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STERNENTIGER

Band 3

 

MUTANTEN-
WAFFE IM
EINSATZ

 

von

HORST HOFFMANN

IMPRESSUM

STERNENTIGER

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Romantruhe.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

© 2015 Romantruhe.

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Die Personen und Begebenheiten der

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Was bisher geschah:

 

Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, entdeckt das Geheime Geheimwissenschaftskommando das Geheimnis der Zeitreise und bringt von einem Vorstoß in die Zukunft die Unterlagen zum Bau eines Raumschiffs sowie von Klonfabriken mit. Der Führer lässt in aller Eile den Fluchtkreuzer WELTRAUMSTURM bauen und begibt sich mit seinen letzten Getreuen auf den »vorläufigen taktischen Rückzug«, wobei sie Klonduplikate von sich zurücklassen, um die anrückenden Feinde zu täuschen.

Nach 65 Jahren Tiefschlaf landet der WELTRAUMSTURM auf dem erdähnlichen Planeten Neu-Germanien, wobei leider alle kosmischen Daten der Erdheimat verloren gehen. Erst fünf Jahre später, genau auf den 125. Geburtstag des Führers am 20. April 2014, wird eine TV-Sendung von der Erde empfangen, offenbar eine Übertragung aus einer Irrenanstalt mitten im australischen Dschungel. Der Führer erleidet einen heftigen Tobsuchtsanfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Auf seinem Sterbelager beauftragt er seinen Vertrauten, Generaloberst Julius Eberhard Konradin Strammer, die Erdheimat wiederzufinden, vom Joch der Verräter und – vor allem bolschewistischen – Feinde zu befreien und das Reich neu zu errichten.

Am 2.8.2014 bricht der Sternengeneraloberst, wie er sich nun nennt, mit dem mächtigen Raumschiff STERNENTIGER auf, die Erdheimat im Sternengewimmel der Galaxie zu finden und den Auftrag des Führers auszuführen – keine leichte Aufgabe, denn dessen verheerenden Tobsuchtsanfall fielen die gerade erst neu gewonnenen kosmischen Daten der Erdheimat erneut zum Opfer. Eher als geglaubt scheint man fündig zu werden, doch das Sonnensystem, das dem eigenen gleicht wie ein kosmisches Ei dem anderen, erweist sich als Trugwerk einer sterbenden Rasse, deren Sonne von jenen roten Kugelraumern zur Nova gezündet wurde, die, neben den Wracks grüner Ringraumschiffe, fast auf jeder Station der Suche angetroffen werden.

Die Ignasuur, wie sich die Fremden nennen, sind in der Lage, aus den Gedanken anderer Wesen deren geheimste Wünsche zu lesen und ihnen genau das suggestiv vorzugaukeln, um sie zu sich zu locken und ihnen den Lebenssaft zu rauben. Strammer und seine Männer gehen in ihre gemeine Falle und können in letzter Sekunde durch den »Verrat« des ignasuurschen »Orakels« dem grausamen Tod durch Auszehren entgehen.

Strammer setzt mit dem STERNENTIGER und dem übergelaufenen Orakel die Suche fort, wobei der Sternengeneraloberst bereits von einer »Mutantenwaffe« träumt, so wie er sie aus den ebenfalls aus der Zukunft mitgebrachten Heftchenromanen kennt, die der Führer mit großer Begeisterung verschlang. Im Sonnensystem AH-0002 wird der STERNENTIGER dann erstmals mit den roten Kugelraumschiffen konfrontiert und es stellt sich heraus, dass es sich um die »Friedenstruppen« des bolschewistischen Erzfeindes handelt. Wie es scheint, hat auch Stalin eine Zeitmaschine bauen lassen und nach dem feigen Sieg über das Reich Flotte um Flotte aus dem Boden gestampft, um die unterdrückten und ausgebeuteten Völker des Weltalls im Salventakt ihrer Strahlenkanonen zu befreien.

