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Barbara Lukesch | »Peter Schneider, wie wird eine Ehe schön?« – Gespräche über Partnerschaft und Liebe | WÖRTERSEH

 

Wörterseh wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 bis 2020 unterstützt und dankt herzlich dafür.

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2018 Wörterseh, Gockhausen

Lektorat: René Staubli, Zollikon
Korrektorat: Claudia Bislin, Zürich
Projektleitung: Andrea Leuthold, Zürich
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen
Bildbearbeitung: Michael C. Thumm, Blaubeuren
Layout, Satz und herstellerische Betreuung: Rolf Schöner, Aarau
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-100-3
E-Book ISBN 978-3-03763-755-5

www.woerterseh.ch

 

Inhalt

Über das Buch

Über die Autorin

Über Peter Schneider

Zu diesem Buch

Kommunikation

Hausarbeit

Sexualität

Nähe und Distanz

Gute und schlechte Eigenschaften

Facts and Figures

Vernunftehen

Essen

Vertrauen

Durchwursteln

Elternglück

Der liebevolle Blick

Geld

Freunde und Familie

Streiten

Individuelle Weiterentwicklung

Gleichberechtigung

Paartherapie

Ehewitze

Einen neuen Partner finden

Nachwort von Peter Schneider

 

Über das Buch

Die Autorin Barbara Lukesch ist sich sicher, dass es eine erlernbare Kunst ist, eine schöne Ehe zu führen. Um diese These festzumachen, kontaktierte sie den Zürcher Psychoanalytiker Peter Schneider. Er würde – davon war sie überzeugt – klare Statements dazu abgeben, was eine Ehe schön machen, aber auch scheitern lassen kann. Und da diese Idee auch ihn begeisterte, nahmen sich die beiden viel Zeit, über all das zu reden, was für eine Partnerschaft wichtig ist: Geld, Haushalt, Sexualität, Streit, Gleichberechtigung, Vertrauen, Kinder, Liebe und Respekt, aber auch Empathie, Großzügigkeit und Humor. Dass ihre Gespräche nun in Buchform vorliegen, ist ein Geschenk, denn Barbara Lukesch ist eine ebenso hartnäckige wie geistreiche Fragerin und Peter Schneider nicht nur ein neugieriger Gesprächspartner, sondern auch ein ausgewiesener Fachmann, der seine Ein- und Ansichten einleuchtend und vor allem witzig formuliert. Das Buch »Peter Schneider, wie wird eine Ehe schön?« gehört daher nicht nur auf den Gabentisch von Frischvermählten, sondern ebenso auf den Nachttisch eines jeden Paares. Sich daraus vorzulesen, ist garantiert ein Genuss.

 

Über die Autorin

Barbara Lukesch
© Kathrin Schulthess

Barbara Lukesch, geb. 1954, studierte Germanistik, Anglistik und Literaturkritik. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und ist als Dozentin an verschiedenen Fachhochschulen tätig. Für Wörterseh verfasste sie bereits die Bücher »Starke Worte« (mit Koautor Balz Spörri), »Klaus Heer, was ist guter Sex?«, »Und es geht doch! – Wenn Väter mitziehen« sowie die Bestseller »Wie geht Karriere? – Strategien schlauer Frauen« und »Bauernleben – Die unglaubliche Geschichte des Wisi Zgraggen«. Barbara Lukesch, die seit 1990 verheiratet ist und einen erwachsenen Sohn hat, lebt in Zollikon ZH und in Gais AR.
www.lukesch.ch

 

Über Peter Schneider

Peter Schneider
© Claudia Herzog

Peter Schneider, geb. 1957, verheiratet seit 1988, Vater seit 1990, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie. Er lebt in Zürich und führt dort eine psychoanalytische Praxis. Von 2004 bis 2014 war er Privatdozent für Psychoanalyse sowie bis 2017 Professor für Entwicklungs- und pädagogische Psychologie an der Universität Bremen. Seit 2014 ist er PD für klinische Psychologie an der Universität Zürich und seit 2017 Gastprofessor für Geschichte und Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse an der International Psychoanalytic University in Berlin. Außerdem betätigt er sich seit vielen Jahren als Satiriker (SRF 3 und »Sonntagszeitung«) und Kolumnist (»Tages-Anzeiger« und »Bund«) und ist Autor zahlreicher Bücher.
www.peterschneider.info

 

Zu diesem Buch

Peter Schneider kannte ich schon lange. Ich hatte etliche Interviews mit ihm geführt, beispielsweise über Gesundheitspolitik oder Elternglück. Als ich einmal über die Frage schreiben wollte, ob Abtreibungen betroffene Frauen unter Umständen unglücklich machen können, löste das Thema bei vielen potenziellen Auskunftspersonen Widerstand aus. Sie wollten nicht Gefahr laufen, den Abtreibungsgegnern in die Hände zu spielen. Nicht so Peter Schneider. Er machte kein Aufheben um die brisante Fragestellung, sondern war bereit, Auskunft zu geben, wie immer unaufgeregt und unkompliziert.

