Cover

Die großen Western
– Jubiläumsbox 3 –

E-Book 17-22

U.H. Wilken
Joe Juhnke
G.F. Wego
G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-002-8

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Captain Chisum

Roman von U. H. Wilken

Gespenstisch lautlos tauchte ein Reitertrupp neben roten Felsenklippen hoch am Talrand auf und verhielt auf keuchenden Pferden.

Gewehrmetall schickte grelle Reflexe ins Tal. Dunkel und drohend hoben sich die Reiter vor dem heißen Himmel ab.

Dann jagten sie los, stießen ins Tal hinunter und schwärmten aus, rasten auf dahinhetzenden Pferden zur Ranch.

Zu spät erkannten die Männer auf der Ranch die tödliche Gefahr. Sie schrien sich heiser zu, rannten wild durcheinander, stürzten in Haus und Stall und griffen zu ihren Waffen.

Doch schon war das Reiterrudel herangejagt. Von wiehernden Pferden aus feuerten düstere Gestalten auf die Männer, die sich in den Türen von Haus und Stall gegenseitig behinderten. Brennende Fackeln flogen über die Dächer, während blasse Mündungsfeuer durch den wallenden Staub stachen.

»Apachen!«, schrie jemand im Ranchhaus.

Männer fielen.

Dumpf polterten die Hufe der Pferde über den Hof und zerstampften den kargen Graswuchs, rissen den Boden auf und stießen Staubfontänen hoch.

Das Feuer wütete und breitete sich schnell aus, fraß sich ins zundertrockene Holz hinein und leckte mit fauchenden Flammen über die Dächer hinweg.

Grauer Rauch stieg gen Himmel und wehte übers Tal hinweg.

Vereinzelt fielen zerbrochene Pfeile auf den Ranchhof. Immer wieder brüllten die Gewehre. Glühende Hitze waberte über dem Tal. Weitab drängten die Rinder sich zusammen und brüllten wild.

Fensterglas zerbarst, Ölpapier fing Feuer. Ein Feuerstoß jagte durch Haus und Stall und trieb die letzten Männer ins Freie. Sie rannten ins Verderben.

Nur der Rancher stand noch inmitten der Feuerhölle und schoss bis zur letzten Patrone. Plötzlich sank er auf die Knie und ließ den schweren Colt fallen. Mühsam hob er den Kopf und stierte auf den Reiter, der dicht vor ihm das Pferd zurückriss.

Mit flackernden Augen sah er in das verzerrte Gesicht des Reiters und wollte sprechen, doch da kippte er schon auf die Seite und lag still.

Entsetzen und Erstaunen hatten sich in sein Gesicht gegraben.

Der letzte Schuss verhallte in fernen Tälern.

Haus und Stall brannten lichterloh. Die ersten Balken brachen glühend auseinander, die Dächer stürzten ein, und glühende Holzteile wirbelten über den Hof, wo sich die Reiter zusammengerottet hatten. Dumpf prusteten die Pferde, Schaumflocken nässten den heißen Boden und verdunsteten sofort. Die flirrende Hitze war schier unerträglich.

Die Reiterschar wartete auf den Befehl ihres Anführers.

Schweigend hob er die Hand und deutete auf die Rinderherde.

Brüllend jagten die Apachen zur Herde hinüber, trieben die Rinder an und hetzten sie aus dem Tal.

Nur der Anführer war zurückgeblieben, ritt nun langsam umher und starrte mitleidlos auf die Gefallenen.

Dann ritt er davon, lenkte das Pferd zum Talrand und verhielt zwischen den Felsenklippen, beobachtete seine Leute, wie sie die Rinder weithin verstreuten, und wartete auf ihre Rückkehr.

Mit vor Anstrengung glühenden Gesichtern kamen sie zu ihm und rotteten sich zusammen.

Unten im Tal versanken Haus und Stall in graue Asche. Der Wind stieß hinein und streute die Asche weithin aus.

Mit steinernem Gesicht saß der Anführer im Sattel und hielt den Zügel fest umschlossen. Langsam zog er das Pferd herum und ritt der Bande voraus. Niemand sprach ein Wort.

Die Brandschatzer verschwanden hinter den Hügeln des Talrandes.

Auf der Höhe hielt ein Buggy an, die Fahrerin zog die Zügel straff, beugte sich vor und blickte ins Tal hinunter. Ihr faltiges Gesicht straffte sich, die Augen funkelten, der Mund war zu einem schmalen Strich geworden.

»Junge«, sagte die Frau, »auf meine alten Tage habe ich doch noch richtig gehört, das sind wirklich Schüsse gewesen. Ich wäre nun froh, wenn ich mich geirrt hätte. Los, Boy, nimm den Bleistreuer zur Hand. Ich werde mir das mal näher ansehen.«

Schon trieb sie die beiden Wagenpferde an und lenkte den Buggy ins Tal.

Neben ihr saß ein junger Mann mit brandrotem Haar und einem derben und groben Gesicht. Er war nicht älter als einundzwanzig Jahre. Mit seinem langen Arm griff er nach hinten, nahm das Spencergewehr und machte es schussbereit. Unzählige Sommersprossen bedeckten sein Gesicht und wurden nun, da er blass geworden war, besonders deutlich sichtbar.

»Ich kann niemanden auf der Willcox-Ranch sehen, Mam«, raunte er und schluckte hart. »Alles ist niedergebrannt worden, und auch die Rinder sind weg.«

»Das sehe ich auch.«

Die Frau straffte ihren knochigen Körper. »Die Willcox-Ranch ist überfallen worden, zum Henker. Mach die Augen auf, Jube, siehst du nicht die Männer neben Haus und Stall liegen?«

»Yeah, Mam.«

»Verdammte Geier!«, fluchte sie und blickte zum Himmel empor. »Diese Viecher kommen jedesmal von der Wüste herüber, wenn es irgendwo geknallt hat.«

Der Buggy kam dicht vor dem Hof zum Stehen. Die Frau schlug die Zügelenden um die Bremsstange des Wagens und packte dann die schwere Sharps, die immer nur eine der riesigen Patronen im Lauf haben konnte. Etwas steif kletterte sie vom Buggy, stand im langen, derben Kleid neben dem linken Vorderrad und blickte ernst umher.

