Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Dipl.-Theol. Andrea Ackermann, geb. 1981, 2010–2013 Wiss. Mitarbeiterin im Bereich Biblische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Bergischen Universität Wuppertal; seit 2013 Wiss. Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten der Forschungsstelle „Kirchenlied und Gesangbuch“ an der Kath.-Theol. Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, derzeit im DFG-Projekt „Die Einheitslieder der dt. Bistümer von 1947“.

Dipl. Theol. Christina Betz, geb. 1981, Studium der Katholischen Theologie in Freiburg und Rom; seit 2009 Pastoralreferentin in der Erzdiözese Freiburg; seit Herbst 2013 Promovendin am Lehrstuhl für Neues Testament an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen; 2014–2016 Wiss. Mitarbeiterin am dortigen Lehrstuhl.

Marcel Dagenbach, M.A., geb. 1978, Studium der Katholischen Theologie, Soziologie und Musikwissenschaft in Tübingen; derzeit Arbeit an einer Dissertation über den 2. Thessalonicherbrief an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; Tätigkeit als Religionslehrer in Stuttgart und als Dekanatsreferent für den diözesanweiten Prozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“ in den Dekanaten Mergentheim und Hohenlohe.

Prof. Dr. Wilfried Eisele, geb. 1971, Studium der Katholischen Theologie und Philosophie in Tübingen, Jerusalem und Paris; 2002 Promotion, 2010 Habilitation in Tübingen; 2010/11 Professor für Neutestamentliche Wissenschaft in Chur; 2011–2017 Professor für Zeit- und Religionsgeschichte des Neuen Testaments in Münster; seit 2017 Professor für Neues Testament in Tübingen.

Dr. Michael Estler, geb. 1970, Studium der Katholischen Theologie, Mathematik und Physik in Tübingen, Salzburg und Konstanz; 2007–2012 Repetent am Wilhelmsstift in Tübingen; 2015 Promotion im Fach Neues Testament an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; seit 2016 Pfarrer in Ulm.

P. Mauritius Honegger OSB, geb. 1984, altsprachliches Gymnasium; 2005 Eintritt ins Benediktinerkloster Einsiedeln (Schweiz); 2005–2011 Theologiestudium an der klostereigenen Theologischen Schule in Einsiedeln und an der School of Theology in Saint Meinrad, Indiana (USA); 2011–2014 Bibelwissenschaften am Studium Biblicum Franciscanum in Jerusalem; 2014–2015 Promotionsstudium in Tübingen, seit 2015 Griechisch- und Lateinlehrer am Klostergymnasium in Einsiedeln.

Dipl. Theol. Philipp Kästle, geb. 1977, Studium der Katholischen Theologie in Tübingen und Rom; 2009–2014 Repetent am Wilhelmsstift in Tübingen; 2014–2017 Promotionsstudium im Fach Neues Testament sowie Seelsorgetätigkeit in Rutesheim und Weissach (Württ.); seit 2017 Pfarrer in Ulm.

Dr. Aleksander R. Michalak, geb. 1974, Studium der Geschichte an der Uniwersytet Gdański (Polen) und der University of Notre Dame (USA); 2006 Promotion im Fach Alte Geschichte an der Uniwersytet Gdański, 2011 Promotion am Department of Religious Studies and Theology, Trinity College, Dublin. Seit 2013 Lecturer for the Study of Religions am Department of History der Uniwersytet Gdański.

Dr. Aphrodis Nizeyimana, geb. 1967, Studium der Bibelwissenschaft in Rom (Biblicum); 2015 Promotion im Fach Neues Testament an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seit 2010 Leiter der Katholischen Italienischen Mission in Solingen (Erzbistum Köln).

Dr. Christoph Schaefer, geb. 1979, Studium der Katholischen Theologie in Frankfurt/Main und Innsbruck, 2011 Promotion im Fach Neues Testament an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; 2008–2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Neues Testament; seit 2016 Studienleiter (Bereich Sprachen) und Dozent für Griechisch, Hebräisch und den Basiskurs Bibel am Ambrosianum in Tübingen.

Prof. Dr. Michael Theobald, geb. 1948, Studium der Katholischen Theologie in Bonn und Münster, 1979 Promotion in Bonn und 1985 Habilitation in Regensburg. Von 1985 bis 1989 Professor für Biblische Theologie an der FU Berlin, seit 1989 Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Mitglied der Deutschen Nationalakademie Leopoldina Halle, 2014 Theologischer Preis der Salzburger Hochschulwochen.

Prof. Dr. Hans-Ulrich Weidemann, geb. 1969, Studium der Katholischen Theologie in Tübingen und Rom; 2003 Promotion und 2008 Habilitation an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seit 2008 Professor für Neues Testament am Seminar für Katholische Theologie an der Universität Siegen. Seit 2016 Teildenomination für historische Masculinity-Studies.

Prof. Dr. Adrian Wypadlo, geb. 1970. Studium der Katholischen Theologie in Paderborn, Tübingen und Frankfurt a. M.; 2006 Promotion und 2011 Habilitation im Fach Neues Testament. 2011/12 Lehrstuhlvertreter an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; seit 2013 Professor für die Exegese des Neuen Testaments an der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster. Forschungsschwerpunkte: Kath. Briefe, Corpus Paulinum und Schrifttum des Philo von Alexandrien.

STUTTGARTER
BIBELSTUDIEN 238

Begründet von Herbert Haag, Norbert Lohfink und Wilhelm Pesch Fortgeführt von Rudolf Kilian, Hans-Josef Klauck, Helmut Merklein und Erich Zenger

Herausgegeben von Christoph Dohmen und Michael Theobald

Inhalt

Mariologie von den Rändern: zur Einführung in den Band

Hans-Ulrich Weidemann

„Siehe, die Jungfrau wird empfangen“ (Jes 7,14).

Die „Geburtsankündigungen“ Mt 1,18–25 / Lk 1,26–38 im Licht ihrer schrifthermeneutischen, religionsgeschichtlichen und anthropologischen Voraussetzungen

Michael Theobald

„Embedding the Virgin“.

Die Jungfrau Maria und die anderen jüdischen asketischen Erzählfiguren im lukanischen Doppelwerk

Hans-Ulrich Weidemann

Krieg und Frieden.

Maria, Elisabet und die vielgepriesenen Frauen Israels (Lk 1,39–45)

Wilfried Eisele

The Angel Gabriel in the Lukan Infancy Narrative

Aleksander R. Michalak

Maria – „Tochter Zion“?

Eine kritische Auseinandersetzung mit René Laurentins These zur lukanischen Kindheitsgeschichte

Christina Betz

„… und Maria dachte darüber nach“.

Bekannte und neue exegetische Perspektiven auf Lk 2,19

Andrea Ackermann

Mater Dolorosa

Marcel Dagenbach

Joseph, the Legal Father of Jesus the Messiah (Mt 1,18–25)

Aphrodis Nizeyimana

Die Mutter Jesu im Johannesevangelium.

