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Copyright © 2018 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung: © Andrea Astes/iStockphoto

Druck und Verarbeitung:

EuroPB, s.r.o., Tschechische Republik

ISBN 978-3-7117-1087-1

eISBN 978-3-7117-5375-5

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter www.picus.at

Bettina de Cosnac kam für das ZDF-Korrespondentenbüro Südwesteuropa 1995 nach Paris – und blieb. Sie lebt mit Aussicht auf den Eiffelturm und die Skyline der Hauptstadt. Ganz nach angelsächsischer Tradition verfasst die vielseitige, promovierte Romanistin Biografien, Bühnenstücke, Romane und sinnliche Coffee-Table-Books. Ihre Biografien über die Dynastie der Grimaldi, die Familie »Haribo« und die deutsch-französische Fotografin Gisèle Freund sind Standardwerke und Bestseller. In Paris hat sie ihr Herz verloren und dennoch einen kritischen Blick gewahrt.

Bettina de Cosnac

Lesereise Paris

Das Parfum einer Stadt

Picus Verlag Wien

Inhalt

Paris. Das Parfum einer Stadt

Vorwort

Der Voyeur im Élysée – Von Jupiter und Gärtnern

In den Gängen des Regierungspalasts

Und ewig blinkt der Eiffelturm

Die Moderne modernisiert sich, modernisiert sich …

Von Parfumeuren als Künstlern

Die Nase der Frau ist auf dem Vormarsch

Die Académie Française – Nur der Artikel ist weiblich

Über eine konservative Institution Frankreichs

Le Parisien – gesucht, gefunden

Das Pendant zur Parisienne von Modecoach Inès de la Fressange

Le Canard enchaîné

Eine gefesselte Ente entfacht die schönsten Skandale

»Un espress’, s’il vous plaît« – Wenn es so einfach wäre

Auf der Suche nach der verlorenen Poesie des Cafés

Shakespeare & Co, La Hune, Deyrolle, Galignani und WHSmith

Eine kleine Kartierung berühmter Pariser Buchläden

Sommerloch – Touristen, nichts wie hin!

Wenn die Pariser ausziehen, sollten Sie einziehen

Pariser Hinterhöfe – Oasen verborgener Schönheit und Stille

Die Stadt ist für Flaneure

Wenn die Seine über die Ufer tritt, wo küssen sich Verliebte?

Tagebuch einer Hochwasserkatastrophe

Paris schwarz-weiß

Im Pantheon der Porträtfotografie

Von Gräbern und Kirchen

Don Camillo und der Friedhofstourismus

Prousts Madeleine ist tot – Es lebe die Madeleine

Pariser Patisserien

Pariser Weihnacht oder wie der Weihnachtsbaum an die Seine kam

Eine Weihnachtserzählung zwischen Dichtung und Wahrheit

Paris. Das Parfum einer Stadt

Vorwort

Mein Parfum heißt Paris. Längst bevor teure Düfte im Flakon Städtenamen wie New York, Berlin oder Paris erhielten. Das Parfum Paris durchwehte neben Heugeruch von österreichischen Bauernhöfen und winterlichem Mimosenduft der Riviera meine Jugend. Irgendwann, Anfang zwanzig, wechselte ich das Parfum – wie es jede Frau tun sollte – und entdeckte andere Städte und Länder, kehrte aber mit neunundzwanzig Jahren in der außenpolitischen Redaktion des Fernsehsenders France 2 nach Paris zurück. Erneuter Duftwechsel, bevor ich das Parfum Paris Mitte der neunziger Jahre endgültig adoptierte. Als abenteuerlustige Journalistin blickte ich nach vorn und ließ auch keinen Koffer in Berlin zurück. Recht so: Das Parfum Paris ließ mich – wie viele andere Wahlpariser – seitdem nicht mehr los. Korrespondentin, Heirat, Kinder, Feste und Bücher. Eigene und fremde Bücher. Vieles änderte sich für mich. Auch das Parfum Paris änderte sich mit der Reife und den Erfahrungen. Und schärfte meinen Blick auf die Lieblingsstadt der Verliebten.

Das Parfum Paris erfand sich mit den Jahren und Jahreszeiten immer wieder neu und anders. Manchmal konnte ich es einfach nicht mehr riechen. Aber die Duftwolke hielt an mir fest. Und Freunde, die sie schnupperten, seufzten entzückt: »Paris! Wie herrlich, wie süß.« Der Paris-Mythos bleibt unerklärlich, die Sehnsucht auch. Die Freunde und Bekannten wussten nichts vom Alltag, nichts von den dunklen Seiten der Stadt des früheren Sonnenkönigs und der heutigen Präsidenten. Gewiss, im Mai und Juni komponieren die Rosenblüten in den Lustgärten der Tuilerien und die Frische der plätschernden Springbrunnen ein exquisites Parfum, das kein Pariser, kein Verliebter, kein Romantiker missen will. Im Winter allerdings mischt sich herber Benzingeruch in die klare Würze der kalten Winterluft. Paris hält dann den Atem an, eingehüllt in eine Smogwolke, immer öfter auch in den heißen Monaten. Das Pariser Leben pulsiert nur noch halbherzig. Die Lebenserwartung der Pariser ist um zehn Jahre geringer als im Rest Frankreichs.

