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Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der handelnden Personen – außer denen der historischen Persönlichkeiten – sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig und unbeabsichtigt.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2013

© 2018 Edition Förg, Rosenheim
www.rosenheimer.com

Titelfoto: © Bundesarchiv Bild 101I-539-0393-26A / Fotograf: Grunewald
Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
Datenkonvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

eISBN 978-3-933-70858-8 (epub)

Worum geht es im Buch?

Franz Taut

Verwehte Spuren
Als Gebirgsjäger an der Ostfront

 

Unter dem Decknamen „Operation Edelweiß“ soll Leutnant Wenkes Gebirgsjäger-Division zügig den Kaukasus Richtung Schwarzmeerküste überqueren. Doch bereits der Hinweg wird zur Tortur. Neben ständiger Feindesnähe und fehlendem Nachschub an Truppen und Nahrungsmitteln, drohen Schnee und Eis das Vorhaben zu gefährden.

 

Zum Todesurteil wird den Soldaten aber die Beurteilung der Berliner Führungsspitze, die ohne Kenntnis der genauen Lage die Situation völlig falsch einschätzt. Als die Erlaubnis zum Rückzug erteilt wird, ist es zu spät: Wenk kann nur noch versuchen, die letzten Überlebenden zu retten.

Eine wahre und erschütternde Geschichte.

Inhalt

Worum geht es im Buch?

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

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1

Es war kurz vor neun Uhr, und es war der Abend des 20. Juli 1942, da klingelte auf dem Klapptisch, an dem Oberleutnant Hölldorf die Abendmeldung schrieb, das Feldtelefon. Hölldorf hob ab, nannte seinen Namen und den Decknamen des Bataillons. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Hauptmann Winkler, der Regimentsadjutant. »Ich gebe Ihnen den Marschbefehl durch. Ist gerade von der Division eingetroffen.«

»Den Marschbefehl?«, fragte Hölldorf ungläubig. Vor einigen Tagen hatte es sich noch um einen Angriff mit Panzerunterstützung gehandelt, der allerdings dann in letzter Stunde abgeblasen worden war. »Ganz richtig«, sagte Winkler. »Woroschilowgrad ist gefallen. Aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt auch Krassnij Lutch. Wir haben vorerst keinen Kampfauftrag, sondern folgen dem Gebirgskorps in zweiter Linie.«

Hölldorf wiederholte und notierte die Einzelheiten: Abmarschzeit, Gliederung und erstes Tagesziel. Die Marschrichtung wies zunächst nach Süden, an der bisherigen Frontlinie entlang. Aber bei Taganrog am Asowschen Meer musste sie zwangsläufig nach Osten schwenken. »Nach Rostow leckt sich der Führer schon lang’ die Finger ab«, fügte Winkler dem rein Dienstlichen hinzu. »Unser Adolf hat es nie verwunden, dass Sepp Dietrich mit seiner Leibstandarte dort vom Iwan rausgeschmissen worden ist.«

»Also Rostow?«, warf Hölldorf ein, ohne auf Winklers sonstige Bemerkungen einzugehen. Hauptmann Winkler war im Regiment als Lästermaul bekannt. Jetzt lachte er. »Für uns kaum. Wir haben andere Aufgaben – einschlägige. Übrigens noch etwas: Die Division hat Leutnant Wenk von dem Lehrgang abberufen. Man hat ihn bereits in Marsch gesetzt. Das wär’s.«

Das Gespräch war beendet. Hölldorf ging nun in den zweiten Raum des Gefechtsstandbunkers und weckte den Bataillonskommandeur. Oberstleutnant Ruf lag in voller Uniform auf seiner Holzpritsche. Trotz der Abendstunde war es noch drückend heiß. Eine alte Verwundung setzte dem Kommandeur seit einigen Tagen zu. Er setzte sich auf und nahm Hölldorfs Meldung entgegen.»Verständigen Sie die Kompanien, Hölldorf«, befahl er. »Abbau der Leitungen vorbereiten. Das Übliche eben. Sie wissen ja Bescheid. Was hat Hauptmann Winkler sonst noch gesagt?«

»Leutnant Wenk ist unterwegs zum Bataillon, Herr Oberstleutnant. Ja, und dann etwas von einschlägigen Aufgaben.«

Der Kommandeur nickte. »War zu erwarten. Daher auch der Tragtierersatz. Und Wenk kommt also zu uns zurück. Sehr erfreulich. Wir haben ja ohnehin zwei Offiziersstellen mit Feldwebeln besetzt. In Ordnung, Hölldorf. Lassen Sie, wie gesagt, alles zum Abrücken vorbereiten. Gefechtsvorposten werden natürlich erst morgen früh eingezogen. Ich leg mich wieder aufs Ohr. Muss in Form sein, wenn’s losgeht.«

Hölldorf ging in den Gefechtsstand zurück, läutete nacheinander die Kompanien an – »Eierwiese«, »Wasserball« und »Buchfink« – und informierte die drei Kompanieführer: Hauptmann Hager, Oberleutnant Spatz und Feldwebel Goebel, den Stellvertreter von Leutnant Wenk. Die drei reagierten so, wie Hölldorf vermutet hatte. Sie äußerten Erleichterung darüber, dass es nach langen Monaten festgefahrenen Stellungskrieges endlich wieder auf Wanderschaft ging, dass Bewegung in den Laden kam. Auch hier unten am Mijus, nicht nur droben bei Woronesch. Darauf rief Hölldorf die Vermittlung an, ließ sich mit dem etwas weiter rückwärts stationierten Stabspersonal verbinden und gab auch dort die erforderlichen Anweisungen.

