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Diana Salow

MimageRDERISCHES

Schwerin

Eine brillante Affäre

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»Zu vergeben lernen
ist sinnvoller,
als jemanden umzubringen.«
(Dalai Lama)

Für
Birgit & Roland Mett

Liebe Leserinnen und Leser,

der Ort meiner Krimihandlung ist eine Schönheitsklinik in Schwerin. Meine Geschichte und alle Charaktere – darunter der Chefarzt, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sind von mir frei erfunden.

Sehen Sie meinen Krimi bitte als Wertschätzung aller Menschen, die in medizinischen Berufen tätig sind und täglich enormen Herausforderungen gegenüberstehen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Die Autorin

Danksagung

Kapitel 1

»Ich bringe dich um! Ich töte dich!«, fluchte Daniela Mühlhoff laut und riss die Tür ihres Umkleideschrankes auf. Wutentbrannt zog sie hektisch ihre Sachen aus und schlüpfte in ihre Sportkleidung. Es ging ihr alles nicht schnell genug. Nachdem sie ihre teure Designer-Jeans und eine schlichte Bluse in den Schrank gefeuert hatte, war es ihr eine Genugtuung, ihren Ehering abzunehmen und bis auf Weiteres in der Handtasche zu versenken. Daniela war auf hundertachtzig. Und irgendwie auch froh, dass ihre Tennispartnerin Birgit noch nicht da war. Es war Mittwochnachmittag und ihre gemeinsame Tennisstunde im Sportpark Belasso in Schwerin würde gleich beginnen. Ein paar Minuten hätte sie also noch, um sich abzuregen.

Daniela nutzte die Zeit und ging an den Counter, um sich im Anschluss an das Match eine Nackenmassage im Wellnessbereich zu reservieren.

»Hallo Daniela«, rief Birgit ihr vom Eingang aus zu. »Verzeih mir, ich habe keinen Parkplatz gefunden!«, entschuldigte sie sich, zog an der Kasse bereits ihren weißen Blazer aus und nahm ihre Schrankschlüssel entgegen.

»Lass dir Zeit! Mach ganz in Ruhe!«, antworte Daniela und winkte ihr zu. ›Erzähl ich’s ihr oder behalte ich es für mich?‹, fragte sich Daniela.

Fünf Minuten später standen beide Frauen auf dem Tennisplatz und spielten sich mit einem ruhigen und gleichmäßigen Ballwechsel ein. Nach ein paar Schlägen fragte Birgit: »Ist was passiert, Daniela? Du siehst schlecht aus!«

»Nein, alles in Ordnung«, antwortete sie und senkte ihren Kopf. Birgit war eine ihrer ältesten Freundinnen. Sie kannten sich aus der Schulzeit und hatten sich seitdem nie aus den Augen verloren.

»Du hast doch was? Gib es zu! Das sehe ich doch!«, sagte Birgit. Sie fing den langsam zurückgeschlagenen Ball mit der Hand, ließ den Schläger sinken und ging zur Mitte des Tennisplatzes direkt ans Netz. »Du sagst mir jetzt bitte, was passiert ist! Sonst spiele ich nicht weiter«, drohte sie ihr, jedoch mit sanften Worten.

»Ach nichts.«

»Lüge mich bitte nicht an, meine Kleine!«

Plötzlich fing Daniela an zu weinen.

Birgit ließ ihren Tennisschläger fallen, lief auf die andere Spielfeldseite und nahm ihre Freundin in den Arm. »Was ist denn los? Rede doch mit mir! Bitte!« Auf den benachbarten drei Plätzen wurde plötzlich auch nicht mehr gespielt. Man beobachtete ganz genau, was hier vor sich ging. Es wurde gerätselt, ob die Spielerin sich verletzt hätte und ob man Hilfe holen solle, da beide Spielerinnen sich mitten auf dem Feld langsam auf den Boden setzten.

»Er hat es wieder getan.«

»Wer?«

»Richard!«

»Sag nicht, Richard hat dich schon wieder betrogen?«

»Ja. Er hat wieder eine Affäre.«

»Sicher?«

»Ganz sicher. Ich kann dir in der Umkleide den Beweis liefern.«

»Das gibt es doch nicht! Er hat dich vor einem Jahr angefleht, dass er dich nicht verlieren will, und beteuert, dich nicht mehr zu betrügen.«

»Tja, ich dämliche Kuh bin wieder auf ihn reingefallen!«

»Du bist keine dämliche Kuh, Daniela. Du bist eine attraktive und intelligente Frau! Was redest du denn da! Lass uns das Spiel abbrechen und in die Sauna gehen!«, schlug Birgit vor und ließ ihre Freundin erst los, als sie dem nickend zugestimmt hatte. »Komm, wir müssen uns hier nicht zum Gespött der Leute machen.« Birgit packte beide Schläger in die Tennistaschen und klemmte sie sich unter die Achsel. Dann verließen beide Frauen den Platz. Daniela ging mit hängenden Schultern und einem blassen Gesicht neben ihr her.

