Die Autorin


Jane Lovejoy ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die neben ihren erfolgreichen Gegenwartsromanen mal etwas andere Wege einschlagen möchte. Ihre heimlichen Leidenschaften sind der Wilde Westen, scharfe Chilis, Pferde - und natürlich gut aussehende Helden.


Bereits erschienene Romane:


Galgenfrist

Das Girl, das nichts als Ärger machte

Der Mann, der aus dem Regen kam

Gatling Girl

Sie fürchten weder Tod noch Teufel

 

 

 

Jane Lovejoy

Die Herrin der tausend Pferde

 


 

 

Western-Roman

 

 


 

Originalausgabe 2016

 

Copyright © 2016,Corina Bomann & Jane Lovejoy, Potsdam

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben und verbreitet werden.

 

Titelabbildung

Kiselev Andrey Valerevich

www.shutterstock.com

 

ISBN: 978-3-96353-015-9

 


1. Kapitel

 

Der Cayuse stand auf einer Anhöhe und schaute auf die Herde, die unter ihm weidete. Tausend Pferde, die ihre Köpfe in das saftige Gras steckten. Doch es war nicht seine Herde. Sie gehörte einer Frau, die in diesem Augenblick den Kopf zu ihm hob und ihn wie gebannt anstarrte.

Es war der prächtigste Hengst, den sie je gesehen hatte: Schwarzglänzendes Fell spannte sich über seine kräftigen Muskeln, seine Mähne und sein Schweif waren wie Seide, die im Wind flatterte. Keines der Pferde, die sie besaß, konnte sich mit diesem Tier messen. Woher er gekommen war, wusste sie nicht, aber eines wusste sie genau: Sie musste diesen Hengst besitzen!

Wie von einem Peitschenhieb angetrieben rannte sie los, stürmte zu der Anhöhe, bis sie schließlich vor dem Cayuse stand. Dieser schaute sie aus seinen schwarzen Augen an, dann jedoch machte er kehrt und galoppierte davon. Die Frau versuchte, ihm zu folgen und nahm eine Abkürzung. Dabei merkte sie aber nicht, dass der Boden unter ihren Füßen zu Ende war. Hinter der Anhöhe führte ein Abhang in die Tiefe, und im nächsten Augenblick ging es abwärts mit ihr.

Sie stürzte in die Tiefe, spürte den eisigen Luftzug und riss den Mund auf zu einem Schrei, doch ihre Stimme versagte. Sie wusste, dass ihr Körper jeden Augenblick auf dem Boden aufkommen und dort zerschmettern würde. Hilflos ruderte sie mit den Armen – hilflos ...

Und fuhr dann in die Höhe!

Der Schrei, der ihr dabei über die Lippen gekommen war, hallte in der Schlafstube nach, während sich Marina McKennit schwer atmend umschaute. Ihr Herz raste und drückte das Blut fast schon schmerzhaft in ihre Schläfen und Halsadern, die sich wie gespannte Seile anfühlten. Vor dem Fenster zog der Morgen mit blutroten Wolken über den Horizont, und die Frau erkannte, dass sie nur geträumt hatte. Das Geisterpferd, der Sturz vom Abhang, das alles war nicht wirklich gewesen. Nur ein Traum.

Träume sind Schäume, hatte ihre Großmutter immer behauptet. Doch die Bilder, die sie gerade vor sich gehabt hatte, waren so real gewesen, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, ihr Ende sei gekommen. Je mehr der Schlaf von ihr abfiel, desto ruhiger wurde ihr Puls wieder.

Marina schlug die Bettdecke beiseite und kletterte aus ihrer Schlafstätte. Barfuß lief sie zum Fenster und spähte über den Ranchhof. Noch war alles ruhig, aber das würde sich bald schon ändern. Es war eigentlich kein Wunder, dass sie unruhig schlief und seltsam träumte, denn heute war der große Tag gekommen. Heute würde der Trail losgehen, der sie für einige Tage von der Ranch fortführen würde.

Wie es ihr gelungen war, an einen Handelsvertrag mit der Army zu kommen, wusste Marina nicht. Sicherlich würden böse Zungen behaupten, sie hätte diesen Vertrag ergattert, indem sie dem zuständigen Colonel schöne Augen gemacht hätte. Aber das stimmte nicht.

Was sich hinter der Stirn der Männer, mit denen sie verhandelt hatte, abgespielte, wusste sie natürlich nicht. Sie jedenfalls hatte versucht, mit ihrem guten Angebot zu überzeugen. Und sie hatte es schließlich geschafft! Tausend Pferde für Fort Smith! Damit war sie dann, bis auf ihre Zucht- und Arbeitstiere, alle Pferde los. Und um zwanzigtausend Dollar reicher! Das machte sie dann zu einer der reichsten Frauen der Gegend – und zu einer der besten Partien bei den Männern.

