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ANTHONY BORGIA

DAS LEBEN IN DER
UNSICHTBAREN
WELT

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Alle Rechte vorbehalten.

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Titel der Originalausgabe: LIFE IN THE WORLD UNSEEN

© Anthony Borgia, PSYCHIC PRESS LTD. LONDON

© der deutschen Ausgabe: Verlag »Die Silberschnur« GmbH

1.-10. Auflage erschienen unter der ISBN 978-3-923781-03-4

ISBN: 978-3-89845-553-4
eISBN: 978-3-89845-837-5

1. Auflage 2018

Übersetzung: Dr. Wolf Friedrich, Hannelore Friedrich

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung verschiedener Motive von © Yang MingQi, www.fotolia.com und © www.photos.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim

www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Sir John Anderson

Einleitung von Anthony Borgia

1. Teil: Nach diesem Leben

1. Mein irdisches Leben

2. Übergang in die Geistige Welt

3. Erste Erfahrungen

4. Haus der Erholung

5. Lernhallen

6. Einige beantwortete Fragen

7. Musik

8. Pläne für künftige Arbeit

9. Die dunklen Sphären

10. Ein Besuch

2. Teil: Die Unsichtbare Welt

1. Die Blumen

2. Der Boden

3. Baumethoden

4. Zeit und Raum

5. Die geografische Lage

6. Die untersten Regionen

7. Einige erste Eindrücke

8. Freizeitgestaltung

9. Beschaffenheit der Geistpersonen

10. Die Sphäre der Kinder

11. Betätigungen

12. Berühmte Leute

13. Organisation und Verwaltung

14. Die Beeinflussung aus der Geistigen Welt

15. Die höchsten Regionen

Vorwort
von Sir John Anderson

Es ist mir eine große Freude, dass ich die Gelegenheit habe, zu diesem Buch das Vorwort zu schreiben, das eine lebendige, bildhafte Vorstellung des Lebens in den Geistigen Sphären gibt, die solche Leute erfahren konnten, die ihr Erdenleben in Übereinstimmung mit den göttlichen Gesetzen verbrachten. Das bestätigt auch, was ich im Hinblick auf die Philosophie des Denkens als wahr erkannt habe.

Das wird diejenigen bestärken, die jetzt mit einem guten Vorsatz leben, und andere ermutigen, ihre Wellenlänge im Denken zu ändern, um so den Eintritt in die dunklen Sphären der Geistigen Welt zu vermeiden, der eine Konsequenz ihres Annehmens der schlechten Schwingungen auf dieser Erde ist, die der Welt so viel Leiden gebracht haben.

Denken ist die schöpferische Kraft des Universums, so wie jede unserer Handlungen ein Ergebnis des Denkens ist, zum Guten oder zum Bösen. Während wir durch dieses Erdenleben hindurchdringen, bauen wir unser Erbe in der Welt des Geistes, das nicht mehr und nicht weniger sein wird als unser jetziger Gedanken-Wunsch. Ursache und Wirkung ist ein unveränderliches universales Gesetz. Der Mensch ist frei geschaffen, um in Übereinstimmung mit der Freiwilligkeit seines Denkens zu handeln. Das, was mit der Seele geschieht, wenn sie die Welt des Geistes betritt, ist das Ergebnis der Wahlentscheidungen, die das Ego auf Erden gefällt hat. Die Strafe für das Böse sind die Gewissensbisse der unsterblichen Seele, die sie als völlig persönliche Reaktion des individuellen Gewissens erfährt.

In der Vergangenheit waren die Verantwortungen im Leben und die Folgen der jeweiligen Handlung dem Massenbewusstsein der Menschheit verborgen. Aus diesem Grund haben es die orthodoxen Religionen unterlassen, den Frieden auf Erden als etwas vom Großen Meister Vorgesehenes zu etablieren.

Die Zivilisation steht am Scheideweg, und es ist zu hoffen, dass mehr informative Literatur, so wie diese hier, entstehen wird, um der in der Entwicklung befindlichen Welt eine geistige Erneuerung zu ermöglichen, damit Frieden und Harmonie über allem herrschen möge.

John Anderson

Einleitung

Wissen ist das beste Mittel gegen Angst, insbesondere was die Angst vor dem möglichen oder wahrscheinlichen Seinszustand betrifft, wenn wir den Wechsel von diesem Leben zum nächsten vollzogen haben.

Um herauszufinden, was für eine Art Ort die nächste Welt ist, müssen wir jemanden befragen, der dort lebt, und wiedergeben, was gesagt wird. Eben das ist in dem vorliegenden Buch geschehen. Der Gesprächspartner, den ich 1909 kennenlernte – fünf Jahre vor seinem Übertritt in die Geistige Welt – war auf der Erde als Monsignore Robert Hugh Benson bekannt, ein Sohn von Edward White Benson, dem früheren Erzbischof von Canterbury. Bevor diese Schrift verfasst wurde, war er niemals direkt mit mir in Kontakt getreten, aber einmal war mir gesagt worden (von einem anderen Geist-Freund), dass es gewisse Dinge gäbe, die er richtigstellen wolle. Die Schwierigkeiten beim Herstellen der Kommunikation waren ihm von Geist-Freunden und Ratgebern entgegengestellt worden, aber er blieb bei seinem Vorsatz. So wurde ihm, als eine geeignete Zeit gekommen war, gesagt, dass er sich durch einen Freund aus seiner irdischen Zeit mitteilen könne, und ich wurde dazu ausersehen, als sein Berichterstatter zu fungieren. Die erste Schrift wurde unter dem Titel “Nach diesem Leben” zusammengestellt, die zweite unter dem Titel “Die Unsichtbare Welt”.

In der ersten berichtet der Gesprächspartner in einem allgemeinen Überblick von seinem Hinübergehen und den folgenden Reisen durch die verschiedenen Teile der Geistigen Reiche. In der Letzteren befasst er sich in viel größerer Länge mit einer Anzahl wichtiger und interessanter Fakten und Aspekte des geistigen Lebens, die er vorher nur flüchtig berührt oder gestreift hatte. Zum Beispiel: In “Nach diesem Leben” erwähnt er die höchsten und die niedrigsten Reiche. In “Die Unsichtbare Welt” besucht er sie tatsächlich und beschreibt, was er sah und was in beiden Regionen geschah. Obwohl jede der beiden Schriften in sich selbst vollständig ist, erweitert die zweite in hohem Maße die erste, und zusammen bilden die beiden ein einziges Ganzes.

Wir sind alte Freunde, und sein Fortgehen konnte diese frühe Freundschaft nicht auflösen; ganz im Gegenteil, sie ist dadurch gewachsen, und es ergaben sich daraus wesentlich mehr Gelegenheiten zur Begegnung, als möglich gewesen wären, wenn er länger auf der Erde verweilt hätte. Immer wieder drückt er seine Freude über die Möglichkeit aus, in einem natürlichen, normalen, gesunden Zustand und auf eine erfreuliche Weise zur Erde zurückkehren und Berichte über seine Abenteuer und Erfahrungen in der Geistigen Welt geben zu können als einer, der, obwohl “tot” (als was viele ihn betrachten würden), dennoch spricht.

