Der Bergpfarrer – 206 – Ein Stern für unsere Liebe

Der Bergpfarrer
– 206–

Ein Stern für unsere Liebe

Werden jetzt alle Wünsche wahr?

Toni Waidacher

Impressum:

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Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-263-3

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Der Himmel über dem Wachnertal war wolkenlos und sternenklar. Der volle Mond leuchtete die Nacht aus.

Solche Vollmondnächte waren genau die Nächte, die Alois Brandhuber brauchte, um bestimmte Kräuter und Wurzeln zu suchen und auszugraben. Diese Dinge mischte der alte Gauner seinen angeblichen Wundermitteln bei, um sie dann für teures Geld an gutgläubige Urlauber zu verkaufen. In seiner armseligen Hütte am Rande des Dorfes bewahrte er ein uraltes Buch auf, aus dem er sein »Wissen« bezog. Ein Zauberbuch, wie er immer behauptete, und tatsächlich genoss dieses »6. und 7. Buch Moses« genannte Machwerk einen besonderen Ruf in gewissen Kreisen. In ihm waren allerlei Zaubersprüche enthalten, Anweisungen, wie Geister beschworen wurden, und etliche Rezepte zum Anfertigen von Amuletten, Kräutertees und Heilsalben – deren angebliche Wirkung nicht nur bei Medizinern auf große Skepsis stieß. Jeder vernünftig denkende Mensch tat dieses dem biblischen Urvater Moses zugeschriebene Buch, mit dem es allerdings absolut nichts zu tun hatte, als ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit ab, als die Menschen noch abergläubisch und für derlei Dinge empfänglich waren.

Kurz vor Mitternacht war der selbsternannte Wunderheiler von St. Johann aufgebrochen. Diese Stunde zwischen zwölf und ein Uhr – die Geisterstunde – war seiner Meinung nach besonders geeignet, um reiche Ernte zu halten, und gerade bei Vollmond waren die Kräfte, die den Pflanzen innewohnten, von besonderer Intensität.

Inzwischen hatte Loisl seinen Korb schon recht ordentlich gefüllt, und er schickte sich an, sich bald wieder auf den Heimweg zu machen. Alles, was er gesammelt hatte, musste recht schnell verarbeitet werden, sollte es seine Wirkung nicht verlieren. Das »Zauberbuch« schrieb vor, dass diese Handlung noch vor dem Morgengrauen zu geschehen habe. Bis nach St. Johann war es noch eine knappe Stunde zu gehen. Der Alte befand sich in etwa zwischen dem Ainringer Wald und dem Dorf, auf halbem Wege zum Höllenbruch. Loisl zwängte sich durch ein paar Büsche, die einen Acker begrenzten, und stapfte über das frisch abgemähte Feld, um den Weg abzukürzen, als er zufällig zum Himmel sah und wie gebannt stehen blieb.

Zwischen den unendlich vielen, glitzernden Sternen leuchtete etwas. Weitere Sterne, die aber nicht fest am Firmament standen, sondern in Bewegung schienen. Loisl schluckte vor Aufregung, als direkt über ihm ein Sternenregen niederging – jedenfalls hatte er das Gefühl, dass es direkt über ihm geschah. Er wusste natürlich, was das für ein Phänomen war, dessen Zeuge er da wurde. Meteoriten hatte er schon öfter am nächtlichen Himmel gesehen, aber nie waren es so viele gewesen, die dann auch noch direkt hier niedergegangen waren.

Und dann geschah etwas, das Loisl mit großer Freude erfüllte, gleichzeitig aber auch ein Angstgefühl in ihm auslöste, wie er es noch nie in seinem über siebzig Jahre zählenden Leben gespürt hatte.

Ein unheimliches Rauschen erfüllte die Luft. Zuerst glaubte er, der Wind habe die Bäume des nahen Waldes so wehen lassen, doch das war es nicht. Die Erde des Ackers wirbelte auf, und es dröhnte um ihn herum. Loisl schaute gebannt zum Himmel, wo ein riesiger Feuerball dahinflog. Die Atmosphäre schien zu brennen, und es wurde für Sekunden taghell. Plötzlich gab es einen lauten Knall, und dann war es wieder dunkel.

Alois Brandhuber hatte seinen Korb samt Inhalt zu Boden fallen lassen und sich hingeworfen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wagte, wieder aufzuschauen, doch er konnte in der Dunkelheit fast nichts sehen.

Der Mond, der eben noch alles erhellt hatte, war verschwunden!

Erst nach ein paar Minuten begriff der Alte, dass der Himmel von einer riesigen Staubwolke bedeckt wurde, die den Mond verbarg. Es roch seltsam, und drunten im Dorf gellte eine Sirene.

Feueralarm!

»Was war denn das bloß?«, murmelte der Brandhuber kopfschüttelnd. »Teifi noch amal, grad so, als wenn der Leibhaftige selbst zur Hölle fährt!«

Indes glaubte der selbsternannte Wunderheiler weder an den lieben Gott, noch an den Teufel und er wusste ganz genau, was sich da ereignet hatte.

