BLACK VISION

Engel des Lichts
 

 

 

 

 

I M P R E S S U M

 

Titel: BLACK VISION - Engel des Lichts

Autor: Sophia May

Copyright © 2018 by

 

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Nova MD GmbH / Raiffeisenstraße 4, 8337 Vachendorf / Germany

Homepage: www.novamd.de

Email: info@novamd.de

 

 

 

Erstausgabe 2018

 

 

Umschlagdesign: Lisa Wirth

Bildmaterial © conrado / Shutterstock

Print - ISBN: 978-3-947738-00-7

eBook - ISBN: 978-3-947738-01-4

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

Für diejenigen, die immer an mich und meine

verrückten Ideen geglaubt haben.

Ich hab euch lieb.


 

 

INHALTSVERZEICHNIS

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

EPILOG

Danksagung

Über die Autorin:

 

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PROLOG

„Es ist soweit!“, rufe ich durch unsere Wohnung. Mein erstes Kind wird in wenigen Stunden auf der Welt sein. Michael eilt mit einem besorgten, aber glücklichen Gesichtsausdruck auf mich zu.

Gemeinsam verlassen wir das Haus und fliegen auf das Gebäude zu, in dem ich mein Kind gebären werde. Dort angekommen, schickt mich eine Himmlische in einen kleinen Raum.

Eine Stunde später halte ich ein kleines, schreiendes Bündel in meinen Armen. Ein Mädchen mit unglaublich weißen Flügeln. Erstaunt halte ich inne: Graustufe eins. Ich besitze nur die dritte Graustufe.

Erzengel Glorya wurde geboren.

Michael betritt das kleine Zimmer und lächelt stolz seine kleine Tochter an. Doch nach wenigen Stunden beginnt Glory plötzlich zu strahlen. Besorgt blicke ich zu Michael, aber der zuckt nur mit den Schultern und blickt genauso verwirrt drein. Wir wissen beide nicht, was hier eigentlich los ist.

Glory hört aber gar nicht mehr zu strahlen auf, im Gegenteil, sie wird immer heller und strahlender. Es ist offensichtlich, dass es ihr Glanz ist, obwohl dieser normalerweise mit Absicht eingesetzt werden muss. Das heißt, meine kleine Glory setzt jetzt schon ihre zarte Seele ein. Das Licht wird unglaublich hell, so dass man gar nichts mehr sehen kann und ich schließe meine Augen.

Doch genauso plötzlich wie es gekommen ist verschwindet das Licht auch wieder. Sofort sehe ich mich nach Glory um, aber sie ist nicht mehr da. Erschrocken schreie ich auf. Irgendetwas ist falsch gelaufen, Glory ist weg! Meine kleine Glory. Ich fange zu weinen an und schluchzte immer wieder ihren Namen. Michael schließt mich liebevoll in seine Arme und versichert mir: „Wir werden unsere Kleine finden! Sie kann ja nicht weg sein.“

Die nächsten Wochen verbringe ich weinend in den Armen meiner Schwester, während Michael sich jeden Tag aufs Neue auf die Suche nach Glory macht.

Nach vier Monaten erklärt man mir, dass es Glory wohl nicht mehr gibt. Die Tage vergehen wie in Trance. Ich esse, ohne etwas zu schmecken, arbeite ohne zu wissen was ich mache und ziehe mich aus dem öffentlichen Leben komplett zurück. Nachts weine ich, während ich am Tag versuche noch einigermaßen normal zu erscheinen.

Ich hasse die mitleidigen Blicke, mit denen mich alle ansehen. Lieber trauere ich allein mit Michael um mein kleines Mädchen. Ich durfte ein paar Stunden mit Glory verbringen, aber diese kurze Zeit war nicht genug.

Wochenlang quäle ich mich durch die Tage, ohne das was ich mache richtig wahrzunehmen. Glory ist weg! Ich habe es auch in dieser Zeit noch nicht richtig realisiert, geschweige denn überwunden. Ich schaffe das nicht mehr!

Eines Tages stehe ich wie jeden Tag auf, ohne etwas zu realisieren. Irgendetwas ist heute anders, ich weiß nur noch nicht was. Ich hoffe etwas Gutes, denn noch mehr kann ich eindeutig nicht mehr verkraften.

Hoffnungslos gehe ich auf die Straßen Allerias, wo bereits eine riesige Menge an Himmlischen versammelt ist. Neugierig breite ich meine Flügel aus und überfliege die aufgebrachte Menge. Von oben sehe ich die Ursache dieses Aufruhrs schon nach wenigen Sekunden Mike. Der vorübergehende Schützer der Erde. Es ist seine Aufgabe die Erde zu beschützen bis wieder ein Erzengel dieses Amt übernimmt.

Mike ist ein Engel, und war einer meiner besten Freunde, bevor er auf die Erde gegangen ist. Das ist jetzt schon über zehn Jahre her. Er besucht Alleria nur sehr selten, und das letzte Mal habe ich ihn kurz nach Glorys Geburt gesehen.

Sofort verbanne ich den Gedanken in den hinteren Teil meines Gehirns. Nicht darüber nachdenken! Das zerstört dich nur wieder. Mühsam unterdrücke ich die aufsteigenden Tränen.

Ich konzentriere mich wieder auf den Tumult unter mir, bis ich eine Lücke neben Mike erblicke. Schnell quetsche ich mich hinein. Sofort dreht sich Mike zu mir um und schließt mich in seine Arme. Nicht weinen!

Trotz dem, was geschehen ist lächelt Mike mich überglücklich an. „Ich habe für dich endlich mal wieder gute Nachrichten.“ Mühsam bringe ich hervor: „Wir werden ja sehen.“

Mit wenigen Worten bringt Mike die Menge dazu, wieder das zu tun, was sie gerade tun wollten. Unter normalen Umständen hätte ich das bewundert, aber seit circa neun Monaten beeindruckt mich nichts mehr.

