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DIE 99U-

BUCHREIHE

ROUTINE FÜR KREATIVE:

Wie du sie findest und dabei deinen kreativen Geist schärfst

POTENTIAL FÜR KREATIVE:

Wie du Risiken mutig eingehst und eine bemerkenswerte Karriere machst

WIRKUNG FÜR KREATIVE:

Wie du sie stärkst und Bedeutung auf dem Markt gewinnst

POTENTIAL FÜR KREATIVE

WIE DU RISIKEN MUTIG EINGEHST UND EINE BEMERKENSWERTE KARRIERE MACHST

Herausgegeben von: JOCELYN K. GLEI
Mit einem Vorwort von: SCOTT BELKSY

Alle in diesem Buch beschriebenen Personen und Ereignisse sind fiktiv.

Text copyright © 2013 by Behance

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Gnehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

IMPRESSUM:

Printed in Germany

Copyright 2017 der deutschsprachigen Erstausgabe by Blyss Verlag, Erlangen

www.blyss.press

Erhältlich als:

FÜR DIE, DIE SICH REINHÄNGEN

WAS IST 99U?

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Die Welt der Kreativen hat sich viel zu lang auf die Entwicklung von Ideen konzentriert – zulasten deren Verwirklichung. Doch wie schon der legendäre Erfinder Thomas Edison in seinem berühmten Ausspruch sagte: „Erfinden ist 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.“ Um große Ideen umzusetzen, müssen wir tagtäglich handeln, ausprobieren, scheitern, verbessern und lernen an Herausforderungen zu wachsen.

99U ist Behances Versuch, diesen „fehlenden Lehrplan“ zur Umsetzung von Ideen zu liefern. Über unsere mit dem Webby Award ausgezeichnete Website, öffentlich zugängliche Veranstaltungen und Bestsellerbücher teilen wir die pragmatischen, handlungsorientierten Erkenntnisse führender Forscher und visionärer Kreativer.

Mit 99U wollen wir dir keine zusätzlichen Ideen vermitteln – wir wollen dich dazu befähigen, deine bereits vorhandenen zu verwirklichen.

VORBEMERKUNG

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Der Comedian Milton Berle sagte immer: „Wenn die Gelegenheit nicht anklopft, bau ihr eine Tür.“ Wenn wir unser volles Potential als Kreative und als Individuen ausschöpfen wollen, dann ist es nicht nur eine Option, proaktiv zu sein, es ist eine Notwendigkeit. Glücklicherweise liegt es mehr als je zuvor in unserer Macht, unsere Ideen mit der Welt zu teilen, uns mit anderen zu vernetzen und unsere Karrierewege festzulegen. Die Ära des Sich-selbst-Erfindens liegt vor uns.

Karriere versteht sich nicht mehr als der langsame Aufstieg innerhalb einer Firma. Wir wechseln heutzutage im Laufe des Lebens durchschnittlich elfmal den Job. Wo wir uns einst auf die Händler verließen, um der Welt unsere Kunstwerke zu zeigen, können wir heutzutage einfach eine Onlinegalerie erstellen, um ein neues Werk gleich nach seiner Fertigstellung anzubieten. Wo wir uns einst an eine kleine Gruppe von Investoren wandten, damit sie die Umsetzung unserer Ideen befürwortete, können wir unsere Projekte heutzutage der breiten Masse online vorstellen und sie über Crowdfunding finanzieren lassen.

Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Die Verantwortlichkeiten aber auch. Wenn man seinen eigenen Kurs bestimmen kann, liegt auch die Bürde der Führung auf einem Selbst. Das heißt, dass wir nicht erwarten können, dass sich unsere Vorgesetzten um unsere Karriereentwicklung kümmern und uns für größere Aufgaben schulen. Wir können nicht in aller Seelenruhe darauf warten, dass der perfekte Berater auftaucht und uns in der Weiterentwicklung unseres Handwerks anleitet. Und wir können nicht auf eine Zukunft voller Wegweiser und Sicherheiten vertrauen.

Um dich durch diese schöne neue Welt zu geleiten, sammelt 99U in Potential für Kreative Erkenntnisse für eine langfristig erfolgreiche Karriere. Folgende vier Kernthemen sind dafür unverzichtbar:

1. neue Gelegenheiten zu erkennen und zu schaffen,

2. deine Fachkompetenz im Laufe der Zeit zu verfeinern,

3. kollaborative Beziehungen aufzubauen und

4. zu lernen mit Risiken umzugehen.

