CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

 

 

Algorithmus 512

 

 

 

 

 

 

Erzählungen

 

 

 

Apex Crime, Band 7

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

John H. Dircks: ALGORITHMUS 512 (Algorithm 512) 

Gary Alexander: DER SPION MIT BINDESTRICH  (The Hyphenated Spy) 

Thomasina Weber: DER NÄCHSTE IN DER REIHE  (Next In Line) 

Mary Kittredge: MORDGEDANKEN (Father To The Man) 

William Dolan: LAUF UM DEIN LEBEN! (Run For Your Life) 

Sara Plews: DIE IDEE IST IMMER DIE LEICHE  (Murder By The Tubful) 

Bill Crenshaw: DAS PROTOKOLL (Transcript) 

Taylor McCafferty: TOMMAJEAN, TOMMAJEAN  (Tommajean, Tommajean) 

Barbara Ninde Byfield: HAUSSCHUHE AUS GLAS  (Slippers Of Glass) 

Rob Kantner: AUF OFFENER STRASSE (The Eye Went By) 

Ernest Savage: DIE SCHWESTERN (The Sisters) 

Al und Mary Kuhfeld: VERDECKTE SPUREN (An Ill Wind) 

Carroll Mayers: DER AUGENBLICK DER WAHRHEIT  (Moment Of Truth) 

Ingram Meyer: DREIMAL HOLZ (Log Jam) 

W. Glenn Duncan: WALLY, DER DUMMKOPF (Wally The Dumb) 

James Holding: EINE BOTSCHAFT VON MARSHA  (A Message From Marsha) 

Leslie Alan Horvitz: EIN SOMMER IN DER NEPTUNE STREET

(The Bay Side Of Neptune Street) 

Earle N. Lord: TAVENAAR (Tavenaar) 

Clark Howard: STRASSE INS NICHTS (Road Gang) 

Jerry Jacobson: DAS PROTÉGÉ (Protégé) 

Jack Ritchie: GESTÖRTE IDYLLE (The Value Of Privacy) 

Robert Colby: CUTLERS COUP (Another Way) 

Dick Ellis: ZEIT ZU TÖTEN (Time To Kill) 

 

 

Das Buch

 

Die Anthologie Algorithmus 512 - zusammengestellt und herausgegeben von Christian Dörge - enthält dreiundzwanzig ebenso erstklassige wie spannende Crime-Erzählungen internationaler Spitzenautoren des Genres: Storys von John H. Dirck (aus dessen Feder die Titelerzählung stammt), Gary Alexander, Thomasina Weber, Mary Kittredge, William Dolan, Sara Plews, Bill Crenshaw, Taylor McCafferty, Barbara Ninde Byfield, Rob Kantner, Ernest Savage, Al und Mary Kuhfeld, Carrol Mayers, Ingram Meyer, W. Glenn Duncan, James Holding, Leslie Alan Horvitz, Earle N. Lord, Clark Howard, Jerry Jacobson, Jack Ritchie, Robert Colby und Dick Ellis. 

  John H. Dircks: ALGORITHMUS 512 (Algorithm 512)

 

 

 

Das Restaurant, in dem ich mit Dr. Pandalius verabredet war, war stickig und überfüllt. In der Luft hing der Geruch polnischer und ungarischer Küche. Es war das typische Familienrestaurant: Papierservietten, Garderobenhaken hinter jedem Tisch und – viel zu viele Kinder.

Ich hatte Dr. Pandalius schon mehrmals im medizinischen Versorgungszentrum getroffen und daher keine Schwierigkeiten, ihn in der Masse zu finden. Er saß allein an einem Tisch und verputzte gerade mit finsterer Miene eine Portion Würstchen mit Bratkartoffeln.

Ich rutschte auf die Bank ihm gegenüber, »'n Abend, Dr. Pandalius.«

»Weiß jemand, dass Sie hier sind?«, fragte er, ohne aufzusehen. Er hatte kaum den Rhythmus seiner Kaubewegung unterbrochen. Er aß wie ein Roboter, schnitt die Wurst in dünne Scheiben und tunkte sie dann in einen Napf mit Meerrettich, bevor er sie verschlang.

»Sie hatten ja gesagt, ich solle niemandem etwas von unserem Treffen erzählen. Habe ich auch nicht. Aber wozu eigentlich dieses billige Spionage-Thriller- Getue?«

Zum ersten Mal blickte er zu mir auf. Seine Augen schienen unter den buschigen grauen Augenbrauen zu glühen. »Wie alt sind Sie, Mr. Wildish?«

»Einundvierzig.«

»Schon mal Probleme mit dem Herzen gehabt? Stiche in der Brust nach Anstrengungen? Nach den Mahlzeiten? Bei Kälte? Kurzatmigkeit, wenn Sie auf dem Rücken liegen?« Monoton ratterte er die Fragen herunter, so wie er es vermutlich einige hundert Mal in der Woche in seinem Behandlungszimmer tat.

Es war jetzt siebenundzwanzig Jahre her, dass er das medizinische Versorgungszentrum Newbury gegründet hatte. Ursprünglich war es eine Art Nachbarschaftsklinik gewesen, aber inzwischen war daraus ein gewaltiger Betrieb geworden, zu dem ein eigenes Versicherungsprogramm gehörte, der Newbury-Plan, bei dem ich beschäftigt war. Ich hatte natürlich angenommen, unser Treffen hätte etwas mit der Versicherungsabteilung zu tun. Seine Fragen über mein persönliches Befinden brachten mich ziemlich durcheinander. Ich fragte mich, ob er sie noch alle beisammen hätte.

»Mir geht's bestens«, versicherte ich. »Außerdem habe ich schon nächste Woche einen Termin für meine jährliche Generaluntersuchung.«

Er beendete seine Mahlzeit und schob den Teller weg. Seine Hände waren wie immer peinlich sauber, sahen im Übrigen aber eher aus wie die eines Mechanikers - dicke, stumpf endende Finger mit breiten Nägeln, die mehr den Eindruck von Stärke als den der Gewandtheit vermittelten. »Sagen Ihnen die Namen William Sentry und Gustave Roche etwas?«, wollte er wissen.

»Irgendwann in den letzten Wochen haben wir eine Lebensversicherung für Roche ausgezahlt.«

»Für Sentry auch. Beide waren unmittelbar vor ihrem Tod untersucht worden. Nicht ganz ungefährlich, scheint's, so eine Untersuchung.«

»Sie wollen mir wohl raten, meinen Termin abzusagen?« Mein Grinsen konnte nicht den Schatten eines Lächelns auf sein massives slawisches Gesicht locken.