A. B.

Erster Teil

Nach diesem Leben

— 1 —

Mein irdisches Leben

Wer ich wirklich bin, ist nicht von Bedeutung. Wer ich war, ist es noch viel weniger. Wir nehmen unsere irdischen Stellungen nicht mit uns in die Geistige Welt. Meine irdische Bedeutung ließ ich hinter mir zurück. Mein geistiger Wert ist es, der jetzt zählt, und der, mein guter Freund, hinkt weit hinter dem her, was er sein sollte und sein könnte. So viel zu dem, wer ich bin. Zu dem, wer ich war, sollte ich einige Einzelheiten darstellen, die meine geistige Haltung vor der Zeit meines Übergangs in die Geistige Welt betreffen.

Mein irdisches Leben war kein hartes in dem Sinne, dass ich niemals physische Entbehrungen zu durchstehen hatte, aber es war ganz gewiss ein Leben voll harter geistiger Arbeit. In jungen Jahren wurde ich von der Kirche angezogen, weil der Mystizismus der Kirche meine eigene mystische Ader berührte. Die Mysterien der Religion schienen durch den äußeren Ausdruck von Lichtern, Kleidern und Zeremonien meinen geistigen Hunger in einer Weise zu stillen, wie nichts anderes es sonst vermochte. Natürlich gab es viel, was ich nicht begriff, und seit ich in die Geistige Welt eingetreten bin, habe ich herausgefunden, dass diese Dinge nicht wichtig sind. Es waren religiöse Probleme, die dem menschlichen Verstand entsprangen, und sie haben in dem großen Lebensentwurf keinerlei Bedeutung. Damals aber glaubte ich einfach alles, wie so viele andere auch, ohne jeden Funken von Einsicht, oder doch mit sehr wenig. Ich lehrte und predigte nach den orthodoxen Textbüchern und stellte auf diese Weise meinen Ruf her. Wenn ich über eine künftige Existenzform nachdachte – und das sehr verschwommen –, kam mir das in den Sinn, was mich die Kirche darüber gelehrt hatte, und das war unendlich wenig und ziemlich unrichtig. Ich konnte mir die unmittelbare Nähe der beiden Welten – unsere und eure – nicht vorstellen, obwohl ich weitreichende Beweise über sie hatte. Die okkulten Erfahrungen, die ich hatte, kamen, so dachte ich, durch eine gewisse Ausweitung der Naturgesetze zustande, und sie waren eher als etwas Zufälliges und weniger als ein reguläres Geschehen zu betrachten, das wenigen und nicht so sehr vielen Menschen zuteil wurde.

Die Tatsache, dass ich ein katholischer Priester war, konnte mich nicht an Besuchen bei denjenigen, die die Kirche als Teufel betrachtet, hindern, obwohl ich, wie ich zugeben muss, an solchen niemals etwas bemerkte, was mich auch nur im entferntesten an Teufel gemahnen konnte. Ich war mir der Tatsache nicht bewusst geworden, dass ich, wie man es auf Erden nennt, ein Sensitiver war, also ein mit psychischen Qualitäten Ausgestatteter, dem die Gabe des “Sehens”, wenn auch nur in begrenztem Maße, zu eigen war.

Der Einbruch einer übersinnlichen Fähigkeit in mein priesterliches Leben empfand ich als ziemlich störend, zumal es Konflikte mit meiner Rechtgläubigkeit brachte. Ich suchte in dieser Angelegenheit Rat bei den Kollegen, aber sie wussten noch weniger als ich, und sie konnten nur daran denken, für mich zu beten, damit diese “Teufel” von mir weggenommen würden. Ihre Gebete nützten mir nichts – was auch zu erwarten war, wie ich jetzt sehe. Wären meine Erfahrungen auf einer sehr hohen geistigen Ebene gewesen, hätte die Chance bestanden, dass ich als ein im Licht großer Heiligkeit stehender Mensch angesehen worden wäre. Aber sie waren nicht von dieser Art. Es handelte sich ganz einfach um solche Erfahrungen, wie sie dem gewöhnlichen irdischen Sensitiven zukommen. Da sie sich bei einem Priester der Heiligen Kirche zutrugen, sah man sie ganz einfach als Versuchungen des “Teufels” an. Hätten sie sich an einem Laien zugetragen, wären sie als ein Komplott mit dem Teufel betrachtet worden oder als eine bestimmte Art geistiger Verwirrung. Meine Kollegen verstanden nicht, dass es sich bei dieser Fähigkeit um eine Gabe handelte – um eine wertvolle Gabe, wie ich jetzt einsehe – und dass sie Teil meiner Persönlichkeit war, wie es bei allen der Fall ist, die sie besitzen. Und dafür zu beten, dass sie weggenommen würde, ist so sinnlos, wie darum zu beten, dass jemandes Fähigkeit, Klavier zu spielen oder ein Bild zu malen, weggenommen würde. Es war nicht nur sinnlos, es war ohne jede Frage falsch, denn eine solche besondere Gabe, hinter den “Schleier” sehen zu können, wird einem verliehen, damit sie zum Wohl der Menschheit ausgeübt werde. Ich kann wenigstens froh darüber sein, dass ich niemals darum gebetet habe, von dieser Fähigkeit befreit zu werden. Gebetet habe ich, aber um mehr Licht in dieser Sache.

Die große Schranke gegen jede weitere Untersuchung dieser Fähigkeiten war die Haltung, die die Kirche ihnen gegenüber einnahm. Sie war – und ist – unerbittlich, eindeutig, eng und unwissend. Wie lange auch immer die Nachforschungen dauerten und in welche Richtungen auch immer sie gingen: Das Urteil der Kirche war immer dasselbe, und ihre Erklärungen blieben unverständlich: “Solche Dinge haben ihren Ursprung im Teufel”. Und ich war durch die Gesetze dieser Kirche gebunden, ihre Sakramente verwaltend und ihre Lehren weitergebend, während die Geistige Welt an das Tor meiner ureigenen Existenz klopfte und mir zeigen wollte, damit ich es selbst sehe, worüber ich so oft nachgedacht hatte: unser zukünftiges Leben.

