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Dieses Buch ist ein Transkript aus einer Original-Vortragsserie, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat. Die Vorträge sind unter dem englischen Original-Titel Hsin Hsin Ming – The Book of Nothing publiziert worden. Alle Diskurse Oshos sind als vollständige Bücher publiziert worden und auch als Audios und / oder Videos erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden Sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei: www.osho.com

Titel der englischen Ausgabe:
Hsin Hsin Ming – The Zen Understanding of Mind and Consciousness, Chap. 6-10

Ebook-Auflage © 2017

ISBN 978-3-942502-83-2
eISBN 978-3-942502-83-0

OSHO

Zwischen
Bewegung
und Ruhe

Der Zen-Weg
zu sich selbst

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Inhalt

1. Verfolgt keine Ziele

2. Das Träumen muss aufhören

3. Dein Leben im Vertrauen leben

4. Kein Selbst – kein Nichtselbst

5. Kein Gestern, kein Morgen, kein Heute

1. KAPITEL

Der große Weg ist weder leicht noch schwer,

doch die Einfältigen sind ängstlich und unschlüssig:

Je schneller sie rennen, je mehr erlahmen sie und

greifen nach jedem Strohhalm.

Wer unbedingt erleuchtet werden will, ist auf dem Holzweg.

Lasst einfach den Dingen ihren Lauf

dann hört das ewige Hin und Her auf.

Achtet das Wesen von allem (eure eigene Natur),

dann könnt ihr euch frei und ungehindert bewegen.

Wenn Gedanken geknechtet werden,

bleibt die Wahrheit verborgen, alles ist trübe und unklar.

Die Unart, alles beurteilen zu müssen,

erzeugt nur Ärger und Erschöpfung.

Welche Vorteile sollen sich durch Unterscheidungen

und Spaltungen ergeben?

Wer dem einen Weg folgen will,

darf nichts gegen die Welt der Sinne und Ideen haben;

denn nur wer sie restlos akzeptiert,

kann wahrhaft erleuchtet sein.

Der Weise hat keine Ziele, doch der Törichte fesselt sich selbst.

Es gibt nur ein Dharma, ein Gesetz, eine Wahrheit –

nicht viele; Unterscheidungen kommen daher,

dass Unwissende nach jedem Strohhalm greifen.

Das Höchste zu suchen, indem man Unterschiede macht,

ist der schlimmste Fehler.

VERFOLGT KEINE ZIELE

ES GIBT VIELE SCHÖNE DINGE IN DIESEM SUTRA – UND FÜR DEN, der sucht, nicht nur schöne, sondern auch grundlegende und wesentliche! Sosan ist nämlich kein Dichter, sondern ein Seher. Alles, was er sagt, duftet nach der Poesie des Unendlichen … doch darum geht es gar nicht.

Wenn ein Erleuchteter spricht, ist alles, was er sagt, poetisch und schön. Einfach weil er so ist, wie er ist, duftet alles, was er sagt, nach seinem Wesen. Aber darum geht es nicht. Verliert euch nicht in seiner Poesie, denn Poesie hat mit Form zu tun, die Wahrheit aber hat keine Form.

Die Art, wie Sosan sich ausdrückt, ist zwar schön und poetisch, aber lasst euch davon nicht ablenken. Lasst euch nicht von der Poesie der Bhagvadgita, der Upanishaden, der Gleichnisse Jesu ablenken. Richtig, sie haben eine wunderschöne Form, aber auf die kommt es gar nicht an. Befasst euch mit dem Inhalt, nicht mit dem Gefäß.

Für den Suchenden zählt nur der Inhalt, und den Inhalt verstehen heißt, mit ihm eins zu werden. Denn es gibt keine Wahrheit jenseits des Verstehens. Genau genommen ist bereits das Verstehen die Wahrheit. Man darf also nicht sagen, durch das Verstehen gelange man zur Wahrheit; denn außer dem Verstehen gibt es keine Wahrheit.

Das Verstehen ist mit der Wahrheit identisch. Wer versteht, ist zur Wahrheit geworden. Die Wahrheit wartet nirgendwo auf dich; vielmehr offenbart sie sich dir, indem du sie verstehst.

Diese Anweisungen Sosans gelten dem Sucher – und jedes Wort ist ausgesprochen bedeutsam.