Zeugin des irdischen Wirkens und Garantin der sarkischen Existenz Jesu

Philipp Kästle

„Geworden aus einer Frau“ (Gal 4,4).

Ein mariologischer Splitter bei Paulus?

Adrian Wypadlo

„Und sie gebar einen Sohn …“ (Offb 12,5).

Geburts-Christologie und Mariologie in der Johannesoffenbarung?

Christoph Schaefer

Die drei Marien und die Verwandtschaft Jesu.

Der Sippenaltar von Weil der Stadt

Michael Estler

Die Schwarze Madonna aus biblischer Sicht

Mauritius Honegger OSB

Die Autorinnen und Autoren des Bandes

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2017
Alle Rechte vorbehalten

Mariologie von den Rändern: zur Einführung in den Band

In dem nachträglich erschienenen „Prolog“ zu seinen Jesus-Büchern, der den sog. Kindheitsgeschichten der Evangelien gewidmet ist, wendet sich Joseph Ratzinger auch der Frage zu, ob es sich bei der „Jungfrauengeburt“ um „Mythos oder geschichtliche Wirklichkeit“ handelt.1 Die dualistische Formulierung der Frage suggeriert einander ausschließende Alternativen und nimmt so bereits ihre Beantwortung vorweg, wie die folgenden Ausführungen zeigen: Nach einer Übersicht über religionsgeschichtliche Ableitungsversuche und einer knappen Reflexion auf mögliche Überlieferungsströme, mittels derer das Geheimnis der Jungfrauengeburt „öffentlich werden und in die gemeinsame Tradition der werdenden Christenheit eingehen konnte“ (62), bemerkt Ratzinger am Ende im Anschluss an Karl Barth, „dass es in der Geschichte Jesu zwei Punkte gibt, an denen Gottes Wirken unmittelbar in die materielle Welt eingreift: die Geburt aus der Jungfrau und die Auferstehung aus dem Grab, in dem Jesus nicht geblieben und nicht verwest ist“ (64 f.). Die beiden genannten punktuellen Eingriffe Gottes in die Welt seien „ein Skandal für den modernen Geist“ und „Prüfsteine des Glaubens“ (65).

Hier geht es keineswegs darum, die eindrücklichen, aus intensiver Reflexion und Meditation erwachsenen Erwägungen des inzwischen emeritierten Papstes einer Prüfung zu unterziehen, oder darum, das Recht solcher Fokussierungen auf die jungfräuliche Empfängnis grundsätzlich in Frage zu stellen. Allerdings sei ein Hinweis auf die Konsequenz eines derartigen Zugangs zu den biblischen Texten erlaubt, zumal das eben skizzierte Vorgehen Joseph Ratzingers doch einigermaßen repräsentativ für eine systematisch motivierte Fragestellung innerhalb dieser umstrittenen Thematik sein dürfte. Denn hier wird die „Jungfrauengeburt“ aus ihrem literarischen, narrativen und theologischen Kontext der matthäischen und der lukanischen Kindheitsgeschichten isoliert und zugleich als „Wunder“ im neuzeitlichen Sinne, das heißt als naturwissenschaftlich unerklärliches Geschehen und (damit) als unmittelbares Eingreifen Gottes in die Welt deklariert. Gleichzeitig treten gegenüber der Jungfrauengeburt andere, ebenso „wunderhafte“ Züge der biblischen Kindheitsgeschichten stark in den Hintergrund, man denke an die diversen Engelerscheinungen, das Strafwunder an Zacharias, die wunderbare Empfängnis der unfruchtbaren und – wie auch der Vater – hochbetagten Mutter Johannes’ des Täufers usw. All dies wird in systematischen Debatten um die Jungfrauengeburt meistens nicht als unmittelbares Eingreifen Gottes in die Welt qualifiziert. Die Fokussierung auf die Jungfrau Maria führt außerdem dazu, die anderen Erzählfiguren aus dem Blick zu verlieren, die zeitweise oder vollständig sexuell abstinent leben. Damit wird Maria aus dem narrativen Geflecht derjenigen Figuren herausgelöst, in das hinein sie insbesondere im lukanischen Doppelwerk verwoben ist.

Hier setzen die Beiträge dieses Bandes an, indem sie die Figur der Mutter Jesu konsequent in die verschiedenen Kontexte, in denen sie im Neuen Testament erscheint, zurückbinden. Immerhin ist es eine wichtige Aufgabe der biblischen Exegese, die immer wieder unternommenen Entkontextualisierungen durch Rekontextualisierungen auszubalancieren. Schließlich setzen die Aussagen des Glaubensbekenntnisses um das „ex Maria virgine“ die vielen, fast durchgehend narrativ strukturierten Texte des Neuen Testaments voraus,2 wollen diese Erzählungen aber keineswegs für die Erhebung punktueller Lehraussagen verzwecken, um sie damit obsolet zu machen. Als regula fidei wollen sie vielmehr die Schriftlektüre anregen, orientieren und vertiefen, indem sie eine Art Grammatik für sie formulieren.

Dabei steht die Rekonstruktion einer „historischen Maria“ nicht im Fokus des vorliegenden Bandes. Für ein solches Unternehmen gelten dieselben hermeneutischen und methodologischen Prämissen wie für die historische Jesusforschung. Damit ist in erster Linie die konsequente Rekontextualisierung der Mutter Jesu innerhalb des pluralen Judentums vor der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr. gemeint, insbesondere innerhalb des Judentums Galiläas. Dies würde außerdem implizieren, dass Maria (wieder) als Teil der galiläischen Jesusfamilie verstanden wird, die in der Evangelienüberlieferung als „Brüder (und Schwestern) Jesu“ (Mk 3,31–35; 6,3; Mt 12,46–50; 13,55 f.; Lk 8,19–21; Joh 2,12; 7,1–7) firmiert. Diese Jesusfamilie ist „nach Ostern“ Teil der sog. Jerusalemer Urgemeinde, die die neuere Forschung konsequent als Cluster innerjüdischer Gruppierungen zu beschreiben versucht, die durch Formen von „Jesus-Devotion“ (Larry W. Hurtado) vernetzt sind.3 Weithin unbestritten war offensichtlich der Anspruch des Jakobus, des ältesten „Bruders des Herrn“ (Gal 1,19; vgl. Mk 6,3; Mt 13,55), eine Erscheinung des auferstandenen Jesus erhalten zu haben, weswegen er zu den Aposteln gezählt wurde (1 Kor 15,7). Vermutlich siedelte er deswegen von Galiläa nach Jerusalem über (Gal 1,19) und wurde im Laufe der Zeit zur dominierenden Gestalt der dortigen christusglaubenden Juden (Gal 2,9), was er bis zu seinem Tod Anfang der 60er Jahre blieb. Gemeinsam mit ihm fand die Mutter Jesu offenbar Anschluss an die „Urgemeinde“, genauer an jenen Teil der christusglaubenden „Hebräer“ (Apg 6,1), der sich um die galiläische Jesusfamilie versammelte (vgl. Apg 1,14 mit 12,17). Innerhalb dieser Parameter wäre die historische Rückfrage nach der Mutter Jesu zu verorten, für die aber dieselben methodischen und theologischen Anfragen gelten wie für die „Rückfrage nach dem historischen Jesus“ auch.4

