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Trutz Hardo

GESCHICHTE DER

REINKARNATION

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Alle Rechte vorbehalten.

© Copyright Verlag »Die Silberschnur« GmbH

ISBN: 978-3-89845-349-3

1. Auflage 2018

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung des Motivs #15203892, www.fotolia.com Bildnachweise: siehe Seite 177

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhaltsverzeichnis

Einführung

1. Die Verbreitung des Reinkarnationsgedankens bei den Indogermanen

2. Der Reinkarnationsglaube bei den Indern

1. Der Hinduismus

2. Der Jainismus

3. Der Buddhismus

3. Gab es bei den Ägyptern und Chaldäern die Vorstellung der Reinkarnation?

4. Die Verbreitung des Reinkarnationsgedankens bei den Griechen und Römern

1. Pythagoras von Samos

2. Sokrates und Platon

3. Wie die Römer über die Reinkarnation dachten

4. Plotin, der überragende Philosoph der Römer

5. Der Umgang des Christentums mit der Reinkarnation

1. Der Glaube Jesu und seiner Jünger an die Reinkarnation

2. Frühchristliche Debatte um die Seelenwanderung

3. Das Kirchenkonzil von Konstantinopel verbietet den Reinkarnationsglauben

4. Der Kreuzzug gegen die Katharer

6. Die Reinkarnation in anderen Kulturen

1. Der Islam

2. Ozeanien und Australien

3. Amerika

4. Afrika

7. Das erneute Aufkommen des Reinkarnationsgedankens

8. Wie das Judentum die Reinkarnation in seinen Glauben integrierte

1. Die Kabbala

2. Das Chassidentum

3. Religiöse Erklärungen für den Holocaust

9. Die Reinkarnation in der Zeit der Aufklärung

1. Lessing

2. Goethe

3. Schiller

10. Die Verbreitung des Reinkarnationsgedankens im 19. Jahrhundert

1. Deutschland, Schweiz, Österreich

2. Die Philosophen

3. Richard Wagner

4. Die Vereinigten Staaten

5. England

6. Skandinavien

7. Russland

8. Ungarn

9. Frankreich

11. Erklärungen aus einer anderen Welt

12. Theosophie und Anthroposophie

1. Helena Petrovna Blavatsky

2. Rudolf Steiner

13. Spirituelle Einflüsse von Indern, dem Dalai-Lama und Ryuho Okawa

1. Indien

2. Der Dalai-Lama

3. Ryuho Okawa

14. Bekenntnisse zur Reinkarnation im 20. Jahrhundert

1. Die Schriftsteller und Dichter

2. Hermann Hesse

3. Die Musiker, Maler und Künstler

4. Carl Gustav Jung

5. Elisabeth Kübler-Ross

15. Auf der Suche nach Beweisen

1. Der Fall Bridey Murphy erregt die Gemüter Amerikas

2. Beweise durch Gruppenrückführungen

16. Kinder erinnern sich an frühere Leben

1. Der berühmte Fall Shanti Devi

2. Die wissenschaftliche Überprüfung der Aussagen von Kindern

17. Wie die Reinkarnation endgültig bewiesen werden konnte

1. Das Mädchen, das mit einem halben rechten Bein geboren wurde

2. Der Junge mit dem verstümmelten Ohr

3. Stevensons Bedeutung in der Geistesgeschichte der Menschheit

4. Das Geheimnis der Albinokinder enträtselt?

18. Die Rückführungstherapie beweist das Karmagesetz

19. Wird sich bald unser Weltbild ändern?

20. Die Reinkarnation als Gnadenakt

Quellenhinweise

Bildnachweise

Index

Danksagung

Über den Autor

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Einführung

Wiedergeburt ist eine Aussage,
die zu den Uraussagen der Menschheit
überhaupt gehört
.

