Mami – 1927 – Nur eine Mutter für meinen Sohn?

Mami
– 1927–

Nur eine Mutter für meinen Sohn?

Was verbindet Susanne und Ferdinand wirklich?

Eva-Maria Horn

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-036-3

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»Else, du sollst das schwere Tablett nicht tragen. Ich hab’ es dir schon so oft gesagt.«

Else bekam ihr störrisches Gesicht, eine Antwort gab sie nicht. Else war schon über 60 Jahre im Dienst der Familie von Merfeld. Als junges Mädchen, mit wippenden Zöpfen und viel zu dünnem Körper, war sie als Stubenmädchen angefangen. Die Schwiegermutter der jetzigen Herrin des schönen Hauses war eine strenge, aber gerechte Frau gewesen. Solange Else denken konnte, hatte sie vor der vornehmen Frau Angst gehabt, aber diese Frau von Merfeld liebte sie. Durchs Feuer würde sie für sie gehen, und keine Arbeit war ihr zuviel, ja, Else war glücklich, wenn sie etwas für die Arme, die seit ihrem Reitunfall im Rollstuhl saß, tun durfte.

»Was meine Aufgabe ist, ist meine Aufgabe.« Sie stellte das Tablett auf das Beistelltischchen, nahm die silberne Kanne und stellte sie auf den Teewagen. Ihre Hände zitterten leider, aber noch nie hatte sie eine der hauchdünnen Tassen fallen lassen.

Else musterte die Herrin streng. »Es tut nicht gut, wenn man immer nur in den Garten sieht. Sie kommen nur ins Grübeln, Frau von Merfeld. Betrachten Sie lieber das hübsche Zimmer und die wunderschönen Blumen, die der Gärtner extra für Sie züchtet. Vielleicht sollte ich Sie nach dem Tee mal ins Gewächshaus fahren, da waren Sie schon lange nicht mehr. Und der Gärtner würde sich freuen.«

»Das fehlt noch, daß du meinen Rollstuhl schiebst. Meinst du, ich sehe nicht, wie dick deine Knie sind? Du kannst ruhig deine langen Röcke tragen, ich sehe deine Arthritis trotzdem. Und deine armen Finger werden immer unbeweglicher.«

»Aber Sie bedienen kann ich immer noch. Und den Mädchen in der Küche auf die Finger sehen, das kann ich auch noch.«

Sie goß vorsichtig den Tee ein und gab ein wenig Sahne dazu. Else wußte, wie Lieselotte von Merfeld es liebte.

»Setz dich ein wenig zu mir, Else.« Else konnte es nicht ertragen, wenn Frau von Merfeld ein trauriges Gesicht machte. In Elses Augen sah Lieselotte von Merfeld nicht nur aus wie der Engel auf dem wunderschönen Bild, sie war auch ein Engel. Immer zeigte sie ihrer Tochter Susanne und ihrem Mann ein heiteres Gesicht, bemühte sich, ihre Schmerzen zu verbergen. Nur bei Else, der Treuen, gab sie sich manchmal dem Kummer hin, mit Else konnte sie über Sorgen und Schmerzen sprechen.

»Ich hab’ mir schon eine Tasse mitgebracht. Ich wußte, daß Sie mich darum bitten würden. Trotzdem ich finde, daß es sich nicht schickt.«

»Hör auf, Else, du gehörst längst zur Familie. Du wohnst in diesem Haus länger als ich. Du hast meinen Mann heranwachsen gesehen. Er erzählt mir oft, daß du zärtlicher zu ihm warst als seine Mutter. Zu dir ist er gekommen, wenn er etwas ausgefressen hatte, du warst immer für ihn da. Du hast an seinem Bett gesessen, wenn er krank war, du hast seine Tränen getrocknet, wenn er Angst vor dem Internat hatte. Eine gräßliche Tradition, Jungen schon mit acht ins Internat zu stecken. Ich bin froh, daß Susanne ein Mädchen ist.«

Ein Lächeln flog über Elses Gesicht und glättete die Falten, die Jahre voll Arbeit gegraben hatten. Sie saß nur auf der Kante des Ohrensessels. Im übrigen war es der Lieblingssessel des verstorbenen Merfeld gewesen. Hierher hatte er sich nach dem Essen zurückgezogen und seine Zeitung gelesen. Und oft war er dabei eingeschlafen. Wie so oft trafen sich auch jetzt ihre Gedanken.

