Text © Katelyn Erikson, 2018

Cover & Umschlaggestaltung: Marie Grasshoff, www.marie-grasshof.de

Lektorat: Libri melior, Michael Weyer

Satz & Layout: Grittany Design, www.grittany-design.de

ISBN: 978-3-947147-07-6

© GedankenReich Verlag, 2018
Alle Rechte vorbehalten.

Sam beim Frühstück in einem netten Café. Sie sollten zusammen die Mittagsschicht beginnen und tauschten nun die Erlebnisse mit dem selbsternannten König aus.

Elenya beendete ihre Ausführungen und wischte sich mit einer Serviette über die Lippen.

»Wow, wie schräg«, kommentierte Naomi nachdenklich und blickte über ihre Kaffeetasse hinweg zu Elenya.

»Der Kerl scheint ja einen Narren an dir gefressen zu haben. Zu meiner Schicht war er alles andere als zahm.«

Elenya zuckte nur mit den Schultern und entgegnete darauf nichts, was ihre Freundin als Provokation aufzufassen schien.

»Vielleicht ist er aber auch ein Werwolf und rastet nur aus, wenn er die Nachtschicht-Vampire sieht?«, feixte sie. »Würde zumindest die Behaarung erklären.«

»Ich stimme dir zu, dass er gefährlich ist, aber ihn als Werwolf zu bezeichnen, ist ein wenig übertrieben«, belächelte Elenya die scherzhafte Aussage. »Aber eigentlich ist er ja doch ganz nett …«, fügte sie nuschelnd hinzu.

»Nett?« Ungläubig ließ Naomi das Brötchen in ihren Händen zu Boden fallen und sah drein, als würde sie Elenya gleich einweisen lassen. »Nicht, dass dieser nette Kerl irgendeinem Orden oder einer Sekte angehört. Er wirkt mehr wie ein Schlächter und nicht wie ein netter Kerl von nebenan. Das könnte gefährlich werden, besonders, wenn er ein Auge auf dich geworfen hat!«

Elenya verdrehte ihre Augen. »Jetzt übertreibst du wirklich!«

Sekte, Orden, Schlächter. Das waren doch aberwitzige Ideen, die in dem Kopf ihrer Freundin herumspukten. Vermutlich hatte Naomi zu viele Horrorfilme gesehen. Zudem hegte Elenya Zweifel daran, dass er Interesse an ihr haben könnte. Sie war nur etwas nett zu ihm gewesen und war nicht gleich von ihm angeschrien worden. Das bedeutete vorerst gar nichts.

»Erstens, Süße, dieser Typ sieht aus, als wäre er aus dem Film Gladiator entsprungen. Ich meine, du kennst mich! Nichts gegen Gladiatoren und schwitzende, muskelbepackte Körper, aber wer verhält sich heutzutage so und landet auch noch nackt auf dem Parkplatz?« Dennoch grinste Naomi dabei verschwörerisch.

Also doch! Die Latina hatte einen Blick auf den Adoniskörper erhaschen können. Allem Anschein nach war dieser nicht von schlechten Eltern gewesen.

Ohne es verhindern zu können, beschlich Elenya das Verlangen, dem nachzukommen und sich diesen Mann doch eine Spur näher anzusehen, schließlich hatte er ihr ja angeboten, ihn näher zu begutachten …

Halt, Stopp! Innerlich schüttelte sie den Gedanken ab, schließlich befand sie sich längst in festen Händen. Treue war außerordentlich wichtig für sie und daran würde sie sich halten.

»Wenn der normal im Kopf wäre, würde ich vielleicht ein wenig an ihm naschen, aber so?« Naomi griff nach ihrem Kaffee, pustete hinein und nahm einen kleinen Schluck. »Du hast echt einen der knackigsten Hintern verpasst, den ich bisher gesehen habe.« Sie seufzte wohlig. »Der Kerl ist ein Psychopath, Elenya. Er hat die halbe Inneneinrichtung auseinandergenommen und ruft ständig, er sei der König Aegerias. Nachfahre irgendwelcher ominösen Götter, von denen noch keiner was gehört hat.«

Sie ahmte dabei Logan mit Worten und Gesten nach und fegte beinahe den Teller von ihrem Tisch. Grinsend bekam sie das Geschirr gerade noch zu fassen.

»Im Ernst, Süße. Es ist etwas Unheimliches an ihm. Ich habe mal eine Dokumentation über Neuheiden gesehen. Die huldigen irgendwelchen alten Göttern. Vielleicht ist dieses Aegeria der Name einer Sekte oder schlimmer noch, der Name einer Gang oder der inoffizielle Name einer Mafia? Die sprießen mittlerweile auch aus allen Löchern. Die Sache mit dem Parkplatz könnte eine Mutprobe gewesen sein.«

Ihre Augen weiteten sich dabei dramatisch. Sie spann sich da irgendeinen Mist zusammen. Solch eine blühende Fantasie hätte Elenya ihrer Freundin nicht zugetraut.

»Oder er hat etwas angestellt und täuscht Wahnsinn vor, damit er in der Psychiatrie landet, um seinen Feinden zu entkommen?«, scherzte die Blondine und stöhnte bei dem zustimmenden Nicken ihrer besten Freundin frustriert auf. »Als ob du nicht schon mal mit einem Psychopathen im Bett gewesen wärst. Er ist einfach nur verwirrt und das war es auch schon.«

Naomi sah Elenya bei diesen Worten empört an, als sie eine eingehende Nachricht ablenkte, auf die sie antwortete. Bei dem breiten Grinsen konnte Elenya sich bereits denken, dass die Nachricht von einem Freund sein musste.

Gerade, als Naomi das Handy wieder weggelegt hatte und verspätet auf Elenyas Worte reagieren wollte, setzte sich ein gut aussehender Mann ungefragt an ihren Tisch. Braun gebrannt mit sonnengebleichten Locken. Er wirkte wie einer der Männer, die sich gerne an den Stränden in Pose setzten, um ihre sonnengebräunten und muskulösen Körper bewundern zu lassen, bevor sie surfen gingen. Obendrein wirkte er nicht sonderlich intelligent.

»Hola Chicas.«

Er ergriff Naomis Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken, während sie versuchte, sich ein Lächeln abzuringen.

»Hallo, Naomi.« Er raunte ihren Namen, als verspräche allein dieser die pure Lust. Eindeutig einer ihrer zahlreichen Affären.

»Hi.«

Kein Name.

Elenya hob eine Augenbraue, hielt jedoch wohlwissend den Mund und verkniff sich ihre Kommentare. Ihr lagen zahlreiche freche Sprüche auf der Zunge, aber sie wollte ihre Freundin nicht in Verlegenheit bringen. Zu schade, denn Naomi scheute sich selten, ebendies bei Elenya zu tun.

»Die letzte Nacht war unglaublich, mi guapa.«

»Fand ich auch.«

Ihre Augen leuchteten nicht, sondern wirkten eher gequält, sodass Elenya schelmisch grinsen musste.