Einem von Strammer selbst angeführten Kommando gelingt es zwar nicht mehr, die gestaltwandlerischen Grr-Pff als dominierende Rasse des von ihnen »Schmalz« genannten Planeten vor der restlosen Befreiung zu retten, doch gelingt es, einen hohen Offizier der elenden Bolschewisten gefangen zu nehmen und unter der Wodkafolter zum Reden zu bringen. Strammer erlangt wertvolle Aufschlüsse über den Feind, seine Hoffnung, die kosmische Position der Erdheimat zu erfahren, erfüllt sich allerdings nicht. Unbeantwortet bleibt auch die Frage nach der mysteriösen ACHT, offenbar eine uralte Macht, die an vielen Orten ihre rätselhaften Spuren hinterlassen hat.

Und so geht die Suche weiter, Satz um Satz und von Sonnensystem zu Sonnensystem. Bis der STERNENTIGER mitten in eine Raumschlacht zwischen den roten Kugeln und den geheimnisvollen grünen Ringraumern gerät. Sternengeneraloberst Strammer erkennt die sich ihm hier bietende Chance, Verbündete im Kampf gegen die »Roten« zu finden – und es wird Zeit für die MUTANTENWAFFE IM EINSATZ …

Das erste Kapitel:

RAUMSCHLACHT VORAUS!

 

 

»Ich … habe eine Vision«

Sternengeneraloberst Julius Eberhard Konradin Strammer verschluckte sich fast an dem Buttercremetörtchen, das er sich gerade erst frisch in den Mund geschoben hatte. Zwar hatte er aus den Winkeln seiner stahlgrauen Augen gesehen, wie sich die vollautomatische Tür der Offiziersmesse öffnete und das Orakel seinen kartoffel- oder mehlsackähnlichen Körper hindurchzwängte, doch es war bereits später Nachmittag und nicht früher Morgen, wenn das Orakel normalerweise erschien, um zu verkünden, dass es eine neue Vision gehabt habe. Dies bezog sich in ziemlich genau 98,8 Prozent aller Fälle auf das Ziel ihrer Suche: die weiterhin unbekannte Position der Erdheimat im schier grenzenlos scheinenden Weltall. Wenn sich das Orakel um diese Tageszeit aus seiner Wanne hob und unter die Raumfahrer mischte, hatte das entweder einen anderen Grund oder gar keinen. Strammer war es eigentlich lieber, wenn das Letztere der Fall war, doch heute konnte es sich ebenso auch darum handeln, dass der letzte Überlebende der Ignasuur das im Sinn hatte, weshalb er und eine Handvoll Offiziere sich hier am großen runden Kommandantentisch bei Kaffee und Buttercremetörtchen versammelt hatten:

Seinem Persönlichen Adjutanten Sternenmajor Hermann Mühlenmeister zum 33. Geburtstag zu gratulieren.

Diese Bezeichnung war zwar nicht ganz korrekt, denn Mühlenmeister war, wie die große Mehrzahl der Besatzung von einer Klonfabrik ausgetragen worden, doch man blieb schon allein aus psychologischen Gründen beim altvertrauten Wort. Strammer fühlte einen kurzen Moment so etwas wie Rührung und Freude. Er dachte sogar schon daran, das Orakel könnte sich vielleicht ein kleines Gedicht oder ein Ständchen für Hermann ausgedacht haben, der es mit bereits recht glasigen Augen erwartungsvoll ansah.

»Du … hattest … eine Vision«, spuckte Strammer mit reichlich halb zerkauten Törtchenbissen aus und gemahnte den Zweimetersack unterschwellig an die grammatikalisch unkorrekte Formulierung, die ihn jedes Mal ärgerte. »Jetzt, mitten am Tag.«

Die Adleruhr schrie bereits die fünfte Stunde und gemahnte daran, dass es bald Zeit war, zur nächsten Schicht die Kommandokugel aufzusuchen. Der 522. Satz am 69. Tag der zunehmend verzweifelten Suche stand bevor.