»Hier! Das ist sie!« Daniela zeigte Birgit ein paar Minuten später in der Umkleide auf ihrem Smartphone ein Foto, auf dem ihr Mann Richard mit einer jungen Frau zu sehen war. Sie standen vor dem Grand Hotel in Heiligendamm an der Ostsee. »Entzückend, nicht wahr? Blond, vermutlich halb so schwer und halb so alt wie ich. Und so wie es aussieht, auch ungeschminkt eine Schönheit.«

»Hör doch auf, Daniela!«, widersprach Birgit und betrachtete das Foto, auf dem Richard eine Frau eng umschlungen hielt. »Weißt du, wer sie ist?«, fragte Birgit.

»Ist das nicht egal?«, schluchzte Daniela und suchte in ihrer Handtasche ein Taschentuch. Als sie eines gefunden hatte, zog sie es heraus und schnaufte laut hörbar hinein. Dabei fiel ihr Ehering heraus, rollte auf dem Boden der Umkleide entlang und blieb mit einem leisen »Pling« unter den Waschbecken liegen. »Ich bring den Kerl um!« Daniela heulte laut los.

»Was redest du denn da?«, fragte Birgit und hob den Ring auf.

»Den kannst du gleich in den Eimer werfen … so wie du auch meine Ehe in die Tonne kloppen kannst!«, schrie Daniela plötzlich und verlor die Fassung.

Birgit war über den Ausbruch und die Wortwahl ihrer Freundin entsetzt. Eine Morddrohung hatte sie von Daniela bisher nie gehört. Aber sie hatte Mitgefühl mit ihr. Sie hoffte, dass dies ein Zeichen ihrer Wut und nicht ernst zu nehmen war. Sie gab Daniela den Ring zurück, den diese betont achtlos in die Tasche warf.

»Komm, wir gehen in die Eukalyptussauna, da ist meistens niemand drin. Die ist nicht so heiß und wir können in Ruhe reden«, schlug Birgit vor.

Daniela tupfte sich gerade die Tränen ab. Sie sah fürchterlich aus. Das schwarze Augen-Make-up war verschmiert und ihre Augen von den Tränen feuerrot. »Ich kann nicht lange in die Sauna gehen. Vorhin habe ich mir noch eine Nacken-Massage bei Ella reserviert.« Dann schnäuzte sie sich nochmals laut die Nase.

»Das ist gut. Dann warte ich im Sauna-Bereich auf dich, bis du wiederkommst. Einverstanden?«, fragte Birgit vorsichtig.

Beide legten sich anschließend in die Sauna, in der sie tatsächlich allein blieben, und schwiegen die ersten Minuten. Birgit musste erst einmal sacken lassen, was ihre Freundin ihr erzählt hatte.

»Ist lieb gemeint, Biggi, dass du warten willst. Aber fahr doch nach Hause!«, schlug Daniela plötzlich ihrer Freundin vor. »Ich will dich mit meinen Problemen nicht belasten. Ich habe dir schon unseren Tennisnachmittag verdorben.«

»Wie du meinst«, antwortete Birgit zögernd. »Aber wenn du mich brauchst, ruf mich bitte an!« Beide schlossen die Augen und sagten nichts.

»Du hast mich noch nie belastet!«, begann Birgit wenig später, während sie Daniela mit ihren großen schönen Augen fordernd ansah und sich aus der Dusche kommend abtrocknete. »Ich werde im Ruheraum auf dich warten, bis du zurück bist. Ich lasse dich jetzt nicht allein! Grüß Ella von mir und genieße ihre magischen Hände.«

Birgit zog ihren Bademantel über, nahm den neuesten Krimi von Volker H. Altwasser aus ihrer Saunatasche und machte sich auf den Weg zum Ruheraum. Sie brachte es nicht übers Herz, die Freundin mit ihren Sorgen allein zu lassen.