Der große Weg ist weder leicht noch schwer

Gleich welches Ziel man sich setzt, es kann entweder leicht oder schwer sein. Es kommt darauf an, wo man ist, wie weit man es noch bis zum Ziel hat, ob eine Autobahn oder ein Trampelpfad hinführt. Ist der Weg auf der Landkarte ausgewiesen, oder muss man sich seinen eigenen Weg suchen?

Wenn es ein Ziel gibt, kann es leicht oder schwer sein – je nachdem, ob man den Weg etwa schon kennt. Kennt man ihn, ist es leicht. Kennt man ihn nicht, wird es schwer. Ist man gut zu Fuß? Ob es einem leicht oder schwer fallen wird, hängt von der eigenen Kondition ab, körperlich wie geistig.

Die Wahrheit ist aber überhaupt kein Ziel, wie also kann es leicht oder schwer sein?

Manche sagen, die Wahrheit sei sehr, sehr schwer. Damit sagen sie etwas absolut Dummes. Ihre Gegner sagen das Gegenteil: „Die Wahrheit ist leicht – völlig problemlos. Man braucht sie nur zu verstehen, und das ist ganz leicht.“ Sie sagen ebenfalls etwas Verkehrtes. Aber beide Standpunkte leuchten dem Verstand ein. Schwer? – Der Verstand ist gerissen: Er kann Mittel und Schleichwege ausfindig machen, die es einem erleichtern.

Vor dreitausend Jahren war das Reisen beschwerlich. Heute ist es kinderleicht: Man steigt einfach nur in ein Flugzeug und dann darf man ausruhen. Und kaum hat man seinen Tee getrunken, ist man schon da. Wenn das Ziel schwer ist, kann man es sich halt leicht machen …

Genau das lehrt Maharishi im Westen: Er habe eine Überschallgeschwindigkeits-Technik entdeckt. Wenn es also ein schwieriges Ziel ist, dann ist es mit einem Ochsenkarren nur unter größten Schwierigkeiten zu erreichen, aber mit einem Jumbojet ist es ein Klacks!

Aber gibt es überhaupt ein Ziel? Das ist ausschlaggebend. Wenn es ein Ziel gibt, irgendwo in weiter Ferne, kann man leichtere Verkehrsmittel, Fahrzeuge konstruieren, um hinzugelangen. Nur: Gibt es ein Ziel?

Sosan verneint diese Frage – wie also kann es ohne ein Ziel schwer oder leicht sein? Und wie könnte ein Weg zu einem nicht vorhandenen Ziel führen? Und wie kann es, wenn es kein Ziel gibt, Methoden und Techniken geben, um hinzugelangen? Ausgeschlossen! Seine Aussage, dass es weder leicht noch schwer sei, heißt: Es gibt gar kein Ziel: Der große Weg ist weder leicht noch schwer … Was meint er dann aber mit großem Weg?

Dieser große Weg ist euer Wesen – und das ist bereits da! Daher ist es kein Ziel – nichts Zukünftiges. Es ist keine Zeit erforderlich, um hinzugelangen. So seid ihr seit jeher gewesen, es ist längst da. Ihr seid am Ziel, ihr lebt im Ziel. Ihr könnt nur in ihm existieren, ihr könnt unmöglich aus ihm aussteigen.

Soviel ihr auch wandern mögt, ihr könnt es nicht abschütteln. Wohin ihr auch geht – euer Tao kommt mit. Es ist euer eigentliches Wesen. Es ist unentbehrlich, ihr könnt es nicht ablegen und vergessen. Ihr seid bereits da, denn dieses da ist hier. Ihr braucht es nicht in der Zukunft zu suchen – seid einfach nur hier und ihr findet es.

Sucht es, und ihr werdet es verfehlen. Sucht nicht, seid einfach, und es ist da. Und ihr werdet lachen, denn es ist seit jeher da gewesen – nur weil ihr es gesucht habt, war es nirgends zu finden. Nur weil ihr es immer so eilig hattet, konntet ihr nie nach innen schauen.

Der große Weg ist weder leicht noch schwer,

doch die Einfältigen sind ängstlich und unschlüssig:

Je schneller sie rennen, je mehr erlahmen sie und

greifen nach jedem Strohhalm.

Wer unbedingt erleuchtet werden will, ist auf dem Holzweg.

Lasst einfach den Dingen ihren Lauf

dann hört das ewige Hin und Her auf.