Natürlich waren mir auch seine wöchentlichen Kolumnen im »Tages-Anzeiger« vertraut, die ich meistens mit Vergnügen lese. Dort beantwortet er Leserfragen zur »Philosophie des Alltagslebens«, die manchmal ziemlich anspruchsvoll sind, wie das folgende Beispiel zeigt: »Worin unterscheiden sich Ihrer Meinung nach Expats von Wirtschaftsflüchtlingen? Da die Willkommenskultur eine wesentlich andere ist, muss es ja einen Unterschied geben.« Peter Schneider gibt meistens interessante, oft auch überraschende Antworten, die den Leser und die Leserin zum Nachdenken anregen. Dazu ist er immer wieder frech und witzig.

Auf all diese Qualitäten war ich aus, als ich ihn fragte, ob er interessiert sei, mit mir für ein Buch Gespräche zu verschiedenen Aspekten von Partnerschaft und Liebe zu führen. Sein Ja kam prompt. Einziger Haken: Er habe fast keine Zeit. Unter der Woche sei er tagsüber in seiner Praxis als Psychoanalytiker beschäftigt; abends nehme er oft an Podiumsdiskussionen teil, halte Vorträge oder sei schlicht k. o. Dummerweise begann in jener Zeit auch noch sein neuer Lehrauftrag an der International Psychoanalytic University in Berlin, der ihn alle zwei Wochen vier Tage beanspruchte. Wir müssten uns am Samstag oder Sonntag treffen, stellte er klar. Anders gehe es nicht.

Ich willigte ein. Von nun an saßen wir uns meistens sonntags von 14 bis 16 Uhr in seinem Büro an der Bergstraße in Zürich gegenüber, wo er auch seine Praxis hat. Er kannte das jeweilige Thema – Kommunikation, Streit, Sex, Geld oder Hausarbeit –, wollte aber nicht im Voraus wissen, welche Fragen ich stellen würde. Ihm war lieber, die Antworten im Verlauf unserer Gespräche zu entwickeln – frei nach Kleist und dessen berühmtem Aufsatz »über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«.

Schneider scherte sich beim Formulieren weder um die Struktur noch um die Übersichtlichkeit. Er redete einfach drauflos, immerhin auf Hochdeutsch, und vertraute darauf, dass ich den roten Faden knüpfen würde. Es war mein Job, aus den bis zu 80 000 Zeichen umfassenden Gesprächsprotokollen lesbare Interviews zu machen.

Je länger unsere Zusammenarbeit dauerte, umso problemloser wurde sie. Schneider ist pflegeleicht, freundlich, zuverlässig; seine Aussagen sind häufig inspirierend, oft unerwartet und weichen vielfach vom Mainstream ab. Sie lassen einen mit neuen Augen auf die eigene Ehe beziehungsweise Partnerschaft blicken – das ist aus meiner Sicht der eigentliche Wert dieses Buches.

Einmal mussten wir eine größere Klippe umschiffen. Ich kam wie immer um 14 Uhr und kreuzte einen gut gelaunten jungen Mann, der mit Schneider ein Interview für seine Bachelorarbeit geführt hatte. Als wir loslegten, merkte ich, dass er unkonzentriert war und seine Antworten – sorry – nahezu unbrauchbar. Ich bat ihn um mehr Präzision, auch um mehr Konkretheit, mit derart schwammigen Aussagen könne ich nichts anfangen. Wir verhedderten uns immer mehr, bis er mir – nicht ganz ernst gemeint – vorwarf, ich sei eifersüchtig auf den Studenten. Ich lachte ihn aus. Eifersucht, sagte ich ihm, spürte ich höchstens bei der Vorstellung, dass er dem jungen Mann – im Gegensatz zu mir – klare und verwertbare Antworten gegeben habe. Das half.