Ich verkrieche mich in meiner eigenen kleinen Welt voller Trauer, und nichts kann mich wieder davon befreien. Nur eine einzige Person kann das, aber diese Person ist nicht mehr da. Glory!

Ganz abwesend bemerke ich Mikes Arm auf meiner Schulter, und wie er mich in Richtung der großen Halle neben der Akademie führt. Trotz Mikes Worten folgen uns immer noch ein paar Himmlische, und neugierige Blicke.

Nach einiger Zeit schließt sich Michael uns an. Ich bewundere es, wie er sich in der Öffentlichkeit zeigt. Seine Trauer kann man da nicht einmal erahnen. Nur ich und wenige Freunde bekommen seine wahre Trauer mit. Er verzieht sich genau wie ich in seiner eigenen Hülle.

Da erreichen wir auch schon die große Halle.

Mike geht sofort in die Mitte und schickt Nachrichten an alle Erzengel und Engel, dass eine Versammlung stattfinden soll. Sogar dem Allerhöchsten schickt er eine. Es muss wohl wirklich wichtig sein.

Langsam, aber sicher siegt die Neugier über meine Trauer. Im Ratssaal nehme ich meinen gewohnten Platz neben Michael ein. Alle Erzengel haben einen eigenen Platz und die Engel stehen hinter diesen Reihen. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis alle Erzengel und Engel ihre Plätze eingenommen haben. Nach einiger Zeit trifft sogar der Allerhöchste ein.

Er nimmt seinen Platz in der Mitte des Raumes ein, und der komplette Raum erhellt sich von seiner Anwesenheit. Ihn muss man einfach lieben, wie es die Abtrünnigen geschafft haben ihre Machtsucht über diese Herrlichkeit zu stellen, kann ich immer noch nicht begreifen.

Als Mike sich räuspert, verdrängt eine gespannte Stille den Lärm. Eine so große Versammlung gab es schon lange nicht mehr.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Mike es liebt, die Spannung so lange zu steigern, bis jeder fast durchdreht.

Aber dann beginnt Mike endlich zu erzählen: „Einen schönen Tag euch allen. Ich habe diese Versammlung heute einberufen, da etwas Unglaubliches auf der Erde passiert ist. Es ist zum Glück eine gute Neuigkeit.

Auf der Erde läuft alles so wie es sein sollte. Wie üblich gibt es auch jetzt noch das Streben nach Macht. Eine Gruppe hat versucht den Kronprinzen von Helsting zu ermorden, aber ich habe es zu verhindern gewusst. Diese Gruppe wird wohl keine Gefahr mehr darstellen.

Es besteht auch keine Gefahr, dass meine Tarnung auffliegt. Die Menschen sind genauso unwissend wie eh und je. Und jetzt zu den Nachrichten, wegen denen ich hier bin:“, genüsslich holt er tief Luft: „Königin Annabell hat ihr zweites Kind heute Nacht geboren, ein kleines süßes Mädchen. Ich habe es schon besucht.“

Allgemeiner Jubel bricht aus. Doch Mike hebt die Stimme und sagt: „ Das war erst der Anfang. Ich habe mich natürlich über die Kleine gefreut, doch als ich sie sah, habe ich sofort gemerkt, dass ich kein normales Kind vor mir habe, das Mädchen hat regelrecht gestrahlt, so weiß und rein, wie sonst niemand. Und als ich sie mir genauer ansah, blieb mir der Atem weg. Dieses kleine Mädchen, die Prinzessin einer der größten Länder der Erde war Glorya, Tochter von Gabriela und Michael!

Eure Glory lebt! Sie ist nicht weg oder gar tot. Nein, sie ist im Himmel und auf der Erden geboren, sie hat vier Eltern, zwei himmlische und zwei sterbliche.“

Es herrscht Schweigen und alle sehen mich und Michael an. Ich kann mich nicht mehr bewegen, ich bin wie gelähmt.

Alles in meinem Kopf schreit nach Glory. Weinend falle ich Michael in die Arme, auch seinen Augen entwischt eine Freudenträne. Nach dieser Stille bricht noch mehr Jubel aus als zuvor.

Plötzlich vernehme ich den Allerhöchsten in meinem Körper. Er spricht zu allen, da niemand mehr auch nur einen Mucks von sich gibt. Durch diesen ungewöhnlichen Vorfall sehe ich mich dazu berufen, unseren Erzengel Glorya als neue Schützerin der Erde zu bestimmen. Die Kleine hat sich ihre Aufgabe wohl selbst ausgesucht.

Dann verschwindet er, wobei immer noch seine Anwesenheit zu spüre ist. Mit Michael und Mike gemeinsam mache ich mich auf den Weg zur Erde und zu meiner Tochter Glorya.

 

 

 

 

 

 

Die Normalität ist eine gepflasterte Straße,

man kann gut darauf gehen- doch es wachsen

keine Blumen auf ihr.

(Vincent van Gogh)

 

 

Kapitel 1

 

 

Mein Wecker klingelt und ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Es ist erst sieben Uhr, da will ich eindeutig noch schlafen. Doch Lucy und Ann hindern mich zu meinem Leiden daran.

Lucy sucht mir eines meiner selbst entworfenen Kleider für den Tag heraus, während Ann mich in das Badezimmer neben meinem Zimmer führt. „Wie lange warst du denn gestern schon wieder wach?“, will Ann wissen. Meine Augenringe sind wohl kaum zu übersehen, doch ich bin selber daran schuld.

