ANDREW J. OFFUTT

 

Conan, der Söldner

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

CONAN, DER SÖLDNER 

Prolog 

1. Der Tod in Shadizar 

2. Anstellung für einen Dieb 

3. Schwerter im Dunkeln 

4. Die Seele des Cimmeriers 

5. In Hilides' Weinhaus 

6. Zauberei! 

7. Rosela... und die Meuchelmörder 

8. Komplott und Gegenkomplott 

9. Ein Wolf in Khauran 

10. Conan, der Seher 

 

Herr des Schwarzen Thrones – Ein Essay von P. Schuyler Miller 

 

Das Buch

 

 

 

Viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung bildeten Europa, Asien und Afrika noch eine zusammenhängende Landmasse: den hyborischen Kontinent.

Es ist die Welt und die Zeit von Conan, dem Abenteurer aus dem düsteren nördlichen Grenzland Cimmerien, der die Steppen und Dschungel, die Gebirge und Ebenen auf der Jagd nach Beute durchstreift.

Sein Weg führt ihn in märchenhafte und sagenumwobene Länder, in prächtige Städte und an glanzvolle Höfe, an denen Könige oder mächtige Zauberer herrschen.

Immer wieder versucht man ihn, den einfältigen Barbaren, zu übertölpeln und zu versklaven. Doch mit seinen gewaltigen Körperkräften und der unglaublichen Schnelligkeit seiner Waffen sprengt er alle Ketten und lehrt seine Gegner das Fürchten...

 

Conans Seele gehört noch immer dem grausamen Zauberer Hisarr Zul. Um Körper und Geist mit Hilfe einer gekrönten Persönlichkeit wieder zu vereinen, bricht der Cimmerier auf nach Arenjun im Reiche Khauran. Mit List und seinem Schwert vereitelt er einen tückischen Mordanschlag auf die Königin des Landes. Gibt sie ihm als Dank endlich seine Seele zurück?

  Der Autor

 

Andrew J. Offutt (* 16. August 1934, † 30. April 2013)

 

Andrew Jefferson Offutt war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Er veröffentlichte seine Werke teilweise unter Variationen seines bürgerlichen Namens, vornehmlich als Andrew J. Offutt, teilweise unter den Pseudonymen John Cleve, Jeff Douglas oder J. X. Williams. Gelegentlich ist sein Name auch vollständig in Kleinbuchstaben als andrew j. offutt geschrieben. 

Offutt wuchs in einer Blockhütte in der Kleinstadt Taylorsville im Spencer County auf. Später siedelte er nach Louisville um und studierte mittels eines Stipendiums der Ford Foundation an der dortigen Universität. 1955 wurde ihm der Bachelor of Arts im Fach Englisch verliehen.

Während seiner Arbeit in Lexington lernte er Jodie McCabe kennen, die er 1957 heiratete. Das Ehepaar Offutt war über fünfzig Jahre verheiratet und lebte im Rowan County im US-Bundesstaat Kentucky. Sie hatten vier Kinder, der älteste Sohn, Chris Offutt, ist heute ebenfalls als Schriftsteller und Drehbuch-Autor (True Blood, Weeds) bekannt. 

Andrew J. Offutts erste Publikation war die Kurzgeschichte And Gone Tomorrow, die 1954 in der US-amerikanischen Science-Fiction-Zeitschrift If veröffentlicht wurde. Nach dem Verkauf der Kurzgeschichte Blacksword (1959) an das Magazin Galaxy konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei. Mit Evil Is Live Spelled Backwards erschien 1970 sein erster Roman. 

Für den Romanzyklus Thieve's World (deutscher Titel: Diebeswelt) von Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey schuf er die Figur Hanse und beschrieb sie zwischen 1987 und 1993 in drei Romanen: Shadowspawn (1987), Deathknight (1990) und The Shadow Of Sorcery (1993). 

Überdies verfasste er drei Romane über Conan sowie sechs Romane über Cormac MacArt, beides Figuren des Schriftstellers Robert E. Howard.