Daniela befand sich ein paar Minuten später auf der Massageliege, genoss die Griffe von Ella an ihrem verspannten Nacken und die leise Musik, die aus einem alten CD-Player kam. Sie lag auf dem Bauch und erinnerte sich an ihr Geburtstagsgeschenk vor einem Dreivierteljahr. Richard hatte ihr eine Hot-Chocolate-Massage geschenkt. Was hatte er damals noch gesagt? »Diese Schokolade macht glücklich und wenigstens nicht dick.« Über die Anspielung auf ihre etwas kräftige Figur hatte sie sich zuerst geärgert. Aber Richard hatte es tatsächlich mit Ella vom Belasso so arrangiert, dass er selbst die Massage übernommen hatte. Als Daniela auf dem Bauch gelegen hatte und sie um absolute Stille gebeten wurde, um die Massage genießen zu können, hatte Ella leise die Kabine verlassen und Richard hatte übernommen. Er musste Ella zuvor mehrfach versichern, dass keiner im Haus von dieser Aktion erfahren würde. Sie hatte die ganze Zeit vor der Tür gesessen und gehofft, dass niemand der Kollegen sie fragen würde, was dort drinnen vor sich ging.

Der Duft von Kakao und die wohlige Wärme betörten Daniela und ließen ihre Gedanken in die Südsee abschweifen. Nach einer halben Stunde hatte sie sich umgedreht und erschrocken. Aber sie lächelte sofort, als sie Richard im Bademantel, mit braunen und öligen Händen an der Liege stehend, sah. Er war ein Charmeur und er liebte Überraschungen. Und die war ihm tatsächlich gelungen.

Heute war jedoch alles anders. Daniela hatte damit zu tun, abzuschalten, und nicht schon wieder loszuweinen. Immer wieder sah sie ihren Ehemann und diese blonde junge Frau vor sich. Ein Bild, das sie nicht loswurde.

Kapitel 2

»Das kann nicht wahr sein!« Stationsarzt Dr. Fuhrmann beugte sich zur Oberschwester und flüsterte ihr ins Ohr. »Dieser arrogante Grobmotoriker, der ein Skalpell führt wie ein Brotmesser, soll Chefarzt werden!«

»Das glaube ich nicht!«, erwiderte Oberschwester Liesel ebenfalls flüsternd. »Mühlhoff hat doch schon sämtliche Schwestern meiner Station in Nachtschichten flachgelegt!« Sie rollte genervt mit den Augen. Nur Liesel konnte so vertraut mit Dr. Fuhrmann reden. Beide arbeiteten seit zwanzig Jahren in der Privatklinik für plastische und ästhetische Chirurgie, die, geradezu idyllisch am Schweriner Ziegelsee gelegen, auf Körperstraffungen, Fettabsaugungen und Brustoperationen spezialisiert ist.

Jetzt war es also soweit: Mit nun siebzig Jahren wollte Deutschlands bester Schönheitschirurg, so wurde er unlängst in einem Boulevardmagazin bezeichnet, in seinen wohlverdienten Ruhestand gehen. Der scheidende Chefarzt Prof. Dr. Oskar Sommerfeld hatte sich mit Faltenbehandlung und Facelifting deutschlandweit einen Namen gemacht. Seine fundierte Ausbildung und langjährige Praxiserfahrungen im In- und Ausland waren die Grundlage für den hervorragenden Ruf der Klinik. Er wollte nach Portugal ziehen und dort seinen Lebensabend genießen.

Heute fand seine große Verabschiedung statt. Der Ärztliche Direktor des Klinikums hatte zugesagt, ein paar Worte zu sprechen, und verkünden lassen, dass er allen Spekulationen bezüglich der Nachfolge von Professor Sommerfeld ein Ende setzen wolle sowie den Nachfolger der Klinik umgehend benennen werde. Gespannt saßen alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im festlich dekorierten Aufenthaltsraum der Station. Professor Sommerfeld hatte ausdrücklich darum gebeten, nur im kleinen Rahmen mit einem Gläschen Sekt und ein paar Lachshäppchen verabschiedet zu werden. Seine Frau Viktoria hatte alles liebevoll vorbereitet. Sie stand nun, aufgeregter als Sommerfeld selbst, neben ihm und lauschte der Rede des Direktors des Klinikums. Dabei beobachtete Frau Sommerfeld die Anwesenden ganz genau und bemerkte den Unmut in vielen Gesichtern, als Oberarzt Richard Mühlhoff als Nachfolger der Station benannt wurde.

Er war tatsächlich der Einzige, der lächelte, als vor versammelter Mannschaft bekannt gegeben wurde, dass er die Nachfolge von Professor Sommerfeld antreten solle. Er aalte sich in seinem Glück und ging gedanklich die Worte seiner Dankesrede durch.