„Ich musste noch eine meiner Missionen ausführen, und noch dazu war es eine von denen, die den ganzen Tag beanspruchen.“, antworte ich mit einem lauten Gähnen. Manchmal wäre es mir lieber, wenn es nicht so viel Zeit brauchen würde, doch darauf habe ich keinen Einfluss. Genauso wenig wie auf die Aufgabe die mich dann erwartet.

Unter der Dusche drehe ich das Wasser auf eiskalt, damit ich wenigstens ein bisschen wacher werde, obwohl ich es eigentlich gar nicht spüre, da es mir nie zu kalt oder zu warm werden kann.

Trotzdem hilft es mir dabei einen klaren Kopf zu bekommen und den kann ich auch dringend gebrauchen. Ich weiß, dass das heute ein langer Tag wird. Denn zuerst muss ich mein Kampftraining absolvieren, und dann die dazugehörige Prüfung, die jede Woche stattfindet, bezwingen.

Allerdings muss man dazu noch zu meiner Verteidigung sagen, dass Miss Fench bei mir besonders streng ist. So lautet nämlich die Regel: Bei Erzengeln, halb Erzengeln und Engeln ist alles viel anspruchsvoller, da wir diejenigen sind, die gegen die Abtrünnigen oder Gefallenen einmal kämpfen werden. Und dann ist es für uns von großer Bedeutung, dass wir auch richtig ausgebildet wurden, denn das kann über Leben und Tod entscheiden. Die simple Wahrheit ist, dass wir es einfach brauche und daran lässt sich auch nichts ändern.

Ich träume schon mein ganzes Leben lang von dem Kampf gegen die Abtrünnigen, den ich mir sehr aufregend vorstelle, aber das wird wohl auch immer ein Traum für mich bleiben, da ich die Schützerin der Erde und deren Bewohner, darunter versteht man alle Menschen, Tiere und Pflanzen egal ob gut oder böse, bin. Und als diese kann ich mich nicht auch noch auf den Kampf gegen die Abtrünnigen konzentrieren. Meine Aufgabe ist sozusagen ein Vollzeitjob, den ich nicht kündigen kann.

Außerdem ist diese Aufgabe eine wahre Ehre für mich, auf die ich seit meiner Geburt sorgfältig vorbereitet werde, und ich bin die Siebte, der diese Ehre zugewiesen wurde und dazu auch noch die erste Frau. Aber träumen kann man ja dennoch, denn träumen ist das einzige, was uns niemand nehmen kann, auch nicht die Abtrünnigen, egal wie grausam sie auch sind.

Und ich muss auch sagen, dass mir diese Aufgabe durchaus gefällt, besonders da allen anderen das Betreten der Erde nur mit meiner oder der Erlaubnis vom Allerhöchstem gestattet wird. Es ist also ein ganz schönes Privileg für mich, das ich durchaus zu würdigen weiß.

Nur manchmal wünsche ich mir doch nur ein normaler himmlischer Bewohner zu sein, kämpfen zu können oder dem Allerhöchstem zu dienen. Einfache Leben sind meistens ungefährlicher und dennoch wunderbar.

Mein bester Freund Jules ist zum Beispiel ein normaler Himmlischer, darunter versteht man die Toten der fünf Sonnensysteme, die Erde, der größte Planet, die Vega, die Sansa, die Mhyta und der Margus. Das bedeutet, dass es ganz schön viele von ihnen gibt, schließlich sind die Sonnensysteme ja nicht erst gestern entstanden und schon seit Urzeiten sterben Lebewesen, so ist einfach der Kreislauf des Lebens.

Jules ist der Sohn von Gideon und Katrina. Und beide sind seit mindestens 600 Jahren tot. Sie haben also schon einige Jahre auf dem Buckel, was ihnen dadurch ermöglicht wurde, dass man im Himmel weiterleben kann, so als sei man nie gestorben. Man kann Kinder bekommen, die jedoch die Erde nie als normale Lebende betreten werden. Im Grunde kann man dort also so weiterleben wie auch schon in seinem Leben.

Die Tatsache, dass die Kinder dann nicht auf der Erde leben können mag zwar manchmal nicht sehr verlockend klingen, aber den Meisten macht es nichts aus, da sie es im Himmel viel besser haben als auf der Erde.

Jules soll einmal Schmied werden, wie sein Vater Gideon. Auch er hat heute wieder eine seiner Prüfungen, wobei er auf andere Sachen wie ich getestet wird, da er auch zum Beispiel auch keine Flügel oder besondere Eigenschaften besitzt. Aber ich freu mich schon darauf ihn zu sehen. Hoffentlich haben wir zwischen unseren Prüfungen genug Zeit uns zu unterhalten.

Nach den Prüfungen im Himmel muss ich dann wie jeder normale Jugendliche auf der Erde in die Schule. Leider! Ich gehe auf die St. Halox, die größte Schule in ganz Minnigen, unserer Hauptstadt. Und wenn ich ehrlich bin, dann macht es nicht immer Spaß, denn oftmals ist es sehr ermüdend. Doch es muss sein und auch hier kann ich mich nicht davor drücken.

Dort schreiben wir zu allem Übel dann auch noch einen Test in Historie. Und danach darf ich mich noch weitere fünf Schulstunden lang durch den Tag quälen. Wenigstens ist heute der Schultag nicht allzu lange. Ich habe also eigentlich sogar noch Glück gehabt.

Und schließlich muss ich hoffen, dass es ein ruhiger Tag wird und ich keinen Auftrag zum Schutz der Erde bekomme. Ich sehe schon, dass das heute ein toller Tag wird. Warum bin ich nicht einfach liegen geblieben? Ich hätte liegen bleiben sollen! Zu meinem Leidwesen ist es jetzt aber schon zu spät dafür.

Ich steige aus der Dusche und ziehe meine Kampfkleidung, eine dreiviertellange und eng anliegende schwarze Hose aus Kunstleder mit Nieten an den seitlichen Nähten, ein enges dunkellila Top, und die dazu passende schwarze Lederjacke ebenfalls mit Nieten an der Seite, an.