Viele meiner Erfahrungen seelischen Geschehens nahm ich in die von mir verfassten Bücher auf, indem ich sie so drehte, dass sie dadurch den Geschmack rechtgläubiger Religiosität bekamen. Die Wahrheit war zwar da, aber die Bedeutung und die Absicht waren verzerrt. In einem ziemlich umfänglichen Werk spürte ich, dass ich die Kirche gegen die Angriffe derer unterstützen müsse, die an das geistige Überleben über den körperlichen Tod hinaus und an die Möglichkeit, dass die Geistige Welt mit der irdischen Welt in Kontakt treten könne, glaubten. In diesem umfassenderen Werk schrieb ich – gegen meine bessere Überzeugung – dem “Teufel” das zu, von dem ich in Wirklichkeit wusste, dass es auf nichts anderem beruhte, als auf dem Wirken natürlicher Gesetze, jenseits aller orthodoxen Religion und unabhängig von ihr und sicherlich ohne jeden bösen Ursprung.

Wäre ich meinen eigenen Neigungen gefolgt, hätte das eine totale Umwälzung meines Lebens mit sich gebracht, denn das Infragestellen meines katholischen Glaubens hätte unweigerlich den Verlust meines Priesteramtes nach sich gezogen, was mich wiederum in finanzielle Nöte gestürzt haben würde, bis ich mir einen zweiten Ruf als Schriftsteller gesichert gehabt hätte. Was ich bereits geschrieben hatte, wäre dann in den Augen meiner Leser wertlos geworden, und ich wäre als ein Abtrünniger und Verrückter angesehen worden. Deshalb ließ ich die größte Chance meines Lebens vorbeigehen. Wie groß damals die Gelegenheit zur Aufrichtigkeit gewesen war, und wie sehr mein Bedauern über diese verpasste Richtigstellung anwachsen würde, wurde mir erst bewusst, nachdem ich in diese Welt hinübergegangen war, deren Bewohner ich ja schon so oft und zu so vielen verschiedenen Gelegenheiten während meines Erdenlebens gesehen hatte. Die Wahrheit war in meiner Reichweite gewesen, und ich habe mich nicht zu ihr bekehrt. Ich hielt an der Kirche fest. Ihre Lehren hatten einen zu großen Einfluss auf mich. Ich sah Tausende, die so glaubten wie ich, und das gab mir Mut, denn ich konnte nicht denken, dass sie sich alle irren könnten. Ich versuchte mein religiöses Leben von meinen seelischen Erfahrungen zu trennen und sie so zu behandeln, als bestünde zwischen ihm und ihnen kein Zusammenhang. Es war schwierig, aber es gelang mir trotzdem, einen Kurs zu steuern, der mir nur ganz geringe geistige Konflikte bescherte. Und so fuhr ich fort bis zum Ende, bis ich schließlich an der Schwelle zu jener Welt stand, von der ich schon einen Schimmer wahrgenommen hatte. Was mir nun aber widerfahren war, als ich aufhörte, ein Bewohner der Erde zu sein, indem ich in die große Geistige Welt hinüberwechselte, möchte ich jetzt ausführlicher erzählen.

— 2 —

Übergang in die Geistige Welt

Der eigentliche Vorgang des Todes ist nicht notwendigerweise ein schmerzhafter. Ich war während meines irdischen Lebens Zeuge beim Übergang zahlreicher Seelen über die Grenze ins Geistige. Ich hatte die Gelegenheit, mit den physischen Augen die Anstrengungen zu sehen, die unternommen wurden, wenn der Geist versuchte, sich für immer vom Fleisch zu befreien. Mit meiner Hellsichtigkeit habe ich auch das Heraustreten des Geistes aus dem physischen Körper beobachten können, aber ich war aufgrund meiner orthodoxen Ausrichtung keineswegs fähig, herauszufinden, was im Augenblick der Trennung genau vor sich geht, und ich war ebenso unfähig, einen Eindruck über die Empfindungen zu erhalten, die die hinübergehende Seele verspürt. Die Schreiber religiöser Bücher teilen uns über solche Dinge nichts mit, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie wissen nichts darüber.

Der physische Körper zeigt sich oft heftig leidend, entweder durch tatsächliche Schmerzen oder durch mühsames oder behindertes Atmen. Solche Übergänge haben allem Anscheine nach etwas äußerst Schmerzhaftes. Ist das wirklich so?, war die Frage, die ich mir oft gestellt habe. Wie auch immer die Antwort ausfiel, konnte ich doch nie wirklich glauben, dass der konkrete physische Vorgang des “Sterbens” ein schmerzhafter war, ungeachtet dessen, dass es so aussah. Ich wusste, dass ich eines Tages die Antwort auf meine Frage wissen würde, und ich hoffte, dass mein Übergang wenigstens nicht gewaltsam sein würde, wie er auch immer vonstattengehen sollte. Meine Hoffnungen wurden erfüllt. Mein Ende war nicht gewaltsam, aber es war mühsam wie so viele, deren Zeuge ich geworden war.

Kurze Zeit vor meinem Hinübergehen hatte ich eine Vorahnung, dass meine Tage auf Erden einem Abschluss entgegenstrebten. Es lastete eine Schwere auf meinem Gemüt, irgendwie verwandt mit der Schläfrigkeit, mit der ich im Bett lag. Oft hatte ich das Gefühl, hinfortzuschweben und wieder sanft zurückzukehren. Zweifellos hatten diejenigen, die um mein physisches Wohlergehen besorgt waren, während solcher Zeiten den Eindruck, dass es mit mir nun rasch einem Ende entgegengehen würde, wenn ich nicht schon überhaupt hinübergegangen sei. In solchen sich mir darbietenden erleuchteten Augenblicken hatte ich kein Gefühl physischen Unbehagens zu ertragen. Ich konnte sehen und hören, was um mich herum vor sich ging, und ich konnte die seelische Qual wahrnehmen, die mein Zustand bei anderen auslöste. Dennoch hatte ich die Empfindung von Freiheit und Freude. Ich wusste mit Bestimmtheit, dass die Zeit meines Hinübergehens gekommen war, und ich war voller Verlangen, zu gehen. Ich hatte keine Angst, keine schlechten Ahnungen, keine Zweifel, kein Bedauern, was das Verlassen der irdischen Welt anbelangte. (Mein Bedauern sollte später kommen, aber darüber werde ich an geeigneter Stelle sprechen.) Alles, was ich wollte, war, auf und davon zu sein.