»Dieser Macho!«, rutschte es Schwester Liesel so leise heraus, dass es nur Dr. Fuhrmann hören konnte, der neben ihr stand. Der Stationsarzt senkte seinen Kopf und stellte sein halbvolles Sektglas auf den Tisch. Eigentlich war er derjenige, dem diese Stelle zustand. Alle Anwesenden hatten keinen Zweifel, dass Stationsarzt Fuhrmann der Nachfolger sein müsse. Doch der Ärztliche Direktor hatte einen anderen Namen verkündet und die Überraschung sowie die Enttäuschung darüber waren an den Gesichtern abzulesen.

Professor Sommerfeld fehlten die Worte, als er die versteinerten Mienen der Mitarbeiter bemerkte. Deshalb ergriff der sympathische und allseits beliebte Chirurg das Wort, um die unerträgliche Stimmung, die in der Luft lag, zu beenden: »Herr Kollege Mühlhoff, ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen viel Erfolg mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mir loyal seit vielen, vielen Jahren zur Seite stehen. Ich wünsche Ihnen Akzeptanz und ein erfolgreiches Miteinander!« Professor Sommerfeld erhob sein Glas. Er prostete jedoch nicht seinem Nachfolger Mühlhoff, sondern seiner Ehefrau Viktoria mit den Worten zu: »… und nun machen wir uns vom Acker, mein Schatz!«

Alle lachten und applaudierten ihm zu.

Oberschwester Liesel, die in der linken Hand ein kleines, mit einer Schleife verziertes Gemälde hielt, hatte Tränen in den Augen, hob ihr Sektglas mit der rechten besonders hoch und rief laut: »Alles Gute, Herr Professor! Vergessen Sie uns nicht!« Leise sagte sie zu Stationsarzt Fuhrmann: »Das wird für uns die Hölle!«

Fuhrmann nickte zustimmend.

Der neu ernannte Chefarzt Mühlhoff ging auf Oberschwester Liesel zu und nahm ihr das Kunstwerk, das die Stationskollegen für Professor Sommerfeld hatten anfertigen lassen, aus den Händen. Eigentlich sollte sie es im Namen aller übergeben, aber sie war wie erstarrt.

»Herr Professor Sommerfeld«, begann Mühlhoff, »wir wünschen Ihnen einen schönen Lebensabend mit Ihrer Frau in Portugal.« Es schien so, als könne Mühlhoff es kaum erwarten, ihn so schnell wie möglich zu verabschieden. Lieblos übergab er Sommerfeld das Geschenk. Dabei konnte er ihm nicht einmal in die Augen sehen.

Der Professor betrachtete das mit Ölfarben gemalte Bild. Es zeigte die am See gelegene Klinik aus der Luft. Auf dem Dach war das Personal in der grünlich-weißen Krankenhauskleidung erkennbar. Alle winkten dem Betrachter zu.

Oberschwester Liesel hatte sich wieder einigermaßen gefasst und ging auf Sommerfeld zu. »Herr Professor, hier habe ich noch das Foto, das wir dem Künstler als Vorlage für unser Geschenk gegeben haben. Wir haben es extra für Sie mit einer Drohne aufnehmen lassen. – Leider ist Dr. Mühlhoff nicht drauf.«, schob sie zweideutig ein. »Wir stehen hier auf dem Dach unter dem gleichen Himmel, der zu Ihnen bis nach Portugal reicht. Wenn Sie zum Horizont in Richtung Nordosten schauen, wissen Sie, dass wir hier sind und an Sie denken.« Liesel hatte einen Kloß im Hals und musste schlucken.

»Das haben Sie aber lieb gesagt«, antwortete Sommerfeld und lächelte Liesel an. »Tief durchatmen, Oberschwester! Nicht aufregen, das schadet Ihrem Blutdruck!« Die Anwesenden klatschten Beifall. Sommerfelds Frau rollte eine Träne über das Gesicht.

Nachdem der Ärztliche Direktor sich verabschiedet hatte, ergriff der neu ernannte Chefarzt Dr. Mühlhoff das Wort: »Bevor wir alle auseinandergehen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich vorhabe, den Aufenthaltsraum neu zu gestalten. Dazu gehören eine neue Couch, ein Flachbildfernseher und eine hochmoderne Espresso-Maschine. Da uns von der Klinik keine außerordentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, möchte ich dies aus eigener Tasche bezahlen, damit wir uns hier wohlfühlen.« Er zwinkerte dabei der neuen Schwesternschülerin zu, die sich geehrt fühlte. Sie zog schüchtern den Reißverschluss ihres Kittels, der ein wenig zu viel ihres Dekolletés zeigte, hoch.