Als alles erledigt war, rief ihn der Kommandeur zu sich: »Noch was, Hölldorf«, sagte er. »Alles muss hier so bleiben, wie es ist. Nichts darf zerstört werden. Wer weiß, ob die Stellung nicht noch mal gebraucht wird.«

Hölldorf blickte den Oberstleutnant verwundert an. Der Ausdruck des hageren, eingefallenen Gesichts war abweisend, fast verschlossen, so dass es nicht angebracht schien, eine Frage an ihn zu richten.

»Das wär’s«, sagte Ruf wie üblich und drehte sich mit unterdrücktem Ächzen auf seinem harten Lager auf die Seite. Hölldorf besorgte die Weitergabe der letzten Anordnung, dann löschte er die Lampe, öffnete die splittersichere Bohlentür und trat in die dunkle Balka hinaus. Der Ausschnitt des nächtlichen Himmels über der Schlucht zeigte ein Heer funkelnder Sterne. Es war ungewöhnlich still. Nur aus weiter Ferne – von Osten oder Nordosten – kam ein schwaches dumpfes Grummeln. Das Auffallendste aber war, dass der rotierende Peilstrahl des russischen Flugplatzes bei Krassnij Lutch erloschen war. Die Russen bauten demnach wirklich ab. Womöglich hatten sie bereits die Stellungen gegenüber dem Bataillon verlassen. Man würde es wissen, wenn der Spähtrupp zurückkam, den Hauptmann Hager bei Dunkelwerden losgeschickt hatte.

Hölldorf blickte sich in der Balka um. Bis Ende März war sie tief verschneit gewesen. Zuweilen hatte der Schnee so hoch gelegen, dass sie sich hatten ausschaufeln müssen. Dann war die Tauwetterperiode eingetreten, und man hatte Stege aus Balken gelegt, um nicht im Morast zu versinken. Vor dem Bunker, in dem die Melder hausten, war ein Beet angelegt. Die Landser hatten Radieschen und Erdbeeren gepflanzt. Die Ernte freilich war sparsam ausgefallen, da nur wenig Sonne in den Grund der Schlucht kam. Erdbeeren und Radieschen. Nicht alle aus dem Melder-Bunker hatten deren Reifen erlebt. Der Friedhof des Regiments im Hinterland wies viele Kreuze auf. Vor allem während der Winterkämpfe hatte das Bataillon schwere Verluste erlitten. Leutnant Wenk würde viele fremde Gesichter vorfinden, wenn er nun nach der langen Zeit zurückkehrte. Wo würde er zum Bataillon stoßen? Vielleicht am Don – oder schon drunten auf der Steppe – auf dem Vormarsch zum Kaukasus …

2

Seit Mittag, seit nahezu drei Stunden, hielt der Fronturlauberzug auf freier Strecke. Die Landser in den Waggons des Urlauberzuges hatten nichts gegen den Aufenthalt einzuwenden. Warten bedeutete Ruhe. Man wäre durchaus damit einverstanden gewesen, wenn der Zug ein paar Wochen lang stehengeblieben wäre, ausreichende Verpflegung und gelegentlich die Zuteilung von Marketenderwaren vorausgesetzt.