C. G. Jung

Über die Reinkarnation sind bisher weltweit viele Bücher geschrieben worden. Doch es fehlte noch ein Bildband über dieses so aktuelle Thema, weshalb vorliegendes Buch diese Lücke zu schließen versucht.

Der Begriff Reinkarnation, der auch unter Wiedergeburt, Wiederverkörperung, wiederholte Erdenleben, Palingenesie, Seelenwanderung, Transmigration, Samsara und Metempsychose in der Literatur zu finden ist, kommt aus dem Lateinischen (»reincarnare«) und bedeutet »wieder ins Fleisch versetzen«, also erneut in einen irdischen Körper geboren werden. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass sich in einem Erdenkörper eine immaterielle Seele befindet, die sich nach dessen Tod von ihm entfernen kann, um in einem neugeborenen materiellen Körper wiedergeboren zu werden, sei es in den Körper eines Tieres oder in den eines Menschen.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, in welchem Teil unserer Erde der Gedanke an die Reinkarnation zuerst auftauchte. Denn es gab wohl bei allen Völkern hin und wieder Kinder, die sich an ihr vorausgegangenes Leben erinnert und darüber gesprochen haben, was die Erwachsenen erstaunte oder entsetzte. Letzteres traf dann zu, wenn jene Aussagen mit ihren eigenen Glaubensvorstellungen kollidierten. Das Psychologische Institut von Jaipur/Indien führte vor einigen Jahren eine Feldforschung durch, in der Studentengruppen in die Dörfer geschickt wurden, um nach Kindern zu suchen, die etwas über ihre früheren Leben berichten konnten. Dabei wurde festgestellt, dass sich jedes vierhundertfünfzehnte Kind an ein früheres Leben erinnerte und genaue Angaben dazu machen konnte.1 Wir dürfen also annehmen, dass diese Forschungsergebnisse sich in ähnlichen Proportionen auf die Kinder der ganzen Welt beziehen dürften. So bestätigt auch der Reinkarnationsexperte und Rückführungstherapeut Jan Erik Sidgell: »Der Reinkarnationsglaube scheint sich wie ein roter Faden durch alle Kulturen und Glaubensformen zu ziehen. Und wo es ihn heute nicht mehr gibt, hat es ihn früher gegeben.«46

Auch gibt und gab es zu allen Zeiten Menschen, die mit höheren oder niedrigen Geistern kommunizierten oder deren Eingaben intuitiv oder im Traum empfingen, wobei ihnen Hinweise über die Reinkarnation vermittelt wurden. Und solche genauen oder verzerrten Durchgaben konnten darauf hinweisen, dass die Seele entweder vor der Geburt einen anderen Menschen- oder Tierkörper bewohnt hatte oder nach dem Tod einen anderen Körper für eine erneute Inkarnation als Mensch oder Tier einnehmen wird. Es hing jeweils von der Überzeugungskraft jener Inspirierten ab, ob sie sich ihrem Umfeld glaubhaft mitteilen konnten, um solche Botschaften in der Bevölkerung zu verankern. Meist blieben solche Vorstellungen in den verschiedensten Abwandlungen bei Sippschaften oder Stämmen erhalten, und bei einigen Völkern schienen sie sogar zum Gemeingut geworden zu sein, wie zum Beispiel bei den Indogermanen.

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Die Reinkarnation einer Libelle

1.