»Eine neue Couch!«, flüsterte Liesel dem Stationsarzt zu. »Ja, das ist besonders wichtig. Das alte Stück ist schon ganz schön durchgelegen. Da muss ich ihm recht geben. Mal sehen, mit wem er das neue Teil einweihen wird? Schade, dass solche Informationen niemals bis ins Direktionsbüro der Klinik gelangen.«

Niemand sah, wie Stationsarzt Fuhrmann seine geballte Faust aus der Tasche seines weißen Kittels zog, während er auf Mühlhoff zuging und ihn anlächelte. »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Auf eine gute Zusammenarbeit! Privates Geld für die Station … alle Achtung, Herr Kollege! Nein, Herr Chefarzt, muss ich ja nun sagen.« Fuhrmann war froh, dass scheinbar niemand bemerkte, wie er innerlich kochte und seine Wünsche, die er freundlich aussprach, an Sarkasmus nicht zu überbieten waren. ›So eine Ratte, das kann ja heiter werden!‹, dachte er, drehte sich um und verließ den Aufenthaltsraum.

Er ging auf die Toilette, schloss sich ein und schlug mit der Faust mehrfach gegen die Tür. Es war schon ziemlich lange her, dass er so die Kontrolle über sich verloren hatte. Gut, dass es niemandem aufgefallen war.

Kapitel 3

Daniela Mühlhoff saß im Wohnzimmer auf der weißen Designercouch im Dunkeln. Die durchgeschwitzten Tennissachen und das Saunatuch lagen achtlos fallengelassen mitten im Flur. An jedem anderen Tag hätte sie die Klamotten längst gewaschen und aufgehängt. Sie hätte die Villa auf Vordermann gebracht. Naja, besser gesagt von Hedda, ihrer Hausangestellten auf Vordermann bringen lassen. Aber heute war alles anders. Daniela hatte den Beweis, dass ihr Mann sie erneut betrogen hatte. Vor Wut war sie nicht imstande, irgendetwas Nützliches zu tun. Anfangs lief sie aufgeregt durch das riesige Haus und riss Türen auf, die sie dann wieder laut zuknallte. Sie war innerlich aufgewühlt und kam nicht zur Ruhe, fluchte laut und überlegte mehrmals, ob sie Richard nicht anrufen und ihm eine Szene am Telefon machen sollte. Oder sollte sie ihre Sachen packen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Aber Daniela fehlte der Mut, den Luxus, den Richard ihr bot, aufzugeben. Schließlich hatte sie sich aus dem Weinschrank eine der teuersten Flaschen geholt und sie aufgemacht. Nur um Richard zu provozieren, hatte sie einen besonders edlen Rotwein entkorkt.

Das Foto, das ihr ein Privatdetektiv nachmittags übergeben hatte und auf dem ihr Mann mit einer blonden, jungen Frau zu sehen war, hielt sie fest in ihren Händen. Sie hatte das Geld für den Ermittler von ihrem eigenen Lohn zusammengespart. Es war ihr nicht schwergefallen, die paar hundert Euro für den Detektiv aufzubringen, ihr Mann hätte es ohnehin nicht bemerkt. ›Wenigstens hat der Schnüffler seine Arbeit gut gemacht und sich das Geld verdient‹, dachte sie und nahm einen großen Schluck Rotwein aus dem Glas. Am liebsten hätte sie das edle Gefäß an die Wand gefeuert oder den Wein über den weißen Ledersessel gegossen. Was nützten ihr der Reichtum und die Villa am Franzosenweg? Beide lebten schon seit Langem ihr eigenes Leben. Gemeinsame Kinder hatten sie keine bekommen. Daniela besaß einen sehr guten Abschluss als Pharmazeutin und hätte damals, vor vielen Jahren, in die Forschung einsteigen können. Die Entscheidung gegen eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb bereute sie in letzter Zeit immer öfter. Nun war es zu spät. Und die paar Stunden, die sie arbeiten ging, nur um unter Leuten zu sein, waren oft Streitthema mit ihrem Mann. Er wollte nicht, dass sie damit ihre Zeit verbrachte, weil es finanziell nicht notwendig war. Vielleicht schämte er sich auch, wenn Kollegen ihm erzählten, dass sie seine Frau in der Apotheke beobachtet hätten, wie sie älteren Herren diskret die Einnahme von Viagra erklärte oder Tabletten gegen Inkontinenz anpries?

