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Lewis Grassic Gibbon

LIED VOM
ABENDROT

Aus dem schottischen Englisch
und mit einer Vorbemerkung von Esther Kinsky

Mit einem Nachwort von Iain Galbraith

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INHALT

VORBEMERKUNG ZUR ÜBERSETZUNG

EINE ANMERKUNG

VORSPIEL DAS FELD OHNE FURCHEN

I PFLÜGEN

II EGGEN

III ZEIT DER SAAT

IV ERNTE

NACHSPIEL DAS FELD OHNE FURCHEN

ANHANG

KARTE

ANMERKUNGEN

GLOSSAR

NACHWORT

BIOGRAFIEN

VORBEMERKUNG ZUR ÜBERSETZUNG VON LIED VOM ABENDROT VON LEWIS GRASSIC GIBBON

Ein paar erklärende Worte zu der vorliegenden Neuübersetzung sind vonnöten.

Das Lied vom Abendrot, im Original Sunset Song, ist der erste Teil einer Trilogie, die im Land der Kindheit und Jugend von Lewis Grassic Gibbon spielt, im Howe, einem weiten Becken zwischen den schroffen Bergen der Grampians und der Nordsee, südlich von Aberdeen. Kennzeichnend für die gesamte Ostküste sind Dialekte des Scots, das im Unterschied zum gälisch-keltisch geprägten Idiom der Westküste eine große Ähnlichkeit mit skandinavischen Sprachen aufweist. Die Dialekte dieser Gegend werden unter dem Oberbegriff »Doric« zusammengefasst, der sich vom »Dorischen« der Antike ableitet und eigentlich nur den – inferioren – Gegensatz zum »Attischen« der Hauptstadt Edinburgh definiert. Doch die eigentliche Herrschaftssprache, gegen die man sich sprachlich absetzte, war das Englische, die Sprache »South of the Border«, südlich des Grenzlands längs des Flusses Tweed. Mit jeder weiteren Sprosse, die ein Sprecher des Scots in der Schulausbildung erklomm, verdrängte das Englische die lokale Sprache. Dieses Dilemma wird nirgendwo in der schottischen Literatur auf so psychologisch feinfühlige und überzeugende Weise thematisiert wie in der Figur von Chris Guthrie, die im Zentrum dieses Romans steht. An Chris Guthrie, der Tochter armer Häusler, manifestiert sich der Sprach- und Identitätskonflikt, der so vieles in Schottland prägte, und bis heute ist sie die literarische Heldin Schottlands per se, die sich gegen den sozialen Aufstieg durch Bildung und die damit verbundene Anglisierung entscheidet und für das Land und die mit dem Landleben verbundene Sprache, die im Unterschied zum Englischen das zum Ausdruck bringen kann, »was sich zu sagen verlohnt«.

Wie alle Dialekte schöpfte das »Doric Scots« seine Stärke und Poesie aus der Abwesenheit von Normen, aus einer von keinen Machtfunktionen geregelten wuchernden und blühenden Sprachphantasie. Natürlich gibt es heute das hervorragende Dictionary of the Scots Language, das bemüht ist, eine größtmögliche Breite der Bedeutungen zu erfassen und zu erläutern, doch zur Zeit der Handlung des Buches – zwischen 1912 und 1919 – gab es solche Quellen nicht, und die Sprache war gelebte Wirklichkeit, die sich onomatopoetisch und eingedenk ihrer an Land und Landarbeit orientierten Traditionen und Überlieferungen ständig entwickelte. Diesen Gestus der offenen Sprachschöpferischkeit versucht Lewis Grassic Gibbon nachzuempfinden, und dazu gehören nicht nur das Vokabular, sondern auch ein spezifischer, jede Phrase der Syntax prägender Tonfall und ein Rhythmus, die sich abhängig von Erzählhaltung und -intention ändern. So steht die eigentliche Handlung des Buches in der Klammer von Prelude, Vorspiel, und Epilude, Nachspiel, in der eine Art Kollektivstimme zu Wort kommt, die – allerdings von der ihr wiederum übergeordneten Autorenstimme hier und da ironisch unterminiert – unter häufigem Bezug auf »die Leute«, die dieses oder jenes gesagt, berichtet, gemutmaßt haben, in großem Bogen die Vorgeschichte und Nachgeschichte der Kernhandlung Revue passieren lässt. Das von den mythischen Anfängen bis hin zur Ankunft der Familie Guthrie aus dem Aberdeener Land in dem fiktiven Dorf »Kinraddie« gesponnene Vorspiel stimmt den Leser mit einer Mischung von gespielter Naivität und grober Haudrauf-Mentalität auf die Konflikte ein, die sich zwischen Kollektiv und Individuen entwickeln werden. In Vorspiel und Nachspiel kommt ungenannt eine Art Chor zu Wort, der erst etwas raubatzig die Szene für die eigentliche Handlung vorbereitet und im Nachspiel dann mit einer durch alle Wortzwischenräume sickernden Melancholie kommentiert. Zwischen diesen beiden Klammern spielt sich die Handlung ab, deren Ton sehr unterschiedliche Stimmungen und Anteile von lokalem Idiom aufweist, meist abhängig von der Figur, die im Mittelpunkt der jeweiligen Szene steht. Zwar entspinnt sich an Chris’ Konflikt die Zwiesprachigkeit des Textes, doch ihr ist wenig Dialektales, dafür umso mehr Sprachschöpferisches, zuweilen sogar Experimentelles zugeordnet. Die Protagonisten des Doric sind die eingesessenen Bewohner von Kinraddie, der Lange Rob, Chae Strachan, die Munros und Mutches, die Stimmen, die – immer disharmonisch – den Chor bilden.

Lewis Grassic Gibbon hat keinen »Bauernroman« geschrieben, sondern einen dem Modernismus verpflichteten Text mit eigenwilliger Verwendung idiomatischer Elemente und politischem Bewusstsein. Nichts an seinem Roman entspricht einem Muster oder einer Konvention. Es ist eine empathische Darstellung von Mensch und Landschaft, die ihre eigene Sprache, ihren Tonfall, ihren Rhythmus findet. Tonart, experimentelle Ansätze und dergleichen Idiosynkrasien gehören natürlich zum täglichen Brot des Übersetzers, doch die große Frage, die sich angesichts der Arbeit an der Neuübersetzung von Sunset Song stellte, war die Wahl des Idioms, das an die Stelle des »Doric« treten und einen Gegenpol zum Hochdeutschen bilden kann. Einzelne sehr markante Wörter – zum Beispiel die konsequente Verwendung von lass, lassie oder quean anstatt girl, die Vokabel queer in einer Vielzahl von Bedeutungen von komisch bis unheimlich, das intensivierende fell und nicht zuletzt gloaming, das für den ganzen Roman bedeutende Gegenstück zum Sunset, dem Abendrot des Titels – mussten eine Entsprechung finden, die sich weit genug vom Hochsprachlichen entfernt, ohne exotisch zu wirken. Nach einigem Experimentieren mit verschiedenen mundartlichen Einschlägen habe ich mich dazu entschlossen, mich des mir zwar nicht vertrauten, aber gut dokumentierten Vokabulars aus dem Plattdeutschen zu bedienen, das vom »Memelländischen« der deutschsprachigen Bevölkerung des ehemaligen Ostpreußens und heutigen Litauens bis an die Grenzen des Friesischen reicht und in einzelnen Fällen sogar erstaunliche Ähnlichkeit mit den Entsprechungen in Scots aufweist. Ich hoffe, Kenner und Sprecher plattdeutscher Varianten werden mir verzeihen, wenn Deern und Mäken für Mädchen, mall / mallig für queer und das wunderbare Ohmdraut für Abendrot nicht immer in Plattdeutsches eingebettet stehen und insgesamt in einen Tonfall eingeflochten sind, der vor allem dem der Ostküste Schottlands nachgebildet ist, denn diese Melodie trägt den Text und musste erhalten werden. Viele Wörter werden sich den des Plattdeutschen Unkundigen durch Phonetik und Kontext erklären, doch ist dem Text ein kleines Glossar der weniger leicht verständlichen Ausdrücke angehängt.

