Weihnachtsnachtsgeschichten für Kinder

 

Weihnachtsgeschichten für Kinder

 

Widmung

 

Dieses Buch widmen wir Kindern, aber auch Erwachsenen, die gerne Weihnachtsgeschichten lesen.

 

Der Kiel & Feder-Verlag und seine Autoren

 

Veröffentlicht im Kiel & Feder-Verlag.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstausgabe Dezember 2016

© 2016 für die Ausgabe Kiel & Feder-Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

 

Autoren: Caroline Messingfeld, Marlies Hanelt, Heike Greiner, Nadine Buch, Nicole Grom, Heidi Moor-Blank, Shirin Baltruschat, Eva Gruber, Kerstin Brichzin, Sandra Pulletz

Lektorat/Korrektorat: Mark Scheurer

Zeichnungen: Jörn Fuhlendorf

Covergestaltung: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano, Michael Kruschina

 

ISBN: 978-3-946728-06-1

 

© Die Rechte des Textes liegt bei den oben genannten Autoren und Verlag.

 

Kiel & Feder-Verlag

Finisia Moschiano

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.kielundfeder.de

 

Inhaltsverzeichnis

1. Das kleine Häuslein von Eva Gruber

2. Wings von Caroline Messingfeld

3. Winterwald von Nadine Buch

4. Die Weihnachtswichtel von Heike Greiner

5. Die Tanne von Kerstin Brichzin

6. Der kleine Schneegriesel auf Irrwegen von Marlies Hanelt

7. Jeden Tag Weihnachten von Nicole Grom

8. Lebkuchen mal anders von Sandra Pulletz

9. Die doppelte Weihnachtsgans von Heidi Moor-Blank

10. Dreizehn Trolle in Not von Shirin Baltruschat

 

 

Das kleine Häuslein von Eva Gruber

Vor langer, langer Zeit stand einmal ein klitzekleines Häuschen aus weißer und brauner Schokolade auf einer Lichtung mitten im Weihnachtswald.

 

Es war das hübscheste Häuschen weit und breit und auch im entlegensten Winkel der wundervollen Weihnachtswelt konnte man das ein oder andere kleine Geschöpf davon berichten hören, wie besonders dieses kleine Häuslein war.

 

Ja, es bestand nicht nur aus weißer und brauner Schokolade, sondern besaß auch Schindeln aus saftigen Festtagsobladen, die immer nach genau dem schmeckten, was man sich gerade so vorstellte und worauf man Appetit hatte. Alle lieben Bekannten und Freunde waren stets eingeladen, sich ein kleines Stückchen abzubrechen, wenn sie gerade Hunger verspürten, das tat dem Häuschen gar nicht weh und das Abgebrochene wuchs auf der Stelle wieder genauso nach, wie es vorher ausgesehen hatte. Das fanden alle wirklich sehr praktisch. Die Fenster waren aus Zuckerguss, das Zäunchen im Vorgarten aus leckeren Dominosteinen, der Schornstein aus Schokoladen- und Karamellbonbons, die emporsteigenden Wölkchen aus Zuckerwatte, die Regenrinne aus Pralinen, der Weihnachtspostkasten draußen neben der Tür aus Pfirsichweingummi, die Regentonne aus Früchtebrot, hier und da steckten einfach mal Nüsse dazwischen, Schokoladenweihnachtsmänner standen oben auf dem Dach, bunt gemischt im glitzernden Schnee, mal in Nuss- mal in Vollmilchschokolade, Lakritzschleifen verschönerten die ein oder andere Ecke des Häuschens und innen war es noch tausendmal schöner und, und, und …

Es waren so viele leckere Dinge zu finden, dass alle Weihnachtstage der Welt nicht ausreichen würden, um alles genau zu beschreiben.