»Sentry und Roche waren beide sehr reich und hatten viel Einfluss. Reaktionäre, Querulanten, Rednecks. Dass sie gestorben sind, dürfte einer Menge Leute sehr gut in den Kram gepasst haben.«

»Sie meinen das ernst, wie?«

»Ich glaube, sie sind ermordet worden, Mr. Wildish. Mit Statistiken.«

»Ich verstehe nicht.«

»Als Rod Lovat Sie damals eingestellt hat, habe ich ihn gefragt, wofür wir eigentlich jemanden brauchten, der die von uns erbrachten Leistungen noch mal durchrechnet. Er hat mir erklärt, das sei, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Sie haben Zugang zu Daten, an die nicht einmal ich herankomme, und Sie kennen sich mit Computern aus. Bei der Lösung dieses Problems sind Sie ganz auf sich gestellt. Wenn Sie nichts finden, finden Sie nichts.«

»Wollen Sie mir nicht wenigstens einen Hinweis geben?«

Statt zu antworten, bestellte er Kaffee und Kuchen für uns beide und ging zur Herrentoilette. Als ich den Kuchen verspeist hatte, rutschte ich auf meiner Bank etwas zur Seite, um die Tür zur Herrentoilette beobachten zu können. Ein kleiner Junge kam heraus und sah aus, als sollte er besser hineingehen, denn sein Gesicht hatte den gleichen Grünstich wie sein Sweater. Dann gab es einen großen Tumult. Leute liefen, Leute riefen, der Sanitäter kam und die Polizei. Einige meinten, Pandalius sei gestürzt, andere meinten er sei niedergeschlagen worden. Alle waren sich in einem einig: er war tot.

Ich hielt mich da heraus, aber schließlich musste ja jemand die Rechnung bezahlen. Ich zahlte bar, damit später niemand meine Gegenwart nachweisen könnte. Die Kellnerin hatte Pandalius mit seinem Namen angeredet, er war also offenbar regelmäßiger Gast hier. Der Mörder könnte hier auf ihn gewartet haben, ohne von unserer heimlichen Verabredung etwas zu wissen.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, fuhr ich gegen ein Uhr nachmittags ins Büro. Es war fast niemand dort, außer einer Angestellten im Computerraum, von der ich nur wusste, dass sie Janice hieß. Ich rauchte eine Zigarette, während sie Kaugummi kaute und Disketten sortierte.

»Hey, Mr. Wildish, haben Sie gehört, was mit Dr. Pandalius geschehen ist?«

»Schreckliche Sache. Haben die Terminals heute vollen Zugang zu allen Daten?«

»Ob Sie es glauben oder nicht, Dr. Pandalius selbst war nicht bei uns versichert«, sagte sie und antwortete damit mehr auf meine Gedanken als auf meine Worte. Oder auf das, was sie für meine Gedanken hielt.

Ich gab die Namen Gustave Roche und William Sentry ein. An ihre Krankengeschichte kam ich zwar nicht heran, konnte aber eine Liste von Leistungen bekommen, die von der Versicherung getragen worden waren. Sentrys Vornamen hatte ich vergessen, vier Sentrys standen auf der Liste, aber nur einer von ihnen war tot. Roche wie Sentry waren innerhalb weniger Stunden nach einer Herzoperation gestorben, beide hatten es mit den Herzkranzgefäßen. Beide waren mit einem Bypass versehen worden, den Cletus Barbault eingesetzt hatte, ein Kardiologe, der so gut war, dass selbst Leute aus anderen Staaten dem Newbury-Plan beitraten, um von ihm operiert zu werden.

Wie Pandalius schon erzählt hatte, waren beide innerhalb der letzten paar Monate im Zentrum gründlich untersucht worden. Bei der Gelegenheit wird man ihre Herzkrankheit entdeckt haben. Die Diagnose und die Entscheidung, zu operieren, waren offensichtlich durch Röntgenuntersuchungen gestützt worden, bei denen eine Flüssigkeit in die Herzkranzgefäße eingespritzt worden war. Beide Männer waren von Dr. Pandalius selbst untersucht worden.

Über das öffentliche Leben dieser beiden Männer war aus dem Computer nichts zu erfahren - nichts, was die Andeutungen unterstützt hätte, die Pandalius mir gemacht hatte. Roche war leitender Angestellter in einer Fabrik. Sentry war im Labor und in der Politik aufgetreten. Weitere Einzelheiten hätte ich dem Zeitungsarchiv entnehmen müssen, das allerdings sonntags nicht zugänglich war, jedenfalls mir nicht.

Den Morgenzeitungen am Montag zu folgen, war die Polizei davon überzeugt, dass Pandalius ermordet worden war. Sie suchten einen großen, dünnen Mann mit ungepflegten, blonden Haaren, der mit Pandalius zusammen zu Abend gegessen und seine Rechnung bezahlt hatte. Wenn es tatsächlich Mord gewesen sein sollte, standen die Chancen eins zu tausend, dass der Mörder Pandalius davon abhalten wollte, zu verraten, auf welche Weise man Roches und Sentrys Tod hinbekommen hatte. Wenn bekannt würde, dass ich mit ihm im Restaurant gesessen hatte, könnte ich der nächste auf der Liste werden.

Im Zeitungsarchiv fand ich eine Menge Material über die beiden Toten. Wie Pandalius gesagt hatte, hatten sich beide als besonders sture Esel ausgezeichnet. Roches Tod hatte für eine längst fällige Firmenfusion den Weg geebnet, der er sich vier Jahre lang entgegengestemmt hatte. Nach Sentrys Ableben war endlich frischer Wind in den Stadtrat gefahren, da dort niemand mehr auf die Art von Vorbehalten Rücksicht nehmen musste, die er vorzubringen pflegte.

Den größten Teil des Nachmittags verbrachte ich dann damit, den Aktenstapel auf meinem Schreibtisch zu ignorieren und mich genau an das zu erinnern, was Pandalius gesagt hatte.

»Mr. Bernard Wildish?« Sie standen in meinem Büro, ohne dass ich sie bemerkt hätte: zwei Polizeibeamte in dunklen Anzügen, der eine, um das große Wort zu führen, der andere, um still danebenzustehen, zuzusehen, zuzuhören und davon zu lernen.

»Ja bitte?«

Der, der mich angesprochen hatte, zeigte seinen Ausweis. Sein Name war Nolte. »Ich glaube, dass Sie sich mit Dr. Pandalius in Painters Restaurant verabredet und getroffen haben.«

»Das ist richtig.«

»Haben Sie die Verabredung veranlasst oder er?«

»Er.«

»Waren Sie privat oder geschäftlich dort?«

»Geschäftlich, könnte man wohl dazu sagen.«

»Nun, war es geschäftlich oder nicht?« Er schien mir ein im Grunde seiner Seele freundlicher Mann zu sein, der sich Mühe gab, hart zu wirken, ein eigentlich vertrauensseliger Mann, der sein Äußerstes gab, um skeptisch und zynisch zu wirken.

»Pandalius hat mich angerufen und gesagt, dass er mich sehen wolle. Ich hatte mich kaum hingesetzt, als er zur Herrentoilette ging, wo er ermordet wurde.«

»War sonst jemand bei dem Treffen dabei?«

»Nein.«

»Sind Sie auf der Herrentoilette gewesen?«

»Nein, nie.«

»Sind Sie Computerexperte?«

»Nicht direkt. Wir setzen Computer ein, um Daten zu speichern und zu analysieren. Ich bin kein Programmierer, wenn Sie das meinen.«

»Sagt Ihnen das Wort Algorithmus etwas?«

»Sicher. Ein Algorithmus entsteht durch die schrittweise Zerlegung einer Operation. So ähnlich wie bei einem Entscheidungsbaum. Bei jedem Punkt gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, Ja oder Nein zum Beispiel, so dass sich der Baum immer weiter verzweigt.«

»Haben Sie sich mit Pandalius am Samstag über Algorithmen unterhalten?«

»Nein, wieso?«

Detective Nolte nahm ein Stück Papier aus der Tasche und legte es auf meinen Schreibtisch, wobei er es mit einem Finger festhielt. Darauf stand Wildish - Painters - Sams. 19.30 - Algorithmus 512.