Es war soweit. Daniela hörte den Schlüssel in der Haustür und Richard kam herein. Schnell schob sie das Foto unter das Sitzkissen der Couch. Er sah entspannt und glücklich aus. ›Der muss bei ihr gewesen sein‹, war Danielas erster Gedanke. ›Das ist doch nicht normal, dass jemand nach einem Zwölfstundentag so ausgeruht aussieht. Sie steigerte sich in die Szenerie hinein und stellte sich vor, wie Richard vor einer halben Stunde aus dem Bett der Blondine gestiegen war. Die schöne Frau, deutlich jünger als er, hatte ihm vermutlich alles abverlangt. Bestimmt hatte er sich das geholt, was er zu Hause nicht auszusprechen wagte.

Richards gute Laune verflog schlagartig, als er die edle Rotwein-Flasche auf dem Glastisch stehen sah. »Sag mal bist du noch zu retten! Der teure Wein! Für so eine Flasche musst du eine halbe Woche in deiner Apotheke arbeiten. Ist dir das bewusst?« Er starrte sie wütend an und schmiss seine Ledertasche auf den Sessel. Von einer Sekunde zur anderen sah er abgespannt und nervös aus.

»Ich wusste gar nicht, dass der Wein so teuer ist«, log Daniela, um ihn zu provozieren. »Davon liegt doch noch eine weitere im Weinschrank.«

»Du weißt genau, dass ich mit den Weinen zu Auktionen fahren will. Es ist meine Leidenschaft!«

»Eines deiner Hobbys! Ein Hobby, das uns Leiden schafft. Das hast du richtig gesagt!«, erwiderte Daniela.

Richard nahm ihr die Flasche aus der Hand und wollte sich den Rest, der noch darin war und seiner Meinung nach nicht die richtige Temperatur hatte, selbst kredenzen. Er roch an der Flasche und schloss für einen Moment die Augen. Das Bouquet war einzigartig. Ein Spitzenwein ohnegleichen, stellte er fest. »Du hast Glück, Daniela, den Wein hätte ich vielleicht heute ohnehin geöffnet.« Richard hatte sich etwas beruhigt, nahm seine Tasche vom Sessel und brachte sie in den Flur.

»Ja? Warum? Gibt es was zu feiern oder willst du mir etwas sagen?«, fragte Daniela und schaute Richard verunsichert an. Fast hatte sie ein schlechtes Gewissen wegen der Flasche bekommen. Sie konnte dem trockenen Wein nichts abgewinnen und der Sammlerleidenschaft ihres Mannes erst recht nichts. Die einzigen Lichtblicke waren die Reisen in die schönsten Weingebiete Deutschlands und Frankreichs. Die Tropfen aus dem Supermarkt schmeckten Daniela jedoch eindeutig besser.

»Es gibt was zu feiern, Daniela«, antwortete Richard und positionierte sich vor seiner Frau. »Jetzt musst du deinen Job in der Apotheke hinschmeißen. Ich möchte, dass du nicht mehr arbeitest!«, forderte er sie mit einem arroganten Lächeln auf.

»Lass mich doch! Es macht mir Spaß!«, erwiderte Daniela.

»Dein Richard ist heute vom Ärztlichen Direktor befördert worden. Ich bin seit heute offiziell Sommerfelds Nachfolger.«

Daniela sah ihn erstaunt an.

»Ich bin der neue Chefarzt der Schönheitsklinik. Ist das nicht der Wahnsinn?«

»Oh«, rutschte es Daniela heraus. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte.

»Stell dir mal vor, es gab Standing Ovations, als ich zum Chefarzt ernannt wurde«, log Richard, ohne mit der Wimper zu zucken, und trank sein Glas leer. Er hatte noch die unschöne Szene und das Gemurmel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hinterkopf, als die Nachricht verkündet worden war und Sommerfeld sichtlich mitgenommen abgedankt hatte.

»Na, dann herzlichen Glückwunsch!« Daniela gratulierte mit monotoner Stimme und starrte auf ihr Rotweinglas. Hätte sie ihn angesehen, dann wäre ihr aufgefallen, dass er sie angelogen hatte. »Dann kommst du ja jetzt noch später als sonst nach Hause, oder?«, rutschte es ihr heraus.

»Ist das deine einzige Sorge? – Nein, da wird sich nicht viel ändern. Delegieren heißt das moderne Zauberwort. Ich muss nur die Kontrolle über die Klinik haben. Ich werde da schon Wind reinbringen. Der Sommerfeld war doch viel zu gutmütig und naiv«, kritisierte er seinen Vorgänger.