Ich könnte sie genauso gut auch mit meinen Kräften schneller anziehen, aber ich will meine Kräfte schonen, was so viel heißt wie, dass ich noch Zeit schinden will. Natürlich will ich wieder einmal Zeit schinden und ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Kleider schon jemals mit meinen Kräften angezogen habe. Ich tippe ja eher auf ein klares Nein. So bin ich nun einmal, eindeutig kein Morgenmensch.

Lucy kommt herein und schaut mich mitleidig an. Sie und Ann wissen beide, dass mir heute ein langer, anstrengender und langweiliger Tag bevorsteht, den ich lieber schon hinter mir hätte. Doch die Zeit kann ein Engel zwar beeinflussen doch nur geringfügig und das ist somit auch keine Option für mich.

„Sei auch ja wieder pünktlich zum Frühstück da.“, scherzt Lucy. Sie weiß genau, dass ich nur wenige Minuten lang weg sein werde, da man im Himmel als Erdbewohner (der noch lebt) nicht so schnell altert, wenn man es nicht will, und somit für mich keine Minute vergeht, obwohl ich über zwei Stunden im Himmel bin.

Aber diesen Scherz bringen sie immer wieder, wenn ich schlecht Laune habe, wie es heute der Fall ist. Auch dieses Mal hilft es und heitert mich sofort ein klein wenig auf. Aber nur ein klein wenig.

Ich boxe Lucy freundschaftlich und mit einem breiten Grinsen an die Schulter, daraufhin setzt sie eine schmerzverzerrte Miene auf und schimpft: „Du kannst doch einen Nicht-Engel nicht einfach so schlagen! Ich bin doch viel zu schwach und gebrechlich…“

Sie wird still, als meine Kette mit den zwei Flügeln, zu leuchten beginnt, das Zeichen, dass es Zeit zum Aufbruch ist.

„Ihr seid einfach die Besten, aber ich kann euch zu meinem Missfallen nicht länger mit meiner Anwesenheit beehren.“, rufe ich über meine Schulter den beiden zu. Und grinse verschmitzt, um ihnen eins auszuwischen. Das muss ja auch einmal drinnen sein.

„Nun los, hau schon ab wir wollen die Herren dort oben doch nicht etwa warten lassen, nicht dass man es uns nach unserem Tod nicht mehr verzeiht!“, erwidert Ann.

„Das wird bestimmt eine total einfache Prüfung, die du mit links meistern wirst.“, meint Lucy mit einer gehörigen Portion Sarkasmus um es mir zurück zu zahlen.

„Jaja, lach du nur.“, murre ich, wobei ich versuche eine böse Miene aufzusetzen, was mir jedoch kläglich missglückt. Es funktioniert einfach nicht, wenn sich die Lippen nach oben kräuseln weil man eigentlich lachen will.

„Wir sehen uns gleich wieder.“

Ich trete auf den Balkon und lasse meine Schwingen hervortreten. Ein warmer Schauer durchläuft mich und mit einem hellen weiß strahlenden Blitz teleportiere ich mich vor das Tor zum Himmel.

Jeder, der den Himmel betritt oder verlässt muss durch das breite, aus Lichtstein geschmiedete, Tor. Das ist zwar keine Regel, die vor Gefahren warnen soll, sondern vielmehr eine lange Tradition, da alle Toten einmal durch das Tor gehen müssen, bevor sie den Himmel das erste Mal betreten, genau wie ich.

Ich begrüße Petrus, den Wächter des Tores und betrete Alleria, die größte und somit wichtigste Stadt im Himmel. Ich schlendere die Straßen entlang, wobei ich weiß, dass ich eigentlich keine Zeit mehr habe, aber der Anblick Allerias fasziniert mich immer wieder. Und Zeit schinden liegt mir angeblich ja relativ gut.

Die Stadt Alleria hat keine reichen und auch keine armen Bewohner, und außerdem gibt es hier im Himmel keine Währungen, was sehr vorteilhaft für mich ist, wenn ich irgendetwas brauche.

Das meiste hier ist Luxus, da Tote keine Sachen benötigen. Das einzige, was man hier wirklich braucht, ist das Schwert für die Engel, das aus Lichtstein gemacht wird. Das sind die sogenannten Lichtschwerter, die alles böse vernichten können.

Wenn ein Abtrünniger von so einer Klinge getroffen wird, dann wird aus ihm wieder ein normaler Engel, so wie er es vor seinem Fall war, vorausgesetzt es gibt noch genug, das gerettet werden kann. Wenn der Betroffene zu böse ist, dann weiß ich nicht was passiert, da das bisher noch nicht vorgekommen ist, und hoffentlich auch nie vorkommen wird. Doch wer kann durch und durch böse sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das überhaupt möglich ist.

Lichtstein ist das härteste Material gemeinsam mit Dunkelstein, dieser ist für die Dunkelschwerter, (die Alles ohne Ausnahme vernichten) und wird ausschließlich von den Abtrünnigen benutzt.

Nur wenige vermögen dieses Material zu schmieden. Einer davon ist Gideon und bald auch Jules. Ich freu mich schon, wenn ich mir von ihm meine Waffen holen kann, denn dann trage ich immer etwas von ihm bei mir.

Außerdem braucht man auch noch Kleidung, allerdings gibt es immer wieder ein paar, die es bevorzugen nackt durch die Gegend laufen, was aber niemanden stört, da jeder sein freies Recht dazu besitzt und niemand im Himmel verachtet wird. Man kann sich so verhalten, wie man will und auch wie man wirklich ist. Wir müssen uns im Himmel nicht vor uns selbst verstecken.