Du bist der Weg und du bist das Ziel, und zwischen dir und dem Ziel ist kein Abstand. Du bist der Sucher und du bist das Gesuchte; es ist kein Abstand zwischen dem Sucher und dem Gesuchten. Du bist der Anbeter und du bist das Angebetete. Du bist der Jünger und du bist der Meister. Du bist das Mittel und du bist der Zweck: Dies ist der große Weg. Er war seit jeher in Reichweite. In diesem Moment seid ihr in ihm. Wacht auf, und ihr seid drin. Selbst im Schlaf bleibt ihr drin. Aber weil ihr schlaft, könnt ihr das nicht erkennen. Und dann fangt ihr an zu suchen.

Ihr seid wie ein Säufer, der vor seiner Haustür steht und sich nach etwas erkundigt, was direkt vor ihm ist. Denn eure Augen sind benebelt – sie sind zu voll von Meinungen und Wertungen, von Begriffen und Theorien. Darum ist eure Sicht verschwommen, denn bei genauerem Hinsehen habt ihr das Gesuchte direkt vor euch.

Die Hindus kennen da eine Methode: der Blick auf die eigene Nasenspitze! Setz dich einfach nur still hin und schau auf deine Nasenspitze. Die Leute werden dich auslachen und fragen: „Was soll der Unsinn? Wozu soll das gut sein?“ Aber sie wissen halt nichts. Den Hindus zufolge ist euch die Wahrheit so nah wie eure eigene Nasenspitze! Seid still und seht auf eure Nasenspitze und verliert euch nicht in Gedanken. Und plötzlich ist sie da – so wie die eigene Nasenspitze: immer direkt vor euch.

Und das ist das Schöne an der Nasenspitze: Wohin man auch geht, sie ist immer vorne. Egal ob du auf dem richtigen oder falschen Weg bist, sie ist immer da. Ob du ein Sünder oder ein Heiliger bist: Sie ist immer vorne. Man kann machen, was man will – etwa einen Kopfstand wie die Yogastellung Sirshasan – die Nasenspitze ist immer vorne. Schlaf ein, sie ist da; wach auf, sie ist da. Darum der Blick auf die eigene Nasenspitze. Denn egal was man macht, man kann sie nirgendwo anders hintun als da vorne. Bei jeder Bewegung geht sie mit. Der Blick auf die eigene Nase bedeutet: Begreife, dass du die Wahrheit direkt vor der Nase hast. Wohin du auch gehst, sie kommt mit. Da du sie nicht verlieren kannst, brauchst du sie auch nicht zu suchen. Um dich zu vergewissern, dass sie noch da ist, sieh einfach hin. Normalerweise sieht niemand auf seine Nasenspitze, da man immer woandershin sieht, sich für andere Dinge interessiert; wer will schon wissen, ob seine Nasenspitze da ist!

Die Hindus haben da noch eine andere schöne Theorie: Ihnen zufolge muss jemand, der anfängt, immerzu seine Nasenspitze zu sehen, bald sterben; er wird binnen sechs Monaten sterben. Wem seine eigene Nasenspitze ständig die Sicht versperrt – bei allem, was er tut, gerät sie ihm in den Blick! –, der wird binnen sechs Monaten sterben.

Das kommt nicht von ungefähr; denn man bemerkt seine Nasenspitze erst, wenn alle Wünsche, alle Wunschobjekte sinnlos geworden sind. Man hat keine Energie für Wunschdenken mehr, denn der Tod rückt näher. Man ist völlig schlapp, alle Vitalität ist verebbt. Die Augen werden langsam starr, man kann keinen Wünschen und Zielen mehr nachrennen. Im letzten Moment bleibt einem nur noch der Blick auf die Nasenspitze. Dies ist die eine Bedeutung.

Und die andere, tiefere Bedeutung ist: Sobald man die eigene Nasenspitze sieht, ist man für diese Welt gestorben. Eine neue Geburt steht an, denn jetzt steht ihm klar vor Augen, was mit Händen zu greifen war: Diese Welt, dieses Leben ist vergänglich. Für sein altes Dasein ist er schon tot. Er ist ein neues Wesen – wiedergeboren. Jetzt hat das Hin und Her ein Ende.

Wie? Er ist angekommen… einfach indem er auf seine Nasenspitze geblickt hat? Ja, schließlich geht es nur darum, nach vorn zu blicken statt wegzusehen. Denn die Wahrheit steht vor dir, es kann gar nicht anders sein!

Sie ist weder leicht noch schwer. Dazu ist keine Mühe erforderlich, wie also kann sie leicht oder schwer sein? Es kommt aufs Erwachen an, nicht auf Mühe. Dazu braucht man keinen Finger zu rühren.