 

Obwohl es in diesem zauberhaften Wald auch stets nach Zimt, Vorweihnachtsfreude, heißem Kakao mit Sahne und allerlei Weihnachtsgebäck duftete, die vielen Tannen festlich mit den hübschesten Christbaumkugeln, Girlanden und Zuckerwerk geschmückt waren und die hübschen Schneeflockenkinder, die tanzend aus dem Himmel fielen, jeden Tag die schönsten Weihnachtslieder sangen und sogar so manches kleine Sternlein aus dem Himmel herabstieg, um das kleine Häuschen zu besuchen, war es recht traurig.

 

Auch die vielen kleinen und großen Waldbewohner, wie Rehe, Hasen, Mäuschen, Füchse und Eulen, die sich um das traurige kleine Häuschen Sorgen machten, weil sie es sehr lieb hatten, konnten daran nichts ändern.

Selbst noch so lieb gemeinte Basteleien aus Tannenzapfen und hübschen Zweigen, die sie für ihren winzigen Freund angefertigt und auf die kleine Fußmatte mit Weihnachtsmuster gelegt hatten, halfen nichts. Es ließ sich einfach nicht recht aufheitern.

Jeden Tag putzte sich das einsame Häuschen heraus, öffnete für den lieben Wind die kleinen Fenster aus Zuckerguss, damit er alles sauberfegen und das Feuer im gemütlichen Kamin lustig aufflammen lassen konnte, lud die Sonne ein, die vielen kleinen Tischchen und Stühlchen mit den hübschen bunten Kissen darauf, die überall herumstanden, zu bestrahlen, damit sie besonders einladend aussahen. Es pustete aus seinem Schornstein auch die lustigen kleinen Zuckerwattewölkchen, die manchmal sogar nach gebrannten Mandeln oder Vanille dufteten.

 

Aber trotz allem mochte keiner in dem Häuschen wohnen, denn es war einfach viel zu klein.

 

Noch nicht einmal die allerkleinste Maus passte durch die winzige Tür hindurch und auch der kleine Weihnachtshase Andreas, der gut mit dem kleinen Haus befreundet war und sich wirklich große Mühe gegeben hatte, hinein zu gelangen, war einfach viel zu groß. Selbst der kleine Weihnachtsfloh Stefan, von dem du sicherlich schon gehört hast, traute sich nicht, es auch nur zu versuchen, denn er wollte das kleine Häuschen nicht noch trauriger machen oder noch unglücklicher sehen, als es sowieso schon war. Das stimmte alle ziemlich traurig.

 

Und so kam es, dass niemand auf den hübschen Kissen saß, sich niemand am lustig brennenden Feuer im Kamin wärmte, dort eine heiße Schokolade trank und dem Häuschen erzählte, was er so den ganzen Tag im Weihnachtswald erlebt hatte.

 

Das Häuschen seufzte jeden Tag schwer und fühlte sich sehr allein, ja, manchmal weinte es sogar.

 

Doch an einem Tag passierte etwas Sonderbares.

 

Man muss dazu sagen, es war ein ganz besonderer Tag, es war nämlich der 24.12. , also Heiligabend, und man sagt ja, dass an diesem Tag schon einmal das ein oder andere Wunder geschehen kann. Gerade dann, wenn jemand ein besonders gutes Herz hat oder besonders bescheiden ist oder auch beides. Und das war ja nun gerade bei dem kleinen Häuschen der Fall.

Gerade, als das kleine Häuslein erwacht war, es war noch recht früh am Morgen, klopfte jemand zaghaft an seine klitzekleine Tür. Erstaunt und auch ein wenig ängstlich öffnete es, denn es hatte nicht mit Besuch gerechnet.