Plötzlich empfand ich einen starken Drang, mich zu erheben. Ich fühlte meinen Körper nicht mehr, wie man ja auch gleicherweise im Traum die eigene Körperschwere nicht wahrnimmt, jedoch war ich geistig wach, wie sehr auch – äußerlich gesehen – mein Körper diesen Umständen widersprechen mochte. Sogleich hatte ich die klare Eingebung, mich zu erheben, und stellte fest, dass ich es tatsächlich tat. Denn entdeckte ich, dass die an meinem Bett Versammelten nicht wahrzunehmen schienen, was ich tat, denn sie unternahmen nichts, um mir zu helfen, während sie auf keinerlei Weise mich zu hindern versuchten. Als ich mich drehte, begriff ich, was geschehen war. Ich sah meinen physischen Körper leblos auf seinem Bett liegen. Aber hier war ich, das wirkliche Ich, lebendig und gesund. Für eine Minute oder zwei verharrte ich mit staunendem Blick, und der Gedanke, was als Nächstes zu tun sei, kam in meinen Kopf. Doch Hilfe war unmittelbar vorhanden. Ich konnte das Zimmer um mich herum noch ziemlich klar erkennen, aber es war von einer Art Nebel durchzogen, wie wenn der Raum mit sehr gleichmäßig verteiltem Rauch erfüllt wäre. Ich blickte an mir hinunter, mich fragend, was an Kleidern ich wohl tragen würde, denn ich hatte mich offensichlich vom Krankenbett erhoben und war deshalb nicht in der Verfassung, mich sehr weit von meiner Umgebung zu entfernen. Ich war höchst erstaunt, herauszufinden, dass ich mein gewöhnliches Gewand trug, das ich meist zu tragen pflegte, wenn ich frei und bei guter Gesundheit durch mein Haus ging. Mein Erstaunen dauerte nur einen Moment, bis ich bei mir selber dachte, was für andere Kleider ich denn sonst tragen sollte. Mit Sicherheit keine durchsichtige Robe. Ein solches Kostüm wird normalerweise mit der üblichen Vorstellung von einem Engel in Verbindung gebracht, und es war nicht nötig, mir erst zu versichern, dass ich das nicht war.

Das Wissen über die Geistige Welt, das ich aus meinen eigenen Erfahrungen gesammelt hatte, kam mir sofort zu Hilfe. Ich war mir über die Veränderung sofort im Klaren, die sich an meinem Zustand zugetragen hatte, mit anderen Worten, ich wusste, dass ich “gestorben” war. Ich wusste auch, dass ich lebte, dass ich meine jüngste Krankheit genügend abgeschüttelt hatte, um aufrecht stehen und um mich schauen zu können. Zu keiner Zeit war ich in irgendeiner geistigen Verwirrung, aber ich war voller Erwartung, was als Nächstes geschehen sollte, denn hier war ich, im vollen Besitz aller meiner Fähigkeiten und mich in der Tat mehr “körperlich” fühlend als jemals zuvor.

Auch wenn sich meine Schilderung nun zeitlich ausgedehnt hat, um so viele Einzelheiten als möglich mitzuteilen, kann in Wirklichkeit das ganze Geschehen nur ein paar Minuten nach irdischer Zeitrechnung in Anspruch genommen haben.

Sobald ich diese winzige Zeitspanne gehabt hatte, um mich umzuschauen und meinen neuen Zustand schätzen zu lernen, fand ich mich selbst in Begleitung eines früheren Kollegen, eines Priesters, der vor einigen Jahren in dieses Leben übergewechselt war. Wir begrüßen uns warmherzig, und ich bemerkte, dass er bekleidet war wie ich. Dies befremdete mich in keiner Weise. Wäre er jedoch anders gekleidet gewesen, hätte ich das Gefühl haben können, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei, denn ich hatte ihn ja nur in der Priestertracht gekannt. Er gab seiner großen Freude Ausdruck, mich wiederzusehen, und was mich betrifft, sah ich uns viele Fäden wieder anknüpfen, die durch seinen “Tod” abgerissen waren.

Ein paar Augenblicke lang ließ ich ihn alleine sprechen, denn ich hatte mich erst an die Neuheit dieser Dinge zu gewöhnen. Man vergesse nicht, dass ich eben erst nach tödlicher Krankheit mein Bett verlassen hatte und dass ich mit dem Ablegen des physischen Körpers auch die Krankheit von mir abgestreift hatte, während das neue Gefühl der Behaglichkeit und des Befreitseins von körperlicher Krankheit so wunderbar war, dass es seine Zeit dauerte, alles wahrzunehmen und vollständig zu begreifen. Mein alter Freund schien das Ausmaß meines gegenwärtigen Wissens hinsichtlich meines Hinüberscheidens sofort zu erkennen und wusste somit, dass alles in Ordnung war.

Ich möchte an dieser Stelle bekennen, dass für mich jeder Gedanke an einen “Richterstuhl” oder an einen “Gerichtstag” schon im Moment des Hinübergehens weggewischt wurde. Es war alles zu normal und natürlich, um an das schreckliche Gottesurteil denken zu können, von dem die orthodoxe Religion sagt, dass es uns nach dem “Tod” treffen würde. Derartige Vorstellungen von “Gericht”, “Hölle” und “Himmel” schienen gänzlich unmöglich. Vielmehr erschienen sie mir nun ganz und gar als Fantasieprodukte, jetzt, da ich mich als lebendig und gesund erfuhr, angetan mit meiner richtigen Überzeugung und der mir tatsächlich vertrauten Bekleidung, in der Gegenwart eines alten Freundes, der mir herzlich die Hand schüttelte, mir Grüße und gute Wünsche übermittelte und mir – wie zu sehen war – seiner aufrichtigen Freude über unser Wiedersehen Ausdruck gab, so wie ich meinerseits erfreut war, ihn wiederzusehen. Er war in der besten geistigen Verfassung, wie er da so stand, um mich auf eine Weise willkommen zu heißen, wie es in der irdischen Welt alte Freunde nach einer langen Trennung zu tun pflegen. Das war für sich allein genommen schon genug, zu zeigen, dass alle Gedanken daran, dass ich zu meiner Verurteilung abgeführt werden könnte, absolut grotesk waren. Wir waren beide zu vergnügt, zu glücklich, zu sorgenfrei und zu natürlich. Ich wartete viel zu aufgeregt auf jede Art erfreulicher Offenbarung aus dieser neuen Welt, und ich wusste, dass es keinen besseren als meinen alten Freund geben konnte, damit mir solche zuteil werden würde. Er sagte mir, ich solle mich auf eine unermessliche Zahl herrlichster Überraschungen gefasst machen, und er sei geschickt worden, um mich bei meiner Ankunft zu empfangen. Da er die Grenzen meines Wissens schon kannte, war seine Aufgabe umso einfacher.