Die Beiträge des vorliegenden Bandes setzen demgegenüber beim neutestamentlichen Zeugnis selbst an. Dabei geht es uns weniger darum, ein Kaleidoskop der neutestamentlichen Portraits der Mutter Jesu darzubieten. Stattdessen nähern wir uns ihr sozusagen „von den Rändern“ her an: Ausgangspunkte sind Details, Formulierungen, Erzählfiguren, die sonst eher am Rand stehen und die bei der systematischen Fokussierung auf „wesentliche Kernaussagen“ gerne in Vergessenheit geraten. Dies sind beispielsweise die zeitweise oder dauerhaft enthaltsam lebenden Erzählfiguren des Lukasevangeliums sowie die im lukanischen Portrait Mariens assoziierten kämpferischen Frauengestalten Israels; dies sind aber auch einzelne Wendungen und Motive, die ungewohnte Aspekte an der Mutter Jesu sichtbar machen. Hinzu kommen der in der frühen Kirche ungeheuer einflussreiche Kreis der „Herrenverwandten“ sowie Marias Ehemann Joseph, nicht zuletzt aber auch die in den Kindheitsgeschichten äußerst prominent auftretenden Engel. Im Galaterbrief erscheint die Mutter des Gottessohnes als Frau des Bundesvolkes Israel, deren Sohn unter die Tora gestellt ist. Ausgehend vom rätselhaften, für die Entwicklung der Mariologie aber äußerst folgenreichen Himmelszeichen in Offb 12 stellt sich hingegen die Frage, worauf das Motiv von der „Geburt“ des Sohnes der Himmelsfrau zu beziehen ist. Aber auch die aus der Vergangenheit auf uns gekommenen künstlerischen und poetischen „Exegesen“ bilden solche Ausgangspunkte.

Den Anfang macht Michael Theobald mit einer großangelegten Studie über die beiden neutestamentlichen „Geburtsankündigungen“, in denen Engel die Geburt Jesu aus der Jungfrau verkündigen. Theobald geht in drei Anläufen vor. Zunächst wendet er sich den synoptischen Geburtsankündigungen in Mt 1,18–25 und Lk 1,26–38 selbst zu. Nach einer präzisen Beschreibung ihrer (auch alttestamentlich mehrfach belegten) Gattung erfolgt der Nachweis, dass sich beide Geburtsankündigungen auf die Septuagintafassung von Jes 7,13 f. im Kontext von Jes 7,10–17 beziehen und also aus judenchristlicher Schriftauslegung erwachsen sind. Die genauere Analyse zeigt zudem, dass wesentliche Züge der beiden Geburtsankündigungen – die Geburt aus einer Jungfrau, die davidisch-messianischen Obertöne sowie die Sündlosigkeit des angekündigten Sohnes – an Jes 7 LXX anknüpfen konnten. In einem zweiten Schritt verortet Theobald die Vorstellung jungfräulicher Geburt im hellenistischen Judentum. Hier wird Gen 21,1 f. LXX als Zeugnis der göttlich gewirkten Empfängnis Isaaks aus Sara ohne Beteiligung Abrahams verstanden. Diese Exegese lässt sich nicht nur bei Paulus nachweisen (Gal 4,21– 31; Röm 4,18–21; 9,6–9), sondern findet sich vor allem bei Philo von Alexandrien, der in De Cherubim 40–52 dieses Modell auf die anderen Patriarchen sowie auf Mose überträgt. Eine wichtige Passage bei Plutarch verstärkt die Vermutung, dass die religionsgeschichtliche Matrix dieser Vorstellung in Ägypten liegt. In einem dritten Schritt fragt Theobald nach den anthropologischen Implikationen dieses Motivkomplexes, konkret geht es um die antiken Vorstellungen von Zeugung im Ausgang von Aristoteles’ Zeugungstheorie. Abschließend flankiert Theobald diese Darlegungen mit hermeneutischen Überlegungen: Eine „naive“ Rezeption der Geburtsankündigungen erscheint angesichts unseres Abstands zur Welt der Antike unmöglich. Außerdem deuten alle Indizien darauf hin, dass die im NT nur schmal bezeugte Vorstellung einer Jungfrauengeburt Jesu nicht aus palästinensischer Familientradition, sondern aus schriftgelehrter Tätigkeit hellenistischer christusgläubiger Juden stammen dürfte. Im Sinne einer „zweiten Naivität“ geht es Theobald darum, den kerygmatischen Gehalt der Texte zu bestimmen, die eine Veranschaulichung des christologischen Bekenntnisses zur Gottessohnschaft Jesu bieten wollen.

Es folgt eine Reihe von Studien zu den Evangelien, wobei es nicht überrascht, dass die Beiträge zum Lukasevangelium die große Mehrheit bilden.

Hans-Ulrich Weidemann arbeitet anhand der Jungfrau Maria den Zusammenhang von sexueller Enthaltsamkeit und Geistempfang heraus, der gerade für den Evangelisten Lukas von grundlegender Bedeutung ist. Dies zeigt sich auch daran, dass die Jungfrau Maria zwar die markanteste, keineswegs aber die einzige im lukanischen Doppelwerk auftretende Erzählfigur ist, die zeitweise oder dauerhaft asketisch lebt. Im Gegenteil: Durch ein ganzes Bündel erzählerischer Strategien und literarischer Charakterisierungen erweckt Lukas den Eindruck, dass fast alle seiner maßgeblichen Protagonistinnen und Protagonisten die Nachfolge Jesu jenseits von Ehe oder Familiengründung (oder von beidem) realisieren. Dieses Panoptikum der asketischen Erzählfiguren wird flankiert durch eine Analyse der lukanischen Logienüberlieferung, die der dritte Evangelist mit markanten asketischen Akzenten versehen hat. Auffällig sind zudem die vielfachen Parallelen mit den literarischen Portraits jüdischer Gruppen wie den Essenern und den Therapeuten oder auch markanter Einzelgestalten der jüdischen Geschichte aus den Federn von Flavius Josephus und Philo von Alexandria. Denn diese beiden jüdischen Autoren arbeiten pointiert heraus, dass die genannten Gruppen nicht nur in Gütergemeinschaft, sondern ganz oder teilweise sexuell enthaltsam leben. Mit dem lukanischen Portrait der christusglaubenden Juden der ersten Generation, den Essenerpassagen bei Philo und Josephus sowie der Schilderung der Therapeuten durch Philo haben wir also drei jüdische Gruppen aus dem ersten Jahrhundert vor uns, die in literarischen Texten dezidiert asketisch inszeniert werden.