Auch die Parfumeure, die meinen Parisduft komponierten, änderten sich im Laufe der Jahre. Nach der sozialistischen Sphinx François Mitterrand kam der rechte und recht joviale Jacques Chirac, ein Afrikakenner und Charmeur, gefolgt von Nicolas Sarkozy und dem in die französischen Geschichtsbücher wohl als eher blasse Präsidentennummer eingehenden François Hollande. Wieder ein Sozialist. Links, rechts, links in der Regierung zeugt von politischer Unentschlossenheit.

Zugegeben, François Hollande hatte verschärfte Umstände, etwa die weltweite Wirtschaftskrise, den sich verbreitenden Terrorismus und das übliche französische Chaos. Aber wie kein Präsident zuvor schaffte er es, sich mit seinen amourösen Eskapaden lächerlich zu machen, auf dem roten Teppich Angela Merkels in Berlin – ausgerechnet Angie, der Mutter der deutschen Nation – schmerzhaft auf die Füße zu treten, in Paris, der Stadt der Mode, in zu eng und zu kurz geschneiderten Anzügen vor den Kameras der Welt aufzutreten und in Russland mit einer Schapka auf dem Kopf wie ein deplatzierter Bauernsohn aus einem Puschkin-Roman zu lächeln. Gewiss, die Mütze wärmte, aber das Bild ging um den Globus und das Herz der grande nation erfror.

Während François Hollandes Regierungszeit verlor Frankreich – und Paris – gewaltig an Gesicht und Ansehen. Die Franzosen bereuten ihre Wahl zutiefst. Doch was konnten sie tun? Sie höhnten, resignierten oder griffen zu noch mehr Antidepressiva als gewohnt. Was viel heißen will, denn die Franzosen sind europaweit führend im Konsum von Arzneidrogen. Es ist eine verborgene Statistik.

Und plötzlich kam Hoffnung! Ein neuer betörender Duft schwebte über Stadt und Land. Er wehte von unten herauf, kam zu Fuß, en marche. Aus scheinbar heiterem – französischen – Himmel raste Emmanuel Macron schnell wie ein Komet an die Macht. Er war ein »Jupiter«, wie ihn die französische Presse taufte, am Firmament eines seit der Revolution 1789 scheinbar unregierbaren Landes. Ein Deus ex Machina. Mit dem biblischen Namen Emmanuel gesegnet, ist er ein vergleichsweise junger Adonis, den Talent, Klugheit, Reformeifer, politische Erfahrung als Finanzminister und gesunder Menschenverstand auszeichnen. Zudem verfügte er über Erfahrungen in der Privatwirtschaft, hat er doch, wie einst Staatspräsident Georges Pompidou, erfolgreich bei der Bank Rothschild gearbeitet. Macron hat auch Ambitionen. Mit ihm ergriff ein ebenfalls junges Regierungsteam, jenseits alter Oligarchien und obligater Elitehochschulen, die Macht.

