Inhalt



E. C. Tubb

Das Ereignis am Horizont

Das Titelbild fehlt!

Aus dem Englischen von
Dirk van den Boom

Atlantis



Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
März 2018


Die Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel
The Coming Event

Copyright © 1982 by E. C. Tubb
Vermittelt durch Philip Harbottle


Titelbild und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski


ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-581-5
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-585-3

Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.

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www.atlantis-verlag.de

1

Tief begraben unter der vernarbten Oberfläche einer einsamen Welt strahlten die Höhlen die beeindruckende Grandeur eines legendären Grabes aus – eines gewaltigen Mausoleums, untermauert mit massiven Säulen, die einen Schutz für die sich hochwindenden Stufen bildeten, die wiederum die glatten Ovoide umringten, ein großartiger Eindruck selbst jetzt, wo alles von Maschinen und Menschen beschmutzt wurde.

Für Meister Elge, Cyber Prime, war diese Anlage das Gegenteil eines Grabes, die Ovoide alles andere als Särge, aber die Schändung war real und er beobachtete, wie Einheiten aus ihrer Verankerung geholt, nach unten in die Arme der wartenden Halterungen getragen und automatisch fortgekarrt wurden.

Und jedes Ovoid enthielt ein Leben, ein denkendes Gehirn.

Dies war die Belohnung, für die Cyber ihr Leben opferten. Sie arbeiteten, bis sie physisch nicht mehr effizient waren, dann entledigten sie sich der Behinderung durch das Fleisch, das Gehirn wurde aus dem Schädel entfernt und in einen Container platziert, abgeschottet von jeder Gefahr und versorgt mit Nährstoffen, in Serie mit den anderen der eigenen Art zu einem Teil des großen Komplexes geschaltet, der das Herz und die Kraft der Cyclan war.

Aber jetzt wurde die Zentralintelligenz bedroht – und mit ihr die Sicherheit des Ganzen.

»Zwölf Dutzend Einheiten«, sagte Jarvet an Elges Seite. »Der gesamte Abschnitt. Wie Sie befohlen haben, Herr.«

Und wie viele vor ihnen? Elge kannte die genaue Zahl, aber selbst einer war schon zu viel. »Die Ergebnisse?«

»Bis jetzt völlig negativ.«

»Die Zahlen wurden geprüft?«

»Achtzehn zufällig ausgewählt.« Das war mehr als genug für eine repräsentative Stichprobe. Der Assistent fügte hinzu: »Ich befahl, bei zwanzig aufzuhören und Ihre Entscheidung abzuwarten.«

Der Mann konnte vorhersehen, welche das sein würde, wie Elge wusste, aber ihm oblag die letzte Verantwortung, er fällte die letzte Entscheidung.

Er wandte sich um, groß, schlank, der scharlachrote Mantel bedeckte die straff gezogenen Linien seines Körpers, durch Training und Übung gehalten auf höchstem Wirkungsgrad und ohne überflüssiges Fett. Für Elge wie für alle anderen Cyber wurde Essen als Kraftstoff genutzt, gegessen aus Notwendigkeit, nicht aus Vergnügen. Ausbildung und eine während der Pubertät durchgeführte Operation am Kortex nahm ihnen die Fähigkeit zu Emotionen.

Jarvet folgte Elge, als der einen Gang betrat, auf dem ein Laufband sie bis zu einem Labor brachte, in dem Techniker an den befreiten Ovoiden arbeiteten. Viele waren offen und zeigten ihren Inhalt und Elge sah leidenschaftslos auf die gewundenen Gehirne unter transparenten Abdeckungen inmitten der damit verbundenen Mechanismen. Komponenten, so gebaut, dass sie niemals versagen würden. Und sie hatten keine Fehler: Der Fehler lag im Gehirn.

Aber der Fehler war noch nicht gefunden.