Im schwach besetzten Offizierswagen am Schluss des Zuges – abgeschabte rote Polstersitze, in deren Ecken Wanzen nisteten – döste im Halbschlaf in einer Fensterecke Hans Wenk, Leutnant bei den Gebirgsjägern, 27 Jahre alt, vor wenigen Tagen von einem Lehrgang zur Front abberufen. Seine reich dekorierte Feldbluse, auf deren rechtem Ärmel das Edelweiß genäht war, hatte er aufgeknöpft. Es war hochsommerlich heiß, der flimmernde Himmel über endlosen Sonnenblumen- und Getreidefeldern zu beiden Seiten der Bahnlinie war wolkenlos. Im vergangenen Winter, nach dem Durchbruch der Roten Armee bei Isjum am Donez, der am 18. Januar bei sibirischer Kälte begonnen hatte, war Wenk von der Division zu einem Skibataillon der neu gebildeten Armeegruppe Mackensen abgestellt worden. Im Nordwesten des Verschiebebahnhofs Jassinowataja, der bereits von russischen Reiterpatrouillen bedroht war, war er in schwerem Artilleriebeschuss durch einen Eisensplitter am Rücken verwundet worden. Nach seiner Genesung und einem dreiwöchigen Erholungsurlaub, den er zu Hause im Oberland verbracht hatte, war er überraschend zu einem Hochgebirgslehrgang abkommandiert worden. Am Großglockner, am Großvenediger und später in den Ötztaler Alpen hatten sie Gefechtsübungen abgehalten, waren in der Fels- und Eisarbeit sowie im Bergrettungsdienst unterwiesen worden. Nach Abschluss des Lehrgangs hätte er wie alle übrigen Teilnehmer das Heeresbergführerabzeichen erhalten sollen. Aber dann war der Kurs plötzlich abgebrochen worden. Sofortige Rückkehr zur Division, hatte es geheißen. Die war, nach unterwegs aufgeschnappten Gerüchten, aus der Winterstellung am Mijus zum neuen Vormarsch angetreten. Eine Fliege krabbelte über Wenkes Gesicht, das von dem langen Aufenthalt im Schnee und Eis der großen Höhen tief gebräunt war. Er fuhr aus dem Halbschlaf auf, verscheuchte die Fliege und suchte in den Taschen seiner Feldbluse nach Zigaretten. Sein Gegenüber, Hauptmann Schnell, eine auffallend dürre Gestalt in schwarzer Panzeruniform, klappte ein silbernes Etui auf und reichte es dem Leutnant. Wenk dankte, bediente sich, gab dem Hauptmann Feuer und steckte dann seine eigene Zigarette an.

Schnell war »Zauberlehrling«, wie man die Generalstabsanwärter nannte, und war ebenso wie Wenk von einem Lehrgang zu seiner Division zurückbefohlen worden. Diese gehörte der 1. Panzerarmee an, der die Gebirgsjäger während des ersten Vormarsches in Russland zeitweilig zugeteilt waren.

»Schöner Mist«, meinte Schnell. »Wer weiß, wo ich meinen Haufen finde. Wenn ich diese Zuckelei vorausgesehn hätte, wäre ich in Lemberg ausgestiegen und hätte mich nach einer Flugmöglichkeit umgeschaut.«

»Wieso?«, fragte Wenk. »Glauben Herr Hauptmann jetzt auf einmal doch an rasanten Vormarsch und so?«

Bisher hatte Hauptmann Schnell in Gesprächen über die Lage äußerste Skepsis zur Schau getragen. Die neue Offensive, die Ende Juni im Raum Kursk eingeleitet worden war und dann nach Süden übergegriffen hatte, schien ihm von vornherein verpfuscht zu sein. Ein Fehlschlag, ein Schlag ins Nichts, wie er meinte. Schnell beugte sich vor. Er war nur drei Jahre älter als Wenk, aber sein Gesicht war nicht das eines jungen, lebensfrohen Mannes. Unverkennbar waren seine Züge geprägt von bitteren Erfahrungen. »Das ist es ja«, sagte er. »Wie Sie wissen, bin ich einigermaßen unterrichtet. Die vierte Panzerarmee und die nachfolgende sechste Armee haben wohl die russische Front geöffnet. Seit dem Erfolg bei Woronesch läuft der Laden scheinbar wie geschmiert. Aber wo bleiben die Gefangenen? Wo bleibt die Beute? Im Verhältnis zu unserem Aufwand ist das bisherige Ergebnis mehr als dürftig. Die Russen weichen aus. Sie haben dazugelernt. Lassen sich nicht mehr einkesseln wie noch im Frühjahr, als wir den Sack von Isjum hinter dem Donez zumachten. Was wir jetzt nicht ausschalten, kann uns später noch schwer zu schaffen machen. Unsere Divisionen rollen ins Leere, vom jeweiligen lokalen Widerstand abgesehen.«

In diesem Augenblick trat Major Dr. Hennefeld ins Abteil. Er schnaufte wie nach einer beträchtlichen Anstrengung. Eine Zeit lang hatte er draußen im schmalen Schatten des Waggons seinen eingeschlafenen Beinen Bewegung verschafft. Der Major war ein stark ergrauter, etwas beleibter Herr Ende vierzig. Im Gegensatz zu Wenk und Schnell war er Reservist und hatte, wie das schwarzweiße EK-Band verriet, schon am Ersten Weltkrieg teilgenommen. »Ein Glück, dass ich ab Jassinowataja meinen Wagen habe«, sagte er. Nach einer Atempause setzte er hinzu: »Vielleicht wäre es wünschenswert für Sie, meine Herren, sich mir anzuschließen. Dieser Zug kann ja bis Taganrog noch acht Tage durch die Gegend bummeln. Wer weiß, ob man dann überhaupt noch Anschluss findet – nach allem, was man hört.«