Dank eines Stipendiums des deutschen Übersetzerfonds konnte ich mehrere Wochen in Stonehaven verbringen, mich mit dem Klang der Sprache vertraut machen und die Landschaft und Gegend erkunden. Für die überwältigende Freundlichkeit der Menschen in Stonehaven und ihre Begeisterung für dieses Übersetzungsprojekt kann ich hier nur einen kollektiven Dank aussprechen. Besonderen Dank aber schulde ich Bill Malcolm, dem Biografen von Lewis Grassic Gibbon und Herausgeber seiner Werke, den Doric-Dichtern Alistair Lawrie und Gráinne Smith, deren Rezitationen und Reminiszenzen ich aufzeichnen durfte, und vor allem Regina Erich, die mir, ohne Zeit und Mühe zu scheuen, alle mit dem Buch verbundenen Schauplätze und Orte gezeigt hat.

Esther Kinsky, Berlin, Januar 2018

EINE ANMERKUNG

Wenn die große niederländische Sprache keine Literatursprache mehr wäre und ein Niederländer auf Deutsch eine Geschichte schriebe, die unter Drenther Bauern spielt, würde man ihm zugestehen, dass er sich eine gewisse Freiheit und Eigenwilligkeit in seinem Gebrauch des Deutschen erlaubt. Er würde auf den Seiten seines Buches vielleicht ein paar Dutzend unübersetzbarer Wörter und Ausdrücke einführen – unübersetzbar insofern, als sie nur im regionalen Kontext und in ihrem Umfeld zu verstehen sind –, und ebenso würde er vielleicht einen Weg finden, sein Deutsch dem Rhythmus und der Melodie der gesprochenen Sprache seiner Bauern anzupassen. Weiter könnte er aus Rücksicht auf seine Leser nicht gehen, und eine breite Streuung von Anführungsstrichen um Wörter und Ausdrücke wäre sowohl eine Ungehörigkeit als auch eine Fehlübersetzung.

Das Entgegenkommen, das einem solchen hypothetischen niederländischen Autor von Seiten des Deutschen erwiesen würde, wird ein Schotte auch von der großen englischen Sprache erwarten können.

L.G.G.

Für Jean Baxter

DAS VORSPIEL

VORSPIEL DAS FELD OHNE FURCHEN

Das Land von Kinraddie hatte ein Normannenbursche errungen, Cospatric de Gondeshil, das war zur Zeit von William the Lyon, als Greife und dergleichen wildes Ungetier noch in der Landschaft Schottlands umherstrichen, damals wachten die Leute nachts in ihren Betten auf vom Kreischen der Kinder vor einem Ungetüm von Wolf, der des Nachts durch das mit Tierhaut verhängte Fenster kam und ihnen an die Kehlen ging. Im Tobel von Kinraddie hatte ein solches Untier seinen Bau, und tagsüber lag es faul im Forst herum, und der grausige Gestank ließ sich allwägens in der Gegend riechen, und im Schemern sah mancher Schäfer das Untier, wie es die großen Flügel halb über dem großen Bauch gefaltet hielt, und sein Kopf war wie der von einem großen Hahn, jedoch mit Ohren wie ein Löwe, und so schob sich der Kopf über einem Fichtenbaum empor und lurte. Und das Untier fraß Schafe und Männer und Frauen und war ein rechtes Grauen, und der König ließ seine Boten eine Belohnung ausrufen für den, der sich aufmachen und dem Übeltun des Untiers ein Ende bereiten würde. So stieg der Normannenbursche Cospatric jung und ohne Besitz und arg tapfer und gut bewaffnet auf sein Pferd in der Stadt Edinburgh und kam nach Norden herauf, aus den fremden südlichen Gegenden kam er herauf durch den Forst von Fife und die Weiden von Forfar und vorbei an Aberlemnos Hünenstein, der errichtet wurde, als die Pikten die Dänen schlugen, und da machte er Halt und betrachtete die Figuren darauf, ganz deutlich damals noch, bis heute kaum verblasst, und die Pferde und das Stürmen und die Flucht von diesem rohen fremden Volk betrachtete er. Und vielleicht sprach er gar ein Gebet bei diesem Stein, und bald ritt er hinauf in die Mearns, und die weitere Geschichte handelt nicht mehr davon, wie er ritt und immer weiter ritt, sondern davon wie er zuletzt nach Kinraddie kam, dem geschlagenen Ort, da sagten sie ihm, wo der Greif schlief, nämlich dort unten im Tobel von Kinraddie.

Doch untertags versteckte sich der Greif im Wald, und nur des Nachts konnte der Bursche zu ihm gelangen, nämlich über einen Pfad zwischen Hainbuchen, der dorthin führte, wo das Untier zwischen Knochenhaufen in seinem Bau hockte. Und Cospatric wartete, dass es Nacht wurde, dann ritt er bis zum Rand vom Tobel von Kinraddie, empfahl seine Seele Gott an und stieg von seinem Pferd, den Wildschweinspeer in der Hand, und ging hinab in den Tobel und tötete den Greif. Und er schickte Kunde davon an William the Lyon, der in der Stadt Edinburgh saß und Wein trank und seine Feinsliebchen beschmuste, und William machte ihn zum Ritter von Kinraddie und gab ihm die ganze Gemeinde zum Besitz, mit dem Recht sich dort eine Burg zu erbauen und ein Greifenhaupt im Wappen zu tragen und allem wilden Getier und butten, widersetzigen Volk den Garaus zu machen, dieses Recht hatten nun er und seine Nachkommenschaft immerdar.

