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George Gordon Lord Byron (1788–1824)

Lord Byron

Engel und Teufel in einer Gestalt

Heldenhafte Einsamkeiten

Herausgegeben von

Klaudia Ruschkowski

und Wolfgang Storch

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Die Menschen nehmen alles, was ich sage, für bare Münze und gehen ständig mit falschen Eindrücken davon. Mais n’importe! Die Feststellungen meiner künftigen Biographen werden dadurch nur amüsanter werden; denn ich schmeichle mir, dass ich mehr als einen haben werde. Je mehr, desto lustiger, meine ich wirklich. Einer wird mich als eine Art von sublimem Misanthropen mit Augenblicken freundlicher Empfindungen darstellen. Das ist, par exemple, meine Lieblingsrolle. Ein andrer wird mich als einen modernen Don Juan porträtieren; und ein dritter … wird mich hoffentlich, wenn auch nur aus Widerspruchsgeist, als einen liebenswerten, schlecht behandelten Gentleman hinstellen, gegen den »mehr Sünden begangen wurden, als er selbst beging«. Soweit ich mich selber kenne, möchte ich behaupten, dass ich überhaupt keinen Charakter habe … Doch Scherz beiseite, was ich von mir selber denke, ist, dass ich so veränderlich bin, alles abwechselnd und nichts für lange – eine so seltsame Mischung aus Gut und Böse, dass es schwerfallen dürfte, mich zu beschreiben.

Brief an Lady Blessington, Genua, 1821

INHALT

Vorwort

Prolog

I

CHILDE HAROLDS PILGERFAHRT
BRIEFE AUS DEN JAHREN 1804–1810

II

»HERZ, LEIDENSCHAFTEN, HOFFEN UND VERZAGEN«

Aus Gedichten und Briefen der Jahre 1805–1815

III

LONDONER TAGEBUCH
1813–1814

IV

AUGUSTA UND ANNABELLA

Schwester und Ehefrau

V

MANFRED

Ein dramatisches Gedicht

VI

MARGARITA COGNI

»Die sanfte Tigerin«

VII

KAIN

Ein Mysterium

VIII

DON JUAN

BRIEFE UND TAGEBUCHNOTIZEN AUS DEN JAHREN 1819–1821

IX

GRIECHENLAND

Der Kampf für die Freiheit

Quellen

VORWORT

»Wenn ich nicht schreibe,

um meinen Geist zu entleeren,

werde ich verrückt.«

Aus Byrons poetischem Werk, aus seinen Briefen und Tagebüchern spricht, wie der Schriftsteller Friedrich Burschell, Herausgeber einer Auswahl von Byrons Briefen, schreibt, »der erste große problematische Mensch des neunzehnten Jahrhunderts«: voller Widersprüche, leidenschaftlich, übersensibel, großzügig und liebevoll, jähzornig bis zum Exzess, subjektiv bis zur Schamlosigkeit – ein Dichterleben, das sich beständig ins Licht der Öffentlichkeit katapultierte, ein Mensch, der sich rastlos selbst verzehrte. Byrons Œuvre scheint ein Spiegelbild seines Lebens zu sein, alles scheint offen zu liegen, doch das Rätsel um seine Person, das seine Faszination ausmacht, bleibt bestehen. Mehr als bei allen anderen großen Dichtern der Weltliteratur bilden sein Leben und Werk eine komplexe Einheit: das »Phänomen Byron«. »Er hatte eine Vorliebe für bestimmte orientalische Legenden über die Präexistenz und spielte in seinen Gesprächen und Dichtungen gern die Rolle eines gefallenen oder verbannten Wesens, das der Himmel wegen eines Verbrechens zu einem neuen Erdendasein verdammt hatte«, charakterisierte ihn sein Enkel Ralph Milbanke, Earl of Lovelace. »Dieses Wesen musste unter einem Fluch leben und war für ein Schicksal prädestiniert, das in Wahrheit in seinem eigenen Kopfe fixiert war, welchem er aber mit aller Macht Gestalt verleihen wollte. Zeitweise glich diese dramatische Phantasie einer Wahnvorstellung; er schickte sich an, den Wahnsinnigen zu spielen und geriet dabei allmählich immer mehr in Ernst, wie wenn er glaubte, dafür bestimmt zu sein, sein eigenes Leben und das seiner Nächsten zu zerstören.«