Die Verbreitung des Reinkarnationsgedankens bei den Indogermanen

Wie Wladimir Lindenberg2 so neigen auch andere, die nach der Entstehung der Reinkarnationslehre forschen, dazu, den Indogermanen den Lorbeerkranz für den ursprünglichen Reinkarnationsgedanken aufzusetzen. Unter dem Begriff Indogermanen werden all jene Völker zusammengefasst, die sprachlich miteinander verwandt sind. Dazu gehören die West-, Nord-, Süd- und Ostgermanen und die arischen Völker Asiens, also unter anderen die Kelten, die meisten Skandinavier, Germanen, Franken, Italiener, Griechen, Russen, Perser und die aus dem Nordwesten Asiens eingewanderten arischen Inder. Leider besitzen wir außer Runenzeichen aus der antiken indogermanischen Zeit des heutigen Europas keine schriftlichen Dokumente. Jedoch haben wir die Aussagen von Pythagoras und jene zweier Römer über die Druiden, die keltische Priesterschaft. Pythagoras sagte: »Die Druiden waren die wissenschaftlich gebildetsten Menschen der Welt.« Und Kaiser Gaius Julius Caesar schreibt in seinem De bello Gallico: »Die Druiden suchen die Menschen zu überzeugen, dass die Seelen unsterblich sind und nach dem Tod von einem Körper in einen anderen gehen.«

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Stonehenge, zwischen 3000-2000 errichtet. Schon bei den Kelten war der Reinkarnationsglaube verbreitet.

Der andere Römer ist der Geschichtsschreiber Diodor, der über die Kelten und den Todesmut der germanischen Krieger schreibt: »Dem Sterben wird nur geringe Beachtung geschenkt. Denn sie glauben (…), dass die Seele des Menschen unsterblich sei und nach einer bestimmten Reihe von Jahren wieder in ein erneutes Leben in einem neuen Leib übergeht.«

So war es bei vielen germanischen Stämmen Brauch, den Kindern eventuell die Namen der verstorbenen Großeltern oder Urgroßeltern zu geben, so man glaubte oder von einem Priester oder Medium versichert bekam, dass diese sich in jenen wieder inkarniert hatten. Und vielleicht verhielt es sich bei ihnen ähnlich wie bei den Lappländern und Eskimos, die davon überzeugt waren und es oft noch sind, dass der Geist eines Verstorbenen – sich nun im Fötus für eine neue Inkarnation befindend – seiner Mutter in einem Traum eingibt, welchen Namen sie ihm geben beziehungsweise wiedergeben möge.3

2.

Der Reinkarnationsglaube bei den Indern

1. Der Hinduismus

Seine größte Verbreitung fand der Reinkarnationsglaube schon im alten Indien. In den umfangreichen Veden (Wissen) finden wir ihn zum ersten Mal schriftlich belegt, weshalb viele Forscher geneigt sind, Indien als das Geburtsland der Reinkarnation anzusehen. Die Veden setzen sich aus vielen Büchern zusammen wie den Puranas, den vielen Upanishaden, aber auch das Ramajana und die Mahabharata sind Teile davon. Später wurden von anderen Autoren noch Zusätze hinzugefügt, sodass man über das jeweilige Alter einer Schrift im Unklaren ist. In der Rigveda findet sich der Satz: »Das unsterbliche Selbst wird wiedergeboren in einem neuen Körper, entsprechend der Verdienste seiner Taten.«4 Hier wird zum ersten Mal auf das Karmagesetz in Verbindung mit der Reinkarnation hingewiesen. Wir werden entsprechend unserer Taten (Karma) in ein erfreuliches oder unerfreuliches Leben hineingeboren. Und die Chandogaya-Upanishad erklärt noch detaillierter: »Die auf Erden einen guten Lebenswandel führten, werden in einen erfreulichen Mutterschoß hineingeboren. (…) Die aber einen stinkenden Lebenswandel führten, werden in einen Hundeschoß oder in einen Schweineschoß eingehen.«4 Öfter finden wir in den Upanishaden den Hinweis, dass man aus karmischer Verfehlung als Tier wiedergeboren werden kann.