So ließ sich Cospatric dort von den Pikten eine trutzige Burg bauen, die lag im Schutz der Hügel, mit den Grampians düster und schroff dahinter, er ließ den Tobel trockenlegen und heiratete eine Piktendame und machte ihr Kinder und lebte dort bis zu seinem Tod. Und sein Sohn nahm sich Kinraddie als Namen, und eines Tages blickte er hinaus von den Zinnen der Burg, und da sah er den Graf Marschal von Süden hinaufkommen, um mit den Highlandmännern die Schlacht zu schlagen, die dann bei Mondynes stattfand, da, wo heute die Getreidemühle steht, und der holte seine Leute und kämpfte dort, doch auf welcher Seite, das weiß keiner zu sagen, es wird wohl auf der siegreichen Seite gewesen sein, sie waren eh listig und schlau, die Kinraddies. Und der Urenkel von Cospatric, der schloss sich den Englischen an gegen den Highlandkämpfer Wallace, und wie Wallace das nächste Mal von Süden her anmarschierte, da zogen Kinraddie und anderes Volk des damaligen Adels in die Burg von Dunnottar, die hinter Kinneff ins Meer ragt, trutzlich gebaut und stark, wo bei Flut die See an die Felsen klatscht und das Kreischen der Seemöwen gellt, bei Tag und bei Nacht. Viel Speise und Fleisch und Gerät nahmen sie mit und bezogen bewehrte Stellung dort, sie und ihre Mannen, und die ganzen Mearns verwüsteten sie, dass der Highlandkämpfer, der sich erdreistete, sich gegen den edlen englischen König zu erheben, keine Nahrung für die schlimmen Habenichtse in seinem Gefolge finden sollte. Doch Wallace kam ganz fix durch den Howe gezogen, und er hörte von Dunnottar und belagerte die Burg, die wohl ordentlich fest gebaut war, doch mit fest Gebautem hielt er sich nicht lange auf. In tiefer Nacht, während das Donnern der See jedes Geräusch überdröhnte, da erklomm er heimlich die Felsen von Dunnottar, und bald waren sie über der Burgmauer, er und seine streunenden Skoten, und sie nahmen Dunnottar ein und murksten all das adlige Volk ab, das dort versammelt war, und auch all die Engländer, und beuteten ihnen alle Speise und alles Gerät ab und marschierten von dannen. In der Burg von Kinraddie, so hieß es, hatten sie in diesem Jahr nur eine junge Braut, die gerade erst eingetroffen war, und die hatte keine Nachkommen, und die Monate gingen vorüber, da ritt sie schließlich zur Abtei von Aberbrothrock, wo der brave John, ihr Vetter, der Abt war, und sie erzählte ihm von ihrer Not und davon, dass der Zweig der Kinraddie nun wohl am Ende war. Da lag er bei ihr, das war im September, und im nächsten Jahr brachte die junge Braut einen Sohn zur Welt, und von da an mischten sich die Kinraddies in keinerlei Kriege und andere Stänkereien mehr ein und rührten sich nicht weg aus ihrer Burg, die im Schutze der Hügel lag, und da saßen sie mit ihrem Gerät und ihren losen Feinsliebchen und den Lümmeln, die zum Dienst verschnitten waren.

Und so kam die Erste Reformation, und weitere folgten, und manche schrien Whiggam! und manche Rom! und manche Der König!, bloß die Kinraddies saßen still und fein und friedlich für sich in ihrer Burg und scherten sich keinen Deut um das Gezänk der Leute, denn Kriege, die waren ein glückloses Ding. Doch dann kam der Holländer Willem, gleich war klar, an dem wird sich nicht rütteln lassen, und da waren die Kinraddies fein für den Bund, sie hatten wohl den Bund mit Gott im Sinn, hatte ihnen ja eh am Herzen gelegen, hieß es. Also haben sie eine neue Kirk gebaut, da unten, wo die Kapelle gestanden war, und bauten ein Pfarrhaus dazu, dort im Windschutz der Eibenbäume, wo der Highlandkämpfer Wallace sich versteckt hielt, wie die Englischen ihn zuletzt doch in die Niederlage trieben. Und einer von den Kinraddies, John Kinraddie hieß er, der ging nach Süden und wurde ein großer Name am Gerichtshof von London, und er war ein Busenfreund von den beiden Menschern Johnson und James Boswell, und einmal kamen die beiden, der John Kinraddie und James Boswell, auf einer Vergnügungsreise hinauf in die Mearns und saßen beieinander, und Abend um Abend tranken sie Wein und führten garstige Reden bis tief in die Nacht, und wenn schließlich der alte Herr ihrer überdrüssig wurde, dann stahlen sie sich davon, wie James Boswell in sein Tagebuch schrieb, hinauf auf den Dachboden, wo die Dienstmädchen waren, und eine, Ρεφφγ Δσυφψας λαττε ειηεη ξεττεη Γυττ υηδ ίζλ λαβ βεί ίλπ φεψεφεη.

Doch dann zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, da brachen schlimme Zeiten an für die schottischen Adligen, denn das Gift der Französischen Revolution kam übers Meer, und die Häusler und anderes gemeines Volk erhoben sich und riefen: Zur Hölle mit euch!, wenn die Auld Kirk von den Kanzeln Gefügigkeit predigte. Bis hinauf nach Kinraddie kam das Gift, und der junge Lord damals, Kenneth hieß er, der nannte sich Jakobiner und schloss sich dem Jakobinerverein von Aberdeen an, und dort in Aberdeen kam er beinah um in dem Aufruhr, mitten beim Kämpfen für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wie er es nannte. Als Krüppel trugen sie ihn heim nach Kinraddie, und trotzdem wollte er noch immer, dass alle frei und gleich sein sollten, und machte sich daran, sein Anwesen zu verkaufen und das Geld nach Frankreich zu schicken, denn er hatte ein sehr gutes Herz. Und die Häusler marschierten wie ein Mann zur Burg von Kinraddie und schmissen die Fensterscheiben ein, denn sie meinten, mit der Gleichheit sollte einer doch daheim beginnen.