»Du hast vergessen, mir deine Handynummer dazulassen. Welch wundervoller Zufall, dass ich dich auf dem Weg zur Arbeit hier sitzen sehe.«

Arbeit, die so spät beginnt? Nun, womöglich Schichtdienst. Elenya zweifelte jedoch daran, dass er einem anständigen, normalen Beruf nachging. Er wirkte mehr wie ein egozentrischer Selbstdarsteller.

»Natürlich.«

Naomi nannte ihm auswendig ihre Nummer. Die Betonung lag auf auswendig. Da Naomi ihre Handynummer regelmäßig änderte und sich keine Mühe machte, jedes Mal die neue Nummer auswendig zu lernen, handelte es sich um eine falsche Nummer.

»Lass mich dich kurz anrufen, um zu schauen, ob ich sie richtig mitgeschrieben habe.«

»Das ist nicht notwendig! Ich habe mein Handy ohnehin nicht dabei.«

»Und was liegt neben dir?«

Der schön anzusehende Mann runzelte leicht die Stirn und deutete auf das Handy vor ihr auf dem Tisch.

»Von meiner Freundin.«

»Und das da? Ist das auch von deiner Freundin?«

Elenyas Handy lag neben ihrer Teetasse mit den aufgebrühten Blättern, die sie von zu Hause mitgebracht hatte.

»Ich habe ja nicht gesagt, dass es von dieser Freundin ist.«

Nun sah er verwirrt drein. »Weshalb hast du ein Handy von einer anderen Freundin dabei?«

»Um es zur Reparatur zu geben.«

»Ist es denn kaputt? Du hast damit doch gerade noch geschrieben.«

»Das war nur ein Test.«

Er schüttelte leicht den Kopf und wirkte eindeutig überfordert. »Ich rufe dich dennoch einmal an.«

»Wir müssen zur Arbeit! Bis später, Juan!«

»Ich heiße Carlos!«

»Jaja, tschüssi.«

Schnell legte Naomi genügend Geld auf den Tisch, ergriff Elenyas Hand und zog sie schnell hinter sich her. In ihrem Rücken hörten sie nur noch einen verzweifelten Ausruf.
»Mi Guapa – diese Nummer ist nicht vergeben!«

Doch schon waren sie wahllos in den nächsten Bus gesprungen.

Kopfschüttelnd wollte Elenya gerade etwas sagen, als Naomi drohend die Hand hob. »Kein Wort, Elenya. Kein einziges, verdammtes Wort!«

Ausnahmsweise würde sie dem zustimmen. Wenigstens war damit das Thema Logan fürs Erste vom Tisch. Elenya wusste auch ohne nachzufragen, wie Naomis Affären abliefen, da es immer dasselbe war. Naomi gab so gut wie jedem Mann, der attraktiv und gut im Bett gewesen war, ihre aktuelle Handynummer, um ein paar Nächte das zu wiederholen, was sie zuvor getrieben hatten.

Da Carlos attraktiv war, scheiterte es allem Anschein nach am Sex. Solche peinlichen Begegnungen waren selten, aber jedes Mal aufs Neue amüsant mitanzusehen.

Nachdem sie erfuhren, in welchem Bus sie saßen, stiegen sie an der nächsten Haltestelle um und fuhren nach Hause. Dort machten sie sich für die nächste Schicht fertig, bevor sie wieder in einen Bus stiegen, um in die Klinik zu fahren.

Auf der Arbeit angekommen, musste Elenya sich erst um andere Patienten kümmern, bevor sie sich nach dem König erkundigen konnte. Die Information, die sie dann erhielt, hätte sie eigentlich glücklich machen müssen. Stattdessen empfand sie eine starke Enttäuschung.

Er war fort und war erst vor wenigen Minuten abgeholt worden.

Sie hätte zuerst zu ihm gehen müssen. Sie hätte mit ihm reden müssen, denn was auch immer zwischen ihnen war, sie musste es wissen.

Logan fühlte sich wieder stärker, aber bei weitem noch nicht bei voller Kraft. Das würde schon noch werden.

Die Fußfesseln hatte man ihm bislang nur für Toilettengänge abgenommen. Er könnte sich wehren, doch er wollte hier endlich raus, sodass er mühsam seinen eigenen Stolz herunterschlucken musste. Sonst würde man ihn erneut betäuben.

»Ihre Familie ist da und möchte Sie mitnehmen.«

Familie? Prüfend sah er zu den Männern, die den Raum betraten. Hier in dieser Welt besaß er keine Familie. Was waren das für Hinterwäldler, die es wagten vorzugeben, seinem Stammbaum zu entspringen?

Der Mann, der zu ihm ans Bett trat, wirkte hager, jedoch ungewöhnlich selbstbewusst.

»Logan, mein lieber Junge!«

Woher kannte er seinen Namen? Jemand aus diesem Krankenhaus muss als Spitzel gearbeitet haben. Doch hoffentlich nicht sein kleines Goldkehlchen? Nein, sie war es nicht. Würde er herausfinden, wer diesen Namen weitergegeben hatte, würde es ungemütlich werden.

Noch bevor Logan hätte reagieren können, hatte der Mann bereits seine Schultern gepackt und ihm links und rechts einen brüderlichen Kuss auf die Wange gegeben, für den Logan ihm am liebsten die Zähne ausgeschlagen hätte. Sein Puls war kurz vorm Überkochen, auch wenn er äußerlich ruhig blieb.

Es war abzuwarten, was in folgender Zeit geschehen würde, besonders bei den Worten, die der Fremde ihm während des zweiten Wangenkusses zugeraunt hatte. »Wenn du hier raus willst, bist du jetzt mein Neffe, verstanden?«

Welch skurriles Schauspiel, aber er spielte mit. Man gab ihm ungewohnte Kleidung.

Er bekam ein weißes Hemd, einen dunkelblauen Anzug und die dazu passende Hose samt schwarzen Schuhen.

Angstschweiß ging von den beiden Ärzten aus, die sich zu Dr. Sanchez gesellt hatten. Sanchez selbst war die Ruhe in Person.

Wer waren diese Männer, die ihn herausholten?

Misstrauisch bemerkte Logan, dass sie sich nicht auf amerikanisch unterhielten. Dank der magischen Kette um seinen Hals verstand er sie dennoch.

Sterbliche, dachte Logan abfällig. Wo war nur seine Göttin hin? Er spürte sie. Celestia musste ganz in der Nähe sein. Doch er musste hier raus. Erneut von diesen unwürdigen Würmern angefasst zu werden, könnte übel enden. Nicht für ihn, sondern für dieses gottverdammte Gebäude.

Etwas lenkte seine Aufmerksamkeit zur Tür. Schlagartig verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen.

Was trieb dieses Weib hier?