Jedem dieser vier Kernbereiche ist ein Kapitel gewidmet. Hierzu haben wir eindrucksvolle, kreative Köpfe versammelt, die ihre Lebenserfahrung mit dir teilen: Bob Safian, Ben Casnocha, Joshua Foer, Teresa Amabile, Tony Schwartz, Tina Seelig und viele andere. Basierend auf intensiver Recherche und tiefgreifender persönlicher Erfahrung, bieten die Essays in Potential für Kreative ein Kraftpaket an Sichtweisen, wie man eine Karriere voller Begeisterung, Erfolg und Sinn aufbaut.

Mach diesen Band zu deinem Leitfaden bei der allmählichen Gestaltung und Neujustierung deines kreativen Werdegangs. Versuche dich auf diesem Weg stets selbst herauszufordern und die Ziele noch höher zu stecken.

Jocelyn K. Glei, Chefredakteurin, 99U

INHALTSVERZEICHNIS

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VORWORT: DU BIST EIN FREIES RADIKAL, MACH DAS BESTE DRAUS

Scott Belsky, Gründer von Behance

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GELEGENHEITEN SCHAFFEN

DAS HANDWERK VOR DER LEIDENSCHAFT ENTWICKELN

Cal Newport

DEINEN UNTERNEHMERINSTINKT WIEDERENTDECKEN

Ben Casnocha

DEINE KARRIERE NEU DENKEN, IMMER WIEDER

Fragen & Antworten mit Robert Safian

DEIN GLÜCK SCHMIEDEN

Jocelyn K. Glei

DEINEN IDEALEN ARBEITSBEREICH FINDEN

Scott Belsky

FACHKOMPETENZ AUFBAUEN

MEHR AUFS BESSERWERDEN STATT AUFS GUTSEIN KONZENTRIEREN

Heidi Grant Halvorson

KÖNNEN DURCH BEWUSSTES VORGEHEN ENTWICKELN

Tony Schwartz

LERNEN, AUßERHALB DEINER KOMFORTZONE ZU LEBEN

Fragen & Antworten mit Joshua Foer

DEINE ALLTAGSGEWOHNHEITEN UMPROGRAMMIEREN

Scott H. Young

TAGEBUCH FÜHREN, UM DIE KREATIVITÄT ZU UNTERSTÜTZEN

Teresa Amabile, Steven Kramer und Ela Ben-Ur

BEZIEHUNGEN PFLEGEN

AUF DEINEM WEG UM HILFE BITTEN

Steffen Landauer

STABILE BEZIEHUNGEN AUFBAUEN

Michael Bungay Stanier

NETZWERKEN IN EINER BEZIEHUNGSWIRTSCHAFT

Fragen & Antworten mit Sunny Bates

EINE EINGESCHWORENE TEAMGEMEINSCHAFT ERZEUGEN

David Burkus

FÜHREN IN EINER WELT GEMEINSAMEN SCHAFFENS

Mark McGuinness

RISIKEN EINGEHEN

DEN ANGSTFAKTOR DES VERSAGENS ENTMYSTIFIZIEREN

Michael Schwalbe

RISIKEN EINSCHÄTZEN UND HANDELN

John Caddell

DIE ART VERÄNDERN, WIE WIR ÜBER FEHLER DENKEN

Fragen & Antworten mit Tina Seelig

SICH DER UNSICHERHEIT STELLEN

Jonathan Fields

GEZIELTE WETTEN IN EINER ZIELLOSEN WELT MACHEN

Frans Johansson

AUSKLANG:
EINE ABSCHLIEßENDE ÜBERLEGUNG

DAS BESSERE DU

Jack Cheng

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DANKSAGUNG

ÜBER 99U

ÜBER DIE HERAUSGEBERIN

ANMERKUNGEN

INDEX

VORWORT

DU BIST EIN FREIES RADIKAL, MACH DAS BESTE DRAUS

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Scott Belsky, Gründer von Behance