Wer etwas macht, verfehlt es, denn dann ist er ein Macher. Und was immer man auch macht, ist entweder leicht oder schwer. Es kommt darauf an, gar nichts zu machen; und das kann weder leicht noch schwer sein, damit betritt man eine vollkommen andere Welt, in der man nur ist! Wie kann das Sein leicht oder schwer sein? Da ist man halt. Das ist der große Lebensweg. Es geht einzig und allein darum, endlich zu erkennen und die eigene Nasenspitze zu sehen – einfach nur mit klaren Augen nach vorn zu sehen.

… doch die Einfältigen sind ängstlich und unschlüssig:

Je schneller sie rennen, je mehr erlahmen sie …

Es mag widersprüchlich klingen, aber das trifft auf jeden zu. Das trifft auch auf euch zu. Je eiliger ihr es habt, desto langsamer kommt ihr voran. Warum? Weil ihr nicht nach vorne schaut… dorthin, wo das Ziel liegt! Je schneller ihr rennt, desto schneller verirrt ihr euch.

Was eure Geschwindigkeit betrifft, seid ihr schnell; aber was das betrifft, was euch dabei entgeht, seid ihr langsam. Je schneller ihr seid, desto langsamer. Bleibt einfach dort, wo ihr seid – genau hier. Und schon seid ihr am Ziel. Ihr braucht weder Raum noch Zeit zu überwinden. Bleibt einfach hier. „Hier und Jetzt“ sei euer Mantra, und sonst braucht ihr nichts. Seid jetzt und hier. Geht nirgendwohin, ob schnell oder langsam.

Folgende Geschichte…

Ein kleiner Junge kommt wie immer viel zu spät zur Schule. Die Lehrerin schimpft ihn aus: „Was! Schon wieder? Und heute sogar noch später als sonst! Wie oft hab ich dich schon ermahnt, aber du hörst ja nicht zu!“

Der Junge erwidert: „Wenn Sie wüssten, wie es da draußen regnet! Die Straße ist schon so rutschig, dass man bei jedem Schritt vorwärts zwei Schritte zurückrutscht. Je schneller ich rannte, desto später wurde es. Es ging mehr rückwärts als vorwärts!“

Die Lehrerin kontert: „Du bist sehr clever! Nur: wie hast du es dann bis hierher geschafft?“

Der Junge darauf: „Ich bin einfach wieder nach Hause gegangen. So ging’s dann.“

Ihr seid ebenfalls auf einer rutschigen Straße unterwegs. Denn je schneller ihr rennt, desto langsamer kommt ihr voran – weil ihr weggeht. Was das Ziel betrifft, könnt ihr noch so schell rennen, ihr entfernt euch von ihm. Euer Tempo ist gefährlich: Es führt weg vom Ziel. Außerdem braucht ihr euch gar nicht so zu beeilen: Haltet einfach an und öffnet die Augen!

Es kommen Leute zu mir, die fragen: „Wann werden wir endlich erleuchtet? Wann?“ Wenn ich sage: „Jetzt!“, sehen sie mich ungläubig an. Ich wiederhole: Jetzt.

Falls ihr dieses Jetzt verpasst, dann eben ein anderes – aber immer jetzt. Es gibt keine andere Zeit. Wann immer es geschieht, wird es im Jetzt geschehen, und wann immer es geschieht, es wird im Hier geschehen. Hier und jetzt sind nicht zwei Wörter, so wie Raum und Zeit nicht zwei Wörter sind. Einstein prägte einen neuen Begriff: Raumzeit. Er machte ein Wort aus zweien: Raumzeit, denn er bewies wissenschaftlich, dass die Zeit nur die vierte Dimension des Raums ist und folglich nicht zwei Wörter nötig waren.

Genauso wenig, wie hier und jetzt nicht zwei Wörter sind. Jahrtausende vor Einstein haben Mystiker wie Sosan dies bereits gewusst. Es muss now-here heißen. Man muss aus beiden Wörtern eines machen; denn sie sind eins: Das now ist nur eine Dimension des here, seine vierte Dimension. Nowhere ist ein Wort – und es bedeutet nirgendwo! Und egal wann es geschieht: Es wird im Jetzthier geschehen, im now-here, also im nowhere, im Nirgendwo. Und wozu warten, wenn es jetzt gleich geschehen kann? Doch ihr seid unschlüssig und ängstlich – daher das Problem.

