Andreas Pacek geht bei der Streetfotografie gerne auf die Menschen zu. Er liebt das Freistellen von Motiven, die Konzentration auf Details, Linien und Flächen im Bild und das Spiel mit dem Licht. Die Ergebnisse seiner fotografischen Exkursionen zeigt Pacek in Ausstellungen und Büchern. Seine beruflichen Schwerpunkte liegen heute in der Landschafts-, Industrie- und Auftragsfotografie und in der Fotokunst.
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Autor: Andreas Pacek
Herausgeber: Ulrich Dorn
Programmleitung, Idee & Konzeption: Jörg Schulz
Satz: Nelli Ferderer, nelli@ferderer.de
Covergestaltung: Götz Waibel
ISBN 978-3-645-60554-0
eISBN 978-3-645-22456-7
1.STREETFOTOGRAF RELOADED
Wer ist ein Streetfotograf?
Bin ich kein Streetfotograf?
Angst blockiert den Auslöser
Das Recht am eigenen Bild
Knipser und das böse Internet
Überwinde deine Ängste
Bewahrer der Vergangenheit
2.STREET À LA DEFINITION
Ungestellte Szene im öffentlichen Raum
Frage ich, oder frage ich nicht?
Mit oder ohne Menschen?
Street versus Reportage
Ethik und eine Prise Humor
Weitere wichtige Faktoren
Einsatz bestimmter Brennweiten
Schwarz-Weiß oder Farbe
Durchgehende Bildschärfe
Was Ist Streetfotografie?
3.RECHT: WAS IST ERLAUBT?
Interview mit Sebastian Deubelli
Die rechtliche Lage im Ausland
4.STREET: INSPIRATION
International bekannte Fotografen
Henri Cartier-Bresson
Elliott Erwitt
Vivian Maier
Bruce Gilden
Eric Kim
Forrest Walker
Thomas Leuthard
Streethunters.net
Interview mit Spyros Papaspyropoulos
Streetfotografen in Deutschland
Soul of Street
Interview mit Marc Barkowski
Fabian Schreyer
Martin U Waltz
Siegfried Hansen
5.STREET IN DER PRAXIS
Nicht auffallen! – Sei ein Tourist
Fotografiere etwas anderes
Ein Schwenkdisplay hilft
Passende Motive finden
Gebäude und Graffiti als Hintergrund
Geduld wird oft belohnt
Dauerfeuer als Notlösung
Tiere und Menschen
Volksfeste und Events
Konzentrierter Bildausschnitt
Menschen auf großer Bühne
Stilmittel Bewegungsunschärfe
Die Kamera mit der Bewegung mitziehen
Spiegelungen einbeziehen
Motive verschmelzen lassen
Porträts und Begegnungen
Notwendigkeit von Bildserien
6.HERAUSFORDERUNG BILDGESTALTUNG
Linien als Stilmittel
Position des Hauptmotivs
Schärfe, Freistellen und Bokeh
Keine halben Sachen
Spiel mit Farben und Mustern
Augenhöhe und wechselnde Perspektiven
Alles Störende ausblenden
Licht und Wetter
7.KLEINES TECHNIK-ABC
Die Kamera ist immer dabei
Faktoren für die Wahl der richtigen Kamera
Brennweiten im Vergleich
Die Sache mit dem Cropfaktor
Begrenzung auf eine Brennweite?
AF-S, AF-C, M oder Zonenfokus
Halb automatisch oder manuell
Blitzen mit Bedacht
Schwarz-Weiß versus Farbe?
