Hunting Hope 1

Hunting Hope

Zerbrochene Herkunft

Teil 1

 

Jacqueline Mayerhofer

 

Impressum

 

Originalausgabe

© 2018 in Farbe und Bunt

 

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

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Herausgeber: Mike Hillenbrand

verantwortlicher Redakteur: Björn Sülter

Lektorat und Korrektorat: Lisa Reim

Cover-Gestaltung: Grit Richter

E-Book-Erstellung: Grit Richter

Kapitel 1

 

Intergalaktische Standardzeitrechnung: 7213 – Minus sieben Jahre

Gehlia, Hauptplanet der Intergalaktischen Ordnung

 

Sie verhandelten bereits seit über einer Stunde. Aber gelöst hatten sie das Problem noch immer nicht. Thandalenia seufzte leise in sich hinein, bewahrte jedoch einen professionellen Ausdruck. Sie hielt ihr Datapad in den Händen und überflog die Protokolle, die zeitgleich während der Sitzung von zwei Androiden aufgezeichnet und allen Teilnehmern übermittelt wurden.

Sie sah wieder auf. Ratsvorsitzender Drundri Gonn des Grogri-Systems saß auf dem größten Stuhl des Besprechungsraumes, der auf einem Podest aufgebaut um einiges höher als die Stühle der anderen Ratsmitglieder war, die sich um den runden Tisch versammelt hatten. Gonn war gerade in ein Gespräch mit Senatsmitglied Eric McNold von der Erde vertieft. Es ging immer noch um diese fremde Gruppierung, die ständig unterentwickelte Planeten angriff. Was sie davon hatte, war bis jetzt unklar. Fakt war allerdings, dass ganze Kolonien verschwanden, wenn diese Truppen zuschlugen. Es gab mittlerweile genügend Augenzeugenberichte über diese abstrusen Machenschaften – Flüchtige, die der Zwangsevakuierung dieser Angreifer sowie ihren Angriffen hatten entkommen können. Sie alle hatten dasselbe erzählt: Kreuzer und Beiboote, die zu einer Armada von Schiffen zu gehören schienen, die einfach aus dem Orbit kamen und sie attackierten. Bodentruppen, die ganze Kolonien zu Gefangenen machten und an Bord ihrer Kreuzer holten. Ob es sich um einfache Weltraumpiraten handelte oder um ein organisiertes Verbrechersyndikat war strittig. Thandalenia tendierte sehr stark zu letzterem.

Einfach hier herumzusitzen und nichts zu unternehmen war deshalb töricht. Vor allem, wenn sie bedachte, welche nächsten Ziele sie sich errechnet hatten. Allesamt unterentwickelte Planeten, deren Zivilisationen Potenzial zeigten, um für die Intergalaktische Ordnung sowie ihrem laufenden System wichtig zu werden, eines Tages vielleicht so weit zu sein, ihre Stellvertreter in den Senat entsenden zu können. Wieso saßen sie dann hier und …

»Botschafterin Lintine?«

Thandalenia ließ sich ihren Verdruss nicht anmerken, sah auf zu Ratsvorsitzenden Gonn.

»Welches Ziel ist Eurer Meinung nach am wahrscheinlichsten?«

Alle Blicke der im Ratsraum Anwesenden wanderten erwartungsvoll zu ihr. Allesamt Repräsentanten diverser Planeten, die mit dem Rat und dem Senat in Verbindung standen.

Thandalenia räusperte sich leise, legte das Datapad auf den Tisch und sah betont ruhig in die Runde. »Ich kann nur Mutmaßungen anstellen, werte Kolleginnen und Kollegen. Auf Mutmaßungen allerdings ernste Entscheidungen zu stützen, könnte fatal ausgehen.«

»Eure Spezies ist für ihre hervorragende Intuition bekannt. Wir vertrauen Euch, Botschafterin.«

Und genau das war der Grund, wieso sie Ratssitzungen hasste. Sie wollte nicht die Verantwortung, die mit ihren Entscheidungen und Ratschlägen einherging, allein auf ihren Schultern tragen müssen.