 

Draußen auf der Schwelle stand eine winzig kleine Fee mit einer klitzekleinen, rotgefrorenen Nase, angetan mit einem bunten Kleidchen aus leuchtendem Zaubergarn und leuchtend roten Haaren, in denen es sich tausend kleine Schneeflöckchen gemütlich gemacht hatten, lachten und kicherten und aufgeregt die neuesten Weihnachtsrezepte austauschten. Sie trug hübsche kleine Winterstiefel mit Tannenbaummuster und dicken Socken darin, eine in Blau und eine in Zitronengelb. In der Hand trug sie eine klitzekleine Reisetasche, die aus bunten Himbeer- und Kirschbonbons gemacht war und erfrischend fruchtig roch. Sie war so klein, dass das Häuschen neben ihr fast normal groß erschien und so reckte und streckte es sich stolz in die Höhe, soweit es eben möglich war.

 

»Hatschi«, nieste die kleine Fee und zwinkerte dem Häuschen fröhlich zu. »Gesundheit«, sagte das Häuslein höflich und wackelte mit der Schokoladentür, damit die kleine Fee hereinkam; denn nichts war ihm in diesem Augenblick lieber und schöner als. Die Fee freute sich sehr und stellte die durchnässten Stiefel sorgsam auf der kleinen Fußmatte ab, denn wenn man lange im Weihnachtswald unterwegs ist, ist es nicht unüblich, irgendwann einmal feuchte Füße zu bekommen, auch, wenn es ein Zauberwald und man selbst ein winziges Feenwesen ist. Nasse Füße sind und bleiben eben nasse Füße. »Oh, wie nett«, sagte die kleine Fee, als sie die hübsche Einrichtung der kleinen Hütte bemerkte, »und wie einladend warm und gemütlich es hier ist. Was bist du nur für ein hübsches und gemütliches kleines Haus«. Zuerst dachte das kleine Häuschen misstrauisch, die kleine Fee wolle sich lustig machen, doch als es in die freundlichen, offenen Augen des kleinen Persönchens blickte, konnte es einfach nicht anders, als sich über dieses wunderbare Kompliment zu freuen. Ja, es lebte schon so lange ohne einen passenden Besucher, dass es selbst ein lieb gemeintes Wort, zuerst nicht richtig einzuordnen wusste. Es lud die winzige Fee schüchtern ein, am Kamin Platz zu nehmen, damit sie sich ein wenig aufwärmen und ein heißes Getränk zu sich nehmen konnte.

 

Die sah sich nun aufmerksam um. »Bist du denn ganz allein?«, fragte sie das kleine Häuslein. Das knarrte mit den Dielen aus Marzipan, über die bis jetzt noch niemals jemand gelaufen war und sprach: »Ja, ich bin ganz allein. Wie gerne hätte ich jemanden, der in mir wohnen mag, aber alle lieben Besucher, die ab und zu vorbeischauen, sind einfach viel zu groß, um auch nur einen Schritt durch die Tür zu tun. Und so bin ich eben die meiste Zeit des Tages allein, denn schließlich kann ich nicht von all denen, die ab und an mal vorbeisehen, verlangen, dass sie den ganzen Tag an meinen Fenstern aus Zuckerguss stehenbleiben.«

Das Häuschen seufzte schwer und nicht nur die kleine Fee merkte, wie mutlos es war.

 

Andreas der Weihnachtshase, der gerade von außen durch ein kleines Fenster aus Zuckerguss hereinschaute, nickte und schaute traurig auf das kleine Zauberwesen.

 

Der kleinen Fee gefiel es ganz und gar nicht, dass das kleine Häuschen so abgrundtief traurig war. Die Tasse mit dem heißen Getränk fest umklammernd, dachte sie angestrengt nach. Es musste doch eine Lösung geben!