Aber jene, die es nur auf ihr Geld abgesehen hatten, konnten bei Marina ohnehin nicht landen. Verehrer hatte sie bereits einige, aber sie hatte nicht lange gebraucht, um zu durchschauen, dass diese Kerle es nur auf ihre Ranch abgesehen hatten. So blieb es dabei, dass sie sie anlächelte, aber auf mehr brauchten sie sich keine Hoffnungen machen.

Inzwischen tauchten die ersten von ihren Männern auf dem Hof auf, und da wollte auch sie nicht mehr länger im Haus bleiben. Ann, ihre Haushälterin, würde sich sicherlich gleich an das Frühstück machen, da wollte sie nach dem Rechten schauen. Und natürlich auch darauf, dass während ihrer Abwesenheit auf der Ranch alles glattging.

Aus diesem Grund blieben ein paar von ihren Leuten hier. Natürlich reichte ihre Mannschaft nicht, um alle Pferde zu treiben, also hatte sie sich für die frühen Morgenstunden ein paar Männer herbestellt, die diesen Job übernehmen sollten. Freie Cowboys gab es zuhauf in der Gegend, und einem Angebot von 20 Dollar in der Woche würden sie sicher nicht widerstehen können. Und Marina konnte sichergehen, dass sie ihre Arbeit loyal verrichteten.

Aber daran dachte sie jetzt erst einmal nicht.

Sie wandte sich dem Fenster ab und zog sich das Nachthemd vom Körper. Ihr langes blondes Haar steckte sie mit einer Haarnadel auf und ging dann, nackt, wie sie war, zu der Waschschüssel, die auf der Kommode neben der Tür stand. Das Wasser im Krug war kalt, aber das störte sie nicht. Sie goss das klare Nass in die Schüssel, tauchte die Hände hinein und schüttete sich die Flüssigkeit ins Gesicht. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper, als sie die Wäsche auch auf den Rest ausdehnte, doch das machte ihr nichts aus. Unterwegs würde sie, wenn überhaupt, sich nur im Ouachita-River, an dem sie entlang zogen, waschen können. Und der würde auch nicht extra für sie heiß werden.

Sie nahm ihre Reiterkleidung aus dem Schrank und legte sie an. Wenn sie so in der Stadt oder beim Sonntagsgottesdienst auftauchte, zerrissen sich die Kirchenjungfern das Maul, und deswegen ging sie meist brav in Kleid und Schürze dorthin. Aber hier draußen, auf der Ranch, war sie die Herrin: Sie lief herum, wie sie wollte. Die Männer hier hatten jedenfalls kein Problem damit, und auch nicht Ann, die Seele des Hauses.

Als Marina ihr Haar im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte, verließ sie ihr Zimmer und ging hinunter in die Küche. Hier war Ann bereits dabei, das Frühstück für sie und die Männer vorzubereiten.

Annabel Baxter, die von den Leuten auf der Ranch nur Ann genannt wurde, war die gute Seele ihrer Ranch. Sie war schon über die vierzig hinaus und hatte ihren Mann im Krieg verloren. Marinas Vater hatte sie nach dem Tod seiner Frau ins Haus geholt, damit sie sich um alles kümmerte, was die kleine Marina noch nicht konnte. Obendrein hatte er vorgehabt, das Mädchen zu seiner Nachfolgerin zu machen. Da musste sie andere Dinge können, als mit den Töpfen schwenken.

»Guten Morgen, Ann!«, rief Marina und schnappte sich im Vorbeilaufen einen Apfel. Dieser war nicht für sie bestimmt, sondern für ihr Reitpferd, das sie wegen seines roten Fells Fox nannte.

»Guten Morgen, Marina!«, tönte es vom Herd zurück. »Na, bist du aufgeregt wegen des Trails? Immerhin ist es dein erster ohne deinen Vater.«

Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich? Ich bin bei Vater oft genug mitgeritten, und außerdem habe ich ja meine Männer bei mir. Wir werden das Kind schon schaukeln.«

»Das hat dein Vater auch immer gesagt!«, lachte Ann. »Besonders groß hat er sich damit getan, als du geboren werden solltest. Und dann ist er umgekippt wie ein Mehlsack, als er dich gesehen hat. Ein großer starker Kerl wie er!«

Marina sagte zu diesen Worten nichts, sie lächelte nur. Wie oft Ann ihr diese Geschichte schon aufgetischt hatte, wusste sie nicht. Aber sie ertrug sie jedes Mal mit Heiterkeit, war es doch das Einzige, was ihr von ihren Eltern geblieben war. Ihre Mutter starb, als sie ihren jüngeren Bruder gebar. Auch er kam nicht über das fünfte Lebensjahr hinaus.