Zwischen 1976 und 1978 war Offutt Präsident der Science Fiction and Fantasy Writers of America. Ende der 1970er Jahre gab er unter dem Titel Swords Against Darkness fünf Anthologien mit Kurzgeschichten weniger bekannter Autoren heraus. 

Unter bis zu zwölf verschiedenen Pseudonymen schrieb Offutt eine Vielzahl erotischer Romane, darunter die von 1982 bis 1984 entstandene Spaceways-Reihe, die unter dem Autorenpseudonym John Cleve publiziert wurde. 

CONAN, DER SÖLDNER

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

 

Der Schädel des Greises glänzte im Lampenschein, der unnachsichtig all die braunen Altersflecke auf der straff gespannten Haut aufdeckte. Von der Decke hing eine bizarre Skulptur. In sie waren vier Öllampen eingelassen, die ihr blassgelbes Licht ausstrahlten. Jeden Tag musste ein Diener die Skulptur an einer Kette herunterlassen, um die Lampen zu füllen, die er dann mit einer langen Kerze anzündete.

Das kahle Haupt, das so unschmeichelhaft beleuchtet wurde, gehörte Baron Sabaninus, Herrscher über Korveka. Kette und Medaillon seines Ranges und seiner Würde ruhten schwer auf der Brust über seinem weinrot gefärbten Wollgewand, das hochgeschlossen war und lange Ärmel hatte, obwohl weder das Wetter noch die Wärme in seinem Amtsgemach es erfordert hätten.

Langsam hob der Baron eine runzlige, ebenfalls mit Altersflecken überzogene Hand zu den kinnlangen Strähnen, die um die Ohren hingen und das Gesicht zu beiden Seiten dünn einrahmten. Selbst diese traurigen Überreste seiner früher dichten Mähne waren altersgelb, genau wie die Fingernägel. Korvekas Herrscher blinzelte, beugte sich leicht über seinen Schreibtisch und betrachtete seinen Besucher.

Bildete er es sich nur ein, dass von diesem Mann, der von so unsagbar weit her kam und den seine schwachen Augen mühsam musterten, eine Aura des Bösen ausging?

Wieder blinzelte Sabaninus. Der Baron von Korveka war im Glauben, niemand ahne, wie sehr sein Augenlicht nachgelassen hatte und wie schlimm ihn die Kopfschmerzen quälten. Dabei fiel es jedem schon beim ersten Blick auf, wie er blinzelte und zwinkerte, sich näherbeugte und anstrengte, um Einzelheiten zu erkennen, die seine Augen nicht mehr aufzunehmen vermochten.

Einer Einzelheit seines Besuchers war der Baron sich jedoch ganz sicher: Seine Haut war gelb wie eine verblühende Blume, oder so, wie Gold im Sonnenuntergang erscheint.

Dem Herrscher von Korveka war noch nie zuvor ein Gelbhäutiger begegnet. Diesen hier zu sehen - oder fast zu sehen - freute der Baron sich besonders, denn dieser jüngere Mann hatte ihm ein Angebot gemacht, ein sehr ungewöhnliches und ungemein verlockendes.

Schweigend überlegte Sabaninus. Die beiden Männer blickten einander an. Keiner rührte sich. Die Lampen über ihnen brannten bleich. Keiner würde sie stören, so hatte es Baron Sabaninus angeordnet. Er dachte über das Angebot nach, genau wie über seine Vergangenheit - und Zukunft.

Der Herrscher des nordwestlichen Hochlands von Koth war Witwer. Auch hatte keine seiner Frauen ihm einen Sohn geschenkt, der das fruchtbare Ackerland am Fuß der schroffen Berge erben würde. Nicht einmal eine Tochter hatten seine Frauen geboren, ein Mädchen, das er mit dem Sohn eines Edlen hätte vermählen können, der nach seinem Tod über Korveka herrschen und Söhne zeugen würde, damit das Geschlecht nicht ausstarb. Selbst das wäre besser gewesen als seine jetzige Lage. Der Baron war nicht glücklich.