WENN ES UM UNSERE KARRIEREN UND UNSERE ARBEITSERFAHRUNGEN GEHT, VERHALTEN WIR UNS POSITIV EGOISTISCH. ES REICHT NICHT MEHR, NUR BEZAHLT ZU WERDEN. WIR HOFFEN, BEI DER ARBEIT ETWAS ZU LERNEN. WIR MÖCHTEN, DASS UNSERE FÄHIGKEITEN IN VOLLEM UMFANG EINGESETZT WERDEN, UND SIND MIT „EINFACHEN JOBS“ UND DAMIT „UNSERE ZEIT ABZUSITZEN“ UNZUFRIEDEN. WIR WOLLEN MEHR VERANTWORTUNG, WENN WIR DAFÜR BEREIT SIND UND HOFFEN, MEHR VON DEM ZU TUN, WAS WIR LIEBEN. DAFÜR AUTOMATISIEREN WIR DIE MÜHSAMEREN UND MONOTONEREN BEREICHE UNSERER ARBEIT UND SCHAFFEN RAUM FÜR MEHR.

Wir sind ein ehrgeiziger und ungeduldiger Haufen, und das zu Recht. Warum? Weil wir in ein neues Zeitalter eingetreten sind, das uns befähigt, unser gesamtes Potential auszuschöpfen. Doch Chancen und Erfolg ergeben sich nicht, weil man meint einen Anspruch darauf zu haben. Deine Fähigkeit, dein Potential umzusetzen, hängt von deiner Bereitschaft ab. Verbessere dein Können, gehe wagemutig Risiken ein und setze im Streben nach etwas Größerem dein Ego aufs Spiel.

Man kann es der neuen Technologie, den sozialen Netzwerken oder den einst unerreichbaren Arbeitsmitteln, die einem heute zur Verfügung stehen, zuschreiben: Tatsache ist, dass wir zu unseren eigenen Bedingungen arbeiten und mit geringerem Aufwand mehr erreichen können. Als Konsequenz daraus erwarten wir mehr von unseren Arbeitgebern und mehr von uns selbst. Wenn wir die Mittel und die Möglichkeiten bekommen, die wir verdienen, dann erschaffen wir die Zukunft. Beim Lesen dieses Buches, wirst du das voraussichtlich erkennen.

Unser Name lautet: freie Radikale.

Freie Radikale wollen ihre Karriere selbst in die Hand nehmen und die Welt dazu bringen, für sie zu arbeiten. Freie Radikale sind belastbar, selbstständig und äußerst leistungsfähig. Man sieht sie allein arbeiten, in kleinen Teams oder in großen Firmen. Mit der Veränderung der Welt denken freie Radikale das Wort „Arbeit“ neu. Wir haben zweifellos hochgesteckte Erwartungen.

Wir leisten Arbeit, die in allererster Linie eine innere Bereicherung bietet. Doch wir erschaffen Dinge nicht nur für uns selbst, sondern wollen eine echte und dauerhafte Wirkung auf unser Umfeld erzielen.

Wir blühen unter Flexibilität auf und sind am produktivsten, wenn wir uns vollständig ausgelastet fühlen. Ob wir in einer Firma oder selbstständig arbeiten, wir brauchen die Freiheit, Experimente anzustellen, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten und unsere Ideen voranzutreiben.

Wir schaffen viel und deshalb geht auch viel daneben. Letztlich streben wir nach kleinen Misserfolgen, die uns zu Kurskorrekturen auf unserem Weg führen. Wir betrachten jeden Misserfolg als eine Chance und als Erfahrung, um daraus zu lernen.

Wir haben wenig Verständnis für bürokratische Unstimmigkeiten, alte Seilschaften und überholtes Geschäftsgebaren. Wir stellen das „Standardvorgehen“ so oft wie möglich infrage und setzen uns durch. Doch selbst, wenn uns das nicht gelingt, geben wir uns den Unstimmigkeiten des Status quo nicht geschlagen. Stattdessen finden wir Mittel und Wege, sie zu umgehen.

Wir erwarten Vollauslastung und ständige Optimierung, egal, ob wir in einem Start-up oder einer großen Firma arbeiten. Wenn unsere Beteiligung und unser Dazulernen an Grenzen stoßen, ziehen wir weiter. Wenn wir uns jedoch die Mittel einer großen Firma zunutze machen können, um etwas für uns Wichtiges zu bewirken, dann sind wir begeistert! Wir wollen immer unsere beste Arbeit abliefern und den größtmöglichen Effekt erzielen.