George Gordon Byron wurde am 22. Januar 1788 in London geboren. Sein Vater John Byron, der überall nur »Mad Jack« hieß, heiratete kurz nach dem Tod seiner ersten Frau am 12. Mai 1785 die zwanzigjährige Erbin Catherine Gordon of Gight: »Ein ungleicheres Paar lässt sich schwerlich denken als der elegante, gutaussehende, weltmännische John und seine unscheinbare, derbe, ungebildete und unerfahrene zweite Ehefrau, die zum Ausgleich nicht viel mehr zu bieten hatte als ein ansehnliches Vermögen und ihre Abstammung von einem altberühmten schottischen Adelsgeschlecht, das die Byron-Sippe in puncto Gewalttätigkeit und Selbstherrlichkeit womöglich noch übertraf«, schreibt Siegfried Schmitz im Nachwort zu der von ihm herausgegeben deutschen Ausgabe von Byrons Werken. Bereits im Sommer 1786 hatte John das Vermögen seiner Frau durchgebracht. Ständig auf der Flucht vor den Gläubigern, starb er 1791 in Valenciennes, wahrscheinlich durch Selbstmord.

Byrons Kindheit stand unter keinem guten Stern. Den Vater hatte er kaum gekannt, seine psychisch labile, früh verbitterte Mutter liebte ihn als ihr Kind und hasste ihn als Sohn seines verantwortungslosen Vaters. Byrons Erziehung war ein Gemisch aus puritanischer Strenge und Zügellosigkeit, aus Züchtigungen und Anfällen liebevollen Überschwangs. Diese seelischen Belastungen wurden durch ein körperliches Gebrechen gesteigert. Byrons rechter Fuß war von Geburt an verkrüppelt, eine Korrektur trotz schmerzhafter Prozeduren, denen er sich als Kind fortgesetzt unterziehen musste, nicht möglich. Byron, der immer den größten Wert auf sein Aussehen legte, litt zeitlebens unter diesem körperlichen Makel: Er betrachtete ihn als Fluch.

Bereits im Sommer 1789 hatte Mrs. Byron London verlassen und war mit ihrem Sohn ins schottische Aberdeen gezogen. Für ihn bedeutete das Freiheit. Als Kind durchstreifte Byron das schottische Hochland, nahm Bilder und Eindrücke in sich auf und begann, die grandiose, wilde Natur wahrhaft und mit einer Leidenschaft zu lieben, die sich in vielen seiner schönsten Verse ausdrückt. Schon früh begann er zu lesen – am liebsten die Bibel, Romane, orientalische Reisebeschreibungen und historische Werke – und verfasste erste Reime. Schon lange vor der Pubertät machte er erste erotische Erfahrungen. Als Achtjähriger verliebte er sich heftig in eine entfernte Kusine, Mary Duff. Kaum neun Jahre alt, wurde er auf drastische Weise von seinem Kindermädchen Mary Gay, das ihn mit Bibelsprüchen traktierte, ihn verprügelte und »alle möglichen Genossen von der allerniedrigsten Sorte« ins Haus brachte, in die »Realitäten der Liebe« eingeführt. »Meine Leidenschaften wurden sehr früh geweckt – so früh, dass nur wenige mir glauben würden, wenn ich gezwungen wäre, den Zeitpunkt und die Begleitumstände zu nennen«, schrieb Byron 1821.