Sabaninus wusste, dass man im Hof von Khorshemish seit langem als »Baron Landtölpel« von ihm sprach und als Lord Bauernlümmel, und in letzter Zeit als der alte verschrumpelte Bauernlord aus dem Blauenseenland. Andere Edle des alten hyborischen Königreichs schmiedeten ständig irgendwelche Komplotte. An Sabaninus hatte sich schon seit Jahren keiner gewandt. Niemand suchte mehr seine Unterstützung oder seinen Rat. Seine Produkte waren wertvoll, er selbst war harmlos. Er war weder ein Günstling des Königs noch von sonst jemandem am Hof, noch stand er in Ungnade. Keiner dachte daran, ihn zum Verbündeten zu machen. Die Menschen anderer Länder kannten Koth vor allem seiner unvergleichlichen Schmiedearbeiten wegen, doch aus Korveka kamen keine. Die fruchtbaren Äcker der Baronie, die von klaren Seen bewässert wurden und von Flüssen, die aus den Bergen kamen, waren vom Rest des Landes wirkungsvoll durch die natürlichen Granitmauern abgeschlossen. In der Baronie war das Land für Viehhaltung und Ackerbau wie geschaffen und deshalb viel zu wertvoll, als dass man hier Betriebe errichtet hätte, die irgendetwas herstellten. Aber selbst im fernen Hyrkanien jenseits der Vilayetsee, ja auch weit im Süden, in Zamboula, war der Traum aller Waffenträger eine kothische Rüstung. Wer, dagegen, kannte außerhalb von Koths Hauptstadt korvekanischen Kopfsalat? Oder Kohl oder Oliven? Wer schätzte in den Palästen und Städten denn schon wirklich jene, von denen ihre Nahrung stammte? Dachte man an Sabaninus von Korveka oder erwähnte man ihn, dann nur als provinzlerischen Edlen jenseits der Berge, als einsiedlerischen alten Mann, der ausgesuchte frische, ländliche Produkte an den Palast und die Märkte von Khorshemish schickte. Oh, ja, korvekanische Wolle ist die beste - habt ihr schon das Neueste über den gutaussehenden Gardehauptmann und die Gattin des Vetters der Königin gehört...?

Ein königliches Dekret hatte schon vor langem den Handel mit Korvekas unmittelbarem Nachbarn, dem kleinen Königreich von Khauran, verboten, das sich keilförmig an Korvekas Ostgrenze schmiegte. Schroffes, dem Himmel entgegenstrebendes Gebirge trennte Korveka von Corinthien und Zamora im Norden. Korveka, das ohne weiteres ein eigenes Königreich hätte sein können, war von der Welt so gut wie vergessen.

»Khauran«, murmelte Sabaninus.

»Ja, das Khauran der unglücklichen Königinnen«, sagte sein Besucher mit schmalziger Stimme.

Ah, dachte Sabaninus, wenn ich es nur zur Ehe mit der derzeitigen Königin gebracht hätte oder meinetwegen auch mit ihrer Vorgängerin - so fett sie auch nach dem Tod ihres Gemahls geworden war! Wie man mich in Koth, in Khorshemish feiern würde! Koths schmaläugige, misstrauische Könige hatten immer mit dem kleinen östlichen Nachbarn geliebäugelt. Mit einem Kothier auf dem khauranischen Thron - einem Korvekaner! - könnte ein Bündnis leicht zu - nun, jedenfalls zu mehr werden, einem Anschluss Khaurans an Koth, und Khauran würde einen Herrscher, einen Statthalter mit kothischem Blut haben.

Lord Sabinamus, Sohn Sabaninus', Lord von Korveka und König von Koth!

Ein Lächeln zuckte um Sabaninus' hängende Lippen. Eine solche Aussicht und die Tatsache, dass er hochgeehrt werden würde, bedeuteten ihm weit mehr als die Krone Khaurans auf seinem Haupt.