Wir betrachten Open-Source-Technologien, Programmierschnittstellen und das riesige Kollektivwissen des Internets als unser persönliches Instrumentarium. Wikipedia, Quora und offene Communitys für Designer, Entwickler und Denker wurden von uns und für uns eingerichtet. Wenn möglich, setzen wir das kollektive Wissen ein, um für uns selbst und für unsere Kunden bessere Entscheidungen zu treffen. Wir steuern im Sinne eines „gegenseitigen Profitierens“ auch etwas zu diesen offenen Quellen bei.

Wir glauben, dass „netzwerken“ teilen bedeutet. Leute hören uns aufgrund unseres Urteilsvermögens und unseres Gespürs zu. Und sie folgen uns. Wir teilen unsere Kreationen ebenso wie das, was uns fasziniert und bauen so authentisch eine Gemeinschaft an Unterstützern auf, die uns Feedback geben, ermutigen und neue Möglichkeiten aufzeigen. Aus diesen und anderen Gründen entscheiden wir uns eher für Transparenz als für Verschwiegenheit.

Wir glauben an die Leistungsgesellschaft und an die Kraft der Online-Netzwerke und Fachkollegen-Communitys. Sie fördern unsere Fähigkeit, das zu tun, was wir lieben, und worin wir gut sind. Wir betrachten Wettbewerb eher als positiven Motivator denn als Bedrohung. Wir wollen schließlich, dass die beste Idee – und die beste Umsetzung – gewinnt.

Wir bestreiten unseren Lebensunterhalt damit, das zu tun, was wir lieben. Wir verstehen uns selbst gleichzeitig als Kunsthandwerker und als Unternehmen. In vielen Fällen sind wir unsere eigene Buchhaltung und Werbeagentur, sind Geschäftsentwicklungsmanager, Verhandlungsführer und Verkäufer. Wir strengen uns an, um in uns selbst als Unternehmen zu investieren. Dafür verwenden wir die besten Arbeitsmittel und das beste Wissen, das uns meistens kostenlos und online zur Verfügung steht. So betreiben wir uns selbst als moderne Firma.

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99U wurde mit dem freien Radikal im Hinterkopf gegründet, um Bildung und Erkenntnisse zu vermitteln, die wir in der Schule nicht bekommen haben. Doch einige dieser Erkenntnisse benötigen wir dringend, wenn wir in diesem neuen Arbeitszeitalter Chancen zutage fördern wollen. In diesem Buch geht es darum, wie du dein Potential maximierst und deine Karriere in die Hand nimmst. Ich möchte dich dazu ermutigen, dir diese Erkenntnisse einzuverleiben und dich daran zu erinnern, dass du jetzt die Federführung hast. Mit diesem Rückenwind liegt die Verantwortung ab sofort bei dir: Stell dich der Herausforderung und verbessere dich – und die Welt – auf jede Dir mögliche Art.

KAPITEL EINS

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GELEGENHEITEN SCHAFFEN

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WIE MAN NEUE KARRIEREMÖGLICHKEITEN ERKENNT UND NUTZT

DER HERKÖMMLICHE KARRIERERATGEBER EMPFIEHLT EIN PASSIVES VORGEHEN, UM DEINE BERUFUNG ZU FINDEN: SCHAU DIE STELLENANZEIGEN DURCH, BEWIRB DICH, WARTE AUF EINE ANTWORT. BEKOMM DEN JOB, ERFÜLL DEINE PFLICHTEN, WARTE AUF EINE BEFÖRDERUNG. MUND ABPUTZEN, WIEDERHOLEN, STAGNIEREN. DOCH DIE „ABWARTEN UND TEE TRINKEN“-MENTALITÄT IST WOHL KAUM DER WEG ZU GRÖßE.

Mit all den Möglichkeiten und Hilfsmitteln des 21. Jahrhunderts, die uns zur Verfügung stehen, können und sollten wir unsere Zukunft aktiv gestalten. Mit dem strategischen Einfallsreichtum und der Anpassungsfähigkeit eines Start-up-Unternehmers können wir Chancen ausfindig machen und ergreifen. Wir müssen unsere rohen Fertigkeiten gnadenlos entwickeln und uns selbst in unserem Handwerk so übertreffen, dass es nicht unbemerkt bleibt.