»Nehme dankend an, Herr Major«, entgegnete Hauptmann Schnell. »Allerdings habe ich die leise Hoffnung, dass meine Division auch auf den Einfall gekommen ist, mir nach Jassinowataja einen Wagen entgegenzuschicken. In diesem Fall wäre es, glaube ich, für Leutnant Wenk zweckmäßiger, bei mir einzusteigen.« Ehe Wenk etwas sagen konnte, fuhr Schnell fort: »Exzentrische Bewegungen in weiten Räumen bedeuten unzureichend gedeckte Flanken. Lesen Sie mal bei Clausewitz nach! Ich kenne die neuen Angriffsziele. Die Wolga bei Stalingrad und andererseits der Kaukasus, der wohl Ihr Betätigungsfeld wird, Herr Wenk.«

»Das kann ich bestätigen, Herr Kamerad«, bemerkte Major Hennefeld, während er die Schirmmütze abnahm und den Schweiß von seiner breiten, geröteten Stirn wischte. »Die Gruppe von Spezialisten, die ich in Gorlowka übernehme, ist für Tiflis bestimmt.«

»Ist das nicht ›Geheime Kommandosache‹, Herr Major?«, warf der Panzerhauptmann spöttisch ein. »Aber beruhigen Sie sich. Ich kann Ihnen noch einiges mehr verraten: In der großen Planung ist der Kaukasus nur eine Etappe. Der nach Süden gerichtete Keil – erste Panzerarmee, siebzehnte Armee und das italienische Alpini-Korps – zielt viel weiter: durch Transkaukasien nach Persien. Rommel soll gleichzeitig den Suezkanal überschreiten und uns durch den Nahen Osten entgegenstoßen. Die Konzeption des Führers. Mit einem Schlag sozusagen will er die Bolschewiken und das britische Weltreich auf die Knie zwingen.«

»Phantastisch!«, rief der Major mit aufrichtiger Bewunderung aus. Leutnant Wenk dagegen schwieg. Er hatte das unbehagliche Gefühl, Hauptmann Schnell mache sich über den Major lustig. Schnell sprach schon wieder.»Allerdings«, sagte er trocken. »Phantastisch. Aber genügt eine ausschweifende Phantasie allein zur Kriegführung? Menetekel, kann ich da nur sagen.«

Er meinte es offensichtlich ernst. Über seiner Nasenwurzel entstand eine steile Falte. Sein blasses, knochiges Gesicht drückte die Besorgnis eines Wissenden aus, der Unheil voraussieht, ohne es abwenden zu können. Wenn es wirklich so wäre, dachte Wenk … Aber unvermittelt wurde er abgelenkt. Die Lokomotive ließ plötzlich einen langgezogenen Pfiff ertönen. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Aber hundert Meter weiter stand er schon wieder.

Wenk beugte sich aus dem Fenster. »Eine Baustelle«, erklärte er, zu den beiden Mitreisenden gewandt. »Möglicherweise haben Partisanen die Strecke gesprengt.«

Dann pfiff die Lokomotive wieder. Der Zug ruckte an. Im Schrittempo rollte er weiter, bis er wieder anhielt. Die Stelle, an der gearbeitet wurde, war erreicht. Leutnant Wenk stand am geöffneten Fenster. Die Streckenarbeiter waren offensichtlich Häftlinge, ausgemergelte Gestalten, nur mit Lumpen bekleidet. Die sechs Bewacher waren SD-Leute in der grauen Felduniform der SS. Einer hielt einen hechelnden Schäferhund kurz an der Leine. Alle Mann waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Eine Anzahl Häftlinge schleppte stöhnend eine angebrochene Schiene, die sie offenbar ausgewechselt hatten. Einer von ihnen, ein alter Mann mit dünnem grauem Haar, brach unter der Last zusammen. Ein SD-Mann kam heran, brüllte etwas auf Russisch und hob eine Nagaika, eine mehrschwänzige Kosakenpeitsche, zum Schlag. Der Hieb traf den Rücken des Alten. Jammernd wand er sich am Boden. Der SD-Mann stand nicht weit von Wenkes Abteilfenster entfernt.

»Kommen Sie mal her!«, rief Wenk. »Was haben Sie denn da? Kosakenarbeit, was?«

Der SD-Mann ließ von dem Häftling ab, kam zum Zug und zeigte Wenk die Peitsche. »Ja, eine echte Nagaika«, sagte er grinsend. »Bei diesem Kroppzeug braucht man so was.«

Wenk nahm die Peitsche an sich, als wollte er sie genau betrachten. Unversehens ließ er sie sinken und holte zum Schlag aus. Doch bevor es dazu kam, packte Hauptmann Schnell Wenkes Handgelenk, riss ihm die Peitsche aus der Hand und reichte sie durchs Fenster. »Da haben Sie Ihre Waffe wieder«, sagte er mit steinernem Gesicht zu dem argwöhnisch aufblickenden SD-Mann. Im gleichen Augenblick setzte sich der Zug wieder in Bewegung und nahm rasch Fahrt auf. Die Baustelle blieb in der brütenden Sonne zurück. Hauptmann Schnell sah Wenk an und sagte: »Wenn Sie so einem in die Fresse schlagen, kommen Sie vors Kriegsgericht. Da kann Ihnen weder Ihr Divisionskommandeur noch Ihr Kommandierender helfen. Strafbataillon wäre das mindeste, was Sie sich eingehandelt hätten. Die haben nämlich die Partei hinter sich. Von Himmler ganz zu schweigen. Mit so was legt man sich nicht an, Sie Armleuchter.«