»Können Sie damit etwas anfangen?«

»Ganz und gar nichts.«

»Warum haben Sie sich nicht gemeldet und Ihre Aussage gemacht?«

»Worüber denn? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich mich gerade erst gesetzt hatte, als Pandalius wegging und ermordet wurde.«

»Aber es macht Ihnen wohl nichts aus, jetzt Ihre Aussage zu machen? Würden Sie mit ins Präsidium kommen?«

»Mache ich. Soll das heißen, dass Sie mich verhaftet haben?«

Statt zu antworten, grinste er und schnaubte dazu. Wir nahmen ihren Wagen.

Es dauerte länger, als ich erwartet hatte, und am Ende wurden sie unangenehm. Pandalius war nicht ausgeraubt worden, und es war ziemlich offensichtlich, dass er genauso wenig das Opfer eines mordlustigen Irren geworden war. Mein Schweigen während der ersten beiden Tage ihrer Ermittlung musste mich der Polizei verdächtig erscheinen lassen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass ich gar keine Ahnung gehabt haben sollte, was Pandalius von mir gewollt hatte. Und ich hatte zu viel Angst davor, sein Los zu teilen, als dass ich ihnen das wenige, was ich wusste, mitgeteilt hätte. Unter den gegebenen Umständen hätte eine Wiedergabe unserer Unterhaltung sich ziemlich unglaubwürdig und zurechtgelegt ausgenommen, was die Wahrscheinlichkeit nochmals erhöht hätte, die ganze Geschichte in der Zeitung wiederzufinden, wo auch der Mörder sie lesen könnte.

Hatte Pandalius dieses Restaurant vorgeschlagen? Hatte ich dort schon einmal gegessen? Hatte ich Pandalius' Bruder gekannt? Oder seine Frau? Hatte ich denn niemals privat mit ihm zu tun gehabt? Als es endlich vorbei war, hatten sie mir mehr erzählt als ich ihnen. Ihnen war ja schon bekannt, dass ich mit Pandalius im Restaurant gewesen war, aber ich hatte nicht gewusst, dass er mir etwas über Algorithmus 512 mitteilen wollte. Was das genau war, wusste ich natürlich immer noch nicht. Aber im Zusammenhang mit den Hinweisen, die er mir vor seiner Ermordung noch gegeben hatte, würde ich schon herausbekommen, was er über die beiden Todesfälle wusste oder dachte.

Den Gedanken, dass ein Computerprogramm dazu eingesetzt worden sein sollte, die beiden Männer umzubringen, hätte ich als reine Science Fiction abgetan, wenn nicht Pandalius selbst ermordet worden wäre, als er versucht hatte, mir davon zu erzählen. Und ich fühlte mich dem alten Mann gegenüber verpflichtet, seinen Hinweisen so weit nachzugehen, wie ich nur konnte, ohne selbst ausgeschaltet zu werden.

Im medizinischen Zentrum, einer sehr fortschrittlichen Institution mit speziellen Geburtsräumen, einer psychiatrischen Station, die in einem Bauernhof untergebracht war, und einem Asyl für die Todkranken, das wie eine Skihütte auf einem bewaldeten Hügel lag, von dem aus man den ganzen Komplex übersehen konnte, war ich nicht mehr als ein durchschnittliches Versicherungsmitglied und hatte keinerlei besondere Befugnisse. Aber Roche und Sentry waren hier gestorben, und hier musste ich nachgraben. Zwei ganze Nachmittage verbrachte ich damit, mit einem möglichst zielstrebigen Gesichtsausdruck über alle Flure zu laufen und ausgewähltem Personal sorgfältig überlegte Fragen über die benutzten Computerprogramme zu stellen. Am Ende des zweiten Nachmittags war mir klar, dass bei dieser Art von Nachforschung gar nichts herauskommen würde, es sei denn eine Kollision mit dem Sicherheitspersonal. Da kam es mir schon aussichtsreicher vor, einfach ein paar Tage zu warten und dann, wie geplant, zu meiner jährlichen Generaluntersuchung zu gehen. Auf diese Weise würde ich Roches und Sentrys Spuren - möglichst nicht bis in die Leichenhalle - verfolgen können, ohne jemandes Verdacht zu erregen.

Als ich mich zum Termin einfand, lief die Untersuchungsabteilung schon auf vollen Touren. Flink und energisch wie in einer gut geölten Maschinerie wurden Leute durch die Gegend gescheucht, aus einer nummerierten Station in die nächste. Bis zum Ende des Tages würden hier an die fünfzig Patienten unter Beteiligung von Ärzten, Krankenschwestern, Technikern, Angestellten - und Computern - vollständig untersucht worden sein.

Wer hier untersucht wurde, durfte wählen, ob er seine Krankengeschichte und Symptome lieber mit einem lebendigen Arzt oder mit dem Computer durchgehen wollte. Letztere sprachen gegenwärtig nicht, aber bis zum nächsten Jahr würde sich das sicher auch noch machen lassen. Sie präsentierten Fragen auf einem Bildschirm: »Sind Sie schon einmal ohnmächtig geworden? Haben Sie schon einmal Blut gehustet? Bin ich zu schnell für Sie?«, und die befragte Person musste nichts tun, als ab und zu auf eine Taste zu drücken: »Ja, Nein, Weiß nicht«, und so weiter.

Ich wollte lieber an den Computer. Ich wusste nicht genau, ob Roche und Sentry sich auch so entschieden hatten, aber es war immerhin wahrscheinlich. In den vier kleinen, gemütlichen Computerzimmern wurde der größte Teil der Befragungen durchgeführt, während unter den interviewenden Ärzten immer mindestens einer müßig herumstand. Es war mir schon klargeworden, dass so ein Krankengeschichte-Programm eine Fülle von Algorithmen in sich bergen musste. Wenn der Befragte angibt, er habe noch nie Blut gespuckt, sollte der Computer ihn möglichst mit Fragen wie: »Wann und wie oft?« verschonen. Sollte er aber angeben, ja, ich habe Blut ausgehustet, dürfte eine Unmenge spezieller Fragen zur Beantwortung anstehen.

Eine liebenswürdige, aber unpersönliche junge Frau - Angestellte? Schwester? Ärztin? - niemand trug weiß hier - führte mich an ein Terminal, schob die Versicherungsplastikkarte in einen Schlitz und erklärte mir, was ich zu tun hätte. Die Karte, auf der so etwa alles gespeichert war, von meiner Blutgruppe bis zu meinem letzten Elektrokardiogramm, sollte sicherstellen, dass meine Antworten direkt in der richtigen Datei des Hauptcomputers landeten.

Das Licht im Zimmer wurde heruntergeschaltet, damit all meine Aufmerksamkeit sich auf den bernsteinfarbenen Bildschirm richten konnte. »Guten Morgen, Mr. Wildish, und herzlich willkommen in der Untersuchungsabteilung des Newbury-Klinikzentrums.« Die ersten Fragen zielten bloß auf die Wiederholung und Aktualisierung meiner Krankengeschichte, deren Details schon im Computer gespeichert waren. All meinen Bemühungen zum Trotz, mich zu entspannen, rutschte ich auf dem Sessel herum, als sähe ich einen spannenden Fernsehfilm nach Mitternacht. Nach einer Weile wurde mir klar, was das Spannende daran war.