Wilfried Eisele analysiert die „Heimsuchung“, die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth mit dem „Magnificat“ (Lk 1,39–56) und geht den hier mitschwingenden Erinnerungen an die großen Frauengestalten der Bibel Israels nach. Denn die Eulogie Mariens durch Elisabeth: „Gesegnet bis du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42), erinnert sprachlich an die Eulogien Judits (Jdt 13,18) und Jaëls (Ri 5,24). Durch diese Anklänge ruft Lukas alttestamentliche Befreiungsgeschichten Gottes mit Israel auf, in denen durch die Hände von Frauen Befehlshaber der Feinde Israels besiegt werden. Der Gott, der einst durch Judith und durch Jaël zur Rettung Israels gewirkt hat, wirkt jetzt durch Maria. Eisele arbeitet den herrschaftskritischen Zug der Heimsuchungsszene mit dem Magnificat, aber auch den zugunsten der Opfer parteiischen Zug des hier manifesten Gottesbildes heraus. Anschließend vergleicht er die von Lukas verarbeitete Judith-Jaël-Tradition und die etwas später von Justin entwickelte Maria-Eva-Typologie. Insgesamt betont er den Frieden als Leitkategorie, nicht nur der lukanischen Kindheitserzählung, sondern auch der christlichen Mission nach Lukas.

In der lukanischen Kindheitsgeschichte hat ein Erzengel eine zentrale Funktion. Aleksander Michalak geht bei seiner Untersuchung von der Beobachtung aus, dass Lukas – im Unterschied zu den meisten alttestamentlichen Engelsgeschichten, aber auch im Unterschied zu Matthäus – diesen Engel beim Namen nennt: Gabriel = Gott ist mein Held (im Sinne von Krieger). Da Gabriel in mehreren jüdischen Texten mit Gottes militärischer Macht in Verbindung gebracht wird, diskutiert Michalak mögliche militärische Assoziationen der Engelsfigur sowie eventuelle zelotische Anklänge in der Kindheitsgeschichte. Zwar wird Gabriel hier nicht als kämpfender Engel dargestellt, allerdings erscheint bei der Geburt Jesu ein himmlisches Heer, also Engel in militärischer Ausrüstung (Lk 2,13). Dieses Heer verkündet aber gerade den Frieden auf Erden (2,14), die kriegerischen Assoziationen unterstreichen also die Friedensbotschaft des Evangeliums (gegenüber der pax romana). Im Anschluss daran zeigt Michalak anhand einer Vielzahl von Belegen, dass Engel in vielen biblischjüdischen Texten durchaus geschlechtlich und dann eindeutig als männlich imaginiert werden. Dass Himmelsbewohner mit menschlichen Frauen sexuell verkehren können, zeigt Gen 6,1–4 und seine angelologische Auslegungsgeschichte, vor allem in der apokryphen Henoch-Literatur und im Jubiläenbuch (vgl. aber auch noch 1 Kor 11,10!). Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass die Begegnung eines Engels mit der Jungfrau Maria als heikel empfunden werden konnte, was sich in den christlichen Apokryphen, aber auch bei Kirchenvätern belegen lässt. Allerdings ist es gerade der Engel Gabriel, der in der Henochliteratur als einer von nur vier Engeln genannt wird, die sich nicht des Geschlechtsverkehrs mit Menschenfrauen schuldig gemacht haben (äthHen 9,1–11; 10,9). Vermutlich qualifiziert ihn gerade das dafür, in der lukanischen Kindheitsgeschichte von Gott zur Jungfrau Maria gesandt zu werden.

Es folgen drei Studien zu einzelnen Aspekten des lukanischen Marienbildes. Christina Betz stellt insbesondere anhand der Anrede des Engels Gabriel an die Jungfrau Maria: „Sei gegrüßt du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,35), die einflussreiche Auslegung René Laurentins dar. Laurentin wertet die lukanische Kindheitsgeschichte als haggadischen Midrasch und postuliert, der Evangelist setze Ereignisse der Jesusvita zu alttestamentlichen Texten in wechselseitige Beziehung. Ziel sei es, Maria indirekt und sozusagen verborgen als „Tochter Zion“ zu portraitieren. Ausführlich dokumentiert sie Laurentins Begründungsfiguren und stellt sie auf den Prüfstand, letzteres anhand von Lk 1,28–33 und Zef 3,14–17. Dabei zeigt sie den Zirkel zwischen den methodischen Prämissen Laurentins (Stichwort Midrasch-Exegese) und seinen Ergebnissen. Abschließend skizziert sie die offenere Auslegung G. Lohfinks, die wesentliche Anliegen Laurentins integriert, ohne seinen methodischen Engführungen zu erliegen. Denn Lohfink zeigt, dass Maria im Magnificat das, was Gott an ihr getan hat (1,46–49), in den Lobpreis der ganzen Geschichte Israels (1,50–55) integriert. Indem sich Gott in ihr Israels angenommen hat, ist Maria Repräsentantin bzw. Figuration Israels – und so ist sie „Tochter Zion“.

Andrea Ackermann befasst sich mit Lk 2,19: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (so in der revidierten Einheitsübersetzung von 2016). Dabei stellt sie die präsentische Partizipialform symballousa ins Zentrum ihrer Erwägungen und bezieht vergleichbare Aussagen sowie die anderen lukanischen Belege dieses Verbs mit ein (Lk 1,29; 1,66; 2,19; 2,51, außerdem Apg 4,15 f. und 17,18). So rekonstruiert sie einen oft übersehenen Zug im Marienbild des Lukas: Maria geht mit sich zu Rate, sie reflektiert und deutet Geschehnisse theologisch, das heißt, sie erkennt in ihnen Gottes Wirken. Vielleicht verleiht Lukas seiner Maria sogar einen „philosophischen“ Zug (vgl. Lk 2,19 mit Apg 17,18). Instruktiv ist insbesondere der erzählerische Kontrast mit Zacharias, der im Unterschied zur Jungfrau aus Nazareth auf die Engelserscheinung gerade nicht nachdenklich und verständig fragend reagiert, sondern der zweifelt und ein Zeichen fordert.

Marcel Dagenbach geht von der Ankündigung des greisen Simeon aus, Maria werde „ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35). Diese Aussage mit immenser Wirkungsgeschichte gibt der historisch-kritischen Exegese mit ihren methodischen Prämissen bis heute Rätsel auf, da sich im lukanischen Text kein direkter Anhaltspunkt dafür findet, wie der Evangelist diese Ankündigung verstanden haben wollte. Dagenbach stellt die in der Auslegungsgeschichte vertretenen Deutungen vor, die von Zweifel (aber woran?) und Schmerz (aber worüber?) bis hin zu repräsentativ-kollektiven Modellen reichen und dokumentiert so die Offenheit des Bildes. Abschließend schlägt er eine sich aus dem engeren Kontext des Wortes ergebende Deutung vor: Maria wird demnach in ihrem Personzentrum selbst von der immer weiter zunehmenden Ablehnung ihres Sohnes in Israel schmerzlich tangiert. Auf diese Weise ist sie in sein sukzessive auf das Kreuz zulaufendes Schicksal involviert. Mit dieser neuralgischen Stelle zu Beginn des Evangeliums werden die Leser zugleich aufgefordert, bei der Lektüre des Weges Jesu, vor allem bei den sich zuspitzenden Kontroversen und der durch Jesu Auftreten vollzogenen Scheidung in Israel, die mit-leidende Maria sozusagen permanent „mitzulesen“, auch wenn sie nach Lk 8,19–21 bis zum Beginn der Urgemeinde (Apg 1,14) nicht mehr direkt erwähnt wird.