Der Major blickte betreten vor sich hin. Der rüde Ton des Hauptmanns missfiel ihm. Aber auch die Misshandlung des alten Mannes hatte ihm missfallen und ebenso der Versuch des Leutnants, Justiz zu üben.

»Ich werde mir’s merken, Herr Hauptmann«, sagte Wenk. »Ich muss Ihnen dankbar dafür sein, dass Sie eingegriffen haben. Aber ist es nicht beschämend, untätig zuschauen zu müssen, wenn diese Bluthunde sich an wehrlosen Gefangenen austoben?«

»Bluthunde!«, warf Major Hennefeld missbilligend ein. »Die Leute sind Soldaten – Soldaten des Führers.«

»Sie haben das Vertrauen der russischen Bevölkerung zur Wehrmacht untergraben, Herr Major«, entgegnete Wenk. »Dem SD verdanken wir die Partisanen in der Ukraine.«

Der Major holte seine Reisetasche vom Gepäcknetz. »Ich kann Ihre Ansichten nicht teilen, meine Herren«, erklärte er steif und entfernte sich ins Nachbarabteil.

Der Zug fuhr jetzt sehr schnell, als wollte er die versäumte Zeit einholen. Kolchosen und kleine Dörfer flogen vorbei. Nur die endlosen Felder im gleißenden Sonnenlicht blieben sich immer gleich. Im Gegensatz zu Wenk, der nach seiner Verwundung in einem Schlitten und dann in einem Sanka nach Westen verfrachtet worden war, kannte Hauptmann Schnell die Strecke genau.

»Gegen Abend dürften wir in Jassinowataja ankommen«, sagte er. Nach einer Weile fügte er, zum Nachbarabteil deutend, halblaut hinzu: »Nach Tiflis kommt der nie!«

»Wie meinen Herr Hauptmann das?«, fragte Wenk befremdet.

»Keiner kommt dorthin«, antwortete Schnell. »Der ganze Feldzug ist ein verfluchtes Hirngespinst. Ein Hirngespinst, das viel Blut kosten wird! Vielleicht sogar alles.«

Ein Schwarzseher, dachte Wenk, ein notorischer Pessimist. Er wünschte sich zurück zu seiner Division, die den gelben Enzian als Zeichen hatte. Sicher würde man ihm seine Kompanie wiedergeben, die dritte. Dort, in eng abgestecktem Rahmen, galt nur das Nächstliegende. Alles andere war Sache von Leuten, die oben saßen, Befehle entwarfen und eine Maschinerie lenkten, die Hunderttausende in Bewegung brachte. Er schloss die Augen. Die Hitze setzte ihm zu. Droben, auf den Gletschern, war es angenehm kühl gewesen. Aber bald würde er wieder dort sein – in Fels und Eis. Im Kaukasus. Trotz der gegenteiligen Meinung des Panzerhauptmanns glaubte er an den Erfolg der neuen Offensive.

3

In Floßsäcken wurden die Jäger des Bataillons Ruf wenige Kilometer westlich von Rostow über den Hauptarm des Don gesetzt. Aus Rostow hallte Gefechtslärm herüber. Über den Dächern der am hochansteigenden Nordufer erbauten Stadt hing der Rauch von zahlreichen Bränden, vermischt mit bräunlichem Pulverqualm. Gebirgspioniere paddelten die dichtbesetzten Gummiboote über den Strom. Aus dem dichten Riedgras der Sümpfe ratterte MG-Feuer. Geschossgarben ritzten die Wasserfläche, ließen Fontänen aufspritzen.