»Ich … habe eine Vision«, wiederholte das Orakel in seiner schier unbelehrbaren Art. »Ich sehe …«

»Ich sah«, knurrte der Sternengeneraloberst. Mühlenmeister sah ihn überrascht an. »Was denn – du auch?«

»Ich … sehe …«

»Die Erdheimat«, seufzte Strammer, »zum 257. Mal.« Er vernahm ein ungehaltenes Knurren von unter dem Tisch, wo sein Dackelpinscher Justus auf die nächsten Krümel wartete. »Und wo hast du sie diesmal gesehen?«

»Ich sehe … nicht die Erdheimat«, erwiderte das Orakel gedehnt.

»Dann ist es ja bitteschön gut«, sagte Strammer und schob sich ein neues Törtchen in den Mund. »Wir sehen uns dann …«

»Ich sehe … Schiffe«, sagte das Orakel, ohne sich von der Stelle zu bewegen. »Viele Raumschiffe.«

»Wie gesagt«, mampfte Strammer. »Wir sehen uns morgen um die gewohnte Zeit und …«

»Ich sehe … Blitze und Strahlen und … Explosionen. Explosionen von Schiffen. Vielen Schiffen. Zwei riesige Flotten in einem erbitterten Kampf.« Das Orakel pupste. »Mitten im Weltraum.«

Strammer verschluckte sich abermals und löschte die Verstopfung mit einem schnellen Schluck lauwarm abgekühlten Bohnenkaffee. Zum ersten Mal sah er das Orakel genauer an und bemerkte die Verfärbungen an seinen Sinnesflecken, die auf deutlich erhöhte Erregungswerte hindeuteten.

»Zwei … Flotten«, wiederholte er hustend. »Also du meinst …«

»Eine Raumschlacht?«, unterbrach ihn sein Persönlicher Adjutant, der es seit jener Nacht, in der ein immer noch unbekannter Attentäter ihn von Kopf bis Fuß in schwarze Farbe getaucht und Justus bis auf einen kleinen Schnauzbart kahl geschoren hatte, nicht mehr gewagt hatte, seinen minzgrünen Lidschatten und den minzgrünen Nagellack aufzutragen. Trotzdem verstummte er unter Strammers missbilligendem Blick.

»Was sind das für Flotten?«, fragte der Kommandant des STERNENTIGERS. »Oder was für Schiffe?« Eigentlich glaubte er bereits zu wissen, wie eine der Flotten aussah, dennoch fühlte er seinen Blutdruck dramatisch ansteigen, als das Orakel seine Ahnung bestätigte.

»Ich sehe … rote Kugeln«, pulste es. »Große rote Kugeln, Tausende davon, viele Tausende.«

Die elenden Bolschewisten!, durchzuckte es wie zur Bestätigung den Sternengeneraloberst. Wo, zum Donnerwetter, gab es sie eigentlich nicht? Existierte überhaupt noch ein Ort im All, vielleicht ein klitzekleines Sonnensystem, in dem nicht die Mordbrenner des GENOSSEN EINS ihren roten Terror verbreiteten?

Strammer dachte an die letzte Vision des Orakels, die ihn veranlasste, die Suche nach der Erdheimat zu unterbrechen, um im System AH-0002 zugunsten der angegriffenen Bevölkerung eines bis auf die exakt achteckigen Kontinente erdähnlichen Planeten einzugreifen, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Tatsächlich war es ihm und seinen Männern gelungen, den Anführer der roten Teufel zuerst in ihre Gewalt und dann in einem Spezialverhör dazu zu bringen, ihre Fragen zu beantworten. Seither wusste man einiges mehr über den Feind und seine Organisationsstruktur.

