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DR. WESLEY R. GRAY
DR. JACK R. VOGEL

Momentum-Strategien für

Stock
picker

So finden Sie Gewinneraktien – mit einem der erfolgreichsten Handelsansätze unserer Zeit

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Quantitative Momentum: A Practitioner’s Guide to Building a Momentum-Based Stock Selection System

ISBN 978-1-119-23719-8

Copyright der Originalausgabe 2016:

Copyright © 2016 by Wesley R. Gray and Jack R. Vogel. All rights reserved.

Published by John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey.

All Rights Reserved. This translation published under license with the original publisher John Wiley & Sons, Inc.

Copyright der deutschen Ausgabe 2018:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Egbert Neumüller

Covergestaltung: Holger Schiffelholz

Coverbildquelle: iStock

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Lektorat: Claus Rosenkranz

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-511-3
eISBN 978-3-86470-512-0

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Buy cheap; buy strong; hold ’em long.
Billig kaufen; stark kaufen; lange halten
.

– Wes und Jack

INHALT

Vorwort

Danksagungen

Über die Autoren

TEIL 1

DAS MOMENTUM VERSTEHEN

KAPITEL 1Weniger Religion, mehr Vernunft

KAPITEL 2Wieso aktive Investmentstrategien funktionieren können

KAPITEL 3Momentum-Investing ist kein Growth-Investing

KAPITEL 4Warum alle Value-Anleger das Momentum brauchen

TEIL 2

DER AUFBAU EINES MOMENTUMBASIERTEN MODELLS DER AKTIENAUSWAHL

KAPITEL 5Grundlagen des Aufbaus einer Momentum-Strategie

KAPITEL 6Die Maximierung des Momentums: Auf den Weg kommt es an

KAPITEL 7Momentum-Anleger müssen die Jahreszeiten kennen

KAPITEL 8Quantitatives Momentum schlägt den Markt

KAPITEL 9Das Momentum in der Praxis für sich arbeiten lassen

ANHANG ADie Suche nach alternativen Momentum-Konzepten

ANHANG BDefinitionen der Performance-Kennzahlen

Über die begleitende Website

VORWORT

Die Markteffizienzhypothese behauptet: Frühere Preise können den künftigen Erfolg nicht vorhersagen. Dabei gibt es aber ein Problem: Frühere Preise sagen die zukünftig zu erwartende Performance voraus und man bezeichnet dieses Problem allgemein als „Momentum“. Momentum ist der Inbegriff einer einfachen Strategie, die sogar Ihre Großmutter verstehen würde: Gewinner kaufen. Und das Momentum ist ein offenes Geheimnis. Die Erfolgsgeschichte, frühere Gewinner zu kaufen, erstreckt sich nun schon über 200 Jahre und ist zum ultimativen Pfahl im Fleisch der Markteffizienzhypothese (EMH = Efficient Market Hypothesis) geworden. Und warum ist dann nicht jeder ein Momentum-An-leger? Wir glauben, dass es dafür zwei Gründe gibt: Fest in unserem Verhalten verankerte Tendenzen führen dazu, dass viele Anleger dem Momentum zuwiderhandeln; und die Einschränkungen des Marktplatzes machen es für Profis schwierig, Momentum auszunutzen.

Solange die Erwartungen der Menschen von systematischen Fehlern geprägt sind, können Preise von den Fundamentaldaten abweichen. Im Kontext des Value-Investings scheint dieser Erwartungsfehler eine Überreaktion auf negative Meldungen zu sein; aus Sicht des Momentums ist der Erwartungsfehler überraschenderweise mit einer Unterreaktion auf positive Meldungen verbunden (manche behaupten, das sei eine Überreaktion; das kann nicht ausgeschlossen werden, aber insgesamt stützen die Indizien eher die Hypothese der Unterreaktion). Daher glauben Anleger, die überzeugt sind, hinter langfristigen Überrenditen stünden Verhaltenstendenzen, bereits an den entscheidenden Mechanismus, der hinter der langfristigen Nachhaltigkeit des Momentums steht. Kurz gesagt stellen Value und Momentum die zwei Seiten der gleichen Verhaltensmedaille dar.

Aber warum werden dann Momentum-Strategien nicht von mehr Anlegern genutzt, sodass der Vorteil durch Arbitrage verschwindet? Wie wir noch besprechen werden, hängt die Geschwindigkeit, in der durch Fehlpreisungen bedingte Chancen dahinschwinden, von den Kosten für ihre Ausnutzung ab. Abgesehen von der Batterie der Transaktionskosten und der Kosten für Informationsbeschaffung, die nicht gleich null sind, besteht der größte Kostenfaktor bei der Ausnutzung langanhaltender Fehlpreisungschancen in der Angst der bevollmächtigten Vermögensverwalter vor Karriererisiken. Das Karriererisiko ergibt sich daraus, dass Anleger häufig einen Profi damit beauftragen, ihr Kapital zu verwalten. Leider beurteilen Anleger, die ihr Kapital professionellen Fondsmanagern anvertrauen, die Leistung des von ihnen engagierten Managers häufig anhand von dessen kurzfristiger relativer Performance im Verhältnis zu einer Benchmark. Dadurch entsteht für den professionellen Fondsmanager jedoch ein Fehlanreiz. Auf der einen Seite möchten Fondsmanager Chancen durch Fehlpreisung ausnutzen, weil die erwartete langfristige Performance so hoch ist. Auf der anderen Seite können sie das aber nur insoweit tun, als die Ausnutzung der Fehlpreisungschancen nicht dazu führt, dass ihre erwartete Performance zu weit – und/oder zu lange – von einer gängigen Benchmark abweicht. Kurz gesagt funktionieren Strategien wie das Momentum vermutlich deshalb, weil sie im Verhältnis zu passiven Benchmarks manchmal spektakulär scheitern, was zu einem „Karriererisiko“-Aufschlag führt. Und wenn wir dies weiter durchdenken, brauchen wir nur die folgenden Annahmen zu treffen, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass eine Momentum-Strategie – eigentlich jegliche auf Anomalien basierende Strategie – in der Zukunft nachhaltig sein kann:

imageDie Anleger werden weiterhin verhaltensbedingten Verzerrungen unterliegen.

imageDiejenigen Anleger, die andere beauftragen, werden kurzsichtig der Performance nachjagen.

Wir glauben, dass wir uns auf absehbare Zukunft auf diese beiden Annahmen verlassen können. Und weil wir an diese Annahmen glauben, sind wir auch überzeugt, dass es für prozessorientierte, langfristig ausgerichtete, disziplinierte Anleger immer Chancen geben wird.

Angenommen, wir sind bereit, Momentum-Investoren zu sein, und wir haben die Tatsache akzeptiert, dass die Reise mühsam sein muss, wenn sie nachhaltig sein soll, dann müssen wir nur noch eine einfache Frage beantworten: Wie bauen wir eine effektive Momentum-Strategie auf? In diesem Buch skizzieren wir die mehrjährigen Forschungsanstrengungen, die wir unternommen haben, um unsere Momentum-Strategie der Aktienauswahl auszuarbeiten. Das Fazit unseres Unterfangens ist die quantitative Momentum-Strategie, die das Ziel verfolgt, die Aktien mit dem hochwertigsten Momentum zu kaufen. Und um das von vornherein klarzustellen: Wir beanspruchen nicht, über die „beste“ Momentum-Strategie zu verfügen oder eine Momentum-Strategie zu verfolgen, die „garantiert“ funktioniert. Aber wir sind der Ansicht, dass unser Prozess vernünftig ist, auf Belegen basiert und sich kohärent und logisch auf die Behavioral Finance bezieht, die verhaltensorientierte Finanzlehre. Außerdem legen wir in radikaler Transparenz dar, wie und warum wir dieses Verfahren entwickelt haben. Wir möchten, dass die Leser unsere Annahmen infrage stellen, dass sie die Ergebnisse aktiv nachvollziehen und uns sagen, ob man unser Verfahren ihrer Meinung nach verbessern könnte. Sie können uns jederzeit auf AlphaArchitect.com erreichen und wir werden uns mit Freuden Ihren Fragen widmen.

Wir hoffen, dass Ihnen die Geschichte vom quantitativen Momentum gefallen wird.

DANKSAGUNGEN

Bei der Realisierung dieses Buches wurden wir von vielen Kollegen, Freunden und Familienangehörigen enorm unterstützt. Wir danken unseren Ehefrauen Katie Gray und Meg Vogel für ihre stetige Unterstützung und dafür, dass sie sich um unsere chaotischen Kinder gekümmert haben, damit wir unser Manuskript verfassen konnten. Auch möchten wir dem gesamten Team von Alpha Architect dafür danken, dass es uns beide ertrug, während wir die erste Fassung entwarfen. David Foulke trug unschätzbar wertvolle Kommentare bei und las das Manuskript so oft, dass ihm immer noch der Kopf schwirrt. Auch Walter Haynes spielte eine zentrale Rolle bei der deutlichen Verbesserung des Manuskripts. Yang Xu war in Sachen Recherche immens hilfreich und plagte sich bis in die späten Abendstunden mit der Verarbeitung von Zahlen. Schließlich schulden wir dem restlichen Team von Alpha Architect – Tian Yao, Tao Wang, Pat Cleary, Carl Kanner und Xin Song – ewigen Dank! Außerdem möchten wir den außenstehenden Lesern für ihre Anmerkungen in einem frühen Stadium und ihre unglaublichen Erkenntnisse danken. Andrew Miller, Larry Dunn, Matt Martelli, Pat O’Shaughnessy, Gary Antonacci und eine Handvoll anonymer Leser haben das Buch viel besser gemacht, als es geworden wäre, wenn wir allein gearbeitet hätten. Und schließlich danken wir unserer Lektorin Julie Kerr für ihr außerordentlich wertvolles Feedback.

ÜBER DIE AUTOREN

Dr. Wesley R. Gray Nachdem er als Hauptmann im United States Marine Corps gedient hatte, promovierte Dr. Gray und wurde Professor für Finanzwissenschaft an der Drexel University. Sein Interesse an Unternehmertum und Behavioral Finance veranlasste ihn, Alpha Architect zu gründen, eine Vermögensverwaltungsgesellschaft, die steuersensitiven Anlegern erschwingliche aktive Strategien anbietet. Dr. Gray hat vier Bücher und zahlreiche wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Wes schreibt regelmäßig für das Wall Street Journal, für Forbes und für das CFA Institute. Dr. Gray machte an der University of Chicago seinen MBA, promovierte dort und erwarb an der Wharton School der University of Pennsylvania einen BS mit magna cum laude.

