger Kerl sind Sie eben doch, Hubert!«

»Und ich würde mir überhaupt einen Augenblick lang überlegen«, fährt Hubert unerschüttert fort, »was Sie der gnädigen Frau erzählen wollen. Von dem Herrn Inspektor Meier würde ich nicht so viel sprechen – und wie ist es denn mit dem Wilderer, dem Bäumer –? Wenn den der Förster gefangen hat, müssen gnädiges Fräulein doch dabei gewesen sein –! Was haben Sie denn mit dem Förster verabredet?«

»Aber gar nichts, Hubert! Er ist doch gleich wieder in den Wald raus – mit dem Inspektor!«

»Sehen Sie! Und haben Sie denn nun den Bock geschossen, oder hat er ihn geschossen? Oder ist er gar nicht geschossen –? Es war mir doch so, als hätte ich einen Schuss gehört, heute gegen Morgen.«

»Oh, Hubert, Hubert – das ist doch grade das Tollste, das habe ich Ihnen noch gar nicht gesagt! Da hat doch wirklich der kleine Meier auf die Geflügelmamsell, die Amanda Backs, geschossen –!«

»Gnädiges Fräulein!« sagt Hubert streng und richtet seine ausdruckslosen Fischaugen auf sie. »Das habe ich nicht gehört, von all so was Wildem weiß ich nichts …«

»Aber er hat sie doch nicht getroffen! Er war doch dun!«

»Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer und ziehen Sie sich um«, sagt Hubert Räder und ist so erregt, wie er nur sein kann. »Nein, Sie müssen jetzt hier rausgehen, ich muss hier saubermachen, Sie stören mich …«

»Hubert, werden Sie nicht frech –! Wenn ich hier sein will, bleibe ich hier …«

»Und ich würde mir genau überlegen, was ich sage – und am besten erzählen Sie gar nichts, sondern sind mit mir umgekehrt, als ich Nasenbluten bekam … Aber das bringen Sie doch nicht fertig – und so wird heute Nachmittag schon das schönste Gerede im Gange sein, und heute Abend haben wir die Polizei im Haus … Aber ich habe für mich vorgesorgt, ich habe zwei blutige Taschentücher, und um halb zwei habe ich bei der Armgard geklopft und habe sie gefragt, was die Uhr ist, weil mein Wecker stehengeblieben war, er war aber nicht stehengeblieben … Ich weiß also von nichts, und mit Ihnen geredet habe ich hier auch nicht – seit ich Nasenbluten bekam, habe ich Sie nicht gesehen … Guten Morgen, gnädige Frau, wünsche wohl geruht zu haben. Ja, ich mache hier gründlich rein, bloß, der Staubsauger ist entzwei, aber das ist Armgard gewesen, gnädige Frau, doch es geht auch so … Und ich bitte um Verzeihung, dass ich das gnädige Fräulein nicht in den Wald begleitet habe … Bloß, ich bekam solches Nasenbluten, weil ich die Schlaflosigkeit nicht vertrage … Das habe ich schon als Kind gehabt, wenn ich zu wenig Schlaf …«

»Bitte, Hubert, hören Sie jetzt gefälligst auf. Ich sage es ja, wenn Sie einmal den Mund auftun –. Und du, Weio, noch im Jagdkleid –. Darf man denn Weidmanns Heil sagen, oder war der Ansitz umsonst –?«

»Ach, Mama, was wir alles erlebt haben! Es war großartig! Ja, der Bock ist geschossen, aber nicht von mir, sondern, denke dir mal – aber das rätst du ja doch nie –, der Bäumer hat ihn geschossen – aber du weißt doch, Mama, der Wilddieb aus Altlohe, über den Großvater immer so schimpft … Und Kniebusch hat ihn verhaftet, den Bäumer natürlich, aber den Bock haben wir auch … Und jetzt sind sie in den Wald, ihn holen, er ist aber bewusstlos. Und Inspektor Meier …«

»Darf ich jetzt hier weiter reinmachen?« unterbricht der Diener Räder mit ganz ungewohntem Nachdruck.