Richtig unangenehm war zu Beginn freilich etwas anderes: Peter Schneider ist ein schwerer Zigarrenraucher. Es braucht einiges, bis er so ein Ding ausdrückt. Wenn ich überhaupt keine Lust auf den Qualm und den Gestank hatte, sagte ich ihm kurzerhand, ich sei erkältet oder hätte Kopfweh. Manchmal stimmte es, manchmal auch nicht. Um ihm den Verzicht ein bisschen zu erleichtern, hatte ich jeweils ein paar Schoggistängeli, Guetsli oder ein Stück Kuchen dabei. Schnell hatte ich nämlich festgestellt, wie sehr er auch auf Süßes steht. Auf diese Art bekamen wir beider Bedürfnisse ganz gut auf die Reihe – ich durfte einfach die Süßigkeiten nicht vergessen. Als ich einmal nicht sofort meinen Rucksack öffnete, fragte er ganz betrübt: »Gibts heute nichts?«

Barbara Lukesch, im Juni 2018

PS: Ganz herzlich danke ich meiner Verlegerin Gabriella Baumann-von Arx für ihr Vertrauen und die wunderbare Zusammenarbeit.

 

Kommunikation

»Der Paarkommunikation tut eine Portion Wurstigkeit ganz gut«

Reden? Unbedingt. Aber in einer Ehe gehört mehr zu einem gelungenen Austausch. Zum Beispiel Wahrnehmen und Interesse zeigen.

»Eine Ehe ist ein lebenslanges Gespräch«, hat der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche geschrieben. Einverstanden?

Kommt mir ein bisschen sprachlastig vor. Eine Ehe ist ja keine Gesprächstherapie. Ich finde, es gehört auch sehr viel praktisches Zeug dazu, was man vielleicht noch unter einen weiten Begriff von Kommunikation subsumieren könnte, weil es dazu auch Absprachen braucht. Konkret: Ein Paar muss sich auf eine gemeinsame Wohnung einigen, es muss schauen, wer die Spülmaschine ausräumt, und rausfinden, wer was gern isst und was nicht. Es muss vor allem alltagspraktische Sachen geregelt kriegen. Und dieses »Eine Ehe ist ein lebenslängliches Gespräch« …

… lebenslang, nicht lebenslänglich. Will sagen: Ein Gespräch, das andauert und nicht eines Tages versiegt.

Das finde ich ja auch wichtig. Man sollte sich hüten, zu vieles für selbstverständlich zu halten, statt im Gespräch zu bleiben und immer wieder zu verhandeln. Aber – und nun kommt mein Einwand – der Nietzsche-Spruch klingt mir ein bisschen zu sehr nach Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Ich glaube, zu einer guten Ehe gehört eben auch, dass man nicht immer alles besprechen, verhandeln oder ausdiskutieren muss, sondern dass es auch alltagstaugliche Gemeinsamkeiten gibt, die jenseits des Gesprächs liegen.

Redeten denn Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre Ihrer Meinung nach zu viel?

Ich weiß ja nicht, wie die beiden ihre Beziehung wirklich gelebt haben, aber in der Öffentlichkeit wurden sie stets zu Leuten hochstilisiert, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatten, als im Café zu sitzen und miteinander zu reden. Das Paar galt ja lange Zeit als das Ideal einer Verbindung von Mann und Frau, reinste Seelengeschwister. Dass dies mit Sicherheit eine Verklärung war und nicht der Realität entsprach, wissen wir inzwischen aus Briefen von Beauvoir.

Nehmen wir statt Nietzsche eine aktuellere Stimme. Die emeritierte Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello kommt in ihrer großen Studie »Wenn die Liebe nicht mehr jung ist – Warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht« zum Fazit: »Kommunikation ist das A und O langjähriger glücklicher Ehen.« Lassen Sie diese Aussage gelten?

Warum denn nicht, wenn eine große Studie sie zutage gefördert hat? Ich würde dieser Aussage auch sonst nicht widersprechen. Womit ich allerdings Mühe habe, ist die Gewichtung: Da wird ein Faktor zum A und O erklärt. Ich glaube aber, es sind viele verschiedene Aspekte, die in einer guten Ehe passen und ineinandergreifen müssen. Solange bloß die Ansprüche an die Kommunikation erfüllt sind, kann ich mir auch andere Formen von Beziehung vorstellen: Freundschaften beispielsweise. Aber das ergibt noch keine Ehe. Dazu braucht es, um nur ein Beispiel zu nennen, auch eine gehörige Portion Wurstigkeit.

Wurstigkeit?

Es braucht eine einigermaßen alltagstaugliche, also brauchbare Toleranzschwelle gegenüber Angewohnheiten und Verhaltensweisen des anderen, die einem ein bisschen gegen den Strich gehen. Kleine Dinge, nichts Weltbewegendes.

Das heißt, man sollte den anderen mit seinen Macken leben lassen?

