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Moonlight Romance
– 5 –

Der Fluch ds Vogelmonsters

Die schöne Geigerin Valerie soll sterben!

Runa Moore

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-022-6

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»Das Allerschrecklichste an der Geschichte ist, dass das Vogelmonster eine junge Frau vergewaltigt haben soll. Er hat sie nicht getötet, sondern entführt und in seinem Nest hoch oben in den Klippen über dem Meer gefangen gehalten. Sie ist von ihm schwanger geworden und soll eine Tochter geboren haben. Ein seltsames Mischwesen zwischen Vogel und Mensch. Sie soll Flügel gehabt haben und ein Vogelgesicht. Die übrigen Körperteile sahen aus wie bei einem Menschen. Es muss ein unglückliches Wesen gewesen sein. Sie hat sich wieder mit einem Vogel gepaart und eine Tochter geboren, die auch das Böse in sich trug. Nach und nach haben sich wohl die Vogelmerkmale verringert, aber alle ihre weiblichen Nachkommen sind von dem Bösen befallen.« Nachdenklich sah Daniel seine Großmutter an. »Was soll das heißen? Was tun sie? Morden sie auch?« »Ich weiß es nicht. Die Leute erzählen, dass diese Vogel-Frauen zu allem Bösen fähig sind.«

Valerie sah den großen schwarzen Vogel schon von Weitem. Zuerst war er nur ein kleiner, dunkler Punkt am Himmel, dann wurde er immer größer, und schließlich konnte sie sogar die weit gespannten Flügel erkennen. Eine ganze Zeit lang flog der Vogel vor ihr her, während sie ihr Auto über die schmale Straße in den schottischen Bergen lenkte. Immer wieder wanderte ihr Blick zu dem Vogel, der sie zu begleiten schien. Manchmal verschwand er für ein paar Augenblicke, tauchte aber Sekunden später wieder auf. Jedes Mal schien er etwas näher zu kommen, und Valerie konnte sogar den langen, spitzen Schnabel und das schwarz schimmernde Gefieder erkennen.

Die Dämmerung brach früher herein, als sie erwartet hatte. Es gab nur noch einen schmalen Streifen Tageslicht am dunkler werdenden Himmel, und sie hatte Mühe, ihre Konzentration zu behalten, wenn sie die engen Kurven nahm.

Sie wollte unbedingt vor Einbruch der Nacht in Blackforest Manor ankommen. Doch seit Stunden hatte sie kein Hinweisschild mehr gesehen. Es konnte gut sein, dass sie eine Abzweigung übersehen hatte und in die falsche Richtung fuhr. Die Vorstellung ängstigte sie: Je schneller sie vorwärtskam, umso weiter würde sie sich von ihrem Ziel entfernen. Was sollte sie tun?

Wieder erblickte Valerie den großen schwarzen Vogel. Diesmal flog er bis kurz vor die Windschutzscheibe, um erst im letzten Augenblick abzudrehen und sich wieder nach oben zu schrauben. Valerie war einen Augenblick unkonzentriert und wäre beinahe im Graben gelandet.

Sie nahm den Fuß vom Gaspedal und warf einen Blick in den Rückspiegel. Es hatte begonnen zu regnen, und der Asphalt glänzte wie eine dunkle Schlangenhaut. Sie hoffte inständig, dass von irgendwoher Scheinwerfer aus dem Dunkel auftauchten, die ihr anzeigten, dass sie nicht allein unterwegs war. Sie wollte nicht die einzige Autofahrerin sein, die im Zwielicht des zu Ende gehenden Oktobertages hier draußen herumfuhr, ohne zu wissen, wo sie sich befand, verfolgt von einem großen schwarzen Vogel.

Weit und breit war kein Haus zu sehen, noch nicht einmal eine Schafherde graste am Wegesrand. So weit das Auge reichte, nur Heidekraut und Ginsterbüsche, die im schwindenden Licht wie schwarze Schatten aus dem Boden wuchsen.

Valerie fuhr noch langsamer und hielt schließlich an. Erschöpft legte sie den Kopf auf das Lenkrad und schloss die Augen. Die Angst, sich völlig verirrt zu haben, kroch in ihr hoch wie ein kleines, hungriges Tier.

Warum hatte sie nicht in der Kleinstadt übernachtet? Dann säße sie jetzt in einer gemütlichen Gaststube bei einem Glas Rotwein und würde sich irgendwann mit schweren Gliedern und leicht beschwipst auf ihr Zimmer zurückziehen. Nach einem heißen Bad wäre sie in ein weiches Bett gesunken und am nächsten Tag nach einem guten Frühstück nach Blackforest Manor aufgebrochen!