8.SPRUNG INS KALTE WASSER
Warm werden in Lindau
Neuer Anlauf in Frankfurt am Main
Altweiberfastnacht in Köln
Viva la Revolution auf Kuba
Sofortbildkamera im Einsatz
Gegenwind in Hamburg
Grachtenstadt Amsterdam
Lagunenstadt Venedig
Halloween im Rheinland
Eine tolle Zeit in Paris
London im kühlen Januar
Auf der Durchreise in Lüttich
Porto ist eine Reise wert
9.ZWISCHEN KRISE UND AUFBRUCH
Index
Bildnachweis
2003, ich bin beruflich in München unterwegs zu einem Kongress. In der U-Bahn-Station höre und sehe ich einen Straßenmusiker mit seinem Akkordeon direkt neben dem hintergrundbeleuchteten Filmplakat von Matrix Reloaded. Die Digitalfotografie befindet sich noch in ihren Anfängen. Im Rucksack habe ich eine 3-Megapixel-Kamera, eine Nikon Coolpix 995, dabei. Es ist zwar für diese Kamerageneration ziemlich dunkel, ich schaffe es aber, ein paar Bilder zu schießen, bevor mich der Musiker bemerkt. Seine ängstliche Reaktion ist: Policia, Policia? Er hat Angst, er ist wahrscheinlich illegal unterwegs oder wurde schon vorher von der Polizei verscheucht. Wie passend ist das Plakat neben ihm! Gefangen in der Matrix, im Leidensdruck, täglich Geld zu verdienen und zu überleben. Aber auch in der Angst vor Entdeckung und Ausweisung.
Das ist Streetfotografie: interessante Szenen im öffentlichen Raum. Szenen, die Raum geben für Geschichten, die den Betrachter nachdenklich machen und faszinieren. Ich frage mich heute noch: Wo kam der Musiker her? Wo lebt er jetzt, und wie mag es ihm gehen?
Streetfotografie ist eines der spannendsten fotografischen Genres. Aber vor allem in Deutschland ist es auch eines der am häufigsten kontrovers diskutierten fotografischen Themengebiete.
Wir sind keine Streetfotografen! Bähm, keine Diskussion!
Mit diesen Kanonenschlägen würgt mich mein Kollege ab. Wir haben vor zwei Jahren das Buch »Reise und Reportage« geschrieben. Da gab es auch einen kurzen Ausflug in das Thema Streetfotografie. Dabei diskutierten wir, ob das Thema ausreichend Stoff für ein komplettes Buch hergeben könnte. Obwohl mein Kollege einige schöne Streetfotos besitzt, dazu noch analog fotografiert, ist seine Meinung eindeutig: Er ist aus dem Thema raus.
Ich fange an zu grübeln und durchsuche meine Festplatten. Ich finde diverse Fotos aus Ländern wie England und Italien, aber auch aus exotischen Ländern wie Peru und Äthiopien in meinem Portfolio. Manche nah dran, manche mit einem Tele aufgenommen. Ich sehe die älteren Damen im Schatten ihrer Häuser in der alten Stadt Pitigliano sitzen oder den sympathischen Müllmann in Lima. Ich sehe den Straßenhändler aus Addis Abeba, der mir die Droge Kath anbietet, und das Kaugummi kauende selbstbewusste Straßenkind aus Cusco.
Ich finde auch einen alten Diascan. Ein Großonkel wohnte in Zagreb, auf dem Weg zur Adria mit meinen Eltern schauten wir immer ein paar Tage bei ihm vorbei. Im Sommer ist es heiß und stickig. Und vor allem für einen Jugendlichen langweilig. Auf der Straße vor dem Haus ergaben sich aber interessante Einblicke. Mitten auf der stark frequentierten Straße zwischen fahrenden Ladas belud ein älterer Mann im blauen Kittel und trendy Schlappen seelenruhig seinen Hänger mit Kartonagen. Das Bild habe ich 1987 aufgenommen, es hat also schon über 30 Jahre auf dem Buckel.
Das ist für mich Streetfotografie: Menschen auf der Straße, Menschen in Aktion, Spuren von Menschen. Und Menschen im nahen Porträt, ich bin an Menschen interessiert. Ich freue mich, wenn sich die Möglichkeit eines netten Gesprächs ergibt. Mich interessieren Geschichten. Für mich ist Streetfotografie auch ein Stück Völkerverständigung.