Im weichen Licht der Abendröte schien die Asche von Haus und Stall noch zu glühen. Beißender Brandgeruch hing über dem Tal. Das heisere Krächzen der Geier wurde lauter und wütend.

»Jube«, sagte die Frau gepresst, »halt mir den Rücken frei.«

»Ich lass dich nicht allein losgehen, Mam.«

»Quatsch! Ich bin zäh wie altes Rindsleder, mein Junge. So schnell kriegt mich niemand von den Beinen. Na, komm schon.«

Sie entfernten sich vom Buggy, stapften über den Hof und sahen umher.

»Das ist ja furchtbar, Mam.«

»Apachen. Da liegen Pfeile von Apachen.« Sie schritt durch den Staub, und ihr langes Kleid fuhr mit dem Saum durch den Sand. Dicht vor dem Rancher blieb sie stehen. Lange blickte sie auf den Ermordeten, während ihr Sohn Jube unruhig umhersah.

Mutter und Sohn liefen zu den Cowboys und stellten fest, dass drei schwache Lebenszeichen von sich gaben, die anderen zwei und der Rancher waren tot.

»Wasser, Jube, schnell!«, drängte sie.

»Wir bringen die Boys zur Stadt. Vielleicht kann man sie noch retten.«

Jube begriff, dass Eile geboten war, rannte zum Buggy und kam mit der Wasserflasche zurück. Seine Mutter riss ihm die Flasche aus der Hand und kippte den bewusstlosen Männern Wasser ins Gesicht. Als sie sich nicht rührten, schloss sie die Blechflasche und starrte ihren Sohn düster an.

»Sie haben viele Stunden in der Hitze des Feuers und der Sonne gelegen. Wir müssen uns beeilen. Hol den Buggy, Boy.«

Ihr fast graues Haar glänzte in der Abendröte beinahe wie das Haar ihres Sohnes. Ihr ganzes Wesen strahlte Energie aus. Als Jube mit dem Wagen herangekommen war, griff sie mit zu. Ächzend legten sie die Cowboys auf den Buggy. Dann trugen sie die Toten zum abseits gelegenen Bunkhouse der Cowboys und legten sie auf die harten Schlaflager, wobei die Frau rau sagte:

»Wir können uns nicht weiter um sie kümmern. Das wird der Marshal tun müssen. Los, Boy, nun so schnell es geht zur Stadt.«

Während der Wagen vom Hof rollte, kreisten über ihnen schreiend die Geier und stießen mit rauschenden Flügelschlägen herunter. Die Vögel streiften fast das leichte Gefährt und gebärdeten sich wie toll.

»Wir nehmen euch das Nachtmahl weg«, sagte die Frau grollend und packte die Sharps. Während ihr Sohn die Wagenpferde lenkte, zielte sie in die Höhe und drückte ab. Der Rückstoß der Sharps warf sie fast vom Sitz. Trotzdem verzog sie das Gesicht zu grimmigem Lächeln und beobachtete, wie einer der großen Geier abstürzte und in die glühende Asche schlug.

»Da habt ihr eure Mahlzeit.«

Ethel Blackman lehnte sich an die Rücklehne des Buggys, knickte den Lauf der Sharps, lud nach und klemmte sich die Waffe zwischen die Beine.

»Das hätte einen Bisonbullen von den Füßen gerissen«, triumphierte sie und spähte voraus. »Los, schneller, Jube. Die Boys hinter uns sollen am Leben bleiben. Zum Henker, ich wollte nicht in die Stadt, aber jetzt muss ich.«

Ethel war eine derbe Frau, doch wer sie näher kannte, wusste, dass sie ein Herz für die Dinge des Lebens hatte. Und man sagte, dass sie nicht nur mit der Sharps bewaffnet wäre, sondern auch mit einem Beil, das sie gewöhnlich unterm Kleid tragen sollte.

In schneller Fahrt rollte der Buggy in die graue Wand der hereinbrechenden Dämmerung.

Unterwegs kroch Ethel Blackman nach hinten und betreute mit sanften Händen die stöhnenden, nach Wasser lechzenden Verwundeten.

Es waren viele Meilen bis zur Stadt.

Sie waren während der ganzen Nacht unterwegs.

»Hallo, Boys!«

Zäh und knochig stand Ethel Blackman im Saloon und hatte die Hand auf die Schulter ihres Sohnes Jube gelegt, der sie um einen Kopf überragte. Freundlich lächelnd stapfte sie durch den Schankraum und grüßte die Männer an den Tischen. Schließlich blieb sie an der Theke stehen und schlug die Hand klatschend auf die Messingplatte.

»He, he!«, rief sie ungeduldig.

Einer der Männer an den Tischen erhob sich und kam langsam näher.

»Stimmt es, Mam Blackman, habt ihr drei Cowboys in die Stadt und zum Doc gebracht?«

»Stimmt«, bestätigte sie kurz und angebunden. »Whisky, Keeper, für mich und meinen Sohn.«

»Die Willcox-Ranch wurde also wirklich überfallen und niedergebrannt?«, fragte der Mann.

»Yeah.« Mrs Blackman nickte, sah den Mann ernst und durchdringend an und setzte hinzu: »Apachen. Ich sah Pfeile von Apachen. Noch was, Mister? Versau mir nicht meine gute Laune, verstanden? Geh hin zum Doc und frag nach, wie’s den Boys geht.«

»Well, Mam Blackman«, murmelte der Mann verlegen und kehrte zum Tisch zurück.

Die Kunde vom Überfall auf die Willcox-Ranch hatte schnell die Runde gemacht und die Einwohner entsetzt.

»He, Keeper, bewege dich«, drängte die resolute Farmbesitzerin. »Ein bisschen voller, Mister. Glaubst du, ich würde so kleine Pfützen trinken? Bis zum Rand voll!«

»Yeah, yeah«, antwortete der Keeper und sah die alte Frau seltsam an. »Aber trink nicht zu viel, Ethel, sonst randalierst du hier wieder herum und schlägst alles kaputt.«

»Unsinn«, protestierte sie, unschuldig tuend. »Ich habe so etwas noch nie getan, nicht wahr, Sonny?«

Jube schluckte und zögerte, warf dem Keeper einen schnellen Blick zu und bewegte unbehaglich die Schultern.