Dr. John (Jack) R. Vogel Dr. Vogel forscht auf den Gebieten empirische Preisbildung von Vermögenswerten und Behavioral Finance und er hat zwei Bücher sowie zahlreiche wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Er hat unter anderem Erfahrungen als Dozent und Forschungsassistent an der finanzwissenschaftlichen und der mathematischen Fakultät der Drexel University sowie als Finanzdozent an der Villanova University gesammelt. Derzeit gehört Dr. Vogel der Geschäftsführung von Alpha Architect an, er ist bei der SEC registrierter Anlageberater und fungiert als Finanzvorstand sowie als stellvertretender Chief Investment Officer. Er hat einen Doktortitel in Finanzwissenschaft sowie einen MS von der Drexel University und erwarb an der University of Scranton einen BS in Mathematik und Pädagogik mit summa cum laude.

TEIL 1

DAS MOMENTUM VERSTEHEN

Das vorliegende Buch besteht aus zwei Teilen. Teil 1 liefert die Begründung, weshalb man das Momentum als Instrument der systematischen Aktienauswahl verwenden sollte. In Kapitel 1, „Weniger Religion, mehr Vernunft“, besprechen wir die beiden vorherrschenden Investment-Religionen: die fundamentale und die technische. Wir empfehlen, dass auf Evidenz setzende Anleger beide Ansätze berücksichtigen. Dann stellen wir in Kapitel 2, „Wieso aktive Investmentstrategien funktionieren können“, unseren nachhaltigen und aktiven Anlagerahmen vor, der uns herauszufinden hilft, wieso eine Strategie auf lange Sicht funktionieren wird (wir identifizieren den „Vorteil“). In Kapitel 3, „Momentum-Investing ist kein Growth-Investing“, legen wir dar, dass man Momentum-Investing ebenso wie Growth-Investing mit Fug und Recht als nachhaltige Anomalie bezeichnen kann. Schließlich schließen wir den ersten Teil mit Kapitel 4, „Warum alle Value-Anleger das Momentum brauchen“, ab. Hier besprechen wir die auf das Momentum-Investing bezogenen Indizien, die darauf hindeuten, dass die meisten Anleger beim Aufbau ihres diversifizierten Anlageportfolios Momentum-Investing zumindest in Betracht ziehen sollten.

KAPITEL 1

Weniger Religion, mehr Vernunft

Kind: „Papa, bist du sicher, dass der Weihnachtsmann die Geschenke gebracht hat?“

Vater: „Ja, er hat sie auf seinem Schlitten hergebracht.“

Kind: „Ja, wahrscheinlich stimmt das. Er hat ja auch die Plätzchen gegessen und die Milch getrunken, die wir neben dem Kamin haben stehen lassen.“

– Typisches Gespräch zwischen einem Erwachsenen
und einem Kind an Heiligabend

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Die Technische Analyse: Die älteste Religion der Börse

Im 17. Jahrhundert hatten die Holländer eine große Handelsflotte und die Hafenstadt Amsterdam war eine dominierende Drehscheibe des Handels mit der ganzen Welt. Im Zuge des wachsenden Einflusses der Republik der Vereinigten Niederlande wurde 1602 die Niederländische Ostindien-Kompanie gegründet und ihre Entwicklung zur ersten börsennotierten weltweit aktiven Gesellschaft brachte an der Amsterdamer Börse einige Neuerungen hervor. Unter anderem wurden dort später weitere Gesellschaften notiert und es waren sogar Leerverkäufe möglich.

Im Jahr 1688 schrieb der erfolgreiche niederländische Händler Joseph de la Vega „Die Verwirrung der Verwirrungen“, eines der ersten bekannten Bücher, die eine Börse und den Aktienhandel beschreiben. Einige heutige Forscher behaupten, man müsse de la Vega als Vater der Behavioral Finance betrachten. Er beschrieb eindringlich übertriebene Handelstätigkeit, Überreaktionen, Unterreaktionen und den Dispositionseffekt, lange bevor sie in modernen Finanzzeitschriften dokumentiert wurden.1

De la Vega schildert in seinem Buch das Alltagsgeschäft an der Börse und spielt darauf an, wie die Preise gebildet werden:

„Betritt ein Haussier während der Handelszeit der Börse ein solches Kaffeehaus, wird er von den Anwesenden nach den Aktienkursen gefragt. Er schlägt auf den aktuellen Preis ein oder zwei Prozent drauf, zückt ein Notizbuch und tut so, als notiere er darin Orders. Der Wunsch, Aktien zu kaufen, nimmt zu; und dies erhöht auch die Vermutung, es könne ein weiterer Anstieg erfolgen (denn in diesem Punkt sind wir alle gleich: Wenn die Preise steigen, meinen wir, sie würden sich zu großer Höhe aufschwingen, und wenn sie bereits in diese Höhe gestiegen sind, meinen wir, sie würden uns davonlaufen).“2

De la Vega beschreibt hier, wie steigende Preise fortgesetzte Preisanstiege verursachen können. Anders ausgedrückt, und zwar mit den Worten von Wes’ Zimmergenossen während des Studiums, der bei einer großen Bank an der Wall Street als leitender Marketmaker arbeitete: „Hohe Preise ziehen Käufer an, niedrige Preise Verkäufer.“3

De la Vega fährt fort:

„Der Preisverfall braucht keine Grenze und auch für den Anstieg bestehen unbegrenzte Möglichkeiten […] Deshalb wird es stets Käufer geben, die einen von der Angst befreien […] die Haussiers freuen sich optimistisch über den Zustand der Konjunktur, der ihnen stets günstig ist; und ihre Haltung steckt derart voller [gedankenloser] Zuversicht, dass selbst weniger günstige Neuigkeiten sie nicht beeindrucken und keine Befürchtungen wecken. [Es scheint] mit der Philosophie unvereinbar zu sein, dass Baissiers noch weiter verkaufen, nachdem die Ursache für ihre Verkäufe nicht mehr besteht, denn die Philosophen lehren, dass dann, wenn die Ursache zu existieren aufhört, auch die Wirkung endet. Doch wenn die Baissiers stur weiter verkaufen, tritt auch dann noch eine Wirkung ein, wenn die Ursache verschwunden ist.“4

Hier spricht de la Vega ausdrücklich davon, dass die Bullen womöglich weiterhin kaufen und die Bären weiterhin verkaufen, selbst wenn es keinen unmittelbaren Grund mehr gibt, der sie dazu veranlassen könnte, außer der Preisbewegung an sich. Wir sehen hier also, dass sich bereits im Europa des 17. Jahrhunderts Preisveränderungen – unabhängig von den Fundamentaldaten – auf die künftigen Marktpreise auswirkten.

Während sich in Europa im Börsenhandel die frühe Technische Analyse entwickelte, fand in Japan ein noch faszinierenderes Experiment im Finanzwesen statt. Im 17. Jahrhundert wurde der Bauernstand, der die Mehrheit der japanischen Bevölkerung stellte, zur Landwirtschaft gezwungen und lieferte so eine steuerliche Basis für den herrschenden Schwertadel, der im Gegenzug Schutz für die landwirtschaftlichen Flächen bot. Damals war Reis das wichtigste landwirtschaftliche Erzeugnis und da er bis zu 90 Prozent der Staatseinnahmen ausmachte, wurde er zum Hauptprodukt der japanischen Wirtschaft.

Da der Reis in Japan so eine bedeutende Rolle spielte, wurde 1697 eine formale Börse eingerichtet und schließlich entstand die Reisbörse in Dojima, die viele für die erste Warenterminbörse halten. Zu dieser Börse gehörte ein Netz aus Lagerhäusern mit bewährten Kredit- und Clearing-Mechanismen.5

Der sich schnell entwickelnde japanische Reismarkt war das fruchtbare finanzielle Umfeld, in dem sich ein junger Reishändler namens Munehisa Homma (1724-1803) Mitte des 18. Jahrhunderts wiederfand. Homma handelte mit Reis-Futures und nutzte ein privates Kommunikationsnetz, um vorteilhafte Handelsgeschäfte abzuschließen. Auch verwendete er die historische Preisentwicklung, um Vorhersagen über die künftige Preisentwicklung zu treffen. Seine entscheidende Erkenntnis hatte allerdings etwas mit der Psychologie von Märkten zu tun.

Im Jahr 1755 schrieb Homma „Die Quelle des Geldes – Bemerkungen der drei Affen zum Geld“ und beschrieb darin die Rolle von Emotionen und ihre möglichen Auswirkungen auf den Reispreis. Homma bemerkte: „Der psychologische Aspekt des Marktes war für den [eigenen] Handelserfolg maßgeblich.“ Und er notierte: „Das Studium der Emotionen am Markt […] konnte zu der Vorhersage der Preise beitragen.“ Somit gehört Homma ebenso wie de la Vega wohl zu den ersten Menschen, die nachgewiesenermaßen die Behavioral Finance in der Praxis anwandten. Sein Buch war eines der ersten, die sich mit Märkten und Anlegerpsychologie befassten.6

Homma investierte long und short, sodass er ein Vorläufer der heutigen Hedgefonds war. Er war so erfolgreich und wurde so wohlhabend, dass er zu einem Sprichwort anregte: „Ich werde nie ein Homma werden, aber ich wäre schon als Landesherr zufrieden.“ Schließlich wurde er Berater der Regierung und von Japans erstem Staatsfonds.7

Auf der anderen Seite des Erdballs entwickelten sich die Finanzmärkte ebenfalls. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beteiligten sich in den Vereinigten Staaten immer mehr Menschen am Aktienmarkt. Einer der berühmtesten Aktienanleger jener Zeit war ein Mann namens Jesse Livermore. Er begann im Alter von 14 Jahren zu handeln und gewann und verlor im Laufe seines Lebens mehrmals ein Vermögen.

Ein amerikanischer Autor namens Edwin Lefèvre schrieb über ihn die Biografie „Das Spiel der Spiele“. Sie berichtet über Livermores Leben und Erlebnisse in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Buch beschreibt den Erfolg, den Livermore mit technischen Handelsregeln hatte. Außerdem erläutert Lefèvre Livermores allgemeine Börsenphilosophie:

„Man beobachtet den Markt […] mit einem Ziel: die Richtung zu ermitteln – also die Preistendenz […]. Niemand sollte darüber verwirrt sein, ob eine Hausse oder eine Baisse herrscht, nachdem sie eindeutig gestartet ist. Für einen Mann mit offenem Geist und halbwegs klarem Blick liegt der Trend auf der Hand […].“8