Mehr als der halbe Besitz war auf diesem Wege verdröppelt, und der Krüppel saß dabei und las seine ollen französischen Bücher, doch davon hatte keiner eine Ahnung, bis dass er starb und seine Witwe, das arme Fraumensch, sah, dass ihr kaum mehr gehörte als das Land zwischen den schroffen Hängen der Grampians und den Höfen, die bei Bridge End am Denburn standen, beiderseits der Straße, die hinaus führte. Zwanzig, dreißig Pachten mögen es gewesen sein, die Häusler mürrisches Volk vom Piktenstamm, ohne Geschichte, gemeines Volk, zerwohnt und krummgeflickt drängten sich die schiefen Höfchen inmitten der langen, ansteigenden Felder. Die Pachten währten ein, zwei Jahre, geschuftet wurde vom ersten Schimmer des Tags, an dem einer Hosen trug, bis zum dunklen Glusen der Nacht, in der er ins Leichentuch gewickelt war, und das Adelspack saß amangs da und verfraß die gezahlte Pacht, dabei waren sie nicht mehr wert als die, die schufteten. Das wars nun, was Kenneth seiner Frau Gemahlin hinterließ, sie vergoss gar viele Tränen darüber, dass es so weit gekommen war, doch kam es noch schlimmer, bis ihr selbst das Tuch ums Kinn gebunden und sie in die Grabstätte von Kinraddie gebettet wurde, gleich neben ihren Gemahl. Drei ihrer Kinder ertranken auf See, beim Fischen vor den Klippen von Bervie, doch der vierte, der junge Cospatrick, der, welcher am selben Tag starb wie die alte Königin, der war klug und sparsam und bei Vernunft und machte sich daran, das Anwesen herzurichten. Er warf all die kleinen Häusler hinaus, die machten sich davon nach Kanada oder Dundee und dergleichen, die anderen konnte er nicht so schnell loswerden. Doch auf dem freigewordenen Land ließ er größere Höfe bauen, die verpachtete er zu höherem Zins und für längere Zeit, das sei jetzt die Zeit für stattliche, große Gehöfte, sagte er. Und er ließ Wälder von Fichten, Lärchen und Tannen pflanzen, um die langen kahlen Hänge gegen Wetter zu schützen, und wohl hätte er das Glück der Kinraddies zum Guten wenden können, doch er nahm sich eine Deern von Morton zur Frau, die hatte Deiwelsblut in den Adern und brachte ihn zum Rasen und trieb ihn in Trunksucht und Tod, das war der beste Ausweg noch. Denn sein Sohn, der war glatt dösig, schließlich sperrten sie ihn in eine Anstalt, und das war das Ende der Familie von Kinraddie, das Herrenhaus, das dort stand, wo die Pikten dem Cospatrick eine Burg gebaut hatten, das bröckelte dahin wie ein Käse, nur zwei, drei Zimmer behielten die Treuhänder noch als Kontor, da war das ganze Anwesen schon bis untern Dachfirst verschuldet.

Im Winter neunzehnelf nun machten bloß noch neun Höfe das Anwesen von Kinraddie aus, und die Mains, das Gutshaus, war der größte davon, das war das Vorwerk der Burg gewesen, damals, in lang vergangener Zeit. Ein irisches Mensch, Erbert Ellison mit Namen, betrieb den Hof für die Treuhänder, sagte er, doch wenn man all den Geschichten glaubte, dann schaffte er wohl mehr Säckel Silber in die eigene Tasche als in die der Treuhänder. Nuja, wen sollte es wundern, er war ja bloß ein Dubliner Kellner gewesen, sagten die Leute. Das war damals gewesen, bevor Lord Kinraddie, der Döskopp, ganz verrätscht ist. In Dublin war er gewesen, der Lord Kinraddie, auf einer trunkenen Ausschweifung, und Ellison hatte ihm den Whisky besorgt, und manche redeten, er hätte auch das Bett mit ihm geteilt. Aber die Leute, die reden so allerhand. Der Dösel brachte Ellison mit zurück nach Kinraddie und machte ihn zu seinem Diener, und manks, wenn er so richtig besoffen war und die Geister aus den Whiskyflaschen kamen und ihm auf der Nase herumtanzten, dann schmiss er eine Flasche nach Ellison und brüllte: Raus mit dir, du verdammter Sack!, so laut war er, dass es bis ins Pfarrhaus tönte, wo es die Ohren der Pastorengattin grob beleidigte. Und der alte Greig, der als Letzter dort Pastor war, der schickte Zornesblicke hinüber zum Herrenhaus von Kinraddie wie John Knox nach Holyrood, und sagte, Gottes Stunde, die werde schon schlagen. Und die kam auch so sicher wie Gevatter Tod, ab in die Anstalt schafften sie den Dösel, eine Schwesternhaube hat er aufgehabt, wie er den Kopf aus dem Rückfenster des Wagens streckte, und Kikerikiiii! hat er ein paar Schulkindern zugerufen, als der Wagen auf der Straße an ihnen vorbeifuhr, und die sind allesamt ganz verschreckt nach Hause gerannt.

Ellison aber, der hatte sich mit dem Wirtschaften auf einem Hof gut vertraut gemacht und auch damit, wie der Viehhandel betrieben wurde, und vor allem über den Ankauf von Pferden hatte er sich kundig gemacht, deshalb ernannten die Treuhänder ihn zum Verwalter vom Gutshaus, und er zog im Gutshaus ein und sah sich um nach einer Frau. Manche wollten nichts mit ihm zu schaffen haben, so ein armes irisches Mensch, das nicht richtig reden konnte und nicht zur Kirk gehörte, doch Ella White, die war selbst auch ein bisschen was in die Jahre gekommen. Wie Ellison dann beim Ernteball in Auchenblae zu ihr trat und rief: Darf ich dich heut Abend nach Hause bringen, meine Liebe?, da sagte sie: Jo, sicher. Und unterwegs, da legten sie sich zwischen die Heuraufen, und Ellison mag da so dies und jenes gemacht haben, damit er sie sich sicher hatte, denn er war inzwischen schon ganz verrückt nach einer Frau. Am folgenden Neujahrstag machten sie Hochzeit, da hielt sich Ellison schon für was Feines in Kinraddie, vielleicht gar für Landadel. Doch die Instmänner, die Pflüger und die Scharwerker vom Gutshaus, die hatten nie was andres als Spott übrig für den Landadel, und am Vorabend von seiner Hochzeit, da packten sie Ellison, wie er grad nach Haus kam, und zogen ihm die Hosen runter und strichen ihm Pech auf den Hintern und die Fußsohlen und steckten Federn drauf und warfen ihn in den Wassertrog, denn das war der Brauch. Er nannte sie verdammte schottische Rüpel und geriet in wahnsinnige Wut, und am Ende des Dienstjahrs warf er sie hinaus, den ganzen Verein, so sehr hatte er sich gekränkt.

Doch danach, da ergings ihnen gut, ihm und seiner Frau, der Ella White, und sie hatten eine Tochter, so einen mageren Hippen von einer Deern, die hielten sie für zu fein, um in die Schule von Auchenblae zu gehen, deshalb ging sie auf die Stonehaven Academy, und da lernte sie, arg wacker zu sein und sich im Turnsaal herumzuschwingen mit kleinen schwarzen Hosen unterm Rock. Ellison selbst kriegte allmählich eine Wampe, und sein großes Gesicht war rot und glänzend, und Augen hatte er wie eine Katze, grüne Augen, und sein Schnauzbart, der hing ihm zu beiden Seiten des Mundes herab, ordentlich schön breit war der Mund und voll mit falschen Zähnen, schrecklich teuer und schmuck, richtig mit Gold auf einer Seite. Ja, und er trug enge Stutzen und Reithosen, denn inzwischen war er fei Landadel; und wenn er einen auf dem Viehmarkt traf, dann rief er aus: Jo mei, das bist jo du, olter G’sell! Und der jeweilige Kerl wurde ganz rot im Gesicht und schämte sich eins, doch er sagte nichts, denn der Ellison, das war kein Mann, dem einer gegen den Strich gehn wollte. Im Politischen sagte er, da wär er ein Konservativer, aber jeder in Kinraddie wusste, er meinte damit, dass er Tory war, und die Kinder vom Strachan, dem, der am Peesie’s Knapp den Hof betrieb, die kreischten ihm jedesmal hinterher, wenn er vorbeikam:

He, deine Nase ist blau wie Tint,

siehst ja aus wie vom Turra das Rind!