Wir müssen den Markt beobachten und unsere Interessen und Fähigkeiten an dem ausrichten, was die Leute tatsächlich wollen. Und wir müssen immer ein offenes Ohr für das Unerwartete haben. Wir dürfen uns nicht zu fest an unsere Pläne klammern und womöglich das Glück an uns vorbeiziehen lassen.

Größe entsteht nicht dadurch, dass man sich bei der Karriereplanung entspannt zurücklehnt. Stell dich deinen Chancen – und sie werden zu dir kommen.

DAS HANDWERK VOR DER LEIDENSCHAFT ENTWICKELN

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Cal Newport

„FOLGE DEINER LEIDENSCHAFT“ IST EIN SCHLECHTER RATSCHLAG. ZU DIESEM SCHLUSS BIN ICH GEKOMMEN, NACHDEM ICH EIN JAHR LANG EINE GRUNDSÄTZLICHE FRAGE ERFORSCHT HABE: WAS BRINGT LEUTE DAZU, DAS ZU LIEBEN, WOMIT SIE IHREN LEBENSUNTERHALT VERDIENEN? DIESE FORSCHUNG FÖRDERTE ZWEI ARGUMENTE GEGEN DEN RATSCHLAG „FOLGE DEINER LEIDENSCHAFT“ ZUTAGE. ALLEM VORAN STELLTE SICH HERAUS, DASS NUR WENIGE LEUTE ÜBER VORHANDENE LEIDENSCHAFTEN VERFÜGEN, DIE SIE MIT EINEM JOB IN EINKLANG BRINGEN KÖNNEN. IHNEN ZU RATEN, „IHRER LEIDENSCHAFT ZU FOLGEN“, IST DESHALB EINE ANLEITUNG ZUR ANGST UND ZUM SCHEITERN.

Zweitens, selbst wenn sich Leute zu einem bestimmten Thema hingezogen fühlen, benötigt es mehr als Interesse, um seine Arbeit zu lieben. Dies zeigen uns jahrzehntelange Forschungen zur Karrierezufriedenheit. Viele leidenschaftliche Bäcker waren beispielsweise dem Stress nicht gewachsen, eine Bäckerei zu betreiben, ebenso wie viele leidenschaftliche Amateurfotografen das Interesse an der Kunst verloren, wenn sie immer wieder endlose Hochzeiten dokumentieren mussten.

Wenn du dein Arbeitsleben letztendlich mit Leidenschaft führen willst, brauchst du deshalb eine etwas ausgeklügeltere Strategie, als dich einfach auf die Suche nach irgendeiner angeborenen Berufung zu machen. In diesem Beitrag möchte ich eine derartige Strategie erforschen. Eine, die ich oftmals bei den Leuten beobachtete, die sich eine überzeugende Karriere aufgebaut hatten. Nehmen wir eine wohlbekannte literarische Persönlichkeit als unsere Fallstudie.

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Bill McKibben ist Umweltjournalist. Berühmt wurde er 1989 durch sein Buch The End of Nature, das einer der ersten populären Berichte über den Klimawandel war. Seitdem schrieb er über ein Dutzend Bücher und wurde zu einem führenden Umweltaktivisten. Wenn man einen Vortrag von McKibben hört oder ein Interview mit ihm liest, trifft man auf jemanden, der seiner Arbeit offensichtlich leidenschaftlich nachgeht. Aber wie hat er es geschafft, da hin zu kommen?

Wir können McKibbens Geschichte an dem Punkt aufgreifen, wo er als Student nach Harvard kommt und beginnt, für die Studentenzeitung The Harvard Crimson zu schreiben. Zum Zeitpunkt seines Studienabschlusses ist er Redakteur der Zeitung. Das bringt ihn auf den Schirm des New Yorker-Redakteurs William Shawn. Dieser klopft bei dem frisch Graduierten bezüglich Talk of the Town an. DER Kolumne ganz vorn im Magazin.

1987, fünf Jahre nach seinem Start beim New Yorker, zieht McKibben weiter. Er kündigt bei der Zeitschrift und zieht in eine Hütte im Adirondack-Gebirge. In der abgelegenen Wildnis schreibt McKibben seinen Roman The End of Nature, welcher umgehend zum Klassiker des Umweltjournalismus wird und den Grundstein für das leidenschaftliche Leben legt, das er heute genießt.