 

»Na, so geht es auf gar keinen Fall weiter!«, rief sie kurz danach entschlossen. »Daran müssen wir etwas ändern! Uns wird schon etwas einfallen!« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, flog ihr aus der kleinen Reisetasche mir nichts dir nichts ein golden glitzernder Zauberstab entgegen, an dessen Spitze ein kleines silbernes Sternchen schlief und leise vor sich hin schnarchte. Vorsichtig tippte die kleine Fee dem Sternlein an die winzige Nase. »Liebes Sternlein, wir haben zu tun. Komm mir entgegen, wir können nicht ruh`n«, sagte sie freundlich zu dem kleinen müden Gesellen. Da blinzelte das Sternchen auf dem Zauberstab und sah sich erstaunt um. »Oh, das ist aber ein richtig hübsches Häuschen«, sprach es und rieb sich den Sternenstaub aus den glänzenden Äuglein. Ja, es leuchtete sogar extra hell, damit das Häuslein noch besser zur Geltung kommen und es selbst jede noch so schöne Kleinigkeit besser erkennen konnte. »Ja, wohnt denn hier niemand?«, fragte das Sternchen verwundert. Jetzt schien es richtig wach zu sein.

 

»Genau das ist ja das Problem!«, rief der kleine Weihnachtshase Andreas dumpf durch das Fenster und klopfte mit seinen weichen Pfoten aufgeregt an eine Scheibe aus Zuckerguss, die das kleine Häuschen sofort freundlich öffnete, damit der wie ein Flitzebogen gespannte Hase alles mitbekam.

 

Das Sternchen blickte amüsiert auf den kleinen, aufgeregten Andreas und schaute sich dann wieder in der kleinen Weihnachtshütte um. »Da müssen wir aber dringend etwas unternehmen«, meinte es fachmännisch. Die kleine Fee mit den feuerroten Haaren nickte zustimmend. »Dann lasst uns mal einen Weg finden, dem kleinen Häuschen zu helfen!«, rief sie und klatschte optimistisch in die kleinen Hände.

 

 Die vier zauberhaften Gesellen berieten lange und ausgiebig, was man wohl herbeizaubern könne, damit das Häuschen wieder glücklich werden würde, aber so recht wollte ihnen trotz angestrengten Nachdenkens bis tief in die Nacht nichts einfallen. Selbst das kleine Sternchen hatte keine Idee, obwohl es doch ein richtiger Wunschexperte war, denn so nah wie das Sternlein war noch niemand einem Zauberstab gekommen. Kurz, es war einfach wie verhext.

 

Irgendwann wurden alle recht müde und beschlossen, erst einmal schlafen zu gehen.

Die kleine Fee machte es sich auf einem der vielen bunten Kissen, die so gastfreundlich bereitlagen, gemütlich und deckte auch das kleine Sternchen an der Spitze des Zauberstabes mit einer hübschen Decke gut zu. Das war vom vielen Nachdenken so müde geworden, dass es schon wieder anfing, vor sich hin zu schnarchen, und noch nicht einmal mehr »Gute Nacht« sagen konnte, obwohl es sonst beileibe kein unhöfliches Sternchen war. Und auch der kleine Andreas hoppelte schlaftrunken nach Hause und machte es sich in seiner Höhle unter einem Berg von glitzerndem, duftenden Weihnachtswaldstroh so richtig gemütlich, auch wenn er ziemlich enttäuscht war, dass sie noch keine Lösung für das Häuschen gefunden hatten kommenden Tag …

 

Als das Häuschen am nächsten Morgen erwachte, war die klitzekleine Fee und auch das Sternchen auf dem Zauberstab verschwunden.

»Wie schade, aber sie hatte wohl noch viel zu tun«, dachte das kleine Haus enttäuscht und begann zu tun, was es immer tat: Es öffnete die kleinen Fenster und ließ den frischen Wind hinein, der das Feuer im Kamin entbrennen ließ, lud die Sonne höflich ein, sah auf seine gemütlichen Tischchen und Stühlchen und ... sah noch einmal ganz genau hin! Auf einem der Stühlchen saß ein klitzekleines Lebkuchenmännchen mit Mandelaugen und einer sehr schicken Hose aus bunten Zuckerstreuseln und schaute sich neugierig im ganzen Haus um. Damit hatte das Häuschen nun wirklich nicht gerechnet!

 

Als es bemerkte, dass das Haus ihn anschaute, sagte es sehr höflich: »Guten Morgen«.