Aus dem flimmernden Himmel stürzten Ratas wie Bussarde herab – Bussarde, die mit Bordwaffen feuerten. Vom Ufer hämmerte fast pausenlos die im Schilf getarnte Maschinenflak. Doch ohne Verluste erreichte die 3. Kompanie das Sumpfgelände des Dondeltas. Feldwebel Goebel, der stellvertretende Kompanieführer, sammelte die Jäger zum Vorstoß nach Süden durch die Sümpfe. Goebel wusste, dass er und seine Jäger auf sich gestellt waren, dass die schweren Waffen nicht nachgezogen werden konnten, weil der schwankende, schwammige Boden sie nicht trug. Vorerst kein Kampfauftrag, hatte es ursprünglich geheißen. Doch dann war das Bataillon im Eilmarsch zum unteren Don geführt worden. Mit allem, was sie ins Gefecht werfen konnten, versuchten die Russen, den Übergang über den Don zu verhindern. In Rostow tobten schon den zweiten Tag schwere Straßenkämpfe. Im unübersichtlichen Sumpfgelände saßen starke Kräfte des Feindes. Verbissen verteidigten sie die kilometerlange Straßenbrücke, die einzige feste Verbindung nach Bataisk – nach dem Süden. Der Don war der Schlüssel zum Kaukasus, dem Ziel des Gebirgskorps. Das feindliche MG-Feuer wurde heftiger. Bei der rechten Nachbarkompanie griffen Rotarmisten mit »Urrä« an. Die Dritte ging in Deckung. Rufe nach den Sanitätern wurden laut. Wenn Wenk kommt, findet er nichts mehr von seinem Haufen, dachte Goebel, während er einen kurzen Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole abgab. Sie sollten in den Kaukasus. Aber jetzt mussten sie die Donsümpfe überwinden, und es war fraglich, ob es gelänge. Beim rechten Nachbarn brach der feindliche Angriff im konzentrierten Abwehrfeuer zusammen. Auch für die Dritte schien es etwas Luft zu geben.

»Auf!«, befahl Feldwebel Goebel. In Schützenkette bahnten sie sich ihren Weg durchs mannshohe Schilf. Unsichtbare Scharfschützen feuerten aus dem dschungelartigen Dickicht. Dann setzte unvermutet das rasende MG-Feuer wieder ein. Feldwebel Goebel griff sich an die Brust, brach, rücklings umsinkend, in die Knie. Ein Sanitäter kam, stellte fest: Herzschuss, und schloss mit geübter Hand die Augen des Toten. Fluchend übernahm Feldwebel Sinnbauer, der Führer des ersten Zuges, das Kommando über die Kompanie. Er winkte den Funker des Kompanietrupps heran, übergab dem Gefreiten einen rasch hingekritzelten Spruch.»Liegen in schwerem Feuer fest. Feldwebel Goebel gefallen.«

Der Funker gab den Spruch zum Bataillon durch, notierte Minuten später die Antwort und reichte Sinnbauer den Funkmeldeblock.»Angriff um jeden Preis fortsetzen!«, lautete der Befehl.

Um jeden Preis. Hunde, dachte Sinnbauer, ihr verdammten Hunde! Aber zugleich sprang er auf, und die Jäger folgten seinem Beispiel. Schwärme von Stechmücken überfielen sie. Einer versank bis zur Brust im trügerisch überwucherten Morast. Am Karabiner zogen sie ihn heraus. Unerreichbar schien der feste Boden im Süden der Sümpfe – unerreichbar der Kaukasus.

4

Im weitverzweigten Bahnhofsgelände von Jassinowataja distanzierte sich Major Dr. Hennefeld von Hauptmann Schnell und Leutnant Wenk, den beiden Offizieren, deren Ansichten er nicht teilte. Rasch ging er zu seinem bei den Baracken bereitstehenden Wagen. Sein Fahrer, ein alter Stabsgefreiter, trug sein Gepäck.

»Wir brauchen den Major nicht«, sagte Schnell, als er den Oberleutnant in der schwarzen Panzeruniform erblickte, der suchend am Zug entlangging. Er beugte sich aus dem Fenster und rief: »Hier bin ich, Riedmann, altes Haus!« Und zu dem Gebirgsjägerleutnant sagte er: »Kommen Sie, Herr Wenk, mein Verein hat also doch an mich gedacht.«

Wenk nahm den schweren Rucksack auf den Rücken und drückte die Bergmütze auf sein kurz geschnittenes dunkelblondes Haar. Schnell begrüßte Oberleutnant Riedmann und machte ihn mit Leutnant Wenk bekannt. »Wir nehmen Herrn Wenk eine Strecke weit mit«, sagte er und setzte fragend hinzu: »Wie sieht’s aus?«

»Rostow ist gefallen«, antwortete der Oberleutnant. »Als ich vom Divisionsgefechtsstand wegfuhr, waren unsere Kradschützen mit Stoßtrupps der 125. Infanteriedivision auf der Straßenbrücke bis nah an Bataisk rangekommen. Ich nehme an, dass sie inzwischen das letzte Stück geschafft haben. Gegen Bataisk waren Stuka angefordert. Wenn Bataisk in unserer Hand ist, gibt es kein Halten mehr.«

»Wo steht die Enzian-Division, Herr Riedmann?«, fragte Wenk.

»Die Jägerregimenter waren im Vorgehen durch die Donsümpfe. Ein saures Stück Arbeit. Aber wenn wir Bataisk haben, fällt uns auch das Dondelta zu.«

Sie überquerten die Gleisanlagen. Es war noch hell. Soeben war die Sonne blutrot im Westen versunken. Der für Hauptmann Schnell bestimmte Wagen war ein offener staubbedeckter Kübel, der zum Stab der Panzerdivision gehörte. Riedmann fuhr ihn selbst. Hauptmann Schnell setzte sich vorn neben den Oberleutnant. Wenk nahm auf einem der rückwärtigen Sitze Platz.