»Das Haus steckt voll Erinnerungen.« Lieselotte strich sich mit müder Bewegung ihr blondes Haar aus der Stirn. »Wenn ich hier sitze, ist mir oft, als kämen sie alle ins Zimmer, alle, die einmal hier gelebt haben. Ich schwebe dann zwischen Wachen und Träumen, es ist ein wunderbarer Zustand. Eben, als ich vor dem Fenster saß und in den Garten sah, war ich wieder das junge Mädchen, das mein Bernhard ins Haus brachte. Mein erster Besuch hier. Ich trug einen bunten Schottenrock und eine weiße Bluse und kam mir neben meiner zukünftigen Schwiegermutter schrecklich unbeholfen vor. Ich wagte kaum, den Mund aufzumachen, so schüchterte sie mich ein. Aber Bernhards Vater nahm mich einfach in die Arme und gab mir einen Kuß.«

»Aber Ihre Schwiegermutter mochte Sie. Von Anfang an«, erklärte Else energisch. »Als ich ihr am Abend beim Auskleiden half, sagte sie: Ich glaube, jetzt hat Bernhard endlich einen guten Geschmack bewiesen. Sie ist anders als die Gänschen, die er sonst mit nach Mersfeld brachte. Ich hoffe nur, er wird endlich bei der Stange bleiben.«

Lieselotte seufzte in der Erinnerung. »Sie hat mich schrecklich eingeschüchtert. Ich wußte, daß Bernhard nur die Hand ausstrecken mußte, und er konnte unter den reichsten Mädchen wählen. Ich habe den Merfelds keine Mitgift gebracht.«

»Aber Liebe und Fröhlichkeit und Leben… Sie haben aus diesem Haus ein Zuhause gemacht. Sie haben nicht nur Ihren Mann, Sie haben auch Ihre Schwiegereltern glücklich gemacht.«

»Ach, Else. Und jetzt sitze ich im Rollstuhl. Meinetwegen haben die Umbauten vorgenommen werden müssen, ich darf gar nicht daran denken, wieviel Geld das verschlungen hat. Und nur, damit ich ungehindert in den Garten fahren, mit meinem Rollstuhl von einem Zimmer ins andere kommen kann. Ich mag es gar nicht, wenn an dem Haus etwas verändert wird.«

»So, wie es jetzt ist, ist es gut«, erklärte Else energisch. »Sie grübeln viel zuviel. Sie sollten häufiger Besuch einladen. Wenn ich auch nicht horche, so bekomme ich doch mit, wie oft sich Damen bei Ihnen melden.«

»Sie langweilen mich«, gestand Lieselotte verlegen. »Ihre Welt ist nicht mehr meine Welt. Wenn mein Mann des Abends nach Hause kommt, bin ich froh, mit ihm allein zu sein. Und ich habe Susanne. Else, hast du den Eindruck, daß sie leidet? Dir bleibt nichts verborgen, und du liebst Susanne wie ich. Sie ist mit Julian ein Herz und eine Seele gewesen. Julian und Susanne… man nannte sie immer in einem Atemzug. Julian ging in unserem Haus ein und aus, und sie war auf Gut Moorhof genauso zu Hause wie hier. Ich weiß, Julians Eltern haben Susanne schon als Schwiegertochter gesehen, wie ich Julian als Sohn. Als ich hörte, daß er sich mit einer anderen verlobte, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Aber Susanne hat sich nichts anmerken lassen. Als ich sie behutsam fragte, ob sie traurig wäre, lachte sie nur. Sie behauptete, Julian und sie wären wie Bruder und Schwester. Und wer heiratet seinen Bruder, wollte sie vergnügt von mir wissen. Oh, Else, ich hasse es, wenn alle bemüht sind, jeden Kummer von mir fernzuhalten. Wenn sie nur wüßten, wieviel schwerer es ist, nur dazusitzen und sich Dinge auszumalen.«