»Nichts, Herr.« Icelus erstattete seinen Bericht. »Keine Spur von irgendwelchen fremden Bakterien oder Viren. Keine Strahlungsnarben und isotopische Akkumulation. Kein erkennbarer Gewebeverfall. Keine sichtbaren Druckzonen. Die Homochon-Elemente sind größer, aber nur innerhalb der zu erwartenden Parameter. Keine Änderung im Kortex. Wir haben nichts am physischen Zustand erkennen können, was die Verirrung erklärt.« Er fügte hinzu: »Die Ergebnisse sind wie zuvor.«

Zu jener Zeit waren Einheiten mit Feuer sterilisiert und auf ihre Atome reduziert worden, aus Furcht vor Ansteckung, und Untersuchungen waren in entlegenen Gebieten durch Techniker durchgeführt worden, die immer noch isoliert auf fernen Welten blieben. Ganze Maschinenkomplexe waren vernichtet worden – Elge kannte die Details.

»Gibt es irgendein nachvollziehbares Muster?«

»Nein. Die Gehirne sind alt und das ist das Einzige, dessen wir sicher sein können.«

»Etwaige Zusammenhänge?«

»Keine.« Icelus’ Aussage war definitiv. »Die Sache scheint zufällig zu passieren. Diese Einheiten sind jünger als die letzten, aber auch älter als die anderen zuvor. Es gibt keine Ähnlichkeit in Bezug auf den Standort oder scheinbare Anfälligkeit. Diese kommen von Bank 8, Stufe 5. Vorher kamen sie von Bank 3, Stufe 9.«

Verschiedene Höhlen und verschiedene Positionen – die Anlagen zu diversifizieren war eine elementare Vorsichtsmaßnahme gegen den Verlust durch unvorhergesehene Schäden. Aber auch das hatte hier nicht geholfen. Die Abweichung musste irgendwie inhärent sein. Aber worin lag sie?

»Ihre Befehle, Meister?« Icelus wartete. »Soll ich mit den Untersuchungen fortfahren?«

Wie oft musste er das noch wiederholen? Es gab eine Grenze, jenseits der jede weitere Anstrengung schlimmer als nutzlos wäre – Effizienz verlangte die volle Auslastung jedes einzelnen Standorts und die Techniker hatten anderes zu tun.

Elge sagte: »Terminieren.«

»Alle, Herr?«

»Alle.« Jedes Gehirn würde in einen Ofen geworfen, um durch das Feuer verzehrt zu werden, die Komponenten aufgelöst in grundlegende Elemente, die Rückstände tief in den Raum gestrahlt. Zu Jarvet sagte er: »Ordnen Sie eine Versammlung an. Ich werde den Rat in einer Stunde treffen.«

* * *

Sie saßen an einem langen Tisch, der warme Farbton ihrer Gewänder der einzige Farbtupfer in der Tristesse der Kammer. Dekel war der Erste, der das Wort ergriff, wie Elge es vorausgesagt hatte, aber die geistige Leistung gab ihm wenig Freude. Der Mann war alt, sein Verhaltensmuster klar, jeder Anfänger hätte es vorausberechnen können.

»Es handelt sich um die Zentralintelligenz?«

»Ja.«

»Sie haben neue Informationen?« Boule war schnell in seinen Angriff. »Es wird nichts gewonnen, wenn wir darüber diskutieren, was wir bereits wissen.«

Wie Dekel und der Rest war er alt, aber das war ja zu erwarten – Männer erreichten keine Macht, ohne dafür Zeit zu brauchen. Aber Alter war relativ und kleine Anzeichen verrieten, wenn die feine Grenze überschritten worden war: die heikle Balance zwischen optimaler Wirtschaftlichkeit und dem schleichenden Verfall in Richtung Senilität. Anzeichen, nach denen sie alle schauten, wenn sie Elge beobachteten. Er mit dem höchsten Amt musste ständig nachweisen, dass er dieses auch zu halten vermochte.