Ich begrüße ein paar Himmlische, die mir entgegen kommen. Himmlische nennen wir diejenigen, die durch den Tod den Himmel betreten haben und dabei keine Engel wurden.

Nur circa alle fünf Jahre gibt es einen neuen Engel, denn um Engel zu werden braucht man gewisse Fähigkeiten und eine Seele die höchstens die achte Graustufe erreicht. Je weißer die Seele, desto heller die Flügel, und somit umso reiner der Geist und die Seele. Engel und auch Erzengel haben nie eine dunklere Graustufe als acht, deshalb ist das auch eine Grenze, die bei der Ernennung zum Engel immer eingehalten wird. Allerdings habe ich auch noch nie davon gehört, dass ein Mensch mit einer dunkleren Graustufe überhaupt für eine Ernennung zum Engel ausgesucht wurde.

Ich besitze die erste Graustufe, was so viel bedeutet wie, dass ich eine der wenigen bin, die eine komplett weiße Seele haben, was meiner Meinung nach auch die hübschesten Flügel bringt.

Ich weiß, dass sich das total selbstverliebt anhört, aber so ist das nun einmal und ich bin nicht die Einzige, die dieser Meinung ist. Außerdem heißt eine reine Seele nicht gleich, dass man ein perfekter Mensch oder Engel ist. In dieser Hinsicht sagt die Graustufe nichts über uns aus.

Vor der Akademie treffe ich Jules, welcher nervös von einem Bein auf das Andere hüpft, da ich wohl ein bisschen zu spät bin. Wie immer eben.

„Komm schon Miss Fench wartet nicht gerne wenn die Prüfungen sind.“, quengelt er. Er ist sehr akkurater Junge, der versucht immer alle Erwartungen zu erfüllen, darunter auch die der Akademie.

„Ach was, wir sind sowieso nicht als erstes an der Reihe. Mit wem habe ich heute das Vergnügen?“ Ich lächle verschmitzt, begierig darauf zu erfahren, gegen wen ich kämpfen soll.

„Ach halt die Klappe. Dein Glücklicher Prinz ist John, oder auch der Sieger, wie er sich selbst gerne nennt. Aber heute nörgelt er nur und behauptet er sei doch nur ein Engel während du der schützende Erzengel der Erde bist. Mach ihn fertig, Schätzchen.“

„Na was denkst denn du von mir?“

Mit schnellem Schritt durchquert Jules die Sternhalle und rennt Richtung Kampfhalle. Ja, er versucht alle Erwartungen so gut es geht zu refüllen.

„Immer mit der Ruhe, spar dir deine Kräfte für deinen Gegner. Apropos, wer ist heute dein Gegner?“, meine ich mit einem gespielten Keuchen.

„Liss!“, sagt Jules lächelnd. Ich fange zu quietschen an und meine: „Das ist doch nicht wahr, du Glückspilz!“

„Scht!" Ich sehe auf die Seite und verstehe, was er meint. Ich war zu laut und sämtliche Schüler starren mich an. Doch leider konnte ich mich zu Jules Unglück nicht beherrschen.

„Ups!“, ist alles was ich dazu zu sagen habe. Ich freue mich für Jules, da ich weiß, dass er schon seit über einem Jahr auf Liss, die braunhaarige Schönheit steht und wieder einmal nehme ich mir vor, die beiden zu verkuppeln.

In der Kampfhalle stehen die Schüler in kleinen Gruppen und warten auf ihre Prüfungen. Die Ersten sind schon weg, wie ich sehe.

Auf der anderen Seite der Halle stehen Liss, John und sein stiller Kumpel Luke. Mit einer kurzen Geste zeige ich es Jules, und wir halten Kurs auf sie, wobei ich Jules Hand einmal fest drücke und ihn anlächle. Er antwortet mit einem Strahlen, was seine hohen Wangenknochen zur Geltung bringt. Wenn er so lächelt, dann würde es mich nicht wundern, wenn sämtliche Mädchen ihm zufliegen.

„Oh! Glory die überaus bezaubernde Schützerin der Erde.“, begrüßt mich John, wärend Liss nur die Augen verdreht.

„John! Der arrogante Engel, ebenfalls einen schönen Tag.“

„Nein, du Kampfmaschine, so redet man nicht mit John, dem Sieger, der heute ausnahmsweise einmal verliert.“ Daraufhin kann ich nur sagen: „Du armer, armer Engel.“

Ich mag John. Denn ich finde er ist ein lustiger Kerl, der die Stimmung immer ein bisschen bessern kann und er hat nie schlechte Laune, jedenfalls habe ich das bei ihm noch nie gesehen. Und ich will diese Erfahrung auch nicht machen, denn wenn jemand Johns lustige Art zerstören kann, dann muss etwas wirklich Schlimmes passiert sein, was ich ihm auf keinen Fall wünsch.

Ich schiele wieder zu Jules, der sich angeregt mit Liss unterhält und zwinkere daraufhin John und Luke zu. Die beiden kichern nur, denn sie Jules bereits schon vor langer Zeit durchschaut und erahnen, wie seine Gefühle zu Liss stehen. Ist aber auch wirklich nicht schwer zu erkennen.

„Jules McHardney und Liss Arell bitte auf den Kampf vorbereiten.“, tönt die Durchsage durch die Halle.

Ich klopfe Jules und Liss auf die Schulter und wünsche ihnen viel Glück, dabei bedaure ich wie jedes Mal, dass ich nicht zuschauen darf.

Besonders heute würde ich gerne zuschauen, da ich wissen will, wie Jules gegen Liss kämpft. Ich bin überzeugt davon, dass es bestimmt lustig zu beobachten wäre. Außerdem will ich wissen, ob Jules sich bei Liss zurückhält.

„Uhh! Die Turteltäubchen müssen kämpfen!“, grölt John und Jules funkelt ihn böse an, während er mit Liss im Prüfungssaal verschwindet.