»Hatten Sie jemals den Eindruck, oder ist Ihnen jemals gesagt worden, dass Sie herzkrank wären? Spüren Sie nach physischer Anstrengung Stiche in der Brust? Nach den Mahlzeiten? Bei Kälte? Kurzatmigkeit, wenn Sie auf dem Rücken liegen?« Ich sah Dr. Pandalius fast leibhaftig vor mir. wie er mich über seinen Würstchenteller hinweg anstarrte und diese Fragen herunterbetete. Die Tastatur war in eine verstellbare, mit Plüsch gepolsterte Armstütze eingebaut. Ich drückte bei allen Fragen auf »Nein«. Aber so leicht war der Computer heute nicht zufriedenzustellen. »Bei Ihrer letzten Befragung haben Sie über gelegentliche Bruststiche nach den Mahlzeiten geklagt. Ist so etwas im letzten Jahr nicht mehr vorgekommen?« Die Frage erinnerte mich an das nicht zu beantwortende »Schlägst du noch immer deine Frau?«. Ich war mir absolut sicher, dass ich im letzten Jahr über nichts dergleichen geklagt hatte.

Nein, noch nie hatte ich nach dem Essen irgendwelche Schmerzen in der Brust gehabt. Der Computer war nicht zufrieden. Immer im Kreis herum ging es bei dem folgenden Zwiegespräch, in dem keine meiner Antworten mehr richtig zu sein schien. Der Ton von Frage und Antworten hielt sich gerade noch im Rahmen des Höflichen. Kein Rechtsanwalt hat je jedes Wort des Zeugen in so ein Labyrinth von Widersprüchen verwandeln können. Als der Computer schließlich zu meinen Essgewohnheiten und Verdauungsfunktionen überging, war ich schon in Schweiß gebadet und fest davon überzeugt, auf Algorithmus 512 gestoßen und von ihm besiegt worden zu sein.

Vom Terminal aus ging ich in die Umkleidekabine und betrat dann ein kleines, hell erleuchtetes Untersuchungszimmer. Ein Dr. Stere erwartete mich dort mit dem Ausdruck der Krankgengeschichte, die gerade aus mir herausgepresst worden war. Vor und während der Untersuchung sagte er wenig, aber es entging mir nicht, dass er sich meinem Herzen mit großer Sorgfalt und Vorsicht widmete. Viel später - inzwischen hatte ich ein Kardiogramm, eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs, Bluttests und eine Überprüfung meiner Sehfähigkeit, meines Gehörs und meiner Lungenfunktion über mich ergehen lassen - saß ich dann dem Arzt gegenüber, um mir die Diagnose geben zu lassen.

»Soweit sieht ja alles ganz gut aus, Mr. Wildish«, fing er an und breitete einen Stapel Berichte vor mir aus. »Weder Befragung noch Untersuchung haben etwas Auffälliges ergeben. Bloß dieses Unbehagen, das Sie manchmal nach dem Essen oder nach größerer Anstrengung im Brustkorb verspüren, macht mir etwas Sorgen.«

»Das ist nicht...«

»Ich kann mir vorstellen, dass Sie das nicht weiter beunruhigt, weil es nur selten auftritt. Aber es könnte ein frühes Warnsignal sein, und wir hätten unsere Aufgabe verfehlt, wenn wir der Sache nicht nachgingen. Ihr Ruhe-Kardiogramm ist normal, aber ich würde Sie gern noch den Tretrad-Test machen lassen, damit wir sehen, wie sich Ihr Herz unter messbarer Anstrengung verhält. Danach können wir erst entscheiden, ob es irgendeinen Grund zur Beunruhigung gibt.«

Hatte dieser redegewandte, disziplinierte junge Arzt jemals etwas vom Algorithmus 512 gehört? Mir fiel ein, dass Pandalius selbst sich offenbar eine ganze Weile hatte in die Irre führen lassen. Er hatte Roche und Sentry ja noch selbst untersucht und erst später angefangen, Verdacht zu schöpfen.

Am nächsten Nachmittag trat ich zum Belastungstest an. Obwohl ich fest davon überzeugt war, dass mit meinem Herzen alles zum Besten stand, war ich nicht sonderlich überrascht, als der Kardiologe, der den Test beaufsichtigte, mich schon nach kurzer Zeit aufhören und fast eine Stunde lang ausruhen ließ. Nach einer Weile kamen Dr. Stere und der Kardiologe gemeinsam herein und informierten mich, dass sich die Befürchtungen bestätigt hatten. Es gab keine Anzeichen für eine Schwäche meines Herzmuskels, aber es schien wahrscheinlich, dass ein oder mehrere Herzkranzgefäße verengt waren. Sie meinten, als nächstes sollte ich mein Herz röntgen lassen, wobei eine Kontrastflüssigkeit durch einen Schlauch in die Aorta gepumpt wird.

Mehr und mehr kam mir meine Erfahrung am Newbury-Klinikzentrum vor wie eine Neuinszenierung der letzten Erdentage von Roche und Sentry. Es dämmerte mir langsam, mit welch riesigem und abschreckendem Apparat ich es zu tun hätte, falls mit meinem Herzen tatsächlich alles in Ordnung sein sollte. An welchem Punkt hörte meine Rolle als Lockvogel auf, im Rahmen eines kalkulierbaren Risikos zu bleiben, und wandelte sich in selbstmörderischen Irrsinn? Ich bin kein Held. Ich sah zu, dass ich da so schnell herauskam, wie ich mein Hemd zuknöpfen konnte, und ich sagte ihnen, ich würde mich später wieder bei ihnen melden.

Unter dem Eindruck, dass es langsam eilig wurde, beschloss ich meinen nächsten Zug. Wenn sie mich aus dem Weg schaffen wollten, würden sie dafür schon noch eine andere Möglichkeit finden. Schließlich hatten sie Pandalius, der zu vorsichtig gewesen war, sich dem Algorithmus 512 auszusetzen, auch mit der klassischen Kugel ins Jenseits befördert. Aber ich hatte noch nicht genug in der Hand, um zur Polizei gehen zu können. Ich musste mir die vollständigen Datensätze der beiden Männer beschaffen, von denen Pandalius annahm, dass sie ermordet worden waren, und ihre letzten Interviews mit meinem vergleichen.

Von einem unserer Terminals im Versicherungsbüro hätte ich an die Datei herankommen können, wenn ich bloß das Zugangskennwort gewusst hätte. Aber ich kannte es nicht und wagte nicht, danach zu fragen. Inzwischen war ich nämlich soweit, dass ich jeden verdächtigte, Geistliche eingeschlossen, an diesem diabolischen Komplott von unabsehbaren Ausmaßen beteiligt zu sein. Nur eine Person, sei es im Klinikzentrum oder bei der Versicherung, hatte sich mein Vertrauen bewahrt, und zwar Pandalius, der keine weiteren Tips geben konnte.

Dennoch, vielleicht hatte er irgendwelche Notizen oder Akten hinterlassen, die mir weiterhelfen könnten. Ich verfolgte meine einzige Idee weiter und rief schließlich seine Frau an, die ich nie zuvor gesehen hatte. Ich erzählte ihr geradeheraus, dass ich der letzte gewesen sei, abgesehen von seinem Mörder, der ihren Mann lebend gesehen hatte, und fragte sie, ob ich sie besuchen dürfe. Sie war nicht gerade herzlich - warum sollte sie auch? -, aber sie war am Ende damit einverstanden, dass ich abends gegen sieben vorbeikam.