Und die gnädige Frau: »Also, Weio, komm rüber zu mir. Das musst du mir alles ganz genau erzählen … Und du bist bei so was dabei gewesen, hinterher kriege ich ja doch noch einen Schreck … Aber Papa wird sich auch freuen, dass der Bäumer erledigt ist. Wieso ist er denn bewusstlos –? Hat Kniebusch denn auf ihn geschossen? Ich sage ja immer zu Vater, Kniebusch ist eben doch besser …«

Sie sind fort – der Diener Räder steht da und nickt ernst. Vorläufig geht alles gut, vorläufig redet noch die gnädige Frau …

Aber wenn der Rittmeister kommt und fragt –? Was dann?

 

7

Der Rittmeister von Prackwitz sprang eilig aus der Autodroschke, zahlte und lief die Stufen zu der Eingangshalle des Schlesischen Bahnhofs hinauf. Zwar war es noch eine gute halbe Stunde bis zur Abfahrt des Zuges, aber er musste ja auch noch seine Leutekolonne vom Vermittler übernehmen, mit dem Mann abrechnen, Sammelfahrschein ausstellen lassen …

Trotz der durchwachten Nacht fühlte der Rittmeister sich unternehmend und hoffnungsvoll – dass er nicht allein, nicht mehr ohne Freunde nach Neulohe zurückfuhr, war gut. Und dann wehte hier am Schlesischen Bahnhof etwas von der Luft des Ostens. Am Alexanderplatz dachte man nur noch an Berlin, fühlte man nur die Riesenstadt – hier am Schlesischen Bahnhof dachte man an Felder und Ernte … Es galt die Neuloher Ernte gut hereinzubringen –!

Wie vom Blitz getroffen blieb der Rittmeister unter dem Türbogen stehen. Er stand, starrte, spähte – ungeduldig wies er mit einem Kopfschütteln einen Gepäckträger von sich … Nun trat er etwas zurück, voll Angst, entdeckt zu werden …

Es war schon so, nur ihm konnte das passieren: der Arbeitgeber versteckte sich vor seinen Arbeitern, bekam bei ihrem Anblick Angst!

Dort an der Treppe standen sie, ein Haufe, eine Horde – der Rittmeister zweifelte keinen Augenblick, dass dies seine Leute sein sollten, obwohl der Vermittler im Augenblick nicht zu entdecken war.

»O Gott!« stöhnte der Rittmeister aus tief verwundetem Herzen, »und so was will bei mir Roggen puppen, dies will Kartoffeln buddeln, diese Horde in Neulohe leben …«

Junge Bengel, die Schiebermütze kess aufs Ohr gesetzt, den Zigarettenstummel im Mundwinkel, mit unendlich weiten, scharf gebügelten Hosen bis zur Schuhspitze, das Chaplinstöckchen kokett in der Hand … Andere Lümmel, langsträhnig, entweder ohne Kragen oder mit verschmutztem Schillerkragen, das Hemd über der Brust offen, die Arme blau und rot tätowiert wie die Brust, zerrissene Hose, barfuß oder ausgelatschte Turnschuhe … Zwei Straßenmädchen mit fast weißem, gebleichtem Haar, in Seidenfähnchen, auf Stöckelschuhen aus Lackleder … Ein uralter Mann mit Nickelbrille, sein schwarzer Gehrock hing traurig über die dürren Lenden, eine Botanisiertrommel14 hing am Bindfaden von der schrägen Achsel … Wieder ein Mädchen, irgendeine grüngestreifte Flanellbluse über den Brüsten wie Mehlsäcken – ein schreiendes Kind auf dem Arme …

»O mein Gott!« stöhnte der Rittmeister wieder.

Und nicht ein Stück Gepäck, keine Margarinekistchen, nicht einmal ein Persilkarton – nur diese eine verbeulte grüne Botanisiertrommel, Gemeinschaftsgepäck aller.

Nicht einmal sechzig Zahnbürsten hätten in dem Dings Platz, geschweige denn sechzig Hemden!

Und das alles schob sich in bester Laune, lachend, schwatzend, Schlager pfeifend und johlend durcheinander; zwei knutschten sich schon, auf einer Treppenstufe sitzend … Ungeniert wurden vorbeieilende Reisende angerufen, verspottet, angebettelt …

»Eine Zigarette, Herr Chef, bitte, schenken Sie mir eine Zigarette!« Und der Bengel nahm dem Verblüfften die brennende Zigarette aus dem Munde. – »Danke, Herr Chef, ich bin nicht so, wir haben alle dieselbe Krankheit …«

Die Fahrt nach Neulohe, das Einbringen der Ernte: eine Landpartie, ein willkommener Ulk für diese – Bande!