Im Mai 1798 starb sein Großonkel. Der Zehnjährige trat als sechster Lord Byron die Nachfolge an und übernahm damit auch die Familienresidenz Newstead Abbey, einen herunterge kommenen Herrensitz. Rechtsanwalt John Hanson, der die Familiengeschäfte regelte, sorgte dafür, dass Byron dem chaotischen Einfluss seiner Mutter entzogen wurde und ab 1801 in London die renommierte Harrow School besuchen konnte. Im Sommer 1800 hatte Byron sich zum zweiten Mal hoffnungslos verliebt, konnte weder essen noch schlafen. Das gab ihm den entscheidenden Schub. Von da an dichtete er, weil er nicht mehr anders konnte: »Alle Erschütterungen enden bei mir in Reimen.« Sein dichterisches Schaffen verglich er mit dem Ausbruch eines Vulkans, der Lava ausstößt, um ein Erdbeben zu verhindern. Viele seiner Werke sind wie im Fieber geschrieben, oft mitten in der Nacht, nahezu ohne Korrektur und ausnahmslos in Versen. Sein erotisches Verhältnis zu allem, was ihn umgab und anregte – Natur, Landschaft, Sprache, Kunst und Dichtung –, und zu den vielen Frauen, die er auf seine Weise geliebt hat, war, so beschreibt es Siegfried Schmitz, »weder dionysisch noch selbstvergessen oder heiter, sondern von Anfang an melancholisch gebrochen vom Bewusstsein der Unzulänglichkeit und des Versagens«. Er fühlte sich verurteilt zum Leiden an der Welt. Sein Lebensgefühl war das eines »Zerrissenen«. »Goethes Bild des ›Euphorion‹, des jäh abstürzenden Göttersohnes, trifft die Wahrheit sehr genau«, setzt Schmitz hinzu.

Im Oktober 1805 begann Byron sein Studium am Trinity College in Cambridge. Zunächst fühlte er sich »wie ein Wolf, der von seinem Rudel getrennt ist«, doch er war nicht zum Eremiten geschaffen und passte sich dem freizügigen Lebensstil seiner Umgebung an. Er trank, spielte, machte Schulden und lebte sich in jeder Hinsicht aus. Andererseits hatte er gebildete Freunde, las außerordentlich viel, besaß wissenschaftlichen und literarischen Ehrgeiz und politische Ambitionen. Zwischen 1806 und 1808 brachte er seine Jugendgedichte heraus. Im Sommer 1808 bestand er »en passant« sein Magisterexamen. Im Frühjahr 1809 erschien sein erstes größeres Werk, die Literatursatire »Englische Barden und schottische Rezensenten« – vom Literaturhistoriker George Sampson als eine der besten je veröffentlichten Satiren gefeiert. Byron hatte sich dadurch allerdings mit einem Großteil der literarischen Prominenz Englands verfeindet. Im selben Jahr beschloss er, eine ausgedehnte Reise zu unternehmen. »Ich will nie mehr in England leben, wenn ich es vermeiden kann«, erklärte er seinem Anwalt Hanson. »Warum – das muss ein Geheimnis bleiben.« Der Verfasser der maßgebenden Byron-Biografie, Leslie A. Marchand, vermutet in diesem Geheimnis die homoerotischen Beziehungen, vor allem zu dem Chorknaben John Edlestone, die Byron in Cambridge unterhalten hatte.