So was in der Art. Es lässt sich schwer umschreiben. Drum finde ich den Begriff Wurstigkeit auch besser als Toleranz. In Toleranz schwingt schon wieder so etwas Hochgestochenes mit: Mein Mann ist Muslim, aber ich als Evangelikale toleriere das. Mir geht es um Alltagskram: Wer lüftet wie oft bei uns? Wo stellen wir den Ventilator bei der Hitze im Schlafzimmer auf? Muss die andere ständig qualmen? Warum isst mein Gegenüber nicht das, was ich gern kochen würde? Meine Frau hat einen sehr eingeschränkten Speiseplan: Alles Fleisch, das zu sehr nach Fleisch schmeckt, will sie schon mal nicht. Sie bringt auch nur vier Teller in die Geschirrspülmaschine, weil sie alle querlegt. Und das Beste: In die Ferien nimmt sie viel zu viel Gepäck mit.

Wie gehen Sie damit um?

In einer Ehe ist es völlig witzlos, gegen gewisse Marotten seiner Partnerin anzugehen. Was habe ich mich früher aufgeregt, wenn meine Frau wieder Koffer um Koffer packte, die ich dann schleppen musste. Heute sage ich mir: Sie ist halt so. Jetzt bin ich auch nicht mehr so kräftig, dass ich die Scheißdinger tragen könnte, also müssen wir den Taxifahrer bitten, zu uns in den dritten Stock zu kommen und unser Gepäck runterzuholen.

Ziemlich pragmatisch.

Ich glaube, es ist so was wie der Trick einer glücklichen Partnerschaft, sich als Mitspieler in eine romantische Komödie zu versetzen, die man sich gern anschauen würde. Dann sähe ich meine Frau mit den vielen Koffern und würde denken: Die ist ja süß.

Im Lauf einer langen Beziehung verändert sich die Kommunikation eines Paares. Wie läuft sie am Anfang ab, in der Zeit der großen Verliebtheit?

Man versucht, möglichst viel über den anderen in Erfahrung zu bringen, aber auch möglichst viel von sich zu erzählen und abzugleichen: »Ja, das ist bei mir auch so.« Wenn man lieber den Geheimnisvollen gibt, sagt man: »Nein, bei mir ist das ganz anders.« In diesen stundenlangen Gesprächen geht es vordergründig um Informationen, die einen interessieren, und um Mitteilungen, die man gern macht, aber sie sind auch so etwas wie manisches Lausen, ein sozialer Akt. Nach einiger Zeit merkt man, dass man den anderen nicht ewig derart intensiv bequatschen beziehungsweise verbal befummeln kann wie am Anfang. Irgendwann hat man auch alle Geheimnisse seines Lebens ausgeplaudert und alle Geschichten aus der Jugendzeit und von früheren Liebschaften erzählt beziehungsweise gehört.

Und dann? Was ist der Stellenwert der Kommunikation, wenn die – sagen wir – halbjährige Phase des manischen Lausens vorüber ist?

Man hat sich zwar nicht mehr so viel zu erzählen wie am Anfang, der Inhalt rückt also etwas in den Hintergrund, aber indem man sich austauscht, miteinander über die kleinen Erlebnisse des Tages plaudert und einander zuhört, bleibt man in Kontakt und berührt den anderen auch, emotional, sozial. Es gibt Paare, die sich mehr anfassen, manche quatschen mehr, dritte quatschen viel und fassen sich viel an, das ist ein einziges Kuddelmuddel.

Worüber reden Paare?

Oft über ganz Alltägliches: Was kochen wir heute Abend? Oder wollen wir lieber was vom Thailänder kommen lassen? Jedes Paar entwickelt seinen individuellen Stil. Die Kindergärtnerin erzählt vielleicht ihrem Mann, der Physiker ist, was der kleine Kevin und die kleine Jessica an diesem Tag wieder angestellt haben, und er ihr, welche Spuren von welchen Elementarteilchen er diesmal auf dem Monitor entdeckt hat. Vielleicht sind ihnen die beruflichen Dinge aber auch gar nicht so wichtig, dass sie darüber reden mögen.

Aber über irgendetwas muss man beim Nachtessen ja schon reden.

Kommt drauf an, was die beiden sonst noch interessiert. Sie könnten sich über den »Tagi« unterhalten. Über andere Leute, Arbeitskollegen, Freunde. Meine Frau hat sich vor einiger Zeit entschieden, jemanden dabei zu begleiten, mit Exit zu sterben. Das ist heavy. Darüber sprechen wir gerade häufiger. Oder: Ich kenne ein Paar, beide Psychoanalytiker, sie erzählt wahnsinnig gern von ihrem Beruf, er hört zu, ist aber auch froh, wenn fertig ist. Die beiden haben es auf diese Art mehr als dreißig Jahre zusammen ausgehalten. Vielleicht auch dank einer gewissen Wurstigkeit, über die er verfügt: Er nimmt es hin, dass sie ihn zuquatscht, auch wenn er eigentlich lieber seine Ruhe hätte.