»Du warst manchmal betrunken, Mam«, sagte er verschämt, »und du hast nichts mehr gemerkt. Nachher bist du meist erst in der Zelle vom Marshal aufgewacht und hast Stein und Bein geschworen, völlig unschuldig zu sein.«

Die Farmerin knurrte fast wie ein Mann und blickte beleidigt umher. Ein paar Gäste grinsten. Dieses Grinsen gefror, als sie in Ethels Augen blickten.

»Ich habe hier noch niemals gesoffen!«, rief sie mit rauer Stimme. »Wer das behauptet, ist ein Schuft. Los, Jube, sei ein Mann!«

Sie trank wie ein Fährmann, und als der Keeper ihr nicht sofort nachschenkte, schnappte sie sich die Flasche Whisky und füllte die Gläser selber.

»Drei Monate lang habe ich nichts von diesem Zeug geschmeckt«, verkündete sie, »und ich habe mir gestern gesagt: Ethel, das muss anders werden.«

»Mam«, flüsterte Jube, »hör doch wenigstens heute eher damit auf. Nachher muss ich dich wieder abschleppen – oder der Marshal kommt und buchtet dich ein.«

»Keine Sorge, Sonny. Der Marshal ist mit ein paar Leuten losgeritten zur Ranch. Geh nur raus und besorge alles aus dem Store. Bring den Buggy aber wieder vor den Saloon, klar?«

»Oh, Mam«, seufzend hob Jube die breiten Schultern an und ließ sie resignierend sinken. »Du hörst leider nicht eher auf, bis du die Flasche leer hast.«

»Hahaha! Du Greenhorn, wer redet hier von einer Flasche, he? Die Regale sind voller Flaschen. Boy, ich sage dir, das wird ein Fest hier.«

Da erkannte Jube, dass er seine Mutter nicht mehr zurückhalten konnte. Sie war trotzdem eine großartige, prächtige Frau, und zu Hause führte sie ein strenges, aber gerechtes Regiment. Ohne die Mutter hätten Jube und seine beiden Brüder wohl schon längst aufgegeben und die Farm in der einsamen Wildnis verlassen.

»Okay, Mam«, sagte Jube folgsam, »ich hole die Sachen und bin bald wieder da.«

Er ging hinaus, stieg auf den Buggy, trieb die Pferde an und fuhr zum Store.

Mit der Flasche in der Hand ging Ethel zur Schwingtür und blickte die Straße entlang.

Genau gegenüber lag das Marshal Office.

Zwei Häuser weiter rasteten etliche Soldaten in blauen, verwaschenen und verstaubten Uniformen.

Die Sattelpferde mit dem Brandzeichen der US-Kavallerie standen im Schatten des hohen Lagerstalles.

Ein stattlicher Offizier lehnte lässig an der Bretterwand. Sein Gesicht lag im Schattenkreis des Hutes, aber Ethel konnte die scharfen Falten erkennen, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln führten. Das harte Kinn trat aus dem ledernen Kinnriemen markant hervor. An der abgetragenen Uniformjacke erkannte sie die Rangabzeichen eines Captains. Sandfarbenes Haar fiel unterm Hut hervor. Die gelben Stulpenhandschuhe hatte er hinter den breiten Ledergurt geklemmt. Der Army-Colt steckte in einem großen Halfter.

»Yankees«, murmelte sie vor sich hin. »Pah. Ich habe nicht viel für sie übrig. Erst drehen sie dem Süden den Hals um und zwingen ihn in die Knie, und nun machen sie sich auch noch hier breit.«

Niemand hatte sie verstanden. Sie drehte sich um und sah die Männer im Saloon düster an.

»Wer ist das da draußen?«, fragte sie. »Ich meine diesen Captain da.«

»Das ist Captain John Chisum, Mam Blackman«, gab der Keeper Auskunft. »Er will ins Apachengebiet. Ich habe vorhin mit ihm gesprochen. Er ist erst seit zwei Stunden hier und wartet auf seinen Kundschafter. Die Apachen sind weit nach Texas eingedrungen. Während des Krieges zwischen Nord und Süd hat niemand die Rothäute zurückdrängen können, denn alle waffendienstfähigen Männer kämpften an den Fronten. Aber nun, ein paar Monate nach Kriegsende, wollen sie die Apachen in die alten Gebiete zurückjagen. Ich sage dir, der Captain ist kein übler Kerl.«

»Pah!« Sie winkte verächtlich ab. »Hast du keinen Stolz? Du kriechst vor den Yankees im Staub, was?« Krachend stellte sie die Flasche auf einen Tisch und zog unterm Überkleid ein Beil hervor. »Noch ein paar dumme Sprüche von dir, und ich schlage dir diesen ganzen Saftladen zusammen. Verstanden?«

Der Keeper wurde bleich und starrte auf das Beil.

»Hör auf mit dem Blödsinn, Mam Blackman. Sei vernünftig. Trink deinen Whisky in Frieden.«

»Auch noch Angst hat er«, höhnte sie und verbarg das Beil wieder unterm Kleid, rückte es darüber zurecht und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Wenn wir Frauen nicht wären, dann gäbe es keine Vernunft auf dieser Welt. Ihr Kerle müsst euch immer gegenseitig eine Kugel in den hohlen Schädel jagen, und wenn ’ne Frau mal die Wahrheit sagt, dann schreit ihr nach Frieden.«

»Mam Blackman, fange nicht wieder Streit an«, bat der Keeper voll dumpfer Ahnungen und Befürchtungen. »Du hast dich hier schon öfter unsinnig in Zorn geredet und dann herumrandaliert. Heute aber ist Schluss damit, das schwöre ich dir. Ich schmeiße dich raus, wenn’s sein muss.«

»Mich schmeißt niemand raus«, erwiderte sie kalt, rümpfte die Nase, verließ den Saloon und näherte sich dem Marshal Office.