Ich weiß, dass ich als nächstes mit John an der Reihe bin und ich bereite mich sowohl seelisch als auch geistig auf den Kampf vor. Auch John trifft die letzten Vorbereitungen für unsere Prüfung, was man daran sieht, dass er für seine Art ungewöhnlich still ist.

Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie Jules und Liss nach einiger Zeit lächelnd den Kampfraum verlassen und mir den Daumen nach oben zeigen, um mir zu signalisieren, dass alles gut verlaufen ist und um mir Glück zu wünschen.

Gleich darauf tönt durch den Saal: „Erzengel Glorya Miranda von Helsting und Engel John Flanagan bitte zum Kampf antreten.“

John lächelt mich auffordernd an und sagt nur: „Miranda!“, worauf ich ihm die Zunge rauszustrecken und ihm einen vernichtenden Blick zuwerfe. Gespielt erschrocken zuckt John zurück.

Gemeinsam betreten wir die Arena, wo bereits Miss Fench mit zwei weiteren Lehrern und Prüfern auf uns wartet. Miss Fench lächelt uns an und sagt: „Erzengel Glory und Engel John, ich will, dass ihr heute euer Bestes gebt.“

Sie schreibt etwas auf ihren Prüfungszettel und hebt den Kopf. „Stellt euch auf, heute kämpft ihr ohne Flügel, was ihr braucht, wenn ihr eure Identität waren wollt. Und viel Glück euch beiden.“, fügt sie noch freundlich hinzu.

Ich gehe zu dem Waffenständer, der am Rand der Arena steht. Dort wähle ich mir zwei Dolche, einen kleinen und einen, der fast ein kurzes Schwert ist, unter den vielen Waffen aus. John hingegen wählt ein zweihändiges Breitschwert. Wir dürfen mit diesen Waffen tatsächlich den anderen verletzen, da wir als Engel viel schneller heilen als normale Menschen.

Was heißt, dass wir so gut wie unbesiegbar sind, Dunkelklingen einmal ausgenommen. Nur das Abschlagen von Gliedmaßen ist verboten, da diese nur sehr langsam heilen, oder auch nicht richtig.

Zum Beispiel hat ein Junge bei einem Kampf vor einiger Zeit einmal seine Hand verloren, jetzt hat er auf dieser Seite nur noch zwei Finger. (Nicht sehr erstrebenswert!)

Sobald ich die Dolche in der Hand halte beruhigt sich mein Puls und ich konzentriere mich ausschließlich auf den bevorstehenden Kampf mit John. Eine tödliche Ruhe überrollt mich und alles Unwichtige wird ausgeblendet, sodass nur noch John und ich zurück bleiben.

Aus unserem Training weiß ich, dass John ein guter Schwertkämpfer ist, der beste gemeinsam mit mir in unserem Jahrgang, um genau zu sein. Also ist er durchaus dazu im Stande es mit mir aufzunehmen, zumindest eine Zeit lang.

Jedoch muss man sagen, dass ich der einzige Erzengel bin und er der einzige Engel mit Luke. Es ist also kein Wunder, dass wir drei die Besten hier sind. Und wenn es nicht so wäre, dann wäre es auch durchaus ganz schön traurig.

Ich kenne seinen Kampfstil und weiß seine Schwächen zu nutzen. John ist nicht so schnell wie ich und so kann man bei ihm mit Schnelligkeit die Deckung leichter durchbrechen.

Aber wenn man zu nahe bei ihm ist, muss man sich vor seinen harten und präzisen Schlägen in Acht nehmen, die einem durchaus zum Verhängnis werden können wenn man auch nur kurz nicht bei voller Konzentration ist.

Ich gehe im Kopf noch einmal alle seine Stärken und Schwächen durch und beginne mir eine Strategie zu überlegen, wobei ich auch mit einbeziehe, dass er auch meine Taktiken, meine Stärken und meine Schwächen kennt.

Langsam formt sich ein Bild von den Abläufen, die ich später verwenden werde. Ich richte mich auf und beuge dann meine Knie und schiebe den einen Fuß nach vorne, so dass ich einen festen, breitbeinigen Stand habe. Ich hebe die Dolche und kreuze sie vor meiner Brust, dabei ist der kürzere hinter dem längeren um diesen zu stützen.

Vor mir tänzelt John nervös von einem Bein auf das andere. Er ist ein guter Kämpfer, aber er ist sich auch in der Tat bewusst, dass ich zwar schwächer und kleiner, dafür aber umso flinker, listiger und taktikreicher bin.

Alle wissen, dass ich nicht nur Übungskämpfe in der Arena, sondern auch unzählige echte Kämpfe bereits hinter mir habe. Diese Erfahrung macht mich zur besten Kämpferin auf der ganzen Akademie.

Ich lächle ihm aufmunternd zu, aber er bekommt nur eine verzerrte Maske zustande. Dann hebt Miss Fench auch schon den Arm, das Zeichen zum Start. Der Kampf beginnt. Es ist Zeit für mich mein Bestes zu geben.

Wie ich mir dachte, beginnt John mit einem starken Schlag von oben, da es schwierig ist, ihn mit Dolchen zu parieren.

Doch ich kreuze beide Dolche über meinem Kopf und das Schwert trifft mit einem kräftigen Zittern auf sie. Funken sprühen in alle Richtungen davon. Ich sehe, dass John verwirrt ist, denn unter normalen Umständen weicht man solch einem Schlag aus, vor allem wenn man meine Wendigkeit besitzt.

Diesen Umstand nutze ich aus und springe mit einem Ausfallschritt frontal auf ihn zu. John reagiert nur knapp, bevor meine Klinge ihn trifft. Mit einem fahrigen Schlag bringt er meinen Dolch aus seiner Bahn und ich schlitze ihm nur die Seite auf.