Reden Sie viel mit Ihrer Frau?

Mittelviel. Als unser Sohn klein war, war natürlich das Thema Kind, Kinderbetreuung, Kindererziehung, Kinderernährung allgegenwärtig. In Gegenwart von Kinderlosen musste man regelrecht aufpassen, dass man die anderen nicht total nervte mit seinen Kindergeschichten. Momentan erzähle ich meiner Frau ein bisschen was von einer Vorlesung, die ich seit neustem an der Universität in Berlin halte. Nicht stundenlang, das sind mehr so Gesprächsschnipsel, die wir da austauschen. Es kann allerdings auch passieren, dass ich beim Essen zu meiner Frau sage: »Stört es dich, wenn ich in meinem Buch weiterlese?« Und sie: »Nein, ich würde auch gern lesen.«

Ziemlich speziell.

Schlimm?

Sagen wir: irritierend.

Ich bin so aufgewachsen: immer beim Essen Enid Blyton lesen, reinschaufeln und fett werden. Und meine Frau hat eben auch immer gern beim Essen gelesen. Manchmal beschließen wir auch, uns mit einer kalten Platte vor den Fernseher zu setzen. Auch wenn wir dann nur am Rande oder überhaupt nicht miteinander reden, ist das eine Form von Kommunikation, die etwas sehr Verbindendes hat; man könnte auch sagen Paarbildendes oder Sozialisierendes. Dass man zusammen lästert, gehört doch auch in diese Kategorie. Da sage ich dann zu meiner Frau: »Lieber Gott, ich danke dir, dass wir nicht so sind wie jene dort.« Das macht so was von Spaß und ist gar nicht böse gemeint. Es geht vielmehr darum, als Paar gemeinsam etwas auszuhecken und zu erleben.

Das kenne ich. Mein Mann und ich lieben es, während Städtereisen auf Plätzen oder in Parks zu sitzen und die Vorbeiflanierenden zu kommentieren. Dann spinnen wir uns Geschichten über die Leute zusammen.

Man kann auch gemeinsam raten, was der Mann oder die Frau am Nebentisch im Restaurant von Beruf ist. Manchmal nehme ich daheim auch bloß den Teller aus der Geschirrspülmaschine, der wieder mal quer drin liegt, und halte ihn in die Luft. Kommentar überflüssig. Oder meine Frau warnt mich: »Noch ein solcher Witz, und ich finde dich so blöd wie Matthias!« Der Hinweis auf Matthias genügt, mehr muss sie nicht sagen.

Der hohe Stellenwert, den die Paarkommunikation in verschiedenen Studien genießt, hat wohl tatsächlich viel weniger mit dem Wunsch nach Informationsaustausch zu tun als mit dem Bedürfnis nach Zuwendung und Wahrgenommenwerden.

Das denke ich auch. In dem Zusammenhang kommt auch dem Zuhören eine große Bedeutung zu. Das darf man sich nicht so konkretistisch vorstellen wie: Einer redet, und der andere spitzt die Ohren. Ich meine damit das Interesse am anderen und daran, dass es ihm gut geht. Und dass es ein Problem für mich ist, wenn es dem anderen nicht gut geht. Und dass, selbst wenn ich mich innerhalb der Beziehung manchmal mit eigenen Bedürfnissen durchsetze und den anderen damit beeinträchtige oder gar verletze, mir das alles andere als scheißegal ist. All das verstehe ich unter Zuhören, Wahrnehmen und Interesse zeigen. Man kann das – wie fast alles – allerdings auch übertreiben und ständig besorgt fragen: »Schatz, geht es dir nicht gut? Ist irgendetwas?« Dann kann das Ganze auch ins Gegenteil kippen.

»Was denkst du gerade?« gehört auch in diese Ecke.

Den finde ich gar nicht so schlimm. Etwas in der Art brauche ich gern in der Analyse: »Was geht Ihnen jetzt durch den Kopf?« – um einem Patienten, der völlig in sich versunken ist, die Zunge zu lösen.

Paare, die sich gut kennen, haben oft ihre ganz eigene Sprache.

Bei den einen ist das schon fast eine Privatsprache, die niemand sonst versteht. Andere verfallen in eine eher rudimentär wirkende Kindersprache. Da gibt es, glaub ich, ganz verschiedene Varianten.