Sie war es gewesen, die ihm das Gift verabreicht hatte. Doch schlimmer noch – er erinnerte sich an sie. Diese verängstigt dreinblickende Frau, sie war Teil seiner Welt. Doch das war unmöglich. Wie sollte sie den Weg hierher gefunden haben? Sie war eine aus der Dienerschaft, was dem Grunde nach gleichgültig gewesen wäre, hätte sie keinen Verrat an ihm begangen. Logan fragte sich, wie sie es zurück zu den Lebenden geschafft hatte. Doch das war gerade auch egal. Wichtig war nur, dass er sie für ihren Verrat lynchen würde.

Niemals würde er vergessen, welch eiternder und blutiger Dorn sie doch war. Er würde sie aus seinem wunden Fleisch ziehen und ihr die Kehle zerfetzen. Aber nicht jetzt. Jetzt genügte es vorerst, dass sie ihn verängstigt anstarrte, wie ein Mäuschen den Löwen.

Man geleitete ihn hinaus, vorbei an der bleich gewordenen Dienerin. Im Vorbeigehen sah er auf ihr Namensschild.

Naomi Correz.

Nachdem die Entlassungspapiere unterschrieben worden waren, folgte Logan den Männern nach draußen. Celestia hatte er zu seinem Leidwesen nicht gesehen. Nein, nicht Celestia – Elenya. Schrecklicher Name. Alleine die Vorstellung daran, diesen Namen zu stöhnen, widerstrebte ihm.

Draußen fand er sich einem Metallgehäuse gegenüber, das einer Kutsche ähnelte, nur flacher und ohne Pferde. Ein Auto, so erklärte man ihm. Genauer gesagt eine Limousine. Vermutlich hielt man ihn für den größten Hinterwäldler. Doch er ließ sich schwer aus der Ruhe bringen, dafür hatte er in seinem Leben bereits zu viel erlebt.

Die Fahrt über war Logan schweigsam gewesen. Die Geschwindigkeit beunruhigte ihn ein wenig. Würden sie irgendwo dagegen fahren, könnte es lebensgefährlich werden. Zwar nicht für ihn, doch ohne die Seele seiner Frau würde es selbst für einen Gott wie ihn schwer werden, die Gliedmaßen seines Körpers beisammenzuhalten.

»Logan?«

Nur widerstrebend wandte er den Blick von dem Fenster ab und sah zu dem hageren Mann ihm gegenüber.

»Eine der Stationsschwestern hat mich über deine Ankunft informiert. Eine hübsche kleine namens Alina. Sie meinte, man könne dich womöglich gebrauchen, jedoch seist du geistig verwirrt. Du hast also Glück, dass wir dich aufnehmen und uns um dich kümmern werden.«

Er wirkte nicht feindselig, sondern eher noch freundlich. Dennoch war Logan kein Narr. Falsche Sicherheit könnte zum Tode führen und aus dieser Leichtsinnigkeit war er längst entwachsen. Die, die Freundlichkeit zeigten, konnten einem hinterrücks einen Dolch durch die Brust rammen.

»Wenn du Dreck am Stecken hast oder nicht weißt, wo du hin sollst, bieten wir dir eine Bleibe an. Selbstverständlich nur, wenn du in unsere Dienste trittst. Du siehst kräftig aus und wenn du dich nützlich machst, wirst du es nicht bereuen und es zu einem kleinen Reichtum bringen. Kein schlechtes Angebot, wie?«

Logan knirschte mit den Zähnen, als ihm bewusst wurde, dass man ihn in die Sklaverei stecken wollte. Ihn, einen König! Vielleicht sollte er diesen scheinheiligen Männern ja doch den Kopf abreißen? Der Gedanke war ziemlich verlockend.

»Sie sprechen von Dienst?«, knurrte Logan dem Mann entgegen, der nicht länger lächelte, sondern ebenfalls mit ernstem Gesichtsausdruck dreinsah.

»So in der Art. Wir haben mitbekommen, dass eine Frau namens Celestia gesucht wird. Unsere Verbindungen sind weitreichend. Erledige den einen oder anderen Auftrag und wenn wir deine Frau finden, sorgen wir dafür, dass du gut wegkommst. Wir sammeln seit Jahren junge Männer und Frauen auf und versuchen, ihnen in diesem Land zu helfen. Amerika ist manchmal zu hart und fördert die besonderen Talente der Jugend nicht genug. Wir sind eine Familie und behandeln uns auch wie eine. Wenn du nicht willst, dann geh, doch mein Angebot für eine Unterkunft, Freunde und Geld bleibt bestehen.«

Es war also kein Freundschaftsangebot. Sklaverei schien es auch nicht zu sein. Eher ein Pakt. Eine Zweckvereinbarung. Finster starrte Logan aus dem Fenster und betrachtete die gewaltigen Bauten und die vielen Lichter. Zu viel, es schmerzte in den Augen. Dies war eine bessere Ausgangslage, als die im Krankenhaus. Damit konnte er vorerst arbeiten. Zwar gefiel es ihm nicht, dass er seine Prinzipien über Bord werfen musste, doch in anderen Ländern herrschten andere Sitten. Er würde sich den Gegebenheiten anpassen und sie lernen zu lenken. Von unten anfangen und sich nach oben arbeiten.

Zur Not brachte er alle um.

»Ich bin nicht von hier. Jemand muss mich unterrichten.«

Es schien als Zustimmung angesehen zu werden, denn der andere lächelte gutmütig.

»Kein Problem, Bursche. Kein Problem.«

Naomi hatte sich während des Meetings am Abend in die hinterste Ecke zurückgezogen und mied Elenya die gesamte Schicht über. Sie mussten dringend miteinander reden, aber das hier war der falsche Ort dafür. Es stimmte zu vieles nicht, was in Elenya ein beunruhigendes Gefühl erweckte. Niemand sprach mehr über Logan. Dr. Sanchez war mit der Begründung, dass es ihm nicht gut ginge, früher nach Hause gefahren. Es war beinahe so, als hätte dieser falsche König mitsamt allen Problemen nie existiert.

Als die Besprechung vorüber war, eilte Naomi hinaus und passte Elenya ab.

»Kommst du noch mit zu mir?«

Kaum, dass Elenya die Haustür hinter sich geschlossen hatte, begann Naomi auch schon, mit ihren Vermutungen um sich zu werfen.

»Wir hatten recht. Wir hatten die gesamte Zeit über recht! Oder nein, ICH hatte recht!«

»Womit hattest du recht?«

»Na, mit diesem seltsamen Kerl. Er gehört zu den Mafiosi.«

»Halt – WAS?« Ungläubig sah Elenya ihre beste Freundin an.

Schnell und zittrig gab Naomi das wieder, was sie zuvor gesehen hatte. Diese gesamte Angelegenheit mit den seltsamen Männern. Natürlich waren die Banden und Kartelle ein Problem in diesem Staat, aber bislang waren sie davon verschont geblieben, sodass es schwerfiel, an diese Option zu glauben.