Wir gewinnen weitere Einblicke in Livermores Anlagephilosophie, wenn wir Kommentare zu seinen Kauf- und Verkaufsentscheidungen prüfen. Heute würden wir in diesen Entscheidungen moderne „Momentum“-Strategien erkennen: „Es ist überraschend, wie viele erfahrene Händler ungläubig dreinschauen, wenn ich ihnen sage, dass ich, wenn ich Aktien auf Hausse kaufe, gerne Spitzenpreise bezahle, und dass ich beim Verkaufen entweder niedrig oder gar nicht verkaufen muss.“

Vorstellungen, dass Anleger nicht vollständig rational seien und dass die Preise einen Bezug zu den künftigen Preisen haben, sind eindeutig nicht neu. Alle bisher besprochenen Investoren – Joseph de la Vega, Munehisa Homma und Jesse Livermore – verdeutlichen, dass großartige Investoren im Laufe der Geschichte die Rolle der Psychologie an den Märkten erkannten und auch erkannten, dass die historischen Preise dabei helfen können, die künftigen Preise vorherzusagen – dass mit anderen Worten die Technische Analyse funktioniert.

Doch befassen wir uns nun mit dem frühen 20. Jahrhundert, als einige Anleger sich zu fragen begannen, ob die Technische Analyse einen vernünftigen Investmentansatz darstellt. Viele dachten, die Analyse der Fundamentaldaten eines Unternehmens sei vielleicht eine vernünftigere Methode. Die Anleger begannen, die Fundamentalanalyse, die eine sorgfältige Durchsicht der Finanzabschlüsse eines Unternehmens umfasst, unter die Lupe zu nehmen – in der Hoffnung, eine solche Analyse könne bessere Begründungen für Anlageentscheidungen liefern. Insbesondere gewann eine ganz bestimmte neue Anlagephilosophie an Bekanntheit: das Value-Investing, bei dem man Aktien kauft, die im Verhältnis zu diversen Fundamentaldaten wie etwa dem Gewinn oder dem Cashflow billig gehandelt werden.

Eine neue Religion kommt auf: die Fundamentalanalyse

Benjamin Graham ist allgemein als Vater der Bewegung des Value-Investings bekannt. Er war überzeugt, dass Anleger höhere risikobereinigte Renditen erzielen, wenn sie Aktien konsequent unter ihrem inneren Wert kaufen, den sie durch die Fundamentalanalyse ermittelt haben. Graham legte den Rahmen seines Value-Investings in den beiden berühmtesten Investmentbüchern aller Zeiten dar, „Wertpapieranalyse“ und „Intelligent investieren“.

Graham begriff, dass es viele Anhänger der Technischen Analyse gab, äußerte aber deutlich, was er von dieser Disziplin hielt: betrügerische Hexerei. Eine Passage aus „Intelligent investieren“ fasst seine Ansichten zusammen:

„Der eine Grundsatz, der für fast alle diese sogenannten ‚technischen Ansätze‘ gilt, besagt, dass man kaufen soll, weil eine Aktie oder der Markt gestiegen ist, und dass man verkaufen soll, weil es abwärts gegangen ist. Das ist das Gegenteil solider Geschäftstüchtigkeit in allen anderen Bereichen und es ist höchst unwahrscheinlich, dass dies an der Wall Street zu anhaltendem Erfolg führt.“9

Grahams frühe Kritik an der Technischen Analyse wurde im Laufe der Zeit von anderen eisernen Anhängern der Religion der Fundamentalanalyse noch verschärft. Grahams berühmtester Schützling, Warren Buffett, übernahm die Boxhandschuhe von Graham und schlug weiter auf die Menge der technischen Analytiker ein. Eine Aussage, die ihm zugeschrieben wird, verdeutlicht seine Ansichten: „Mir wurde klar, dass die Technische Analyse nicht funktioniert, als ich die Charts auf den Kopf stellte und keine andere Antwort erhielt.“ Ein jüngeres Zitat von Burt Malkiel, der das populäre Buch „Börsenerfolg ist (k)ein Zufall“ verfasste, bringt die Verachtung für technische Methoden in Bausch und Bogen zum Ausdruck: „Die zentrale Aussage der Charttechnik ist absolut falsch […].“10

Man kann das Lachen der Fundamentalanalysten förmlich hören. Sie halten sich für besser informiert und letztlich für rationaler als die technischen Investoren. Eine andere Äußerung, die Buffett zugeschrieben wird, lautet: „Wäre die bisherige Geschichte alles, worauf man setzen kann, wären Bibliothekare die reichsten Menschen.“ Es ist recht offensichtlich, dass nach Buffetts Ansicht nur obskure, hirnverbrannte Bibliothekare, die immer wieder ihre Charts drehen und wenden, die Technische Analyse jemals für eine legitime Disziplin halten würden. Und vielleicht dachten die religiösen Anhänger des fundamentalen Ansatzes, durch den Einsatz von Humor und Lächerlichkeit würden sie ihre Argumente zwingender machen.