Daneben gibt es ja noch andere Formen von Kommunikation, die ohne gesprochene Sprache auskommen. Die einen schreiben sich immer noch Briefe. Die meisten bevorzugen heute aber wohl Mails oder SMS.

Meine Frau und ich schreiben uns viele SMS. Nur mit Symbolen wie Herzchen und Schweineschnäuzchen. Auf diese Art verkehre ich höchstens noch mit meinem Sohn, aber sonst mit niemandem.

Überraschungen wie so eine SMS oder auch ein kleines Geschenk fern von Geburtstag und Weihnachten tun der Liebe immer gut.

Sie müssen einfach richtig dosiert sein. Eines Abends mit einem Welpen unter dem Arm nach Hause kommen und rufen: »Liebling, Überraschung!«, ist keine besonders gute Idee.

Aber ein liebevoller Notizzettel, der unerwartet auf dem Küchentisch liegt, ist einfach toll. Welch charmante Entdeckung, dass der andere auch in meiner Abwesenheit an mich gedacht hat.

Was man sowieso nicht unterschätzen darf, ist die Bedeutung des anderen als eines virtuellen Kommunikationspartners. Damit meine ich nicht als Gegenüber, dem man in einem inneren Selbstgespräch etwas erzählt, wie die Witwe das tut, die am Grab weiterhin mit ihrem Erich redet, sondern als Person, die auch bei mir ist, wenn ich allein bin, und die mich mit der Tatsache, dass es sie gibt, auch in ihrer Abwesenheit begleitet und stärkt.

Wenn Menschen nach langjährigen Ehen plötzlich alleinstehen, fehlt ihnen ja nicht zuletzt dieses Gegenüber und macht sie so einsam. Wohingegen mein Partner in einer bestehenden Beziehung drei Wochen im Ausland sein kann und trotzdem präsent ist.

Genau das meine ich.

So schön Kommunikation auch sein kann: Verschiedene Studien zeigen, dass Paare, die eine gewisse Zeit zusammenleben, höchstens noch zehn Minuten pro Tag miteinander reden.

Ich kenne diese Studien, frage mich aber immer, wie das gemessen wird, und was da mit Reden gemeint ist.

Ganz unabhängig davon sind zehn Minuten doch verdammt wenig.

Nicht unbedingt. Zehn Minuten können ganz schön lang sein.

Jetzt bocken Sie!

Überhaupt nicht. Aber man muss doch diese Aussage etwas genauer unter die Lupe nehmen: Wenn sie bedeutet, dass sich ein Paar nichts mehr zu sagen hat, finde ich das schlimm. Und wenn ein vermeintlich frisch verliebtes Paar schon nach fünf Minuten um Gesprächsstoff ringt, ist das sicher ein schlechtes Zeichen. Auch wer ständig Krach hat, sich unglücklich fühlt und nur zehn Minuten miteinander redet, macht wahrscheinlich etwas falsch. Denn in einer solchen Situation sollte man eindeutig mehr miteinander reden. Aber sonst? Man kann sich doch auch in zehn Minuten ganz schön viel mitteilen. Wenn ich meiner Frau wortlos einen Zeitungsartikel rüberschiebe oder sie nichts als »Matthias« zu mir sagt, steckt doch da viel mehr Paarkommunikation dahinter, als mit den zehn Minuten gemessen werden kann. Oder nehmen Sie Philemon und Baucis, den Inbegriff des glücklichen alten Paares, das vor seiner ärmlichen Hütte sitzt. Sagt er: »Ach!«, und sie: »Oh!« Das ist doch reizend. Drum finde ich solche Normvorstellungen, dass Ehen erst ab – sagen wir – sechzig Minuten täglicher Redezeit funktionieren, komisch und unergiebig.

Warum aber versiegt das Gespräch in einer Beziehung eines Tages, wenn es doch einmal lustvoll gewesen ist?

Weil vielleicht andere Formen von Kommunikation wichtiger werden. Es ist doch wie mit dem Sex. Die Bedeutung der genitalen Sexualität ändert sich wohl auch im Verlauf des Lebens bei vielen, bei anderen auch nicht. Witzig ist nur, dass man beim Thema Sex in langen Partnerschaften diese total verengte genitale Sexualität im Blick hat und sofort einen Mangel diagnostiziert, wenn der Geschlechtsverkehr abnimmt oder ganz ausbleibt. Ansonsten könnte man ja die Fußmassage, die ein Mann seiner Frau jeden Abend macht, als Form von individueller Sexualität dazuzählen und Entwarnung geben.