»Julian hat gewählt. Er ist mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise, Susanne war eine wunderschöne Brautjungfer. Sie sollten sich um Susanne keine Gedanken machen. Susanne ist jung, sie ist wunderschön, sie wird ihren Märchenprinzen finden. Da bin ich ganz sicher. Julian und sie sind als Kinder unzertrennlich gewesen, und wenn seine Frau klug ist, wird sie dieser Kinderfreundschaft nichts in den Weg legen. Sie könnte in Susanne eine Freundin haben. Ist es das, was Sie bedrückt, Frau von Merfeld?« wollte Else in ihrer direkten Art wissen. Und dabei musterte sie ängstlich das viel zu blasse, wunderschöne Gesicht. Else sah nicht, daß auch hier Schmerzen, Einsamkeit und Verzweiflung ihre Spuren hinterlassen hatten. In Elses Augen war sie noch immer die junge Frau von Merfeld, die zu ihr in die Küche gekommen war, Elses Hand genommen hatte. Else würde diesen Augenblick nie vergessen. »Else, helfen Sie mir. Hier ist mir alles fremd. Ich bin gar nicht gewohnt, bedient zu werden…«

Mit ihren großen grauen Augen, die voller Angst waren, mit der leisen Stimme hatte sie Elses Beschützerinstinkt geweckt. In diesem Moment hatte sie Lieselotte, die zukünftige Herrin des Hauses, in ihr Herz geschlossen.

»Ich weiß es nicht, ob das das einzige ist. Ich finde meinen Mann in der letzten Zeit sehr nervös, er verkriecht sich in sein Arbeitszimmer. Er führt lange Gespräche, und wenn ich ihn frage, ob er Sorgen hat, küßt er mir die Hand, tätschelt meine Wange, als wäre ich ein Kind. Else, das Leben einer Behinderten kann sehr mühsam sein.«

»Daran haben nur Sie allein Schuld«, behauptete Else energisch. Natürlich war auch ihr nicht verbogen geblieben, das der Hausherr nervös war, ganz offensichtlich Sorgen hatte. Aber sie machte den gleichen Fehler wie die anderen, sie wollte nicht dulden, daß Kummer an die gelähmte Herrin herangetragen wurde. »Warum müssen Sie sich immer und immer Gedanken machen? Herr von Merfeld ist Geschäftsmann, da wird es jeden Tag Ärger geben, Ärger und Erfolg, das wechselt sich ab. Sie haben zu viel Zeit, zu wenig Abwechslung. Da muß man einfach ins Grübeln kommen. Sie sollten die Pastete versuchen. Die neue Küchenhilfe ist gar nicht so ungeschickt. Es wird zwar eine Weile dauern, bis sie unseren Rhythmus begriffen hat, aber backen kann sie.«

»Sei nur nicht zu streng mit ihr, Else, du weißt, wie schwer es ist, Personal zu bekommen. Das Haus ist wundervoll, ich könnte mir nicht vorstellen, von hier fortzugehen. Merfeld ist mein Zuhause, hier ist meine Seele vor Anker gegangen, hier lebt sie mit all den Merfelds, die längst gestorben sind.

Aber ich weiß auch, wieviel Arbeit es ist, das Haus zu pflegen, die vielen Zimmer zu putzen, wenn sie auch längst nicht mehr von Gästen bewohnt werden. Else, weißt du noch, wie oft hier Gäste ins Haus stürmten? Zur Moorhuhnjagd, zu den Herbstjagden, zu den Festen, die jedes Jahr die gleichen waren? Ich habe diese Zeit genossen, wenn ich auch immer Angst hatte, meinem Mann nicht ebenbürtig zu sein.«

»Aber Sie waren es immer. Jeder Mann hat Ihren Mann um Sie beneidet. Und Ihre Schwiegermutter war glücklich, Sie an der Seite ihres Sohnes zu wissen.