Dort verharrte sie vor dem Anschlagbrett und fluchte. Sie hörte nicht die Schritte des großen Captains, der hinter ihr auf der heißen Straße stehenblieb.

Hastig riss sie einen Steckbrief vom Brett und zerknüllte ihn. Wütend warf sie ihn auf den Brettersteg und trat darauf.

»Kann ich Ihnen helfen, Madam?« Die ruhige Stimme ließ Ethel herumschnellen. Sie sah in das raue Gesicht des Captains und bemerkte sein schwaches Lächeln.

»No«, lehnte sie grimmig ab. »Das hier ist eine Familiensache, verstanden?«

In den Augen des Captains flackerte es auf, er schien erheitert zu sein. Keinesfalls war er zornig auf sie.

»Das war ein Steckbrief, Madam«, murmelte er sanft. »So etwas reißt man nicht einfach herunter, denke ich.«

»Ich tu’s aber!«, entgegnete sie grob. »Ich mag dieses Gesicht auf dem Steckbrief nicht sehen!«

»Wenn ich mich nicht irre, haben Sie Denver Blackmans Steckbrief runtergerissen, Madam.«

»Richtig«, bestätigte sie grimmig. »Er ist mein zweiter Mann. Ich will ihn nicht sehen. Er hat meinen Söhnen seinen Namen gegeben, aber das war auch alles. Ein Bandit ist er geworden. Ist das etwa kein Grund, he?«

Ohne den Captain noch eines Blickes zu würdigen, stapfte sie zum Saloon zurück.

Vor dem Haus wandte sie sich um, lachte kurz und stieß die Schwingtür auf. Im Saloon nahm sie sogleich die Flasche vom Tisch und trank erst einmal einen kräftigen Schluck.

Draußen fuhr ihr Sohn Jube mit dem Buggy vor, stieg ab und kam herein.

»Mutter, nun ist es aber genug«, sagte er vorwurfsvoll und wollte sie am Arm nehmen.

Die Farmerin wich zurück, straffte sich und wollte dem Sohn harte Worte sagen, doch plötzlich gab sie wohl zum ersten Mal nach langer Zeit den Widerstand auf und nickte.

»Well, Boy, fahren wir heim. Keeper, bring zehn Flaschen Whisky zum Buggy. Bezahlt wird, wenn die nächste Ernte im Stall ist.«

Stolz erhobenen Hauptes verließ sie den Saloon und kletterte auf den Wagen.

»Keeper, den Whisky!«, rief sie laut zurück. »Heran damit, oder ich grabe das Kriegsbeil aus!«

Nur ungern brachte der Keeper die Flaschen, und sie verstaute sie auf dem Wagen. Hart stieß sie Jube in die Seite, der neben ihr Platz genommen und die Zügel gepackt hatte.

»Fahr los, Boy. Hoo, ist das Leben schön«, trällerte sie vor sich hin.

Der Buggy rollte aus der Stadt.

Am Straßenrand stand der Captain und sah dem Gefährt erheitert nach. Er schlug mit den Handschuhen gegen den rechten Oberschenkel und ging erst dann zu seinen Soldaten zurück, als der Buggy verschwunden war.

»Die Frau hat Haare auf den Zähnen«, sagte er zum Sergeant. »Die lässt sich nichts vom Brot nehmen. Wir wollen aufbrechen. Der Scout kommt. Geben Sie das Kommando, Sergeant!«

Wenig später ritten die Kavalleristen in Doppelreihe durch die Stadt, an der Spitze Captain John Chisum, neben ihm der Scout Jesus Sandobal.

»Im Trab!«, kommandierte der Sergeant. »Vorwärts, immer dranbleiben! Wir reiten nicht zum Vergnügen. Die Mädchen werden euch wieder vergessen. Die Nase nach vorn, Boys!«

So zogen sie hinaus ins weite Land, erfahrene Männer und auch noch fast junge Burschen. Nur, die alten Hasen wussten, dass dort draußen in der sengenden Weite die Hölle auf sie wartete, doch alle spürten den Hauch der Gefahr, der von den Bergen herüberwehte.

Und jeder vertraute ihm – dem Captain Chisum.

Irgendwo vor ihnen war Apachenland.

Mit einem Knall zersprang die Fensterscheibe, Glas fiel klirrend ins Zimmer, eine Kugel schlug in die gegenüberliegende Wand. Heftig flackerte das Licht im Windzug. Sekundenlang tauchte ein verzerrtes Gesicht am Fenster auf.

Hufe klapperten über den Hof der Farm. Nervenzerrüttendes Geschrei gellte ins Haus.

Flach an den Boden gepresst, lagen zwei junge Männer im Raum.

»Das Licht, Mark!«, schrie einer von ihnen. »Wir müssen das Licht ausmachen, sonst …«

Der Knall des Schusses unterbrach ihn. Die Kugel zertrümmerte den gläsernen Zylinder der Lampe, im Nu war es dunkel. Durchs Fenster sickerte bleiches Mondlicht. Mark Blackman riss den Colt herum, ruckte hoch, sprang durch den Raum zum Fenster und spähte hinaus.

»Komm her, Billy«, rief er unterdrückt seinem jüngsten Bruder zu. »Sie reiten weg.«

Billy erhob sich und schlich zum Fenster. Vorsichtig blickte er neben dem Bruder über den Hof der Farm.

»Apachen«, flüsterte er. »Verdammte Bande. Bestimmt denken sie sich eine neue List aus, um an unsere Rinder heranzukommen.«

»Yeah«, sagte Mark argwöhnisch. »Angst haben sie nicht vor uns. Aber vielleicht wollten sie uns nur erschrecken.«

»Ein Apache macht es immer gründlich«, erwiderte Billy. »Ist doch möglich, dass ein paar von ihnen hinterm Haus sind und nur darauf warten, dass wir rauskommen.«

»Das werden wir schon noch feststellen«, versicherte Mark und verließ den Fensterplatz. Gebückt tastete er sich schnell durch den Raum, kam mit zwei Gewehren zurück und drückte eins dem Bruder in die Hand.