Denn Ellison hatte Geld an das Mensch oben in Turriff geschickt, dessen Kuh beschlagnahmt worden war, um die Versicherung zu bezahlen, und die Leute sagten, das wären doch bloß Angeber, das Mensch mit der Kuh und Ellison auch, und hinter seinem Rücken lachten sie ihn aus.

Das war also nun das Gutshaus unterhalb des alten Herrenhauses, und Ellison führte da Wirtschaft nach seiner irischen Art, und gleich gegenüber, zwischen den Eiben versteckt, waren Kirk und Pfarrhaus, die Kirk war ein alter, zugiger Kasten, und im Winter mochte man mitten im Vaterunser einen Hustenanfall hören, laut genug, um das Dach hochgehn zu lassen, und Miss Sarah Sinclair, die vom Netherhill kam und die Orgel spielte, die nieste in ihr Gesangsbuch und verspielte sich, und der Pastor, der alte wars noch, der funkelte sie zornesvoll an und sah dabei mehr wie John Knox aus denn je. Neben der Kirk war ein uralter Turm, der war noch zu Zeiten der Katholschen erbaut, dieser leipen, gottlosen Lumpen, und der war fei alt und ungenutzt, außer von den Ringeltauben, die flogen ein und aus durch die schmalen Schlitze im oberen Stock und nisteten dort das ganze Jahr, und alles dort war richtig weiß von ihrem Schiet. In der unteren Hälfte des Turms war so ein Abbild vom Cospatric de Gondeshil, das war der, der den Greifen getötet hatte, der lag da auf dem Rücken mit so einem dösigen Grinsen im Gesicht; und der Speer, mit dem er den Greifen getötet hatte, der war dort in einem Schaff verschlossen, das sagten jedenfalls so manche, aber andere sagten, es wär bloß alter Plunder aus den Zeiten von Bonny Prince Charlie. Das war also der Turm, aber er war nicht so richtig Teil von der Kirk, die echte Kirk war in zwei Teile geteilt, das Hauptschiff und das kleine Schiff, und manche nannten die beiden Teile auch den Kuhstall und die Rübenmiete, und die Kanzel stand in der Mitte. Früher war das kleine Schiff für die Leute vom Herrenhaus gewesen und für ihre Gäste und dergleichen feine Leut, doch jetzt ging jeder rein, der die Stirn dazu hatte, und setzte sich nieder, und die Gemeindevorsteher saßen da mit ihren Klingelbeuteln, und der junge Murray, der den Blasebalg für Sarah Sinclair bediente. Schöne Glasfenster hatte es da im kleinen Schiff, furchtbar alt, drei Stück mit Bildern von Mäken, nicht sehr anständig als Fensterbilder in einer Kirk. Die eine von den Mädels war der Glaube, und die sah ganz schön dösig aus, sie hielt die Hände in die Höhe und blickte empor wie ein Rind, dem eine Rübe in der Gurgel quersteckt, und das Stück Tuch um ihre Schultern war ganz verrutscht, aber darauf achtete sie gar nicht, und rings um sie so ein Gekringel von Schriftrollen und allem möglichen Zinnober. Und die zweite Deern, das war die Hoffnung, sie war beinah so gräsig wie der Glaube, aber sie hatte fei schönes Haar, rotes Haar, es könnte auch als kastanienbraun gelten, und im Winter kam beim Morgengottesdienst ein Licht durch die Eiben im Kirchhof geplätschert und floss geradewegs durch das Haar von der Hoffnung in das kleine Schiff. Und die dritte Deern, die stellte die Liebe dar, die hatte einen Haufen nackter Kinderchen zu ihren Füßen, und sie sah arg schön und rechtschaffen aus als Frau, zumal dieses ganz tapsige Gekrabbel noch an ihr hing.

Doch die Fenster im Hauptschiff, die waren zwar bunt, aber sie hatten keine Bilder, und es hingen überhaupt nirgends Bilder da, wozu auch? Bloß solche rohen Menscher wie die Katholschen wollen eine Kirche, wo es aussieht wie in einem Krämerkalender. Es war anständig dort und ziemlich schlicht mit den geschnitzten alten Bänken, manche mit Polster, manche ohne, wer von Natur aus kein Polster hatte und das Kleingeld zum Ausgeben besaß, der konnte sich nach Belieben ein Kissen auflegen. Oben im Schatten der Kanzel und quer zum Rest der Kirche, da waren drei Bänke, wo der Chor saß und beim Gesang der Kirchenlieder anführte, manche nannten das den Kälberstand.

Die Hintertür, die an der Rückseite der Kanzel, führte hinaus auf den Kirchhof und über diesen zum Pfarrhaus mit seinen Ställen und Scheunen, das war noch zu Zeiten der Alten Königin errichtet, es war schmuck anzusehen, bloß schrecklich feucht, wie all die Pastorenfrauen sagten. Aber Pastorenfrauen klagen ja wahrlich gern und wissen nicht, wie gut es ihnen geht mit all der Münze, die sie kriegen, bloß weil ihre schmächtigen Männlein ein- oder zweimal am Sonntag eine Predigt halten, und so hochnäsig, sie erkennen einen kaum, wenn man ihnen auf der Straße begegnet. Die Studierstube des Pastors war hoch oben im Haus, der Blick von dort ging über ganz Kinraddie, im Dunkeln sah der Pastor von dort sicher die Lichter der Bauernhöfe wie glimmernde Sandkörner vor seinem Fenster ausgestreut und das Licht an der Fahnenstange des Herrenhauses hoch oben zwischen den Sternen. Doch in diesem Dezember neunzehnelf stand das Pfarrhaus leer und war schon manchen Monat verwaist, der alte Pastor war gestorben, und über den neuen war noch nicht abgestimmt; und so kamen die Pastoren von Drumlithie und Arbuthnott und Laurencekirk abwechselnd am Sonntagvormittag und hielten Gottesdienst in Kinraddie; und, weiß der Himmel, bei dem, was die zu erzählen hatten, wären sie besser zu Haus geblieben.

Doch ging man durch die Hauptpforte aus der Kirk und folgte der Straße ein Stück Richtung Osten, also auf dieser Straße, die zu Kirk und Pfarrhaus und Gutshaus führte, dann kam man auf die Mautstraße. Sie verlief von Norden nach Süden, doch gegenüber dem Weg, über den man also gekommen war, war noch eine Straße, die ging durch Kinraddie, vorbei am Hof vom Bridge End. Da war also eine Kreuzung, und wenn man sich links hielt, die Mautstraße lang, dann kam man zu Peesie’s Knapp, das war noch eins von den alten Gehöften, eine kleine Pacht von vielleicht dreißig, vierzig Morgen, mit einem Stück schralem Land als Weide, doch fürwahr, da war wenig Weide drauf, es war ein rechter Buschenkaasch mit Brambusch und Dornstrunk und Dreck, es wimmelte von Kaninchen und Hasen dort, des Nachts kamen sie hervor und fraßen die Saat und konnten einen schier um den Verstand bringen. Doch das meiste Land am Knapp war nicht übel, der Schweiß von zweitausend Jahren steckte darin, und das große Feld hinter den Stallungen war schwarze Erde, nicht der rote Lehmboden, der in halb Kinraddie den Unterboden gab.