Am 2. Juli 1809 stach Byron in Begleitung seines Studienfreundes John Cam Hobhouse und einiger Bediensteter auf der »Princess Elizabeth« von Falmouth aus in See: Dies war der Beginn einer abenteuerlichen »Pilgerfahrt«, die zwei Jahre dauern sollte. Die Stationen: Lissabon, Sevilla, Cádiz, Gibraltar, Malta, Janina in Albanien, Delphi, Athen, Smyrna und Konstantinopel. Über Athen und Malta ging es schließlich wieder nach England zurück. Im März 1812 erschienen die ersten beiden Gesänge des in gereimten Versen verfassten Reiseberichts Childe Harolds Pilgerfahrt – Eindrücke von Landschaften und Städten, Reflexionen über Kunstwerke und versunkene Kulturen, Erinnerungen an Liebesaffären, ironische Kommentare zu Ereignissen, melancholische Meditationen. Der vierundzwanzigjährige Byron war mit einem Schlag der am meisten gelesene und umworbene Dichter Englands, der, das führt Schmitz aus, »mit seiner exotischen Bilderpracht und seinem funkelnden Stil die etwas eintönige und biedere Literaturszene blitzartig aufgehellt hatte«. Byron befand sich an einer Wende seines Lebens. Doch die ihm eigene Trägheit, verstärkt durch die Einsicht in die Vergeblichkeit menschlichen Strebens, ließ ihn die Krise nicht lösen, sondern »verewigen« – in rastloser Betriebsamkeit. Es entstand eine Vielzahl von Gedichten und zwischen 1813 und 1814 eine Folge von Versdramen, griechisch-orientalische Dichtungen, mit denen Byron an den Erfolg des Childe Harold anknüpfte. Einem seiner besten Freunde, dem irischen Dichter Thomas Moore, schrieb er in einem Brief vom 3. März 1814: »Ich denke seit einiger Zeit, dass meine Sachen merkwürdig überbewertet werden, und ob das nun zutrifft oder nicht, ich bin jedenfalls für immer mit ihnen fertig.« Dennoch: Byron, der nichts so sehr hasste wie Heuchelei und Unaufrichtigkeit, war zugleich ein Schauspieler, der viele Rollen spielte – so aufrichtig wie möglich. Seinen Lebensrhythmus fand er in der permanenten Grenzüberschreitung, in unzähligen Affären suchte er Erfüllung oder Ablenkung.

Im Sommer 1813 hatte er seine fünf Jahre ältere Halbschwester Augusta Byron wiedergetroffen, mit der er seit seiner Kindheit in brieflichem Kontakt stand. Augusta war seit 1807 mit ihrem Vetter Oberst George Leigh verheiratet und Mutter von drei Kindern. In Augustas Gegenwart fühlte sich Byron verstanden, frei und zugleich geborgen. Augusta ging es ebenso. Beide erkannten sich im anderen. Die Zuneigung verwandelte sich in Liebe, wohl die tiefste, aufrichtigste und, wie Byron schrieb, die »perverseste Liebe« seines Lebens. Am 15. April 1814 kam Augustas Tochter Medora zur Welt. Byron, dies reflektiert der italienische Schriftsteller Mario Praz, »wertete den Inzest als Reizmittel der Liebe – ›Groß ist die Liebe derer, die in Sünde und Furcht lieben‹, (Himmel und Erde, V. 67), er suchte Schuld, um das moralische Empfinden und das Gefühl der Schicksalsgebundenheit in sich wachzurütteln. Nur so vermochte er das Leben zu genießen.« Ein verzweifelter Genuss. »Ich kann nicht verstehen«, schrieb Byron 1813 an seine mütterliche Vertraute, Lady Melbourne, »warum der Teufel mit so vielen Ködern nach jemandem angelt, der … ihm vielleicht schon vor seiner Geburt angehörte.« Lady Melbourne reagierte, indem sie Byron, bevor es zum Skandal kommen würde, zur Heirat drängte: mit ihrer Nichte Annabella Milbanke, einer gebildeten, ernsthaften jungen Frau, die dem Dichter 1812 im Haus ihrer Tante begegnet war. Sie hatte sich sofort in ihn verliebt, verehrte ihn und war von dem Gefühl beseelt, ihn erlösen zu müssen wie einen »gefallenen Engel«. Am 2. Januar 1815 wurden Byron und Annabella getraut. Kurz darauf teilte Byron Lady Melbourne mit: »Ich habe am selben Tag eine Frau und eine Erkältung abbekommen, bin jedoch die letztere ziemlich schnell wieder losgeworden.« Unbeherrschte Wutausbrüche, selbstzerstörerische Verzweiflung, zutiefst melancholische Phasen, maßlose Schulden und die dunklen Hinweise auf ein »schreckliches Verbrechen«, das er begangen habe, vergifteten die Ehe. Nach einem Jahr, am 15. Januar 1816, verließ Lady Byron mit der fünf Wochen alten gemeinsamen Tochter Ada das Haus. Sie sahen sich nie wieder. Mit Augusta, die ihr beistand, hatte sich jedoch eine Freundschaft entwickelt. Byron, so wahnsinnig er sich auch gebärdet haben mochte, war sehr produktiv gewesen und hatte während des kurzen Ehejahres unter anderem die Versdramen Die Belagerung von Korinth und Parisina geschrieben. Annabella verweigerte alle Vorschläge zu einer Wiederannäherung, Anwälte wurden eingeschaltet und viele andere glaubten, sich ebenfalls einschalten zu müssen. Lady Caroline Lamb, die Byron mit besitzergreifender Liebe verfolgte, bezichtigte ihn der Homosexualität und des Inzests, Gerüchte und Verleumdungen verpesteten die Atmosphäre, die Trennung wurde zum öffentlichen Skandal.