In jüngerer Zeit verunglimpfte auch Seth Klarman, Milliardär und Gründer des Hedgefonds Baupost Group, die Technische Analyse. In seinem Kultklassiker des Value-Investings „Margin of Safety: Risk-Averse Value Investing Strategies for the Thoughtful Investor“ macht Klarman seine Ansichten deutlich:11

„Spekulanten […] kaufen und verkaufen Wertpapiere je nachdem, ob sie glauben, dass der Preis dieser Wertpapiere als Nächstes steigen oder fallen wird. Ihre Beurteilung der künftigen Preisbewegungen beruht nicht auf Fundamentaldaten, sondern auf einer Vorhersage des Verhaltens anderer Menschen […]. Sie kaufen Wertpapiere, weil diese sich gut ‚benehmen‘, und sie verkaufen sie, wenn sie das nicht tun […]. Viele Spekulanten versuchen, die Richtung des Marktes mithilfe der Technischen Analyse – früheren Aktienkursschwankungen – als Anhaltspunkt vorherzusagen. Die Technische Analyse basiert auf der Annahme, in den früheren ziellosen Bewegungen der Aktienkurse und nicht im ihnen zugrunde liegenden Unternehmenswert liege der Schlüssel zu den künftigen Aktienkursen. In Wirklichkeit weiß aber niemand, was der Markt tun wird. Der Versuch, ihn vorherzusagen, ist Zeitverschwendung und die Geldanlage anhand solcher Vorhersagen ist ein spekulatives Unterfangen […] Spekulanten […] machen im Laufe der Zeit wahrscheinlich Verlust.“

Es ist aufschlussreich, dass Klarman die zugrunde liegenden Fundamentaldaten als einziges vertretbares Signal für Erkenntnisse über künftige Aktienkurse betrachtet. Die Preisbewegung ist seines Erachtens „ziellos“ und bedeutungslos und Bemühungen, das Verhalten anderer Anleger vorherzusagen, sind vergeblich. Doch bleibt Klarman dabei nicht stehen. Darüber hinaus lehnt er jedwedes systematische Mittel ab, künftige Aktienkurse vorherzusagen:

„Manche Investmentformeln beinhalten eine Technische Analyse, in deren Rahmen früheren Preisbewegungen eine Vorhersagekraft für die künftigen Preise zugeschrieben wird. Andere Formeln enthalten anlagebezogene Fundamentaldaten wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Umsatz- oder das Gewinnwachstum, die Dividendenrendite und das aktuelle Zinsniveau. Trotz der enormen Anstrengungen, die in die Entwicklung solcher Formeln gesteckt wurden, ist von keiner erwiesen, dass sie funktioniert.“

Es ist vielleicht überraschend, dass Graham, Malkiel, Buffett und Klarman die Technische Analyse so sehr abtun, wo es doch offenbar eine große Zahl erfolgreicher historischer praktischer Anwender gibt und der Stapel der diesbezüglichen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten wohl höher als derjenige ist, der die Verdienste eines fundamentalen oder Value-Ansatzes stützt. Trotzdem sind die Ansichten dieser fundamental orientierten Anleger repräsentativ für die Ansichten vieler Angehöriger der Value-Investing-Community und der praktischen Anwender der Fundamentalanalyse im Allgemeinen. Die Religion des Value-Investings ist gesund und munter.

Das Zeitalter der evidenzbasierten Geldanlage

„Vermeiden Sie extrem starke Ideologien, denn das richtet Ihren Verstand zugrunde.“

– Charlie Munger, Vize-Chairman von Berkshire Hathaway12

Weshalb lehnte Ben Graham, der im Herzen ein datenorientierter Finanzökonom war, die technischen Methoden so reflexartig ab? Vielleicht haben einige seiner Zweifel etwas damit zu tun, in welcher Hinsicht sich die Technische Analyse von der Fundamentalanalyse unterscheidet. Für Value-Investoren gehen die Fundamentaldaten voran und die Preise folgen ihnen nach, wenn auch unter Rauschen. Hingegen gehen für technische Investoren die Preise voran und treiben vielleicht sogar die Fundamentaldaten an, jedenfalls sind die Fundamentaldaten nicht der hauptsächliche Treiber von Aktienkursbewegungen. Darüber hinaus erfasst das Etikett Techniker eine größere Gruppe der Anlegeröffentlichkeit mit einer viel breiteren Verteilung von Fähigkeiten, die vom Tagelöhner bis zum Spitzenkönner reicht. Diese breitere Streuung bedeutet, dass der Techniker tendenziell subjektiver, weniger professionell und grundsätzlich weniger ausgeklügelt ist als der durchschnittliche fundamental ausgerichtete Anleger. Daher könnte ein Kritikpunkt an der Technischen Analyse darin bestehen, dass Anleger dort Muster suchen, wo es in Wirklichkeit gar keine Muster gibt – ein vernünftiger Einwand, wenn man bedenkt, was wir über das menschliche Verhalten wissen.

Stellen Sie den Technischen Analysten einmal dem Fundamentalanalysten gegenüber. Der Fundamentalanalyst schaut sich konkrete Daten an – Finanzabschlüsse –, die auf etablierten Konventionen basieren. So kann man beispielsweise einen positiven Reingewinn, einen hohen Cashflow und eine geringe Verschuldung als recht objektive Maßzahlen für eine gute finanzielle Verfassung betrachten. Zusätzlich muss der Fundamentalanalyst noch viel harte Arbeit leisten, um seine Wertpapieranalyse durchzuführen: Denn schließlich versucht er ja, den gegenwärtigen Wert aller zukünftigen Kapitalflüsse eines Unternehmens zu ermitteln, indem er sie auf die Gegenwart abzinst.