Der Gott Vishnu bildet mit Brahma und Shiva die Dreifaltigkeit der indischen Götterhoheit. Er ist mehrmals in verschiedenen Gestalten inkarniert, um der Menschheit zu helfen, doch meist schickt er dabei nur einen Teil von sich in eine irdische Manifestation. Die Priester haben es verstanden, allen Anhängern von Stammesreligionen, die noch ein Tier oder eine lokale Gottheit anbeteten, zu erklären, dass diese eine Manifestation Vishnus seien. Somit konnten sie im Laufe der Jahrhunderte die meisten der verschiedenen Glaubensvorstellungen unter ihre drei Götter-Oberhoheiten zusammenfügen. Vishnus zwei berühmteste Inkarnationen sind Rama und Krishna. Aber auch in sie schickt er nur einen göttlichen Teil von sich hinein, was jedoch die Hindus nicht davon abhält, in ihnen Vishnu zu sehen und zu verehren. Krishna, als Emanation von Vishnu, wurde im Übrigen wie Christus von einer unbefleckten Frau geboren.

Die Mahabharata, wohl zu der Zeit entstanden, als Homer um 700 vor unserer Zeit die Ilias schrieb, ist umfangreicher als die gesamte Bibel. In dieses Epos ist wohl zweihundert Jahre später die Bhagavad Gita (das Lied von Bhagavad) integriert worden. Der als Krishna reinkarnierte Gott Vishnu übernimmt für den Schlachten führenden Fürsten Arjuna (Bhagavad) die Zügel auf dessen Streitwagen.

Als Wagenlenker erklärt er ihm die höheren Wahrheiten über Reinkarnation und Karma. So sagt er Folgendes: »Jedem, der geboren wurde, ist der Tod gewiss, und jemandem, der gestorben ist, ist die Geburt gewiss.« Weiter: »Wie ein Mensch alte Kleidungsstücke fortwirft und neue anzieht, ebenso tritt der Bewohner des Körpers, nachdem er seine alten sterblichen Gestalten verlassen hat, in andere ein, die neu sind.« Und über sich als Gott erklärt er ferner: »Sowohl ich als auch du sind durch viele Geburten hindurchgegangen! Die Meinigen sind mir bekannt, aber du weißt nichts von deinen. Ich erzeuge mich selbst unter den Geschöpfen (…) wann immer es einen Niedergang der Tugend und ein Aufkommen von Laster und Unrecht in der Welt gibt. Und so inkarniere ich mich von Zeitalter zu Zeitalter, um die Gerechten zu schützen, die Bösen zu vernichten und Rechtschaffenheit wiederherzustellen.«5

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Vishnu mit seinen vielen Manifestationen
Vishnu ist der Gott, der als Erhalter der Welt hin und wieder einen Teil von sich in menschlicher Form inkarnieren lässt, um die Ordnung wiederherzustellen
.

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Vishnu bringt Krishna, seine Emanation, ausgesuchten Eltern.

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Krishna als Wagenlenker.
»Ich inkarniere mich von Zeitalter zu Zeitalter.«

Doch derjenige wird von dem
Rad der ewigen Wiederkehr entbunden,
»der mit aller Macht kämpfend die
Vollkommenheit aufgrund von
Bemühungen erreicht, die er viele
Leben hindurch fortsetzte.«
5

Die Bhagavad-Gita sollte weiterhin das Herzstück des indischen Glaubens bleiben und nicht nur den Geist der Inder, sondern späterhin auch jenen vieler Europäer und Amerikaner beflügeln.

Bei all diesen hehren Gedanken der indischen Religionslehre, darf man nicht außer Acht lassen, dass die Arier, die Indien vor wohl fünftausend Jahren besiedelten und die die Ureinwohner unterwarfen, diese in die unterste soziale Schicht einordneten und sie gar als Ausgestoßene und Unberührbare betrachteten, sodass jemand, der zu einer der vier arischen Kasten gehörte, nicht einmal von deren Schattenwurf berührt werden durfte. Die negative Seite des Karmagedankens besteht darin, dass man jenen, die von Armut, Schicksalsschlägen und Krankheiten betroffen sind, nachsagt, dass sie aus karmischen Gründen für Taten, die sie in einem früheren Leben begangen haben, nun bestraft würden. Und dementsprechend darf man solchen keine Hilfe anbieten, da man ansonsten in deren zu durchleidendes Karma eingreift. So geschieht es selbst heute noch in Indien, dass jemand auf der Straße verletzt oder tot umfällt, und nahezu ein jeder geht teilnahmslos an diesem vorbei.