Letztlich war sie mit ihrem Vater allein geblieben. Er hatte, weil er keine andere Frau mehr wollte und dadurch auch keinen anderen Erben bekommen konnte, sie als seine Nachfolgerin herangezogen. Er hatte ihr beigebracht, einen Schwanenhals von einem Hirschhals zu unterscheiden. Er lehrte sie, wie sie die Pferde für die Rinderzucht abrichten konnte – oder als Reitpferde für die Army. Durch ihn wusste sie, welcher Hengst die besten Fohlen zeugte und wie man die Fellfarben durch Kreuzung beeinflussen konnte. Kurzum, sie hatte bei ihm alles gelernt, um eine erfolgreiche Pferdezüchterin zu werden.

Und jetzt war es an der Zeit, dass sie die Ernte ihrer Bemühungen einfuhr. Ihr Vater wäre sicher vor Stolz geplatzt, das wusste sie. Leider war er vor drei Jahren ihrer Mutter ins Grab gefolgt. Marina war sicher, wenn es einen Ort gab, von dem aus er die Geschicke hier unten beobachten konnte, würde er sich sicher über den Erfolg seiner Tochter freuen.

»Das Frühstück ist gleich fertig!«, riss Ann sie aus ihren Gedanken fort und schnitt den Speck in dicken Streifen in die riesige Gusseisenpfanne. »Geh und ruf die Jungs zusammen, dass sie noch mal was Ordentliches kriegen, bevor ihr diesem Pete Connor und seinen schlechten Kochkünsten ausgeliefert seid.«

Es war eine allgemein bekannt, dass Ann und Pete eine gewisse Abneigung gegeneinander hegten, zumindest was das Kochen betraf. Pete, der auf den Trails als Cookie der Truppe fungierte, hielt sich für den größten Koch aller Zeit, worüber Ann nur lachen konnte. Beide ließen keine Gelegenheit aus, die Künste des anderen zu schmälern.

»Vielleicht sollten wir dich mitnehmen, Ann, du kannst mit Pete auf dem Chuckwagen fahren«, schlug Marina vor, allerdings meinte sie es nicht ernst, denn sie wusste, dass die beiden wie Hund und Katze waren.

»Um Himmelswillen, Kind, das wirst du mir doch wohl nicht antun!« Ann schlug gespielt die Hände über den Kopf zusammen. »Mit Pete fahre ich keine einzige Meile! Der wird mir doch schon auf den Geist gehen, wenn wir durch das Ranchtor hindurch sind.«

»Okay, dann bleib eben hier, Ann. Die Männer, die auf der Ranch bleiben, wollen auch gut verpflegt werden.«

»Denen wird es sicher noch besser gehen als euch da draußen! Aber bevor ihr losreitet, kriegt ihr erst noch was von mir. Das wird dann bis zum Abend reichen.«

Daran hatte Marina keinen Zweifel, Ann versorgte sie alle immer reichlich – allein schon deshalb, damit sie Pete eins auswischen konnte. Aber die Rancherin hatte nichts gegen die Kochkünste des Mannes. Beim Palace-Hotel in Little Rock hätte er wahrscheinlich keine Chance, aber draußen auf dem Trail war sein Essen hundertmal besser, als wenn sie Salamander an Stöcken braten mussten.

»Ich hole die Männer!«, rief Marina und verließ dann das Haus.

2. Kapitel

 

Inzwischen hatten diejenigen ihrer Leute, die am Trail teilnehmen würden, ihre Pferde auf den Hof geführt, und auch der Chuckwagen stand schon bereit. Ein allseitiges »Guten Morgen!« tönte der jungen Frau entgegen, als die Männer sie erblickten. Ihre Chefin grüßte zurück, während sie schnurstracks zu Jim Martin ging, der gerade sein Cowboybett am Sattel befestigte.

»Guten Morgen, Jim!«, begrüßte sie ihren Vormann und reichte ihm die Hand. Jim Martin war schon viele Jahre auf ihrer Ranch, bereits für ihren Vater hatte er gearbeitet. Marina kannte keinen Mann, auf den sie sich mehr verlassen konnte.