Die Ställe und Scheunen auf Peesie’s Knapp waren nicht älter wie zwanzig Jahre, doch stands nicht zum Besten damit, denn zwar lag das Haus der Straße zugewandt – und das war richtig praktisch, sofern es einen nicht scherte, dass man kaum das Hemd wechseln konnte, ohne dass ein unmanierliches Trampel von draußen reinglotzte –, jedoch zwischen Kuhstall und Pferdestall und der Scheune auf der einen und dem Haus auf der andern Seite lag der Viehgang, und genau in der Mitte dazwischen der Misthaufen, hoch und gelb vor Dung und Stroh und Fladen, und die Strachansche konnte sich nie mit Peesie’s Knapp abfinden, weil es so schrecklich stank. Doch Chae Strachan, der Bauer am Hof war, der sagte bloß: Quaas, was ist schon so’n klein Muffes? Und dann fing er an und erzählte von den schrecklichen Gestänken, die er seinerzeit im Ausland gerochen hatte. Er war nämlich ganz schön herumgekommen, der Chae, in all den Jahren bis er nach Schottland zurückkehrte und sich auf Netherhill zum letzten Mal als Instmann verdingte. Er war in Alaska gewesen und hatte dort nach Gold gesucht, doch zum Deiwel, da hatte er vom Gold wenig gesehen, deshalb war er nach Kalifornien und hatte dort eine Farm gehabt, bis ihm das Obst bei den Ohren rauskam, und nie im Leben mehr würde er eine Apfelsine oder Birne anschauen, nicht mal in der Konservendose. Und dann war er nach Südafrika, da ging es hoch her mit ihm, ganz dicke war er mit dem Häuptling von so einem Stamm von Schwarzen gewesen, trotzdem, ein arg anständiger Kerl war das. Er und Chae, die beiden hatten gegen die Buren und die Britischen gekämpft und sie geschlagen, das sagte jedenfalls Chae, aber Leute, die Chae nicht leiden konnten, sagten, er hätte immer bloß mit dem Maul gekämpft, und was das Schlagen betraf, der konnte noch nicht mal die Haut von einer Kumpfe Sauermilch schlagen.

Denn bei denen, die sich für was Feineres halten wollten, bei denen war er nicht beliebt, der Chae, er war nämlich ein Sozialistenmensch und glaubte daran, dass wir alle gleich viel Geld haben sollten und dass es nicht Reich und Arm geben sollte und dass kein Mensch besser war als der andere. Klar, das mit dem Geld, das war glatt dösig, denn wenn alle eines Tages gleich viel Geld hätten, wie säh es am nächsten Tag aus? Genauso wieder Arm und Reich! Aber Chae sagte, die vier Pastoren von Kinraddie und Auchenblae und Laurencekirk und Drumlithie hatten im letzten Jahr alle dasselbe Geld bekommen, und was hatten sie dieses Jahr? Immer noch dasselbe! Ha, da musste wohl früh aufstehn, wenn du einem Sozialisten beim Stolpern zugucken willst, und wenn du hier Lippe riskierst, dann geb ich dir gleich eins auf den Dassel, mein Kerleken! Ja, Chae war schwer gut im Disputisimatieren, und er war nicht der streitlustige Typ, außer er wurde auf die Palme gebracht, und die Leute mochten ihn, auch wenn sie über ihn lachten. Aber weiß der Himmel, über wen lachen sie nicht? Chae war ein rechtes Mannsbild, groß, mit kräftigen Schultern, das Haar blond und glatt, und er hatte eine breite Stirn und einen ordentlichen Zinken von einer Nase, und seine Schnauzerspitzen zwirbelte er hoch wie der deutsche Kaiser, und er konnte einen rennenden Jungstier im Lauf aufhalten, so stark war er in den Händen und Armen. Und er war einer der hannigsten Burschen in Kinraddie, er kastrierte Kälber und ritt Pferde zu und schlachtete Schweine ab, alles so mirnichtsdirnichts, oder er kachelte die Milchküche und schnitt den Kindern die Haare und grub einen Brunnen, und unterdessen erzählte er die ganze Zeit davon, dass der Sozialismus bald käme, und wenn nicht, dann gäbs einen riesigen Knall und wir würden alle wieder Wilde. Dammich, so isses, Mann!

Aber die Leute sagten gern, er sollte besser anfangen, seine Strachansche zu sozialismieren, die frühere Kirsty Sinclair vom Netherhill, bevor er mit anderen anfing. Die hatte eine schlimme Zunge, hieß es, die konnte wohl die Milch sauer machen und einen Kesselflicker von der Tür jagen, und wenn den Chae nicht ab und zu die Sehnsucht nach seiner Hütte und seiner prächtigen schwarzen Deern in Südafrika packte, dann zum Deiwel mit der Hütte und der Deern, mit denen mochte dann nicht viel los gewesen sein.

Er war auf Netherhill in Dienst gegangen, wie er vom Ausland zurückkam, und da waren nur zwei Töchter gewesen, Kirsty und Sarah, dieselbe, die in der Kirk die Orgel spielte. Beide waren schon nicht mehr die Jüngsten, in arger Not um einen Mann, und Kirsty war dazu noch versetzt worden, denn es hatte ganz danach ausgesehen, dass dieses Doktorenkerlchen aus Aberdeen sich mit ihr abgeben wollte. Das hatte er auch getan und hatte sie in Umständen zurückgelassen, und ihre Mutter, die alte Sinclair, die hat fast den Verstand verloren wegen der Schande, wie Kirsty zu heulen angehoben und ihr erzählt hat, was war. Das war nun gerade um die Zeit, wie die neue Dienstfrist begann, und wen brachte da der alte Sinclair vom Netherhill von der Dienstbörse mit als Chae Strachan, dem das Blut noch warm war vom Leben in ausländischen Gefilden und der selbst für die verhohlenste Ermunterung ein Äugsken hatte? Trotzdem drängte er sich nicht danach, Kirsty den Hof zu machen, und schlich bloß um sie herum wie ein Frettchen um eine Falle mit Fleischbrocken drin, ungewiss, ob der Brocken das Risiko lohnte, und unterdessen pressierte es wahrhaftig, und – herrje! – drastische Schritte standen an. Eines Abends dann, nachdem sie alle in der Küche Abendbrot gegessen hatten und der alte Sinclair noch mal zum Placken in den Kuhstall gegangen war, da war die alte Sinclairsche aufgestanden, hatte Kirsty zugenickt und gesagt: Ach, ich geh jetzt mal ins Bett. Du wirst doch auch bald schlafen gehn, Kirsty? Und Kirsty sagte: Ja, und warf ihrer Mutter einen nickeligen kleinen Blick zu, und fort war die Alte, oben in ihrem Zimmer, da fing Kirsty an, mit Chae zu schäkern und zu flirten, und er war ein Mann, der ordentlich schnell in Wallung geriet, deshalb hätte er sie im Nu schon gleich in der Küche flachgelegt, doch das wär zu unsicher, hatte Kirsty geflüstert. Also zog er seine Schuhe aus und sie die ihren, und sie krauchten die Treppe hinauf in Kirstys Zimmer und waren grad beim Pläsier, wie rums! die Tür aufging, da stand die alte Sinclairsche mit der Kerze in der einen Hand, die andere Hand in Entsetzen erhoben. Nein, nein, sagte sie, so geht es nicht, Chakie, mein Jung, jetzt musst du sie heiraten. Und da gab es keinen Ausweg für Chae, den armen Kerl, so wie Kirsty und ihre Mutter ihn anfunkelten. Also wurden sie getraut, der alte Sinclair hatte was gespart und pachtete Peesie’s Knapp für Chae und Kirsty und richtete ihnen alles ein, und da ließen sie sich nieder, und Kirstys Kind, ein Mäken, kam zur Welt, bevor noch sieben Monate um waren, gut ausgewachsen und mit allem dran, wie es sein muss, das Menschlein, so sehr seine Mutter auch schwor, es wäre ein Frühchen.