Sobald ich, nachdem wir das Schweigen erstmals gebrochen hatten, die Sprache wiederfand, stellte ich fest, dass wir genauso redeten, wie wir es auf Erden getan hatten, d. h., wir benutzten ganz einfach unsere Stimmbänder und sprachen in aller Selbstverständlichkeit. Man musste darüber überhaupt nicht nachdenken, und ich tat es auch nicht. Ich stelle bloß fest, dass es so war. Mein Freund schlug dann vor, wegzugehen, da wir keine weitere Notwendigkeit, keinen Anlass verspürten, um an dem Ort meiner Umwandlung zu verharren. Er wolle mich zu einer schönen “Stätte” bringen, die für mich hergerichtet worden sei. Er spielte auf eine “Stätte” an, aber er zögerte, mir zu erklären, dass ich in Wirklichkeit zu meinem eigenen Haus gehen würde, in dem ich mich sofort “zu Hause” fühlen sollte. Da ich noch nicht wusste, wie das vor sich gehen könnte, oder mit anderen Worten, wie ich dorthin gelangen sollte, gab ich mich ganz in seine Hände, und, wie er mir sagte, war genau das der Grund, weshalb er hier sei. Ich konnte dem Drang nicht widerstehen, mich umzudrehen und einen letzten Blick in das Zimmer meines Übergangs zu werfen. Es zeigte immer noch sein dunstiges Aussehen. Diejenigen, die vorher um mein Bett herumgestanden waren, hatten sich nun zurückgezogen, und so konnte ich mich dem Bett nähern und auf “mich” schauen. Ich war überhaupt nicht beeindruckt von dem, was ich sah, schien doch der letzte Rest meines physischen Seins gefällig dazuliegen. Mein Freund schlug mir dann vor, dass wir jetzt gehen sollten, und darin übereinstimmend, bewegten wir uns fort.

Während wir weggingen, wurde der Raum noch nebliger, bis er sich aus meinem Gesichtsfeld zu entfernen begann und dann gänzlich verschwunden war. Bis dahin hatte ich, wie gewöhnlich, meine Füße wie zu einem normalen Gang gebraucht, aber im Hinblick auf meine letzte Krankheit und auf die daraus folgende Tatsache, dass ich einige Zeit der Ruhe bräuchte, bevor ich mich “überanstrengte”, sagte mein Freund, dass es besser sei, wenn wir uns nicht der gewöhnlichen Fortbewegungsmittel, unserer Füße, bedienten. Er wies mich dann an, fest seinen Arm zu halten und keinerlei Angst zu haben. Wenn ich wollte, könnte ich meine Augen schließen. Es sei, wie er meinte, vielleicht besser, wenn ich es täte. Ich nahm seinen Arm und überließ ihm alles Übrige, wie er mir gesagt hatte. Sogleich überkam mich ein Gefühl des Schwebens, wie man es im Körperlichen beim Träumen hat, obwohl dieses hier äußerst real und frei von jedem Zweifel an der persönlichen Sicherheit war. Im Verstreichen der Zeit schien die Bewegung schneller zu werden, und ich hielt meine Augen noch immer fest geschlossen. Es ist seltsam, mit welcher Entschlossenheit man solche Dinge hier tun kann. Wenn vergleichbare Umstände auf der Erdenebene möglich wären, wie viele von uns hätten wohl ihre Augen in absolutem Vertrauen geschlossen? Hier gab es nicht den Schatten eines Zweifels daran, dass alles in Ordnung war, dass es nichts zu befürchten gab, dass nichts möglicherweise Ungünstiges eintreten könnte und dass, zu alledem, mein Freund die Situation vollständig unter Kontrolle hatte.

Nach einer kurzen Weile schien sich unser Vorankommen zu verlangsamen, und ich konnte fühlen, dass etwas sehr Festes unter meinen Füßen war. Ich wurde aufgefordert, die Augen zu öffnen. Das tat ich. Was ich sah, war mein altes Haus, in dem ich auf der Erdenebene gelebt hatte; mein altes Heim – aber mit einem Unterschied. Es war auf eine Weise verbessert, wie es mir bei seinem irdischen Gegenstück nicht möglich gewesen wäre. Das Haus selbst war verjüngt, und es erschien mir eher in seinem ersten Glanz, als dass es erneuert worden wäre. Aber noch mehr waren es die Gärten darum, die meine Aufmerksamkeit anzogen.

Sie schienen mir ziemlich ausgedehnt zu sein, und sie waren in einem Zustand größter Gepflegtheit und bester Anordnung. Damit meine ich aber nicht die gewöhnliche Ordentlichkeit, die man in den öffentlichen Gärten auf der Erdenebene gewöhnlich sieht, jedoch, dass sie wunderbar angelegt und unterhalten waren. Es gab da keinen Wildwuchs oder Massen von welken Blättern und wucherndem Unkraut, sondern den herrlichsten Überfluss an den schönsten Blumen, und zwar so, dass sie sich in absoluter Vollkommenheit zeigen konnten. Über die Blumen selbst, zu denen ich mich begab, um sie zu betrachten, muss ich sagen, dass ich von vielen, die hier in voller Blüte standen, auf der Erde weder ihr Ebenbild noch ihr Gegenstück gesehen hatte. Natürlich war eine Anzahl der mir seit Langem vertrauten Blüten zu finden, aber bei der weitaus größeren Zahl schien zu meinem eher dürftigen Wissen über Blumen etwas völlig Neues hinzuzukommen. Es waren nicht so sehr die Blumen selbst und ihr unglaubliches Ausmaß intensivster Färbung, was meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern die lebendige Atmosphäre ewigen Lebens, die sie nach allen Richtungen um sich verbreiteten. Und wenn man sich einer bestimmten Gruppe von Blumen näherte oder auch nur einer einzelnen Blüte, schienen mächtige Ströme energiespendender Kraft sich auszugießen, die die Seele geistig emporhoben und sie stärkten, während die himmlischen Düfte, die sie ausdünsteten, derart waren, wie sie keine Seele im Mantel des Fleisches jemals erfahren hat. Alle diese Blumen lebten und atmeten, und sie waren, wie mein Freund mir mitteilte, unzerstörbar.

Es gab noch eine weitere erstaunliche Besonderheit, die ich bemerkte, als ich ihnen nahe kam, und das war der Klang von Musik, der sie umhüllte und solch sanfte Harmonien auslöste, die ganz genau auf perfekte Weise den prächtigen Farben der Blumen entsprachen. Ich fürchte, ich bin nicht genügend musikalisch geschult, um eine technisch vernünftige Erklärung dieses wunderbaren Phänomens zu geben, aber ich hoffe, dass ich jemanden herbeibringen kann, der darüber Bescheid weiß und es vollständiger erfassen kann. In diesem Augenblick sei nur gesagt, dass diese Töne mit allem übereinstimmten, was ich bis jetzt gesehen hatte – das war nur sehr wenig –, und dass überall völlige Harmonie herrschte.

Schon jetzt war ich mir der belebenden Wirkung dieses himmlischen Gartens so sehr bewusst, dass ich begierig war, mehr davon zu sehen. So spazierte ich in Gesellschaft meines alten Freundes, auf dessen Information und Führung ich mich hier verließ, auf den Gartenwegen, trottete über das vorzügliche Gras, dessen Elastizität und Weichheit beinahe den Vergleich mit einem “Gang auf der Luft” nahelegten, und ich versuchte mir bewusst zu machen, dass diese alles überragende Schönheit Teil meines eigenen Heimes war.