Was bedeutet Ängstlichkeit? Was spielt sich in einem ängstlichen Menschen ab? – Er will es wohl, aber will es auch nicht. So ergeht es dem Ängstlichen: Einerseits will er aufbrechen, andererseits will er nicht aufbrechen, weil er Angst hat. Er möchte zwar, ist sich aber nicht sicher… unschlüssig.

Jesus spricht immer wieder von Angst – als Gegenteil des Glaubens. Er benutzte nie Unglaube oder Misstrauen als Gegenteil von Glaube. Für ihn war das Gegenteil von Glaube die Angst. Er sagte: „Nur wer keine Angst hat, wird zum Glauben finden.“ Denn Glaube ist ein Entschluss. Glaube ist eine Entscheidung, und zwar eine endgültige Entscheidung. Man lässt sich rückhaltlos auf ihn ein, man vertraut ohne Vorbehalt, bedingungslos. Das ist unwiderruflich. Wer soll es widerrufen, wenn man sich restlos drauf eingelassen hat?

Ein Glaube ist absolut: Wer sich drauf einlässt, lässt sich drauf ein. Man kann es nicht rückgängig machen – wie soll das gehen? Wer einmal drin bist, für den gibt es kein Zurück. Wer soll zurückkommen? Es steht keiner hinter dir, der dich zurückholen kann. Es ist ein Sprung in den Abgrund, und Jesus trifft es genau, wenn er die Angst als das Gegenteil des Glaubens identifiziert. Niemand anders hat das je getan. Doch er hat absolut recht; denn er spricht nicht die Sprache der Welt, sondern die Sprache des Wesentlichen.

Es ist also die Angst, die euch nicht erlaubt, euch auf den Glauben einzulassen – und wohlgemerkt kein Unglaube. Nicht der Unglaube hindert euch daran, euch auf den Glauben einzulassen, sondern die Angst. Ihr rationalisiert freilich euren Unglauben, eure Angst; ihr vertuscht sie mit schönen Worten und sagt: „Da bin ich skeptisch, ich bezweifle das. Wie kann ich diesen Schritt tun, wenn ich nicht restlos überzeugt bin?“

Doch seht mal tief in euer Inneres, und ihr werdet auf Angst stoßen. Angst heißt: Zur Hälfte willst du es wagen, aber die andere Hälfte will es nicht. Die eine Hälfte fühlt sich vom Unbekannten angezogen, hat seinen Ruf, seinen Lockruf vernommen, und die andere Hälfte hat Angst vorm Unbekannten und klammert sich ans Bekannte. Denn das Bekannte kennt man, es macht keine Angst.

Man hat einen Job; damit kennt man sich aus. Wenn man sich aber verändern will – in einen neuen Job, eine neue Lebensweise, neue Gewohnheiten wechseln will, sich neu erfinden möchte, klammert sich die eine Hälfte ans Bekannte und sagt: „Bleib, wo du bist! Wer weiß, es mag auch schlimmer werden. Und wenn du’s getan hast, gibt’s kein Zurück.“

Diese Hälfte sagt also: „Halt fest!“

Diese Hälfte gehört der Vergangenheit an, denn die ist bekannt – als Erinnerung. Doch die andere Hälfte ist immer auf dem Sprung, fühlt sich berufen, zu neuen Ufern aufzubrechen, sich ins Unerforschte zu wagen – denn alles Neue verheißt Ekstase. Daher die Angst. Man ist gespalten. Angst spaltet euch, und wer gespalten ist, weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Man setzt einen Fuß ins Unbekannte, der andere Fuß bleibt im Vergangenen, im Grab der Vergangenheit. Und dann steckt man fest, denn mit nur einem Bein, einem Fuß kommt niemand weiter. Dazu sind alle beide nötig – deine beiden Flügel, deine beiden Seiten. Nur so kommst du voran.

Wer unschlüssig ist, steckt fest – und alle stecken fest. Das ist das Problem, daher die Angst. Wer feststeckt, kommt nicht voran, aber der Strom des Lebens geht weiter. Du aber bist wie versteinert, gelähmt, ein Gefangener der Vergangenheit …

… doch die Einfältigen sind ängstlich und unschlüssig:

Je schneller sie rennen, je mehr erlahmen sie …

Ihr ganzes Leben ist widersprüchlich. Was die eine Hand tut, macht die andere Hand gleich wieder kaputt – unschlüssig. Einerseits liebt man jemanden, doch andererseits hasst man ihn auch. Einerseits weckt man Liebe, andererseits sät man den Hass. Und nie kommt man sich auf die Schliche.