Mit der Zeit wurde meine Ausbeute an Streetfotos aber immer weniger. In den letzten Jahren habe ich selbst bei Städtetouren kaum noch Menschen fotografiert, was war mit mir passiert? Warum habe ich immer weniger Streetfotos in meinem Portfolio? Und erst recht kaum noch Fotos aus Deutschland?
Im Jahr 2006 war ich bei der Fußballweltmeisterstadt in halb Deutschland unterwegs und fotografierte die Stimmung bei den Public Viewings. Und mein Lieblingsfoto ist auch aus Deutschland – ein alter, fein gekleideter Herr steht würdevoll mit seiner Honigmelone vor einem Monument am Rhein.
2013 unternahm ich mit meinem Kollegen unsere Würfelreise. Wir setzen uns einfach ins Auto, würfelten Himmelsrichtung und Anzahl der Kilometer aus und fuhren los. Vor Ort sprachen wir Menschen an und fotografierten sie. Es waren aber gestellte Fotos. Zudem machten wir Aufnahmen von der Umgebung. Auf der vorletzten Etappe landeten wir in der tschechischen Bierstadt Budweis. Während mein Kollege noch schlief, war ich bereits früh morgens mit der Kamera unterwegs. Budweis bietet eine schöne Architektur mit engen, verträumten Gassen. An einer Ampel sah ich seitlich eine attraktive Radfahrerin nahen. Jo!, durchfuhr es mich, das wäre doch mal ein schönes Streetfoto. Aber ich war wie gelähmt, ich schaffte es kaum, die Kamera zu halten. Das Ergebnis war ein jämmerliches Foto, das ohne Umwege in den digitalen Mülleimer wanderte.
Was war mit mir los? Ich war wie benommen, ich hatte Angst!
Angst und fehlende Leidenschaft sind die größten fotografischen Blockaden. Ich gebe mir weniger Mühe und verliere meine fotografische Leidenschaft. Ich gebe nicht mehr zwangsläufig 110 Prozent, um das beste Bild in den Kasten zu bekommen.
Aus welchem Grund mache ich mir heute über diese Art von Bildern solche Sorgen? Vor allem, da sich doch ohnehin die ganze Republik in allen möglichen und unmöglichen Situationen mit dem Smartphone selbst fotografiert?
Eine erste Antwort ergeben die Locations meiner Street-Fotos: Es sind so gut wie keine Bilder aus Deutschland mehr dabei. Während ich viele Bilder aus verschiedenen europäischen und nicht europäischen Ländern habe, bin ich dagegen in Deutschland auf eine seltsame Art und Weise blockiert.
Ich kann es schon nicht mehr hören! Deutschland hat ein ganz besonderes Gesetz: »das Recht am eigenen Bild«. Alles ist streng geregelt, nichts ist erlaubt, und zum Lachen müssen wir in den Keller gehen. Während sich fast jeder Mensch mit seinem Smartphone selbst inszeniert und seine guten, aber auch teilweise kompromittierenden Fotos gerne in die sozialen Netzwerke stellt, darf mich bloß kein Fremder fotografieren. Dabei muss ich gestehen, ich fühle manchmal genauso.
Vor ein paar Jahren war ich auf Städtetour in Berlin unterwegs. Am Alexanderplatz stand vor dem Eingang zum Fernsehturm eine Menschentraube an. Ich legte ich mich auf den Boden, um so den Fernsehturm vollständig ins Bild zu bekommen. Einige Besucher fanden es anscheinend lustig, dass ein Freak wie ein Wurm mit seiner Kamera auf dem Boden herumkriecht, und nahmen mich mit ihren Knipsen ins Visier. Ein eifriger Kollege schoss mich dabei aus nächster Nähe ab. Ich war so perplex und fühlte mich meines eigenen Bilds beraubt, dass mir in diesem Moment die Worte fehlten. Ich denke noch heute: Warum habe ich mich nicht beschwert, ich wollte nicht fotografiert werden.