Es gab viele großartige Bäume zu sehen. Keiner von ihnen war missgestaltet, wie man es auf der Erde zu sehen gewohnt ist, und dennoch gab es keine Spur von Eintönigkeit in der Form. Es bedeutete nur, dass jeder Baum unter vollkommenen Bedingungen wuchs, frei von Sturmwinden, die die jungen Zweige beugen und drehen, frei auch von Insekteneinfällen und anderen Ursachen, die die Missgestaltung irdischer Bäume verursachen. Wie es sich mit den Blumen verhält, so auch mit den Bäumen. Sie leben für immer unzerstörbar, dauernd angetan mit ihrem vollständigen Blätterkleid in allen Schattierungen des Grün und auf immer Leben für alle verströmend, die sich ihnen nähern.

Ich habe beobachtet, dass hier nicht das zu entdecken war, was wir gewöhnlich als Schatten unter den Bäumen bezeichnen, und dennoch schien es keine grelle Sonne zu geben. Es sah aus, als wäre da eine Lichtfülle, die in jede Ecke drang. Mein Freund sagte mir, dass alles Licht vom Geber allen Lichtes ausgehe, dass dieses Licht selbst Göttliches Licht sei und dass es die Gesamtheit der Geistigen Welt bade und erleuchte, in der diejenigen wohnten, die geistige Augen hätten, um zu sehen.

Auch bemerkte ich, dass eine angenehme Wärme selbst die kleinste Stelle des Raumes durchdrang, eine völlig gleichbleibende und beständige Wärme. Die Luft war still und doch wehten mit ihrem leichten, duftbeladenen Hauch die wahrsten Zephyrwindchen, welche die erquickend milde Temperatur in keiner Weise beeinträchtigten.

Ich möchte an dieser Stelle zu denjenigen sagen, die nichts von Düften irgendwelcher Art halten: Seid nicht enttäuscht, wenn ihr diese Worte lest, und habt nicht die Empfindung, dass es für euch niemals der Himmel sein könne, wenn da etwas wäre, das ihr nicht leiden könntet. Wartet, sage ich, bis ihr selbst Zeuge dieser Gegebenheiten seid, denn ich weiß, dass ihr dann ganz anders darüber empfinden werdet.

Ich bin in einer ziemlich ausführlichen Weise auf alle diese Dinge eingegangen, weil ich sicher bin, dass es sehr viele Menschen gibt, die darüber erstaunt sind.

Ich war betroffen von der Tatsache, dass es keinerlei Anzeichen von Mauern, Hecken oder Zäunen gab, ja, soweit ich sehen konnte, überhaupt nichts, um anzuzeigen, wo mein Garten anfing und wo er endete. Mir wurde gesagt, dass man so etwas wie Abgrenzungen nicht brauche, da jeder instinktiv und jenseits allen Zweifels genau wisse, wo der eigene Garten aufhöre. Deshalb gab es kein Eindringen in das Grundstück eines anderen, obwohl alle jedem offen standen, der sie überqueren oder sich darin aufhalten wollte. Ich war von ganzem Herzen willkommen, wohin auch immer ich gehen wollte, ohne Furcht, die Privatsphäre eines anderen zu verletzen. Man sagte mir, ich würde herausfinden, dass dies das hiesige Gesetz sei und dass ich nicht anders empfinden würde, wenn andere in meinem Garten herumspazierten. Ich habe meine Empfindungen über die Umstände genauer beschrieben, zumal ich damals ebenfalls wünschte, dass alle, denen es ein Vergnügen bereitete, in meinen Garten kommen und sich an dessen Schönheiten erfreuen könnten. Ich hatte kein Gefühl irgendeines persönlichen Besitzes, obwohl ich wusste, dass alles mir gehörte, um es “zu haben und zu behalten”. Genau das ist die Haltung von allen hier: besitzen und Teilnehmenlassen zur gleichen Zeit.

Da ich den herrlichen Zustand sah, in dem der ganze Garten erhalten und umsorgt wurde, fragte ich meinen Freund nach dem Genie, das so aufmerksam und mit so glänzenden Erfolgen danach sah. Bevor er meine Frage beantwortete, legte er mir nahe, dass ich, da ich erst vor so kurzer Zeit im Land des Geistes angekommen sei, besser erst einmal ausruhen oder meinen Erkundigungsspaziergang zumindest nicht übertreiben solle. Er schlug deshalb vor, dass wir eine angenehme Stelle finden sollten – er gebrauchte das Wort in vergleichendem Sinn, denn alles war überall mehr als angenehm –, dass wir uns setzen sollten, und dann würde er mir eine oder zwei der Fragen erklären, die sich mir in der kurzen Zeit nach meinem Hinübergehen in die Geistige Welt schon gestellt hatten.

Folglich gingen wir umher, bis wir so einen “angenehmen” Platz unter den Zweigen eines prachtvollen Baumes gefunden hatten, von dem aus wir eine große Fläche der Landschaft überblicken konnten, deren üppiges Grün sich vor uns wellte und sich weit in die Ferne erstreckte. Das ganze Sichtgebiet war in herrlichen himmlischen Sonnenschein getaucht, und ich konnte viele Häuser verschiedenster Art in malerischer Anordnung wahrnehmen, wie auch mein eigenes zwischen Bäumen und Gärten. Wir ließen uns auf den weichen Rasen nieder, und ich streckte mich sogleich über die Maßen aus und hatte dabei das Gefühl, als läge ich in meinem Bett aus weichsten Daunen. Mein Freund fragte mich, ob ich müde sei. Ich hatte nicht das übliche Gefühl irdischer Müdigkeit, aber ich verspürte dennoch irgendwie die Notwendigkeit einer körperlichen Entspannung. Er sagte mir, dass meine jüngste Krankheit die Ursache eines solchen Verlangens sei, und wenn ich wolle, könne ich in einen Zustand vollständigen Schlafes übergehen. In diesem Augenblick aber empfand ich noch kein unmittelbares Bedürfnis danach, und ich sagte ihm, dass ich ihn jetzt sehr viel lieber sprechen hören würde. Also begann er.

“Was auch immer ein Mensch sät”, sagte er, “das wird er ernten. Diese wenigen Worte beschreiben genau den bedeutenden ewigen Vorgang, durch den alles, was du hier siehst, zustande kommt. All die Bäume, die Blumen, die Wälder, die Häuser, die auch das Glück und die Zufriedenheit ihrer Bewohner widerstrahlen – alles ist das sichtbare Ergebnis dessen, was ein Mensch gesät hat. Das Land, in dem wir beide jetzt leben, ist das Land der großen Ernte jener Saaten, die auf der Erdenebene gepflanzt wurden. Alle die hier leben, haben für sich genau denjenigen Aufenthaltsort gewonnen, den sie sich durch ihre irdischen Taten verdient haben.”