Erst gestern Abend sprach ich mit jemandem über ein verborgenes Kloster in Bokhara. In diesem Kloster hat Gurdjieff mindestens sechs Jahre verbracht. Viele von seinen Techniken gehen auf diesen Sufi-Orden zurück. Eine dieser Sufi-Techniken wird dort noch heute benutzt. Es ist eine sehr schöne Technik: Jeder, der in dieses Kloster eintritt, dort Schüler wird, bekommt ein Täfelchen um den Hals gehängt, auf dem steht: „Ich bin negativ, nimm mich bitte nicht ernst…“ Mit anderen Worten: Wenn ich etwas Falsches sage, meine ich nicht dich. Denn ich bin negativ, bis oben hin voller Hass, Wut, Depressionen. Und alles, was ich mache, entspringt meiner Negativität… hat also nichts mit dir zu tun. Auf der Rückseite des Täfelchens steht: „Ich bin positiv, ich bin liebevoll, anhänglich: Nimm mich bitte nicht ernst…“ Wenn ich sage, dass du schön bist, meine ich nicht dich – ich bin einfach nur high.

Und jedes Mal, wenn seine Stimmung umschlägt, dreht er das Täfelchen um, damit die richtige Seite vorn ist – je nachdem, wie er sich gerade fühlt. Und das bewirkt vieles, weil keiner ihn ernst nimmt! Wenn er negativ ist, lachen alle nur.

Wenn irgendwem übel wird und er sich erbricht, na und? Er besudelt euch ja nicht, er tut euch damit ja nichts an. Er muss etwas ausspucken – etwas, was ihm zu schaffen macht.

Und sobald der Novize nicht mehr gespalten ist und er zum Meister kommt und sagt: „Ich bin weder das eine noch das andere; ich bin weder negativ noch positiv… Das war einmal, jetzt aber setze ich alle beiden Flügel zum Fliegen ein – jetzt bin ich aus einem Guss!“ Und erst dann wird ihm das Täfelchen abgenommen.

Sobald ihm das Täfelchen abgenommen wird, ist er erleuchtet. Dann ist er heil und ganz. Bis dahin widerspricht er sich ständig und ist todunglücklich und fragt sich: „Was ist nur mit mir los?“ Gar nichts ist mit dir los! Mit der einen Hand tust du Gutes, und im selben Moment machst du es mit der anderen Hand wieder kaputt – zerstörst du augenblicklich das Gute, womit die andere Hand vorgeprescht war. Und warum? Weil du unschlüssig bist, gespalten bist.

Eine Seite von euch klammert sich an die alten Gewohnheiten, eine andere Seite will ins Unbekannte aufbrechen. Einerseits wollt ihr an der Welt festhalten, andererseits wollt ihr sein wie ein Vogel, der sich zum unbekannten Himmel des Göttlichen aufschwingt oder zum göttlichen Kern der Schöpfung. Dann steckt ihr fest.

Versucht, dies zu erkennen.

Das fällt euch nur darum so schwer, weil ihr noch nie versucht habt, es zu erkennen – denn an sich ist das keineswegs schwer. Es ist weder schwer noch leicht. Erkennt einfach, was ihr euch selbst und anderen antut. Alles Halbherzige stürzt euch ins Unglück. Wer feststeckt, der stürzt, und zwar in die Hölle. Die Hölle ist ein Ort für Steckengebliebene, und der Himmel ist ein Ort für alle, die sich bewegen, die nicht tiefgefroren sind. Die Hölle ist ein Ort ohne Freiheit; im Himmel herrscht Freiheit.

Die Hindus nennen das Allerhöchste Moksha – was „absolute Freiheit“ heißt. Niemand steckt fest, egal wo: frei dahintreibend wie ein Fluss, ein Vogel im Flug, ringsumher der endlose Himmel, an nichts gebunden …

Je schneller sie rennen, je mehr erlahmen sie

und greifen nach jedem Strohhalm.

Und vergesst nicht: Sobald ihr euch an etwas klammert, ist das ein großes Problem. Es kommt nicht darauf an, woran ihr euch klammert. Daher sagt Sosan: Ihr Klammern kennt keine Grenzen. Es beschränkt sich nicht nur auf diese Welt, auf diesen Köper und seine Sinne und Freuden. Man kann sich auch an die Erleuchtung, an Gott klammern, man kann sich an die Liebe, an Meditation und ans Beten klammern. Und wer klammert, steckt wieder fest.