Therne sprach: »Aus meinem Studium der jüngsten Informationen gelange ich zu der Schlussfolgerung, dass durch weitere Untersuchungen nichts Neues bezüglich der Degeneration der Einheiten gelernt werden könnte.«

»Das stimmt. Aus diesem Grund habe ich eine Einstellung all dieser Tätigkeiten befohlen.« Elge fuhr fort: »Es ist nicht notwendig, die einzelnen negativen Ergebnisse zu beschreiben. Sie sind wie zuvor. Es ist auch nicht zu diskutieren, welche Extrapolationen voraussehbarer Folgen existieren, sollten die Degenerationen sich fortsetzen. Die Vorhersage eines internen Zusammenbruchs auf der Grundlage einer exponentiellen Kurve führt bis in die Nähe einer sicheren Katastrophe.«

Dies schien so offensichtlich, dass es keines Kommentars brauchte.

Alder fragte: »Warum sind wir zusammengerufen worden?«

»Um die Lage zu bedenken. Später werde ich von jedem von Ihnen detaillierte Pläne für ein optimales Überleben auf der Basis aller möglichen Fälle erwarten. Nun möchte ich aber das Grundproblem besprechen. Aus einer Summierung aller Erkenntnisse zu den betroffenen Einheiten ist logisch von der Prämisse auszugehen, dass es keine mechanische oder biologische Ursache für die Störung gibt. Das Gehirn ist jeweils aufgrund eines eigenen Problems betroffen, nicht aufgrund einer externen Ursache. Einverstanden?«

Boule zögerte: »Das muss nicht zwangsläufig der Fall sein. Nur weil wir keine Ursache finden, heißt das nicht, dass sie nicht existiert.«

»Richtig, aber alle Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Schutz und Überwachung sind getroffen worden.« Elge war kurz angebunden. »Ich behaupte, die Störung liegt in der Region der Psyche. Um dies zu veranschaulichen, habe ich eine Demonstration vorbereitet.« Ein Kommunikator stand auf dem Tisch vor ihm. Er aktivierte das Instrument und sprach: »Jetzt!«

Plötzlich war das Zimmer dunkel.

Es war ein vollständiges Fehlen von Licht und für einen Moment fühlte es sich für sie an, als wären sie geblendet und tief in einem Grab verscharrt worden, für Äonen von der Sonne abgeschirmt. Dann, langsam, kam Licht und mit ihm ein Bild.

Es schwebte über dem Tisch, ein dreidimensionales Hologramm mit einem männlichen, nackten Körper, versehen mit Kabeln, die aus seinem Schädel wie Ranken einer merkwürdigen und seltsam konstruierten Kreatur sprossen. Die Augen waren geschlossen, unter den ausladenden Brauen versunken, die Ohren gepolstert. Mund und Nase wurden durch eine Maske bedeckt und das Medium, in dem er schwebte, war weder Luft noch Raum.

»Wasser, erwärmt und auf dem Niveau individueller Körperwärme gehalten.« Die begleitende Stimme flüsterte durch die Kammer. »Alle Sinne werden blockiert oder abgeschaltet, um die Intelligenz vor externen Stimuli zu bewahren. Die Elektroden am Schädel übertragen die enzephalografischen Schwingungen des Kortex.«

Ein anderes Bild kam zum ersten, eine Darstellung einer schwankenden Linie mit eingezeichneten Punkten. Das Wellenmuster des Gehirns des Probanden, das alle lesen konnten.

»Totale Orientierungslosigkeit wurde in erstaunlich kurzer Zeit erreicht«, so die Stimme. »Halluzinationen folgten und führten zu einem vollständigen katatonischen Rückzug. Bitte beachten Sie die Zeta- und Lambda-Linien.« Eine Pause, dann: »Drei Stunden später.« Ein Umschalten und die Gestalt konnte mit an die Knie gezogenem Kinn gesehen werden, Arme um die Knie geschlungen. »Die klassische Fötalposition. Zwölf Stunden später, wenn aus dem Tank entfernt.«

Sie blickten auf einen Idioten.