»Aber er war sehr beliebt. Schade!«

»Wie bitte? Gönnst du mir die Stelle etwa nicht, oder bist du neidisch, dass du es nur in die Apotheke am Marienplatz geschafft hast?«

»Ich bin da, weil ich dir den Rücken freigehalten habe. Und weil ich dir den Freiraum zum Fremdgehen gelassen habe!«

»Hör auf! Willst du wieder die alten Geschichten herauskramen?«

»Alte Geschichten? Ich denke, du weißt sehr genau, dass es keine alten Geschichten sind!«, ließ sie im Raum stehen und rollte mit den Augen.

Richard hatte sich umgedreht und Daniela wortlos zurückgelassen, um sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen. Er nahm einen großen Schluck und hatte aus Versehen gerülpst.

»Herrlich, du isst und trinkst wie ein Schwein. Machst du das nur bei mir oder auch bei einer deiner Geliebten? Wie war es eigentlich in Heiligendamm? War der Kongress erfolgreich?«, fragte sie provokant.

»Sag mal, was soll das?« Richard wurde immer unruhiger und lief in der Wohnstube auf und ab. Sein Gesicht war gerötet und er knallte mit dem Fuß die Hausschuhe von Daniela durch die Gegend, über die er fast gestolpert wäre. »Was redest du dir ein? Oder bist du krank? Muss ich mir Sorgen machen?« Arrogant blickte er seine Frau an und versuchte, die Fassung, die er gerade verloren hatte, wiederzufinden.

»Ich hasse dich. Du und deine Lügen! Ich glaube dir nicht mehr. Du bist und bleibst ein Fremdgeher!«

»Sei bloß still! Du bist krankhaft eifersüchtig. Ich habe dir versprochen, treu zu sein. Reiß dich zusammen! Als Chefarzt dulde ich solche Ausfälle meiner Frau nicht!«

»Ach ja? Vielleicht bin ich als Frau vom Chefarzt auch zu alt und nicht mehr vorzeigbar?«

»Du kannst dich im Selbstmitleid suhlen oder den Ball, in deinem Fall den Tennisball, flach halten, sonst …«

»Sonst was?«, schrie Daniela, unterbrach ihn und fiel ihm ins Wort.

»… du wirst schön das machen, was ich dir sage! Sonst kannst du dein luxuriöses Leben ganz schnell abhaken«, drohte er ihr mit erhobenem Zeigefinger.

Daniela nahm ihr Weinglas in die Hand und schüttete Richard den Rest blitzschnell ins Gesicht.

»Du Schlampe. Bist du bescheuert? Das wirst du mir büßen!« Der Wein lief über sein Gesicht und brannte in seinen Augen.

»Willst du mir drohen, Richard?«, schrie Daniela zurück. »Pass mal auf, dass der blonden Schlampe an deiner Seite nichts passiert und deine Ehefrau aus der Apotheke sich nicht etwas ganz Besonders für dich einfallen lässt!«

Richard hatte sich die Augen mit dem Ärmel seines weißen Hemdes ausgewischt und packte Daniela am Arm. »Willst du Hexe mich vergiften? Du hysterisches Miststück!«

»Vielleicht!«, konterte Daniela. »Aua, du tust mir weh!« Richard hielt sie am Unterarm fest. »Lass mich looos! Hör auf, oder ich ruf die Polizei!«, schrie sie ihn noch lauter an.

Sofort ließ er sie los und schubste sie von sich. Einen Skandal im Hause Mühlhoff mit einem gewalttätigen designierten Chefarzt war nicht die Schlagzeile, die er für seine weitere Karriere benötigte.

Kapitel 4

»Was hast du für blaue Flecken an deinem Unterarm?«, fragte Birgit ihre Freundin Daniela am nächsten Tag.

»Wo?« Daniela zog irritiert den Ärmel ihres Kaschmirpullovers zum Handgelenk zurück, nachdem sie das Sahnekännchen auf dem Glastisch abgestellt hatte.

Beide hatten sich in der Mittagspause im Café Rothe am Markt in Schwerin verabredet. Birgit war verwundert, wie schlecht Daniela aussah. Sie war sonst immer perfekt geschminkt und machte stets den Eindruck, als käme sie gerade vom Friseur. Ihre Freundin wirkte abgeschlagen und müde.

»Zeig mal!«, bat Birgit sie und hielt ihre Hand behutsam fest.

»Ach, ist schon gut«, erwiderte Daniela. Plötzlich standen ihr Tränen in den Augen, die bewiesen, dass gar nichts gut war.

»Bitte, Daniela! Ich bin deine Freundin. War das Richard?«, fragte Birgit und kannte bereits die Antwort, die sie gleich hören würde.