»Bande!« knirschte der Rittmeister. – Und aufgeregt zu dem mit einem Handkoffer anlangenden von Studmann: »Sieh dir diese Bande an! Und so was will auf dem Lande arbeiten! In Lackschuhen – mit Shimmyhosen!«

»Schlimm!« sagte von Studmann nach kurzer Musterung. »Nimm sie einfach nicht. Du hast doch Landarbeiter verlangt!«

Der Rittmeister sagte ein wenig verlegen: »Aber ich muss Leute haben! Die Ernte verfault mir draußen!«

»So such andere. Auf einen Tag kann es nicht ankommen. Fahren wir morgen!«

»Aber jetzt, mitten in der Erntezeit, gibt es keine vernünftigen Leute. Jeder hält fest, was er hat. Und kein Aas will aufs Land – lieber verhungern sie hier bei ihren Kinos.«

»So nimm diese – zu irgendetwas werden sie schon zu gebrauchen sein.«

»Und mein Schwiegervater –?! Meine Schwiegermutter –?!! Ich mache mich ja unsterblich lächerlich, die lachen mich ja aus, ich bin ja ein erledigter Mann, wenn ich mit diesen Leuten ankomme! Das sind ja alles Nutten und Zuhälter!«

»Ziemlich verwahrlost sehen sie aus – aber, wenn du Arbeiter haben musst! – Was willst du also tun?«

Der Rittmeister vermied eine direkte Antwort: »Ich sage dir, Studmann«, sagte er ärgerlich, »ich hab’s mir nicht leicht gemacht. Ich bin kein Landwirt, da hat mein Schwiegervater recht; ich lese, ich überlege, ich renne von früh bis spät, aber ich mache doch viel Bockmist, zugegeben! Einfach, weil ich den Dreh nicht so kenne … Und nun ist mir wirklich was gewachsen, keine Bombenernte, aber doch ganz erträglich – es steht draußen, es müsste rein – und nun dies: keine Leute! Es ist zum Verzweifeln!«

»Aber warum hast du denn keine Leute, wenn andere sie doch haben. Verzeih, Prackwitz, aber du sagtest vorhin selbst: die halten sie alle fest.«

»Weil ich kein Geld habe! Die andern engagieren sich ihre Leute im Frühjahr, ich habe mir so lange hingeholfen. Ich habe das Engagement bis zum letzten Augenblick aufgeschoben, um Löhne zu sparen … Sieh mal, Studmann, mein Schwiegervater ist ein reicher Mann, ein schwerreicher Mann, aber ich habe nichts. Schulden habe ich! Er hat mir den Hof verpachtet, wie er steht und geht, mit allem Inventar, ich habe kein Geld dazu gebraucht. Bis jetzt habe ich mir noch immer so durchgeholfen, ein bisschen Kartoffeln verkaufen, ein bisschen Vieh – das hat die Löhne gebracht und was wir so zum Leben brauchen. Aber jetzt, jetzt muss Geld rein! Sonst bin ich erledigt, ratzekahl pleite! Und das Geld ist da, es steht auf dem Felde – ich brauche nur einzufahren, zu dreschen, zu liefern, und ich habe Geld! Und da kriege ich solche Leute! Aufhängen müsste man sich!«

»Ich weiß nicht, wieviel Millionen Arbeitslose wir haben«, sagte von Studmann. »Es werden ja alle Tage mehr. Aber für Arbeit gibt’s keine Arbeiter.«

Von Prackwitz hatte nicht hingehört. »Und ich nehme die Leute nicht!« sagte er mit grimmiger Entschlossenheit. »Vielleicht würden sie sogar ein bisschen was tun, in der ersten Zeit, solange sie kein Rückreisegeld und Hunger haben. Aber ich lasse mich nicht auslachen von der ganzen Gegend und der lieben Verwandtschaft! Ich mache aus meinem Leutehaus kein Bordell – sieh bloß mal, wie die beiden sich da antatschen auf der Treppe, ekelhaft – ich finde das zum Kotzen! – Und ich verderbe mir mein Neulohe nicht; mit den Leuten aus Altlohe ist es schon schwer genug … Nein, ich nehme sie nicht.«

»Und was tust du stattdessen? Da du doch Leute haben musst –?«

»Ich will dir was sagen, Studmann. Ich rufe das Zuchthaus an, wir haben das Zuchthaus Meienburg bei uns in der Gegend, ich lasse mir ein Zuchthauskommando kommen. Lieber die Bengels, mit ein paar richtigen Wachtmeistern dabei, den Karabiner in der Flosse – als die hier! Das kann mir der Direktor im Zuchthaus nicht verweigern – und eventuell fahren wir beide mal hin zu ihm – jetzt habe ich ja dich zur Hilfe!«

Plötzlich lächelt der Rittmeister. Dass er einen richtigen Freund, mit dem er über alles reden kann, von nun an in seiner Nähe hat, wird ihm plötzlich wieder klar. Darum hat er ja auch in den letzten fünf Minuten mehr geredet als in fünf Monaten vorher.