Ich war schon dabei, manche Dinge verstehen zu lernen, am entscheidendsten und mich davon am meisten betreffend, war die völlig falsche Haltung, die die Religion in Bezug auf die Geistige Welt einnahm. Die bloße Tatsache, dass ich dort lag, wo ich mich befand, stand im völligen Widerspruch von vielem, was ich lehrte und für das ich in meinem Erdenkleid als Priester einstand. Vor meinen Augen schmolzen jene Bände orthodoxer Lehren, Glaubensvorschriften und Doktrinen zu einem Nichts, denn sie sind zu nichts nütze, da sie auf keiner Wahrheit beruhen und sich hinsichtlich der ewigen Geisteswelt wie auch hinsichtlich des Großen Schöpfers und Erhalters völlig im Irrtum befinden. Ich konnte jetzt erst klar erkennen, was sich mir bisher nur verschwommen vorstellte, dass nämlich Orthodoxismus von Menschen, das Universum jedoch von Gott erschaffen wurde.

Mein Freund fuhr fort mir darzulegen, dass wir, so wir uns unter jene Hausbewohner mischen sollten, alle Arten von Menschen samt ihren Eigenarten beobachten könnten, zumal ihre Glaubensvorstellungen sich auf Erden ebenfalls voneinander unterschieden hatten. Aber eine der bedeutendsten Tatsachen nach dem Hinübergehen in die Geistige Welt ist jene, dass die Seelen nach dem plötzlichen Hinüberscheiden noch eine ganze Weile genauso denken wie zuvor als Erdenbürger. Reue auf dem Totenbett trägt keine Früchte, da meistens eine solche der Feigheit entspringt, die wiederum das Resultat von Furcht ist über das, was wohl danach passieren könnte. Es ist die Furcht vor der von Theologen ausgemalten Hölle, die zu einer wirkungsvollen Waffe in dem Arsenal der Kirche geworden ist und vielleicht in ihrer Zeit mehr Leiden verursachte als viele andere Irrlehren. Irdische Glaubensvorstellungen haben darum in der Geistigen Welt keine Berechtigung mehr. Doch da anfangs die Menschen alle ihre irdischen Eigenheiten mit in die Geistige Welt hinübernehmen, werden auch die eifrigsten Anhänger dieser irdischen Glaubensvorstellungen ihre jeweilige Religion ausüben, bis es ihnen allmählich dämmert und ihr Geist spirituell erleuchtet wird. Wie mein Freund mir erzählte und wie ich es seitdem selbst sehen konnte, gibt es in der Geistigen Welt noch viele Gemeinden, die immer noch ihrer alten Erdenreligion anhängen und diese praktizieren. Hinsichtlich der Glaubensauffassungen walten auch hier noch Blindgläubigkeit und Vorurteile. Sie schaden nicht, ausgenommen den Betroffenen, die sich auf solche Weise selbst beschränken. Wir aber unternehmen keinerlei Anstrengungen, sie etwa zu einem anderen Glauben bekehren zu wollen.

Wenn dem so war, vermutete ich, dass unsere eigene Religion hier vollständig vertreten sein müsse. Genau, so war es! Die gleichen Zeremonien, die gleichen Rituale, die gleichen alten Glaubensüberzeugungen: All das wird weitergetragen mit dem gleichen falschen Eifer, der sich in den Kirchen gleicherweise stark macht. Die Mitglieder dieser Gemeinschaften wissen, dass sie hier herübergekommen sind, und sie denken, dass es Teil ihrer himmlischen Belohnung ist, mit ihren von Menschen festgesetzten Formen der Anbetung fortzufahren. Sie verhalten sich so bis zu der Zeit, in welcher sie geistig erwachen. Druck wird auf diese Seelen niemals ausgeübt, denn ihre geistige Auferstehung muss aus ihnen selbst kommen. Wenn sie kommt, kosten jene Seelen erstmals die wahre Bedeutung der Freiheit.

Mein Freund versprach mir, dass wir, wenn ich es wollte, später einige dieser religiösen Körperschaften besuchen könnten, aber da Zeit reichlich vorhanden war, schlug er vor, dass es besser wäre, wenn ich mich erst ganz an das neue Leben gewöhnt hätte. Bis jetzt hatte er auch noch meine Frage unbeantwortet gelassen, wer die freundliche Seele sei, die meinen Garten so gut bestellte, aber er las meinen unausgesprochenen Gedanken und kam von selbst auf diesen Punkt zu sprechen.

Beides, das Haus und der Garten, sei, wie er mir sagte, die Ernte, die ich während meines irdischen Lebens für mich selbst eingebracht hätte. Da ich mir das Recht erworben hätte, es zu besitzen, hätte ich es mir mithilfe großzügiger Seelen errichtet, die ihr Leben in der Geistigen Welt damit zubrächten, anderen solche Gefälligkeiten und Dienste zu erweisen. Das sei nicht nur ihre Aufgabe, sondern gleichzeitig auch ihr Vergnügen. Häufig werde diese Arbeit von denjenigen in Angriff genommen und ausgeführt, die auf Erden Fachleute dafür gewesen seien und sie daher auch liebten. Hier könnten sie mit ihrer Beschäftigung unter Bedingungen fortfahren, wie nur die Geistige Welt sie gewährleisten könne. Solche Aufgaben zögen ihren eigenen geistigen Lohn nach sich, obwohl der Gedanke an Belohnung niemals in die Vorstellung derer gelangte, die sie ausführten. Der Wunsch, anderen zu dienen, sei immer das Höchste.

Der Mann, der mitgeholfen hatte, diesen schönen Garten anzulegen, war auf der Erdenebene ein Gartenliebhaber, und wie ich selbst feststellen konnte, war er auch ein Fachmann. Aber sobald ein Garten erst einmal in der Geistigen Welt fertiggestellt ist, benötigt es keiner kontinuierlichen Mühe, wie sie noch auf Erden vonnöten ist, um große Gärten zu unterhalten. Ich denke da an den ständigen Verfall, die Belastungen von Sturm und Wind und an die vielen anderen Ursachen, die auf Erden ein Sichabmühen verlangen. Hier gibt es keinen Verfall, und alles, was wächst, tut es unter denselben Bedingungen, unter denen wir leben. Mir wurde gesagt, dass der Garten praktisch keiner Aufmerksamkeit bedürfe, wie wir den Ausdruck gewöhnlich verstehen, und dass unser Freund, der Gärtner, ihn weiterhin unter seiner Obhut behalten würde, wenn ich es so wünschte. Weit davon entfernt, es lediglich zu wünschen, gab ich meiner Hoffnung Ausdruck, dass er es sicherlich tun würde. Ich äußerte meine tiefe Dankbarkeit für seine wundervolle Arbeit, und ich hoffte, dass ich in der Lage sein würde, ihm zu begegnen und ihm meine aufrichtige Wertschätzung und Dankbarkeit mitzuteilen. Mein Freund erklärte, dass das ziemlich einfach sei, und der Grund dafür, dass ich ihm noch nicht begegnete, liege in der Tatsache meiner erst vor Kurzem erfolgten Ankunft, und er würde nicht hineinkommen, bis ich mich häuslich niedergelassen hätte.