»Wenn dieser Kerl ein Auge auf dich geworfen hat, dann bist du in Gefahr! Du hättest sehen sollen, wie er mich angesehen hat – ich stehe doch auf seiner Abschussliste, weil ich ihn betäuben musste. Es geht um Korruption, Erpressung und um noch viel schlimmere Dinge. Ein totaler Psycho ist auf freiem Fuß und du siehst mich an, als wäre ich wahnsinnig geworden!«

»Bitte, beruhige dich doch erst einmal und atme tief durch. Du bist in Sicherheit, in Ordnung? Womöglich irrst du dich und bist einfach nur übermüdet.« Besorgt musterte Elenya ihre Freundin. Hoffentlich wurde Naomi nun nicht paranoid.

»Wie kannst du nur so ruhig sein? Er könnte hinter dir her sein! Nicht, dass er dort draußen bereits auf uns wartet«, entgegnete Naomi aufgebracht.

Elenya stieß einen leisen Laut der Frustration aus, während Naomi weiterhin ihrer Paranoia nachging.

»In Anbetracht dessen, mit wie vielen Männern du leichtsinnig ins Bett steigst, müsste man meinen, dass du vor solchen Gefahren keine Angst hast.«

»Was soll das denn schon wieder heißen?«, schnaufte die Latina empört auf.

Abwehrend hob die Blondine die Hände und beließ es dabei. Stattdessen schaltete sie den Laptop an und gab den Namen des angeblichen Königreiches ein.

Aegeria.

Ihre Augenbraue zog sich hoch. Ein Schmetterling? Das war ein schlechter Scherz. Er war König der Schmetterlinge? Ein Tagfalter, um genau zu sein. Auch Waldbrettspiel genannt. Auf Latein Pararge Aegeria. Dieser Mann konnte unmöglich der König von irgendwelchen Faltern sein.

Bei dem Gedanken musste sie breit grinsen, ehe plötzlich ihre Leiste anfing zu ziehen. Es war kein Schmerz im herkömmlichen Sinne, sondern eher ein Brennen. Eine Welle der schlechten Laune glitt zu ihr herüber. Es war, als würde sie diese Empfindung von einer anderen Person empfangen.

»Alles in Ordnung? Ist es schon wieder dieses Symbol?«

»Ich fürchte ja.«

Naomi ließ sich neben sie sinken und ergriff sanft die Hand ihrer Freundin.

»Langsam ist das nicht mehr normal, Liebes. Erst dieser Psycho und nun auch noch das. Langsam bekomme ich echt genug.«

Als ob sie das nicht längst selbst wüsste. Seit ihrer Geburt trug sie ein Zeichen an ihrer Leiste. Es war ein ineinander geschlungener Alpha und Omega Schriftzug.

Ein altgriechisches Symbol für die Ewigkeit.

Schon eine seltsame Sache. Dieses Ding auf ihrer Haut sah aus, als wäre es von einem Künstler speziell für sie entworfen worden. In etwa wie bei einem Tattoo, mit dem Unterschied, dass die üblichen Farbschattierungen fehlten. Es handelte sich dabei definitiv nicht um Tinte oder etwas anderes Herkömmliches, sondern schien aus ihrem Körper herauszukommen und in dunklen Farben zu schimmern. Manchmal nahm dieses Zeichen auch eine dunkelviolette Umrandung an, die in einem mystischen Glanz erstrahlte.

Auch Narbengewebe war keines zu erkennen. Demzufolge handelte es sich nicht um ein Brandmal.

Die stärkste Vermutung einiger Experten war, dass Elenya ein Kindheitstrauma hatte und versuchte, ihre Kindheit mit der Idee von Reinheit und Frömmigkeit zu indoktrinieren. Wieso sonst spürte sie diese Stelle immer dann, wenn ein Mann ihr sexuell versuchte näherzukommen? Mittlerweile hatte sie sämtliche Therapien abgebrochen, denn genutzt hatte nichts. Die Berührungen von Männern waren schier unerträglich geworden. Bislang hatte man ihr keine Erklärung für ihre Reaktionen geben können.

»Wie klappt es mittlerweile sextechnisch mit Brandon?«
Ein wunder Punkt. »Nicht sonderlich gut.«

»Hast du noch immer Schmerzen?«

Elenya nickte stumm.

Der Schmerz fing ziepend an, wenn es streichelnden Hautkontakt gab. Beim Küssen wurde es schon schmerzhafter. Doch wenn sie nur noch in Unterwäsche vor ihrem Freund lag und er sie an erogenen Zonen berühren wollte, war es meist mühsam, nicht vor Schmerz den Verstand zu verlieren. Bislang waren sie nie weiter gekommen, als bis zum Kuscheln und dabei waren sie bereits seit einigen Jahren zusammen.

Intime Berührungen? Wenn sie vor Schmerz nicht gleich zerbrechen wollte, eher nicht.

»Hast du denn endlich–»

»Nein.«

Sie brauchte nicht einmal die Frage abzuwarten. »Ich will nicht, dass er mich für verrückt hält«, fügte sie, den missbilligenden Blick ihrer Freundin in Kauf nehmend, hinzu.

Eine ziemlich schlechte Ausrede, besonders, wenn man diese Naomi gegenüber vortrug. Zumindest das Thema Logan war vorerst wieder vergessen.

»Wann willst du es ihm denn endlich sagen?«

»Ich habe Angst, ihn zu verlieren. Ich fürchte mich davor, dass er mich für verrückt halten könnte.«

Bei Elenyas niedergeschlagener Miene wurde Naomis Blick etwas sanfter.

»Ich weiß, dass du Angst hast, aber das ändert nichts daran, dass du ihm die Wahrheit schuldig bist.«

Das war Elenya auch ohne diese belehrenden Worte klar.

Damals, als Neugeborenes, hatte man sie im Wald vorgefunden, geschützt durch eine Wölfin. Schon damals trug sie das Mal an ihrem Körper. Von dieser Geschichte erfuhr sie jedoch erst, als sie mit sechzehn Jahren zufällig auf Adoptionspapiere ihrer vermeintlichen Eltern gestoßen war.

Seit Elenya denken konnte, wurde sie von vielen gemieden, weil sie seltsame Augen hatte. Manche behaupteten sogar, irgendwelche schwarzen Striche auf ihrer Haut gesehen zu haben, die wie Rosenranken ausgesehen haben sollten, sodass man sie selbst in der modernen Zeit als Hexe beschimpft hatte.

Das Schlimmste war, dass dieses Symbol mit ihr gemeinsam gewachsen war. Als Kind war es so groß wie ein Knopf gewesen, während es heute faustgroß war. Das Symbol auf ihrer Leiste hatte sich unterdessen nicht verzerrt, sondern schien stattdessen an Farbkraft hinzugewonnen zu haben.

Die Dunkelhaarige rückte näher und legte einen Arm um Elenyas Schulter.