Am 23. April 1816 schiffte sich Byron in Dover ein. Er sollte England endgültig verlassen. Sein Ziel war Venedig. Er wollte sich jedoch ein wenig Zeit lassen, sich umschauen und seine neugewonnene Freiheit auskosten. Im dritten Gesang des Childe Harold – die Beschreibung der ersten Etappe seines Exils über Antwerpen, Brüssel und Köln zum Genfer See –, den er im Mai und Juni in der Schweiz verfasste, versuchte er, an die Sorglosigkeit der beiden ersten Gesänge anzuknüpfen, doch der Ton geriet bitterer und schärfer. Am Genfer See sah Byron seine Geliebte Claire Clairmont wieder, die Stiefschwester Mary Shelleys. Sie erwartete ein Kind von ihm. Die Tochter Allegra kam am 12. Januar 1817 zur Welt. Im darauffolgenden September unternahm er gemeinsam mit seinem Freund Hobhouse, der ihm nachgereist war, eine Bergtour in die Berner Alpen. Angesichts der grandiosen Berglandschaft, die »wie die Wahrheit leuchtete«, nahm seine verzweifelte Melancholie kosmische Dimensionen an. Er brachte seine Qual in dem dramatischen Gedicht Manfred zum Ausdruck – eine »sehr subjektive Variation über das alte Faust-Motiv«, wie aus den Anmerkungen der deutschen Ausgabe hervorgeht.