Die hellblonde Frau, die mich in Pandalius' Landhaus einließ, war sehr viel jünger als Pandalius. Mit einer ruhigen, verräucherten Altstimme bat sie mich ins Wohnzimmer und bot mir einen Drink an, den ich dankend ablehnte.

»Es tut mir leid, Sie in diesen Tagen belästigen zu müssen«, hob ich an, »aber es geht um eine Sache, die keinen Aufschub duldet. Kurz bevor er starb, hat mir Ihr Mann erzählt, dass ihm etwas in der Klinik nicht in Ordnung zu sein schien. Ich vermute, er wurde ermordet, um ihn davon abzuhalten, mir mehr zu erzählen. Ich denke, ich bin es ihm schuldig...«

»Sie waren nicht bei der Beerdigung, oder?«, fragte sie, als ob das dagegen spräche, meiner Bitte um ihr Vertrauen und ihre Hilfe entgegenzukommen.

»Nein. Dr. Pandalius und ich kannten uns kaum.«

»Und doch wollen Sie mir erzählen, dass er mit diesem Problem, oder was es gewesen sein mag, zu Ihnen gekommen ist?«

»Ja. Wie schon gesagt, ich arbeite in der Versicherungsabteilung als Statistiker. Dr. Pandalius hat offenbar gedacht, ich könnte aus meiner Position heraus Material sammeln, das seine Vermutungen erhärten oder widerlegen würde. Bis jetzt habe ich aber gar nichts finden können. Ich hatte gehofft, sie würden mir vielleicht erlauben, seine Unterlagen durchzusehen...«

Der Ausdruck in ihrem Gesicht war so entgegenkommend wie eine zugeschlagene Tür. »Darüber müssen Sie sich mit den Anwälten einigen«, sagte sie. »Die Polizeibeamten haben einen Teil von Karls Sachen mitgenommen, und bisher haben sie mir nichts zurückgebracht. Rod Lovat hat im Übrigen auch zwei Aktenkoffer mitgenommen. Vielleicht sollten Sie bei ihm Ihr Glück versuchen.«

Rodman Lovat hatte als Verwaltungschef von Pandalius' erster Klinik angefangen. Im Laufe der Jahre hatte er es zum Vizepräsidenten des Newbury-Plans gebracht und saß im Vorstand, und mein Chef war er außerdem. Ich war noch nicht soweit, dass ich zu ihm hätte gehen können. Eine Weile habe ich mich noch mit Mrs. Pandalius unterhalten, musste aber einsehen, dass ich wirklich im falschen Teich fischte, und machte mich bald wieder auf den Rückweg.

Auf dem Gästeparkplatz hinter dem Haus war es schon ziemlich dunkel. Ich hatte gerade den Schlüssel ins Schloss gesteckt, als ich bemerkte, dass jemand dicht hinter mir stand.

»Sie fahren in meine Richtung, Mr. Wildish?« Das war zugleich rau und zischend gesagt, und ich erkannte die Stimme, noch bevor die Wagentür aufging und das Licht von innen die geduckte Figur und das runde Gesicht beleuchtete. Ich hatte ihn nie anders als Hop nennen hören, aber das wird wohl ein Spitzname gewesen sein, der sich auf sein Hinken bezog. Er gehörte zum Klinikpersonal, nicht als

Arzt, sondern im Verwaltungsbereich, soweit ich wusste. Er diente als Simultan-Übersetzer für deutsch- und polnischsprachige Besucher der Newbury-Klinik, und daher kannte ich ihn.

Seine linke Hand umklammerte mein rechtes Handgelenk wie eine Rohrzange. »Rein da«, forderte er mich auf. Nur kurz ließ er mich die kleine, schwarze Pistole in seiner rechten Hand sehen. War er an dem Abend im Restaurant gewesen, als Pandalius ermordet wurde? Ich konnte mich nicht erinnern, ihn dort gesehen zu haben.

Ich fuhr los und war mir dumpf der Gefahr bewusst, die im Schatten rechts von mir auf mich lauerte. Hop machte nur den Mund auf, um mir die Richtung anzugeben. Wir verließen das im Tal gelegene Dorf, fuhren direkt auf den Mount Orange, kamen auf dem Serena Skyway heraus und hielten schließlich an einem Aussichtsparkplatz, der verlassen war bis auf ein Auto, das in Richtung Sonnenuntergang geparkt stand. Rodman Lovat saß darin. Selbst aus der Entfernung war sein mephistophelisches Profil unverkennbar, zu dem sogar ein sorgfältig gepflegter Spitzbart gehörte.

Ich parkte gleich neben ihm. Hop setzte sich auf den Rücksitz meines Wagens, und Lovat kam, um die Lücke auf dem Beifahrersitz zu füllen. »Wildish, du steckst die Nase in Dinge, die dich nichts angehen«, war das erste was er sagte. Stets tadellos gekleidet, hatte er eine spröde, überkorrekte Art, sich auszudrücken, so dass er sich selbst dann anhörte, als würde er irgendwo ablesen, wenn er im Slang sprach. »Ich weiß nicht genau, was Pandalius dir gesagt hat, bevor er starb, aber deine naseweise Art und deine Hartnäckigkeit könnten im Ernst die Existenz einer Sache bedrohen, die einfach zu groß und wichtig ist, um von einem Stümper wie dir ausradiert zu werden.«

Weiterhin starrte ich geradeaus durchs Fenster und versuchte, den Mann mit der Pistole hinter mir zu vergessen. Die Sonne warf im Untergehen ein zorniges Rot auf die Wolkenfelder am Horizont und scheckte die Dächer im Tal mit hundert Farbtönen zwischen Rot, Ocker und Gold. Ab und zu schimmerte der Fluss durch die Bäume, die schon ganz im Dunkeln lagen. Es gab kaum noch Verkehr auf dem Skyway. Ganz gelegentlich huschte mal ein Auto in meinem Rückspiegel vorüber. Die Fahrer waren offenbar zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, als dass sie sich darum hätten kümmern können, was auf einem Parkplatz am Rande der Straße vorging.

»Was bist du denn so schweigsam, Wildish?«, fragte Lovat. »Wo ist denn die ganze Neugier hin?«

Ich sagte nichts, aber er schien unter einer Art Redezwang zu stehen. Was blieb mir schon übrig, als ihm zuzuhören?

»Der Newbury-Plan«, sagte er und zog mit großer Sorgfalt die Bügelfalte an seinem rechten Hosenbein gerade, »ist für Direktoren und Aktionäre eine wahre Goldgrube. Das weißt du so gut wie jeder andere. Aber ein paar von uns haben an etwas Geschmack gefunden, das jenseits des Geldes liegt. Macht, Wildish, grenzenlose Macht - die Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen, Drähte zu ziehen und die Dinge den Gang gehen lassen, der uns gefällt. Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was für ein Material in der Patientendatei der Klinik gespeichert ist? Unter dem Eindruck professioneller Verschwiegenheit lassen selbst die größten Geheimniskrämer vor dem Arzt alle Vorsicht fallen. Und sie haben noch weniger Vorbehalte, wenn sie es bloß mit einem Computer zu tun haben. Aber der Computer ist noch nicht erfunden, der seine Geheimnisse nicht jedem preisgibt, der das Zauberwort herausfindet.