Es war also reinste Verschwendung von Zeit und Material, sich noch einmal einzumischen, wenn die rote Pest zuerst mit den restlichen Bewohnern des Weltalls aufräumte, um den Überlebenden danach den Segen des Sozialismus zu bringen. Um das All von den Enkeln des räudigen Stalin zu säubern, musste zuerst die Erdheimat gefunden und dort mit den Bolschewisten abgerechnet werden. Die Interstellare Solidarität musste mit den Wurzeln ausgerissen werden, und diese befanden sich auf der Erdheimat und nirgendwo sonst!

Der Sternengeneraloberst nickte bereits in die Runde, um daran zu erinnern, dass sich jeden Moment die Bordrechenmaschine EVA melden würde, um sie daran zu erinnern, dass sie im Kommandokopf des STERNENTIGERS gebraucht wurden, als das Orakel dezent rülpste und bemerkte, dass die Schiffe der zweiten Flotte grün waren.

Strammer vergaß EVA und kniff die Augen zu lauernden Schlitzen zusammen.

»Grün?«, fragte er. »Die anderen Raumschiffe sind … grün?«

Das Orakel schwieg.

»Und ihre Form?«, fragte Strammer. »Sie sehen doch nicht etwa aus wie …?«

Das Orakel schwieg.

Strammer tat einen tiefen Seufzer, stand vom Geburtstagstisch auf und flüsterte dem Orakel etwas in seine nächst erreichbaren Gehörmembranen.

»Wirklich?«, fragte das Wesen.

»Wirklich!«, knurrte Strammer. »Mein Sternenoffiziersehrenwort. Und jetzt raus damit. Wie sehen die grünen Schiffe aus?«

»Wie große Ringe«, sagte das Orakel. »Es sind grüne Ringraumer, wie wir sie bisher nur …«

»Äh, ich will ja nicht stören«, flötete EVAs Stimme aus den Lautsprechern gleich neben der Adleruhr, »aber …«

»Klappe!«, schnauzte der Sternengeneraloberst.

»Wie wir sie bisher nur immer als …«

»Klappe!«, zischte Strammer das Orakel an. »Alle die Klappe halten. Ich habe nachzudenken.«

»Hast du gerade zu mir Klappe gesagt, Julius?«, fragte es bedenklich leise aus den Lautsprechern.

»Vergiss es!«, knurrte Strammer und trank seinen inzwischen schal gewordenen Bohnenkaffee aus. »Ich …«

»Ich soll es … vergessen?« EVAs Stimme klang noch eine Spur bedenklicher. »Du sagst, ich solle meine Klappe halten, und dann soll ich es auch noch … vergessen, Julius? Einfach vergessen?«

Sternengeneraloberst Julius Eberhard Konradin Strammer winkte ab und stampfte entschlossenen Schrittes aus der Messe. EVA würde sich schon wieder einkriegen, das tat sie immer. Aber jetzt hatte er für ihre typisch weiblichen Empfindlichkeiten keinen Sinn. In seinem Kopf reifte ein Plan heran, der vielleicht kriegsentscheidend sein konnte, auch wenn er noch niemandem den Krieg erklärt hatte. Aber die elende Bolschewistenbrut brauchte auch keine Kriegserklärung. Allein, dass es sie gab und sie sich im Weltall wie die Pest aller Pesten ausbreitete, war eine Kriegserklärung an alle anderen friedliebenden Lebewesen und Rassen im All. Strammer war sicher, dass der Führer das genauso gesehen hätte.

»Du kannst doch jetzt nicht einfach so gehen, Julius!«, dröhnte EVAs Stimme hinter ihm her. »Also wirklich, das ist ja wohl das …«

»Klappe!«, schnauzte Strammer.

 

*

 

Itzebu-1von2 sah den nächsten Feuerball auf seinen Schirmen und nickte trotzig und entschlossen. Bei jedem nächsten Feuerball, der die Vernichtung eines seiner Schiffe bedeutete, nickte er noch trotziger und entschlossener, und beim übernächsten noch mehr. Denn dies war der Endkampf, das letzte Gefecht zwischen seinem einst so stolzen und einflussreichen Volk und den Rotsternen, die seit ziemlich genau 1500 Jahren die Galaxis mit Terror und Vernichtung überzogen. 1500 Drogon-Jahre, um genau zu sein. Das entsprach etwa genau 50 Jahren nach der Zeitrechnung des Feindes.