Meine Gedanken kehrten wieder zu meiner Beschäftigung auf Erden zurück, zum Abhalten des täglichen Gottesdienstes und zu all den anderen Verpflichtungen eines Dieners der Kirche. Da eine derartige Beschäftigung, soweit es mich betraf, nun nutzlos geworden war, zerbrach ich mir den Kopf über das, was die unmittelbare Zukunft für mich bereithielt. Ich wurde wieder daran erinnert, dass genug Zeit vorhanden sei, um darüber nachzudenken, und mein Freund schlug vor, dass ich mich erst ausruhen und ihn dann auf weiteren Erkundungstouren begleiten solle. Es gab ja so vieles zu sehen, so vieles, das mir immer erstaunlicher vorkommen sollte. Es gab auch jede Menge von Freunden, die darauf warteten, dass wir einander nach so langer Trennung wieder begegneten. Er zügelte mein Verlangen, damit anzufangen, indem er meinte, dass ich erst ausruhen müsse. Und welch besseren Platz könnte es dafür geben, als eben mein eigenes Zuhause?

Ich folgte also seinem Rat, und wir gingen zusammen zum Haus.

— 3 —

Erste Erfahrungen

Ich habe schon gesagt, dass ich, als ich hier zu meinem neuen Haus geleitet wurde, bemerkte, dass es dasselbe war wie mein irdisches Haus, aber mit einem Unterschied. Als ich durch die Tür eintrat, sah ich sofort die verschiedenen Änderungen, die vorgenommen worden waren. Diese Veränderungen waren überwiegend struktureller Art und entsprachen genau den Bauplanvorstellungen, die ich bei meinem irdischen Haus immer gerne ausgeführt hätte, die ich aber aus architektonischen und anderen Gründen niemals verwirklichen konnte. Hier hatten irdische Nöte keinen Platz, und so fand ich mein Geist-Heim in seiner allgemeinen Anordnung genau so, wie ich es immer gewünscht hätte. Die wesentlichen Gebrauchsgegenstände, die unverzichtbar zu einer irdischen Heimstätte gehören, waren hier selbstverständlich völlig überflüssig, zum Beispiel die strikt irdische Angelegenheit, den Körper mit Nahrung zu versorgen. Das ist ein Punkt, der den Unterschied ausmacht. Und so können auch die andern leicht ins Bewusstsein gerufen werden.

Als wir zusammen durch die verschiedenen Räume gingen, konnte ich viele Anzeichen der Besorgtheit und Freundlichkeit derer sehen, die mit so viel Energie daran gearbeitet hatten, mir mein altes Haus in der neuen Umgebung wieder aufzubauen. Während ich innerhalb seiner Mauern stand, war ich von seiner Dauerhaftigkeit völlig überzeugt, verglichen mit dem, was ich hinter mir gelassen hatte. Aber es war eine Dauerhaftigkeit, von der ich wusste, dass ich sie aufheben konnte, so ich es wollte. Es war mehr als ein bloßes Haus. Es war ein geistiger Hafen, ein Wohnsitz des Friedens, in dem die üblichen häuslichenSorgen und Verantwortlichkeiten völlig fehlten. Das Mobiliar darinnen bestand im Wesentlichen aus dem, womit ich das irdische Original ausgestattet hatte, nicht weil es besonders schön war, sondern weil ich es als nützlich und bequem empfunden hatte und es gut zu meinen wenigen Ansprüchen passte. Die meisten der kleinen Schmuckgegenstände waren an ihren üblichen Plätzen aufgestellt, und das Haus erweckte unmissverständlich den Eindruck, als sei es bewohnt. Ich war wirklich “nach Hause” gekommen.

In dem Raum, der früher mein Studierzimmer war, bemerkte ich einige gut gefüllte Bücherregale. Zunächst war ich ziemlich erstaunt, dies zu sehen, aber bei weiterem Nachdenken konnte ich keinen Grund mehr erkennen, warum Bücher in diesem Haus, das mit all seinen verschiedenen Gegenständen hier sein konnte, nicht auch ihren Platz im Gesamtbild haben sollten. Es interessierte mich, herauszufinden, welcher Art die Bücher waren, und deshalb untersuchte ich sie näher. Als deutlich hervorstechend erkannte ich die von mir verfassten. Als ich vor ihnen stand, erspürte ich klar den Grund – den wahren Grund! –, weshalb sie hier waren. Viele dieser Bücher enthielten jene Abhandlungen, von denen ich früher gesprochen habe, in denen ich meine eigenen übersinnlichen Erfahrungen dargestellt hatte, nachdem ich ihnen den notwendigen religiösen Anstrich verpasst hatte.

Ein Buch schien, wie ich mich erinnere, mehr als die anderen hervorzustechen, und ich kam zu der vollen Erkenntnis, dass ich jetzt wünschte, es nie geschrieben zu haben. Es war ein entstellter Bericht, in dem die Tatsachen, wie ich sie wirklich gekannt hatte, unehrlich behandelt und die Wahrheiten verheimlicht worden waren. Ich empfand bitterste Reue, und zum ersten Mal seit meiner Ankunft in diesem Land bedauerte ich etwas. Es war kein Bedauern, dass ich in der Geistigen Welt angekommen war, sondern die Reue, dass ich die Wahrheit, die ich vor Augen gehabt hatte, vorsätzlich verdrängt hatte. Denn ich wusste, dass dieses Buch, solange mein Name lebte, das heißt, solange er noch irgendeinen kommerziellen Wert besaß, immer wieder nachgedruckt und in Umlauf gesetzt, gelesen und als absolute Wahrheit betrachtet werden würde. Ich hatte das unerfreuliche Wissen, dass ich nie mehr vernichten konnte, was ich da geschaffen hatte. Dennoch hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl, deswegen verurteilt zu werden. Ich spürte im Gegenteil eine ausgeprägte Atmosphäre starken Mitgefühls. Woher sie kam, wusste ich nicht, aber sie war nichtsdestoweniger wirklich und spürbar. Ich wandte mich an meinen Freund, der während meiner Besichtigung und Entdeckung taktvoll und verständnisvoll in geringer Entfernung abseits gestanden hatte und bat ihn um Rat. Augenblicklich war er dazu bereit.

Er erklärte mir dann, dass er genau gewusst habe, wie ich hinsichtlich dieses Buches jetzt denken würde, dass es ihm aber verwehrt gewesen sei, darauf zu sprechen zu kommen, bis ich selbst jene Entdeckung gemacht hätte. Erst als ich diese getan und ihn mit meiner dringenden Bitte um Hilfe ersucht hatte, war es ihm möglich, mir diesbezüglich zu helfen.