Vor ein paar Jahren haben ein Kollege und ich eine neue Möglichkeit entdeckt, das gespeicherte Material zu nutzen. Nicht für unmittelbaren finanziellen Gewinn, sondern um ein paar Leute zu nötigen, die entscheidenden Stimmen zurückzuhalten - bei einer Wahl etwa. Die Newbury-Klinik trat dabei gar nicht in Erscheinung. Es genügte ja ein kurzer Telefonanruf, in dem die Bekanntgabe politisch und sozial verheerender Geheimnisse angedroht wurde. Aus diesen kleinen Anfängen ist inzwischen ein System geworden, das Einfluss auf Entscheidungen im ganzen Staat hat, weil, wie du dir denken kannst, Macht sich sehr gut verkaufen lässt. Wir stellen sie gegen Höchstgebot zur Verfügung. Und unterdessen nehmen immer mehr die Dienste von Versicherung und Klinik in Anspruch. Es wird der Tag kommen, an dem wir Druck auf eine einflussreiche Minderheit, wenn nicht gar Mehrheit in nahezu jedem Komitee, jedem Aufsichtsrat, jeder Jury in der Stadt werden ausüben können.

Aber immer wieder gibt es Männer, die einfach zu stur moralistisch sind, um sich bestechen zu lassen, wie Pandalius, und solche, die zu dumm sind, um ihre wahren Interessen zu erkennen, wie du.«

Nur ein paar Fuß weit vom Auto entfernt blieb ein Junge stehen, dem die Fahrradkette abgesprungen war. Er hatte die Kopfhörer seines Walkman aufgesetzt. Unentwegt wand ich mich und versuchte, seinen Blick auf mich zu lenken, aber er sah in die andere Richtung. Etwas Kaltes und Hartes berührte leicht meinen Nacken.

»Habt ihr euch eigentlich schon bekannt gemacht, Klaus?«, fragte Lovat. »Klaus Hoepfring, Ben Wildish. Klaus hat ein Diplom als Elektroingenieur, aber er dürfte seine Professoren mehr gelehrt haben als sie ihn. Er kann alles bauen, außer Rosen, und alles reparieren, außer einer zerbrochenen Glühbirne.«

Der Wagen wackelte, als Hoepfring sich auf dem Rücksitz hin und her bewegte. »Eine zerbrochene Glühbirne würde schon eine Weile in Anspruch nehmen«, gab er zu. Der Junge draußen hatte seine Fahrradkette wieder angebracht und fuhr weiter.

»Klaus hat uns in die Lage versetzt, unseren Operationen eine ganz neue Dimension zu verleihen. Eines Tages wird er den Nobelpreis für seine Erfindung des Herz-Lungen-Kreislauf-Simulators bekommen. Er hat einen Monitor so programmiert, dass er die Anzeichen der verschiedenen Krankheiten nachahmt. Man benutzt das, um Medizinstudenten und Krankenschwestern zu prüfen. Klaus' Simulator hat uns ermöglicht, mit Leuten umzugehen, die moralisch ober- oder unterhalb unserer Argumente stehen.

In unserem Klinikzentrum, wie in jedem modernen Krankenhaus, wird die Behandlung zum größten Teil durch Maschinen ausgeführt. Und da alle Daten durch den Computer oder andere elektronische Geräte gehen, bieten sie sich zur Manipulation geradezu an. Es ist furchtbar einfach, einen Belastungstest anormal ausfallen zu lassen, wie du ja inzwischen bestätigen kannst, wenn man nur an den Monitor irgendwie herankommt. Es ist genauso einfach, den Eindruck eines Schocks oder Herzversagens zu erzeugen, wenn der Patient bewusstlos auf der Intensivstation oder im Ruheraum liegt. Das hat zur Folge, dass in einem fort starke Medikamente intravenös verabreicht werden, wie es das Lehrbuch vorsieht, aber mit tödlichen Folgen. Bis jetzt haben wir uns ganz auf Patienten beschränkt, denen ein Bypass eingesetzt worden ist. Das ist eine ohnehin riskante Operation, und Dr. Barbaults Ergebnisse sind so gut, dass sich für einen gelegentlichen Todesfall niemand interessiert.«

Endlich verstand ich, was Pandalius gemeint hatte, als er sagte, Roche und Sentry wären mit Hilfe der Statistik getötet worden.

»Vor der Operation wird jeder Patient einer Röntgenuntersuchung unterzogen, die eine Verengung oder Blockade der Herzkranzgefäße ergibt - dank einem unserer Mitarbeiter in der Röntgenabteilung. Das Problem, vollkommen gesunde Männer dazu zu bringen, sich auf Belastungstest und Koronararteriographie einzulassen, hat Nikki

Pandalius für uns sauber gelöst. Sie hat in der Klinik als Psychologin gearbeitet, bevor sie Pandalius geheiratet hat. Sie entwarf ein Programm mit engen Schleifen, wiederholten Nachfragen bei der Krankengeschichtsaufnahme...«

»Algorithmus 512«, sagte ich. Mein Mund war so trocken, dass ich die Worte kaum herausbrachte.

»Er hat es also gewusst. Algorithmus fünf-eins-zwei holte aus neun Männern von zehn heraus, dass sie nach dem Essen oder nach Anstrengungen Schmerzen in der Brust verspürten, das Hauptsymptom für Gefäßerkrankungen des Herzens. Ist dieses Samenkörnchen einmal in das Hirn eines Arztes gepflanzt, geht der Rest sozusagen automatisch. Er wird nicht Ruhe geben, bevor er nicht das Kardiogramm, den Belastungstest und das Koronararteriogramm in den Händen hält. Für ihn sind das ja die Grenzen der Realität, die Parameter, auf die er seine Diagnose stützen muss. Und wenn wir diese Parameter ein bisschen verändern wollen, mit einem gelegentlich irre gehenden Signal, das durch einen Draht geschickt wird, der unter all den anderen Drähten sowieso niemandem mehr auffällt, ist der Patient schon auf dem besten Weg ins Grab. Du warst auch schon auf dem Weg, Wildish, und dann bist du einfach abgesprungen. Schade. Es wäre sicher weniger schmerzhaft gewesen als das, was dir jetzt bevorsteht. Und sauberer.«

»Morgen, oder wann immer man deine Leiche finden wird, wird der Untersuchungsrichter versuchen, an deine medizinischen Daten heranzukommen. Nach einigem Hin und Her wird die Klinik sie freigeben, einschließlich einer frisch gedichteten psychiatrischen Datensammlung, in der von Depressionen und Suizidgedanken die Rede sein wird. Steig aus, Wildish. Den Schlüssel lässt du hier.«

Die Sonne war schon fast nicht mehr zu sehen. Von unten aus dem Tal blinkten Tausende von Lichtern durch den blaugrauen Nebel. Ein kalter Wind teilte meinen Mantel und pfiff um meinen schweißnassen Körper. Hoepfring nahm mich mit seinem Knochenbrechergriff am Arm und schob mich auf die Leitplanke zu. Auf der anderen Seite ging es etwa fünf Fuß auf moosbewachsenen Steinen weiter, auf die ein steiler Abgrund von hundertfünfzig Fuß folgte. Wie ein bockiges Kind hakte ich einen Fuß um die Leitplanke, aber mühelos zog Hoepfner mich darüber hinweg. Der Schuh blieb daran hängen, und am Fußgelenk war die Haut bis auf den Knochen abgeschrammt.