»Es ist doch recht, wenn wir durchfahren?«, fragte Riedmann, während er den Kübel startete. Dann sprach er aufgeregt von einem erbeuteten Stalin-Befehl, der eindeutig beweise, dass die Rote Armee am Ende sei. »Es ist ein verzweifelter Aufruf zum Widerstand bis zum letzten Mann und eine einleuchtende Erklärung für die geringe Zahl der Gefangenen und die kaum nennenswerte Beute. Sobald der Don überwunden ist, was inzwischen der Fall sein dürfte, rechnet man nicht mehr mit organisiertem Widerstand. Wir müssen uns sputen, Herr Hauptmann, sonst holen wir die Division erst in Ordchonikidse ein.«

»Und der Sprit?«, warf Schnell ein. »Wie wollen Sie den über so weite Entfernungen nachführen?«

»Auch darüber hat man beim Stab gesprochen«, erwiderte der schmalschultrige, schmächtige Riedmann. »Bei Maikop und Grossny erreichen wir das kaukasische Ölgebiet.«

»Aha«, versetzte Schnell mit unverhohlenem Spott, »und man glaubt, dass man dort einfach den Sprithahn aufzudrehen braucht. Hat man denn die abgesoffenen und zerstörten Kohlenschächte im Donezgebiet schon vergessen? Verbrannte Erde! Auch das war einmal ein Stalin-Befehl. Im Übrigen halte ich den erbeuteten Befehl, von dem Sie sprachen, für fingiert.«

Riedmann schwieg. Er kannte die Einstellung des Hauptmanns. Nur Tatsachen konnten Schnell überzeugen. Wenk war auf dem Rücksitz eingenickt. Als er bei einem heftigen Sprung des Wagens erwachte, fuhren sie durch die ausgedehnte Industriestadt Stalino. Im Mondlicht erkannte Wenk die würfelförmigen Betonkästen an der Hauptstraße. Im Herbst des vergangenen Jahres hatten sie die Stadt nach schweren, verlustreichen Häuser- und Straßenkämpfen genommen und damit den Weg in den Donbas geöffnet. Er zündete sich eine Zigarette an. Hauptmann Schnell wandte sich um.

»Wie fühlen Sie sich, Herr Wenk? Noch kein Vormarschfieber?«

»Eigentlich nicht, Herr Hauptmann«, antwortete Wenk. »Aber froh bin ich, wenn ich bei meinem Haufen bin.«

Schnell nickte. »Verstehe ich. Wenn man im Geschirr ist, hat man keine Zeit mehr für überflüssige Gedanken.«

Um vier Uhr morgens fuhren sie durch Taganrog und gelangten nördlich des Asowschen Meeres auf die Rollbahn, die schon im November des vergangenen Jahres beim ersten Vorstoß auf Rostow von der Leibstandarte Adolf Hitler benutzt worden war. Auch beim Rückzug war die Leibstandarte über die von plötzlichem Tauwetter aufgeweichte Rollbahn gefahren – allerdings diesmal in westlicher Richtung. Bis zu den Achsen und zu den Wannen steckten ausgebrannte und zerschossene Lkw und Panzer im längst getrockneten Schlamm.

»Gut, wenn man so etwas sieht«, knurrte Hauptmann Schnell. »Das bewahrt einen vor Größenwahn!«

Er hatte auf der ganzen bisherigen Fahrt nicht geschlafen. Andi Wenk war jetzt munter. Es wurde hell. Hinter Dunstschleiern kam die Sonne herauf. Das Land war weithin unbebaut – graugelbe Steppe. Zur Rechten schimmerte das mehlfarbene, brackige Wasser des Asowschen Meeres. Hinter einer Mulde tauchten Fahrzeugkolonnen auf. Zwei- und dreispurig nebeneinander, den Kühler fast ohne Zwischenraum am Heck des vorderen Wagens, bewegten sie sich im Schrittempo, blieben immer wieder stehen und blockierten die Rollbahn auf ihrer ganzen Breite. Der Nachschub von zwei Armeen. Oberleutnant Riedmann setzte zum Überholen an, doch ein Feldgendarm versperrte ihm mit erhobener Winkerkelle den Weg.

»Nehmen Sie das Ding runter, Mann!«, rief Hauptmann Schnell mit schnarrender Stimme. »Stab Drei-Pfeile-Division. Was ist denn hier eigentlich los?«

»Der Don-Übergang bei Rostow wird erst am Mittag freigegeben«, erklärte der Feldgendarm.

»An russische Bomber denkt ihr wohl gar nicht?«, fragte Schnell.