Aphrodis Nizeyimana befasst sich mit der Gestalt des Joseph im Matthäusevangelium. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei zunächst die matthäische Genealogie (Mt 1,2–16), die von Abraham ausgehend auf Joseph zuläuft, in der aber vier Frauen und ihre jeweils „irreguläre“ Beziehung (Tamar, Rahab, Rut und die Frau des Uria) eine signifikante Rolle spielen. Bei der Exegese von Mt 1,18–25 im Kontext der matthäischen Kindheitsgeschichte liegt der Schwerpunkt auf den Aussagen über Empfängnis und Geburt Jesu „aus“ Maria. Dabei wird das matthäische Portrait Josephs als „Gerechter“ in seinen biblisch-jüdischen Kontext eingebunden: Joseph erweist sich als Gerechter, indem er durchgehend den Willen Gottes zum alleinigen Maßstab seines Handelns macht, aber zugleich Barmherzigkeit übt. Da die von ihm festgestellte Schwangerschaft Marias anscheinend nicht dem in der Tora formulierten Willen Gottes entspricht, muss er sich von ihr trennen. Da aber Gott Barmherzigkeit will (Hos 6,6; Mt 9,13), soll dies diskret erfolgen, um sie nicht bloßzustellen. Infolge der Engelsbotschaft erkennt er dann, dass hier auf ungewöhnliche Weise Gott selbst am Werk ist und sich darin das „erfüllt“, was in Jes 7,14 verheißen wurde. Matthäus stellt Joseph in die Linie der „Gerechten“ Israels, die dem Willen Gottes auch gegen das nach menschlichem Ermessen Naheliegende folgen.

Philipp Kästle entfaltet das Bild der Mutter Jesu im Johannesevangelium konsequent in diachroner Perspektive, d. h. entlang der Wachstumsgeschichte des Evangeliums. Dadurch rekonstruiert er das bleibende, aber sich im Fokus verschiebende Interesse, das sich im johanneischen Kreis zu unterschiedlichen Zeiten auf Jesu Mutter gerichtet hat. Der vierte Evangelist widmet ihr zwei Szenen: die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–11) und die Szene unter dem Kreuz (19,25). Beide Szenen gehen auf ältere Vorstufen zurück, werden vom Evangelisten aber stark transformiert. Arbeitet der Evangelist im Falle der Hochzeit zu Kana die Distanznahme Jesu gegenüber seiner Mutter im Dienst seiner christologischen Konzentration heraus, so gestaltet er im Kontext der Passion die ihm überlieferte Frauenliste massiv um, fügt die Mutter Jesu und ihre Schwester hinzu, zieht sie vor Jesu letztes Wort nach vorne und platziert so die Mutter Jesu mit den drei anderen Frauen direkt unter dem Kreuz. Die Mutter ist damit am „Anfang der Zeichen“ (2,11) und bei der Vollendung des Werkes am Kreuz (19,30) präsent und also Zeugin des irdischen Wirkens Jesu. Als Erwählte stehen die Frauen zugleich stellvertretend für die „Seinen“ unter dem Kreuz. Die Szene unter dem Kreuz wurde dann von der sekundären Redaktion um die Gestalt des geliebten Jüngers und um die Worte erweitert, die Jesus an die Mutter und den Jünger richtet (Joh 19,26–27). Durch die Übergabe der Mutter an den Jünger und dessen Einrücken an die Sohnesstelle Jesu wird der Lieblingsjünger zur Legitimations- und Identifikationsfigur des johanneischen Kreises. Zugleich wird die Mutter zur Garantin der sarkischen Existenz Jesu. Hinzu kommt, dass Kästle auch das johanneische Zeugnis von den „Brüdern“ Jesu (2,12; 7,3–9) konstitutiv in seine Darstellung einbezieht. Gehören diese anfangs noch zum Umfeld Jesu (2,12), so scheiden sie in Joh 7,1–7 aus diesem Kreis aus, schließlich „glaubten sie nicht an ihn“ und gehören damit zur „Welt“. Nirgendwo im NT wird ein solch vernichtendes Urteil über die Blutsverwandten Jesu gesprochen, im Johannesevangelium gehören sie nicht einmal zu der auch schon zwielichtigen Gruppe der „glaubenden Juden“. Erkennbar ist eine massive Frontstellung gegen Verwandte Jesu, die ausweislich altkirchlicher Zeugnisse bis ins 2. Jh. hinein eine wichtige Rolle im Judenchristentum gespielt haben. Die Mutter Jesu wird mittels der hochpolemischen Szenen 7,1–7 und 19,26–27 (und gegen Apg 1,14) aus dem Kreis der Jesusfamilie herausgelöst, dem Lieblingsjünger anvertraut und damit für den johanneischen Kreis reklamiert.

Es folgen zwei Studien, die jenseits der Evangelien angesiedelt sind. Adrian Wypadlo befasst sich mit der paulinischen Sendungsaussage in Gal 4,4, wonach der von Gott gesandte Sohn „geboren aus einer Frau“ und „gestellt unter das Gesetz“ ist. Durch eine detaillierte Analyse von Struktur und Gedankengang erhebt er die Funktion dieses „mariologischen Splitters“ für die Argumentation des Galaterbriefes. Paulus charakterisiert den präexistenten Gottessohn mittels der genannten Sendungsaussage als sterblichen Menschen, der zugleich der Sinaitora unterstellt, also Jude ist. Die Mutter Jesu ist für Paulus also explizit eine Frau des Bundesvolkes Israel, im Sinne von Gal 4,24 f. gehört sie zum Sinaibund, der unter das Gesetz gebiert. Diese beiden jeweils unlösbar mit Maria verbundenen Aussagen sind für die soteriologische Argumentation des Galaterbriefes schlechthin entscheidend, insofern bildet Gal 4,4 f. die Voraussetzung für die zentrale Aussage in Gal 3,13, wonach der Gekreuzigte „für uns zum Fluch geworden“ ist und somit den Fluch der Tora von denen weggenommen hat, die unter dem Gesetz standen. Dieser Loskauf derer, die unter dem Gesetz sind (4,5), ist wiederum die Voraussetzung der Adoption der an Christus glaubenden Nichtjuden zu „Söhnen“ und Erben, da Christus der dem Abraham verheißene „Same“ ist (3,16). Wypadlo zeigt damit, dass die mariologische Aussage ein grundlegendes Element der rechtfertigungstheologischen Argumentation des Apostels ist.