Abgesehen vom rechtlichen Aspekt scheinen die Deutschen besonders muffig zu sein, wenn man seine Kamera auspackt. Während sich die Menschen in vielen Ländern darüber freuen, fotografiert zu werden, gibt es hier schon mal schlechte Stimmung. Manche Kollegen haben auch bereits mit unbeteiligten Passanten Stress bekommen, die sich als Richter aufspielten. Ich erinnere mich an das letzte Oktoberfest. Auf der Rolltreppe runter zur Münchener U-Bahn standen gefühlt 1.000 Menschen. Ich fotografierte während der Fahrt auf der Rolltreppe Weitwinkelbilder mit Menschen in Bewegung. Dutzende von Menschen kamen so aufs Bild, teils verwischt und nicht erkennbar. Dann hörte ich das Meckern: »Sag mal, der fotografiert doch nicht gerade uns?« Eigentlich nicht, denn es fuhr ja ein Pulk aus mehr als 100 Personen auf der Rolltreppe.
Dabei hat das Recht am eigenen Bild einen schon über 100 Jahre alten Hintergrund. Im Jahr 1898 drangen zwei Fotografen illegal in das Zimmer des toten Reichskanzlers Otto von Bismarck ein. Sie fotografierten den toten Kanzler und boten das Bild zum Verkauf an. Im Grunde waren beide Fotografen nichts anderes als übelste Paparazzi. In diesem Zusammenhang kann ich das Gesetz sogar nachvollziehen, die Bilder zeigten einen Menschen ohne jede Würde am Ende seines Lebens. Zu der Zeit gab es bereits Diskussionen zum Bildrecht. Schließlich wurde 1907 das Recht am eigenen Bild in das Kunsturhebergesetz (Kunst-UrhG) integriert.
Im Kapitel »Recht: Was ist erlaubt?« wird die rechtliche Situation detailliert beschrieben.
Mittlerweile ist fast jeder mindestens eine Art Hobbyfotograf. Viele Menschen haben gute Kameras, fast jedes Ziel und jedes Motiv wird millionenfach abgelichtet. Während sich Menschen und speziell Kinder in exotischen Ländern häufig noch freuen, fotografiert zu werden, sind viele bei uns sensibilisiert und befürchten einen Missbrauch der Bilder im Internet. Noch vor knapp 20 Jahren waren digitale Kameras mehr als selten. Fotografiert zu werden, war etwas Besonderes. Fotografierte ein Fotograf damals mit einer analogen Kamera in der Öffentlichkeit, sah man es als nicht so problematisch an. Das Internet befand sich noch in den Anfängen, und die Verbreitung der Bilder war viel geringer. Erst mit der Web-2.0-Welle und den großen Bild- und Social-Media-Plattformen wuchsen die Sorgen um eine negative Verbreitung des eigenen Bilds.
Dieses Credo habe ich bei einem Interview mit Thomas Leuthard gehört, einem Schweizer Streetfotografen. Er hatte seine komplette Freizeit dem Thema Streetfotografie untergeordnet. Ich hätte ihn gern für dieses Buch interviewt, aber leider hat er 2017 mit dem Thema abgeschlossen. Ich habe einige seiner inspirierenden Interviews zum Thema gelesen. Sein Credo ist: »Man braucht keine Angst zu haben.«
Auch die Interviews mit anderen deutschen Streetfotografen mündeten immer in der gleichen Antwort: Wir haben keine Angst, wir kennen das Risiko, und wir gehen entsprechend damit um. Für mich waren diese Gespräche hilfreich, der eigenen Angst bei der Streetfotografie zu begegnen, da ich ein eher zurückhaltender Fotograf bin.