»Womöglich waren deine Eltern irgendwelche Fanatiker. Lass das nicht an dich heran, okay? Was soll das Zeichen denn schon bedeuten? Es ist merkwürdig, aber das sind Menschen mit elf Fingern oder drei Hoden auch und dennoch hat man sie lieb. Also Kopf hoch. Lass dich von so etwas nicht unterkriegen und wenn Brandon dich wirklich so sehr liebt, dann wird er es verstehen.«

Sie sahen sich noch einen Film an, ehe sie sich beide zusammen in das großzügige Bett von Naomi schlafen legten. Wie damals als Kinder lachten und unterhielten sie sich viel, bis Naomi eingeschlafen war.

Elenya hingegen blieb noch eine Weile wach und sah auf die roten Ziffern des Weckers. Ihre Hand wanderte zu dem Mal unter ihrer Jogginghose. Gerade reagierte es nicht. Warum schmerzte es, wenn sie mit Brandon zusammen im Bett lag?

Die Zweifel an ihrer Beziehung wuchsen. Würde sie ihn wirklich so ehrlich lieben, wie sie glaubte, hätte sie dann nicht längst die Wahrheit gesagt und ihm versucht alles zu erklären?

Stattdessen spürte sie tief in ihrem Inneren eine pochende Leere, eine unergründliche Einsamkeit. Als würde sich ein schwarzes Loch in ihrem Inneren ausbreiten und immer mehr Platz einfordern. In manchen Momenten raubte es ihr schier den Verstand.

Manchmal träumte sie von Blut. Lebhafte Bilder erschienen vor ihren Augen und alle waren sie brutal und zerstörerisch. Eine leise Stimme hauchte ihr die Antwort auf all die Bilder, nur vermochte Elenya es nicht, diese zu fassen.

Sie schloss ihre Augen und betete, diese Nacht von bösen Träumen verschont zu bleiben.

Du hast sie wirklich hineingehen sehen?«

»Punkt 17:31 Uhr.«

»Du bist dir sicher, dass es die richtige Frau war?«

»Hältst du mich für blöd, Logan? Meinst du, ich mache das zum ersten Mal?«

»Du wirkst nicht sonderlich kompetent.«

»Arschloch!«

In den nächsten Tagen gab es nichts Außergewöhnliches auf der Arbeit. Nur die täglich anfallenden Aufgaben. Im privaten Leben hingegen war es endlich soweit, dass Elenya mit Brandon zusammenzog.

Ein wenig wehleidig hatte sie ihre Sachen in die Kartons gepackt und die letzten Augenblicke in ihrer ersten Wohnung genossen.

Während sie inmitten des leeren Wohnzimmers stand, schlangen sich zwei Arme um ihren Körper. Sie erschauerte, jedoch vor Schmerz, statt vor Freude. Das Mal begann unangenehm zu brennen und die Erinnerung an die tiefgrünen Augen Logans holte sie ein. Schnell verdrängte sie dieses Bild wieder.

»Wehleidig?«

Brandon bettete sein Kinn auf ihren Scheitel.

»Ein wenig.«

Es war der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Ein Leben gemeinsam mit Brandon. Statt Freude darüber zu empfinden, wurde sie unsicher und fragte sich, ob dieser Schritt nicht überstürzt war. Schnell verdrängte sie ihre Zweifel, drehte sich in seinem Griff und legte die Arme um seinen Nacken.

Durch die direkte Nähe musste sie den Kopf leicht zurücklegen.

»Küss mich«, bat sie leise und er tat es.

Der Schmerz durchzog ihren Körper wie ein elektrischer Schlag, jedoch mit dem Unterschied, dass er den gesamten Kuss über anhielt und nicht nur für den Zeitpunkt eines Augenblickes bestimmt war.

»So viele Kartons hast du gar nicht. Sonderlich erfreut wirkst du ebenfalls nicht«, stellte er fest, nachdem er seine Lippen von den ihren löste.

»Die meisten Sachen habe ich längst bei dir. Das müsstest du doch wissen.« Bei dem zweiten Teil stockte sie kurz, lächelte dann jedoch freudestrahlend und versicherte ihm, dass sie sich selbstverständlich freuen würde.

»Nur musst du verstehen, dass das hier meine allererste eigene Wohnung war. Es fällt mir schwer, sie aufzugeben«, fügte sie erklärend hinzu.

Ein Zurück gab es nicht mehr. Die künftige Mieterin scharrte bereits mit den Hufen und wartete ungeduldig auf Elenyas Auszug.

Elenya wusste selbst nicht, warum ihr der Auszug so schwerfiel. Sie war glücklich mit Brandon. Er hatte immer zu ihr gehalten und ihr den Rücken gestärkt. Zwar war seine Aufmerksamkeitsspanne nicht sonderlich groß, aber dafür war er liebevoll und offen für neue Dinge. Mit ihm konnte man Pferde stehlen und die Zeit vergessen.

Dennoch störte sie der Umzug. Es beschlich sie das Gefühl, als wäre dieser Schritt falsch. Als beginge sie einen großen, schwerwiegenden Fehler.

Am Abend war alles vorbei, sodass Brandon sie zur Feier des Tages zum Italiener einlud.

Dass Elenya den gesamten Abend über still und wortkarg war, fiel Brandon nicht auf. Er sprach dafür umso mehr über sich und seinen Job. Über seine Vorstellungen, seinen Lebensplan und darüber, wie sehr er sich freute, dass sie endlich bei ihm eingezogen war. Er hatte sie seit Monaten zu diesem Schritt gedrängt. Warum, begriff sie bis heute nicht. Anfänglich hatte sie abgelehnt und hätte auch weiterhin darauf beharren können, ihre eigene Wohnung zu behalten, aber irgendwann hatte sie den Protest niedergelegt und eingewilligt. Das leise Gefühl der Reue beschlich sie bei diesen Gedanken.

»Trink deinen Tee. Ich habe ihn extra für dich mitgebracht, um deine Nerven nach dem anstrengenden Tag zu beruhigen.« Brandon lächelte sie an. Es handelte sich dabei um spezielle Kräuter aus Asien, die Brandon von irgendeinem Freund geschickt bekam. Angeblich sollten sie den Geist reinigen. Aus Gewohnheit trank sie den Tee auch auf der Arbeit.

»Den habe ich vollkommen vergessen.« Elenya lächelte entschuldigend und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Da sie sich im Restaurant befanden, mussten sie dennoch den Preis für einen Tee bezahlen. Da der Tee jedoch wirklich half, trank sie selten einen anderen.

»Dafür bin ich ja da.«

Brandons Lächeln ließ ihr Herz erweichen.

Diese Kleinigkeiten in ihrer Beziehung waren der Grund dafür, warum sie in ihn verliebt war. Er hatte seine Fehler, aber die hatte jeder. Im Grunde seines Herzens war Brandon ein guter Kerl, der auf seine eigene Art auf sie Achtgab. Sei es nur, indem er seine Jacke unaufgefordert über ihre Schultern legte, wenn sie fror, oder wenn er ihr Lieblingsessen kochte. Nach einer anstrengenden Schicht auf der Arbeit massierte er ihre Füße oder ließ ihr ein heißes Schaumbad ein und dekorierte das gesamte Badezimmer mit Kerzen.