Christoph Schaefer analysiert das im 12. Kapitel der Johannesoffenbarung beschriebene „Zeichen am Himmel“, die hochschwangere Frau, geschmückt mit himmlischen Gestirnen (12,1 f.). Ihr tritt ein weiteres Zeichen an die Seite, der rote Drache. Im Zentrum seines Aufsatzes steht die detaillierte Analyse von Offb 12,5: „Und sie gebar ein Kind, ein Männliches, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt“. Schaefer weist durch Parallelen zu den Geburtserzählungen und das dreimalige Zitat von Ps 2,9 (2,26 f.; 12,5; 19,15) nach, dass in 12,5 tatsächlich von Jesus die Rede ist, und zwar insbesondere von Gottes österlichem Heilshandeln an ihm – und also nicht etwa von „Weihnachten“ –, wobei „Geburt“, „Weiden“ und „Entrückung“ jeweils Aspekte desselben Geschehens symbolisieren. So bezeichnen die Wehen der Frau (12,2) die schmerzhafte messianische Endzeit, die im Tod und in der Auferstehung Jesu angebrochen ist. Die in 12,5 genannte „Geburt“ ist damit als ungewöhnliches Sprachspiel für das Osterereignis anzusehen, worauf bereits die in der Eingangsvision formulierte Prädizierung Jesu als „Erstgeborener aus den Toten“ (1,5; vgl. Röm 8,29; Kol 1,18) hinweist. Die folgende, zunächst überflüssig scheinende Formulierung, dass ein „Männliches“ (ebenfalls 12,5) geboren wird, womit auf das Paschalamm angespielt sein dürfte (vgl. Ex 12,5), bestätigt diese Deutung. Auf der Ebene des Literalsinnes ist mit der „Frau“ von Offb 12 also nicht die Mutter Jesu gemeint; die eindrückliche Gestalt der schwangeren Sternenfrau und ihres Neugeborenen ist vielmehr als Beispiel für die Bild-Christologie des Sehers Johannes zu verstehen.

Den Abschluss bilden zwei Beiträge, die von Kunstwerken – zwei skulpturalen und einem poetischen – ausgehen und diese als eine eigene Art von Exegese ernst nehmen. Michael Estler widmet sich einem Thema, das in mariologischen Zusammenhängen oft vollständig ausgeblendet oder nur apologetisch behandelt wird: die Verwandtschaft Jesu. Während die sog. „Heilige Sippe“ heute aus der Volksfrömmigkeit fast vollständig verschwunden ist, zeigt der spätgotische Sippenaltar der Spitalkapelle in Weil der Stadt, dass dies in früheren Zeiten anders war. Die im Altar figürlich dargestellte Trinubiumslegende, wonach Anna, die Mutter Mariens, dreimal verheiratet war, setzt eine ganz bestimmte Deutung des neutestamentlichen Textbefundes voraus. Estler zeigt den (verschlungenen) Weg vom disparaten neutestamentlichen Zeugnis zu den späteren Legenden auf, die als Erklärungshilfen des Textes dienen sollen, zugleich aber dessen rechtgläubige Lesart, in diesem Fall die des lateinischen Westens, sichern sollen. Eben dies zeigt die spätere Einfügung von Thomas von Aquin und Hieronymus in den Sippenaltar, schließlich hatte insbesondere Hieronymus mit seinen exegetischen Entscheidungen der Trinubiumslegende den Weg bereitet. Man kann sagen, dass im Falle des Sippenaltars die Kunst die Funktion der Exegese übernimmt.

Auch P. Mauritius Honegger OSB geht in seinem Beitrag von einem Kunstwerk aus, dem Gnadenbild des Klosters Einsiedeln, das eine sog. Schwarze Madonna darstellt. Im Einsiedler Festoffizium lehnt sich die Antiphon an das Hohelied an, wobei die Passage Hld 1,3–5 neu kombiniert und kreativ verarbeitet wird. Früher gehörte die Antiphon zum Commune-Formular für Marienfeste, leider wurden im Zuge der Liturgiereform diese und andere alttestamentliche Typologien durch die explizit marianischen Textstellen des NT ersetzt. Honegger untersucht nun anhand von mittelalterlichen Codices die ursprüngliche liturgische Verortung der Antiphon im römischen und im monastischen Ritus. Dabei ergibt sich, dass das Fest der Assumptio ihr ursprünglicher Ort war. Die Exegese von Hld 1,2–6 wiederum ergibt, dass der Text ursprünglich eine durchaus anstößige Geschichte vorehelichen Verkehrs thematisiert. Neben dem moralischen wird aber dann der sozialgeschichtliche Aspekt relevant: Wenn das Mädchen des Hohelieds ein armes Beduinenmädchen ist, das gegenüber den blassen vornehmen Frauen der Hauptstadt auf seine sonnenverbrannte Haut stolz ist, dann beleuchtet die Anwendung des Textes auf Maria den Aspekt ihrer Erwählung durch Gott, die im Kontrast zu ihrer niedrigen sozialen Stellung steht.

Alle Aufsätze dieses Bandes entstammen der gemeinsamen Arbeit des Tübinger Oberseminars von Michael Theobald, sie sind in den letzten beiden Jahren vor seiner Emeritierung im Jahre 2016 entstanden. Die Beiträge wurden im Oberseminar vorgestellt und diskutiert, sie sind damit auch eine Frucht der langjährigen gemeinsamen Arbeit an und mit den biblischen Texten. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle für ihre Mitarbeit und Hilfe herzlich gedankt. Der Band dokumentiert das von Michael Theobald immer wieder selbst exerzierte, dann auch von seinen Schülerinnen und Schülern behutsam und beharrlich eingeforderte Vorgehen, ein Gesamtbild erst aus der minutiösen Befassung mit den Details, nicht zuletzt den vermeintlich nebensächlichen Details zu erstellen. Und umgekehrt immer offen dafür zu bleiben, dass von den an den Rändern liegenden Details neues Licht auf vermeintlich feststehende Rekonstruktionen und exegetische Thesen fällt.

Für die Mitarbeit an der Druckvorlage gebührt meinen Siegener Studentischen Hilfskräften Johanna Knuppertz und Malte Brügge-Feldhake großer Dank. Dass Dr. Michael Hartmann, ebenfalls ehemaliges Mitglied des Tübinger Oberseminars von Michael Theobald, von Seiten des Katholischen Bibelwerks das Lektorat übernommen hat, freut mich besonders. Schließlich danke ich Herrn Dr. Jean Urban Andres und dem Team von SatzWeise GmbH für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Erstellung der Druckvorlage.

Siegen, am Ende des Frauendreißigers 2017    Hans-Ulrich Weidemann

Notas al pie

1J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog – Die Kindheitsgeschichten, Freiburg etc. 2012, 60–65.

2Diese narrative Strukturierung mariologischer Aussagen gilt nicht nur für die Evangelien, sondern auch für Paulus (Gal 4,4–5). Auch Offb 12,1–5 ist narrativ strukturiert, wenngleich es sich hier ursprünglich nicht um eine mariologische Aussage handelt. Vgl. dazu den Beitrag von Christoph Schaefer in diesem Band.

3Dazu H.-U. Weidemann, Jesus ist der Herr. Vorbemerkungen zur Christologie der „Urgemeinde“, in: G. Augustin u. a. (Hg.), Mein Herr und mein Gott. Christus bekennen und verkünden (FS Walter Kardinal Kasper), Freiburg etc. 2013, 43–69.