Itzebu-1von2 führte die Letzte Armada in jenem genauso viele Jahre währenden Kampf gegen die Rotsterne, und wenn es nun nicht gelang, sie hier und jetzt zu schlagen, dann war es ein für alle Mal aus mit der Herrlichkeit und dem Traum vom Goldenen Reich, und der Große Gießer mochte das verhindern. Itzebu-1von2 hoffte tief in seinem bleiernen Doppelherzen, dass der Große Gießer in diesem Moment bei ihm und der Armada war und es nicht zuließ, dass sein auserwähltes Volk, das er nach seinem Ebenbild gegossen hatte, in dieser letzten Schlacht unterging.

Allerdings schien sich der Große Gießer mit seinem Beistand Zeit zu lassen, denn ein Schiff nach dem anderen wurde in den Strahlengewittern der Rotsterne zum Wrack oder gleich zur kleinen, rasch verblassenden Atomsonne. Der Feind war sowohl zahlen- als auch waffenmäßig weit überlegen und hatte noch kein eigenes Raumschiff verloren, jene roten Kugeln, die in ihren starken Schutzschirmen schier unzerstörbar schienen.

Itzebu-1von2 sah drei von ihnen genau auf sich und sein Kommandoschiff RING-1 zurasen und ihre Waffenmündungen aufblitzen. In einem wütenden Manöver riss er RING-1 aus der Bahn der mörderischen Strahlen und ließ es drei doppelte Salti und mindestens vier, wenn nicht sogar fünf Haken schlagen, um neunzig Grad aus dem Kurs schießen, zwei gewagte Kehren machen und dabei feuern, was das Zeug hielt.

Genauso gut hätte er sie mit Konfetti bewerfen können. Seine Doppelstrahlen kamen nicht durch, brachten die Schutzschirme der Rotsterne zwar kurz zum Aufleuchten, erreichten aber nie die Raumkugeln selbst, die sich nach kurzer Verwirrung bereits wieder zu formieren begannen.

»Zwei von Zwei?«, rief Itzebu-1von1 mit wachsender Verzweiflung. »Warum lässt du mich ausgerechnet jetzt im Stich? So antworte doch! Melde dich! Es wird alles gut, ich schwöre!«

Nichts. Keine Antwort und keine Reaktion von seinem Doppel, und nach ihm zu sehen, war schlichtweg unmöglich. Genauso unmöglich wie die alleinige Führung der Armada, des letzten Aufgebots seines einstmals so kapitalkräftigen Volkes. Und ohne Führung war es verloren. Die Schiffe kämpften jedes für sich, ungeordnet und ohne Sinn. Ihre grünen Strahlen fuhren ziellos zwischen die Rotsterne, die unvermittelt das eigene Feuer eröffneten und die Armada weiter dezimierten.

Das letzte Aufgebot – ja, das waren sie. In tausend und mehr Schlachten hatten die Drogon den so plötzlich zwischen den Sternen aufgetauchten Feind aufzuhalten versucht, aufzuhalten und zurückzuschlagen, wo längst kein Zurückschlagen mehr möglich war. Die Wracks Zigtausender RING-Einheiten säumten fast jedes Sonnensystem in diesem galaktischen Sektor. Einst die Blüte des Weltraums und nur die Große Acht über sich war aus den Drogon ein Volk von Gejagten geworden, bis auf wenige Ausnahmen ausgerottet von den Rotsternen, die ihre Wohnplaneten entweder langsam aufheizten oder gleich mit ihren Todesstrahlen angriffen und vernichteten. Nur wenige Welten gab es noch, in denen die versprengten Lohntruppen der Drogon sich versteckten, den Widerstand organisierten und die Kapitalströme aufrechterhielten. Die ziemlich genau 735 RING-Einheiten seiner Armada waren ein letzter verzweifelter Versuch, sich mit verbesserten Waffen dem Feind entgegenzustellen, bevor er die geheime Rückzugsbasis der Überlebenden fand und ebenfalls auslöschte. Und das konnte nur noch eine Frage der Zeit sein.