Aber zweimal pro Woche Geschlechtsverkehr …

Luther!

… ist eine Norm, die fest in den Köpfen eingebrannt ist, die Leute unter Druck setzt und letztlich mehr Unbehagen auslöst, als wenn sie es einfach so machen würden, wie es ihnen drum ist.

Daher wehre ich mich auch so gegen die Normierung: »Gute Paare reden mindestens so und so lange miteinander.« Es ist mir sowieso ein Rätsel, wozu wir ständig diese Normdiskurse führen. Die kommen ja mit einer Regelmäßigkeit wie die hohen Feiertage. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns da die Sollbruchstellen besorgen, die wir brauchen.

Was meinen Sie denn damit?

Einem glücklichen Paar, das nur neun Minuten pro Tag redet und ständig kuschelt, ohne einen Orgasmus zu erleben, ist es völlig wurscht, welche Normen es mit seinem Verhalten verletzt. Wohingegen das Paar, das in der Krise steckt und sich unglücklich fühlt, anfällig für diese Normen ist, ja regelrecht nach ihnen sucht und dann sagt: »Unser Puff liegt daran, dass wir nur neun Minuten reden und nie richtigen Sex mit Orgasmus haben.« Die Normen dienen also dazu, ein Missfallen auf den Punkt zu bringen und regelrecht zu objektivieren. Sie werden zur Sollbruchstelle, mit der ich dann zum Paartherapeuten gehen und sagen kann: »Es ist so schlimm bei uns. Der Max redet nur neun Minuten pro Tag mit mir, und mit dem Sex klappt es auch nicht richtig.«

Die Zahlen zu Kommunikationsproblemen in Ehen sind aber tatsächlich ziemlich ernüchternd und gelten mit als Hauptgrund für späte Scheidungen.

Wobei ich auch hier wieder zu bedenken gebe, dass sich solche Aussagen natürlich auch zu verfestigen beginnen und größere Kreise ziehen, sobald sie einmal in die Welt gesetzt sind. Das ist so ähnlich wie mit dem Entstehen neuer Krankheiten. Beispiel Burn-out. Plötzlich ist der Begriff da und eignet sich als Diagnose für viele Formen von Unbehagen, das die Leute in ihrem Leben empfinden. Ich will damit nicht sagen: Diese Krankheit gibt es gar nicht, oder Burn-out nimmt zu. Ich glaube vielmehr, dass hier etwas neu Entstandenes, der Begriff Burn-out-Syndrom, mit bereits bestehenden Erfahrungen wie dem Stress und Druck des modernen Menschen gut zusammengeht. Und bei den viel beschworenen Kommunikationsproblemen, dem berühmten Schweigen der Männer, funktioniert das ähnlich. Nicht ob die Männer zu viel schweigen oder zu wenig, ist zentral. Der Punkt ist, dass es offenbar viele Frauen gibt, die ein bestehendes Beziehungsmalaise damit gut umschreiben können.

Vielleicht haben aber auch viele Frauen dank der medialen Präsenz des Themas realisiert, dass sie keine langweiligen Personen sind, mit denen es sich nicht zu reden lohnt, sondern dass es vielen anderen Frauen ähnlich geht mit ihren wortkargen Männern.

Ich würde sagen, die Unterschiede innerhalb der Gruppe der Männer sind genauso groß wie jene innerhalb der Gruppe der Frauen. Kategorisierungen dieser Art nützen da herzlich wenig. Außerdem hat ja momentan auch der umgekehrte Vorwurf Hochkonjunktur – Stichwort Mansplaining –, was so viel sagen will wie: »Furchtbar, ständig erklärt irgendein Mann einer Frau die Welt!« Sie sehen an dem Beispiel: Wenn Männer dann reden, ist es auch nicht recht.

Männer, die immer alles besser wissen und mich ständig belehren, sind tatsächlich unerträglich.

Das finde ich ja auch. Aber an dem Beispiel wird deutlich, wie unergiebig diese Klischee-Rhetorik ist. Wie wärs zum Beispiel mit »Frauen wollen immer über Gefühle reden«? Da frage ich mich: Wie redet man denn, bitte schön, über Gefühle? Ich glaube, auch das ist so eine Norm, die in der Beziehungskrise als Sollbruchstelle dient: »Kein Wunder, klappt es nicht bei uns, mein Mann redet nicht mit mir über Gefühle.«

Worüber sollten Paare unbedingt reden? Gibt es da irgendwelche Musts?