Einer der Gründe, warum Hindus kein Fleisch essen, besteht zudem darin, dass man glaubt, in dem Tier stecke die wiedergeborene sündenbeladene Seele eines verstorbenen Menschen.

Der große indische Dichter Kalidasa (wörtlich: Diener der Göttin Kali) lebte um das Jahr 400. Von ihm stammt das Bekenntnis: »Der Tod ist eigentlich eine Pause der Erquickung, so wie die Nachtruhe vor dem nächsten Lebensmorgen, an dem du mit frischer Kraft und munterem Mute deine unvollendete Arbeit wieder aufnimmst, um nach und nach die Vollendung zu erlangen.«

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Inkarnationen einer Seele bis zum Weisen, der die letzte Inkarnation erreicht hat.

Der Tod ist eigentlich eine Pause der Erquickung.

Die Balinesen haben trotz der Islamisierung Indonesiens die hinduistische Tradition beibehalten. Der Glaube an die Reinkarnation ist dort etwas Selbstverständliches, und am elften Tag nach der Geburt eines Kindes geht die Mutter zu einem Medium und lässt sich sagen, wer von ihren verstorbenen Familienmitgliedern oder Bekannten jetzt im Körper ihres Neugeborenen zurückgekehrt ist.

Die in Tücher eingewickelten Leichen werden zum Verbrennungsplatz gebracht, wo die von Frauen auf dem Kopf herbeigetragenen Gaben mit verbrannt werden. Man will den Verstorbenen durch diese Gesten zeigen, dass man sie ehrt, und sie dadurch bewegen, wieder als Neugeborene zu ihrer Familie zurückzukehren.

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Das Rad der Wiedergeburt, altindisches Relief Man bleibt so lange an das Rad der ewigen Wiedergeburt gebunden und hat so lange die Folgen seiner Taten als Karma zu tragen (samsara), bis man auf Erden die Vollkommenheit erreicht hat.

2. Der Jainismus

Im sechsten vorchristlichen Jahrhundert wurden in den verschiedensten Ländern große spirituelle Meister geboren. In China war es Konfuzius, bei den Griechen Pythagoras (und etwas später Sokrates) und bei den Indern Buddha und Mahavira (großer Held). Letzterer mit dem Namen Vardhamana wurde als Sohn eines Großgrundbesitzers der Kriegerkaste in Patna geboren. Mit dreißig verließ er Frau und Tochter. In einem Wald, in dem er sich niedergelassen hatte, riss er sich nach längerer Fastenzeit die Haare aus, legte alle Kleidungsstücke ab und lebte fortan zwölf Jahre unter Kasteiungen aller Art wie ein Büßer, bis er unter einem heiligen Baum die Allwissenheit errang und herausfand, wie man aus dem ewigen Rad der Wiedergeburt auszusteigen vermag. Seine Lehre befolgten viele Anhänger. Als er mit zweiundsiebzig Jahren verstorben war, gab es viele weiß gekleidete Mönche und Nonnen, die seine Philosophie in allen Gegenden verbreiteten. Einige seiner Jünger lebten mit ihm völlig nackt. Neben dem Gebot der Gewaltlosigkeit, der Mäßigung und der sexuellen Einschränkung lehrte Mahavira, dem der Ehrenname Jain (Sieger) zugedacht wurde, vor allem die Reinkarnation in Verbindung mit dem Karmagesetz.