»Du willst doch nicht hinaus? Das wäre Selbstmord, Mark.«

»Abwarten, Bruder.«

Mark zog den Riegel an der Tür vorsichtig und lautlos aus der Halterung. Er öffnete die Tür zu einem schmalen Spalt, spähte ins Freie und sah, wie das Reiterrudel am hohen Talrand anhielt.

»Bleib hinter mir, Billy. Ich gehe jetzt raus. Gib mir Feuerschutz, wenn’s sein muss.«

»Mach doch keinen Unsinn«, warnte Billy erregt. »Wenn Apachen hinterm Haus lauern, dann kommst du keine zehn Schritte weit.«

Schweigen gebietend, hob Mark die Hand und schob sich durch den Türspalt.

Das Mondlicht traf sein narbiges Gesicht und ließ das Blondhaar glänzen. Schnell huschte sein Blick über den Hof hinweg, über die Felder und zu dem Reiterrudel hinauf, das für einen Gewehrschuss zu weit entfernt war.

Die Indianer drängten sich zusammen, ihre Silhouetten hoben sich deutlich vor dem Sternenhimmel ab.

Horchend verharrte Mark am Haus und biss die Zähne zusammen. Er sah zurück. Billys Gesicht war dicht am Fenster, der Lauf seines Gewehres zeigte auf den Hof.

Mit tastenden Schritten entfernte sich Mark Blackman immer mehr von der Tür und erreichte schließlich ungefährdet die Hausecke. Er spähte blitzschnell am Haus entlang und wagte sich weiter, als er nichts Verdächtiges hatte entdecken können.

Nun kam auch Billy heraus, das Gewehr schussbereit im Anschlag.

Lautlos wie ein Schatten glitt Mark am Haus entlang und verharrte an der Ecke. Von hier aus konnte er den Hofraum gut übersehen. Hinten standen ein paar Sträucher, Bäume warfen Schatten. Der Nachtwind bewegte das Seil mit dem Eimer im Brunnenschacht. In den Ställen rumorten die Pferde und das andere Vieh.

Es war unheimlich.

Die Indianer hielten noch immer in Sichtweite der Farm.

Die Blätter rauschten im Wind.

»Siehst du was?«, raunte Billy.

»No, nichts.«

Mark versuchte mit scharfem Blick das Dunkel unter den Bäumen zu durchdringen. Er spürte ein Zittern im Körper, das von der ungeheuren Anspannung herrührte.

»Pass auf, Billy, ich laufe jetzt unter die Bäume.«

Er wollte alles riskieren, um zu wissen, ob auch wirklich alle Apachen davongeritten waren.

»Komm zurück ins Haus, Mark«, flehte Billy. »Mit ’ner Kugel im Kopf oder einem Pfeil im Leibe nützt dir das alles nichts.«

Mark hörte jedoch nicht auf seinen Bruder, riss das Gewehr hoch und rannte zu den Bäumen hinüber, wilde Sprünge nach rechts und links machend, um dem Gegner kein klares Ziel zu bieten. Keuchend erreichte er die Bäume, warf sich gegen einen Stamm und hielt den Atem an.

Kein Schuss fiel.

Billy lehnte an der Hauswand. Sein Gesicht war verzerrt, sein schwarzes Haar glänzte metallisch wie das Gefieder eines pechschwarzen Vogels.

Mark schlich unter den Bäumen umher. Hinter jedem Stamm konnte ein Apache lauern. Schweißtropfen liefen ihm übers Gesicht und brannten in den Augen. Mit dem Hemdsärmel wischte er den Schweiß weg und kehrte um.

Billy war zur Haustür zurückgeglitten und stand geduckt dort. Als Mark herankam, lief sein Bruder plötzlich über den Hof zum Stall, verharrte neben dem Stalltor und vergewisserte sich, dass der Querbalken noch in der Halterung lag. Also konnte niemand im Stall sein. Sofort schlich er am Stall entlang und spähte umher, aber auch er konnte nichts entdecken.

Und doch schien die Gefahr so nahe zu sein.

Sie wichen bis ans Haus zurück.

Das Reiterrudel war noch zu sehen. Bestimmt beobachteten die Apachen die Farm und ihre Umgebung.

Auf einmal erschallte von fern eine Stimme.

»Was ist das?«, ächzte Billy. »Hört sich an, als würde jemand lachen. Klingt verdammt seltsam, Mark.«

»Yeah, da singt jemand.«

Beide lauschten in fiebriger Spannung und waren bereit, sofort ins Haus zurückzuspringen, sollte in der Nähe ein fremdes Geräusch zu hören sein.

Die ferne Stimme wurde immer deutlicher.

»Seit wann singen die Apachen?«, flüsterte Billy. »Sie stimmen doch nur den Kriegs- und Trauergesang an, Bruder, ich glaube, da kommt ein Irrer oder irgend so ein komischer Kauz.«

»Mir ist auch schon ganz irre«, sagte Mark voller Unbehagen. »Da stimmt doch was nicht. Sieh dir die verdammten Apachen da vorn an. Sie drängen durcheinander wie wildgewordene Rinder.«

Tatsächlich war Unruhe im Rudel. Waffen reflektierten das Mondlicht. Die Apachen waren zu weit weg, als dass man ihre Stimmen und Pferde hören konnte.

Die Brüder wussten nicht, was sie von allem halten sollten. Sie starrten auf den Talweg und entdeckten plötzlich einen Buggy, der rasch heranrollte.

»Devil!«, rief Billy erstaunt. »Das gibt es doch nicht. Das kann nicht wahr sein.«

Deutlich erkannten sie ihre Mutter und Bruder Jube auf dem Buggy.

Ethel Blackman sang und schwenkte eine Whiskyflasche hin und her.

»He was an old lobo, yeah, yeah …«

Das sang sie, und weil sie viel vom Text vergessen hatte, und sie unterbrach ihren Gesang nur, um einen Schluck aus der Flasche zu nehmen.

»… and he came into town, yeah, yeah …«

»Ich werde verrückt«, stieß Billy hervor. »Ja, ich werde verrückt. Mutter singt, und die Apachen lauern da oben und brauchen nur loszureiten.«

»… and he shot him down, yeah, yeah«, sang Ethel Blackman und lachte selig, schlug sich aufs Knie und stieß ihren Sohn Jube an. Der Buggy näherte sich der Farm.