Im Oktober 1816 reisten Byron und Hobhouse nach Mailand und von dort aus schließlich weiter nach Venedig. Die Stadt zog Byron sofort in ihren Bann, die Schatten, die auf seiner Seele lagen, lichteten sich. Am 18. Dezember 1816 berichtete er Augusta, mit der er auch nach seiner »Flucht« zeitlebens in Verbindung stand, von seinem Verhältnis mit Marianna Segati, der jungen Frau seines Hauswirts: »Gegenwärtig geht es mir besser – dank dem Himmel droben – und der Frau hier unten.« Byron lebte sich in den zweieinhalb Jahren, die er in Venedig und Umgebung verbrachte, hemmungslos aus. Wie »Eintagsfliegen« schwirrten Frauen und Mädchen durch sein Leben. Eine Ausnahme bildete Margarita Cogni, die Frau eines Bäckers, die Byron durch ihr ungestümes Wesen faszinierte. Sie ließ nicht von ihm ab, sodass er sie eine Zeit lang als Haushälterin und Mätresse anstellte. In einem berühmt gewordenen Brief an seinen Verleger John Murray erzählt er von ihrer wilden Beziehung. Die italienische Lebensart und die italienische Literatur eröffneten Byron eine neue Form des Ausdrucks, die vor allem den Don Juan prägen sollte, sein »Opus magnum«, das ihn vom Herbst 1818 bis zu seinem Tod beschäftigte. Anfang April begegnete Byron in Venedig der neunzehnjährigen Gräfin Teresa Guiccioli aus Ravenna. Verheiratet mit dem fast vierzig Jahre älteren Grafen Alessandro Guiccioli, wurde sie Byrons langjährige und letzte Geliebte, obwohl er mit seiner Rolle haderte: »Ich bin ein Verführer, ein Ehemann, ein Hurentreiber gewesen«, schrieb er an Hobhouse, »und jetzt bin ich ein Cavalier servente – bei Gott! es ist ein sonderbares Gefühl.« Byron war drauf und dran, nach Südamerika auszuwandern, doch Trägheit und latente Lebensmüdigkeit waren stärker als der Wille zum Aufbruch. Am Heiligabend 1819 folgte er Teresa Guiccioli nach Ravenna. Bis Ende 1821 nahm er dort seinen festen Wohnsitz. Zwar wimmelte es in seinem Palazzo von Tieren – Pferde, Hunde, Affen, Katzen, ein Adler, ein Falke und eine Krähe –, die, wie sein Freund Percy Shelley schrieb, durch ihre Streitereien einen höllischen Lärm machten, doch Byron arbeitete während dieser Zeit mit höchster Intensität. Er schrieb sechs große Werke, darunter Kain. Ein Mysterium, vollendete mehrere Gesänge des Don Juan, den George Sampson als »in jeder Hinsicht einzigartig« beurteilte, als »die volle Enthüllung seiner Persönlichkeit und den gültigen Ausdruck seines Genies«, und beteiligte sich am politischen Kampf der Carbonari für die Freiheit und Einheit Italiens. Von November 1821 bis zum September 1822 hielt er sich überwiegend in Pisa auf und verkehrte in dem englischen »Pisaner Zirkel«, der sich um seinen Freund Shelley gebildet hatte. Am 20. April starb seine Tochter Allegra. Am 8. Juli 1822 ertrank Shelley in der Bucht von La Spezia. Byron war zugegen, als dessen Leiche am Strand von Viareggio nach antikem Vorbild auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Danach schwamm er ins Meer hinaus.

Byron überließ sich weiterhin dem »schicksalhaften Strom des Lebens«, dachte aber immer öfter an Griechenland. »Wenn irgendetwas wahr in Byrons Leben und Werken ist«, schrieb der Dichter Wilhelm Müller in seinem 1822 erschienenen Aufsatz Lord Byron, »so scheint kein Gefühl es mehr zu sein, als seine Liebe für Griechenland und für die Freiheit.« Byrons Gedanke, sich für den Freiheitskampf der Griechen gegen das Osmanische Reich einzusetzen, nahm konkrete Gestalt an: »Ein Mann sollte für die Menschheit etwas mehr tun als Verse schreiben.« Davon überzeugt, dass die Zukunft Griechenlands Einfluss auf die Zukunft des gesamten europäischen Kontinents haben würde, bereitete er seine griechische Expedition vor, beschaffte hohe Kredite, Waffen und Medikamente. Im Juli 1823 ging er in Genua an Bord der von ihm gecharterten »Herkules«. Lady Blessington, die ihn vor seiner Abreise besucht hatte, berichtete, Byron sei davon überzeugt gewesen, aus Griechenland nie mehr wiederzukehren. »Er hatte, so versicherte er mir, mehr als einmal davon geträumt, dort zu sterben.« Siegfried Schmitz führt aus, dass Byron sich »zu Recht als ein Exponent des großen, politischen Unabhängigkeitsgedankens« fühlte, »der zu Beginn des 19. Jahrhunderts, im Kielwasser der Französischen und Amerikanischen Revolution, die gesamte zivilisierte Welt erfasst hatte und sich auf dem klassischen Boden Hellas-Griechenlands in reinster Form zu verwirklichen schien.« Am 5. Januar 1824 wurde Byron »wie ein rettender Engel« von Fürst Alexandros Mavrokordatos und fünftausend griechischen Patrioten in Mesolongi, einem von Sümpfen umgebenen, malariaverseuchten Gebiet willkommen geheißen. Byron setzte alles daran, die griechische Sache mit Geld und Rat zu fördern.