Nachbemerkung
Vielleicht habe ich das alles ja nur geträumt: Eine Wohnung in einer unbekannten Stadt, viel Zeit und genug Plastikfoliengeld, um jeden Tag Kaffee und Strudel cu mere kaufen zu können. Ich erinnere mich, dass ich mich – und das spricht dafür, dass es ein Traum war – nicht nur wie aus der Zeit, sondern auch wie aus dem Raum gefallen fühlte. Und ich unbedingt herausfinden wollte, wozu und warum ich da war, in dieser Stadt und überhaupt auf der Welt.
Vor ein paar Tagen, ich hatte Zeit, stieß ich in den Tiefen meines Computers zufällig auf eine Datei, die Bukarester Tagebuch heißt. Ich öffnete sie, begann zu lesen, las, las mich fest und wunderte mich: Hatte ich das geschrieben? Ich begann zu suchen und fand nach längerem Wühlen die Notizbücher, in denen der Autor (ich?) weitergeschrieben hatte, nachdem der Computer, den er damals benutzt hatte, ein Thinkpad, noch von IBM, in Rumänien kaputtgegangen war.
Eines der Notizbücher, es war das letzte, hatte er, es dauerte, bis ich das verstand, von hinten nach vorne vollgekritzelt. Der letzte Eintrag lautet:
Samstag, 4. Mai (Berlin)
M. schläft in ihrem Bett, Gellu Naums Mantel hängt im Flur.
Kommt mir vor, als sei ich auf einer Insel gewesen. Gestrandet.
Sim kommt übernächste Woche.
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Sim kam und blieb zwei Monate in Berlin. Sie wohnte, das weiß ich noch, in einem möblierten Apartment in der Heinrich-Heine-Straße, im sechsten Stock eines Plattenbaus, schöne Aussicht. Wir sahen uns erst oft – und dann immer weniger.
War das meine Schuld? Wahrscheinlich ja. Unsere kleine Geschichte, der Roman, in den wir geraten waren, war in Rumänien geblieben. Ich saß lieber auf dem Spielplatz und sah M. beim Sandburgenbau oder Rollerfahren zu, als Simona – Sim wurde wieder Simona – durch jede Straße der Stadt zu führen; ich erinnere mich an einen Streit in der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße: Sie war, zu Recht, gebe ich heute zu, erst verwundert, dann beleidigt, weil ich ebendort sitzen bleiben wollte, nachdem ich ihr meinen Lieblingsort, den Lesesaal mit Blick auf die St.-Matthäi-Kirche, gezeigt hatte.
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Aus dem Roman, den ich damals schreiben (oder nicht schreiben) wollte, ist nie etwas geworden.
Er sollte von drei Geschwistern und der Zementfabrik der Familie erzählen, einem Unternehmen, das während des Krieges mit Bunkerbeton groß und in den Jahren des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik noch größer geworden war.
Die drei Geschwister arbeiten sich an der deutschen Schuld und ihrer Familie ab: Die Älteste ist Professorin für Neueste Geschichte in Kalifornien; der Mittlere ein nicht besonders erfolgreicher Architekt in Berlin, der gern neobrutalistisch bauen würde; die Jüngste, Miu, versucht ein Buch über ihre Großmutter, deren Liebe zu Adolf Hitler und den Beton der Familie zu schreiben.
Ein Problem, an das ich mich erinnere, war, dass es keine Handlung gab. Die Figuren konnten nur monologisieren.
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Ich weiß nicht mehr, wie Gellu Naums Mantel zu Oskar Pastior kam. Ich weiß auch nicht, was aus dem Mantel wurde, nachdem Oskar Pastior gestorben war. Ob Herta Müller ihn sich manchmal umwirft?