Stattdessen stand sie hier mitten in der Einsamkeit und wusste nicht, wo der nächste Ort war. Der Wind pfiff und heulte, Kälte kroch durch die Ritzen, und draußen würde sich in wenigen Minuten der letzte Schimmer Tageslicht in finsterste Nacht verwandeln.

»Das habe ich jetzt davon«, murmelte Valerie und trommelte nervös auf dem Lenkrad herum. Sie hatte überhaupt nicht nachgedacht und war einfach losgefahren! Sie hätte viel gründlicher überlegen müssen, ob sie die Einladung nach Blackforest Manor überhaupt hatte annehmen sollen.

Aber wie so oft, hatte sie spontan zugesagt – ohne genau zu überlegen. Nun stand sie hier und fühlte sich hilflos und sehr einsam.

Die junge Frau starrte noch ein paar Augenblicke in die Dunkelheit, dann schaltete sie die Scheinwerfer ein und startete den Motor. Es blieb ihr nichts anderes übrig als weiterzufahren. Irgendwo musste sie doch ankommen. Nach einigen Minuten blinkte das rote Licht am Armaturenbrett.

Auch das noch! Bald wäre der Tank leer. Valerie merkte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Hände schmerzten. Sie spürte, wie sich der Nacken und die Schulterblätter verhärteten. Sie machte sich gerade mit dem Gedanken vertraut, hier draußen zu übernachten, als sie das Schild sah. Es stand etwas verdeckt unter einem verkrüppelten Baum, und oben auf dem Schild saß ein großer, schwarzer Vogel. War es etwa derselbe, der während der Fahrt vor ihr hergeflogen war?

Valerie stieg aus, um das Schild aus der Nähe zu betrachten. Der Vogel blieb regungslos sitzen und starrte auf sie hinab. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Noch zwei Meilen bis Blackforest Manor!

Sie schlug die Wagentür zu und fuhr los. Im selben Augenblick erhob sich auch der Vogel und flog dicht vor ihr her, bis das alte Herrenhaus vor ihr auftauchte. Inzwischen war es dunkel geworden, aber der Mond schien auf das Gebäude.

Zwei hohe Türme begrenzten auf beiden Seiten den Mittelteil des Hauses. Das Gebäude wirkte düster und verfallen. Von der Fassade bröckelte Putz und auf der rechten Seite wucherte der Efeu bis aufs Dach hinauf. Valerie lenkte den Wagen bis vor das Portal. Aufatmend blieb sie einen Moment sitzen und drückte ihren verspannten Rücken in das Polster ihres Sitzes. Dann öffnete sie die Wagentür, stieg aus und starrte auf das wuchtige Haus, das dunkel und bedrohlich vor ihr aufragte.

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Ihr Blick wanderte nach oben. Ein Vogelschwarm näherte sich von dem kleinen Wald und nahm Kurs auf das Haus. Schwarze Rabenvögel schlugen mit den Flügeln, und es hörte sich an, als würde ein Kutscher sein Pferdegespann mit wilden Peitschenschlägen traktieren. Die Vögel stießen krächzende Laute aus und ließen sich auf den beiden Türmen nieder. Sie schlugen wild mit den Flügeln und ruckten mit den Köpfen hin und her.

Als ein starker Wind durch die hohen Bäume neben dem Haus fuhr, erhoben sich die Vögel und spannten ihre schwarzen Flügel wie große dunkle Segel. Kurz darauf erfüllte ein gewaltiges Rauschen die Luft. Valerie starrte nach oben. Die Vögel hielten genau auf sie zu. Geduckt lief sie zu ihrem Auto zurück, warf sich auf den Kiesweg und versuchte, unter das Auto zu kriechen. Im Sturzflug schossen die Vogel auf sie herab. Doch kurz bevor sie sie erreicht hatten, drehten sie ab, stiegen wieder in die Lüfte und flogen krächzend in das Wäldchen zurück, aus dem sie gekommen waren.

Valeries Herz hämmerte. Die Vögel hatten ihr einen Riesenschrecken eingejagt. Was hatte das zu bedeuten? Wieso waren die Vögel genau auf sie zugeflogen? Hatte sie etwas an sich, was ihre Angriffslust erregt hatte? Eine Farbe? Ein Geruch?