McKibbens Geschichte wirft Licht auf zwei Lektionen, die für meine Forschung ausschlaggebend sind und verständlich machen, wie Leute ein Arbeitsleben aufbauen, das sie lieben.

LEKTION 1: WOMIT DU DEIN GELD VERDIENST, IST UNWICHTIGER, ALS DU DENKST

McKibben baute sich als Autor eine Karriere auf, die er liebte. Nachdem ich seinen Werdegang beobachtet habe, würde ich jedoch behaupten, dass er viele verschiedene Karrierewege mit Leidenschaft hätte verfolgen können. Die beiden Dinge, die McKibben wirklich etwas zu bedeuten scheinen, sind Autonomie und Einfluss auf die Welt zu haben. Deshalb würde jeder Job, der ihm Autonomie und Einfluss verschafft, Leidenschaft erzeugen. So könnte man sich beispielsweise ein Alternativuniversum mit einem ebenso glücklichen McKibben als Leiter einer wichtigen gemeinnützigen Bildungsorganisation oder als angesehenen Soziologieprofessor vorstellen. Solange er autonom entscheiden kann, woran er arbeitet, wann er daran arbeitet und wo er lebt.

Dieses Muster ist typisch bei Leuten, die lieben, was sie tun. Ihre Befriedigung ziehen sie nicht aus den Details ihrer Arbeit, sondern aus einer Reihe wichtiger Lebensstil-Merkmale, die sie in ihrer Karriere erlangt haben. Diese erstrebenswerten Merkmale unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Manche sehnen sich vielleicht nach Ansehen und Bedeutung, während andere vielleicht Flexibilität in ihrem Tagesablauf und Einfachheit anstreben. Der springende Punkt hierbei ist, dass diese Merkmale allgemeingültiger sind als irgendeine bestimmte Jobposition. Die richtige Frage, um eine Karriere aufzubauen, lautet nicht „Welchen Job kann ich leidenschaftlich ausüben?“, sondern „Welche Art zu arbeiten und zu leben fördert meine Leidenschaft?“.

LEKTION 2: VOR DER LEIDENSCHAFT KOMMT DAS KÖNNEN

McKibben konnte in seiner Karriere erst dann Autonomie und Einfluss erlangen, nachdem er das Handwerk des Schreibens richtig gut beherrschte. Als er anfangs in Harvard ankam, war er kein bemerkenswerter Journalist. Seine frühen Artikel, die im Crimson-Archiv zu finden sind, zeigen die Tendenz zum Überschreiben – wie bei vielen Anfängern. In einem Bericht von 1979 über das Basketballsaison-Eröffnungsspiel der Celtics beschreibt er beispielsweise die Arena als „altersverkrustete Katakombe“. Des Weiteren bezeichnet er die Trikotnummern ehemaliger Teammitglieder als „eine Liste von Heiligen, gekennzeichnet nur durch die gelbgrüne Nummer, die sie einst trugen, und die nun von den Oberlichtern baumeln“.

Woran sich McKibbens ehemalige Kollegen am meisten erinnern, war nicht irgendeine angeborene Gabe für sein Handwerk. Es war seine Hartnäckigkeit, an der Verbesserung seiner handwerklichen Fähigkeiten zu arbeiten. Zu den Legenden des Crimson gehört auch jene Anekdote aus der Nacht, in der McKibben jeden seiner Kollegen übertrumpfte. Es blieben nur noch fünfunddreißig Minuten, bis die Artikel für den nächsten Tag fertiggestellt sein mussten. Er wettete mit seinen Autorenkollegen um eine Flasche Scotch, dass er drei Storys vor der Deadline fertigstellen könne. Er gewann die Flasche.

Alles in allem schrieb McKibben als Collegereporter mehr als vierhundert Artikel. Danach schrieb er fünf Jahre für den New Yorker, der siebenundvierzig Ausgaben pro Jahr veröffentlicht. Als er dann seinen Schwenk hin zu einem Leben in Autonomie und Einfluss vollzog, hatte er eine gewaltige Menge professioneller Fähigkeiten entwickelt, die diesen Übergang begleiteten. Sie ebneten den Gang in die Berge, um den Roman The End of Nature zu schreiben. Hätte er früher in seiner Karriere versucht, ein Vollzeitschriftsteller zu werden, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit gescheitert.