Wie auch die Begründer des Buddhismus und des Christentums hinterließ Mahavira keine selbst verfassten Schriften, sondern seine Botschaften wurden erst später auf der Basis von mündlichen Überlieferungen zu Grundtexten zusammengestellt. »Es ist«, wie der Indologe H. Zimmer sag,6» eine Philosophie des Pessimismus. Der Kreis der Wiedergeburten in der Welt ist endlos, voller Leiden ohne Sinn. (…) Immer wird der Mensch weiter durch die vielfältigen Bereiche flüchtiger Freuden und unerträglicher Qualen kreisen, wenn es ihm nicht irgendwie gelingt, sich selbst zu erlösen«, und zwar durch «lange, heldenhafte Prüfungen und fortschreitende Selbstverleugnung.« (Wie diese Prüfungen verwirklicht werden, habe ich bei den Svetamber Jainas miterlebt.7)

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Noch heute ziehen die Jain-Mönche in ihren weißen Gewändern und dem Schutzband vor dem Mund, um nicht aus Versehen Insekten zu verschlucken, quer durch Indien und predigen Ahimsha (Gewaltlosigkeit).

In einem der alten Texte heißt es:

Wer den guten oder schlechten Samen
in die Schicksalserde hat gestreut,
wird auch gute oder schlechte Früchte
wieder ernten in der Reifezeit.7

Die Seele muss sich also hüten, sich in der Welt der Versuchungen nicht vom karmischen Ausgleichsgesetz einfangen zu lassen. Die guten wie auch die schlechten Taten, Gedanken und Verhaltensweisen sind wie Atome, die sich in der Seele festsetzen.

Nur durch Enthaltsamkeit, Vegetarismus, Rechtschaffenheit, Barmherzigkeit und Mitgefühl (auch für die Tiere) kann man die negativ aufgesammelten karmischen Korpuskeln in seiner Seele ausgleichen, um irgendwann vom Rad der Wiedergeburt befreit zu sein und Moksha (Erlösung) zu erreichen.

Die Jainas verfügen über das ausgetüfteltste Karmasystem, das sich von der hinduistischen Karmalehre insofern unterscheidet, als die Funktionsweisen des Karmas materiellen Strukturen unterliegen, während das von den Veden abgeleitete System das Einwirken des karmischen Geschehens rein immateriell darstellt. Die Wiedergeburt als Mensch oder Tier vollzieht sich nach der Vorstellung des Jainas innerhalb von neunundvierzig Tagen. Schlechte Taten können sogar zur nachtodlichen Hölle führen, jedoch ist es keine ewige wie bei den Katholiken, sondern eine vorübergehende. Der in der Hölle Gepeinigte kann dort seine schlechten Taten abbüßen und befreit von Karma ein neues Leben beginnen.

Der Jainismus hatte sich bis in das achte Jahrhundert stark verbreitet und erlebte seine Blütezeit parallel zum Buddhismus um dreihundert nach Christus. Viele Tempel zeugen noch von dieser Zeit. Heute dürften in Indien nur noch knapp eine Million Anhänger dem Jainismus angehören.

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In der Stadt Palitana im Staate Gujurat gibt es auf zwei parallel ansteigenden und sechshundert Meter hohen Hügeln 863 Tempel der Jains.

3. Der Buddhismus

Gautama, der Buddha (der Erwachte/Erleuchtete) (550–480 v. Chr.), so nannte man ihn späterhin, wurde als Königssohn Siddharta im Süden Nepals geboren. Da ein Weiser seinem Vater verkündete, dass sein Sohn das Leid der Welt ergründen und daher der Thronfolge entsagen würde, wurde er von der Außenwelt isoliert. Doch als Siddharta das Leid der Menschen mit eigenen Augen sah, verließ er den Königshof und seine schwangere Frau und zog sich meditierend in die Einsamkeit zurück.

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Die Geburt Buddhas als eine inkarnierte Manifestation Vishnus. Links verneigt sich sogar Shiva vor ihm.