Somit kann man behaupten, dass der Fundamentalanalyst einer durchdachteren und intellektuell anspruchsvolleren Beschäftigung nachgeht. In diesem Sinne ist er vielleicht glaubwürdiger. Anhand von Fundamentaldaten zu kaufen erscheint vernünftiger, als kürzlich erfolgte Preisänderungen mit einem Ouijabrett zu überprüfen. Man nimmt an, der Technische Analyst habe eine leichtere Aufgabe, denn man kann ja durchaus argumentieren, eine Kurshistorie sei ein begrenztes, einfaches Signal, während der Fundamentalanalyst einen viel breiteren und tieferen Bestand an Finanzinformationen verarbeiten und abwägen muss.

Aber kommt es letztendlich auf die Mühe und auf die Komplexität an? Wenn man einen Schritt zurücktritt, besteht die Aufgabe langfristig aktiver Anleger darin, den Markt zu schlagen. Aktive Investoren sollten sich auf die wissenschaftliche Methode zur Beantwortung einer grundlegenden Frage konzentrieren: Was funktioniert? Warren Buffett hat offensichtlich bewiesen, dass Value-Investing ungeachtet technischer Überlegungen funktionieren kann. Aber Stanley Druckenmiller, George Soros und Paul Tudor Jones haben gezeigt, dass die Technische Analyse genauso gut funktionieren kann. Ein stetig wachsendes Korpus wissenschaftlicher Forschungsarbeiten liefert die Nachweise, dass anscheinend sowohl fundamentale Strategien (zum Beispiel Value und Qualität) als auch technische Strategien (zum Beispiel Momentum und Trendfolge) funktionieren.13 Allerdings versuchen viele dogmatische Anleger, das zu bestätigen, wovon sie ohnehin überzeugt sind, und rezipieren darum selektiv diejenigen Forschungsbelege, die zu ihrer Anlagereligion passen. Im Gegensatz dazu gelangt der an Evidenz interessierte Anleger zu dem Schluss, dass die Fundamentalanalyse und die Technische Analyse funktionieren können, weil sie zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Sie sind Cousins – denn ihnen ist das Ziel gemeinsam, die schlechten Entscheidungen von Marktteilnehmern auszunutzen, die von einseitigen Entscheidungsprozessen beeinflusst sind. Wie Andrew Lo, ein einflussreicher und fortschrittlicher Finanzökonom vom MIT, zu der Debatte zwischen fundamentalen und technischen Tradern zutreffend bemerkt: „Am Ende haben wir alle das gleiche Ziel, und zwar ungewisse Marktpreise vorherzusagen. Wir sollten in der Lage sein, voneinander zu lernen.“

Einverstanden: Weniger Religion, mehr Vernunft

Die oben skizzierte Debatte ist nur die Spitze des Analyse-Eisbergs und soll die kontroversen Debatten um diverse Anlagephilosophien illustrieren. Wenn sich Menschen einer bestimmten Philosophie hingeben, verfestigen sich ihre Überzeugungen häufig noch weiter. Daher ist es zwar unmöglich, den Gewinner dieser Debatten zu ermitteln, aber eines ist sicher: Sobald eine Strategie einen Konvertiten gewonnen hat, ist es so gut wie unmöglich, diesen zu einer anderen Investmentreligion zu bekehren. Doch warum müssen diese Debatten unbedingt so vehement geführt werden? Warum sollten Value- und Momentum-Strategien einander gegenseitig ausschließen? Tatsächlich ist ja die Freiheit, zweifeln zu dürfen, ein entscheidender Aspekt der wissenschaftlichen Methode, denn ohne Zweifel würden wir aufhören, neue Ideen zu erforschen. In Kapitel 2 argumentieren wir, dass es einen übergreifenden Rahmen gibt, anhand dessen man verstehen kann, wieso gewisse Strategien funktionieren. Wir bezeichnen unseren Rahmen als den Rahmen der nachhaltigen aktiven Geldanlage. Dieser Rahmen strebt nicht an, die beste Anlagestrategie zu identifizieren, sondern die notwendigen Bedingungen dafür, dass eine Anlagestrategie in Zukunft erfolgreich ist.

Keine Sorge: In diesem Buch geht es um die Aktienauswahl anhand des Momentums

Wir haben in diesem einleitenden Kapitel bereits über die Technische Analyse, die Fundamentalanalyse und die Psychologie gesprochen. Viele Themen kurz hintereinander, ohne zu erwähnen, wie man eine Momentum-Strategie aufbaut – und wir werden diese wichtigen Themen in den nächsten Kapiteln noch weiter behandeln. Aber wir wollen es deutlich sagen: In diesem Buch geht es tatsächlich um die Aktienauswahl anhand des Momentums. Doch um wirklich zu verstehen, wie man eine beliebige aktive Anlagestrategie aufbaut, brauchen wir Zusammenhänge, um zu verstehen, wie und weshalb die betreffende Strategie in der Zukunft vermutlich funktionieren wird. Diese Diskussion findet in den Kapiteln 2 bis 4 statt. Wenn Sie bereits einige praktische Erfahrung haben, empfehlen wir Ihnen, gleich zu Kapitel 5 zu springen, wo Sie die genauen Kochrezeptangaben finden, um etwas aufzubauen, das wir für eine effektive aktive Momentum-Strategie halten. Wenn Sie jedoch die vorgeschlagene Momentum-Strategie verstehen und mit ihr erfolgreich sein wollen, dann sollten Sie die Kapitel in der Reihenfolge lesen, in der wir sie vorlegen. Außerdem müssen wir betonen, dass die von uns dargestellte Strategie nicht jedermanns Sache ist, vor allem weil es Disziplin erfordert, sich daran zu halten, aber konkreter gesagt auch deshalb, weil die Rechnung nicht aufgeht. Aus einer Gleichgewichts-Perspektive kann gar nicht jeder unsere Strategie befolgen, denn auf jede Aktie, die wir kaufen, kommt ein Verkäufer, der auf der anderen Seite des Handelsgeschäfts steht.