Von Prackwitz lächelt; leise, sehr vorsichtig lächelt auch von Studmann.

»Natürlich!« stimmt Studmann zu. Aber wird es denn nicht Zeit mit unserm Zug? Du musst wohl noch mit dem Vermittler reden? Und der junge Pagel ist auch noch nicht da!«

»Du hast jetzt so lange im Hotel gearbeitet, Studmann, du hast sicher was weg von Buchführung und Geldeinteilung und Leutebehandlung. Ich brülle bloß immer gleich los. – Wir müssen es schaffen! Was –? Dass ich den Hof behalte! Ich weiß, mein Schwiegervater möchte ihn zu gerne wiederhaben. (Entschuldige, dass ich so viel von meinem Schwiegervater rede. Aber der ist mein rotes Tuch. Ich kann ihn nicht ausstehen, und er kann mich nicht ausstehen.) Der alte Herr kann mich nicht wirtschaften sehen. Und wenn ich nun zum ersten Oktober die Pacht nicht zusammenkriege, dann muss ich raus – und was mache ich dann?«

»Da kommt Pagel!« rief Studmann, dem bei diesen Geständnissen des sonst so zurückhaltenden Prackwitz heiß und kalt wurde.

Aber von Prackwitz ist wie betrunken, es muss wirklich hier die Luft am Schlesischen Bahnhof machen.

»Aber willst du nicht erst mal mit dem Vermittler reden? Die Leute sind doch schließlich hierherbestellt …«

»Aber so macht man doch so was nicht, Prackwitz! Du brauchst doch die Auseinandersetzung nicht zu scheuen. Du kannst doch mit vollem Recht die Leute zurückweisen – es sind keine Landarbeiter. Man rennt doch nicht heimlich die Treppen rauf – wie ein Schuljunge …«

»Wie ein Schuljunge, habe ich gesagt, Prackwitz.«

»Aber ich denke, Prackwitz, du wolltest grade meinen Rat haben …«

»Ach so!«

»Gut, gut, Prackwitz«, sagt von Studmann nach kurzem Nachdenken. »Also dieses eine Mal noch. Richtig ist es zwar nicht, und es ist auch kein guter Anfang unserer Zusammenarbeit, aber …«

Sehr nachdenklich steigt von Studmann neben dem jungen Pagel die Treppe zum Bahnsteig hoch.

Er ist froh, dass er nicht zu sehen braucht, wie der Rittmeister von Prackwitz sich durch einen Sturmlauf um das Zahlen einer Vermittlungsprovision drückt. Der Anblick des Rittmeisters bei andern Sturmläufen war ihm immer wohltuend gewesen. Verdammte Zeiten, die einen Mann so ändern konnten –!

 

Allein geblieben, steht der Rittmeister unentschlossen, er nagt an seiner Lippe, er sieht die Fahrkarte in der Hand an. Im Nu ist mit dem Fortgang der beiden seine begeisterte Stimmung, die ihm jedes Geständnis leichtmachte, verflogen, jetzt beherrscht ihn ganz die augenblickliche Situation, die einfach ekelhaft ist.

Der Rittmeister zieht sich weiter hinter seinen Pfeiler zurück – ach, diese Rotte Korah15, dieser Haufe Unglück, der ihm beschert sein soll! Er sieht keine Möglichkeit, ungesehen hindurchzukommen – warum hat dieser verdammte Bahnsteig nicht mehr Aufgänge –?!

Der Rittmeister späht um den Pfeiler – aber er prallt zurück.