Im Unterschied zu der vedischen Lehre verwarf Buddha den Gedanken der Reinkarnation einer individuellen Seele in einen erneuten Erdenkörper. Vielmehr hatte man sich die Reinkarnation so vorzustellen, dass eine jede Seele, einem Kerzenlicht gleich, von ihrem Seelengut etwas Licht an eine andere Seele weitergibt, dass also das Kerzenlicht einer Seele den Docht einer anderen Kerze mit ihrem Licht entzündet. So übernimmt eine neugeborene Seele das Seelengut samt den karmischen Aufladungen einer anderen Seele, sie ist zugleich jene andere – und ist es doch wiederum nicht. Diese Kette von Lichtübertragung kann erst dann ein Ende finden und somit aus der Welt des ewigen Erleidenmüssens befreit werden, wenn es gelingt, dieses Licht auszulöschen. Hat der letzte Lichtträger dieser Lichtseelenverkettung das Licht zu löschen vermocht, dann löst sich das Seelengut auf und vereinigt sich mit dem rein geistigen Zustand im unendlichen Nirvana.

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Buddha begegnet einem Greis, einem Kranken, einem Leichnam und einem Mönch. Hier lernt er zum ersten Mal das Leid der Menschen kennen.

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Buddhatempel mit Mönch auf der Insel Lipe/Thailand

Das Leben an sich hat in der Welt des ewigen Leidens keinen eigentlichen Sinn. Sinn erhält es nur, wenn man allzeit bestrebt ist, sich vom Rad der Wiedergeburten und von seinem Karma zu befreien.

Das Karmagesetz ist ihm bestens vertraut: »Eines jeden Leben ist das Ergebnis seines vorangegangenen. Die ehemaligen Fehler wirken sich jetzt als Leid und Schmerzen aus, während die einstigen guten Taten nun ihren Segen tragen

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Ein weiblicher Bodhisattva in einem chinesischen Tempel. Bodhisattvas sind nahezu in jedem buddhistischen Tempel zu finden. Sie sind jenseitige oder reinkarnierte Heiligengestalten, die man um Schutz und Beistand ersuchen kann.

Diese Lehre von der unpersönlichen beziehungsweise teilpersönlichen Reinkarnation war vielen Menschen, die sich zum Buddhismus bekehren ließen, zu kompliziert, zumal Buddha auch darauf beharrte, dass der Mensch auch ohne Götter oder gar einen alles beherrschenden Gott auskommen könne, verneinte er doch deren Existenz beziehungsweise deren oder dessen Eingreifen in das Weltgeschehen. Wir Seelen entstammen dem Nirvana, einer form- und zeitlosen Leere des reinen Geistes, und es muss unser Bestreben sein, wieder dorthin, von allen leidvollen Seelenlasten befreit, zurückzukehren.

Wie Mahavira hatte auch der erleuchtete Buddha keinerlei eigenes Schrifttum hinterlassen. Erhalten geblieben sind 547 Geschichten, die Buddha seinen Schülern erzählte, die sie wohl bald nach seinem Tod in der Pali-Schrift festgehalten haben. Trotzdem dürften viele direkte Unterweisungen verloren gegangen sein. Auch entstanden oft erst einige Jahrhunderte später Schriften, die sich auf mündliche Überlieferungen beriefen. So finden sich in den vielen buddhistischen Schriften oft erhebliche Widersprüche. In der einen heißt es, dass man als Mensch niemals als Tier wiedergeboren werden könne, in einer anderen lesen wir das Gegenteil.

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Guru Padmasambhava, Namchi/Sikkim
Er war ein indischer Buddhameister und brachte im achten Jahrhundert den Buddhismus und damit die Reinkarnation nach Tibet
.

Willst du die Vergangenheit eines
Menschen kennen, betrachte seine
gegenwärtige Situation.
Willst du die Zukunft eines
Menschen kennen, betrachte seine
gegenwärtigen Handlungen.