»Das mag schon stimmen, doch wage ich zu behaupten, dass durchaus ein Grund existiert, wieso es von meinem Volk nur noch so wenige gibt. Im Beisammensein aller Mitglieder: Bitte lassen wir den Aspekt meiner Herkunft außen vor.«

Stille erfüllte den Raum. Manche der Anwesenden – Tungraris, Pellins, Menschen, Windringors, kaum noch als solche erkennbare Humanoiden sowie entsandte Androiden – taten plötzlich so, als würde sie etwas unheimlich Wichtiges ablenken. Nur Ratsvorsitzender Gonn taxierte Thandalenia. Er gehörte der Spezies der Pellin an. Eine vom Körperbau her menschenähnliche Rasse, übersät mit Fell, aus dem stellenweise Schuppen hervorblitzten. Zwei große Ohrenpaare zierten seinen Kopf, die spitz zusammenlaufend in die Höhe standen, dazu Augen, die hellviolett leuchteten.

»Ein berechtigter Einwurf, Botschafterin. Doch ich frage noch einmal: Ihr kennt den Entwicklungsplan für die Planeten, die wir dazu auserkoren haben, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt zu erlangen. Welcher der zwölf wäre am wahrscheinlichsten das nächste Ziel der Verborgenen?«

Die Verborgenen. Ja, so hatte man sie ratsintern schnell genannt. Exakt seit sieben Monaten griff diese Gruppierung in unregelmäßigen, unberechenbaren Abständen an. Jedes Mal Planeten, die neben ihrem Entwicklungspotenzial zusätzlich auf der Liste des Rats standen. Doch diesem war es noch kein einziges Mal gelungen, ein Mitglied der Verborgenen zu ergreifen. Entweder lösten sie den Selbstzerstörer der vom Rat gekaperten Schiffe aus, oder sie verübten vor Gefangennahme Suizid. Selbst ihre Leichen lieferten keinerlei Hinweise darüber, wer sie sein konnten, da es sich nicht um eine Spezies im Speziellen, sondern um verschiedene handelte. Es gab einfach keine Lücken in ihrer Vorgehensweise. Gab es dafür eine im Rat?

Thandalenia dachte lieber wieder an Gonns Frage. Einen Moment lang ging sie in sich, schloss ihre Augen und baute in ihrem imaginären Gedächtnispalast eine Karte der betroffenen Systeme auf. Zwölf Planeten, dazugehörige Monde und nahe Raumstationen. Flugrouten sowie jeweiliger Entwicklungsstand. Zeitpläne, wann in welchen Ratssitzungen besprochen wurde, welche der Planeten Vorrang hatten und welche nicht. Was nach außen hin bekanntgegeben wurde, was nur dem internen Wissenskreis zugänglich war.

Vier rückten in den Vordergrund. Gedanklich zoomte sie diese näher heran, berechnete den Entwicklungsstand der dortigen Kolonien, Rohstoffe und sonstige Ressourcen, die sie ihnen bieten konnten. Zwei schieden wieder aus.

Langsam öffnete sie ihre Augen. Sämtliche Anwesenden konzentrierten sich auf sie.

»Als wahrscheinlichstes Ziel erachte ich den Planeten Ellia im Dornschwanzsystem. Dicht gefolgt von dem etwas kleineren Syndia im Ringkreisgürtel.«

Erneut trat diese drückende Stille ein, die auf ihre Worte hin stets folgte, bis sämtliche Ratsmitglieder untereinander zu tuscheln begannen.

»Ja, das klingt logisch.«

»Ellia! Darauf hätten wir früher kommen können.«

»Ist es nicht unsere Aufgabe auf Ellia, den Rohstoffabbau zu kontrollieren, ein intaktes und fortschrittliches Wirtschaftssystem mit galaxieweitem Kontakt zu installieren?«, fragte eine Frau mit hellgrüner Haut und Kiemen unterhalb des Kiefers in das Stimmgewirr der Anwesenden hinein.

»Korrekt. Die Ellianer besitzen eine enorme Intelligenz, die sie nicht völlig ausschöpfen«, antwortete daraufhin Xerrx Hamli, ein Androide in Menschenform. Seine hellen Augen funkelten.

»Wenn wir uns auf diese beiden Planeten – Ellia und Syndia – konzentrieren, könnten wir für den nächsten Angriff der Verborgenen gewappnet sein, ihnen zuvorkommen. Beide Planeten verfügen über große Kolonien.«

Thandalenia nickte und wandte sich dann demonstrativ an Ratsvorsitzenden Gonn. »Welche Vorgehensweise schlagt Ihr vor?«

Der Pellin lächelte, wobei sich die lefzenartigen Lippen nach oben zogen. »Ich würde vorschlagen, zwei Ratsmitglieder jeweils als Oberhaupt der Entwicklungsförderungsmaßnahmen zu diesen Planeten zu entsenden. In Begleitung eines Bataillons der besten Krieger. So können wir eine geringere, aber effektivere Anzahl entsenden, die weniger Aufmerksamkeit erregt als einfache Soldaten, die lediglich durch Quantität strotzen.«