»Wir sind für die Stockung nicht verantwortlich, Herr Hauptmann«, erwiderte der Feldgendarm. Er kam heran und zeigte Riedmann auf der Karte eine Möglichkeit, die verstopfte Rollbahn zu umgehen. Sie fuhren linksab in die weglose Steppe hinaus und wandten sich dann wieder nach Osten. Zweimal durchquerten sie an markierten Übergängen russische Panzergräben. Riesige Trichter von Stukabomben zeigten, wie man beim Angriff gegen die Hindernisse vorgegangen war. In der Hitze aufgedunsene Leichen gefallener Rotarmisten lagen hinter eingeebneten Feldbefestigungen. Ein etwa zweihundert Mann starker Trupp gefangener Russen kam ihnen entgegen. Vier Landser, die sich mit kleinen Kosakenpferden beritten gemacht hatten, bewachten sie. Dann kam rechts voraus die am überhöhten Nordufer des Don erbaute Stadt Rostow in Sicht, die nun innerhalb von neun Monaten zum zweiten Mal eingenommen worden war. Sie gelangten in die Stadt. Die Uliza Engels, auf der sie zum Don hinabfuhren, war von Kampfspuren gezeichnet. Neben ausgebrannten Ruinen, aus denen stellenweise noch dünne Rauchschwaden aufstiegen, ragten von Sprenggranaten durchsiebte Fassaden.

Die Pontonbrücke über den Hauptarm des Don war offenbar vor Kurzem erst fertiggestellt worden. Ein Fahrzeugpulk, der von Feldgendarmen langsam weitergeschleust wurde, staute sich vor der Brücke. Ein russisches Kampfflugzeug stieß unversehens aus großer Höhe herab. Schwere und leichte Flak begann zu feuern. Das Flugzeug drehte ab. Eine Bombe rauschte in den Strom, ohne Schaden anzurichten. Rechts vor der Brückenrampe standen zwei hohe deutsche Offiziere, von denen einer die Bergmütze mit dem Edelweiß trug, und eine gedrungene, schwarzhaarige Gestalt in einer fremdartigen Uniform.

»Der General mit der Bergmütze ist der Kommandierende des Gebirgskorps«, erklärte Wenk.

Hauptmann Schnell wandte sich zu ihm um. »Wissen Sie auch, wer die beiden anderen sind? Der Große ist Generalfeldmarschall List, der die neugebildete Heeresgruppe A führt, der andere der japanische Botschafter in Berlin, General Oshima.«

»Der japanische Botschafter in Generalsuniform?«, meinte Riedmann. »Das hat doch etwas zu bedeuten!«

Hauptmann Schnell lachte. »Sonnenklar, mein Lieber. Wenn wir uns demnächst mit den Japanern am Indus treffen, verspreche ich Ihnen für den ersten Abend eine Geisha.«

Der Kübelwagen wurde von den Feldgendarmen herangewinkt. Auf klappernden Planken überquerten sie den Don und setzten die Fahrt auf der durch die Sümpfe führenden Straßenbrücke fort, die unversehrt in deutsche Hand gefallen war.

Mit sachverständigem Blick begutachtete der zukünftige Generalstäbler Schnell die unübersehbar lange Brücke. Der Faden, an dem alles hängt, sagte er sich. Wenn es den Russen gelungen wäre, den Damm zu zerstören, wäre das Unternehmen Kaukasus wie eine Seifenblase geplatzt. Sah es nicht ganz so aus, als ob eine wohlüberlegte Absicht dahinterstecke, als ob den Russen daran läge, dass das deutsche Ostheer seine Kräfte in der Weite seines Landes verzettelte?

Einer Kolonne von Munitions-Lkw folgend, erreichten sie am Südende der Brücke die Stadt Bataisk. Von den Häusern am Ortsrand waren nur noch die Grundmauern, zersplitterte Balken und Schutt vorhanden, davor eine Reihe von Gräbern, an deren Kreuzen deutsche Stahlhelme hingen. Bei einem halb abgeknickten Telefonmast, an dem die Hinweisschilder zahlreicher Truppenteile befestigt waren, hielt Oberleutnant Riedmann den Wagen an, um sich zu orientieren. Die drei von einem Kreis umgebenen Pfeile der Panzerdivision wiesen nach Süden, das Zeichen der Enzian-Division dagegen rechts ab. Leutnant Wenk stieg aus und schulterte seinen Rucksack. Er bedankte sich bei Schnell und Riedmann dafür, dass sie ihn mitgenommen hatten.

»Danken Sie uns nicht, Herr Wenk«, sagte Hauptmann Schnell. »Je eher Sie bei Ihrer Division sind, um so rascher sind Sie im Kampf. Denn ein Spass ist das Ganze nicht, auch wenn es manchmal so aussieht. Leben Sie wohl, Leutnant Wenk. Machen Sie’s gut. Vielleicht begegnen wir uns wieder einmal. Aber nicht in Tiflis. Das ist nicht drin!«

Der Kübelwagen fuhr ab und verschwand bald zwischen den Ruinen des schwer getroffenen Bataisk. Wenk folgte der Richtung, in die das Schild mit dem gelben Enzian wies.

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