Klammert euch an gar nichts, bleibt frei und beweglich. Je mehr ihr euch bewegt, desto näher kommt ihr euch selbst. Wenn ihr euch nur noch bewegt, eure Energie nirgends mehr feststeckt, klopft die Wahrheit an eure Tür. Sie hat seit jeher angeklopft, ihr aber stecktet fest und habt nichts gehört. Dabei sitzt sie direkt vor euch, auf der eigenen Nasenspitze!

Selbst wer erleuchtet werden will, ist auf dem Holzweg.

Dann wird das zum Problem. Wer immerzu denkt: „Ich muss unbedingt zur Erleuchtung gelangen!“, der hat ein Problem. Man kann gar nicht zur Erleuchtung gelangen, sie kommt von sich aus. Sie ist keine Leistung, und dem Ehrgeiz wird sie allemal verwehrt.

Man mag anfangs nach weltlicher Macht streben und danach Macht im Jenseits anstreben. Man mag erst weltlichen Reichtum anstreben und dann jenseitigen Reichtum anstreben – aber man bleibt derselbe, und alles, was man denkt, ja die ganze Grundeinstellung bleibt dieselbe: Erlangen! Erreichen! Derselbe Ego-Tripp. Ehrgeiz und Ego sind dasselbe.

Ankommen wird nur, wer nichts leisten will, wer einfach nur mit dem zufrieden ist, was da ist, egal wo, wer einfach nur selig ist, so zu sein, wie er ist. Er hat kein Ziel. Er will nirgendwohin. Er bewegt sich zwar, aber nicht auf ein Ziel zu. Er bewegt sich, weil er Soviel Energie hat, und nicht, weil er auf etwas aus ist – er bewegt sich unmotiviert. Freilich, er kommt ans Ziel – doch das steht auf einem anderen Blatt, das spielt keine Rolle.

Ein Fluss entspringt im Himalaja: Er will nicht zum Meer, er kennt das Meer nicht, weiß nicht, wo es ist, und so ist ihm das Meer völlig egal. Einfach nur dies Plätschern durch den Himalaja ist ein so herrliches Lied, an Gipfeln und Schluchten vorbei, an all den Bäumen vorbei, hinab zur Ebene, zu den Menschen. Einfach so dahinzuströmen ist herrlich! Und jeder Augenblick dieser Bewegung ist herrlich – denn das ist sein Leben.

Und der Fluss hat keinerlei Ahnung von einem Ziel oder einem Meer – darum geht es ihm gar nicht. Und ginge es ihm darum, wäre der Fluss im selben Schlamassel wie ihr. Dann würde er überall anhalten und nachfragen: „In welche Richtung? Nach Norden oder Süden? Oder besser nach Osten oder Westen? Wo muss ich hin?“

Und wohlgemerkt: Das Meer ist überall. Es ist völlig egal, ob man nach Norden oder Osten oder Westen geht: Das Meer ist überall, das Meer umschließt euch. Wohin ihr auch geht, es liegt immer vor euch; geht hin, wo ihr wollt – es spielt keine Rolle.

Fragt nicht nach dem Weg, fragt lieber, wie man sich erst mal in Bewegung setzt. Fragt nicht nach dem Ziel, denn das steht nicht fest. Aber egal wo ihr hingeht, geht tanzend! Ihr werdet ganz von selbst zum Meer finden. Das gilt für kleine Flüsse, das gilt für große Flüsse, sie alle finden hin. Ein kleiner Bach – man kann sich nicht vorstellen, wie ein so winziges Bächlein zum Meer finden soll –, aber es findet hin.

Klein oder groß, das spielt gar keine Rolle. Die Existenz ist jedem grenzenlos zugeneigt, egal ob er groß oder klein ist. Kleine Bäume blühen, große Bäume blühen. Auf das Blühen kommt’s an! Und wenn ein kleiner Baum aufblüht, freut der sich genauso sehr wie ein großer Baum, wenn er aufblüht. Beide empfinden genau dasselbe Glück. Das Glück richtet sich weder nach der Größe noch nach der Menge. Es ist eine Eigenschaft deines Seins. Ein kleiner Fluss ergießt sich ebenso tanzend ins Meer wie ein großer Fluss.