Verzweifelt klammerte ich mich an ihn, ohne an seine Pistole zu denken. Als ich einen letzten Blick auf Lovat warf, der noch immer ungerührt in meinem Wagen saß und zusah, bemerkte ich, dass der Junge auf dem Fahrrad zurückgekommen war. Kurz entwischte ich Hoepfring und stieß einen unartikulierten Schrei hervor. Und dann sah ich, im allerletzten Nachglühen der Sonne, dass der Radfahrer der jüngere von den beiden Detektiven war, die mich aus meinem Büro weg verhaftet und auf dem Revier stundenlang getriezt hatten. Er hatte eine Waffe in der Hand und lief an der Planke entlang; tief gebückt lief er und brüllte wie ein Besessener in ein Mikrofon, das er in seinem Mantel versteckt haben musste. Aus einiger Entfernung war eine Sirene zu hören, die näherkam. Hoepfring hörte sie auch und unternahm einen weiteren Versuch, mich hinunterzustoßen - der ihm fast geglückt wäre. Dann kroch er über die Planke zurück.

Rodman Lovat sprang mit einer Hast, die nicht sehr vornehm wirkte, aus meinem Wagen, als mit quietschenden Bremsen und knirschendem Kies der Streifenwagen aufkreuzte. Eine Weile schien alles hoffnungslos durcheinandergeraten zu sein. Hoepfring hatte im letzten Moment die Waffe weggeworfen, so dass sie zunächst ihn für das Opfer hielten. Später habe ich erfahren, dass der Detektiv, der mir das Leben gerettet hat, mich schon seit einer Woche beschattet hatte. Am Anfang war nämlich bei der Polizei der Verdacht aufgekommen, Pandalius' Frau hätte mich engagiert, ihren Mann umzubringen, und mein Besuch bei ihr hatte den Verdacht natürlich bestätigt.

Ich arbeite noch immer für Newbury-Plan, unter neuer Leitung. Aber in die Klinik gehe ich nicht mehr. Ich habe einen netten altmodischen Familienarzt gefunden, der noch mit der bloßen Hand praktiziert. Ich glaube kaum, dass er jemals etwas von Algorithmen gehört hat. Aber eine Herzkrankheit kann er bei mir nicht finden.

 

 

 

 

 

 

 

  Gary Alexander: DER SPION MIT BINDESTRICH

  (The Hyphenated Spy)

 

 

 

Auch wenn es unglaubwürdig klingt, akzeptieren Sie bitte um dieser Geschichte willen die folgenden Punkte:

1. Das Königreich von Luong existiert wirklich.

2. Es ist ein abgelegener südostasiatischer Festlandsstaat, der von China, Burma, Laos und Thailand umschlossen wird.

3. Das Königreich wurde in den fünfziger Jahren von Frankreich in die Unabhängigkeit entlassen und wird zuweilen als das vierte Protektorat in Indochina bezeichnet.

4. Es ist eine konstitutionelle Monarchie und wird von dem sechsundsiebzigjährigen Prinzen Novisad Pakse regiert, einem überzeugten Neutralisten. Er will sich in der Geopolitik nicht festlegen und benennt die Straßen seiner Hauptstadt Hickorn immer wieder nach mächtigen, ausländischen Staatsmännern um.

5. Prinz Pakses große Passion ist das Billardspiel, und einige Leute halten ihn für einen senilen Narren, aber sein Land hat es geschafft, den Zwistigkeiten zu entgehen, unter denen die Nachbarländer zu leiden hatten.

6. Das Königreich von Luong hat die Größe von Louisiana.

7. Es hat das Bruttosozialprodukt von Baton Rouge.

8. Das nördliche Hochland von Luong ist wild und bergig, die Flusstäler im Süden sind tropisch und haben eine üppige Vegetation.

9. Hickorn wurde von den Franzosen an den Ufern des Ma San- Flusses gegründet. Die Stadt ist heiß, feucht und wirkt apathisch.

10. Hickorns oberster Polizeichef, Bamsan Kiet, befasst sich mit der Aufklärung von Verbrechen und der Sicherheit der Bewohner und Besucher der Hauptstadt.

11. Polizeichef Kiet hätte es am liebsten, wenn überhaupt keine Verbrechen geschähen, aber er weiß, dass so ein Idealzustand unmöglich erreicht werden kann. Er weiß, dass er mit der gewöhnlichen Kriminalität leben muss - mit Raub und Mord und Diebstahl und Vergewaltigung. Was ihm wirklich zu schaffen macht, sind die heiklen Fälle, in die Ausländer verwickelt sind.

Vielen Dank.

 

»Sie haben wen verhaftet?«

»Einen Spion, Superintendent«, sagte Captain Binh eifrig.

Polizeichef Bamsan Kiet war gerade in seinem Büro angekommen. Sein ernster, junger Adjutant erzählte ihm etwas, das er nicht hören wollte. »Was für einen Spion? Einen Agenten oder einen Spanner?«

»Ohne Zweifel eine Agentin. Eine Amerikanerin. Sie war im Verteidigungsministerium und hat sich offenbar unvorsichtig verhalten. Sie löste einen Alarm aus. Eine Wache jagte sie nach draußen. Meine Patrouillen haben sie gefangengenommen.«

Kiet seufzte. Er war ein schwerer Mann, groß und breit, eine Seltenheit unter seinen kleinen, schlanken Landsleuten. Er war eher sechzig als fünfzig Jahre alt, kurz vor der Pensionierung. Diesen Ärger konnte er überhaupt nicht gebrauchen. »Binh. wie können Sie so schnell so sicher sein, dass dieses Individuum...«

»Susan Jacobs-Sloan, Sir. Das ist ihr Name.«

»Ja. Warum glauben Sie, dass diese Sloan eine Spionin ist?«

»Weil sie in ihrer Hand ein Abhörgerät hatte. Eine Wanze. Unsere Leute und Offiziere vom Militärischen Abschirmdienst sind jetzt dabei, das Ministerium zu durchsuchen, Superintendent. Es wimmelt dort nur so von Wanzen.«

Captain Binh hatte an der Polizeiakademie in Washington D.C. studiert. Er liebte die westliche Polizeitechnologie. Noch mehr liebte er die westliche Ausdrucksweise.

»Eine Wanze?«

»Ein Miniatursender«, erklärte Binh schnell. »Sehr leistungsfähig. Seine Signale könnten die US-Botschaft sehr leicht erreichen.«

»Wir hatten noch nie einen Spion in Luong«, sagte Kiet. »Wir haben keine Geheimnisse, für die sich irgendjemand interessiert.«

»Anscheinend doch«, sagte Binh grimmig. »Die Geräte wurden in den Telefonen und Lampen in jedem Generalsbüro und in der Fernmeldezentrale entdeckt.«

»Hat Ihre Verdächtige schon gestanden?«

»Sie streitet alles ab, Superintendent. Ich habe einen Mann losgeschickt, um den Polygraphen zu holen. Ich hoffe, dass er funktioniert.«

Kiet erinnerte sich an den Polygraphen, ein Geschenk der Sowjets, das ihnen angeboten wurde, kurz nachdem sie von den Amerikanern ein ballistisches Untersuchungsgerät bekommen hatten. Beides wurde irgendwo ungenutzt gelagert. Luong hatte dafür wenig Bedarf und noch weniger qualifizierte Techniker. Kiet stellte sich vor, wie die tropische Feuchtigkeit die Innereien des Lügendetektors angegriffen haben musste.