Doch manchmal kam sie mit seinen Fehlern nicht klar.

Während sie versuchte, Brandons Monolog zu folgen, drückte sie ihre Hand gegen ihre Leiste, welche bereits seit Stunden brannte und sich anfühlte, als würde man ihr diese Stelle wund kratzen. Es wäre der ideale Moment gewesen, mit Brandon über das Mal und ihre Schmerzen zu sprechen, doch dazu kam es nicht. In dem Moment, indem er eine Pause einlegte und sie ihre Lippen öffnete, sprach er auch schon wieder weiter über sein Lieblingsthema: sich selbst.

Generell fiel es Elenya schwer, sich mit Brandon über ihre Wünsche und Bedürfnisse zu unterhalten. Zwar versuchte er, Verständnis zu zeigen, wenn sie es denn mal schaffte, sich durchzusetzen, aber im Grunde reagierte er meistens überfordert. Er verstand ihre Probleme nicht und gab sich auch keine Mühe, sich in ihre Lage hineinzuversetzen.

Lustlos stocherte sie mit der Gabel in ihrem Essen rum und dachte daran, dass Naomi jedes Mal wütend reagierte, wenn das Thema Brandon aufkam. Wütend wegen Brandon, aber auch wegen Elenya, die seinen selbstverliebten Charakterzug nicht wahrhaben wollte und diese Beziehung nicht beendete.

»Was ist aus diesem Logan geworden?«

Elenya verschluckte sich an ihren Nudeln und begann zu husten. Mit tränenden Augen schaffte sie es, endlich wieder Luft zu bekommen, ehe sie an ihren ehemaligen Patienten dachte.

Logan, der König der Schmetterlinge. Beinahe hätte sie bei diesem Gedanken gelächelt. In knappen Worten erzählte sie Brandon von den seltsamen Männern und von seinem plötzlichen Aufbruch. Anders als ihre Freundin es tat, wirkte Brandon nicht beunruhigt.

»Nun, ein Problem weniger«, erklärte er nebenbei, ehe er seinen Monolog fortfuhr. Dass sie Weihnachten über arbeiten musste, war ihm gleichgültig, denn als sie versuchte, es anzusprechen, überging er ihre Worte und erzählte davon, dass er seine Familie besuchen wollte.

»Grüß sie lieb von mir.« Elenya mochte seine Eltern. Sie waren herzensgute Menschen, die alle schnell ins Herz schlossen.

»Das mache ich. Du solltest mitkommen. Wir haben schon lange nichts mehr zusammen unternommen. Weißt du noch, wie wir gemeinsam wandern waren?« Brandon grinste breit, während Elenya protestierend aufstöhnte.

»Meinst du das eine Mal, als ich deiner Mutter ausversehen den Kaffee über den Schoß gekippt habe oder das andere Mal, als ich mir den Knöchel verstaucht habe?«

Brandons Grinsen wurde noch breiter. »Das waren sehr interessante Ausflüge gewesen, aber nein. Ich meinte unseren ersten gemeinsamen Ausflug. Damals, als wir die Wolfsmutter mit ihren Jungen beobachtet haben. Du sahst so glücklich aus.«

Sie erinnerte sich. Damals, als alles noch einfach war. Als sie noch halbe Kinder gewesen waren. Teenager, die noch nicht wussten, wie anstrengend das Leben sein konnte. Sie hatten viele solcher Momente geteilt. Doch seit zwei Jahren veränderten sie sich. Brandon veränderte sich. Er wirkte angespannter, teilweise auch distanziert. Elenya wusste, dass er sich die größte Mühe gab, aber etwas ging in ihm vor. Etwas, das er nicht bereit war, mit ihr zu teilen.

Doch die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Irgendwo tief in seinem Inneren war noch immer der lebensfrohe, abenteuerlustige Junge von damals, in den sie sich verliebt hatte.

Am letzten Arbeitstag hatten Naomi und Elenya sich von einander verabschiedet. Während Elenya den ersten Weihnachtstag arbeiten und danach ihre Zeit mit Brandon verbringen würde, wollte Naomi ihre Familie besuchen und dort die wenigen Urlaubstage verbringen.

»Frohe Weihnachten, Süße. Wir müssen bald wieder was miteinander unternehmen!« Naomi stieß einen wehleidigen Seufzer aus.

»Puh – dieses Jahr nicht mehr. Habe genug von dir und deiner Art. Melde dich erst nächstes Jahr wieder bei mir.«

Naomi grinste breit bei den frechen Worten ihrer besten Freundin. Elenya tat es ihr nach.

»Guten Rutsch.«

»Danke, dir auch. Und arbeite nicht zu viel, Elenya. Heute ist Heilig Abend!«

Die Studentin hatte sich freiwillig für eine Doppelschicht gemeldet. Brandon würde erst morgen von seinen Eltern zurückkehren, sodass es gleichgültig war, ob sie daheim war und die Zeit einfach verstreichen ließ, oder sie gleich sinnvoll nutzte und sich einige zusätzliche Überstunden aufbaute.

So kam es dann auch, denn eigentlich hätte ihre Schicht bereits um 22:00 Uhr beendet sein müssen. Stattdessen bewegte sich der Uhrzeiger unaufhaltsam auf halb zwei zu. Die Rate an Betrunkenen und Suizidgefährdeten war in dieser Nacht erstaunlich hoch gewesen, aber etwas Ungewöhnliches hatte es nicht gegeben.

Die meisten Ärzte waren bereits gegangen. Vor wenigen Minuten war ein Pendlerbus zu den Gebäudetrakten losgefahren. Lediglich Elenya und Steve waren von der ersten Schicht zurückgeblieben und kümmerten sich um die letzten Patienten.

»Frohe Weihnachten. Oder was auch immer davon übrig bleiben wird.« Steve trat in den Aufenthaltsraum, in dem Elenya gerade ihre Sachen aus dem Spind nahm. Seine Stimme klang verbittert. Man konnte ihm ansehen, dass er gerade viel lieber daheim bei seiner Familie gewesen wäre. Bei seinen beiden Söhnen und seiner Frau.

»Das wünsche ich dir auch. Sieh es so, du hast bald Urlaub.« Ein halbherziger Trost.

»Danke, dass du noch geblieben bist, aber jetzt mach, dass du weg kommst. Du schläfst ja schon im Stehen ein.« Steve lächelte freundlich.

Sie verabschiedeten sich, als Elenya auch schon das Krankenhaus verließ.

Schnellen Schrittes ging sie die Stufen hinab und strich sich das Haar zurück. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte, dass der nächste Bus erst in zehn Minuten kommen würde.

Ihr Atem bildete weiße Wölkchen in der Luft und vernebelte ihre Sicht. Womöglich wäre es eine bessere Idee gewesen, drinnen zu warten.