Sein einziger Wunsch war immer nur gewesen, sein eigenes Volk zu beeindrucken, seit er vor vierzig Jahren im Alter von zweiundvierzig seines Vaters Medaillon und Titel geerbt hatte. Inzwischen war das saphirbesteckte goldene Medaillon an seiner Kette immer schwerer geworden, wie ihm schien, und sein Titel hatte ihm anderswo nicht viel eingebracht. Dabei hatte er sich so sehr danach gesehnt, in die glitzernden Paläste von Korshemish eingeladen zu werden! Durch ein Spalier bewundernder, neiderfüllter Edler zu stolzieren! Seinen Namen laut von einem Herold gerufen zu hören! Hochgeehrt zu werden! Von einem dankbaren König willkommen geheißen und erhoben zu werden! Nie wieder als tölpischer Bauernlord bezeichnet zu werden! Oh, ja, für einen solchen Empfang würde er gerne den langen Ritt hinunter in den Westen machen!

Sein Besucher lächelte. »Mein Herr Baron tun klug daran. Als König von Khauran wärt Ihr nur Prinzgemahl, mit stets wachsamem Auge auf Koth und ständiger Furcht vor einer Invasion.«

»Ihr kennt meine innersten Gedanken, Mann von Khitai?«

»Ich besitze so manche Fähigkeiten, Baron, doch das Lesen von Gedanken gehört nicht dazu. Aber ich bin kein Dummkopf, und ein kluger Mann würde sich Eure Gedanken vorstellen können, nachdem Ihr mein Angebot gehört und Zeit gehabt habt, darüber nachzudenken.«

»Jugend!«

Eine glatte, goldschimmernde Hand hob sich, mit dem Zeigefinger ermahnend ausgestreckt. »Nicht Jugend, Sabaninus von Korveka. Den Anschein von Jugend, das Gefühl, jung zu sein. Das können wir Euch geben. Im Innern bleibt Ihr der gleiche. Gewiss beleidige ich Euch nicht, wenn ich Euch daran erinnere, dass der Tod bereits brennenden Auges auf Euch blickt.«

Der Baron seufzte. Er starrte vor sich hin, und der leicht rasselnde Seufzer, der sich ihm entrang, kam aus einem Mund, dem bereits mehr als die Hälfte der Zähne fehlten. Und ein Zahn schmerzte gerade jetzt.

»Mein Haar...«

»Voll und braun.«

»Mein - mein Mund...«

»Feste Lippen. Waren Eure Zähne weiß? Sie werden noch weißer sein.«

Sabaninus hob die Hände, betrachtete sie, drehte sie um. »Meine...«

»Glatt und kräftig. Die Hände eines Mannes von... Nun, ich kann Euch jeweils zwei von drei Jahren von Euren Schultern nehmen, Baron. Eure Hände, das Haar und die Zähne - und das Augenlicht - werden die eines Mannes von dreißig sein. Genügt euch das, Baron von Korveka?«

Der greise Edle schluckte schwer. »Baron der düsteren Berge! Bauernbaron! Lord Schafhirt!« Vielleicht waren seine Augen alterstrüb, als er diese Worte so unsagbar sanft murmelte, vielleicht glitzerten Tränen in ihnen. Er blinzelte heftig.

»Für mich - für mich ist dreißig wie siebzehn für andere, Khi Zang.«

Der Gelbhäutige antwortete nicht darauf. Allein saßen die beiden in des Barons Amtsgemach, und es würde sie auch niemand stören. Das Licht schimmerte auf dem kahlen Schädel und der altgoldenen Haut des Besuchers.

»Ihr - Ihr seid sicher, Khi Zang, dass es zu machen ist?«

»Ganz sicher. Aber natürlich nicht umsonst.«

Der Baron blickte ihn wortlos, doch aufmerksam an. Der Khitan machte eine wegwerfende Geste.