Macht einfach daraus kein Ziel; sonst geht es, je eiliger ihr es habt, desto langsamer voran. Und je mehr ihr es erreichen wollt, desto mehr steckt ihr fest: denn desto ängstlicher werdet ihr. Dann packt euch die Angst, das Ziel zu verfehlen, verkrüppelt euch die Angst, es nicht zu erreichen, lähmt euch die Angst, euch zu verirren. Ohne Ziel gibt es auch keine Angst.

Vergesst nicht: Angst ist zielgerichtet. Wenn es nirgendwo hingeht, habt ihr auch keine Angst. Ihr könnt nichts verfehlen, ihr könnt nicht scheitern – wovor also Angst haben? Angst ist die Möglichkeit, ein Versager zu sein. Worauf beruht denn diese Möglichkeit zu scheitern? Doch darauf, dass man ein Ziel verfolgt – dass man immer sein Ziel vor Augen hat!

Es kommen Leute zu mir und sagen: „Seit drei Monaten meditieren wir nun schon, aber es ist nichts passiert.“ Woher denn auch – denn ihr wartet ja drauf! Ihr könnt nicht warten, bis es so weit ist, weil euch schon das Warten innerlich überfordert: Ihr seid angespannt.

Entspannt euch! Wenn ihr nicht mehr da seid, ist es so weit. Es wird nie und nimmer euch geschehen – da es erst dann geschieht, wenn euer Boot leer ist, wenn euer Haus geräumt ist. Denn es geschieht erst dann, wenn ihr tanzt, aber kein Tänzer da ist. Erst wenn ihr beobachtet, aber kein Beobachter da ist, wenn ihr liebt, aber kein Liebender da ist, wenn ihr spazieren geht, aber kein Spaziergänger da ist, dann geschieht es.

Ihr dürft nicht warten, euch nicht anstrengen, euch kein Ziel setzen, sonst wird sogar noch die Erleuchtung zur Knechtschaft! So ist es unzähligen Menschen im Osten ergangen. Millionen von Menschen nehmen Sannyas – sie werden buddhistische Bhikkhus oder hinduistische Sannyasins, sie ziehen sich in die Klöster zurück und stecken dort dann fest. Das ist der einzige Unterschied. Wenn sie dann zu mir kommen, sind sie genau wie alle anderen auf der Welt. Ob sie nun in der Marktwirtschaft oder in einem Kloster festsitzen, ob man draußen in der Welt scheitert oder im Kloster scheitert, ist völlig egal. Nur fragt sich niemand, wieso sie gescheitert sind. Jeder führt sein Scheitern selbst herbei: Wer sich ein Ziel setzt, ist zum Scheitern verurteilt.

Letzten Endes ist der Ehrgeiz das Hindernis – das größte Hindernis überhaupt. Seid einfach nur da: Dann offenbart sich das Allerhöchste von selbst. Die Entscheidung liegt beim Allerhöchsten … es ist sein Problem, nicht eures. Überlasst es ihm, er weiß es am besten. Lasst es Gottes Problem sein, mag er sich den Kopf darüber zerbrechen! Macht euch keine Sorgen – genießt euer Leben, solange es währt. Tanzt und singt und seid ekstatisch und überlasst Gott die Sorgen. Wieso macht ihr euch Sorgen?

Seid einfach unbesorgt. Und seid nicht ehrgeizig, denn der Ehrgeiz ist der größte Krampf, der dem menschlichen Geist blühen kann. Dann könnt ihr nicht mehr das Hierjetzt erkennen, dann schaut ihr nur noch ins weit Entfernte, in die Zukunft – dort ist das Ziel, die Utopie, die goldene Stadt oder Shamabala … dort! Da geht es hin, also rennt ihr. Wo rennt ihr hin? Shambala ist hierjetzt, die Utopie ist längst da.

Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Auf wen wartet ihr? Ich bin hier!“ Selbst seine eigenen Jünger fragten: „Wann kommt der Messias? Wann?“ – Denn die Juden warteten seit Urzeiten auf den kommenden Messias, und als er kam, waren sie nicht bereit, ihn willkommen zu heißen. Sie warten noch heute. Dabei ist Jesus gekommen! Sie aber warten weiter. Selbst als Jesus noch nicht da war, gab es viele andere Jesusse – es gab sie immer.

Gott fließt immerzu über. Mal als ein Mohammed, mal als ein Jesus, mal als ein Buddha, mal als ein Sosan oder ein Tschuangtse. Er geizt nie, er ist immer unter euch, er kann gar nicht anders! Er ist kein Geizkragen. Doch die Christen behaupten, er hätte nur einen Sohn. Ist er impotent?