Dann lasse ich ihn auf mich zukommen und ihn angreifen. Er ist vorsichtiger, da er erneut mit den gekreuzten Dolchen rechnet. Aber ich weiche nur geschwind und wendig, wie eine Raubkatze, aus. Nach mehreren Schlägen sehe ich, wie seine Arme langsam aber sicher schwer werden. John wird langsamer und unachtsam. Nun ist es Zeit für mich in die Offensive zu gehen.

Ich schlage mal links mal rechts, um ihn zu verwirren und ihn zu ermatten. Eine nicht sehr originelle, aber durchaus effektive Taktik.

Jetzt sehe ich seinen Schweiß auf der Stirn und der Brust und höre seinen heftigen Atem. Auch mir rinnt der Schweiß von der Stirn und in meinen Ausschnitt, aber ich bin noch lange nicht so ermattet wie John.

Ich tänzle um ihn herum und springe in die Luft, um den letzten Schlag auszuführen.

Ich weiß, dass er diesem Schlag nicht ausweichen kann, wenn ich präzise und sicher lande. Im Flug stelle ich mir eine Raubkatze, einen Leoparden, vor und wie er geschmeidig auf seinen vier Pfoten landet.

Plötzlich zerreißt ein unglaublicher Schmerz meinen Körper. Und eine Hitze fährt durch meine ganzen Adern. Ich kann nicht mehr klar denken und höre nur noch wie Fleisch zerreißt und Knochen splittern. Ich sehe schwarz vor Augen und die Dunkelheit droht mich hinein zu ziehen.

Ich denke daran, dass ich wenn ich nicht gewinne viele Punkte an John verliere, da ich besser bin. Doch so schnell gebe ich mich nicht geschlagen, denn das ist mein Sieg.

Mit letzter Kraft lande ich und meiner Kehle entrinnt ein Knurren. Ich bin stolz auf mich, da ich noch nie so ein furchteinflößendes Knurren zustande gebracht habe. Es muss wohl wirklich gut gewesen sein, da mich John und die Lehrer anstarren, als sei ich nicht von hier.

Ich will zustechen, aber meine Dolche sind weg. Fiebrig überlege ich, was ich tun soll, bis mir mein Instinkt sagt ich soll ihm die Kehle aufreißen.

Ich stürze mich auf ihn und beiße mit einem Fauchen in seine Kehle, bis ich Blut schmecke. Stolz auf mich ziehe ich mich zurück, doch die anderen starren mich immer noch geschockt an. John beginnt sogar zu zittern, lässt sein Schwert fallen und weicht zurück.

Ich bin verwirrt, bis ich an mir hinab sehe. Ich bin ein Leopard! „Oh, du heilige Scheisse!“, keuche ich.

Alle vier stimmen mir zu. ICH BIN EIN LEOPARD! Mir fällt auf, dass daher wohl der Schmerz kam. Ich muss mich auf eine mir unerklärliche Weise Verwandelt haben und scheinbar war es sehr schmerzhaft. Wie kann das nur sein?

„Ähh, kann ich neue Kleider haben?“, frage ich in die bedrückende Stille. „Ja... Natürlich“, stammelt Miss Fench. „Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ist es okay, wenn ich Mr. Prime hole?“, und damit stürmt sie aus der Arena.

Draußen höre ich die Schüler aufgeregt tuscheln.

„Du bist ein Leopard!“, stottert John. „Wie ist das denn passiert?“

„Ich habe echt keine Ahnung. Ich stellte mir einen Leoparden vor und schwupp das da.“, antworte ich mit eine Geste die meinen Körper zeigen soll. Es ist einfach unmöglich. So etwa ist doch nicht normal. Ja, Erzengel können viel, aber dass sie die Gestalt eines anderen Wesens annehmen können habe ich noch nie gehört.

Da fängt John laut zu lachen an: „Du bist ja echt beeindruckend, aber mit deinen Gesten musst du noch üben, du siehst lächerlich aus!“

„Pff...!“ ich fletsche meine noch blutigen Reißzähne. „Jaja schon gut.“, lächelt John.

Mr. Prime betritt die Arena und starrt mich an. Hinter ihm kommt Miss Fench mit einem Stapel neue Kleider für mich. Die Schüler drängen sich hinter Miss Fench durch die Tür, um zu sehen warum Mr. Prime gekommen ist.

Einige erstarren und Luke brüllt: „Was ist denn das?“ „Nicht, was ist denn das? Sondern wer ist denn das? Und darf ich vorstellen Glorya Miranda von Helsting, die sich zufällig in einen Leoparden verwandelt hat.“

Sofort beginnt das Getuschel wieder und alle starren mich mit seltsamen Minen an. „Hey, jetzt hört mal auf mich so anzustarren, ich fühle mich wie eine Ausstellpuppe.“, sage ich, wobei mir immer mal wieder ein Knurren ausrutscht. Ups. Das wolle ich nicht.

„Immer mit der Ruhe!“, brüllt Mr. Prime über den Lärm hinweg. „Und sie Miss Glory erzählen uns jetzt alles!“ Ich sehe mich rasch um und zwinkere dem verdatterten Jules zu, worauf sich seine Miene erhellt und er mich anlächelt.

„Ich will mich ja nicht beschweren, aber könnte ich meine normale Form annehmen und mich anziehen?“, damit zeige ich auf die Stofffetzen meine kaputten Trainingskleider.

„Könntest du zuvor noch versuchen eine andere Gestalt anzunehmen?“ „Ja sicher!“, meine ich.

„Ein Einhorn, ein Einhorn!“, schreit John und alle lachen. „Nein, ich bevorzuge erst einmal einen... hmm... einen Bär, wenn das geht!“ meint Mr. Prime fraglich.