»Es wird ein Leben kosten, ein Leben für Koth! Für Euch besteht keine Gefahr, nicht die geringste. Sobald die Verwandlung vollzogen ist, tut Ihr selbstredend gut daran, schnell zu handeln, denn auch wenn Ihr aussehen werdet wie ein junger Mann, seid Ihr doch immer noch - Ihr.«

»Das genügt natürlich nicht.«

»Natürlich nicht. Jugend ist alles. Ihre scheinbare Ähnlichkeit nur eine höhnische Erinnerung an Vergangenes. Doch braucht Ihr sicher nicht mich dazu, Euch zu erinnern, dass auch der Tod nicht genügt, genauso wenig wie mangelnde Anerkennung für einen wie Euch.«

»Ja. Nach achtzig und zwei Jahren. Doch allein wie dreißig zu scheinen...«

»Ich weiß, Baron, es genügt nicht. Aber wer bekommt sonst schon die Gelegenheit, zumindest jünger auszusehen?«

Der Baron blickte auf den Mann, den er wie durch dicken Morgendunst sah oder wie durch eine Elle Wasser, selbst wenn es klar war. »Khitan - Khi Zang - wie alt seid Ihr?«

Kräftige weiße Zähne blitzten in einem bronzegelben Gesicht, als der Khitan lachte. »Ich warte schon eine ganze Weile darauf, dass Ihr mich das fragen würdet. Nun,

für wie alt schätzt Ihr mich denn?«

»Ich...«

»Macht mir nichts vor, Sabaninus!« Khi Zang war der erste seit undenkbarer Zeit, der den Baron beim Namen nannte. »Ich weiß, dass Ihr sehr schlecht seht und Euch selbst dazu anstrengen müsst.«

Sabaninus grübelte eine Weile darüber nach und fragte sich, ob auch andere das bereits bemerkt hatten. Vermutlich. Er hatte sich ja nur selbst belogen. Und jetzt... Dieser junge Besucher von einem Land so fern, dass manche es für Legende hielten, sprach er die Wahrheit? Oder war das Ganze nur ein übler Trick? Machte man Sabaninus von Korveka wieder einmal zum Gegenstand des Spottes und der Verachtung?

Mit wahrer Verzweiflung hoffte er, dass dem nicht so war. Er wollte Khi Zang von Khitai glauben. »Ihr erscheint mir - wenig älter als dreißig.«

Der Khitan sagte gleichmütig: »Da ist mein Sohn schon älter, Baron, ja, er ist fast fünfzig. Und ich habe Tausende von Meilen zurückgelegt, um zu Euch zu kommen. Meine Jahre sind mir nicht genommen, sie sind nur nicht mehr sichtbar. Auch spüre ich sie nicht - außer mit dem Verstand.«

»Ihr erinnert Euch an alles?«

»Das tue ich.«

»Und Ihr habt diesen weiten Weg gemacht, um mir Eu... das Aussehen der Jugend zu bieten?«

»Ja.«

»Weshalb?«

Khi Zang lehnte sich ein wenig vor. »Irgendwann in der Zukunft, Sabaninus von Korveka, werden ich oder mein Sohn geschäftlich in Khauran zu tun haben. Wir werden nichts von Euch - oder Eurem Sohn? - erbitten, was Ihr nicht gerne zu geben bereit seid. Einen Tempel. Doch das liegt in der Zukunft, Sabaninus. Wieviel Zukunft habt Ihr? Im Augenblick verlange ich nichts weiter von Euch als eine Satteltasche - eine Satteltasche, nicht mehr, Baron - gefüllt mit dem, was Ihr in Mengen hier versteckt habt: Gold.«

»Gold! Ihr wisst selbst von...«

»Ja. Dem Vermögen des Hauses Saban. Von welchem Wert ist Gold für einen Mann, der alt, allein und ohne Erben stirbt?«