Thandalenia nickte. »Wir können Überwachungssysteme an den Außenrändern der Kolonien installieren. Zusätzlich einige Satelliten im Orbit, die näherkommende Raumschiffe scannen und der Zentrale übermitteln.«

Gonn runzelte kurz die Stirn. »Das ist mein Plan.« Der Pellin stützte sich auf dem Tisch ab und sah in die Runde. Zuletzt blieb sein Blick wieder auf Thandalenia haften. Es gab viele Legenden und Sagen, was ihre Spezies betraf. Die meisten davon waren Märchen, vieles davon stimmte allerdings. Sie war nicht nur für ihre außerordentliche Intelligenz bekannt, sondern auch für ihr Vorstellungsvermögen, das beinahe die Berechnungsgabe einer künstlichen Intelligenz besaß. Diese grafischen Denkvorgänge, die auf räumlichen, vor allem aber mentalen Ebenen stattfanden und für sie so selbstverständlich waren, waren für andere Spezies fremd und unvorstellbar. Deswegen waren sogar Theorien darüber entstanden, sie selbst wäre teils künstlich, teils lebendig – berichteten davon, dass es sich bei Thandalenias Rasse um eine künstliche Intelligenz handelte, die in biologische Körper eingepflanzt worden war. Andere Legenden gingen sogar so weit zu behaupten, ihr Volk habe lange vor der ersten intelligenten Lebensform existiert und anderen Völkern erst bei deren Entwicklung geholfen. Das war jedoch Unsinn. Weder waren sie Cyborgs noch allen anderen Spezies überlegen. Sie waren einfach anders. Interessant war allerdings die Göttertheorie, die besagte, ihr Volk bestünde aus Kindern verschiedener Gottheiten. Manche dieser Sagenkreise erzählten, dass es sich um Nachkommen, also geborene Kinder dieser Götter handelte. Nun, in jeder Legende steckte ein wahrer Kern.

Thandalenia war sehr geschätzt, wenngleich es sie störte, dass dies nicht nur auf ihren Taten beruhte, sondern auch auf ihrer seltenen Herkunft. Dennoch ließ sie sich von ihren Gedanken wieder nichts anmerken, hatte damit umzugehen gelernt.

»Botschafterin Lintine, ich entsende Euch als Oberhaupt der Förderungsoperation auf den Planeten Ellia.« Gonns Aufmerksamkeit richtete sich auf McNold. »Und Euch entsende ich mit derselben Aufgabe nach Syndia. Bereiten wir alles so schnell wie möglich vor.«

Zustimmung raunte durch den Raum, danach wurde es lauter, da jedes Ratsmitglied sich erhob und sein Datapad an sich nahm. Es folgte die übliche Verabschiedung, dann strömte die Menge schließlich Richtung Ausgang.

Thandalenia war irritiert. Dass sie diese Mission leiten sollte war ungewöhnlich, hatte sie doch eher die beratende Position inne. Aber der Rat wusste schon, was er tat – dachte sie jedenfalls. Erfahrungsgemäß war das allerdings nicht immer so, denn Gonn vertraute ihr zwar, war jedoch von all den Märchen über ihr Volk eingenommen. Er konnte es nicht lassen, sie immer wieder auf die Probe zu stellen, abzuwarten, wann sie – die vermeintlich fehlerfreie Lebensform – endlich scheiterte. Dass das nicht gerade ihrem Vorhaben diente, lag auf der Hand.

Gerade als sie sich mit einem Nicken von Gonn verabschiedete und zur Tür ging, eilte ihr der Androide von zuvor hinterher.

»Botschafterin, habt Ihr eine Minute?«, fragte Xerrx Hamli. Er arbeitete für das Volk der Sgr’indra, das aussah wie schwarze Quallen mit langen Beinen. Aufgrund atmosphärischer Bedingungen konnten sie ihren Planeten nicht verlassen. Sie bildeten eine Art Planetenkollektiv mit ihm, das für eine Verbindung sorgte, die es ihnen nicht ermöglichte, ohne ihn zu überleben. Wieso sie sich allerdings für einen Androiden, der wie ein Mensch aussah, als Vertreter entschieden hatten, war Thandalenia schleierhaft. Aber was ging es sie schon an.