4Mit Recht hat W. Stegemann, Jesus und seine Zeit (BE 10), Stuttgart 2010, 103, herausgestellt: „Der historische Jesus ist nicht der wirkliche Jesus, der historische Jesus ist auch nicht ein noch so fragmentarisches Abbild einer bestimmten historischen Persönlichkeit, eines historischen Referenten, der historische Jesus ist vielmehr ein Konstrukt der Geschichtswissenschaft (auf der Basis einer Reihe von antiken Texten)“. Dies führt aber gerade nicht zwangsläufig zur Einstellung historischer Forschung. Deren Ziel bleibt es, eine den Quellen möglichst adäquate Interpretation zu liefern, vgl. G. Häfner, Konstruktion und Referenz. Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion, in: K. Backhaus / G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese (BThSt 86), Neukirchen-Vluyn 2007, 67–96, 93.
Ein klares Plädoyer für die Rückfrage nach dem historischen Jesus gerade
wegen der sich damit ergebenden Mehrdeutigkeit, Verwechselbarkeit und Missverständlichkeit Jesu legte Michael Theobald in seiner Tübinger Abschiedsvorlesung am 19. Januar 2016 ab: M. Theobald, Weder Magd noch Hofnarr. Vom unverzichtbaren Dienst katholischer Exegese des Neuen Testaments, in: ThQ 196 (2016) 107–126.

„Siehe, die Jungfrau wird empfangen“ (Jes 7,14LXX).

Die „Geburtsankündigungen“ Mt 1,18–25 und Lk 1,26–38 im Licht ihrer schrifthermeneutischen, religionsgeschichtlichen und anthropologischen Voraussetzungen

Michael Theobald

Frühjüdische „Schriftauslegung“ kennt viele Formen: Textparaphrasierungen (wie in den Targumim), Kommentare zu zitierten Schriftversen (die sog. Peshermethode in Qumrantexten), Diskussionen von Rechtsfragen, die die Tora aufgibt (Halacha), aber auch erzählerische Entfaltungen von Bibeltexten (Haggada).1 Zu letzteren gehören die beiden „Geburtsanzeigen“ Mt 1,18–25 par. Lk 1,26–38, bei denen es sich – so die hier vertretene These – um eine besondere Art von „Schriftauslegung“ handelt, um Erfüllungsgeschichten, die die jesajanische „Geburtsanzeige“ Jes 7,13LXX aufgreifen und im Blick auf die messianische Bedeutung der Person Jesu narrativ in Szene setzen.

Wenn frühe „judenchristliche“ Schriftgelehrsamkeit sich derart kreativ äußert, ist das kein Einzelfall, sondern lässt sich auch sonst an der frühen Jesusüberlieferung aufzeigen. Zu nennen sind nicht nur weitere Beispiele aus dem Pool der sog. „Kindheitserzählungen“ des Matthäus und Lukas wie der Erzählzyklus von der Flucht nach Ägypten, Mt 2,13– 23,2 sondern auch so elementare Geschichten wie die von der „Stillung“ des Sturms auf dem Meer (Mk 4,35–41)3 oder der „Verklärung“ Jesu auf dem Berg,4 die jeweils theologisch besetzte Orte der Geschichte Israels aufrufen. Auch die Erzählung von der Taufe Jesu gehört hierhin, die – ausgehend von Jes 42,1 und Ps 2,7 – die Erinnerung an seine Taufe zu einer mythischen Geschichte seiner Berufung ausgestaltet hat.5 Bei all diesen Erzählungen ist ihre Zuordnung zu „judenchristlicher“ Schriftgelehrsamkeit mit Händen zu greifen. Sie rufen nach vertiefter systematischer Erkundung, die sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Schriftverwendung miteinander vergleichen und nach dem Boden fragen müsste, auf dem derart wunderbare Texte wachsen konnten.6 Offenkundig waren hier Menschen tätig, die in einem frühlingshaften Aufbruch ihres messianischen Glaubens eine Gestalt vitaler Memoria Jesu schufen, die in einer eigenen biblisch gesättigten Erzählwelt besteht.7

Diese Einsichten kommen bei den hier zur Debatte stehenden Texten nur zögerlich zum Zug bzw. stoßen kirchlicherseits auf deutlichen Widerstand.8 Die Gründe hierfür hängen mit dem hohen frömmigkeits-und dogmengeschichtlichen Stellenwert der Vorstellung von der jungfräulichen Geburt Jesu aus Maria zusammen, wie sie der christologische Artikel des kirchlichen Glaubensbekenntnisses seit alters in ökumenischer Weite mit normativer Kraft festhält. Nun geht es im Folgenden nicht um einen „Abbau“ altehrwürdiger religiöser Vorstellungen durch historische Kritik, sondern um den Versuch, im Wissen um die völlig veränderten Verstehensvoraussetzungen, die eine naive Rezeption der Erzählungen wie des genannten Artikels des Glaubensbekenntnisses vereiteln, nach ihrem kerygmatischen Gehalt zu fragen. Die Zusammenschau von literarischen und religionsgeschichtlichen Aspekten einschließlich der bislang kaum bedachten anthropologischen Implikationen unserer Texte erlaubt es, die hermeneutische Frage nach ihrer theologischen Bedeutung präziser zu stellen. Wer sich vom vermeintlichen dogmatischen Zwang befreit hat, die jungfräuliche Geburt Jesu aus Maria als zu glaubendes biologisches Faktum auffassen zu müssen, wird sich auf den Weg machen können, die Erzählungen auf der Ebene einer zweiten Naivität neu zu entdecken und wertzuschätzen.9 Er wird sich von ihrer Anmut verzaubern und von ihrer Botschaft einnehmen lassen. Die Welt, die sich ihm hier auftut, auf die Frage ihrer Faktizität zu reduzieren, wird ihm nicht in den Sinn kommen.

1.Jesu „Geburtsankündigung“ – in zweifacher Ausfertigung

Die sog. „Kindheitserzählungen“ des Matthäus und Lukas (oder besser: ihre „Evangelienprologe“10) als „Legenden“11 oder „Midrasch“12 zu bezeichnen, befriedigt in gattungskritischer Hinsicht nicht.13 Über solche nur bedingt tauglichen Etikettierungen hinaus hat vor Jahren D. Zeller14 in Aufnahme und Weiterführung älterer Beiträge15 einen präzisen Vorschlag zu den Erzählungen Mt 1,18–25; Lk 1,5–25 und 1,26–38 ausgearbeitet, der auf der Identifizierung stabiler Formelemente beruht. Ihm zufolge handelt es sich um „Geburtsankündigungen“, die sich vornehmlich aus alttestamentlicher Tradition speisen. Dieser Vorschlag sei im Folgenden aufgegriffen und zur Grundlage einer erneuten genetischen Analyse der beiden Erzählungen Mt 1,18–25 und Lk 1,5–25 gemacht.