Da wir den Haftungsausschluss nun hinter uns haben, wollen wir kurz darstellen, was wir mit Aktienauswahl anhand des Momentums meinen. Manchmal herrscht bezüglich sogenannter Momentum-Strategien Verwirrung – wir wollen das trübe Wasser klären. Wir unterteilen das Momentum in zwei Kategorien, um zwischen den verschiedenen Methoden zu unterscheiden, mit denen das Momentum gemessen wird:

1. Zeitbezogenes Momentum: Das manchmal auch als absolutes Momentum bezeichnete zeitbezogene Momentum wird anhand der eigenen früheren Rendite einer Aktie unabhängig von den Renditen anderer Aktien berechnet.14

2. Querschnittsmomentum: Das Querschnittsmomentum, das ursprünglich als Relative Stärke bezeichnet wurde, bevor die Gelehrten einen fachchinesischer klingenden Begriff entwickelten, ist ein Maß für die Entwicklung einer Aktie im Vergleich, also relativ, zu anderen Aktien.15

Ein einfaches Beispiel soll den Unterschied demonstrieren. In einem hypothetischen Szenario besteht unser Universum nur aus zwei Aktien: Apple und Google. Vor zwölf Monaten stand Apple bei 25 Dollar und Google stand ebenfalls bei 25 Dollar. Heute steht Apple bei 100 Dollar und Google bei 50 Dollar je Aktie.

Als Nächstes betrachten wir eine einfache am zeitbezogenen Momentum orientierte Regel und eine einfache am Querschnittsmomentum orientierte Regel.

Die zeitbezogene Regel kauft eine Aktie, wenn sie über die vergangenen zwölf Monate eine positive Performance verzeichnet hat, und sie verkauft eine Aktie, wenn sie eine negative Performance verzeichnet hat. Die am zeitbezogenen Momentum ausgerichtete Handelsregel würde mit dem Szenario folgendermaßen umgehen:

imageZeitbezogenes Momentum: Apple kaufen und Google kaufen, denn beide Aktien haben ein starkes absolutes Momentum.

Unsere Querschnittsregel kauft eine Aktie, wenn die vergangene Performance der Aktie in den letzten zwölf Monaten relativ gesehen stärker war als die vergangene Performance der anderen betrachteten Aktien (und verkauft eine Aktie, wenn sie gegenüber den anderen Aktien eine schwache relative Performance aufweist). Die am Querschnittsmomentum ausgerichtete Handelsregel würde mit dem Szenario folgendermaßen umgehen:

imageQuerschnittsmomentum: Apple kaufen und Google shorten, weil sich Apple im Verhältnis stärker entwickelt hat als Google.

Beachten Sie, dass zwar der Preis beider Aktien gestiegen ist (aus Sicht des zeitbezogenen Momentums stehen wir bezüglich beider Aktien long), dass aber der Preis von Apple viel mehr gestiegen ist als der von Google. Daher hat Apple bezüglich des Querschnitts ein stärkeres Momentum (was aus Sicht des Querschnittsmomentums nahelegt, Apple zu kaufen und Google zu shorten).

Man könnte nun Bestandteile beider Momentum-Typen nehmen und daraus eine Momentum-Strategie entwickeln. Beispielsweise könnten wir beide Momentum-Bestandteile berücksichtigen und sowohl anhand der zeitbezogenen Regel als auch anhand der Querschnittsregel investieren. Auf das obige Beispiel bezogen würden wir Apple kaufen, weil sowohl die zeitbezogene Regel als auch die Querschnittsregel den Kauf empfiehlt, aber möglicherweise würden wir keine Position in Google eingehen, weil eine der beiden Regeln (das Querschnittsmomentum) den Verkauf empfiehlt.16

Wie oben umrissen, kann man die verschiedenen Formen des Momentums verwenden, um eine Methodologie der Aktienauswahl zu entwickeln. Dabei möchten wir betonen, dass das zeitbezogene Momentum und das Querschnittsmomentum häufig im Zusammenhang mit Markt-Timing oder mit der Auswahl von Assetklassen eingesetzt werden. Um etwaige Unklarheiten zu beseitigen: Der Schwerpunkt dieses Buches liegt weder auf Markt-Timing noch auf der Auswahl von Assetklassen – wir versuchen zu verstehen, inwiefern verschiedene Elemente des Momentums bei der Auswahl einzelner Aktien nützlich sein könnten. In diesem Buch geht es um Stock-Picking, nicht um Asset Allocation.

Fazit

In diesem Kapitel haben wir die seit Langem bestehende Debatte zwischen technisch und fundamental ausgerichteten Anlegern kurz angerissen. Viele Leser kennen sicherlich beide Glaubensrichtungen und sicherlich gibt es in beiden Lagern Eiferer. In vielen Fällen ist die Debatte zwischen technischen und fundamentalen Anlagetaktiken gar keine Kapitel 5