Und grade in diesem Augenblick, in diesem kritischsten aller kritischen Augenblicke – tönt eine etwas raue, aber gar nicht unangenehme Mädchenstimme an sein Ohr: »Oh, der Herr Rittmeister!«

Ja, wahrhaftig: vor ihm steht, er weiß nicht, woher gekommen, also tatsächlich wie vom Himmel gefallen, die Tochter seines Leutevogts Kowalewski, ein Mädchen, das er unter den törichten und plumpen Hofgängerinnen des Gutes wegen seiner frischen Art und seiner zierlichen Schönheit immer gerne gesehen und mit manchem väterlich freundlichen Wort ausgezeichnet hat.

(Die Hofgängermädchen, die vom vierzehnten Jahre an auf dem Gut arbeiteten, wurden alle mit »du« angeredet. Und dabei blieb es – auch wenn sie, wie die Sophie, in die weite Welt hinauszogen.)

»Ach, Sophie!« sagt er eifrig. »Du kommst mir wirklich wie vom Himmel gesandt! Auf der andern Seite vom Pfeiler der Mann mit der Glatze, ja, der große – guck nicht so hin, Sophie! –, der darf mich unter keinen Umständen sehen, und ich muss zum Zug! Es sind nur noch drei Minuten. Kannst du ihn nicht irgendwie festhalten, nur so lange, dass ich durch die Eingangshalle flutsche, meine Karte habe ich schon –. Danke, danke, Sophie, im Zuge erkläre ich dir alles. Bist immer noch ein großartiges Mädchen! – Los –!«

Großartiges Mädchen! denkt er noch einmal. Aber mächtig verändert. Bisschen aufgetakelt …

Aber vielleicht hat der Kerl Bahnsteigkarten! – Dolle Schatten unter den Augen. Und das Gesicht, so dick geworden, alles Feinere ist weg. Richtig aufgeschwemmt, ja, wie von Schnaps …

Gottlob, das hätten wir geschafft! Aber sicher bin ich erst, wenn der Zug fährt … Ja, ich fürchte, die kleine Sophie ist schon früher ein bisschen scharf rangegangen mit den jungen Kerls im Dorfe, habe mal so was gehört – und Berlin ist ein schwieriges Pflaster … Davon kann ich auch ein Lied singen …

»Na also, meine Herren, das hätte ich ja geschafft. – Bitte, Studmann, bitte, Pagel – stellt euch ans Fenster, dass niemand reingucken kann, der Kerl ist imstande und revidiert noch die Abteile! Ich muss mich erst mal trockenlegen, ich schwimme gradezu – so ein Dauerlauf am frühen Morgen …«

»Schwierig war es! Und wisst ihr, wer mir geholfen hat –? Die Tochter von meinem Leutevogt! – Sie kam grade, fährt zu ihren Eltern in Urlaub, ist hier in Berlin Zofe bei irgendeiner Gräfin … Ihr könntet eigentlich mal aufpassen, ob sie den Zug noch schafft. Er muss doch jeden Augenblick fahren. Man könnte sie hier reinbitten. Ich wüsste gerne, wie es ihr so geht. Ein prächtiges Mädchen – wie die gleich verstanden hat, ohne ein Wort!«

»Ach, der ist Berlin nicht gut bekommen! Nee, lasst es lieber! Nachher gibt es nur Gerede, und in Neulohe ist es auch peinlich, wenn man sich dann wiedersieht. Schließlich ist sie nur die Tochter von meinem Leutevogt! Halten Sie immer darauf, Pagel: Abstand von den Leuten, keine Vertraulichkeiten, sich nicht mit ihnen einlassen! Verstanden?!«

»Gottlob, wir fahren. So, setzt euch gemütlich. Brennen wir uns einen Tobak an – es ist doch herrlich, so aus dieser Dreckstadt in den Sommer hinauszufahren, was, Studmann? Was, Pagel?«

»Welcher Mann –?«

»Ja, natürlich – wieso?«

»O verdammt! O verdammt! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Das ganze Theater umsonst! Aber ich nehme den Brief nicht an, ich verweigere die Annahme, kein Mensch kann mich zwingen, den Brief anzunehmen!«

»Es tut mir sehr leid, Prackwitz, aber das wird kaum was helfen …«

Wütend starrt der Rittmeister aus dem Abteil, in das schöne Wetter.

Der Rittmeister springt auf, strahlend.

»Natürlich, Herr Rittmeister, Rauchen ist ja auch so schädlich!« Und mit einem Blick auf die beiden Zuhörer: »Kommen die Herren nur zum Wochenende oder bleiben sie länger in Neulohe –?«