Das Parfum Paris glich 2017 einer von einem Tornado aufgewirbelten, undefinierbaren Staubwolke, die sich erst einmal setzen musste. Das Parfum Paris wurde gnadenlos aufgemischt, eifrig neu komponiert und mit modernen Noten durchsetzt. Ein frischer Duft durchwehte den Élysée-Palast. Es tat ihm und Frankreich gut. Die Frau an Jupiters Seite heißt Brigitte, wie die Bardot, aber ohne deren opulente Formen. Sie ist geschieden, Mutter von drei erwachsenen Kindern. Vor allem ist sie, wie die an Hofklatsch gewohnten Franzosen genüsslich spotten, zwanzig Jahre älter als ihr Mann. Aber sie ist sexy und klug. Die Lehrerin für Altphilologie wird von ihren ehemaligen Schülern gegen solch höhnische Angriffe solidarisch verteidigt. Auf sie, die Optimistische, lassen sie nichts kommen. Auch Emmanuel Macron war einst ihr Schüler. Er wurde ihr treuester Fan. Mutig führte er sie allen Unkenrufen zum Trotz vor den Altar. Der neue Präsident bewies Charakter. Offiziell darf sie nicht mitregieren. Eine première dame steht als Funktion nicht in der französischen Verfassung. Madame Macron hat wie ihre Vorgängerinnen keinen Status und keine definierten Aufgaben. Aber sie bekam ein Budget, das erstmals der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde, einen Berater und eine Sekretärin. Inoffiziell regiert sie, wie alle klugen und starken Frauen hinter einem starken Mann, nicht nur auf dem Kopfkissen mit. Brigitte mit der schlanken Figur, den gut geformten Beinen und den modischen Fast-Miniröcken, wurde schnell Liebling der Französinnen und beide Macrons Lieblinge der Welt. Das Präsidentenpaar brachte innen- und außenpolitische Hoffnung. Und Hoffnung brauchte das Land. Frankreich war aufgrund von politischen Querelen, programmatischer Verflachung, drohendem extremem Rechtsruck auf dem Präsidentenstuhl, fehlendem Reformmut, mangelndem Durchsetzungsvermögen und nachträglich aufgedeckter Korruption diverser Präsidenten und Minister in eine Sackgasse geraten. Die Liste der Missstände war lang. La grande nation lebte feudal und hoch verschuldet. Sie kämpfte mit veralteten, unrentablen Wirtschaftsstrukturen, teuren Netzwerken eines fast kommunistisch agierenden Sozialstaats und genoss eine ideologische Verkrustung, die notwendige Reformen erschwerten. Klein beigeben wollte das Land nicht, doch es ging auch nicht vorwärts. Parfum Paris roch muffig.

Aber nun, im Jahre 2017, gab es Jupiter und das Parfum Paris erinnerte an Mustang, wirkte feurig, verführerisch und verrückt. In Paris herrschte Aufbruchsstimmung. Die tendenziell missmutigen, gestressten Pariser Querulanten setzten ein Lächeln auf. Paris lachte zurück. Paris wurde wieder ein Flirt. Und das Küssen und Flanieren machte Spaß, trotz der patrouillierenden Soldaten mit Maschinengewehren, die seit den Terroranschlägen das Leben und Straßenbild der Hauptstadt mitbestimmen.

Das Parfum Paris lebt von starken Kontrasten. Von extremem Lärm und überraschender Stille. Von Luxus pur und noch immer stinkenden Plätzen, an denen trunkene Obdachlose ihre aus vielen Kartons und tiefer Desillusion gebaute nächtliche Bleibe sorgsam errichten. Sie wohnen inzwischen nicht nur in der métro, sondern auch im schicken seizième, dem sechzehnten arrondissement.

Das Parfum Paris steckt in einem ansehnlich designten Flakon, den Monumente wie das Sacré-Cœur, der Eiffelturm, die Invaliden und geordneten Parks à la française zieren.

Paris bietet eine heile, nie zerbombte Haussmann’sche Fassade und liftet sich ständig. Die französische Hauptstadt ist ewige Baustelle. Ästhetik und Chaos. Das Parfum Paris kennt nächtliche Sternstunden und täglichen Stau. Darin, in Sternstunden und Stau, gleicht die Stadt an der Seine vielen Metropolen der Welt.

Und doch: Paris bleibt Paris. Wenngleich das alte Paris, wie es die Lyrik von Rainer Maria Rilke, die Prosa von Klaus und Erika Mann, die Kurzgeschichten von Immigranten und Korrespondenten der Zwischenkriegszeit oder die Memoiren leidenschaftlicher Wahlpariser beschwören, in die unwiederbringliche Vergangenheit gehört. Das alte Paris ist eine Proust’sche Madeleine. Auch Paris ist in die Moderne gezogen.

Aber Paris bleibt doch Paris. Wenngleich geliebte französische Institutionen wie das bistrot Opfer der Globalisierung werden, wenngleich die viel gepriesene französische galanterie hinter Hektik und Gedränge bis in den späten Abend zurücktritt oder ganz verschwindet, wenngleich Édith Piafs besungene vie en rose sich auch im 21. Jahrhundert manchmal dunkelrot bis schwarz färbt, so trägt die Stadt noch immer ihr eigenes Kleid und ihren eigenen, unverkennbaren Duft.

Ein subtiles bouquet, dessen Formel dieses Buch enträtselt: Aber wie jedes gute Parfum wirkt der Duft bei jedem anders.