Ein breites Lächeln kerbte sein kantiges Gesicht. »Guten Morgen, Miss Marina! Schönes Wetter für einen Viehtrieb, nicht wahr?«

»Ja, herrliches Wetter!«, gab die junge Frau zurück und lächelte leise in sich hinein. So begannen die meisten ihrer Unterhaltungen. Selbst wenn es wie aus Kannen schüttete, behauptete ihr Vormann, dass es schönes Wetter für dies oder jenes war. »Obwohl Ann ja immer meint, rote Wolken am Morgen bringen Kummer und Sorgen.«

»Bei den Seemännern, Miss Marina, nur bei den Seemännern. Wusste gar nicht, dass unsere liebe Ann mal bei der Marine war.«

»Das habe ich gehört, Jim Martin!«, tönte es da aus dem Fenster, und die Köchin, die ihren Oberkörper aus dem Fenster lehnte, drohte spielerisch mit der Faust. »Rede noch einmal schlecht über mich und du wirst sehen, was du davon hast!«

»Ich habe doch gar nicht schlecht über dich geredet, Schatz!«, gab er lachend zurück. »Ich weiß doch, dass du aus Kansas stammst, aber woher willst du wissen, dass deine Vorfahren nicht als Piraten in der Karibik gefahren sind!«

»Och, ich werd dir gleich Piraten geben!«, schnaubte die Köchin, doch das Theater, das sie machte, war nur gespielt. Das wusste Jim und das wusste auch Marina.

»Halt mal lieber die Luft an, Piratenbraut und mach uns das Essen fertig!«, gab er zurück. Doch das war nicht die geeignete Methode, die Küchenfee wieder hinter die Fensterläden zu verbannen.

»Wenn du so weiter machst, Jim Martin, kriegst du heute noch deine eigenen Stiefel gebraten!«, fauchte sie, und machte noch eine Weile den Eindruck, als würde sie es ernst meinen. Dann schrie sie plötzlich auf, wirbelte herum und bis nach draußen hörte man ihren Ruf: »Hilfe, meine Eier brennen an!«

Als die Männer das mitbekamen, lachten sie laut los.

»Ja, das kann ich verstehen, ist ein verdammt schlechtes Gefühl!«, rief John Taylor und erntete beipflichtendes Johlen bei den anderen Männern.

Marina war sich sicher, dass sie mit ihren Scherzen noch weiter gegangen wären, aber jetzt stand sie in der Nähe, und die Männer hielten sich nicht nur deshalb zurück, weil sie ihre Chefin war. Auch weil sie eine Frau war, hoben sie sich ihre derberen Späße für die Zeit auf, in der sie außer Hörweite war. Immerhin wollten sie bei ihr ja kein schlechtes Bild abgeben. Aber ihr sollte das egal sein, solange sie nur ihre Arbeit so gut wie immer machten.

»Wie sieht es aus, Jim, haben wir alles für den Trail?«, fragte Marina, allerdings nur der Form halber, denn sie wusste, dass der Vormann schon alles Wichtige erledigt hatte.

»Klar doch, jetzt fehlen uns nur noch die Männer, die Hal schicken wollte. Aber die müssten bald schon eintrudeln. Soll ich dir inzwischen Fox satteln?«

»Nein, das mache ich selbst«, entgegnete Marina und hielt den Apfel in die Höhe. »Ich denke mal, dass ich ihn damit zum Stillhalten bringen kann.«

»Ganz bestimmt!« Der Mann lächelte ihr zu, während sie zum Stall lief, um ihren Rotfuchs zu holen.

Fox wartete schon ungeduldig in seiner Box und begrüßte seine Herrin mit einem leisen Wiehern.

»Na, alter Junge, hast du Lust auf einen Ausritt?«, fragte die junge Frau, während sie ihm den Apfel entgegenstreckte. Das Pferd nahm ihn vorsichtig zwischen die Zähne, streifte mit seinen Lippen sanft ihre Hand und fing dann gierig zu kauen an. Marina nahm derweil Halfter und Sattel vom Haken und legte dem Tier beides nacheinander an.

Als sie fertig war, klopfte sie dem Tier sanft auf die Schulter und barg ihren Kopf am Hals des Tieres, der nach Fell und Stroh roch. Dabei trat plötzlich ein Bild vor ihr geistiges Auge. Wieder sah sie den Cayuse, den sie im Traum nicht hatte bekommen können. Und sie wusste nicht, warum ihr dieses Tier gerade jetzt in den Sinn kam.

»Du hast geträumt, Marina, stimmt‘s? Du hast das Geisterpferd gesehen.«

Die Stimme von Manolo, dem alten Navajo, der schon seit ihrer Kindheit auf der Ranch lebte, ließ die junge Frau herumwirbeln. Eigentlich trug er den Namen Shizhe‘e, was soviel wie Vater bedeutete, und niemand wusste mehr, wer ihm den Namen Manolo gegeben hatte. Alle nannten ihn nur so, und damit schien er nicht unzufrieden zu sein.