Da kommt Susanne. Ich wundere mich wirklich, daß sie nicht jede Woche die Reifen an ihrem kleinen Mini wechseln lassen muß. Wenn sie bremst, spritzt der Kies der Auffahrt nach allen Seiten. Womit ich nicht sagen will, daß Susanne eine schlechte Autofahrerin ist. Ich sitze gern neben ihr. Sie fährt so unbekümmert, wie sie ist. Und jetzt machen Sie bitte ein anderes Gesicht, Frau von Merfeld. Es gibt überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Alles ist ganz wunderbar.«

Die schwere Haustür flog krachend ins Schloß. Die beiden Hunde, die friedlich in der Halle vor dem kalten Kamin geschlafen hatten, erwachten zum Leben und begrüßten Susanne auf ihre Art, nämlich laut bellend. Sie stürzten ihr entgegen, aber das sahen die beiden Frauen natürlich nicht. Sie hörten nur Susannes Stimme.

»Bist du verrückt geworden, Bosso? Bei deinem langen Stammbaum solltest du wissen, daß ein vornehmer Hund das nicht tut. Hör auf, mein Gesicht abzulecken. Schon gut, Bosso, und du auch, Rufus, ja, ihr seid brave Hunde.«

Die Tür flog auf. »Hallo, hier bin ich.«

Da war sie. Die Tochter des Hauses. Sie trug noch ihr weißes Tenniskleid, das weit davon entfernt war, ihre Knie zu bedecken. Das kastanienfarbene Haar hatte offensichtlich schon lange keinen Kamm gesehen. Sie trug es in einem Pferdeschwanz, und einige Strähnen hatten sich eigenwillig gelöst. Susannes Gesicht strahlte vor Freude und Gesundheit, die grauen Augen blitzten.

»Ihr habt es aber gemütlich. Else, ist noch eine Tasse Tee für mich in der Kanne? Ich sterbe vor Durst.«

»So schlimm wird es wohl nicht sein«, tadelte Else. Ihre Stimme war streng, aber ihre Augen musterten das Mädchen genauso zärtlich und liebevoll, wie es auch die Mutter tat. Susanne küßte ihre Mutter zärtlich auf beide Wangen, drückte ihr Gesicht an Elses Wange, ließ sich in den Sessel fallen und strahlte beide an.

»Ich kann euch sagen, ich bin fix und fertig. Wir haben ein Doppel geliefert, das filmreif war. Wir haben einen neuen Stern im Club, er hat Vera und mich zu einem Doppel gefordert, er hat mit Thomas gespielt. Thomas ist am Netz eine einsame Niete. Aber der Mann, ich weiß nicht, wie er heißt…«, dabei nahm sie ein Plätzchen, zog die Beine unter sich und kaute vergnügt. »… Tennis spielen kann er. Er hat uns die Bälle um die Ohren gehauen… Thomas war nur eine Randfigur, eine klägliche. Aber wir waren auch nicht ohne.

Das Spielen hat mir schon lange nicht mehr so viel Spaß gemacht. Es war beinahe wie ein Duell, als spielten wir beide nur gegen einander. Hm, die Plätzchen schmecken aber gut, Else. Hast du die verbrochen?«

Else musterte »ihr Kind« voller Liebe, aber ihre Stimme verriet nichts von ihren Gefühlen. »Wir haben ein neues Küchenmädchen. Wenn man dich siehst, wie du dasitzt, Susanne, sollte man nicht glauben, daß du schon zwanzig Jahre alt bist. Ich höre das Auto deines Vaters. Solltest du nicht in dein Zimmer gehen und dich umziehen? Es steht mir natürlich nicht zu, dich zurechtzuweisen…«