Das berüchtigtste Thema sind ja die sexuellen Wünsche. Bei manchen funktioniert das, anderen ist nur schon die Vorstellung so peinlich, wie wenn der Partner plötzlich im Latexkostüm vor dem Bett stehen und sagen würde: »Du, wollen wir heute nicht mal so?« Das ist wohl leider Geschmackssache. Es wäre ja schön, wenn es so einen Standard gäbe: Die einen können es schon, die anderen können es noch lernen, und dann flutschts bei allen. Aber bei manchen gehört es zur sexuellen Fantasie, dass sie nicht ausgesprochen wird, und andere macht es an, darüber zu reden. Frisch Verliebte fahren vielleicht auf »dirty talking« ab, fühlen sich aber dreißig Jahre später nur noch peinlich berührt von einem solchen Gespräch.

Wenn die sexuellen Bedürfnisse beider sehr stark voneinander abweichen, wäre es sicherlich von Vorteil, darüber zu reden.

Wie sollen diejenigen reden, die sich dabei einen abbrechen müssen? Jemand sagt: »Ich hätte es gern ab und zu anal«, und der andere antwortet: »Okay, zweimal die Woche, geht das?« Ich weiß nicht, ob das funktioniert.

Manchmal gilt also: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Bin ich dabei. Folgendes Beispiel: Meine Frau ist drei Wochen in Italien. Dann könnte ich mir gut vorstellen, dass ich Mühe hätte, auch nur fünf Minuten am Stück zu telefonieren. Was soll ich groß erzählen? Der Alltag nimmt seinen Lauf, es passiert höchstwahrscheinlich nichts Weltbewegendes. Nachdem ich gehört hätte, dass meine Frau das Kolosseum gesehen hat, könnte ich ihr verraten, dass ich den Käse im Coop statt in der Migros gekauft habe. Das empfinde ich wirklich als Qual. Trotzdem fühle ich mich ihr sehr verbunden in der Vorstellung, dass sie jetzt in Rom ist und ich in Hottingen. Wenn wir nur auf das Gerede verzichten könnten!

Haben Sie noch ein anderes Beispiel?

Ich glaube, manchmal ist es auch nicht schlecht, wenn einer, Mann oder Frau, mal beherzt einen Entscheid fällt und die Kraft des Faktischen wirken lässt. Statt dass wir ewig hin und her labern, ob wir nun drei oder vier Wochen nach New York reisen, kann derjenige, der den Flug bucht, diskussionslos das Angebot wählen, das seinen Wünschen entspricht. Ich würde mich für vier Wochen entscheiden und meiner Frau nachher sagen, dass dies der günstigste Flug gewesen sei. Das ist auch so etwas aus der Ecke des Durchwurstelns und geht natürlich nur dann, wenn man den anderen dabei nicht in Bedrängnis bringt. Für jemanden einen Flug buchen, der eine absolute Flugphobie hat, läge logischerweise nicht drin.

Wie direkt darf man in einer Ehe sein?

Wenn es nicht zu einem standardisierten Vorwurf wird, kann man seiner dauerquatschenden Frau schon mal sagen: »Nun halt doch mal die Klappe!«

Oder den einsilbigen Mann auffordern, mal mit einem zu reden.

Finde ich schwierig. Meine Lieblingsanekdote dazu stammt aus einer Begegnung mit meinem Sohn. Wir beide waren in London, er war etwas über zehn, und wir sprachen in einem Café über Monotheismus. Der Sohn freute sich: »Oh, mein Vater bespricht so schwieriges Zeugs mit mir«, und der Vater war stolz: »Oh, wie toll, welch schwieriges Zeugs ich schon mit meinem Sohn besprechen kann.« Dieses Erlebnis hat Laszlo so gefallen, dass er hinterher oft gesagt hat: »Komm, wir unterhalten uns. Fang du an!« Das ist nun aber der absolute Gesprächstöter. Selbst wenn ich vor Ideen überquellen würde, geht dann bei mir gar nichts mehr.

Soll man Kommunikationskurse besuchen und beispielsweise die Kunst des Zwiegesprächs nach dem verstorbenen Psychoanalytiker Michael Lukas Moeller erlernen? Die besteht darin, dass die eine Seite mal ungestört eine Viertelstunde reden darf, während das Gegenüber zuhört. Nachher werden die Rollen getauscht.

So können Menschen doch nicht miteinander reden! Das führt zu einer so künstlichen Situation, dass sich die Beteiligten peinlich berührt fühlen und in eine gestelzte Psychosprache verfallen werden. Sogar wenn ich eine Karikatur zum Thema Paarkommunikation machen müsste, würde ich mich vor einem so plumpen Bild hüten.