»Ihr befindet Euch in meinem Haus und seid grausam, Khitan!«

Khi Zang sah, dass noch Kraft und Feuer in dem Baron steckte, und er neigte den Kopf. »Grausam Ja, die Wahrheit ist grausam für einen Greis. Männer so alt wie wir, Baron, brauchen einander nichts mehr vorzumachen. Gebt es doch zu, Sabaninus. Hätte ich gefragt: Was würdet Ihr zahlen, gäbe ich Euch die Jugend wieder?, Ihr hättet sofort gesagt: Alles, was ich habe! Für den äußeren Anschein der Jugendlichkeit und all die Möglichkeiten, die das mit sich bringt, was seid Ihr da bereit zu geben? Ein Zwanzigstel von allem, was Ihr besitzt? Und einen Beweis der Dankbarkeit von Seiten der Königin und des Prinzen, die Ihr nach Eurem Tod zurücklassen werdet. Ein Preis, der durch ein Bauwerk bezahlt ist. Eure Seele und Euer Vermögen verbleiben Euch, Sabaninus von Korveka.«

Ob ich das glauben kann? dachte Sabaninus, und in seinem Kopf drehte sich alles. »Oh, große Ischtar!«, murmelte er. »Wie kann ich nein sagen?«

Hilflos fragte er sich das, und tief im Herzen spürte er, dass er sich nicht auf diesen Handel einlassen sollte. Aber der Khitan hatte Recht. Das Leben war das einzige wirklich wertvolle, das ein Mensch besaß, das und seine Ehre und seine Träume. Gold und eine zukünftige Verpflichtung wogen dagegen gering, ja sogar Weisheit und weitere Grübeleien. Heute Abend oder morgen oder in ein paar Wochen mochte der Tod ihn vielleicht bereits holen. Er überlegte noch kurz. Was war schon eine Satteltasche voll Gold?

Was war schon Gold? Aber was hatte der Khitan da von einem Menschenleben gesagt? Sofort wurde er wieder misstrauisch. Der Mann würde doch nicht gar den Sohn verlangen, den er mit Königin Ialamis zu zeugen hoffte?

Er hatte gefragt: »Wie kann ich nein sagen?« und der Khitan hatte geschwiegen.

»Ich bin einverstanden. Was muss getan werden? Erklärt es mir in aller Einzelheit. Menschenleben? Welches

Menschenleben braucht Ihr?«

»Öffnet Eure unterirdische Zuflucht. Holt, schleppt oder lockt - das Wie spielt absolut keine Rolle - eine Maid zu uns. Ihr werdet anwesend sein, und Ihr müsst mit aller Sorgfalt genau das tun, was ich Euch sage.«

»Ich - ich muss sie nicht töten...«

»Nein. Ihr sollt nur still sein und gut aufpassen. Ihr leidet unter einer tief verwurzelten Vorstellung, von was gut und was böse ist. Diese abergläubische Einstellung müsst Ihr heute ablegen: um Euretwillen und für Koth! Nur was ich Euch bereits erläutert habe, wird von Euch verlangt, Baron von Korveka. Von mir werden meine Fähigkeiten verlangt. Und von ihr: ihr unbedeutendes Leben.«

»Ihr erinnert mich immer wieder...«

»Ja. Ich habe nicht vor, Euch zu belügen oder zu täuschen, Sabaninus. Ich habe auf dieser Welt noch nichts gefunden, was umsonst ist. Habt Ihr es in Euren zweiundachtzig Jahren? Euer Gewinn - vielleicht Koths Gewinn - lässt sich nur auf Kosten des Lebens eines anderen erringen. So muss es sein, und das müsst Ihr verstehen.«

Der Baron hob zittrig die leberfleckigen dürren Hände vor das alte eingefallene Gesicht. Ich bin kein schlechter Mensch. Ich war nie ein schlechter Mensch. Es ist für Korveka und für Koth. Seine Stimme klang gedämpft durch die Finger.

»Ich werde es tun.«

 

Nateela von Ophir war achtzehn, und seit achtzehn Jahren war sie Sklavin.