»Mam!«, schrie Mark plötzlich. »Apachen! Beeilt euch! Jube, treib die Pferde an.«

Doch Jube verstand ihn nicht, weil die Mutter so laut sang. Sie hatte ihr Leben lang immer nur geschuftet und für ihre Familie gesorgt und niemals geruht. Aber manchmal musste sie einfach in die Stadt fahren, vielleicht, um vergessen zu können.

»He, Boys!«, rief sie schon von weitem. »Alle Mann an Deck! Alles klar, ay-ay, Captain!«

»Mutter!«, brüllte Mark wieder. »Schneller, die Apachen kommen! By gosh, höre doch endlich mit dem Singen auf!«

Sie sang dennoch weiter und warf die leere Flasche im hohen Bogen vom ratternden Wagen.

»Ay-ay, Sir!« Sie lachte und winkte. »Jube, was haben die beiden nur? Was stehen die Boys da herum? Dein alter, seliger Vater hätte jetzt gesagt, dass sie der Klabautermann erschreckt habe. O ja, der alte Seebär, wenn der noch leben würde, yeah, yeah.«

Der Buggy rollte auf den Hof und kam vor dem Haus zum Stehen. Ethel Blackman lachte und lehnte sich weit zurück.

»Das war eine Reise, Boys, sag ich euch. Eure Mutter hat mal alle Schleusen geöffnet. Land unter!«

»Mam«, keuchte Mark, »hast du denn nicht gehört, was ich gerufen habe? Apachen sind hier.«

Die Farmerin wurde sofort stocknüchtern, blinzelte misstrauisch und schüttelte den Kopf.

»Apachen?«

»Yeah, am Talrand da oben.«

Etwas schwerfällig drehte sie sich auf dem Bock herum und blickte zu dem kleinen Höhenzug hin.

»Ich kann nichts sehen.«

»Aber …« Mark stierte hinüber und stieß Billy an.

Die Apachen waren verschwunden.

Langsam stieg Ethel Blackman vom Buggy, sah ihre beiden Söhne forschend und ungläubig an.

»Wer von uns ist besoffen, he?« knurrte sie. »Ihr oder ich? Ich kann nichts entdecken. Wo, zum Henker, sind die Apachen? Euer Vater hat auch immer viel Seemannsgarn gesponnen. Ich glaube, ihr wollt mich verkohlen, wie?«

Mark und Billy standen betroffen auf dem Hof und konnten es nicht begreifen, warum die Rothäute plötzlich verschwunden waren.

»Sie waren eben noch da, Mam«, sagte Mark. »Sie haben auch durchs Fenster geschossen.«

»Ach was, ihr spinnt. Ich möchte nur wissen, woher ihr den Whisky habt. Damned. Ich muss mir ein neues Versteck ausdenken.«

»Dann sieh doch endlich das Fenster an, Mam. Glaubst du, wir hätten es zerschlagen?« Billy fasste sie am Arm. »Sieh hin, Mam.«

Sie blickte zum Fenster und lächelte nicht mehr. Die Fröhlichkeit war wie weggewischt. Nun sah sie auch die vielen Hufspuren auf dem Hof und langte sofort zum Gewehr. Hart umfasste sie die Sharps.

»Wo sind die roten Banditen?«, fragte sie rau.

»Verschwunden, Mutter«, sagte Mark. »By gosh, habt ihr Glück gehabt. Du hast gesungen, aber sie haben euch nicht angegriffen.«

Stilles Lächeln zog über ihr faltiges Gesicht.

»Yeah, ich habe gesungen, und darum haben sie uns nicht angegriffen. Die Rothäute waren einfach begeistert von meinem Gesang.«

Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht.

»Aber unseren Nachbarn haben sie umgebracht. Die Willcox-Ranch gibt es nicht mehr. Jube, bring die Pferde in den Stall. Und ihr beiden helft mir, alles ins Haus zu bringen.«

Vier Menschen lebten in einem einsamen Tal inmitten der grandiosen Wildnis zwischen Texas und dem New Mexico Territory. Vier Menschen hatten sich jahrelang in diesem kargen Landstrich behauptet und waren redlich ihrer harten Arbeit auf den Feldern nachgegangen.

In dieser Nacht lag Ethel Blackman noch lange wach und dachte über alles nach.

Sie war stolz auf ihre Söhne.

Captain John Chisum stand oben auf einem Bergkamm und spähte forschend in die Runde. Er hielt sein Pferd am Zügel und bewegte sich kaum. Langsam schweifte sein wachsamer Blick weit umher über die Bergflanken und durch die schmalen Täler.

Nirgendwo war etwas zu erkennen, das auf die Nähe der Apachen deuten könnte. Anscheinend unberührt lag die Wildnis vor ihm.

Dann hörte er Hufschlag und sah dem Scout entgegen, der zur Bergkuppe heraufgeritten kam. Neben dem Captain glitt Jesus Sandobal aus dem Sattel seines gefleckten Pferdes, schlug sich den Staub aus der schmierigen und abgewetzten Kleidung und verzog das bärtige Gesicht. Strähniges Haar fiel unterm Stetson hervor. Er sah wie ein Wildjäger aus, bestimmt hatte er sich seit Wochen nicht mehr gewaschen.

»Nichts«, meldete er. »Die Apachen sind spurlos verschwunden. Sie sind hier in den Bergen, aber ich kann ihre Spuren nicht entdecken.«

»Wir müssen sie finden, sonst wird es hier niemals ruhig. Vielleicht haben sie uns gesehen und weichen uns aus.«

Er zog sich aufs Pferd und ritt abwärts, gefolgt vom Scout. Während sie vorsichtig durch ein enges Tal an den Bergen vorbeiritten, sprachen sie kein Wort und hielten die Gewehre schussbereit. Schließlich ritten sie durch ein ausgetrocknetes Flussbett und erreichten hinter Felsenklippen das gut verborgene Lager der Patrouille.