Stattdessen begab sie sich auf ihren üblichen Weg zu der Bushaltestelle. Ein ungutes Gefühl beschlich sie, gepaart mit einer düsteren Vorahnung, dass etwas Schreckliches passieren würde.

Ein Mann schlenderte in Richtung des Krankenhauses, wobei er direkt an ihr vorbei musste. Nichts Ungewöhnliches, vor allem da dies der einzige Weg war, der von der Bushaltestelle zum Krankenhaus führte. Er grüßte sie knapp im Vorbeigehen.

Da Elenya nicht jeden Mitarbeiter kannte, nickte sie ihm nur zu und beeilte sich, weiterzukommen.

In dem Moment, in dem er halb an ihr vorbei war, überkam sie ein eisiger Schauer. Ehe Elenya sich versah, hatte der Fremde sich zu ihr umgedreht und sie von hinten ergriffen. Bevor sie auch nur ans Schreien hatte denken können, wurde ein Tuch auf ihr Gesicht gedrückt.

Das Wissen, dass sie nicht einatmen durfte, erlag ihrem Reflex. Das Adrenalin schoss durch ihren Körper. Jeder Befreiungsversuch war zwecklos. Binnen weniger Sekunden begann ihr Körper, schwerer zu werden, bis das Chloroform seine gesamte Wirkung entfaltete.

Elenya sackte in sich zusammen, direkt in die Arme des Fremden.

»Meine Hübsche. Da haben wir dich ja.«

Logan hatte etwa einhundert Meter weiter im Schatten gestanden und kam nun langsam auf die beiden zu. Er überprüfte, ob es wirklich keine Zeugen gab, ehe er zu Stan trat.

»Gute Arbeit.«

Tief durchatmend betrachtete er den erschlafften Körper in den Armen seines Kollegen. Es zerriss ihn innerlich, solche Methoden anwenden zu müssen, aber es musste sein. Manche Grenzen mussten überschritten werden. Wenn sie wirklich Celestia war, dann würde sie es verstehen.

»Vorsicht!«, knurrte er Stan an, als er dabei zusah, wie er seine Geliebte etwas unsanft ins Auto packte. Logan glitt ebenfalls auf die Rückbank und hob behutsam den Kopf seiner vermeintlichen Frau an, um diesen auf seinen Schoß betten zu können, während Stan auf den Fahrersitz des dunklen Mercedes glitt.

»Nimm ihr das Handy ab. Sollte sie aufwachen, musst du sie noch einmal betäuben. Die Tasche liegt im Fußraum. Nicht, dass sie uns ausrastet und ich einen Unfall baue.«

Logan nickte stumm und tat, wie ihm gesagt wurde.

Manchmal wollte Logan seinen Freund mit dem Kopf so lange gegen die Wand schlagen, bis die Hirnmasse hervorquoll, aber er zügelte sich soweit es eben ging. Stan hatte nämlich recht und derzeit hatte er leider auch mehr Erfahrung in solchen Dingen. Da würde Logan auf ihn hören müssen, so sehr es ihm auch missfiel, dass dadurch seiner Frau eine negative Behandlung widerfuhr.

Während der Fahrt achtete Logan penibel darauf, dass Elenyas Kopf nicht zu stark hin und her rollte. In einer ungewohnten Zärtlichkeit strich der sonst grobe Mann durch das Haar der bewusstlosen Frau.

Endlich. Endlich war sie bei ihm.

Sein Herz schlug schneller und fühlte sich an, als würde es jeden Moment explodieren. Die Fahrt über bekam er nichts mit. Stattdessen versuchte er, in der Dunkelheit so gut es ging ihr Gesicht zu betrachten. Sie war so unglaublich schön. Wäre er alleine gewesen, hätte er wohl geweint vor Glück. Seine Kehle zuckte manchmal verräterisch, seine Augen brannten.

Ein wohliges Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Seine Liebe zu ihr wuchs wie ein loderndes Feuer. Es würde alles und jeden versengen, der es wagen würde, dieses Glück zu rauben. Seine Gedanken schweiften ab. Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Wie gerne würde er seine flammende Begierde in ihr versenken.

Doch alles zu seiner Zeit.

Als sie in dem Versteck ankamen, wartete bereits ein anderer Mann auf sie und half beim Ausladen der Ware. Elenya wurde in ein Gebäude getragen, während Logan sich skeptisch umsah. Anscheinend handelte es sich hierbei um eine alte Bahnhofsstation. Solange man sie hier nicht fand, sollte es ihm recht sein. Dieser Ort war ihr, seiner Königin, nicht würdig, doch etwas Besseres hatte Stan auf die Schnelle nicht gefunden. Logan hätte ihm am liebsten mehr Druck gemacht, doch das hatte er zähneknirschend unterlassen. Er befand sich derzeit nicht in der Position dazu. Wäre er daheim gewesen, hätte er mit rollenden Köpfen gedroht, wenn nicht alles zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllt worden wäre.

In einer der Räumlichkeiten legte man Elenya auf einem alten Sofa ab. Stan hatte zumindest einmal mitgedacht, denn eine große Decke war auf dem fleckigen Sofa ausgebreitet worden. Darüber lagen eine weitere Decke und ein paar saubere Kissen verteilt.

Logan setzte sich auf einen Stuhl. Allmählich wurde er unruhiger. Je länger er ihr Gesicht nun im Hellen betrachtete, desto mehr Erinnerungen kamen in ihm an alte Zeiten auf. Schöne wie schreckliche.

»Vielleicht wären Blumen doch besser gewesen«, meinte ein stämmiger Mann Anfang vierzig namens Alexej. Von allen kurz und schlicht Alex genannt. Er betrachtete Elenya eine ganze Weile und runzelte ein wenig die Stirn.

»Hast du ein Problem?« Logan blickte feindselig auf. Seine Haltung wurde aggressiver. Elenya gehörte ganz allein ihm.

Alex zuckte mit den Schultern. Kurz warf er der jungen Frau noch einen irritierten Blick zu, ehe er sich abwandte und den Raum verließ. Hätte er auch nur eine Sekunde länger gestarrt, hätte Logan ihm seine Augen ausgestochen.

»Du auch, Stan. Raus.«

»Wie bitte? Ich darf nicht dabei sein? Das ist ziemlich ungerecht von dir. Du weißt doch, dass–»

Ein einziger eisiger Blick genügte, damit sich Stanley mürrisch verzog und die Tür hinter sich schloss.

Endlich war er mit seiner Frau alleine.

Dunkle Schatten begannen, sich auf seiner Haut zu bewegen. Schwarze Ranken schlängelten sich immer wieder unter seiner Kleidung hervor. Wie Peitschenhiebe schossen und zuckten sie über seine Haut. Zeitgleich glitt etwas Nebelartiges über den Boden. Das Knurren dreier Wölfe erklang, doch zu sehen war keiner.

Logan achtete nicht darauf. Stattdessen fixierte er das unschuldige, bewusstlose Gesicht seiner Angebeteten.

Jetzt hieß es nur noch warten, bis sie erwachte.