Streetfotos zeigen den Wandel der Zeit wie keine andere fotografische Disziplin. Kleidung und Styling der Menschen ändern sich, die Architektur der Städte erfindet sich stetig neu, und der technische Fortschritt wird immer schneller. Heute kann man in einer Großstadt leider kaum noch Bilder machen ohne Menschen mit Smartphones in der Hand. Bisweilen freue ich mich sogar, wenn wenigstens ein Mensch ohne Smartphone in der Hand unterwegs ist oder sich Menschen angeregt unterhalten. Am besten aber dokumentieren Autos den Wandel der Zeit. Eines der interessantesten Reiseziele ist Kuba, wo noch viele alte US-Straßenkreuzer aus den 1950er-Jahren unterwegs sind – wobei auch dort vor einiger Zeit ein Wandel eingesetzt hat.
In modernen Städten ändert sich das Bild immer schneller. Die Fotografin Vivian Maier sammelte im Laufe ihres Lebens mehr als 100.000 Bilder. Viele zeigen das Leben auf den Straßen von New York und Chicago. Dabei wurden zu ihren Lebzeiten keine Bilder veröffentlicht, erst nach ihrem Tod wurden ihre Fotografien durch Zufall entdeckt. Die Rückschau dieser Bilder ist unglaublich, man hat den Eindruck, in einer Zeitmaschine zurückzureisen. Ohne ambitionierte Streetfotografen wäre uns der Wandel der Straße nicht erhalten geblieben. Im Grunde muss man also festhalten: Streetfotografie ist die Pflicht eines jeden Fotografen!
Was genau ist Streetfotografie? Es gibt kein anderes fotografisches Genre, über das so viele Diskussionen geführt werden und bei dem so um Abgrenzung gerungen wird. Aber gerade die Fotografie ermöglicht es dem Menschen, seine Kreativität auszuleben. Es ist schwierig, eindeutige Regeln zu setzen. Im Grunde kann die Streetfotografie auf wenige Regeln festgelegt werden.
Die wichtigste Regel ist: Das Bild zeigt eine nicht gestellte Szene im öffentlichen Raum. Es sind zufällige Szenen, nicht mehr und nicht weniger (im Englischen auch mit dem Begriff »Candid Street Photography« bezeichnet). Würde man die Szenen künstlich darstellen, wären die lustigsten und schönsten Bilder möglich. Aber es wäre nicht echt, sondern nur ein arrangiertes Bild.
Auch der Begriff »Szene« enthält einiges mehr an Bedeutung: Es sind flüchtige Augenblicke, die festgehalten werden. Im Grunde sind es Schnappschüsse, so banal es klingen mag. Die große Kunst ist, schnell zu reagieren und einen interessanten Moment festzuhalten, bevor er wieder vorbei ist. Und das Bild soll möglichst eine Geschichte erzählen, die den Betrachter fesselt.
Die Betonung bei der Szene liegt auf »öffentlicher Raum«. Ich komme ursprünglich aus der Hochzeitsfotografie. Hier gibt es seit knapp 15 Jahren den Boom der Hochzeitsreportagen. Neben Standardbildern, wie dem Tausch der Ringe, ist auch dabei die primäre Aufgabe, alle spontanen, lustigen und emotionalen Ereignisse festzuhalten, im Grunde also komprimierte Straßenfotografie am Hochzeitstag.
Diskussionsbedarf gibt es bei der Frage: »Was ist der öffentliche Raum?« Wenn man nicht gerade ein Hochzeits-Crasher ist, befinden sich auf einer Hochzeit nur geladene Gäste. Ursprünglich ist in der Streetfotografie jedoch das Leben auf der Straße gemeint, häufig in den pulsierenden Großstädten unserer Welt. Damit wären aber einige der interessantesten Stellen außen vor: Beispielsweise gehört die britische U-Bahn schon nicht mehr zu einem völlig freien Raum. Man braucht für den Eintritt ein Ticket.