»Wo ist die Gefangene?«

»In der Gefängniszelle«, sagte Captain Binh. »Im Kittchen.«

»Im Kittchen«, sagte Kiet und zuckte bei dem Ausdruck zusammen. »Natürlich.«

 

Susan Jacobs-Sloan war für eine Abendländerin schön, entschied Kiet. Zu der Zeit, als attraktive, sinnliche Frauen in seinem Leben noch eine wichtigere Rolle spielten, hatte er die dunklen und kleinen vorgezogen, die die traditionellen Seidenkleider trugen, ihre Haare ordentlich hochsteckten und mit einem goldenen Käppchen bedeckten.

Jacobs-Sloan war das genaue Gegenteil. Sie war noch größer als er, und ihr blondes Haar fiel auf ihre Schultern. Sie hatte blaue Augen und trug eine Brille. Ihre Haut war so dunkel wie bei einem Luongesen, aber der Ton war eigentümlich. Wahrscheinlich war die Haut intensiv der Sonne ausgesetzt worden.

Sie trug Shorts, unter denen die längsten Beine hervorschauten, die Kiet jemals gesehen hatte. Unter ihrem knappen Oberteil war nichts als Susan Jacobs-Sloan.

»Was immer es auch ist, dessen ich beschuldigt werde, ich habe es nicht getan«, sagte sie trotzig.

»Wer sind Sie? Warum sind Sie in Hickorn und treiben sich in einem Regierungsgebäude herum?«

»Ich habe mich nicht herumgetrieben. Ich habe gejoggt, als ich hörte, dass jemand in dem Gebäude um Hilfe rief. Ich ging hinein. Eine Tür zur Straße hin war offen. Ein Mann packte mich und drehte mich um. Er legte einen Apparat in meine Hand, rannte durch die Tür nach draußen und schlug sie hinter sich zu. Die Alarmanlage fing an zu schrillen, Wachen rannten in den Raum und schrien mich an. Ich nehme an, dass ich in Panik geriet. Dann bin ich nach draußen gerannt und wurde von Ihren Männern verhaftet.«

»Wo sind Sie hingelaufen?«

»Ich bin einfach nur gelaufen. Ich laufe jeden Morgen. Ich versuche, wenigstens fünf Meilen zu schaffen.«

Kiet runzelte die Stirn. Nirgendwohin laufen? Darum würde er sich später kümmern. »Noch einmal, bitte, wer sind Sie?«

»Ich bin Studentin. Ich habe ein Visum für sechs Monate, aber es ist in meiner Wohnung. Ich schreibe meine Doktorarbeit über Luong. Sie wird Ein monarchistischer Anachronismus in der Dritten Welt heißen.«

Kiet mochte den Ausdruck »Dritte Welt« nicht. Es war für ihn so, als ob man ein Kind als Strandgut bezeichnete. »Beschreiben Sie den Mann, der Sie in das Ministerium lockte und Ihnen den Apparat gab.«

»Es war ein Luongese. Durchschnittlich groß und schwer. Ungefähr dreißig Jahre alt. Er trug eine Baumwollhose und ein weißes Hemd.«

»Ich bin mir sicher, dass uns das eine große Hilfe sein wird. Um noch einmal auf Ihren Fünf-Meilen-Lauf zurückzukommen, warum waren Sie an dieser bestimmten Stelle zu genau dieser Zeit?«

»Weil ich dann immer dort bin«, sagte sie. »Meine Wohnung ist in der Avenue Michail Gorbatschow. Ich laufe nach Osten zur Rue Ne Win, biege nach rechts ein, umrunde den königlichen Palast, laufe bis zur Rue Willie Mosconi zurück, wende mich auf der Avenue Mao Tse-Tung nach Osten...«

»Die im Süden das Verteidigungsministerium vom Park trennt.«

»Ja. Normalerweise ruhe ich mich im Park einen Augenblick aus, laufe dann nach Norden bis zum Richard Nixon Boulevard und laufe dann am Fluss entlang nach Hause.«

»Ist das immer so?«

»Fünfmal pro Woche.«

»Sie sagten, dass Sie Studentin sind. Haben Sie irgendetwas mit der Regierung der Vereinigten Staaten oder ihrer Botschaft zu tun?«

»Nein. Wirklich nicht«, sagte sie und ihre Stimme wurde weicher. »Ich bin keine Agentin, wie Ihr Captain Binh annahm. Ich bin nur eine Doktorandin. Und da wir schon über die Botschaft reden, wann kann ich mit jemandem von dort sprechen?«

»Sicher bald«, sagte Kiet. »Ich nehme an, dass sie schon benachrichtigt wurden. Ich werde dort selbst Vorbeigehen, bevor ich Ihre Wohnung durchsuche.«

Susan Jacobs-Sloan nickte. »Ich habe während meiner wissenschaftlichen Untersuchungen herausgefunden, dass man hier dafür keinen Durchsuchungsbefehl braucht.«

»Richtig.«

»Machen Sie es nur. Ich habe nichts dagegen. Sie werden nichts finden, was mich belastet.«

»Noch eine letzte Frage«, sagte Kiet. »Ihr Name wird wie bei Briten mit einem Bindestrich geschrieben, aber Sie behaupten, dass Sie Amerikanerin sind.«

»Jacobs ist mein Mädchenname. Sloan ist der Name meines Mannes. Ich behielt meinen, als wir heirateten.«

»Wo ist Ihr Ehemann?«

»Zuhause. Ich muss ihm noch über dieses Schlamassel berichten.«

»Er lässt Sie sechs Monate lang allein auf der anderen Seite der Erdkugel leben?«, fragte der verblüffte Kiet.

»Er hat mich sehr unterstützt«, sagte Susan. »Er ist Rechtsanwalt, und ich habe als Börsenmaklerin gearbeitet, als wir heirateten. Mir hat der Job aber nicht besonders gut gefallen, und ich war schon immer vom Fernen Osten fasziniert. Wenn ich promoviert habe, kann ich an der Universität unterrichten.«

»Ich werde Ihre Geschichte überprüfen. In der Zwischenzeit müssen Sie weiterhin unser Gast bleiben. Wir werden es Ihnen so angenehm wie möglich machen.«

»Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit«, sagte sie und ihre Augen wurden feucht. »Bitte, klären Sie alles auf. Ich habe nichts Falsches gemacht. Wirklich nicht.«

Bamsan Kiet sagte, dass er sein Bestes versuchen würde. Nachdem er den halben Weg zur Botschaft der Vereinigten Staaten zurückgelegt hatte, fiel ihm ein, was diese fremde und hübsche Frau war. Er las regelmäßig die Auslandsausgabe des Magazins Time. Susan Jacobs- Sloan war eine Angehörige dieser besonderen amerikanischen Spezies, die Yuppie genannt wurde.

Kiet fror in dem Wartezimmer. Wie immer funktionierte die Klimaanlage in der Botschaft wunderbar. Er fragte sich, ob sich das Personal aus Leuten aus den arktischen Provinzen Minnesota und Alaska zusammensetzte.