»Guten Morgen«, erwiderte das kleine Häuslein verwirrt; »ja, wo kommst du denn her?«.

»Hm«, überlegte der kleine Lebkuchenmann, »das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht so genau. Ich schätze mal aus der Wichtelwerkstatt, die ist ja gar nicht weit entfernt. Jedenfalls war ich bis vor wenigen Stunden noch dort im großen Lebkuchenofen. Da war es zwar schön warm und gemütlich, aber lange nicht so schön wie hier bei dir. Dann machte es mit einem Mal einfach »Plopp!«, ich blickte kurz auf einen feuerroten Haarschopf und ein schnarchendes Sternchen, schlug irgendwann wieder die Augen auf und saß dann hier auf einem gemütlichen Kissen im schönsten Haus der Welt. Schwupps, so ist es passiert«, schloss der Kleine seinen Bericht und zuckte fröhlich mit den kleinen Schultern aus duftendem Lebkuchen.

 

Das Häuschen freute sich sehr und war sogar ein bisschen verlegen.

 

»Ich habe aber einen Brief für dich«, sagte der kleine Lebkuchen fröhlich und wedelte mit einem kleinen glitzernden Zettel aufgeregt hin und her.

»Den habe ich vorhin in meiner Tasche gefunden mit deiner Adresse drauf. Und da ich es mir schon auf einem Kissen gemütlich gemacht hatte, wollte ich nicht noch einmal heraus und die Nachricht in den Briefkasten werfen. Ich dachte also, ich übergebe das Schreiben persönlich.«

Er grinste bis über beide Ohren und schien sich mächtig darüber zu freuen.

Das Häuschen schaute auf das winzige Papier und las laut vor: »Liebes freundliches Häuslein, mein Sternchen und ich haben am sehr frühen Weihnachtsmorgen, während Du noch geschlafen hast, lange hin und her überlegt und sind zu dem Schluss gekommen, dass es doch weihnachtswichtelwunderdings schön wäre, wenn Du jemanden hättest, der in Dir wohnen kann. Vielleicht kannst Du Dich mit dem kleinen Lebkuchenmann anfreunden! Er ist sehr freundlich und hilfsbereit und wäre bestimmt froh, bei Dir bleiben zu dürfen. Bis vor wenigen Stunden hat er noch im Lebkuchenmannofen gewohnt, der steht in der Wichtelwerkstatt. Jetzt ist er fertig ausgebacken und braucht ein schönes und freundliches Zuhause. Sein Name ist übrigens Heinz«.

Die Geschichte des Lebkuchenmannes war also wirklich wahr!

Das Häuschen konnte sein Glück kaum fassen.

»Möchtest du das denn?«, fragte das Häuslein den kleinen braunen Lebkuchenmann. Der bekam so rote Bäckchen, das das Häuschen lachen musste. »Ja, ich würde furchtbar gern hier wohnen. Was wir alles zusammen erleben könnten, das wird einfach wunderbar! Und Weihnachten werden wir ab heute immer zusammen feiern. Ist das nicht schön?«

»Ja«, sagte das Haus, »das ist schön.«

 

Der kleine Weihnachtshase Andreas, der fast ganz zufällig zum Fenster hereinsah, lächelte. Er freute sich sehr für seinen Freund und war glücklich, dass er der kleinen Fee den Weg zu dem kleinen Häuslein gewiesen hatte.