Eine Sternschnuppe war vom Himmel gefallen und erst nach Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht.

Loisl sammelte den Korb wieder auf. Er musste machen, dass er verschwand; nicht mehr lange, und die Gegend hier würde nur so vor Neugierigen wimmeln, die von dem Spektakel anzogen würden, wie die Motten vom Licht.

Und es gab einige darunter, denen wollte er lieber nicht begegnen …

Vor allem diesem neunmalklugen Doktor musste er nicht über den Weg laufen.

Himmel, was war das für eine Wohltat gewesen, als der Kerl im Urlaub war!

Leider waren die Wiesingers vor zwei Tagen wieder zurückgekommen, und der Brandhuber wusste nur zu gut, dass der Arzt ihn auf dem Kieker hatte.

Loisl nahm den Korb fest in die Hand und setzte seinen Weg fort. Noch immer roch es seltsam brandig, und die ersten Autos fuhren bereits in Richtung Höllenbruch. Doch das interessierte den Alten im Moment nicht. Er sann vielmehr darüber nach, wie er aus dem Spektakel dieser Nacht Kapital schlagen könne.

Irgendwie musste es doch möglich sein, daraus ein Geschäft zu machen …

Und er wusste auch schon wie.

*

Sebastian Trenker war, wie viele andere auch, durch den lauten Knall geweckt worden, der durchs ganze Wachnertal gedröhnt hatte. Der gute Hirte von St. Johann war sofort hellwach gewesen und hatte sich angezogen. Durch das Pfarrhaus ging ein brandiger Geruch, und der Geistliche nahm im ersten Moment an, dass ein Feuer ausgebrochen sei. Seine Haushälterin erschien kurz darauf oben an der Treppe und schaute ängstlich herunter.

»Haben S’ das auch gehört?«, rief sie von oben.

Sebastian nickte. Er hatte sich gerade davon überzeugt, dass es im Haus nicht brannte, und auch die Kirche nicht in Flammen stand.

»Beruhigen S’ sich, Frau Tappert«, sagte er. »Hier ist alles in Ordnung.«

Die Haushälterin kam die Treppe herab. »Ja, aber riechen S’ das denn net?«, fragte sie

»Doch, freilich. Ich schau mal nach, was da los ist. Seien S’ doch so gut und kochen uns einen Tee. Vielleicht können wir dann nachher besser wieder einschlafen.«

Als der Bergpfarrer nach draußen ging, ahnte er nicht, dass er in dieser Nacht nicht wieder zum Schlafen kommen würde …

Als Erstes wunderte ihn, dass die Straßenbeleuchtung brannte. Sie wurde jede Nacht, Punkt dreiundzwanzig Uhr, ausgeschaltet, und nur an einigen markanten Punkten, wie an Straßenkreuzungen und Zebrastreifen, leuchteten orangefarbene Signallampen. Jetzt aber waren sämtliche Laternen im Ort eingeschaltet.

Sebastian stellte fest, dass der Himmel dunkel war, dabei war eigentlich Vollmond, und der Wetterbericht hatte keine Bewölkung vorhergesagt.

»Seltsam«, murmelte er, während er den Kiesweg hinunterging, der zur Straße führte.

Im selben Moment hatte jemand Feueralarm ausgelöst.

Sebastian Trenker lief zum Polizeirevier hinüber. Gleich nebenan war die Feuerwache untergebracht. Das große Tor war weit geöffnet, und die ersten Männer der Wehr trafen bereits ein.

Sebastian wandte sich an den Ortsbrandmeister.

»Wo brennt’s denn?«, erkundigte er sich.

Wolfgang Huber schüttelte den Kopf.

»Allem Anschein nach brennt’s gar net, Hochwürden«, antwortete er. »Der Alarm wurde in der Stadt ausgelöst. Mit ihm wurden alle Wehren im Wachnertal in Bereitschaft versetzt.«

»Hat es etwas mit dem lauten Knall zu tun? Hat’s irgendwo eine Explosion gegeben?«

Ein Telefon schrillte laut.

»Entschuldigen S’ mich einen Moment«, rief der Ortsbrandmeister und verschwand im Büro.

»Wir wissen auch net, was los ist«, meinte einer der Männer, die mehr oder weniger ratlos herumstanden.

Sie waren alarmiert worden und waren schleunigst dem Befehl, zur Wache zu kommen, gefolgt. Jetzt wusste anscheinend niemand so genau, was eigentlich geschehen war.

Auch Max Trenker nicht, der eben angelaufen kam.

Der Bruder des guten Hirten von St. Johann sah übernächtigt aus. Er wirkte, als wolle er jeden Moment auf der Stelle einschlafen.

Tatsächlich hatte der Polizeibeamte zur Zeit erhebliche Probleme mit dem Schlafen, was indes weniger an ihm lag, als viel mehr an seinem kleinen Sohn, der, gerade mal ein Vierteljahr alt, an den bei allen Eltern gefürchteten Drei-Monats-Koliken litt und Vater und Mutter buchstäblich den Schlaf raubte.