Ein glückliches Leben hatte an jenem Tag für sie begonnen, als ein Mann in ländlicher Kleidung sie in Khorshemish erstand. Damals hatte sie nur gewusst, dass er nach Schafen roch und der Verwalter eines fernen Lords war, und so hatte sie sich auf der endlos erscheinenden Reise gen Osten und Norden sehr gefürchtet. Doch jenseits der drohenden, schwer passierbaren Berge hatte sie ein Land lieblicher Seen gesehen und sanft hügeliger Weiden mit Schafen und Rindern. Tiefer im Tal bemerkte sie auch, dass mühsam errichtete Mauern aus grauem Stein das Weideland von den bestellten Feldern trennten, und die Leute dort schienen alle freundlich und zufrieden zu sein. Doch erneut griff die Furcht nach ihr, als der Wagen zum ländlichen Palast des Barons rollte, um die in der Stadt erstandenen Sachen abzuladen, einschließlich ihr, Nateela.

Ihre Angst war grundlos gewesen. Elf Jahre hatte sie damals gezählt, und in den sieben Jahren, die seither vergangen waren, hatte Nateela sich inneren Glücks, Zufriedenheit, guten Essens, ausreichender Ruhe erfreut und war nicht ein einziges Mal geschlagen worden. Nun wünschte sie sich nur, nie das Gut des Barons von Korveka verlassen zu müssen. Heimlich liebte sie diesen Mann wie einen Onkel oder Vater. Ihre Liebe als Frau war natürlich etwas anderes, sie galt ausschließlich Vanirius, dem Sohn des Verwalters - nicht, dass der freigeborene junge Mann das überhaupt bemerkte.

Nateela wusste nicht, weshalb der Baron sich heute Abend so lange tief im Innern der modrigen Zuflucht des alten Gemäuers mit seinem seltsamen Gast aufhielt. Natürlich fragte sie ihn nicht, und es interessierte sie auch nicht übermäßig. Man hatte ihr befohlen - der Baron selbst hatte es ihr gesagt -, ihnen Most, nicht Wein, zu bringen, sobald der Mond über dem Schafgehege stand.

Sie hatte keine Angst, in die Dunkelheit der unterirdischen Kammer hinunterzusteigen, die vor langer Zeit als Zuflucht für des Barons Familie im Fall einer Belagerung errichtet worden war. Willig ging sie. Ihr Lord war unten. Sie vertraute ihm und diente ihm gern. Er war ein guter Mensch, der wohl nicht mehr sehr lange zu leben hatte. Es kam ihr nur merkwürdig vor, dass er in der klammen Kälte dort unten nicht nach Wein verlangt hatte, um die Schmerzen in seinem linken Bein und seinem rechten Ellbogen und der Schulter des gleichen Armes erträglicher zu machen. Sie wusste, dass dieses Leiden ihm arg zu schaffen machte. Sie wollte, sie wäre eine Zauberin, die ihn von diesen Schmerzen befreien konnte.

Er war so alt. Wie dumm war es - wie manche Wissenschaftler es taten - von durchschnittlicher Lebenserwartung zu reden, denn diese Zahl errechnete man, indem man ja auch die unzählig vielen mitberücksichtigte, die schon im ersten oder zweiten Lebensjahr starben - und die vielen Frauen, die im Kindbett starben. Trotzdem war der Herrscher von Korveka bereits in einem Alter, das nur wenige Männer und noch weniger Frauen erreichten. Das alles wusste Nateela, und ihre Sorge war jetzt, was nach seinem unausbleiblichen Tod aus ihr werden würde. Unerklärlicherweise hatte er keinen Nachfolger bestimmt, hatte niemanden an Kindes Statt angenommen. Zweifellos würde der König in Khorshemish das Land für sich beanspruchen und einen anderen Herrn hierherschicken, um es zu verwalten. Oder vielleicht würde jemand es bekommen, der zwar die Erträge einstrich und die Steuern für sich einziehen ließ, aber jenseits der Berge wohnen bliebe, um der Hauptstadt nicht so fern zu sein. Dann würde sich hier nichts ändern, denn der Verwalter war ein guter, gerechter Mann, und sein Sohn Vanirius...