 

Wings von Caroline Messingfeld

 

»Du bist ein richtiger Engel-Bengel!«, zürnte Petrus und schüttelte missbilligend seinen Kopf. »Ständig heckst du Dummheiten aus, erledigst keinen einzigen Auftrag zu meiner vollen Zufriedenheit und sorgst für ein buntes Durcheinander im Himmel. Ordentlich bist du auch nicht. Schau dir mal dein verstaubtes Gewand an. Langsam gebe ich die Hoffnung auf, dass du jemals ein vernunftbegabtes himmlisches Wesen wirst.«

Betrübt starrte ich auf den abgerissenen Saum meines weißen Gewandes, das weitaus bessere Zeiten gesehen hatte. Diese schlimmen Vorwürfe waren nicht aus der Luft gegriffen, sondern durchaus berechtigt. In den vergangenen Wochen hatte ich gegen sämtliche ungeschriebenen Gesetze verstoßen und meinen strengen Lehrmeister zur Verzweiflung gebracht. In der Schule war ich über den biblischen Geschichten eingeschlafen und zur Empörung meines Lehrers beim gemeinsamen Hosianna-Singen vom Stuhl gefallen. Während einer feierlichen Prozession hatte ich es nicht lassen können und war klammheimlich hinter zwei Kameraden hergeschlichen. In einem günstigen Moment hatte ich mich vorgebeugt und die Zipfel ihrer langen Gewänder miteinander verknotet, sodass sie zwangsläufig übereinanderpurzeln mussten, wenn sie in verschiedene Richtungen davon schweben wollten. Auch dass ich eine lose Feder aus der Asservatenkammer entwendet hatte, um einen uralten Engel unter der Nase zu kitzeln, der friedlich auf seiner Wolke vor sich hin schnarchte, hatte für hochgezogene Augenbrauen und bitterböse Blicke von Petrus gesorgt. Aber wenigstens konnte ich zu meiner Verteidigung anbringen, dass ich es niemals böse gemeint habe, sondern aus purem Übermut gehandelt hatte.

»Hör gut zu, mein Junge. Ich gebe dir noch eine einzige Chance.«

Mein Herzschlag setzte fast vor Schrecken aus. Wollte Petrus mich aus den himmlischen Gefilden scheuchen und vor die Himmelspforte setzen? Herr im Himmel, wohin sollte ich gehen? Abwärts konnte ich mich nicht blicken lassen. Mein schlechter Ruf eilte mir immer voraus. Die Konkurrenz im Fegefeuer würde mich sofort zum Teufel jagen, wenn ich mich von meiner besten Seite zeigen und meine musikalischen Fähigkeiten auf der Harfe unter Beweis stellen wollte. Für heitere Musik hatte man in der Hölle nichts übrig, und mehr hatte ich leider nicht zu bieten. In den vergangenen Jahrhunderten hatte ich nichts Vernünftiges gelernt.

»Du wirst eine kleine Reise unternehmen. Auf der Erde hast du die einmalige Gelegenheit, mich von deinen positiven Eigenschaften zu überzeugen. Nütze die verbleibende Zeit gut. Wenn du wieder kläglich versagst, ist meine Geduld am Ende. Dann bleibst du für ewige Zeiten ein Engel zweiter Klasse und musst sehen, wie du ohne Flügel in den himmlischen Sphären zurechtkommst.«

Während ich noch über den Sinn seiner merkwürdigen Rede grübelte, machte Petrus eine rasche Handbewegung. Mehrere Donnerschläge ertönten, grelle Blitze zuckten am Himmel, ein gleißendes Licht flammte auf – und mit einem lauten Schrei des Entsetzens stürzte ich von meiner Wolke Sieben in die Tiefe.

Plumps!

Stöhnend richtete ich mich auf, rieb mir meinen schmerzenden Popo und blickte mich entsetzt um. Wo war ich denn bloß gelandet? Über den Wolken war alles viel freundlicher gewesen. Der Himmel über mir war grau, es war kalt und regnerisch, und die düsteren Straßen waren überall mit Schneematsch bedeckt. Meine äußere Erscheinung ließ mehr als zu wünschen übrig. Mein dünnes Nachthemd war ganz feucht und schmutzig geworden, und meine goldenen Haare ringelten sich vor Nässe zu wirren Kringellöckchen zusammen. Ich sah aus wie ein Wischmopp, der mitten im Putzeimer gelandet war. So konnte ich mich beim besten Willen nicht auf der Straße blicken lassen.