»Zwei von Zwei!«, rief Itzebu-1von2 heiser. Seine bleiernen Stimmbänder schmerzten und kratzten vom vielen Schreien nach seinem Doppel. »Hilf mir, ich brauche dich! Es wird alles wieder gut, ich schwöre!«

Nichts. Keine Antwort. Spätestens jetzt hätte Itzebu-1von2 anfangen müssen, sich wirkliche Sorgen zu machen. Gut, sie hatten sich gestern gestritten, wegen einer lächerlichen Lappalie wie dem richtigen Schmelzschutzbezug zwar, aber wirklich heftig gestritten und auch beleidigt. Dass 2von2 dann schmollte, war normal und nicht zu ändern. Dass er aber so lange schmollte, war schon ungewöhnlich. Dass er ihm damit einreden wollte, der Streit habe ihm so zugesetzt, dass er nahe daran war, den Schmelzpunkt zu erreichen, war unglaublich.

Und was, wenn …?

Itzebu-1von2 wollte gar nicht daran denken und konnte es auch nicht, weil diesmal gleich fünf rote Kugeln auf ihn zu rasten und sich auf ihn einschossen. Einem tödlichen Vernichtungstreffer entging Itzebu-1von2 wiederum nur durch einige waghalsige Manöver, die darin gipfelten, dass sich zwei der fünf Rotsternschiffe gegenseitig trafen und abschossen.

Das war unfassbar!

Itzebu-1von2 rief nach seinem Doppel, um ihm den Triumph mitzuteilen. Zum ersten Mal überhaupt gab es Verluste beim Feind, wenn auch durch dessen eigene Strahlen. Er rief nach den anderen RING-Einheiten, doch außer sinnlosem Gestammel und hysterischen Hilferufen kam auch von ihnen nichts zurück.

»Wir sind alle aus einem Guss!«, sinnierte Itzebu-1von2 die Heiligen Worte in die Mikrofone des Kapitalfunks. »Wir sind alle aus einem Guss!«

Hörte ihn wenigstens der Große Gießer? Hatte er sein auserwähltes Volk verlassen und griff deshalb nicht ein, oder steckte er nur gerade in anstrengenden Verhandlungen? Itzebu-1von2 sah den nächsten Angriff auf sich zukommen und riskierte alles, was er noch hatte. Sein RING ächzte und pfiff unter den Belastungen, die er ihm mit seinen waghalsigen Manövern zumutete, aber noch hielt er. Noch hatte er keinen Treffer abbekommen, während von seiner Armada höchstens noch ein Zehntel übrig war.

Es war aussichtslos. Es hatte keinen Sinn mehr. Wie konnte es auch, wie konnte er eine Flotte führen ohne ein funktionierendes Doppel?

»Zwei von Zwei!«, schrie er. »Bist du tot?«

»Ja«, röchelte es bleiern aus den Lautsprechern der RING-Zentrale. »Und du trägst die Zinsen.«

 

*

 

Sternengeneraloberst Julius Eberhard Strammer hockte in seiner Kommandokugel, ohne vom Treiben seiner Offiziere im Kommandokopf einige Meter unter ihm viel mitzubekommen. Oder besser gesagt: vom Nicht-Treiben seiner Männer. Denn alles, was sie taten, bestand im Grunde daraus, zu ihm hochzublicken in der Erwartung einer Entscheidung über den nächsten Satz über einhundert Lichtjahre – oder vielleicht weniger, wenn er sich dazu entschloss, die Suche nach der Erdheimat wegen einer neuen »Vision« des Orakels zu unterbrechen und sich die nach Aussage des Orakels in 53,88 Lichtjahren Entfernung immer noch tobende Raumschlacht aus der Nähe anzusehen und vielleicht …