»Genug.« Elge hatte nicht die Absicht, auf das sabbernde, leeräugige, einfältige Gemüse zu starren. Der Punkt war sicher vermittelt worden. »Das Subjekt war von geringer Intelligenz«, erklärte er. »Genutzt als Vergleich mit anderen mit einem höheren Niveau. Je höher die Intelligenz, desto mehr individuelles Bewusstsein blieb bestehen.«

Dekel sagte, »Ihr Fazit?«

»Die Störungen der Einheiten haben einen Bezug zur sensorischen Deprivation.«

Nach einem Moment sagte Boule: »Wir reden hier von Bewusstseinen, die daran gewöhnt waren, ein gewisses Maß an sensorischer Behinderung für den größten Teil ihres Lebens zu erwarten. Und muss ich Sie daran erinnern, dass bei einer Abdichtung in ihren Einheiten externe Stimuli in Form von Kommunikation mit anderen ihrer Art und Cybern bestehen? Ich finde, dass der Schlussfolgerung die Überzeugungskraft fehlt.«

Therne sagte: »Handelt es sich um eine Forderung nach der Notwendigkeit für externe Reize, habe ich auch Zweifel an der Gültigkeit des Ergebnisses. Da die Vernunft beständig bleibt, muss die Ursache woanders liegen.«

»Vernunft bleibt eben nicht«, erinnerte Elge. »Nicht in allen Einheiten zu allen Zeiten. Wenn ja, wäre es kein Problem. Sie studierten die Aufzeichnungen aus der Kommunikation mit betroffenen Einheiten – was haben Sie gefunden?«

»Wahn«, gestand Therne. »Fantastereien. Systeme der Logik basierend auf falschen Prämissen.«

»Rückzug, desorientierte Intelligenzen, die in leeren Spekulationen driften. Eine Verweigerung der Realität.« Elge sah von einem zum anderen. »Ich stehe zu meiner Schlussfolgerung.«

»Dass die Aberrationen induziert werden durch sensorische Deprivation?«

»Dass ein Zusammenhang bestehen könnte.« Elge war präzise. »Wenn es so ist, kann es notwendig werden, die bekannten Referenzrahmen wiederherzustellen. In diesem Sinne habe ich Schritte unternommen, um den Wert bestimmter Methoden zu ermitteln.« Wieder aktivierte er den Kommunikator. »Weiter.«

Dieses Mal war das Zimmer nicht schwarz, sondern farbig und Bewegung leuchtete in die Leere. Der Saal war ausgerüstet wie ein Operationssaal, mit gedecktem Grün und sterilem Weiß, mit Metall und Kunststoff und dem Glanz des Kristalls. Auf der einen Seite lag ein geöffnetes Ovoid, das Gehirn deutlich sichtbar. Im Vordergrund stand eine untersetzte Maschine in der Form eines Menschen. Eine groteske Parodie mit einem gewölbten Kopf, rundem Körper und seltsam geformten Gliedmaßen. Um beide herum arbeiteten sowohl Roboter wie auch Gehirntechniker in reibungsloser Abstimmung.

»Versuche, die Einheiten mit separaten, einsatzfähigen Körpern zu verbinden, wurden mehrmals unternommen«, erläuterte die begleitende Stimme. »Alle ohne Erfolg. Eine direkte Gehirntransplantation in einen menschlichen Körper ist nicht möglich, da die Erweiterung der Homochon-Elemente erfolgte, nachdem das Gehirn im Behälter versiegelt wurde. Der Einsatz von Ersatzkörpern wurde getestet und nach einer Kosten-Nutzen-Analyse aufgegeben. Wir werden jetzt probieren, das Gehirn auf ein mechanisches Analogon der menschlichen Form zu übertragen. Nach Abschluss der Operation und Aktivierung der Analogie wird diese zu einer Erweiterung der Intelligenz. Noch haben wir keinen großen Erfolg mit diesem Experiment gehabt.«

In der glühenden Darstellung bewegten sich Figuren im beschleunigten Tempo, Kabel und Leitungen und Klemmen verzahnten sich zu einem komplexen Netz. Einen Moment später wurde die Szene langsamer und zeigte nur noch den alleine stehenden Roboter. Wie sie sahen, rührte er sich, hob einen Arm, senkte ihn, hob ihn erneut. Dann machte er eine Pause wie ein Kind, das eine Entdeckung gemacht hat und nun über das grübelt, was es gefunden hat.