Chisums Gesicht verfinsterte sich, als er das Feuer sah, das in der staubigen Senke flackerte. Er saß ab, ließ das Pferd stehen und stapfte zum Feuer. Mit den langschäftigen Stiefeln stampfte er das Feuer aus. Graue Asche wehte über den Platz.

»Sergeant!«

»Yes, Captain?«

Sergeant Arlington kam heran und blieb vor dem Chef stehen.

»Ab sofort kein Feuer mehr!«, befahl der Captain. »Die Apachen riechen den Rauch meilenweit. Ist der Wagen eingetroffen?«

»Yes, er steht hinter den Felsen.«

»Wir müssen versuchen, die Apachen aus ihren Schlupfwinkeln herauszulocken. Stellen Sie zehn Soldaten unter Ihr Kommando. Es muss viel Staub aufwirbeln. Die Apachen sollen glauben, dass der Wagen zum Fort unterwegs ist. Aber passen Sie höllisch auf, Sergeant. Wir werden in der Nähe bleiben und zu Hilfe kommen, sollten die Apachen angreifen.«

»Okay. Vielleicht lassen uns die Rothäute unbehelligt fahren, Captain«, erwiderte Sergeant Arlington. »Die Apachen sind gerissene Burschen. Sie wittern schnell eine Falle.«

»Wir versuchen es jedenfalls. Los, hauen Sie ab!«

»Zu Befehl, Sir!«

John Chisum blieb neben der Feuerstelle stehen und wartete, bis der Sergeant und die Soldaten mit dem Wagen herankamen. Ein Soldat lenkte die vier Wagenpferde, die anderen stiegen auf die Pferde und übernahmen die Bedeckung des Wagens. Der Sergeant mit einem Reiter an der Spitze, je drei an den Seiten und zwei hinten. Hell leuchtete die Plane im Sonnenlicht.

Der Wagen rollte durch die Felslücken und verschwand.

Noch lange war das Rasseln der Räder und das Hufgeklapper zu hören.

Der Scout trat zu Chisum.

»Ich glaube nicht, dass der Wagen überfallen wird, Captain. Das alles ist ein Schuss in den Ofen. Die Apachen wissen genau, dass wir sie suchen, und sie werden sich erst einmal verkriechen und abwarten.«

Grimmig sah Chisum den Scout an und presste den Mund zusammen. Er wandte sich ab und setzte sich abseits auf einen flachen Felsen. Bald sammelte er rauchend seine Gedanken hinter Tabakqualm.

Während die Patrouille lagerte, rollte der Planwagen durch die Wildnis.

Sergeant Arlington spähte unter dem Hut hervor und suchte die Berghänge ab. Er rechnete mit dem plötzlichen Auftauchen der Apachen, doch es geschah nichts. Kein schriller Schrei zerriss die Stille, kein Schuss fiel und kein Apache ließ sich sehen.

Das Unternehmen platzte wie eine Seifenblase. Der Feind blieb unsichtbar im Schutze der Berge.

An diesem Tage fluchte Captain Chisum wie sein Scout. Er folgte mit den Kavalleristen dem Wagen, und am Abend stieß er zum Wagen vor und ließ ein Biwak beziehen.

Hinter den Bergzügen im Westen sank die Sonne und ließ den Himmel feuerrot aufglühen.

»Sergeant!«

Arlington kam sofort und meldete dem Captain, dass er nichts gesehen habe. »Die Apachen führen uns an der Nase herum, Sir«, sagte er erbost. »Wenn ich ein paar von diesen Halunken erwische, dann gnade ihnen Manitu!«

John Chisum schätzte den alten, erfahrenen Sergeant, doch jetzt wies er ihn kühl zurecht.

»Wir haben einen Auftrag, Sergeant. Wir werden gegen die Apachen kämpfen, weil es sein muss, aber wir tun’s ohne Hass.«

»Das wird mir schwerfallen, Captain. Die Apachen haben schon eine ganze Menge Menschen in diesem Grenzland umgebracht. Yeah, ich will’s versuchen, aber ich kann es nicht versprechen.«

Prüfend blickte Chisum ihn an.

»Haben Sie es noch immer nicht überwunden, Arlington? Immerhin geschah es vor ein paar Jahren.«

»Würden Sie den Bruder schnell vergessen können?«, fragte der Sergeant bitter. »Würden Sie auch den Apachen vergessen, die ihn umgebracht haben?«

Nach diesen Worten wandte er sich ab und stapfte schweren Schrittes zum Wagen zurück.

Captain Chisum hockte sich zu den Soldaten und aß wie sie vom kargen Proviant. Danach stieg er aufs Pferd und rief den Scout heran. Sie wechselten ein paar Worte, dann befahl Chisum dem Korporal, fünf Männer zum Ritt in die Berge zu bestimmen.

Als die Dämmerung über das weite Land fiel, ritten sie davon und ließen Sergeant Arlington und die anderen Soldaten beim Wagen zurück. Über eine steile Bergflanke ritten sie langsam abwärts und durchstreiften die stillen Täler.

Der Scout führte. Suchend bewegten sie sich durch die nächtliche Wildnis, lauschten in die Stille hinein und forschten nach Spuren.

Wieder einmal drangen sie in ein Tal vor, als Sandobal plötzlich das Pferd zügelte und sich in den Steigbügeln aufrichtete.

Schweigend verhielt die Patrouille, beugten sich die Reiter vor und beruhigten die Pferde.

»Ist was, Scout?«, fragte Chisum leise und spähte umher. Mondlicht lag auf den Hängen und erhellte die Felsen im Tal. Der Wind wisperte geheimnisvoll in den Dornensträuchern, und der Schatten einer Wolke wanderte über sie hin.

»Yeah«, flüsterte Sandobal und straffte sich. »Wir haben sie genau vor uns in diesem Tal.«

Die tödliche Gefahr war allgegenwärtig, trotzdem geriet die Patrouille nicht in Panikstimmung.

»Korporal, reiten Sie mit den Männern den Hang hoch und bleiben Sie dort. Wenn Sie Schüsse hören, dann kommen Sie uns nach!«, ordnete der Captain an.

»Jawohl, Sir!«

Chisum und der Scout warteten, bis die Reiter am Berghang waren.