1.1Zur Gattung der „Geburtsankündigung“

Zeller zufolge beziehen sich die Autoren dieser beiden Erzählungen auf einzelne biblische Texte „offensichtlich im Wissen um die Gattung“, die in ihren Tagen „noch lebendig“ war.16 Über die bisherige Forschung hinaus, die „durch punktuellen Rückgriff auf das AT und jüdische Haggada die Gattung schon genügend“ beschrieben hatte, ging es Zeller um ihre „Entstehung und Abwandlungen […] in den verschiedenen sozialen und literarischen Zusammenhängen“17. Der Vergleich von altorientalischen, ägyptischen und alttestamentlichen Texten führte ihn zur Annahme, dass die „Befragung des Orakels bei Kinderlosigkeit oder auf Vorahnungen der Mutter hin“ der ursprüngliche „Sitz im Leben“ der „Geburtsankündigungen“ gewesen sei, von dem sie sich aber weithin gelöst hätten. „Für volksnahe, aber auch für literarisch versierte Erzähler“ sei die Gattung zu einem „beliebten Mittel“ geworden, „um auszudrücken, dass Gestalten des Mythos, aber auch geschichtliche Persönlichkeiten schon vor der Geburt von Gott zu Großem bestimmt waren“18. Die von ihm beigebrachten Texte aus der griechisch-römischen Antike – von Homer und Herodot bis zu Vergil und Sueton19 – fördern ein „mythische (s) Modell“ zu Tage, das bei göttlichen Vorhersagen unmittelbar nach der Zeugung von Heroen und großen Männern, in Prophezeiungen und Orakeln über das noch Ungeborene und in Träumen „die zeugenden Götter selbst das Wort ergreifen lässt“. Letzteres kam für die neutestamentlichen Autoren nicht in Frage. „Sie hielten sich an biblische Vorstellungen, nach denen ein Engel den Willen Gottes mitteilt“20. Die eruierte Gattung „Geburtsankündigung“ enthält folgende Elemente:

Ihr Kern ist die Ankündigung, bestehend aus drei stereotypen Bestandteilen: [1] der Ansage oder Feststellung der Schwangerschaft – meist mit „siehe“ als Aufmerksamkeit weckendem Signal verknüpft –, [2] der Ankündigung der Geburt des Sohnes und [3] einem Auftrag zur Namensgebung, zuweilen mit Begründung versehen. Eine solche Ankündigung begegnet in der Bibel zum ersten Mal in Gen 16,11, der Rede des Engels Jhwhs an Hagar in der Wüste:

[1]Siehe, du bist schwanger (ἰδοὺ σὺ ἐν γαστρὶ ἔχεις),

[2]du wirst einen Sohn gebären (ϰαὶ τέξῃ υἱόν),

[3]dessen Namen sollst du Ismael nennen (ϰαὶ ϰαλέσεις τὸ ὄνομα αὺτοῦ Ισμαηλ); denn der Herr hat dein Elend erhört.

„Geburtsankündigungen“ dieser Art begegnen im Alten Testament21, in der frühjüdischen Literatur22 und im jüdischen Midrasch23 mit mancherlei Variationen24, die die Grundform immer noch durchscheinen lassen.25 Oft gipfeln sie in Zukunftsaussagen zur Bedeutung des angekündigten Sohnes [= 4], sei es als des Repräsentanten des sich auf ihn zurückführenden Stammes oder Volkes, sei es als dessen zukünftigen Erretters26. Die erste Variante findet sich in den Patriarchenerzählungen, etwa in Ergänzung der „Geburtsankündigung“ an Hagar in Gen 16,1227 oder in der an Abraham in Gen 17,19:

Da sprach Gott:

[2]Nein, Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären,

[3]den sollst du Isaak nennen,

[4]und ich will meinen Bund mit ihm aufrichten als einen ewigen Bund für seine Nachkommen.28

Ri 13,5 ist ein Beispiel für die zweite Variante:

[1]Siehe, du wirst schwanger werden29

[2]und einen Sohn gebären.

Es darf kein Schermesser an seinen Kopf kommen;

[3]denn der Knabe wird vom Mutterleib an ein Gott geweihter Nasiräer sein.30

[4]Er wird damit beginnen, Israel aus der Hand der Philister zu retten.

„Geburtsankündigungen“ begegnen nie isoliert, sondern stets in narrativer Einkleidung. So unterschiedlich diese sein können, sie lassen ein Schema31 erkennen, das von den Einzeltexten jeweils konkret gefüllt wird: Wer kündigt die Geburt an, wann tut er das (vor der eintretenden Schwangerschaft oder danach etc.), in welcher Situation geschieht es, wem gegenüber und mit welcher Absicht?

Die Situation, in der eine „Geburtsankündigung“ ergeht, ist zumeist die der Aussichtslosigkeit der Eltern, auf normalem Weg ein Kind zu bekommen (Unfruchtbarkeit oder Alter).32 Weil nur Gott eine derartige Notsituation zu überwinden fähig ist, sind es auch seine Repräsentanten (Engel, Prophet oder Priester), die in einer Erscheinung zumeist der Frau Schwangerschaft und Geburt ankündigen.33 Wenn sie (oder der Mann34) darauf mit einem zweifelnden Einwand reagiert, gibt das Gelegenheit zur bekräftigenden Wiederholung der Ankündigung35 oder auch zur Ansage eines bestätigenden Zeichens36 und unterstreicht die göttliche Herkunft der Initiative. Die „Pointe“ einer solchen Erzählung bildet „zweifellos der futurische Satz über die Bedeutung des Kindes. Daran lässt sich ihre Funktion ablesen. Es geht nicht nur um Gottes wunderbare Hilfe für unfruchtbare Eltern, sondern auch um die dem Kind von jeher zugedachte Rolle in der Geschichte Gottes mit seinem Volk, die er erst als Erwachsener spielen wird“37.

Wer in diesen formgeschichtlichen Rahmen die beiden „Geburtsankündigungen“ Mt 1,18–25 und Lk 1,26–38 einzeichnen möchte, hat auf die in ihnen enthaltenen stereotypen Elemente, aber auch auf Abweichungen vom Schema zu achten. Entsprechend der kanonischen Abfolge der Bücher beginnen wir mit Mt 1,18–25. Das ist nicht selbstverständlich. Denn die beiden Erzählungen ließen sich ja auch nach ihrer Geschehensabfolge anordnen:38 In Lk 1,26–38 kündigt der Engel Maria die Schwangerschaft an, nach Mt 1,18 ist sie bereits schwanger.39 Joseph wird dessen gewahr und will seine Frau heimlich „entlassen“ (Mt 1,19).

Doch erlauben die beiden Erzählungen eine derartige „historisierende“ Sicht, die sie als zwei Episoden einer Geschichte lesen möchte? Tatsächlich verstand man sie lange Zeit so und erklärte: Joseph habe schon vor seinem Traum um die Schwangerschaft Mariens aus dem Geist gewusst und seine „Braut“ aus religiöser Scheu nicht antasten und „entlassen“ wollen. Deshalb fordere der Engel Josef jetzt auf, Maria zu sich zu nehmen.40