In diesem Fall eher dem Vater, denn Max war es, der, mit Rücksicht auf seine Claudia, stundenlang mit dem Kleinen auf dem Arm durch die Wohnung wanderte und deshalb seit Wochen an akutem Schlafmangel litt. Wenn der kleine Sebastian, der natürlich nach seinem Onkel benannt worden war, endlich ruhig und eingeschlafen war, konnte auch Max daran denken, ins Bett zu gehen. Doch blieben ihm selten mehr als zwei bis drei Stunden, denn dann klingelte meist schon der Wecker, und es war für ihn schon wieder an der Zeit, aufzustehen.

»Ich hab’ keine Ahnung«, antwortete der Polizist auf die Frage seines Bruders. »Der Anruf kam von meiner vorgesetzten Dienststelle in der Stadt. Sämtliche Reviere im gesamten Wachnertal wurden in Alarmbereitschaft versetzt.«

Er deutete auf sein Handy, das er am Gürtel trug.

»Ich warte auf Nachricht«, fügte er hinzu.

Wolfgang Huber kam zurück.

»Das ist ja eine verrückte Geschichte!«, sagte der Ortsbrand­meis­ter. »Allem Anschein nach ist über unsrer Gegend ein Meteorit niedergegangen, der für den lauten Knall verantwortlich war.«

Die umstehenden Feuerwehrmänner sahen sich ungläubig an.

»Doch«, nickte Huber, als die ersten Stimmen laut wurden, die Zweifel äußerten. »Deshalb ist auch der Himmel so schwarz, obwohl ja eigentlich Vollmond ist. Ich hab’ inzwischen den Einsatzbefehl erhalten …«

Max’ Handy klingelte. Der Bruder des Bergpfarrers ging ein paar Schritte beiseite und nahm das Gespräch entgegen. Wolfgang Huber erzählte, was los war.

»Wir, das heißt, die Wehren aus den drei Dörfern St. Johann, Engelsbach und Waldeck haben den Befehl erhalten, das Gebiet des Ainringer Waldes, bis zum Höllenbruch, abzusperren und nach dem Meteoriten zu suchen. Wir fahren jetzt erst einmal zur Hasenheide und treffen dort mit den anderen Wehren zusammen. Ich übernehme, in Abstimmung mit den anderen Ortsbrandmeistern, das Kommando über diese Aktion.«

Max kehrte zurück. Sein Anruf deckte sich in etwa mit dem Telefonat, das Wolfgang Huber geführt hatte.

»Wir müssen uns beeilen«, sagte er. »Man befürchtet, dass durch dieses Spektakel jede Menge Neugieriger angezogen werden könnte. Deshalb sperren meine Kollegen und ich, mit Unterstützung der Feuerwehr, das gesamte Gebiet ab, Hasenheide bis Hohe Riest, einschließlich des Höllenbruchs.«

Sebastian Trenker war von dieser Nachricht nicht weniger überrascht, als alle anderen auch. Er verabredete mit seinem Bruder, mit ihm zu fahren, und eilte ins Pfarrhaus zurück. Dort hatte Sophie Tappert inzwischen Tee gekocht. Der Geistliche erzählte, was geschehen war und bat seine Haushälterin, ihm von dem Tee etwas in eine Thermosflasche umzufüllen und ein paar belegte Brote einzupacken. Dann kleidete er sich rasch um. Als er ein paar Minuten später zum Polizeirevier kam, wartete Max bereits im Streifenwagen auf ihn.

»Ich mag gar net dran denken, was das alles auslösen könnt’«, sagte Sebastian, voll düsterer Vorahnung.

»Ich kann mir denken, was du meinst«, nickte Max. »Durch diesen Meteoritenabsturz werden sicher jede Menge Neugierige hergelockt. Ich fürcht’ auch, dass es mit der Ruhe erstmal vorbei ist.«

Sie hatten das Dorf verlassen und fuhren über die Kreisstraße weiter. Als sie wenig später auf die Bundesstraße einbogen, sahen sie, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bereits zu bewahrheiten schienen.

Ein schier endloser Strom von Pkws zog sich über die Straße in Richtung Ainringer Wald!

*

Max schaltete das Blaulicht ein und überholte die Wagenkolonne mit hoher Geschwindigkeit. Am Abzweig Richtung Waldeck staute sich der Verkehr, weil dort die Kollegen schon eine Straßensperre errichtet hatten und niemanden mehr durchließen.

»Das ist ja schlimmer, als ich befürchtet hab’«, rief Hans Brechtel.

Der Polizeibeamte war aus der Stadt gekommen und hatte das Kommando übernommen. Er teilte die Beamten ein und bat Max, den Befehl über den Suchtrupp zu übernehmen.

»Weiß man denn schon, wo man den Meteoriten suchen muss?«, erkundigte sich Sebastian bei dem Beamten.

»Leider net, Hochwürden«, antwortete Hans Brechtel. »Und wir sind auch viel zu wenig. Ich hab’ deshalb noch weitere Beamte aus Garmisch und Mittenwald angefordert.«