Valerie war der Schreck so sehr in die Glieder gefahren, dass sie eine ganze Weile regungslos sitzen blieb. Dann erhob sie sich langsam und klopfte sich die Kieselsteine von den Jeans. Ihre Hände waren schmutzig und verkratzt. Sie holte ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schmutz ab, so gut es ging. Sie wollte gerade noch einmal ins Auto steigen, um sich ein bisschen von dem Schreck zu erholen, als die Tür des Hauses aufging. Eine schmale Gestalt erschien im Türrahmen.

»Willkommen auf Blackforest Manor!«, sagte eine Männerstimme.

Valerie hielt mitten in der Bewegung inne. Die Stimme klang so warm und einladend, dass ihr fast die Tränen kamen.

»Kommen Sie herein!«, sagte der Mann, der auf dem Treppenabsatz stand. Valerie bewegte sich immer noch nicht. Sie schien wie festgewachsen und blickte auf die groß gewachsene, schlanke Gestalt. Der dunkle Anzug passte wie angegossen, aber am faszinierendsten waren die dunklen Augen des Mannes, die wie Opale in dem edel geschnittenen Gesicht funkelten.

»So kommen Sie doch! Wir erwarten Sie schon!«, sagte der Mann mit einem leicht ungeduldigen Ton. Er streckte die Hand aus, um Valerie zu begrüßen.

»Einen Augenblick bitte«, sagte Valerie. Sie nahm den Geigenkasten vom Rücksitz und schloss die Autotür. Dann ging sie auf den Mann zu. Er lächelte, als Valerie die Stufen hinaufkam.

»Ich nehme an, Sie sind Valerie. Schön, dass Sie da sind. Ich bin Raymond McDougle.«

»Freut mich«, murmelte Valerie. »Es tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich habe gedacht, ich komme gar nicht mehr an.«

»Das macht doch nichts. Jetzt sind Sie ja da!« Er wollte nach ihrem Geigenkasten greifen, doch Valerie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Vielen Dank, ich brauche keine Hilfe«, sagte sie. »Wo ist Eliza?« Sie trat hinter dem Mann in die große Diele und ließ ihren über die zahlreichen Gemälde an den dunklen Holzwänden wandern. Ein Gemälde stach ihr besonders ins Auge. Es zeigte einen Mann mit einem markanten Gesicht und scharf blickenden Augen. Auf seiner Schulter saß ein großer schwarzer Vogel.

»Wer ist dieser Mann?«, fragte sie und deutete auf das Bild.

»Soviel ich weiß, ist das ein Vorfahre von Eliza«, erwiderte der Mann. »Wie alle Männer und Frauen, die hier zu sehen sind.«

Valerie wandte sich ab und wiederholte ihre Frage nach Eliza.

»Sie hatte Kopfschmerzen und hat sich etwas hingelegt«, antwortete Raymond. »Allerdings hat sie darauf bestanden, geweckt zu werden, sobald Sie ankommen.«

Valerie fand es merkwürdig, dass Eliza nicht da war. Sie hatten doch noch am Nachmittag telefoniert und Eliza hatte beteuert, wie sehr sie sich auf Valeries Besuch freute. Von Kopfschmerzen war da keine Rede gewesen. Sie presste den Geigenkasten an sich und folgte dem gut aussehenden Mann ins Innere des Hauses. Es wirkte genauso düster und abweisend wie das Äußere. Das spärliche Licht aus den Wandleuchtern verstärkte eher die Dunkelheit, als dass es den Raum erhellte und ließ die Schatten der Möbel noch stärker hervortreten.

Raymond McDougle drückte die Klinke einer Tür neben der breiten Treppe nieder und sie betraten ein geräumiges Wohnzimmer, das von dem riesigen schwarzen Klavierflügel zwischen den Fenstern dominiert wurde. Aber auch dieses Zimmer wirkte nicht wohnlich. Die Stehlampe neben dem Sofa warf nur ein trübes Licht auf den dunkelgrünen Teppich, anthrazitfarbene Vorhänge bedeckten die Fenster. Die braunen klobigen Möbel wirkten beinahe schwarz.

Valerie schüttelte sich innerlich. Das Einzige, was ihre Stimmung hob, war der cremefarbene Sofaüberwurf mit den rosafarbenen Hortensien.

»Nehmen Sie doch bitte Platz!«, sagte Raymond, der sie aus den Augenwinkeln heraus beobachtet hatte. »Ich gehe und hole Eliza.« Er verließ das Zimmer.

Valerie wollte gerade auf dem Sofa Platz nehmen, als sie zusammenzuckte. Am Klavierflügel von den Vorhängen etwas verdeckt, stand plötzlich eine Frau. Wieso hatte sie die Frau bei dem Eintritt ins Zimmer nicht bemerkt? Und warum hatte Raymond sie einander nicht vorgestellt?