„Ich kann für nichts garantieren!“, antworte ich trocken.

Im Geist sehe ich einen Bär von mir, wie er mit seinem mächtigen Körper durch die Wälder streift. Innerlich stelle ich mich auf den unglaublichen Schmerz ein, aber er kommt nicht. Enttäuscht öffne ich meine Augen und wieder starren mich alle an.

„Unglaublich!“, rutscht es Mr. Prime heraus und ich weiß, dass ich es geschafft habe. Doch der Schmerz ist dieses Mal nicht von Partie gewesen. Zum Glück, denn angenehm kann man das wirklich nicht nennen.

Tatsächlich habe ich die Form eines starken muskulösen Bären eingenommen, so wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ich bin ein Bär mit allem Drum und Dran, sogar den Geruchssinn eines Bären besitze ich. Unglaublich!

„Schluss mit dem glotzen und ich brauche Kleider!“, sage ich bestimmt und fühle mich plötzlich völlig fehl am Platz.

Mit Liss im Schlepptau trample ich in die Mädchen Umkleidekabine. Dort verwandle ich mich wieder in Glory, allerdings brauche ich die neuen Kleider gar nicht, denn meine alten sind auf mysteriöse Weise wieder da, als wären sie nie weg gewesen. Vielleicht bleibt meine Gestalt ja bei einer Rückwandlung ja wie beim Ausgangspunkt und so behalte ich meine Kleider. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.

„Du bist echt unglaublich.“, meint Liss überwältigt. „Ich weiß!“, lächle ich verschmitzt zurück.

Gemeinsam verlassen wir die Umkleidekabine und betreten die Arena noch einmal, wo Miss Fench gerade erklärt, dass die Prüfungen zum Ärger aller anderen nicht ausfallen.

Sobald sie mich erblickt haben, bombardieren sie mich mit Fragen bis Mr. Prime sie alle stoppt und erst Miss Fench fragt, was geschehen ist.

Diese beginnt mit dem Kampf und der anschließenden Verwandlung und endet damit, dass sie für mich neue Kleider holte und Mr. Prime aufsuchte.

Danach bin ich an der Reihe. Auch ich erzähle alles, wobei ich den Schmerz bei der Verwandlung total verharmlose. Es muss ja nicht jeder wissen, dass es wirklich unangenehm ja sogar schmerzhaft war.

Auch nachdem alles erzählt wurde kann sich niemand erklären, was genau passiert ist. Und so schicken Miss Fench und Mr. Prime mich wieder nach Hause, zurück auf die Erde.

Gemeinsam mit Jules und unglaublich vielen Fragen zu meiner Verwandlung verlasse ich die Akademie.

Zusammen schlendern wir durch Alleria in Richtung Tor, doch Jules Redeschwall hört nicht auf, bis ich ihn unterbreche.

„Ich weiß, dass ich echt aufregend bin, aber ich kann es mir auch nicht erklären und ich muss nach Hause zum Frühstück, ich habe einen Bärenhunger.“, schmunzle ich.

Ich weiß, dass es nicht gerade nett ist, aber mir gehen so viele Sachen durch den Kopf, die ich mir zum besten Willen nicht erklären kann. Und Antworten wären eigentlich ganz nett, denn Verwirrung ist für meinen Zustand gerade noch eine sehr nette Beschreibung.

Er entschuldigt sich und verabschiedet sich heiter von mir, da er sich noch mit Liss treffen wollte. Ich drücke ihm die Daumen. Die beiden würden ein wunderschönes Paar abgeben.

Mit einer Verabschiedung von Petrus verlasse ich Alleria schließlich, breite meine Schwingen aus und verschwinde mit einem grellen, weißen Blitz aus dem Himmel.

 

Kapitel 2

 

 

Ich bin so aufgelöst, dass ich mit einem lauten Rums auf den Balkon falle. Ann und Lucy starren mich entgeistert von meinem Bett aus an.

„Ähm dein Mund!“, warnt mich Ann. Das hatte ich total vergessen. Mein ganzer Mund ist voll von Johns Blut. Schnell verschwinde ich im Bad, wo ich mich wasche und neue Schminke auftrage, um nicht komplett fertig herumzulazfen.

Sobald ich wieder einigermaßen normal aussehe helfen mir Lucy und Ann in das blassblaue, knielange Kleid aus mehreren Schichten Seide. Das Kleid ist trägerlos und liegt eng an. An der Hüfte fällt es dann in vielen zarten Lagen bis zum Knie.

Ich freue mich auf das neue Kleid, denn ich habe es vor circa zwei Wochen mit Lucy und Ann entworfen und die beiden haben begonnen es für mich zu nähen. Ich habe mich jetzt schon in den weichen Stoff der meine Beine umspielt verliebt. Und wieder einmal haben Ann und Lucy sich bei der Ausführung meiner Wünsche selbst übertroffen.

„Meine Lieben, ihr seid einfach die Besten! Dieses Kleid ist der absolute Traum.“ Die zwei erröten, da sie es noch immer nicht gewöhnt sind von mir gelobt werden. Vor nicht allzu langer Zeit haben sie nämlich erst den Job als meine Zofen angetreten. Dennoch finde ich, dass sie sich ausgezeichnet schlagen und ich könnte mir niemanden besseren für diese Position vorstellen. Ann und Lucy sind dafür einfach die beste Besetzung.

„Das reicht jetzt aber.“, unterbricht mich Ann. „Du musst jetzt zum Frühstück.“

Sie knicksen und verschwinden dann durch eine Hintertür. Langsam schleppe ich mich zum Speisesaal. Die Diener, Zofen und Wächter knicksen und verbeugen sich, wenn ich an ihnen vorbei schlurfe, doch das nehme ich nur am Rande wahr. Meine Gedanken haben andere Wege eingeschlagen.