Erst dann ritten sie weiter und um die vielen hohen Felsen herum.

Immer wieder verhielten sie, um zu horchen.

Kein Laut unterbrach das düstere Schweigen, und doch spürte auch der Captain in diesen Sekunden die Nähe der Apachen.

»Ich hab’s ja gewusst«, raunte Sandobal. »Sie stecken hier irgendwo. Es wäre vielleicht besser, wenn wir die Pferde zurückließen. Noch haben uns die Apachen nicht bemerkt, Captain.«

Kurz entschlossen stieg Chisum ab, nahm sein Gewehr und lud es durch. Auch Sandobal saß ab. Sie glitten geduckt weiter und erreichten innerhalb des Tales eine weite Senke. Sofort gingen sie in die Knie, verharrten im Schatten der Felsen und spähten in die Senke hinunter.

Dort brannten drei Feuer und warfen ihren roten Flammenschein gegen die Felsen. Manches deutete auf ein größeres Lager der Apachen hin, doch nicht ein einziger Apache war zu sehen, verlassen war das Lager, verwaist der von Hufen zerstampfte Platz.

»Gefällt mir nicht«, wisperte Sandobal misstrauisch.

»Yeah«, flüsterte Chisum. »Die Feuer brennen zu hell. Die Apachen haben erst vor kurzem noch Holz nachgeworfen. Das kann eine Falle sein, Scout.«

»Wir werden es herausbekommen.« Sandobal richtete sich steif auf. »Ich gehe runter. Captain, geben Sie mir Feuerschutz, wenn’s sein muss.«

Bevor Chisum antworten konnte, war der Scout schon über den Rand hinweggeglitten und schritt nun langsam abwärts, die große Sharps schussbereit im Anschlag haltend. Das strähnige Haar flatterte im Nachtwind, die Lederkleidung glänzte im Mondschein. Tastend setzte er die Füße voran und näherte sich den verlassenen Feuerstellen.

Der Captain verharrte neben einem Felsen, den Finger am Abzug seiner Volcanic. Er beobachtete Sandobal, der das erste Feuer erreichte und im Flammenschein nur kurz prüfend stehenblieb. Er ging dann ums Feuer und drehte sich suchend um, kniete nieder und untersuchte rasch die Spuren unbeschlagener Pferdehufe.

Eine einzige Lanze erhob sich abseits, war tief in den Boden gerammt worden.

Im bleichen Mondlicht sah alles noch viel düsterer aus.

Eine ungeheure Anspannung hatte John Chisum erfasst. Er atmete scharf durch die Nase und presste die Lippen zusammen.

Mondlicht brach sich auf dem Lauf der Volcanic.

Er wusste, dass die Apachen jede Gelegenheit nutzten, um die verhassten Blauröcke niederzumachen, und stellte sich darauf ein, war auf einen Angriff aus dem Hinterhalt gefasst.

Nun richtete sich der Scout wieder auf, gab ein Zeichen und kehrte um.

Der Captain ließ in der Wachsamkeit keine einzige Sekunde nach, und so entdeckte er gerade noch rechtzeitig die kleine, sehnige Gestalt eines kriegerisch geschmückten Apachen, der schnell zwischen den Felslücken hervorgekommen war und ein Spencergewehr hochriss.

Der Apache musste glauben, dass der Weiße vor ihm allein war. Er legte an, doch ehe er abdrücken konnte, kam der Captain ihm zuvor.

Hell peitschte der Schuss.

Im Nu lag Sandobal flach auf dem Boden und rührte sich nicht.

Chisum repetierte, während noch das Echo des Schusses in den fernen Tälern rollte.

Der Korporal kam mit den anderen Soldaten vom Berghang herunter, um helfend einzugreifen, doch nirgendwo war ein Apache zu sehen.

Ächzend rollte Sandobal sich auf die Seite. Er starrte zu dem zusammengebrochenen Apachen hinüber, sprang dann hoch und hastete bergan. Keuchend warf er sich neben dem Captain an den Felsen und fluchte unterdrückt.

Bei ihren Pferden verhielten der Korporal und die Soldaten und horchten.

Unheimlich war die Stille ringsum.

Die Zeit verging nur langsam.

Fernab verebbte das Echo. Der klagende Ruf von Bergwölfen war die einzige Antwort.

»Die listigen Rothäute haben uns getäuscht«, stieß der Scout wütend hervor. »Nur ein einziger Apache war zurückgeblieben, um Holz nachzuwerfen. Die anderen sind längst über alle Berge.«

Captain Chisum schwieg und grübelte. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt, eine knochige Maske aus Staub und Schweiß, die nichts von leidenschaftlichen Gefühlen verriet.

»Wenn sie nicht hier sind, dann kann es nur eines bedeuten, Scout«, sprach er schließlich mit dumpfer Stimme. »Sie wissen, dass wir uns getrennt haben und werden den Wagen angreifen. Ich werde mir Gewissheit verschaffen.«

Chisum schwang sich aufs Pferd, preschte im Galopp in die Senke hinein und hindurch. Hart schlugen die Hufe an den Feuern vorbei und stampften vor dem leblosen Apachen sekundenlang auf der Stelle.

Als es völlig ruhig blieb, ritt der Captain am Rande der Senke entlang. Jeden Augenblick konnte ein Hagel von Kugeln und Pfeilen hinter den Felsenklippen hervorzischen, doch mit eiskalter Entschlossenheit ritt er an den Felsen vorbei und kehrte heil zurück. Er wusste nun, dass seine Vermutung richtig war, und befahl sofort:

»Los, auf die Pferde! Wir müssen Arlington zu Hilfe kommen!«

Kaum hatte er dies gesagt, als sie das ferne dumpfe Knallen mehrerer Schüsse hörten.

»Das muss am Wagen sein!«, rief der Korporal erregt. »Die Apachen haben den Wagen angegriffen!«

Im Galopp ritten sie auf ihrer eigenen Spur zurück. Sie durften nicht zu spät kommen. Unaufhaltsam rann die Zeit dahin, bedeutete höchste Lebensgefahr für den Sergeant und die Wageneskorte.