Sie hatten noch zwei Blagen danach, beide Jungs, und beide Chae ähnlich wie gespuckt, das waren die Kinder, die vom Turra Rind sangen, sobald sie den wackeren Wagen von Ellison über die Kinraddie Road rumpeln sahen, und weiß der Himmel, die brachten einen zum Lachen.

Gleich gegenüber vom Peesie’s Knapp, auf der anderen Seite der Mautstraße, da stieg das Land rot und lehmig an, und ein unebener Steinweg führte hinauf zum Gehöft von Blawearie. Raus aus der Welt und auf nach Blawearie, so hieß es in Kinraddie, und weiß der Himmel, das war ein raues Land und einsam dort auf der Höchte, sechsundfünfzig Morgen groß, längs dem Moor, das sich am Hang hoch über Blawearie zog, bis zu einer großen flachen Kuppe, da lag ein kleiner See, wo Schnepfen zu Hunderten nisteten, und manche sagten, er sei bodenlos, dieser See, und der Lange Rob von der Mühle sagte, das wär dann wohl so tief wie die Verkommenheit des Pastors. Das war arg schlimm, so von einem Pastor zu reden, obwohl Rob meinte, es sei wohl eher schlimm, so von einem See zu reden, doch da lag das Gewässer, düster und wehevoll, dicht gesäumt von Schilf und scharfem Gras, und das schrille Tschickern der Schnepfen mochte einem das Hören und Sehen verschlagen, wenn man des Abends da stand. Doch das tat kaum einer, denn dicht am See befanden sich Aufrechte Steine aus alter Vorzeit, manche gerade hingestellt und manche flach liegend, und manche standen schräg in diese und jene Richtung, und genau in der Mitte ragten drei aus dem Boden auf, schief mit ihren flachen scharfen Seiten, und sahen wohl aus, als lusterten sie da und warteten. Das waren Druidensteine, und im Volk hieß es, die Druiden, das wären arge Deiwel von Männern gewesen, damals, in der Vorzeit, da kamen sie hier hochgeklaspert und sangen ihre üblen heidnischen Lieder um die Steine herum, und wenn ihnen so ein christlicher Missionar in die Quere kam, dann stachen sie ihn ab, sowie sie seiner ansichtig wurden. Und der Lange Rob von der Mühle sagte immer, was Schottland bräuchte, das wär die Rückkehr der Druiden, aber das redete er nur so dahin, denn sie waren sicher ein ganz unkünniger Haufen und kein bisschen schlau.

Blawearie hatte seit über einem Jahr keinen Pächter mehr gehabt, doch nun sollte einer kommen, so hieß es, ein John Guthrie mit Namen, von oben im Norden. Die Ställe und Scheunen standen schmuck und dicht beieinander zur einen Seite des Hofs, der Messhocken lag dahinter, und auf der andern Seite vom Hof war das Haus, kein übles Haus fürwahr für so ein kleines Anwesen, es hatte drei Stockwerke und eine ordentliche Küche und einen ansehnlichen Streifen Garten zwischen dem Haus und dem Blawearier Weg. Buchen standen dort, drei Stück, die eine nah am Haus, und die Gartenhecke war im Sommer so dicht von Sügers, wie es sich nur wünschen ließ, und hätte es sich vom Sügersduft leben lassen, dann hätte einer den Hof sogar mit Gewinn bewirtschaften können.

Peesie’s Knapp und Blawearie nun, das waren die Gehöfte, die Richtung Stonehaven lagen. doch wenn man damals im Winter auf der Auchenblaer Straße nach Osten gegangen wäre, dann wär man zuerst nach Cuddiestoun gekommen, eine Pacht, so klein wie Peesie’s Knapp und auch so alt, ein Häuslerhof aus ganz alten Zeiten, gut eine Viertelmeile von der Straße abgelegen, und der Cuddiestouner Weg war vom Ende der Ernte bis zum Anfang des Frühlings ein einziger Schlabberwabber aus Dreck. Manch einer wollte wissen, dass der ewige Gubbel dort an Munros Hals schuld wäre, denn den kriegte man nie ganz ohne Dreck zu sehen. Andere meinten, er versuchte es erst gar nicht. Er hatte die Pacht für dreizehn Jahre, der Munro, ein Mensch, der von drunten, von Süden her war, aus der Gegend von Dundee, einsneunzig groß mochte er sein, doch schlimm trampelig um die Beine, wie ein Lamm mit Wasserkopf. Riesenpatten hatte er, die ihm irgendwie dauernd im Weg waren. Er mochte um die vierzig sein und schon kahl, die Haut rot und runzlig auf Wangen und Kinn, weiß der Himmel, einen schäbigeren Kerl hatte wohl kaum je einer gesehn, der arme Mann. Es gab wohl Schlimmere als Munro, auch wenn die vielleicht alle im Knast saßen, und bölken und strunzen konnte er, dass es jeden schnell verdross. Er bewirtschaftete sein Land mal so und mal so, dabei war der Boden nicht übel, zum größten Teil jedenfalls, es hatte auch diesen schwarzen Streifen fette Erde, der sich weiter durch die Felder vom Knapp zog, doch war die Drainage schlecht, überall gab es noch die alten Steinrinnen, und der Verwalter am Herrenhaus tat den Deiwel daran, sie zu ersetzen oder das Dach vom Kuhstall zu flicken, da tropfte es wie durch ein Sieb der Munroschen auf den Kopf, wenn sie bei Schlechtwetter abends die Kühe molk.