»Die erste Reaktion. Zwei Stunden später hatten wir das.« Der Arm bewegte sich wieder, wie ein Hammer, nach oben und unten, oben und unten. Die Kuppel des Kopfes bewegte sich ein wenig, der Körper kippte ein wenig, damit der Scanner, die Parodie von Augen, nach oben auf die polierte Oberfläche blicken konnte. »Dreißig Minuten später.«

Der Mann raste durch die Luft, als ein Stahlarm ungebremst in seine Brust fuhr und seine Lungen mit gesplitterten Knochen füllte. Er spuckte Blut und fiel, stolperte in einen anderen, gefolgt von einem dritten mit einem seltsam verdrehten Hals. Ein vierter, der Kopf zerstampft, fiel wie ein Stein, als der Roboter sich bewegte. Er schaukelte, drehte sich, sprang vorwärts, den massiven Arm erhoben, um ihn mit Kraft niederfahren zu lassen, das freiliegende Gehirn zu zerstampfen, indem er es in alle Richtungen zerspritzte.

* * *

In seinem Büro berührte Elge eine Kontrolle und beobachtete, wie eine Galaxie geboren wurde. Die Luft war erfüllt mit dem kalten Glitzern unzähliger schimmernder Punkte, durchsetzt mit Schleiern und Vorhängen der Lumineszenz, den dunklen Flecken interstellaren Staubs. Ein Meisterwerk der elektronischen Magie; jeder Splitter des Lichts wurde in einem Netz elektromagnetischer Kräfte gehalten, das Ganze bildete eine komprimierte Darstellung der galaktischen Linse.

Mit dieser Verkleinerung mussten Details verloren gehen: die Milliarden von einzelnen Welten, Kometen, Asteroiden, Satelliten, wandernden Planeten, Meteoriten, die driftenden Hagel von zerstörten Sonnen. Doch die Sterne waren da, und als er das Bild beobachtete, erschienen scharlachrote Flecken verstreut in der Fülle.

Die Macht der Cyclan.

Eine große Macht und doch fast unsichtbar. Jeder Fleck vertrat eine Welt, die ihre Selbstbestimmung in ihrer Abhängigkeit von den Leistungen der Cyclan verloren hatte, obwohl die Planeten sich der Falle, in der sie steckten, nicht bewusst waren. Es bedurfte keiner Armee, um einen Berg zu verschieben, es genügte die Berührung eines Steins, um zu einer Lawine zu führen. Eine Berührung kann Druck ausüben, wo es den größten Schmerz auslösen konnte, benutzte Überredung und spielte mit Lust und Gier, Neid und Hass, Zorn und Angst – all die Waffen geschmiedet durch Gefühle, die die Menschheit gegen sich selbst richtete. Die Cyclan standen abseits und manipulierten das Schicksal von in Gefangenschaft gehaltenen Welten.

Ihre Macht war versteckt, ungeahnt von den meisten, aber dennoch real.

»Herr.« Jarvet hatte das Büro betreten und sich neben den Cyber Prime gestellt; die strahlende Darstellung beleuchtete sein Gesicht und illustrierte es mit regenbogenfarbenen Flecken. »Die Berichte aus Siguri und Guptua?«

Diese Details konnten nicht außer Acht gelassen werden. Auf Siguri hatte ein betrunkener junger Narr einen Cyber bedroht, ihn geohrfeigt, eine Tat, in ihrer Dummheit noch dadurch verschlimmert, dass sie in der Öffentlichkeit getan worden war. Die physische Verletzung war gering, aber der Mann hatte ein unverzeihliches Verbrechen begangen.