Strammer murmelte einen Fluch und überzeugte sich, dass alle Lautsprecher, Bildschirme und sonstige Kanäle, über die ihm EVA auf den Nerv gehen konnte, abgeschaltet waren. Obwohl sie schwieg, glaubte er, die Stimme der Bordrechenmaschine andauernd zu hören, ein lautloses Geflüster voller Fragen und Vorwürfe, wie nur ein weibliches Wesen sie fragen und einem gestandenen Mann vorwerfen konnte.

Er riss sich zusammen und zählte die Fakten auf.

Erstens. Erstens hatte das Orakel eine neue Vision. Zweitens taten sich völlig ungeahnte Möglichkeiten auf, sollte es sich nicht geirrt oder einen Scherz übelster Sorte erlaubt haben.

Denn im Laufe der Tage und Lichtjahre, fast nach jedem erfolgreichen Satz, hatten sie die grünen Ringraumschiffe gesehen, jedoch ausnahmslos als schweigend im All treibende Wracks. Anhand von Untersuchungen an einigen aus solch einem Wrack geborgenen Leichen wusste man, dass es sich bei den fremden Raumfahrern um Lebewesen gehandelt hatte, die zumindest zum Teil – das Knochengerüst nämlich – aus reinem Blei bestanden.

Und nun kam Drittens ins Spiel. Drittens nämlich war fest davon auszugehen, dass es sich bei den Bleiernen um erbitterte Feinde der Interstellaren Solidarität handelte. Niemand anders als die elenden Bolschewisten hatten die grünen Ringschiffe zu Klump geschossen und ihre Besatzungen auf dem Gewissen. Sollte daran je noch ein Zweifel bestanden haben, so war dieser durch die gerade tobende Raumschlacht endgültig widerlegt.

Viertens! Viertens war davon auszugehen, dass es sich bei den Bleiwesen um eine einst starke und weitestens im Weltall verbreitete Rasse handelte – vielleicht sogar die vorherrschende Rasse überhaupt. Dann konnte es den Roten nur mit bitterem Betrug, Verrat und verabscheuungswürdiger Hinterlist gelungen sein, sie in so vielen Schlachten zu besiegen.

Fünftens! Fünftens aber war ebenso logisch davon auszugehen, dass diese seltsame Rasse keineswegs ausgestorben oder ausgerottet war, wie bisher angenommen. Denn, wenn nun gerade zwischen ihnen und den elenden Bolschewisten eine Schlacht im Gange war, musste und konnte das nur bedeuten, dass es noch lebende Bleierne gab! Vielleicht ein letztes Aufgebot, ein letztes Gefecht. Oder es gab überlebende Bleierne, die sich in Verstecke zurückgezogen hatten und in einer Art Partisanenkampf versuchten, den elenden Feinden empfindliche Nadelstiche zu versetzen.

Strammer gewahrte ein verhaltenes Winseln und sah zu Justus hinab, der sich, wie immer, auf seinem Schoß zusammengerollt hatte. Jetzt öffnete er ein Auge und blinzelte ihn in einem Rhythmus an, der an Morsezeichen erinnerte. Strammer war es noch nicht gelungen, ihren Code zu entziffern, doch wenn Justus, dessen Fell erstaunlich schnell nachgewachsen war, ihn so ansah, wie er ihn jetzt ansah, bedeutete dies unbedingte Zustimmung!

Und wenn ihm Justus unbedingte Zustimmung zu Gedanken signalisierte, die er noch gar nicht laut ausgesprochen hatte, dann war dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Dackelpinscher in der Lage war, seine Gedanken zu lesen.

Der Sternengeneraloberst rief sich alle Fakten noch einmal vor Augen und wusste, dass seine Entscheidung längst gefallen war.