Er musste an all die neuen Dinge denken, die er seit seiner Ankunft kennengelernt hatte. Beispielsweise hatte seine sogenannte Familie ihm erklärt, dass eine Festlichkeit namens Weihnachten stattgefunden hatte, aber großartig etwas damit anfangen konnte er nicht. Ihm war dieses Fest herzlichst egal gewesen. In seinem Land gab es solch eine Feierlichkeit namens Weihnachten nicht und generell hätte er ohne Elenya nicht feiern wollen.

Er hatte wieder diese seltsame Kleidung getragen. Einen schwarzen Anzug, darunter ein weißes Hemd. Dazu schwarzes, gemütliches Schuhwerk, um jederzeit loslaufen zu können.

In der letzten Zeit hatte er sich den anderen angepasst. Es hatte sich herausgestellt, dass es sich bei ihnen um Menschen handelte, die junge Männer mit gewissen Fertigkeiten auffingen. Die waren angesehene Persönlichkeiten aus großen Unternehmen, die im Management tätig waren und gerne mal einige Probleme mithilfe von starken Männern lösten. Jedoch arbeiteten für sie nicht nur Schläger, sondern auch Hacker und Spione.

Dafür nahmen sie einen auf und halfen einem, wieder auf die Beine zu kommen. Logan hatte Nahrung, Kleidung und ein Heim erhalten. Man bezeichnete sich als Familie, denn man kümmerte und half einander, gab einem Halt, wie es eine Familie hätte tun müssen.

Soweit Logan mitbekommen hatte, hielten die meisten ihn für einen Sonderling. Das war nichts, woran er nicht längst gewohnt war. Ein Blick zu seiner bewusstlosen Angebeteten erinnerte ihn daran, dass selbst sie ihm keinen Glauben geschenkt hatte.

Mittlerweile besaß Logan eine falsche Vergangenheit und einige Qualifikationen. Manche hatte er tatsächlich erworben, manche waren gekauft.

Die ersten Tage unter all diesen Männern waren relativ unstrukturiert gewesen. Logan kam in einem Quartier unter, welches er sich mit drei anderen Männern teilen musste. Alle waren ungefähr in seinem Alter. Es war akzeptabel und anders nicht zu beschreiben. Bei weitem nicht das, was er als König gewohnt war, doch für einen Krieger vollkommen ausreichend. Seine Frau würde diesen trostlosen Ort jedoch nicht zu sehen bekommen, dafür war er zu stolz. Sie sollte nicht glauben, dass er ein Niemand war. So weit käme es noch!

Schlimmer noch als seine winzige Behausung, war sein Unwissen. Stanley hatte sich über ihn amüsiert. Mit seinem losen Mundwerk wirkte er mehr wie ein Jüngling, als ein wirklicher Mann. Anfänglich hatte Logan geglaubt, dass Stanley erst in die Fußstapfen der anderen hineinwachsen müsse, doch er hatte sich als äußerst intelligent und kompetent herausgestellt. Zudem schätzte Logan seine Ehrlichkeit und die Loyalität der Familie gegenüber.

Während er die Zeit tagsüber mit dem Kennenlernen der Strukturen des Clans verbrachte, versuchte er in den Abendstunden sein Wissen stetig zu erweitern. Einer seiner Mitbewohner erlaubte ihm, seinen Mac zu benutzen, jedoch hatte er bislang noch nicht verstanden, wie man dieses Teufelswerk zum Leuchten bekam. Wenn er genau darüber nachdachte, dann meinte er sich zu erinnern, dass Elenya ebenfalls so eine leuchtende Platte in der Hand gehalten hatte, in die sie etwas tippen musste.

Bis auf Fingerabdrücke auf dem Bildschirm erreichte Logan an jenem Abend nichts.

Er war der Witz des darauffolgenden Tages gewesen. Niemand hatte begreifen können, wie er es geschafft hatte, all der neumodischen Technik fernzubleiben. Irgendwann erbarmte man sich seiner. Logan gab ein Schnaufen von sich, als er sich daran erinnerte, wie man ihm dies alles beigebracht hatte. Man hatte mit ihm gesprochen, als sei er ein Kind. Er, der Kriege geführt und ein Königreich regiert hatte!

Demütigend.

Während Logan seinen Gedanken nachhing, sah er hin und wieder zu der schlafenden Frau und fragte sich, wie viel Chloroform man Elenya verabreicht hatte. Da er ihren Herzschlag spürte, reagierte er nicht beunruhigt und dank der zahlreichen Wachdienste der letzten Tage und Wochen hatte er seine innere Ruhe wiedergefunden.

Zwischenzeitlich hatte man ihn getestet und ausprobiert, was er bereits beherrschte und was er noch lernen musste. Den Spitznamen Straßenkämpfer mochte er nicht sonderlich, aber er schien passend zu sein. Er kämpfte wilder und animalischer als seine Kollegen. Dadurch wirkte er unberechenbarer. Den Umgang mit Schusswaffen hatte der junge Gott erst erlernen müssen, doch das ging schnell. Wichtig war nur, dass er in all der Zeit nicht vergaß, wer er wirklich war und weshalb er hier war.

Der Grund lag bewusstlos auf der Couch und begann, sich allmählich zu regen.

Die Tür öffnete sich lautlos. Logan rührte sich nicht, sondern fixierte weiterhin die schlafende Frau vor sich. »Eigentlich dachte ich ja, du suchst deine Frau? Ich meine, du kannst schon ficken wen du willst, geht mich ja nichts an, aber könntest du dir nicht irgendeine andere nehmen?«

»Es ist kompliziert … Und du hast gesagt, du hilfst mir, also stell mich nicht andauernd infrage.«

»Ich fange echt an, dich zu lieben, Logan. Wegen dir muss ich nicht bei meiner Familie sitzen und das Kindergeschrei aushalten. Das hier ist spannender, als die scheiß Wachdienste!«

»Spannender?«

»Na klar! Beschatten, spionieren und recherchieren und das nur, weil mein Bruder nicht die Eier hat, eine Frau normal nach einem Date zu fragen. Beinahe wie in der Highschool. Jetzt gerade ist es etwas öde, aber sie müsste jeden Moment wieder aufwachen.«

Als Stan Elenya näher kam, sprang Logan sofort auf und stellte sich dazwischen.

»Lass mich doch mal schauen!«, motzte der Jüngere beleidigt und schaute an Logan vorbei. »Ich habe sie vorhin im Dunkeln gar nicht richtig sehen können.«

Nur widerstrebend trat Logan einen Schritt zurück, bereute es jedoch sogleich wieder.

»Alter! Die ist wirklich verdammt heiß! Sicher, dass sie nicht eine Nummer zu groß für dich ist? Hahaha – AUA!«

Stan rieb sich sein Ohr und blickte seinen Freund entgeistert an. »Hast du mir in mein Ohr gekniffen?«

Ein Blick genügte und Stan zog schmollend davon.

In dem Moment vernahm Logan neben sich eine Bewegung.