Elge sagte: »Aus einer Prüfung seines Hintergrunds ergibt sich ganz offensichtlich, dass der Täter mehr Angst vor Spott als vor dem Tod hat. Befiehl den Ausfall der Ernte auf Heght. Sie bildet die Grundlage für das Einkommen seiner Familie. Verführe ihn gleichzeitig zu hohen Investitionen in die Chan-Pen-Unternehmungen. Es wird scheitern und sein Haus wird ruiniert werden. Er selbst wird ausgegrenzt und diffamiert werden.«

Dies hieß, mit einem Hammer eine Nuss zu knacken, und doch konnte keine Beleidigung eines Cybers ungestraft bleiben. Der Narr würde mit Spott und Schmach und am Ende seinem Tod durch seine eigene oder die Hand eines anderen bezahlen. Seine Familie würde ihre Würde und ihre Macht verlieren – Zahlung dafür, dass sie den einen geboren hatten, der zugeschlagen hatte. Alle würden die Einzelheiten kennen und die Cyclan fürchten. Und mit dieser Angst würde größerer Respekt kommen.

»Und Guptua?«

Eine Welt, die im Krieg zwischen zwei Brüdern lag, die um einen Thron im Niedergang rangen. Elge gab Befehle, die beide ruinieren würden und den künftigen Wohlstand der Welt fest in die Hand der Cyclan legten. Details würden durch Cyber vor Ort entwickelt, er zeichnete nur die wichtigsten Strategien, aber einige Dinge forderten seine persönliche Aufmerksamkeit.

Die Verrücktheit der Gehirne.

Sein eigenes Schicksal, sollte er keine Lösung finden.

Nequal war gescheitert und jetzt war Nequal tot und er saß auf der frei gewordenen Stelle. Diese Position wurde durch die Abstimmung des Rates besetzt und der war auf der Suche nach der geringsten Spur von Ineffizienz. Wer würde seinen Platz einnehmen, sollte er scheitern? Icelus? Nein, der Mann war zu beschränkt durch seine Hingabe an die Wissenschaft. Jarvet? Er war ein guter Diener, aber es fehlte die subtile Haltung, die einen Anführer ausmachte. Avro? Eine Möglichkeit, wie auch Marie.

Solche Spekulationen hatten keinen Platz und Elge erkannte die Gefahr. Die offensichtliche Liebe zur Macht war Grund genug für jeden Cyber, diese nicht zu erhalten, und für den Cyber Prime am meisten. Für ihn, wie für alle, mussten die Cyclan die oberste Priorität haben.

Warum hatte der Roboter das Gehirn zerstört?

Selbstmord hatte Dekel gesagt und er konnte recht haben, aber war das schon eine Demonstration des Wahnsinns? Welcher intelligente Kopf würde versuchen, sich selbst zu zerstören? Dies war eine weitere Facette des Problems, das durch weitere Experimente untersucht werden musste, und diese waren bereits im Gange.

Die dargestellte Galaxie schien sich zu erweitern, als er eine Kontrolle benutzte, Lichtpunkte strömten zu allen Seiten und malten durchsichtige Pfade des Lichts über die Roben und die Ausstattung des Büros. Als die Bewegung zum Stillstand kam, waren mehr Details sichtbar geworden: eine Sonne, Planeten, eine Welt, die mit einem leuchtenden Pfeil markiert wurde.

»Ascelius.« Jarvet schaute nicht auf den Cyber Prime. »Wo Okos irrsinnig wurde.«

Eine Erinnerung, derer Elge nicht bedurfte; ihm war das Problem bewusst. Sich auch bewusst über den Hammerschlag, den der Vorfall dem Fundament des Vertrauens auf die Effizienz der Zentralen Intelligenz beigefügt hatte.

Es war unmöglich zu sagen, welcher Teil der gigantischen Anlage von einem Cyber kontaktiert worden war, um Bericht zu erstatten. Sich entspannend aktivierte er die implantierten Homochon-Elemente mithilfe der Samatchazi-Formel und wurde, sobald er eine bestimmte Stufe erreicht hatte, eins mit der Ansammlung der Gehirne. Diese Vereinigung überstieg jedes normale Verständnis; eine Fusion, eine Zugehörigkeit, eine Gemeinschaft des Geistes. Wissen wurde ausgetauscht durch eine Form der Osmose, eine geistige Kommunikation mit unmittelbarer Geschwindigkeit durchgeführt. Dies wurde von allen Cybern aufgrund des psychischen Rausches genossen, den man danach erlebte.