Doch wenn wer so von oben herab sich zu sagen erfrechte: Himmel, das ist ja ein arg mieser Kuhstall, gute Frau!, dann brauste sie sofort auf: Von wegen mies, der ist bestens für Leute wie uns, und wenn dieser Jemand, weil ers nicht besser wusste, der arme Dussel, dann zustimmte und sagte, ja, für arme Leute wärs kein übler Hof, fürwahr, dann fuhr sie ihn wieder an: Wer ist hier arm? Eins will ich dir sagen, mir hat noch nie einer helfen müssen, bloß posaunen wirs nicht im ganzen Umland herum wie manch einer, denn ich hier beim Namen nennen könnte! So würde dieser arme Jemand wohl denken, dass mans ihr auf keine Weise recht machen könnte, und sie wurde ganz schön ausgelacht in Kinraddie, allerdings nie offen und ihr ins Gesicht. Das war dünn, ihr Gesicht, und sie hatte schwarzes Haar und beißende schwarze Augen wie ein Marder, und eine Stimme, die konnte einem mit ihrem Schnerken ordentlich die Nackenhaare zum Sträuben bringen. Doch sie war die beste Hebamme weit und breit, oft genug kam es vor, dass in tiefster Nacht ein ganz aufgelöstes Mannsbild an ihrem Fenster rappelte: Frau Munro, Frau Munro, steht auf, bitte, und kommt und seht nach meiner Frau! Und mit einem Satz war sie auf und in den Kleidern, bevor einer noch einen Pfiff tun konnte, und raus gings in die Kälte der Nacht von Kinraddie, sie huschte flink wie ein Frettchen, bald bösselte und kommandierte sie schon barsch in der Küche des Hauses herum, wohin sie gerufen war, und herrschte die Frau im Kindbett an, es könnte ihr noch viel schlechter gehen, und war dabei ganz kurz und knapp und klipp. Aber das Komische an dem Mensch war doch, dass sie meinte, keiner rede schlecht von ihr, und wenn sie eine Andeutung hörte, die einer so ganz hintenrum anbringen wollte, dann wurde sie rot wie ein Rhabarberstängel im Messhocken und sah aus, als wollte sie gleich losflennen, und dann tat sie einem auf einmal leid, bis sie im nächsten Augenblick wieder Andy oder Tony ankreischte und ihnen eins hinter die Löffel gab, dass den beiden in ihren kleinen dösigen Schädeln beinah Hören und Sehen verging, den armen Deiweln.

Andy und Tony waren zwei Dösige, die hatte die Munrosche in Kost von einer Anstalt in Dundee, und angeblich waren sie nicht gefährlich. Andy war ein Karwenzmann von einem Kerl, und der Mund stand ihm immer offen, er sabberte wie ein zahnendes Fohlen, und seine Nase, die wackelte ihm hin und her im Gesicht, und wenn er was sagen wollte, dann kam nur ein krauses Gebrabbel raus. Er war der Blödere von den beiden, aber ganz schön verschlagen, manks rannte er weg, den Hügel hinauf, und dann stand er da und drehte der Munroschen eine lange Nase und schnitt ihr Grimassen, und sie kreischte ihm zu und er grölte zurück, und dann machte er sich über die Heide davon zum Hüsselhus auf Upperhill, wo die Pflugknechte ihm Zigaretten gaben und ihn dann hänselten, bis er ganz rackerich und fuchtich wurde, und einmal versuchte er, einen mit der Axt zu morden, die er aus dem Hackklotz gerissen hatte. In der Nacht schlich er sich dann zurück nach Cuddiestoun, draußen fiepste er wie ein getretener Hund und hechelte an der Tür, bis Munro die letzten Haare zu Berge standen, die er noch auf dem kahlen Dassel hatte. Aber die Munrosche, die war mit einem Satz auf und bei der Tür, packte Andy am Ohr und zerrte ihn herein, und manche Leute erzählten, sie zöge ihm die Hosen runter und versohlte ihn, aber das war vielleicht gelogen. Sie hatte keine Angst vor ihm und er hatte keine Angst vor ihr, und deshalb passten sie wohl richtig zusammen.

So ging es zu in Cuddiestoun, das waren sie alle, bis auf Tony, denn die Munros hatten nie ein eigen Kind gehabt. Und Tony, der war zwar nicht der Blödeste, aber dafür war er der Verrätschte und zwar ordentlich. Er war klein und breit und hatte ein rotes Bärtchen und traurige Augen und er ging mit gesenktem Kopf, und einer konnte recht Mitleid mit ihm haben, denn ab und an überkam eine Anwandlung das Mensch, mitten auf der Straße etwa oder auf halbem Weg auf einem langen Rübenacker, und da stand und stand er wie ein Dösel, bis einer ihn schüttelte, dass er wieder zu Sinnen kam. Er hatte weiche, zarte Hände, denn er war kein Arbeiter; die Leute sagten, er sei mal Gelehrter gewesen, und Bücher sollte er geschrieben haben, doch von all dem Lernen war ihm wohl das Gehirn ganz weich geworden, und dann hatte er klar den Verstand verloren und war in die Anstalt vom Armenhaus gekommen. Die Munrosche schickte Tony zu Besorgungen in den kleinen Laden hinter Bridge End, sie sagte ihm, was sie brauchte, ganz deutlich und einfach, und vielleicht gab sie ihm dabei auch eins hinter die Löffel, wie es bei Kindern oder Döseln so gemacht wird. Er hörte ihr zu und nickte, er hatte verstanden, und dann gings los in den Laden, und er kam zurück, und nie machte er einen einzigen Fehler. Eines Tages hatte die Munrosche ihm gerade alles gesagt, was er holen sollte, da sah sie, wie er etwas mit einem gefundenen Bleistift auf ein Stück Papier kritzelte. Sie nahm ihm das Papier ab und drehte es in alle Richtungen, aber sie wurde nicht schlau draus. Sie gab ihm eins hinter die Löffel und fragte, was er da geschrieben hatte. Aber er schüttelte bloß den Kopf, genau wie ein richtiger Dösel, und streckte die Hand nach dem Papier aus, aber die Munrosche gab es nicht her, und als es Zeit war, dass die Strachanblagen auf dem Weg zur Schule unten an der Ecke vom Cuddiestouner Weg vorbeikommen mussten, da stand sie da und gab das Stück Papier der Ältesten, Marget, der Deern, und sagte, die sollte doch die Lehrerin mal fragen, was da geschrieben stand. Und am Abend hielt sie sich schon bereit, als die Strachaner heimkamen, und sie brachten ihr einen Umschlag von der Lehrerin, darin war ein Brief, in dem stand, dass auf Tonys Papierfetzen in Stenoschrift geschrieben sei: Zwei Pfund Zucker, The People’s Journal, ein Viertel deka Senf eine Dose Rattengift und ich glaub nicht, dass ich sie um ein Groschen beschwindeln kann für was zu rauchen, die ist bestimmt die gniedschigste Alte diesseits des Tweed, hängen soll sie. Tony war am Ende vielleicht gar nicht so dösig, aber an dem Abend bekam er kein Essen, und sie fragte nie wieder, wenn er sich was aufschrieb.

Du hast dich wieder müd gearbeitet, mein JungAch wo, mir gehts gut, mach dich nicht bang … solang wie ich noch dein Jung bin, mein Mäken …