Der Voyeur im Élysée – Von Jupiter und Gärtnern

In den Gängen des Regierungspalasts

Mitte September. Lange Schlangen bilden sich vor dem Senat, der Assemblée nationale und schicken privaten Pariser Palais. Besonders lang ist die Menschenschlange in der rue du Faubourg-Saint Honoré 55. Es ist eine politisch bedeutende Adresse, liegt hier doch der Palais de l’Élysée. Vor dem noch verschlossenen Eichentor des Regierungspalasts steht sich ein Besucher seit fünf Uhr morgens die Beine in den Bauch. Der Zweite in der Schlange hat sich eine Thermoskanne wärmenden Kaffees mitgebracht. Er kennt die Prozedur des geduldigen Wartens, erzählt er. Im Schnitt acht Stunden. Der Dritte reiste extra aus der südlichen Provinz in die Hauptstadt. Als verantwortungsvolle Staatsbürger wollen sie – wie jährlich etwa zwanzigtausend Neugierige – einmal in ihrem Leben den Arbeitsplatz ihres Präsidenten inspizieren. Jenes Mannes, der Frankreich fünf Jahre lang vorsteht und nach Fristablauf gehen muss, wenn er scheitert. Aber vielleicht hoffen die wartenden citoyens auch, einen Blick in die Privatgemächer zu erhaschen, vielleicht den Weinkeller zu inspizieren und sogar ein Geheimnis in den langen Fluren der von Sicherheitskräften am besten bewachten staatlichen Einrichtung Frankreichs zu entdecken. Und dieses Geheimnis wie ein Voyeur lüstern zu wahren. Eine Illusion, seitdem nicht nur die Präsidenten und Minister, sondern auch die Küchenchefs und sogar die Hunde der Präsidenten ihre Memoiren schreiben, wie den vierbändigen Bestseller »Aboitim« (1996–2001). Das Buch, angeblich aus der Feder von Mitterrands geliebter schwarzer Labradorhündin Baltique, die den Präsidenten überlebte, war eine Parodie auf ein anderes politisches Enthüllungsbuch von Jacques Attali. Seit diesen Veröffentlichungen scheint der Élysée auf geheimnisvolle Art geheimnislos. Und doch …

Nur an den seit 1984 einmal jährlich im Herbst stattfindenden europäischen Denkmaltagen bekommen Interessierte die Gelegenheit, in den Élysée vorzudringen. Wären sie Fußballer der Nationalmannschaft, dürften sie hier nach einem großen Sieg den besten Champagner schlürfen. Wären sie bedürftige Kinder, könnten sie einer Weihnachtsbescherung beim traditionellen arbre de Noël beiwohnen, dürften kleine Geschenke und ein paar persönliche Ermahnungen des Präsidenten mit nach Hause nehmen. Auch bekannte Filmemacher, Sänger oder Schauspieler brauchen nicht zu warten. Diese gehen in der Hausnummer 55 ein und aus, zieren sie doch präsidentielle private Tafelrunden – auf Staatskosten. Die Zeiten, wo staatliches Recht und private Ehre noch durch Charles de Gaulle oder Georges Pompidou geradlinig verkörpert wurden, sind in Frankreich vorbei. Diese Präsidenten bezahlten ihre Privat-Dîners und ihre Friseure noch von ihrem Gehalt. Präzise klebte ein De Gaulle so manche Briefmarke persönlich auf seine handgeschriebenen Antwortschreiben an besorgte Staatsbürger. Heute wird die Post in einem auswärtigen Gebäude nahe des quai Branly vorsortiert, weitergeleitet, beantwortet, aber landet selten auf dem persönlichen Schreibtisch des Präsidenten. Zola und sein berühmtes Schreiben an den Präsidenten »J’accuse…!« gibt es nicht mehr. Dafür Opfer des Terrorismus, die im Palast Gehör finden. Oder besonders schwerwiegende Fälle, wie Begnadigungsgesuche oder Todkranke jenseits der Armutsgrenze.

Endlich Einlass. Strenge Ausweiskontrolle und dann wird man auch schon durchgeschleust. Der Rundgang ist abgesteckt. Vor lauter Menschen sieht man nicht viel. Wer sich geschickt anstellt, darf ein wenig mit dem extra abbestellten Personal plaudern. Und 2016 lächelte sogar Präsident Hollande hinter seinem goldenen Schreibtisch. Ein Präsident fast zum Anfassen. Irgendwann, viel zu schnell, heißt es auch schon »sortie.« Der Besuch ist angesichts des Andrangs durchgetaktet. Manche sehen weniger von dieser Immobilie und ihrem Innenleben als sie aus Fernsehreportagen und inszenierten Präsidenteninterviews kennen. Aber Marmorboden und edles Versailler Parkett wie ein Staatschef betreten zu haben ist auch schon etwas. Und der offizielle Fuhrpark von etwa hundertfünfzig Autos ausschließlich französischer Fabrikation beeindruckt. Die Privattankstelle auch.

Den Élysée muss man sich langsam erobern. Zimmer für Zimmer. So wie es Frankreichs Staatspräsidenten der letzten sechzig Jahre taten. Ungeachtet ihrer politischen couleur