Dennoch war Okos verrückt geworden.

War er von Anfang an von einem Mangel behaftet gewesen? Eine Möglichkeit, aber so abwegig, dass sie kaum ins Gewicht fiel; eine solche Schwäche wäre während seiner Ausbildung als Akolyth entdeckt worden. Die Auswirkungen äußerer Reize also? Auch hier nur eine entfernte Möglichkeit, da ein Cyber gegen die psychischen Konflikte, die normale Menschen zerstörten, immun war. Die Verrücktheit konnte ihren Ursprung nur in einer Verschmelzung gehabt haben, ein Spiegelbild des Irrsinns der mit ihm verbundenen Gehirne.

Ein Wahnsinn, der Dumarest erlaubt hatte zu entkommen.

Dieses Versagen verdiente eine harte Strafe, aber der Tod hatte den Cyber dessen enthoben und auch eine Befragung verhindert, die wertvolle Informationen hätte befördern können. Ein Verlust, darüber jedoch nachzudenken wäre eine sinnlose Verschwendung von Zeit.

Die Darstellung wurde geändert, um einen neuen Sektor der Galaxis zu zeigen, eine Region eng beieinanderstehender Sonnen und einer Vielzahl von Welten. Der Saragossa-Cluster, in den Dumarest geflohen war, um dort mit einem zufälligen Muster von Welt zu Welt zu reisen. Eine Nadel in einem Heuhaufen, aus dem er gelockt worden war.

Und er würde schon bald wieder gefangen gesetzt werden, das den Cyclan gestohlene Geheimnis wiedererbeutet, der Mann selbst in Staub verwandelt. Elge fühlte das warme Licht der geistigen Leistung, mit der er die unmittelbare Zukunft voraussah. Sobald der Affinitätszwilling in seinen Händen war, würde das Problem verrückter Gehirne gelöst werden, wenn seine Vermutungen korrekt waren. Mit bestimmten Gastkörpern stellte sich die Frage der sensorischen Deprivation nicht mehr. Hätten sich die Gehirne selbst zerstört, wenn sie den Körper eines Menschen bewohnt hätten?

Ein Teil des Ganzen; mit dem Affinitätszwilling konnte jeder Herrscher jede Person mit Einfluss eine Marionette eines beherrschenden Cybers werden. Welt auf Welt würde unter die Herrschaft der Cyclan fallen und der Große Plan würde innerhalb von Jahrzehnten anstelle von Jahrtausenden wahr werden.

Dumarest hielt den Schlüssel zu dieser Vision.

Wieder änderte sich die Darstellung und zeigte einen Splitter aus Licht vor leerem Hintergrund. Nicht eine Welt, sondern eine von Menschen geschaffene Struktur, irrelevant neben dem Großteil der Planeten.

»Zabul.« Jarvet drückte Selbstsicherheit aus. »Die Heimat der Terridae. Ein Ort, von dem Dumarest nicht entkommen kann. Cyber Lim berichtete, er sei so gut wie gefangen.«

»So gut wie?«

»Ein erster Bericht. Die Prognose war, dass er sich binnen einer Stunde auf der Saito befinden werde.«

Noch hatte Lim die tatsächliche Gefangennahme nicht berichtet. Wartete er, bis das Schiff die Gegend verlassen hatte? Hatte es eine unvorhergesehene Komplikation gegeben?

»Wenden Sie sich an die Saito. Fragen Sie bei der Zentralintelligenz, ob es weiteren Kontakt mit Lim gegeben hat. Besorgen Sie alle Daten in Bezug auf Zabul und die Terridae und legen Sie sie so bald wie möglich auf meinen Schreibtisch.«

»Herr?« Jarvet war ratlos. »Sie vermuten, dass etwas schiefgelaufen ist?«

Elge schwieg. Er dachte an Okos.