»Ja«, antwortete sie zögerlich und bat Birgit um ein Taschentuch, da sie in ihrer Handtasche keines fand. Daniela blickte nach unten. Das kleine Stückchen Pflaumenkuchen vor ihr schob sie von sich. Der Appetit war ihr vergangen. Eigentlich hatte sie an diesem frühen Nachmittag keinen Kuchen essen wollen. Aber sie wollte Birgit nicht auch noch die Laune verderben, denn ihre beste Freundin hatte sich schon am Telefon auf ihren Streuselkuchen gefreut, als sie zur spontanen Verabredung ohne nachzudenken zusagte.

»Passiert das öfter? Ist Richard gewalttätig?«, hakte Birgit vorsichtig nach und beobachtete Daniela sorgsam.

»Nein. Es war das erste Mal. Ich habe ihn gestern zur Weißglut gebracht.«

»Jetzt verteidige ihn doch nicht! Was ist passiert? Hast du ihm das Foto mit der Blondine gezeigt?«

»Nein! Dazu ist es nicht gekommen! Er wurde zum Chefarzt befördert und ich habe ihm eine Eifersuchtsszene gemacht. Von der unbekannten Frau habe ich nichts erwähnt. Vorher hatte ich noch einen seiner besten Weine geöffnet und den wie Limo getrunken.«

»Und deshalb ist er ausgerastet?«, fragte Birgit entgeistert. »Hast du noch andere Verletzungen?«

»Nein.«

»Du musst das von einem Arzt anschauen und aktenkundig machen lassen.«

»Und dann? Soll ich meinen Mann anzeigen? Die blauen Flecke kann ich mir auch selbst zugefügt haben. Es gibt keine Zeugen!«

»Was hast du denn vor? Willst du warten, bis es noch einmal passiert oder du noch größere Verletzungen davonträgst?« Birgit sah ihre Freundin traurig an und bat die Kellnerin, ihr das Kuchenstück einzupacken. Sie mochte es jetzt nach dem Gespräch auch nicht mehr essen.

»Ich weiß es nicht, Biggi«, fuhr Daniela fort. »Ich bin so wütend auf Richard und verliere fast den Verstand. Ich kann an nichts anderes als an diese junge Frau denken!« Daniela schaute auf ihre Armbanduhr. »Oh Gott, ich muss zurück in die Apotheke! Mein Kollege wollte früher Feierabend machen und ich habe zugesagt, ein paar Stunden länger für ihn zu arbeiten.«

Sie standen beide auf und gingen an den Tresen des Cafés. Birgit lud ihre Freundin ein und bezahlte. »Ruf mich bitte heute Abend an!«, bat sie und steckte ihren Kuchen, der in Alufolie verpackt war, vorsichtig in eine Tasche.

»Ja, mache ich«, antwortete Daniela zögerlich. Sie gab Birgit einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich. »Entschuldige bitte!«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Ich wollte dir den Nachmittag mit meinen Sorgen nicht verderben.«

»Ich bin immer für dich da, das weißt du doch!«

Birgit ging nur ein paar Schritte. Dann öffnete sie die weiße, schwere Tür zum Rathaus, in dem sie als Standesbeamtin arbeitete.

»Schön, dass du endlich kommst!«, begrüßte Danielas Kollege Henning sie sarkastisch ein paar Minuten später. »Du wolltest mich vor einer Viertelstunde ablösen! Ich hatte dir gesagt, dass ich einen wichtigen Termin habe und pünktlich gehen muss!« Daniela war von der Schmiede- in die Mecklenburg- und schließlich durch die Helenenstraße entlanggelaufen und war völlig außer Atem, als sie die drei Treppenstufen in die Apotheke hochstieg.

»Entschuldige bitte, Henning! Tut mir leid!«, pustete sie.

»Ja, ist schon gut.« Henning beruhigte sich sofort, als er sah, wie schlecht Daniela aussah. Es sind noch Medikamente gekommen, die registriert und unbedingt verschlossen werden müssen. Wo der Sicherheitsschlüssel für unseren Giftschrank liegt, weißt du ja.« Sie nannten den Schrank, in dem giftige Substanzen unter Verschluss gehalten wurden, immer noch umgangssprachlich so, obwohl das hochmoderne Möbel fast einem Tresor ähnelte. Die Chefin der Apotheke hatte es vor Jahren angeschafft, um nicht gegen Vorschriften zu verstoßen und die extrem teuren Rohstoffe und Betäubungsmittel vor Einbrechern geschützt zu wissen. Unlängst war in der Apotheke auf dem Großen Dreesch ein kompletter Giftschrank gestohlen worden.