»Gouverneur Hamli?«

Hamli schloss zu ihr auf. »Darf ich Euch auf Eurer Mission begleiten?«

Thandalenia unterdrückte den Impuls eine Augenbraue hochzuziehen, während sie den Ratssaal verließen und draußen den Korridor entlanggingen. »Das obliegt nicht meiner Entscheidungsgewalt, Gouverneur. Darf ich fragen, wieso die Mission für Euch so interessant ist?«

»Die Ellianer sind eine besondere Spezies, Botschafterin. Ich meine zu behaupten, dass wir von ihnen noch viel lernen können, auch wenn sie zu jenen Zivilisationen gehören, deren Entwicklung wir fördern sollen.«

Thandalenia legte den Kopf schief. »Da stimme ich Euch zu. Besprecht das bitte mit dem Ratsvorstand. Wenn er Euren Wunsch bewilligt, heiße ich Euch gerne auf meiner Mission willkommen. Doch seid Euch darüber im Klaren, dass diese mehrere Monate in Anspruch nehmen kann.«

»Ich weiß. Danke, Botschafterin.«

Xerrx Hamli verbeugte sich leicht, danach bog er in einen Seitengang ein und verschwand. Der Androide war ihr bereits öfter mit seinem zu neugierigen Verhalten aufgefallen, aber um ehrlich zu sein wusste sie auch nur wenig über die Sgr’indra. Oder besaß er gar ein Eigenleben, das ihn zu dieser Charaktereigenschaft trieb? Philosophische Gedanken, die nicht von Belang für Thandalenia waren. Stattdessen ging sie den langen Korridor des Ratsgebäudes entlang und stieg irgendwann in einen der zahlreichen Aufzüge, der sie mehrere Stockwerke hinauf brachte, um dort in ihr Shuttle zu steigen, das sie zu ihrem Büro in die oberen Ebenen der industriellen Stadt fahren würde.

Irgendwie freute sie sich auf die Mission, denn lange hielt sie es auf Gehlia nie aus.

 

Kapitel 2

 

Intergalaktische Standardzeitrechnung: 7213/ 7214 – Minus sieben/ Minus sechs Jahre

Ellia, Planet im Dornschwanzsystem

 

Knappe zwei Monate befand sich Thandalenia Lintine bereits auf Ellia. Gouverneur Hamli hatte Recht behalten. Nicht nur, dass er nun in einer der angrenzenden Kolonien tätig war und mit den Einheimischen bestens Konversation trieb, ihnen die Standardsprache immer näherbrachte – die sie zwar gebrochen sprachen, ihr Dialekt dabei jedoch stark ausgeprägt war –, sie hatten sich auch als erstaunlich lernfähig erwiesen und zugleich als überaus freundlich. Die Ellianer waren groß, plump, muskulös und besaßen kürzere Glieder als Menschen, wenn Thandalenia sie mit Hamli verglich. Sie hatten auffällig dunkelbraune Haut und ebenso dunkles Haar. Die Fangzähne in Ober- und Unterkiefer waren zwar sehr offensichtlich, erweckten jedoch keinen gefährlichen oder animalischen Eindruck. Abgesehen von diesen Besonderheiten, sahen die Ellianer sehr menschenähnlich aus.

»Lenia?«, fragte eine Stimme aus dem Hintergrund, die Thandalenia hochschrecken ließ. Sie saß derzeit im Außenquartier der Beta-Kolonie, über ihren Unterlagen brütend, während draußen Ellianer und Soldaten geschäftig sämtlichen Erledigungen nachgingen.

Thandalenia neigte den Kopf zur Seite, um Frin Wilari begrüßen zu können. Der Ellianer stand etwas unsicher vor ihr, hatte nicht angeklopft und war einfach in den kleinen Raum getreten. Das Quartier war zwar mit stabilem Feldzeltmaterial umhüllt, besaß aber trotzdem eine Tür, die festeres Material zum Bemerkbarmachen bot, wenngleich sie immerzu offen stand.

Frin lächelte, wodurch er seine Zähne bleckte und die schwarzen Augen mit den funkelnden grünen Elementen darin vor Emotionen sprühten. Er stand mitten in Thandalenias Lager, trat von einem Fuß auf den anderen. Sie lächelte ebenso. Frin war ihr mit der Zeit ans Herz gewachsen, obwohl sie sich zu Beginn ihrer Mission noch dagegen gewehrt hatte. Doch irgendwie hatte er sie dazu gebracht, ihre Blockaden aufzugeben und ihm eine Freundschaft zu gewähren, wie sie seit unzähligen Jahren keine mehr eingegangen war. Denn wenn man im Rat arbeitete, boten Freunde immer ein gewisses Risiko, gegen einen selbst verwendet zu werden. Und sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass andere ihretwegen litten.